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Sehr geehrte Apothekerin, sehr geehrter Apotheker,
hier ist der vollständige Text für Sie:
Wissen & Tipps
Einer
jugendlichen Patientin, die nach einem groben Befunderhebungsfehler
ihrer Hausärztin beide Nieren verloren hat, dialysepflichtig geworden
ist und 53 Folgeoperationen, darunter zwei erfolglosen
Nierentransplantationen ausgesetzt war, stehen 200.000 Euro
Schmerzensgeld zu. Das hat der 26. Zivilsenat des Oberlandesgerichts
Hamm am 03.07.2015 entschieden und damit das erstinstanzliche Urteil des
Landgerichts Bielefeld abgeändert.
Die 1986 geborene Klägerin
aus dem Kreis Minden-Lübbecke ließ sich über mehrere Jahre bis März 2002
durch die ortsansässige beklagte Hausärztin behandeln. Die Klägerin
litt seinerzeit unter einer krankhaften Fettsucht und einem
Nikotinmissbrauch. Im September 2001 stellte die Beklagte bei der
Klägerin einen deutlich erhöhten Blutdruck fest und wies die Klägerin
und ihre Mutter auf eine notwendige Blutdruckkontrolle hin. Nachdem die
Beklagte im November erfahren hatte, dass die Klägerin, bei der wiederum
erhöhte Blutdruckwerte vorlagen, aufgrund von Kreislaufproblemen
viermal bewusstlos geworden war, stellte sie eine Überweisung zum
Internisten bzw. Kardiologen zur weiteren Diagnostik einer sekundären
Hypertonie aus. Zudem bot sie erneut regelmäßige Blutdruckkontrollen an,
die die Klägerin in den nächsten Wochen nicht wahrnahm. Die Blut- und
Nierenwerte der Klägerin untersuchte die Beklagte während dieser Zeit
nicht. Nach der Behandlung durch die Beklagte wurden bei der Klägerin
beiderseitige Schrumpfnieren diagnostiziert. In den folgenden Jahren
unterzog sich die Klägerin 53 Operationen, u. a. zweier erfolgloser
Nierentransplantationen. Sie wurde dialysepflichtig. Mit der Begründung,
sie sei von der Beklagten unzureichend untersucht worden, so dass ihr
Nierenleiden zu spät entdeckt worden sei, hat die Klägerin von der
Beklagten Schadensersatz verlangt, u. a. ein Schmerzensgeld von 200.000
Euro.
Die Schadensersatzklage der Klägerin war erfolgreich. Nach
der Begutachtung des Falls durch einen medizinischen Sachverständigen
hat der 26. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm der Klägerin 200.000
Euro Schmerzensgeld zugesprochen.
Die Beklagte hafte, so der
Senat, für Befunderhebungsfehler. Sie habe nicht genug unternommen, um
die Ursache für den Bluthochdruck der Klägerin abzuklären. Bereits der
im September gemessene Blutdruck sei ein krankhafter Befund gewesen, der
durch weitere regelmäßige Blutdruckmessungen habe abgeklärt werden
müssen. Wenn es insoweit zu keiner Rückmeldung der Patientin gekommen
sei, habe der damals 15-jährigen Patientin und ihren Eltern die hohe
Dringlichkeit der weiteren Abklärung verdeutlicht werden müssen. Der
Beklagten sei zudem vorzuwerfen, dass sie nach der Vorstellung der
Klägerin im November 2001 eine weiterführende Diagnostik nicht stärker
vorangetrieben oder selbst durchgeführt habe. Mehrfache
Bewusstlosigkeiten und wiederholt erhöhte Blutdruckwerte hätten - trotz
der weiteren Risikofaktoren der Klägerin - im Hinblick auf eine
sekundäre Hypertonie zwingend weiter abgeklärt werden müssen. Hierzu
hätte es weiterer Blutdruckwerte bedurft, die seinerzeit nicht
vorgelegen hätten. Bei dieser Situation habe die bloße Überweisung der
Klägerin zum Kardiologen ohne zwischenzeitliche eigenständige Diagnostik
nicht ausgereicht. Aus fachärztlicher Sicht eines Allgemeinmediziners
sei sogar eine stationäre Abklärung erforderlich gewesen. Dieses habe
wiederum der Klägerin und ihren Eltern verdeutlicht werden müssen. Dass
die Beklagte bei der Situation im November diese elementar gebotenen
diagnostischen Maßnahmen unterlassen habe, sei - abweichend von der
Auffassung des Landgerichts - als grober Behandlungsfehler zu bewerten.
Nach
dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei - aufgrund der mit dem groben
Behandlungsfehler verbundenen Beweislastumkehr - zugunsten der Klägerin
davon auszugehen, dass ihre späteren Beeinträchtigungen der
Nierenfunktion, insbesondere ihre Dialysepflicht, die zwei
Nierentransplantationen mit insgesamt 53 Operationen auf die von der
Beklagten zu vertretende zeitliche Verzögerung bei der Feststellung und
Behandlung der Grunderkrankung zurückzuführen seien. Bei einer früheren
Diagnose der Nierenerkrankung der Klägerin habe eine - wenn auch geringe
- Chance auf eine vollständige Heilung bestanden.
Der
komplikationsträchtige, lange Krankheitsverlauf mit der dauerhaften
Dialysepflicht für die noch junge Klägerin rechtfertigte die
Größenordnung des zugesprochenen Schmerzensgeldes.
OLG Hamm, Urteil 26 U 104/14 vom 03.07.2015
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