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Sehr geehrte Apothekerin, sehr geehrter Apotheker,
hier ist der vollständige Text für Sie:
INTERVIEW DR. CLAUDIO ALBRECHT / ACTAVIS
Berlin - Mit Zukäufen im
Halbjahrestakt ist der isländische Generikahersteller Actavis zwischen
1999 und 2008 zu einem der Weltmarktführer aufgestiegen. Dann traf die
Finanzkrise den Konzern mit voller Wucht, selbst ein Notverkauf schien
möglich. Ende Juli einigten sich die Gläubiger um die Deutsche Bank auf
ein Refinanzierungskonzept und ernannten den ehemaligen Ratiopharm-Chef
Dr. Claudio Albrecht zum neuen Vorstandsvorsitzenden. In seinem ersten
Interview seit Amtsantritt sprach Albrecht mit APOTHEKE ADHOC über die
Stärken und Schwächen des Konzerns, den neuen Firmensitz in der Schweiz
und die Zukunft der Generikabranche.
Synergien nutzen: Dr. Claudio Albrecht will Actavis wettbewerbs- und investitionsfähig machen. Foto: Actavis
ADHOC: Wo steht Actavis 2010?
ALBRECHT: Es kommt ein wenig darauf an, mit wem Sie Actavis
vergleichen. Im reinen Generika-Segment sind wir nach der
Ratiopharm-Übernahme durch Teva die Nummer 4 auf der Welt. Wir
beschäftigen derzeit 10.500 Mitarbeiter und erwarten in diesem Jahr
einen Umsatz von 1,8 Milliarden Euro. In den nächsten Jahren wollen wir
über Markt wachsen - jedes Jahr zwischen 8 und 10 Prozent.
ADHOC: Was war der Grund für die Krise von Actavis?
ALBRECHT: Wenn ich die Umsatz- und die Gewinnsituation von Actavis mit
der anderer Generikahersteller vergleiche, so liegen wir durchaus im
oberen Durchschnitt. Ich denke, es ging vor allem um die Höhe der
Verschuldung. Ab einer gewissen Zinslast kann ein Unternehmen unserer
Größe den Cash Flow nicht mehr erwirtschaften, um diese zu bedienen.
Seit der Restrukturierung der Schulden besteht dieses Problem nicht
mehr.
ADHOC: Warum ist der Verkauf von Actavis gescheitert?
ALBRECHT: Unsere Industrie ist auch davon geprägt, dass sich Gerüchte
rasch verbreiten. Ich kann nicht bestätigen, dass wir aktiv einen
Käufer für Actavis gesucht hätten. Es gibt natürlich immer wieder
Gespräche über eine engere Zusammenarbeit mit Mitbewerbern, aber wir
sind nie offiziell in einen Verkaufsprozess eingetreten.
ADHOC: Welche Ziele verfolgen Sie mit der Restrukturierung?
ALBRECHT: Wir wollen das Unternehmen ganz klar wieder finanzkräftig,
investitionsfähig und damit wettbewerbsfähig für die Zukunft machen.
ADHOC: Wie involviert sind Gläubiger und Eigentümer?
ALBRECHT: Ich würde hier eher von Shareholdern als von Gläubigern
sprechen. Es gibt einen Geschäftsplan über mehrere Jahre, und den muss
das Management erfüllen. Der Plan ist allerdings realistisch und wurde
von mir bereits in einer sehr frühen Phase begleitet. Der Eigentümer
ist in das operative Geschäft nicht involviert, hat aber im
Aufsichtsrat natürlich wichtige Kontrollrechte.
Berge statt Insel: Der Firmensitz von Actavis wird von Hafnarfjörður in die Schweiz verlagert. Foto: Actavis
ADHOC: Welchen zeitlichen Rahmen haben Sie sich gesteckt?
ALBRECHT: Das Pharmageschäft ist ein sehr reguliertes Geschäft. Alles,
was die Produktion und auch die Produktentwicklung betrifft, ist
vorgegebenen Zeitrahmen unterworfen, meist Intervallen von drei Jahren
oder mehr. Aber einige Schritte werden wir auch sehr schnell umsetzen.
Eine neue Organisationsstruktur soll Prozesse vereinfachen und
beschleunigen, eine neue Managementzentrale in der Schweiz soll
optimale Kommunikation sichern und schnelle Entscheidungen fördern.
ADHOC: Mit welchen Einschnitten haben Unternehmen und Mitarbeiter zu rechnen?
ALBRECHT: Ich bin angetreten, um Actavis in eine erfolgreiche Zukunft
zu führen. Es geht dabei weniger um Einschnitte, sondern um Wachstum
und damit Investitionen. Natürlich werden wir auch dort, wo wir
vielleicht nicht so schlank sind wie Mitbewerber, unsere Strukturen
überprüfen. Gerade in der Produktion und in R&D werden wir
versuchen, unsere Möglichkeiten besser zu nutzen.
ADHOC: Wie wollen Sie aus Actavis mehr machen als eine Gruppe von Herstellungsbetrieben?
ALBRECHT: Das Erfolgsrezept ist die richtige Nutzung von Synergien. Das
funktioniert heute bei Actavis noch nicht so, wie ich es von anderen
Unternehmen kenne. Aber man kann Prozesse nur bis zu einem gewissen
Punkt optimieren, dann braucht es „neues Geschäft", das heißt eine
Vision, wie man die Märkte erobert und die Kunden mit kreativen
Produkten überzeugt.
ADHOC: Welche Alleinstellungsmerkmale hat Actavis denn?
ALBRECHT: Aus unserer Entstehungsgeschichte heraus war Actavis schon
immer stark in der Produktentwicklung. Wir haben heute ein äußerst
breites Know-How und damit sicher eine der besten Pipelines der
Industrie. Außerdem sind wir in Segmenten tätig, wo es deutlich weniger
Konkurrenz gibt. Wir sind zum Beispiel einer der größten Entwickler
onkologischer Produkte und beschäftigen uns derzeit mit der Entwicklung
liposomaler Zytostatika. Ein Defizit ist sicher die mangelnde Präsenz
im Bereich der Biosimilars. Hier wollen wir möglichst schnell einen
Eintritt schaffen, gerade im Bereich Onkologie gibt es ja viele große
biotechnologisch hergestellte Produkte.
ADHOC: Was sind Ihre Pläne und Ziele für den deutschen Markt?
ALBRECHT: Deutschland hat sich in den letzten Jahren sehr verändert und
ist kaum noch attraktiv als Standort für einen Generikahersteller. Der
Ausverkauf der einst weltweit führenden deutschen Generikaindustrie
zeugt davon. Wir wollen den Markt trotzdem nicht verlassen, sondern
unseren Marktanteil ausbauen. Wir haben neben einem breiten
Generika-Sortiment zusätzlich eine Linie von bekannten Markenprodukten,
die nicht unter den ruinösen Ausschreibungswettbewerb in Deutschland
fallen, und eine etablierte Klinikorganisation, die schon jetzt sehr
stark im Bereich Lokalanästhetika und Antibiotika ist und die zukünftig
auch verstärkt in der Onkologie präsent sein wird. Das OTC Sortiment
ist sicher noch ausbaufähig, aber auch hier sind wir auf einem guten
Weg, Nischen zu besetzen.
Zukunft für Marken: Actavis will sich mit komplexen Produkten behaupten. Foto: APOTHEKE ADHOC
ADHOC: Wie steht Actavis zu den Rabattverträgen?
ALBRECHT: Wir lehnen Rabattverträge grundsätzlich ab. Die
Preisgestaltung im Generika-Markt ist ausgereizt, am Ende wird die
Oligopolisierung des Marktes beziehungsweise von Wirkstoffen stehen.
Der Verlust der Wettbewerbsvielfalt wird schließlich langfristig wieder
zu einer Verteuerung führen. Verlierer sind Patienten sowie Ärzte und
Apotheker.
ADHOC: Wie sieht die Zukunft der Generikabranche aus?
ALBRECHT: Es werden langfristig die Großen überleben, die in der Lage
sind, deutlich mehr in Forschung und Entwicklung zu investieren. Mit
den aufkommenden Tendern werden sich Spot-Anbieter manchmal Erfolge
holen, aber dies kann keine dauerhafte Strategie und kein planbares
Unternehmenskonzept sein. Eine Konzentration auf kurzfristige Gewinne
bei Tendern ist kein nachhaltiger Plan, das ist pures Glückspiel. Die
Dimensionen ändern sich, diejenigen werden Zukunft haben, die
finanziell und technologisch in der Lage sind, die neue Generation von
Medikamenten nachzuentwickeln und in einem grossen Territorium zu
verkaufen. Deutschland baut seine Arzneimittelversorgung zur Zeit eher
auf Spotanbieter auf, auch das ist keine nachhaltige Strategie.
ADHOC: Welche Rolle werden Markengenerika noch haben?
ALBRECHT: Kurzfristig gesehen verlieren gerade in den westlichen
Märkten Marken ihre Bedeutung. Die osteuropäischen Märkte werden
folgen, spätestens dann, wenn die Sozialversicherungssysteme Staaten
zur Kostendämpfung zwingen. Aber langfristig kommen Marken wieder mehr
Bedeutung zu. Der ganze große Zukunftsbereich Biosimilars spielt sich
wieder voll im Markensegment ab. Je mehr Alleinstellungsmerkmale
Produkte haben, desto mehr wird die Marke wieder eine Rolle spielen.
Daneben wird es noch Platz für breite Massenmedikation geben, die nur
noch Wirkstoffbezeichnungen trägt - aber die kommt kaum mehr aus Europa
oder den USA. Hier werden die guten Anbieter aus den asiatischen
Märkten die Gewinner sein.
Patrick Hollstein, Dienstag, 24. August 2010, 14:12 Uhr
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