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Berlin - Die OTC-Hersteller haben seit Jahren mit sinkenden Absatzzahlen zu kämpfen. Auch das vom Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) eingeführte „Grüne Rezept" zeigt nur zum Teil Wirkung: Der OTC-Markt ist rückläufig und rutscht zunehmend in den Versandhandel. Dr. Uwe May, Abteilungsleiter für den Bereich Selbstmedikation beim BAH, erklärt im Gespräch mit APOTHEKE ADHOC, warum die Hersteller die Entwicklung mit Sorge sehen und weshalb die Apotheke vor Ort wichtig für OTC-Produkte ist.
Gefährliche Verschiebung: Laut Dr. Uwe May vom Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller ist die Apotheke vor Ort besser für das Image von OTC-Arzneimitteln als der Versandhandel. Foto: BAH
ADHOC: Wie entwickelt sich der OTC-Markt?
MAY: Nachdem OTC-Arzneimittel 2004 aus der Erstattung ausgeschlossen
wurden, ist der Absatz auf Rezept um die Hälfte eingebrochen. Eine
Kompensation durch Selbstkäufe hat es definitiv nicht gegeben. Aber auch
im Bereich der Selbstmedikation sind Umsatz und Absatz mit
apothekenpflichtigen Medikamenten in den vergangenen Jahren tendenziell
rückläufig.
ADHOC: Welche Rolle spielen Versandapotheken?
MAY: Aktuell wird jedes zehnte OTC-Arzneimittel nicht mehr durch den
Apotheker, sondern durch den Postboten abgeben. Wir beobachten leider
eine zunehmende Verschiebung: Während der Absatz in der Apotheke 2009 um
1 Prozent zurückgegangen ist, hat der Versandhandel um 38 Prozent
zugelegt.
ADHOC: Warum freuen sich die Hersteller nicht über steigende Absätze im
Versandhandel?
MAY: Durch die Verlagerung in den Versandhandel wandern die Produkte aus
dem persönlichen Einflussbereich der Arzneimittelfachleute in der
Apotheke ab. Die Therapie mit rezeptfreien Medikamenten wird dadurch
weiter entprofessionalisiert. Dieser Entwicklung versuchen wir seit
Jahren mit dem grünen Rezept entgegen zu wirken. Eine
verantwortungsvolle Selbstmedikation mit apothekenpflichtigen
Arzneimitteln bedarf pharmazeutischer Beratung.
ADHOC: Zu dieser sind Versandapotheken ebenfalls gesetzlich
verpflichtet...
MAY: Die Praxis sieht leider oft anders auch. Das hat die jüngste
Untersuchung der Stiftung Warentest wieder einmal bestätigt. In einem
persönlichen Gespräch besteht viel eher die Möglichkeit, auf
patientenbezogene Probleme hinzuweisen. Im Versandhandel bekommt der
Kunde sein Präparat mit einem Klick.
ADHOC: Auch die Versandapotheken sind Kunden Ihrer Mitgliedsunternehmen.
Ihre Kritik dürfte dort auf wenig Gegenliebe stoßen...
MAY: Heutzutage muss man sich positionieren, und unsere Position ist
eindeutig: Wir bekennen uns zur Apothekenpflicht und zur persönlichen
Arzneimittelabgabe in der Apotheke vor Ort. Apotheker genießen im
Übrigen in der Bevölkerung großes Vertrauen, davon profitieren auch die
rezeptfreien Medikamente. Der Versandhandel schadet dagegen definitiv
dem Image von OTC-Produkten.
ADHOC: Inwiefern?
MAY: OTC-Arzneimittel haben einen besonderen Status beim Verbraucher,
der nicht zuletzt in der Apothekenpflicht begründet liegt. Es gibt die
Produkte aus gutem Grund eben nicht in jedem Kiosk an der Ecke. Im
Vertriebskanal Versandhandel werden OTC-Produkte eindeutig in die Nähe
normaler Konsumgüter gerückt und dadurch nicht nur bagatellisiert,
sondern auch abgewertet. Im Internet kann man schließlich alles kaufen.
ADHOC: Versandapotheken werden nicht als Apotheke wahrgenommen?
MAY: Nein. Die Apotheke vor Ort ist ein einzigartiges Umfeld, in dem die
Kunden die dort erworbenen Produkte automatisch als hochwertiger und
wirksamer wahrnehmen. Dieses Umfeld kann eine Website einer
Versandapotheke niemals vermitteln. Das ist insbesondere deshalb
dramatisch, weil OTC-Produkte ohnehin ein gewisses Imageproblem haben:
Viele Verbraucher glauben seit dem Erstattungsausschluss,
nicht-rezeptpflichtig bedeute weniger wirksam. Wir sind besorgt, dass
der Verbraucher Arzneimittel in Zukunft nicht mehr als Ware wahrnimmt,
die einer besonderen Aufmerksamkeit bedarf. Dieser Entwicklung leisten
Pick up-Stellen zusätzlichen Vorschub.
ADHOC: Was bedeutet das für die Apothekenpflicht?
MAY: In einigen Ländern existiert die Grenze zwischen Konsumgütern und
Arzneimitteln schon heute praktisch nicht mehr. In den USA können sie
Schmerzmittel wie Smarties im Supermarkt kaufen. Dadurch wird auch die
Einnahme unkritischer. So weit darf es in Deutschland nicht kommen.
Arzneimittel sind aus gutem Grund apothekenpflichtig.
ADHOC: Warum beliefern Ihre Mitgliedsfirmen überhaupt noch
Versandapotheken?
MAY: Es gibt zahlreiche Firmen, die den Versandhandel nicht unterstützen
wollen. Da in Deutschland jede Versandapotheke auch eine normale
Apotheke ist, kann die Belieferung jedoch nicht verweigert werden. Im
Hinblick auf ausländische Anbieter gilt im Übrigen: Der Markt ist wie
Wasser, er sucht sich immer seinen Weg.
Désirée Kietzmann, Montag, 26. April 2010, 09:11 Uhr
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