Sehr geehrte Apothekerin, sehr geehrter Apotheker,
hier ist der vollständige Text für Sie:
Berlin - Schon
das erste politische Engagement war ein Erfolg: Als mit der AMG-Novelle
die Zulassungsbefreiungen für parenterale Rezepturen gestutzt werden
sollten, schlugen Deutschlands Lohnhersteller Alarm. Im Februar
vergangenen Jahres gründeten sie den „Bundesverband Rezeptur
Herstellerbetriebe (BRH)", einige Monate später war der Vorschlag aus
dem Referentenentwurf vom Tisch. Auch künftig wollen die Firmen ein
Auge auf die Vorhaben der Gesundheitspolitik haben.
Aber wer sind eigentlich diese Rezepturbetriebe, die nicht nur
Apotheken mit eigener Werkbank, sondern selbst Krankenhausapotheken
zunehmend Konkurrenz machen?
Hervorgegangen sind die meisten Lohnhersteller aus Apotheken: Als sich
Ende der 1980er-Jahre die ersten onkologischen Schwerpunktpraxen
gründeten und Krebspatienten damit auch ambulant behandelt werden
konnten, wurden patientenindividuelle Zytostatika-Anfertigungen für
einige Apotheken zum Geschäft - oder sogar zum eigenständigen
Geschäftsbereich.
Genaue Statistiken über die Rezepturbetriebe gibt es nicht; der BRH hat
aktuell elf Mitglieder, daneben gibt es eine Handvoll weiterer
Betriebe. Jede fünfte der in Deutschland abgerechneten
Spezialrezepturen werden laut BRH in einem der so genannten
Compounding-Zentren angefertigt. Bezogen auf Zahlen des
Arzneimittelverordnungsreports entspräche das im GKV-Bereich 620.000
Rezepturen in 2008.
Drei Apotheker aus Hamburg haben es zum Branchenprimus gebracht. Seit
2006 als Hersteller tätig, hat Zytoservice Deutschland im vergangenen
Jahr 300.000 Rezepturen angefertigt - das entspricht gegenüber dem
Vorjahr einer Steigerung von 50 Prozent. Erst im Dezember 2009 wurde
ein neues Produktionswerk mit 2500 Quadratmetern und knapp 30
Werkbänken eingeweiht. Daneben wird in zwei weiteren Betrieben, die
jeweils über acht Werkbänke verfügen, produziert. Insgesamt 130
Mitarbeiter, darunter 25 Apotheker, arbeiten für Zytoservice.
Die meisten Rezepturen werden noch an die Apotheken der Gründer Thomas
D. Boner, Enno Scheel und Thomas Hintz geliefert: Nur jede dritte
Bestellung komme derzeit von einer anderen Apotheke, so Boner gegenüber
APOTHEKE ADHOC. Diese seien allerdings deutschlandweit verteilt und
würden über Nacht beliefert: Bestellungen, die bis 16 Uhr bei
Zytoservice eingehen, sind laut Boner am nächsten Tag vor Ort.
Auch andere Apotheken haben sich auf das Geschäft sepzialisiert und in
den vergangenen Jahren Rezepturbetriebe ausgegründet: Onko Service
gehört zur Osnabrücker Apotheke an der Haase, Zytoservice Berlin zur
Berlin Apotheke an der Charité, Alphamade zur Apotheke Helle Mitte in
Berlin, Oncosachs zur Leipziger Schlehen-Apotheke. Die Hamburger
C&C Compound & Care Pharma gehört zur Elb-Apotheke und verfügt
über neun Werkbänke, Zytojen ist mit neun Arbeitsplätzen die
„Rezeptur-Manufaktur" der Semmelweis-Apotheke in Jena. Aponexx aus dem
bayerischen Odelzhausen ist vor sechs Jahren aus der gleichnamigen
Apotheke hervorgegangen.
Medipolis Produktion ist eine Ausgründung der Saale Apotheke
Jena/Dom-Apotheke Naumburg, zu der auch ein gleichnamiges
Blisterzentrum gehört. Beim Rezepturbetrieb war bis Sommer vergangenen
Jahres Dr. Luisa Mantovani Löffler, Chefärztin am Tumorzentrum des
Leipziger Klinikums St. Georg, als Gesellschafterin mit an Bord.
Bei der in Leipzig ansässigen Laborgemeinschaft für Hämatologie und
Onkologie (LGHO) war neben der Medici Apotheke (Versandapotheke
Medikanet) bis vor einem Jahr Baron Ernst-Otto von Drachenfels
engagiert. Drachenfels hatte 2007 den onkologischen Pharmahersteller
Orcapharm für rund 30 Millionen Euro an die heutige Teva-Tochter AWD
verkauft. Heute wird die LGHO von einem ehemaligen
Orcapharm-Vertriebsmitarbeiter und einer Apothekerin geführt.
Die mitunter erheblichen Investitionen - manche Betriebe ähneln bereits
heute Fabriken, deren Belieferung per LKW erfolgt - und die zu
erwartende Konsolidierung rufen auch Investoren auf den Plan. Der
vermutlich älteste Rezepturbetrieb, das 1999 gegründete Grevener
Unternehmen Medinal, ist seit zwei Jahren nicht mehr in Apothekerhand:
Im Jahr 2008 übernahm die Ahrensburger Unternehmensgruppe „GHD
Gesundheits GmbH Deutschland" den Betrieb. Medinal beschäftigt derzeit
62 Mitarbeiter, darunter einen eigenen Außendienst. Pro Jahr werden auf
13 Werkbänken rund 50.000 Rezepturen hergestellt.
Ein weiterer Homecare-Anbieter mit Lohnherstellung ist Assist: Im
Sommer übernahm die Tochter des saarländischen Reimporteurs Kohlpharma
von einer Apothekerin die Münchener Nutrimedicare. Auf die
Ernährungstherapie beschränkt, beschäftigt das Unternehmen 25
Mitarbeiter. Die Infusionslösungen werden als Kühlware deutschlandweit
über Apotheken ausgeliefert.
Auch zwei große Konzerne mischen bei den Spezialrezepturen mit: Die
B.Braun-Tochter PNS ist seit 2002 in dem Bereich aktiv. Für rund 200
Apotheken fertigt das Unternehmen 40.000 parenterale Ernährungslösungen
im Jahr. Der Umsatz lag zuletzt bei rund 2 Millionen Euro.
Fresenius Kabi stellt seit etwa zehn Jahren patientenindividuelle
Anfertigungen her. Das Besondere: Seit der Übernahme der Pharmafirmen
App und Dabur verfügt Fresenius über eine eigene Wirkstoff-Palette, zu
der unter anderem der Blockbuster Gemcitabin gehört.
Die zentrale Fertigungsstätte befindet sich in Neufahrn; darüber hinaus
gibt es weitere kleinere Compounding Zentren. Wie viele das sind,
welche Größe das Geschäft hat oder mit wie vielen Apotheken Kabi
zusammenarbeitet, bleibt ebenso geheim wie eventuelle
Integrationsabsichten.
Kritiker befürchten, dass Fresenius auf ein geschlossenes System
zusteuern könnte. Einem Konzernsprecher zufolge ist das zwar explizit
nicht die Strategie. Denkbar wäre eine Vertikalisierung im Bereich der
onkologischen Versorgung immerhin: Mit Helios gehört eine Klinikkette
zum Konzern; Vamed betreut weltweit stationäre und ambulante
Gesundheitszentren. Vielleicht werden irgendwann einmal Patienten in
Fresenius-Einrichtungen mit Fresenius-Rezepturen aus
Fresenius-Wirkstoffen und Fresenius-Grundlagen versorgt. Nur das
Fremdbesitzverbot für Apotheken - und vielleicht bald MVZ - würde dabei
nicht so recht ins Bild passen.
(APOTHEKE ADHOC) Yvette Meißner und Patrick Hollstein, Freitag, 26. Februar 2010, 19:36 Uhr
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