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  • 03.08.2009 - Sachverständige ohne Sachverstand?
    03.08.2009 - Sachverständige ohne Sachverstand?
    Ulla Schmidt (SPD) hat es nicht geschafft. Die dienstälteste Gesundheitsministerin Europas hatte acht Jahre Zeit, um das deutsche Gesundheitswesen zukunftsfest zu machen.

Sehr geehrte Apothekerin, sehr geehrter Apotheker,
hier ist der vollständige Text für Sie:

ApoRisk® Branchennews:

NEUE ALLGEMEINE GESUNDHEITSZEITUNG FüR DEUTSCHLAND / AUSGABE AUGUST 2009

Sachverständige ohne Sachverstand?

 

Essen  -  Ulla Schmidt (SPD) hat es nicht geschafft. Die dienstälteste Gesundheitsministerin Europas hatte acht Jahre Zeit, um das deutsche Gesundheitswesen zukunftsfest zu machen. Soviel Zeit hatte vor ihr kein Gesundheitsminister. Sie arbeitete hart, setzte sich durch gegen Widerstände von Experten, Patienten, Gesundheitspolitikern und Leistungsanbietern aus dem Gesundheitswesen, ließ mit einem Lächeln alle Kritik an sich abtropfen und produzierte „Gesundheitsreformen" am laufenden Band. Das Ergebnis ist aus Sicht der meisten Betroffenen eine einzige Katastrophe.

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Nun wäre es ungerecht, Ulla Schmidt alleine die Schuld an dem Desaster aufzubürden. Unterstützt wurde sie dabei von namhaften Fachleuten, die Gutachten über Gutachten verfassten. Wichtigstes Gremium ist der „Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen". Mitte Juli übergaben die sieben hochkarätigen Wissenschaftler der Gesundheitsministerin das von ihr bestellte 900 (!) Seiten starke Gutachten „Koordination und Integration - Gesundheitsversorgung in einer Gesellschaft des längeren Lebens". Das Gutachten strotzt nur so von englischen Fachausdrücken. Das hört sich zwar kompetent an, zeigt aber auch, wo sich die Sachverständigen ihre - wie sie selbst oft zugeben müssen - zumeist „nicht evidenzbasierten" Vorschläge holen: natürlich im Ausland. Dort scheint alles besser zu sein, obwohl man über die gleichen Probleme klagt. „Evidenzbasiert" bedeutet übrigens: Als wirksam erwiesen mithilfe wissenschaftlicher Studien. „Nicht evidenzbasiert" bedeutet demnach: Durch nichts ist bewiesen, dass es funktioniert.

Ulla Schmidt ist dabei in keiner beneidenswerten Position. Von einer Gesundheitsministerin erwartet die Öffentlichkeit, „dass sie etwas tut". Hinzu kommen die Zwänge der Politik: Um zu beweisen, dass man durchsetzungsstark ist, muss man Veränderungen in Gang setzen, „Reformen" durchpeitschen - um nahezu jeden Preis. Das fällt allerdings umso leichter als sich deutsche Gesundheitsminister seit jeher vorwiegend mit Verteilung, Umleitung und Fehlleitung von fremdem Geld - dem der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer - beschäftigen. Wer sonst hat schon eine solch gut bestückte Spielwiese?

Doch auch die Position der Sachverständigen ist alles andere als beneidenswert. Sie haben das Problem aller Unternehmensberater: Sie müssen grundsätzlich neue, andere Lösungen vorschlagen, sonst haben sie ihren Beruf und ihre Berufung verfehlt. (Man stelle sich nur einmal vor, ein Gutachten käme auf 900 Seiten zu dem Schluss, keine Reform sei besser als jede neue!)

Kein Zweifel, das Gutachten ist eine ungeheure Fleißarbeit. Im Zusammentragen von Fakten ist es stark. In der Analyse zeigt es die Schwächen aller bisherigen Gutachten: Es weist nicht auf die dramatische Unterfinanzierung des Gesundheitswesens hin, nicht auf die ungeheure Belastung durch versicherungsfremde Leistungen, nicht auf die Plünderung der Sozialkassen im Zuge der Wiedervereinigung, nicht auf die im europäischen Vergleich einzigartige Belastung durch eine unverschämt hohe Mehrwertsteuer. Im Gegenteil: es schlägt vor, wie der Mangel auch in Zukunft mehr oder weniger elegant verwaltet werden könnte.

Und obwohl die Sachverständigen dem deutschen Gesundheitswesen immerhin bereits im ersten Satz des Gutachtens attestieren, dass es „im internationalen Vergleich insgesamt keineswegs schlecht abschneidet", lassen sie sich nicht davon abhalten, der Gesundheitsministerin (wieder einmal) gewaltige strukturelle Veränderungen vorzuschlagen. So werden Veränderungen wie das „Gatekeeping", eine Art Hausarzt-Modell, in England abgeschaut und für gut befunden. Dabei gibt es in England kein wahlkampfträchtigeres Thema als das marode Gesundheitssystem des „National Health Service" mit seinen langen Wartelisten und seinen überlasteten Hausärzten.

Oder auch der Vorschlag des Gutachtens, Veränderungen wie die „Managed-Care-Elemente" einzuführen. Hier standen die USA Pate. Die leisten sich das bei weitem teuerste Gesundheitssystem der Welt. Dabei sind 46 Millionen Amerikaner nicht einmal krankenversichert. „Managed Care" wird von HMOs („Health Maintenance Organisations") praktiziert. Das sind eine Art riesiger privater „Krankenkassen", denen Firmen Pauschalbeträge oder ein festes Budget zur Verfügung stellen, mit dem die HMOs die versicherten Mitarbeiter und ihre Familien gesund halten oder - im Krankheitsfalle - gesund machen sollen. Mit dem Geld kaufen die HMOs Gesundheitsleistungen ein, doch betreiben sie auch selbst große Netzwerke von Ärzten, Krankenhäusern und Apotheken.

Das „Managed-Care-System" ist auf Gewinn getrimmt und ständig in der Kritik. Je weniger Leistungen für die gezahlten Pauschalen erbracht werden, desto höher sind die Erträge. Deshalb sind aufwendige Kontrollsysteme zur Qualitätssicherung nötig. Die sind teuer und zeigen zumeist keine Wirkung. Die freie Arztwahl ist eingeschränkt. Das Vorhalten knapper Kapazitäten in allen Bereichen spart Kosten, führt aber zu langen Wartelisten. Während der Wartezeiten fühlen sich die Leute schlecht; schließlich sind sie krank. Wie hoch die Kosten in dieser Zeit für die Volkswirtschaft sind, interessiert niemanden.

Das Gutachten macht es sich einfach: Vorgeschlagen wird die Einführung von „Managed-Care-Elementen" in das deutsche Gesundheitssystem „unter Begrenzung möglicher negativer Effekte". Genau dies kann nicht gelingen, denn die „negativen Effekte" sind system-immanent. Mit „Pauschalvergütungen" als einziger Einnahme muss man restriktiv handeln. Andernfalls wäre die Existenz des Unternehmens gefährdet. So sehen es auch die Gutachter: „... geht das finanzielle Risiko ...teilweise oder ganz auf die Leistungserbringer über ...". Und weiter: „... muss der Gefahr von Patientenselektion und Qualitätsmängeln (z. B. durch Leistungsverweigerung) vor allem durch Qualitätssicherung, Transparenz und Stärkung der Patientenrechte entgegengewirkt werden." Das ist nichts mehr als ein Postulat ohne Garantie: Platz für neue Institute, neue Gutachten, neue Bürokratie, neue Kosten.

Über 90 Prozent der deutschen Erwachsenen - bei den über 65-Jährigen sind es sogar 96 Prozent - vertrauen einem der insgesamt über 57 000 hausärztlich tätigen Mediziner. Aber die - so die These der Gutachter - arbeiten ineffektiv. Und das Allheilmittel sieht man - insbesondere auf dem Lande - (wieder einmal) in großen, vernetzten Zentraleinheiten. Die sollen Krankenhäuser führen, Medizinische Versorgungszentren (MVZ) managen, Ärzte beschäftigen und Verträge schließen - wie die HMOs. Und weil diese Zentren so weit weg vom Patienten sind, sollen diese von „Fahrdiensten" dahin chauffiert werden. Täglich der Patientenbus? Schöne neue Welt.

Auch über eine gesicherte - weniger über eine sichere - Arzneimittelversorgung machen sich die Sachverständigen Gedanken. So sollen die Apotheken ihre Selbstständigkeit aufgeben und sich als „Netzapotheken" in die Netzwerke einklinken. Als positiv ist die volle Übertragung der Verantwortung für die Medikation jedes Patienten des Netzwerkes auf den „Netzapotheker" zu werten. Aber der Preis ist hoch: Weitgehende Aufgabe der wirtschaftlichen Freiheit und Einbindung in das pauschale Vergütungssystem des Netzwerks. Was ist, wenn nichts übrig bleibt? Nur durch die Abgabe des Billigsten vom Billigsten kann der Apotheker seinen Beitrag zu einem angemessenen Ergebnis des Netzwerkes leisten. Aber gerade das ist ja gewollt.

Und ganz bewusst werden in diesem Zusammenhang von den Gutachtern auch das vom Europäischen Gerichtshof gerade erst bestätigte Fremdbesitzverbot und das Mehrbesitzverbot in Frage gestellt. Aber damit nicht genug: Der Versandhandel von Arzneimitteln gehört dem Gutachten nach genauso zur Arzneimittelversorgung der Zukunft wie „Pick-up-Stationen" in Supermärkten - ein Horrorszenario bezüglich der Arzneimittelsicherheit.

Immerhin machen sich die Gutachter intensive Gedanken über den Ärztemangel auf dem Lande. Hier will man an den Universitäten ansetzen: mit erleichtertem Zugang zum Medizinstudium, mit mehr Medizinerinnen, mit einer Aufwertung des Fachs „Allgemeinmedizin", aber auch mit einer gezielten Steuerung der Weiterbildung zum Facharzt. Und wenn gar nichts mehr hilft, sollen Ärzte über Land ziehen, den „Barfußärzten" gleich, und zu bestimmten Zeiten Sprechstunden abhalten. Vom Mittelalter, wo das Zähneziehen unter reger Anteilnahme der Umstehenden auf dem Marktplatz erfolgte, sind wir dann nicht mehr weit entfernt.

Die unzureichende Vergütung des Landarztes bei höchster Arbeitsbelastung steht nicht zur Diskussion. Für dieses brisante Thema, das mitverantwortlich ist für den Ärztemangel auf dem Lande und den Drang der Mediziner in die Ballungszentren, sind ganze neun Zeilen der 184-seitigen Kurzfassung des Gutachtens reserviert.

Der eigentliche Skandal aber wird im letzten Absatz des Kurzgutachtens deutlich: Der Sachverständigenrat scheut sich nicht, weitreichende Veränderungen im deutschen Gesundheitswesen vorzuschlagen, bevor „die Konsequenzen für die Versicherten, für die Leistungserbringer, für die Kostenträger und für das gesamte System" auch nur erkannt, geschweige denn bewertet sind. Das ist unseriös und verantwortungslos. Mit Experimenten solchen Ausmaßes macht man jedes Gesundheitswesen kaputt.

Das Problem ist nicht das deutsche Gesundheitswesen, das Problem sind die permanenten unausgegorenen Gesundheitsreformen. Und die Sachverständigen tragen nicht geringe Schuld daran.
Kommentar: Hat Shell das nötig?

Ein Kommentar der Redaktion

Aus gutem Grund gibt es Tankstellen. Sie verkaufen Benzin an Autofahrer. Na gut - viel verdienen sie dabei nicht, der Hauptteil des Gewinns der Mineralölkonzerne entsteht vorher. Deshalb führen die Tankstellen zusätzlich Sortimente, die der eilige Autofahrer auf dem Weg nach Hause noch schnell mitnimmt. Und sonntags verkaufen sie Brötchen. Fein. Passieren kann da nichts.

Aus gutem Grund gibt es Apotheken. In denen arbeiten langjährig ausgebildete Arzneimittelfachleute: Apothekerinnen, Apotheker, pharmazeutisch-technische Assistentinnen und Assistenten. Sie sind Tag und Nacht für den Patienten da. Sie beraten den Kranken, wählen aus und prüfen Rezepte auf die Verträglichkeit der verschriebenen Arzneimittel untereinander, auf „Interaktionen". Arzneimittelsicherheit wird großgeschrieben. Das muss so sein, denn Arzneimittel sind keine Gummibärchen.

Jetzt will Shell eine Art „Schmalspur-Apotheke" werden. Da soll man seine Medikamente abholen können. Keine Arzneimittelfachleute. Keine Beratung. Keine soziale Kompetenz. Was ist, wenn die Aushilfskraft an der Kasse aus mangelnder Fachkenntnis einen Fehler macht?

Hat Shell das wirklich nötig???

NOWEDA eG
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(apotheke adhoc)

 

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