Sehr geehrte Apothekerin, sehr geehrter Apotheker,
hier ist der vollständige Text für Sie:
Berlin - Bezugsnachweis,
Importverbot, Offenlegungspflicht: Für Apotheken, die parenterale
Rezepturen herstellen, ist das Geschäft in den vergangenen Monaten
deutlich komplizierter geworden. Nachdem es im Bereich der
Parenteralia-Herstellung jahrelang kaum Kontrollmechanismen gab, wollen
Politik und Krankenkassen jetzt genau wissen, ob die Apotheken ihre
Ware korrekt beziehen und einsetzen. Das Misstrauen sitzt tief, seit
vor drei Jahren die so genannte Holmsland-Affäre bundesweit für
Schlagzeilen sorgte.
Rund 100 Apotheken sollen nach Angaben der federführenden
Staatsanwaltschaft Mannheim über mehrere Jahre hinweg in Deutschland
nicht zugelassene Zytostatika zu günstigen Preisen bei einem
spezialisierten Lieferanten bestellt, in Rezepturen verarbeitet und
gegenüber den Kassen als Originalware abgerechnet haben. Demnach wäre
jede vierte Zyto-Apotheke in die Affäre verwickelt.
Im September 2007 hatte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen
aufgenommen und 66 Wohnungen, Büros und Geschäftsräume in mehreren
deutschen Bundesländern und der Schweiz durchsucht. Die Schwerpunkte
lagen damals in Berlin, Braunschweig, Mannheim und Stuttgart.
Nach Informationen von APOTHEKE ADHOC hatten die Apotheken die Ware bei
einem Pharmahändler mit Sitz im dänischen Holmsland bezogen. Das
Netzwerk hatte ein deutscher Unternehmer aufgebaut, der auf der Isle of
Man eine eigene Firma betrieb. Weil ihm die Behörden offenbar aufgrund
anderer Aktivitäten die Großhandelserlaubnis entzogen hatten, konnte er
die Apotheken nicht mehr selbst beliefern und ließ sich daher für die
Vermittlung von Lieferanten und Abnehmern am Geschäft beteiligen.
Das Modell lief über mehrere Jahre gut, bis es zum Zerwürfnis der
Partner kam. Der Pharmahändler war eigenen Angaben zufolge skeptisch
geworden, als sein Kontaktmann im Jahr 2005 eine ungewöhnlich günstige
Bezugsquelle für das Tumortherapeutikum MabThera (Rituximab) in Dubai
auftat. Der Händler ließ eine Probe im Labor untersuchen - die Ware
stellte sich als Fälschung heraus.
Als sein Partner versuchte, ihn dennoch zum Vertrieb der Plagiate zu
überreden, beendete er die Zusammenarbeit und erstattete Anzeige. Die
Konsequenz bekam er direkt zu spüren: Mehrere Apotheken und andere
Abnehmer ließen ihre Rechnungen offen und blieben dem Pharmahändler
insgesamt mehr als 1,5 Millionen Euro schuldig - die Insolvenz des
Unternehmens war unvermeidbar.
Doch zunächst stieß der Pharmahändler bei Staatsanwaltschaft und
Kriminalpolizei auf taube Ohren. Daher wandte er sich mit einer Liste
der belieferten Apotheken an die AOK Niedersachsen und die Techniker
Krankenkasse, die schließlich ihrerseits Anzeige erstatteten und den
Fall öffentlich machten.
Nach drei Jahren Ermittlungsarbeit hat die Staatsanwaltschaft Mannheim
bis heute insgesamt 73 Verfahren an Kollegen in anderen Bundesländern
abgegeben; in einigen Fällen wurden die Ermittlungen wegen
Geringfügigkeit eingestellt. Ende Januar wurde gegen den ersten
beteiligten Apotheker Anklage erhoben; das Landgericht Mannheim muss
nun entscheiden, ob es die Klage der Staatsanwaltschaft annimmt.
Dem Apothekeninhaber aus Rastatt in Mittelbaden wird nicht nur
Abrechnungsbetrug vorgeworfen, sondern auch die unerlaubte Abgabe von
Arzneimitteln und das unerlaubte Inverkehrbringen von
Fertigarzneimitteln. Nach den Ermittlungserkenntnissen soll der
Pharmazeut alleine im Jahr 2006 für insgesamt 795 Rezepturen nicht
verkehrsfähige Medikamente, darunter auch Ware aus Drittländern,
eingesetzt haben. Gegenüber dem Preis der Originalware soll er auf
diese Weise rund 20 bis 35 Prozent eingespart haben; der für die Kassen
entstandene Schaden wird auf rund 420.000 Euro beziffert.
Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass dem Apotheker bekannt war,
dass er keinen Anspruch auf eine Erstattung der von ihm verwendeten
Arzneimittel durch die Krankenkassen gehabt hat. Denn nach einem Urteil
des Bundessozialgerichts müssen Kassen die Kosten für Arzneimittel, die
nicht in Deutschland zugelassen sind, nicht übernehmen.
Inwieweit die verarbeiteten Medikamente von Wirkstoffart und -menge
überhaupt den Originalpräparaten entsprachen, war im Nachhinein nicht
mehr feststellbar. Eigene Überprüfungen zum Wirkstoffgehalt hatte der
Apotheker nicht durchgeführt. Eine nachträgliche Prüfung war offenbar
aufgrund nicht korrekt geführter Chargenbücher ebenfalls nicht möglich.
Dass auch gefälschte Ware verarbeitet wurde, ist damit zumindest nicht
auszuschließen.
Es könnte noch Jahre dauern, bis die Affäre juristisch aufgearbeitet
ist. Im Bundesgesundheitsministerium hat man bereits reagiert. Seit
Sommer sind Importe nur noch für Zytostatika möglich, die in
vergleichbarer Zusammensetzung auf dem deutschen Markt nicht verfügbar
sind. Seit Jahresbeginn müssen die Apotheken bei der Abrechnung
angeben, welche Fertigarzneimittel sie verarbeitet haben. Die Kassen
können Nachweise über die Bezugsquellen verlangen.
(APOTHEKE ADHOC) Désirée Kietzmann, Mittwoch, 24. Februar 2010, 11:58 Uhr
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