Herr José Blanco Marqués bezieht eine spanische Rente wegen dauerhafter vollständiger Berufsunfähigkeit. Für die Berechnung der Höhe dieser Rente wurden nur die in das spanische System der sozialen Sicherheit eingezahlten Beiträge berücksichtigt. Da Herr Blanco Marqués zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Entscheidung, mit der ihm der Rentenanspruch zuerkannt wurde, älter als 55 Jahre war, wurde ihm eine Zulage in Höhe von 20 % der für die Festsetzung der Höhe der Rente herangezogenen Bemessungsgrundlage gewährt. Die spanischen Rechtsvorschriften sehen nämlich eine solche Erhöhung der Rente wegen dauerhafter vollständiger Berufsunfähigkeit vor, wenn der Arbeitnehmer mindestens 55 Jahre alt ist. Als Herr Blanco Marqués das 65. Lebensjahr vollendete, erhielt er ab März 2008 eine Altersrente aus der Schweizer Sozialversicherung. Diese Altersrente wurde ihm unter ausschließlicher Berücksichtigung der Beiträge gewährt, die er im Rahmen des Schweizer Pflichtversicherungssystems eingezahlt hatte. Im Februar 2015 strich das Instituto Nacional de la Seguridad Social (INSS) (Nationales Institut für soziale Sicherheit, Spanien) die von Herrn Blanco Marqués bezogene Zulage in Höhe von 20 % mit der Begründung, dass diese Zulage nicht mit dem Bezug einer Altersrente vereinbar sei. Das INSS forderte von Herrn Blanco Marqués die Rückzahlung eines Betrags von 17 340,95 Euro, der den an Zulagen ausgezahlten Beträgen entsprach.
Herr Blanco Marqués erhob gegen diesen Bescheid Klage beim Juzgado de lo Social n° 1 de Ponferrada (Arbeitsgericht Nr. 1 von Ponferrada, Spanien), der zu seinen Gunsten entschied. Dieses Gericht war nämlich der Ansicht, dass die Zulage in Höhe von 20 % nicht unvereinbar mit dem Bezug einer Schweizer Altersrente sei, da gemäß der Verordnung über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Erwerbstätige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern1, eine Unvereinbarkeit nur dann vorliegen könne, wenn die nationalen Rechtsvorschriften zu diesem Zweck die Berücksichtigung der im Ausland erworbenen Leistungen und der dort erzielten Einkünfte vorsähen. Eine solche Norm gebe es aber im spanischen Recht nicht.
Das INSS legte gegen dieses Urteil Rechtsmittel beim Tribunal Superior de Justicia de Castilla y León (Obergericht für Kastilien und León, Spanien) ein. Das INSS führt aus, dass nach der Rechtsprechung des Tribunal Supremo (Oberstes Gericht, Spanien) die Zulage in Höhe von 20 % nicht nur zum Ruhen gebracht werde, wenn der Empfänger eine Beschäftigung ausübe, sondern auch dann, wenn er eine Altersrente in einem anderen Mitgliedstaat oder in der Schweiz beziehe, da eine solche Altersrente ein Ersatzeinkommen für die Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit darstelle. In Anbetracht der Uneinigkeit zwischen den nationalen Gerichten ersucht das Tribunal Superior de Justicia de Castilla y Léon den Gerichtshof, die Verordnung auszulegen.
Mit seinem Urteil vom 15.03.2018 entscheidet der Gerichtshof, dass die dem Arbeitnehmer in Spanien gewährte Zulage in Höhe von 20 % und die von demselben Arbeitnehmer in der Schweiz erworbene Altersrente als Leistungen gleicher Art im Sinne der Verordnung anzusehen sind, was ihre Unvereinbarkeit nach sich ziehen könnte. Der Gerichtshof betont, dass diese Zulage eine Gruppe besonders schutzbedürftiger Arbeitnehmer schützen soll - nämlich Arbeitnehmer im Alter von 55 bis 65 Jahren, die eine dauerhafte vollständige Berufsunfähigkeit erleiden und Schwierigkeiten haben, einen Arbeitsplatz in einem anderen Beruf als dem vorher von ihnen ausgeübten zu finden. Der Gerichtshof fügt hinzu, dass die Zulage in Höhe von 20 % sowie die Rente wegen dauerhafter vollständiger Berufsunfähigkeit Merkmale aufweisen, die den Leistungen bei Alter entsprechen, da sie darauf abzielen, diesen Arbeitnehmern während des Zeitraums ab der Feststellung der dauerhaften vollständigen Berufsunfähigkeit bis zum Rentenalter Existenzmittel zu sichern.
Außerdem erklärt der Gerichtshof, dass die spanische Bestimmung, die das Ruhen der Zulage in Höhe von 20 % vorsieht, eine nationale Antikumulierungsregelung, die eine Kürzungsbestimmung im Sinne der Verordnung darstellt, auf diese Zulage nicht anwendbar ist, da diese nicht in einem Anhang dieser Verordnung (nämlich Anhang IV Teil D) aufgeführt ist. Diese Verordnung sieht nämlich u. a. vor, dass die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats vorgesehenen Kürzungsbestimmungen auf eine von dem nationalen Träger allein nach den von ihm anzuwendenden Rechtsvorschriften berechnete Leistung (wie dies sowohl bei der Berechnung der Höhe der spanischen Rente wegen dauerhafter vollständiger Berufsunfähigkeit als auch bei der Schweizer Altersrente der Fall war) angewandt werden, dies aber nur, wenn zwei kumulative Voraussetzungen erfüllt sind: (i) Die Höhe der Leistung muss von der Dauer der zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzeiten unabhängig sein (was das Tribunal Superior de Justicia de Castilla y León im Hinblick auf die Zulage in Höhe von 20 % zu prüfen hat) und (ii) die Leistung muss im oben genannten Anhang der Verordnung aufgeführt sein.
Fußnote
1Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, geändert und aktualisiert durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S. 1), in der durch die Verordnung (EG) Nr. 592/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 (ABl. 2008, L 177, S. 1) geänderten Fassung.