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Wirtschaft & Börse
Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts ist nach Ansicht der
Wahlberechtigten nicht entscheidend für Wohlstand und Lebensqualität
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) spielt als Gradmesser für Wohlstand nach Ansicht
der deutschen Bevölkerung nur eine untergeordnete Rolle. Als weitaus wichtiger
werden der Erhalt der Demokratie und eine hohe Erwerbstätigenquote
eingeschätzt. Das geht aus einer repräsentativen Erhebung des Deutschen
Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) in Zusammenarbeit mit TNS
Infratest hervor. "Wohlstand und Lebensqualität definieren sich für viele
Menschen nicht vorrangig über die Höhe des Durchschnittseinkommens und des
Wirtschaftswachstums", sagt DIW-Experte Marco Giesselmann, einer der
Studienautoren. "Die Politik muss deshalb auch die weiteren Bedürfnisse
und Anforderungen der Menschen messbar machen und anerkennen." Hintergrund
der Umfrage ist ein Vorschlag der Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand,
Lebensqualität", die im Auftrag des Deutschen Bundestags eine Alternative
zum BIP entwickeln soll und sich nun mehrheitlich für ein Konzept mit zehn
Leitindikatoren ausgesprochen hat.
Konkret schlägt die Enquete-Kommission vor, dem Bruttoinlandsprodukt - also dem
Wert aller in einer Volkswirtschaft produzierten Güter und Dienstleistungen -
neun weitere Indikatoren zur Seite zu stellen (Staatsschuldenquote,
Einkommensverteilung, Beschäftigung, Bildung, Lebenserwartung, Demokratie und
Freiheit, Treibhausgasemissionen, Stickstoffüberschuss, Artenvielfalt). Ein
einziger alternativer Indikator, also eine Art Anti-BIP, sei nach Meinung der
Enquete-Kommission hingegen nicht praktikabel, sagt DIW-Vorstand Gert G.
Wagner, Mitglied der Kommission: "Neben methodischen Problemen wäre ein
Anti-BIP vor allem aus demokratietheoretischer Sicht bedenklich. Denn dann
müssten Politiker für alle Menschen entscheiden, welches Gewicht etwa der
Umweltschutz im Vergleich zum materiellen Wohlstand hat."
Relevanzeinschätzungen variieren nach Wählerlager
Auf einer Skala von null bis zehn bewerteten die Befragten das
Pro-Kopf-Einkommen - als Indikator für das Bruttoinlandsprodukt -
durchschnittlich mit einem Wert von 7,4. Damit liegt das BIP fast am Ende der
Bedeutsamkeitsskala der zehn von der Enquete-Kommission vorgeschlagenen
Indikatoren; lediglich einer Erhöhung der Lebenserwartung wird mit einem
Durchschnittswert von 6,6 eine noch geringere Relevanz zugesprochen. Dem Erhalt
der Demokratie und einer hohen Erwerbstätigenquote werden mit
Durchschnittswerten von 9,4 beziehungsweise 9,2 die mit Abstand höchsten
Bedeutungen beigemessen. Die ökologischen Indikatoren für Aspekte wie
Klimaschutz und Erhalt der Artenvielfalt liegen mit Mittelwerten von knapp über
acht im Mittelfeld der Rangliste.
Die Relevanzeinschätzungen der Befragten unterscheiden sich teilweise deutlich:
So messen Ostdeutsche abgesehen vom Demokratieerhalt und der
Staatsschuldenquote allen Indikatoren ein höheres Gewicht zu als Westdeutsche.
Die Geschlechtsunterschiede sind gering, allerdings zeigen sich Frauen vor
allem für die ökologischen Indikatoren sensitiver.
Bedeutsame Unterschiede weist die Analyse für die Wähler verschiedener Parteien
aus: So wird die Relevanz des BIP vor allem bei Wählern der SPD sowie der
Linken hoch eingestuft. Besonders deutlich spiegelt sich das parteipolitische
Spektrum bei der Frage nach der Einkommensverteilung wider:
Während die Wähler von SPD, Grünen und Linken das Gleichheitsziel im Schnitt um
bis zu 1,5 Skalenpunkte wichtiger einschätzen als CDU-Wähler, wird dem
Indikator unter FDP-Wählern lediglich eine deutlich unterdurchschnittliche
Relevanz beigemessen.
Jahreswohlstandsbericht könnte helfen, das Bruttoinlandsprodukt zu
relativieren
Dass Diskussionen um das Wirtschaftswachstum künftig ausbleiben, glauben die
Studienautoren indes nicht: "Letztlich hängt die Realisierung der meisten
Politikziele mit einem hohen Niveau des BIP und dessen Wachstum zusammen",
erklärt Giesselmann. Allerdings ließe sich mit einem Sachverständigenrat für
nachhaltige Lebensqualität ein Gegenpol schaffen, der andere Akzente und
Politikempfehlungen setzen könnte. DIW-Vorstand Wagner: "Wenn die
Bundesregierung in einer Art Jahreswohlstandsbericht zu allen Bereichen, die
für Wohlstand und Lebensqualität relevant sind, gemeinsam Stellung beziehen
würde, ließe sich das BIP politisch und gesellschaftlich relativieren."
Weitere Informationen finden Sie auf der Homepage des DIW
Berlin.
Quelle: DIW Berlin
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