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Steuer & Recht |
Wird gegenüber dem Finanzamt eine Stellungnahme zu einer streitigen Frage abgegeben, die nicht als Einspruch ausgelegt werden kann, kommt gleichwohl nach dem Rechtsgedanken des § 140 BGB eine Umdeutung in einen Einspruch in Betracht. Dies hat der 8. Senat des Finanzgerichts Münster mit Urteil vom 12. Januar 2023 (Az. 8 K 1080/21) entschieden.
Im Hinblick auf eine beabsichtigte Haftungsinanspruchnahme für Steuerschulden einer KG richtete das Finanzamt schriftliche Anfragen an die beiden Kläger. Nachdem bis auf einen Fristverlängerungsantrag des Prozessvertreters der beiden Kläger keine weitere Rückmeldung erfolgt war, erließ das Finanzamt jeweils Haftungsbescheide, die es beiden Klägern an ihre Privatanschrift zustellte. Innerhalb der Einspruchsfrist nahm der Prozessbevollmächtigte für beide Kläger inhaltlich zu den zuvor gestellten Anfragen Stellung. Die Haftungsbescheide waren ihm zum Zeitpunkt der Abfassung dieser Schreiben nicht bekannt. Nach Kenntnisnahme der Bescheide trug der Prozessvertreter vor, seine Schreiben seien als Einsprüche zu werten. Da die Einspruchsfrist zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen war, verwarf das Finanzamt die Einsprüche wegen Fristablaufs als unzulässig.
Die Klage, mit der die Kläger lediglich die isolierte Aufhebung der Einspruchsentscheidungen beantragten, hatte Erfolg. Der 8. Senat des Finanzgerichts Münster hat ausgeführt, dass das Finanzamt die Einsprüche zu Unrecht als unzulässig verworfen habe. Die Haftungsbescheide seien zunächst wirksam an die Privatadressen der Kläger zugestellt worden, da der Prozessvertreter zuvor keine Vollmachten vorgelegt habe. Die innerhalb der Einspruchsfrist eingegangenen Schreiben könnten zwar nicht als Einsprüche ausgelegt, aber in solche umgedeutet werden.
Eine Auslegung scheitere daran, dass der wirkliche Wille nicht auf Anfechtung der Haftungsbescheide gerichtet gewesen sein könne, weil dem Prozessvertreter die Bescheide nicht bekannt gewesen seien.
Nach dem Rechtsgedanken des § 140 BGB komme jedoch eine Umdeutung in Betracht. Diese zivilrechtliche Vorschrift regelt, dass ein nichtiges Rechtsgeschäft, das den Erfordernissen eines anderen Rechtsgeschäfts entspricht, in ein wirksames Rechtsgeschäft umgedeutet werden kann, wenn ein entsprechender Wille anzunehmen ist. Grundsätzlich sei die Umdeutung auch im Steuerrecht anerkannt.
Nach Auffassung des Gerichts seien wegen des Gebots effektiven Rechtsschutzes auch „sinnlose“ Verfahrenserklärungen umdeutungsfähig. Im Streitfall sei erkennbares Ziel der beiden Stellungnahmen des Prozessvertreters, auf dessen Kenntnishorizont abzustellen sei, die Verhinderung der Haftungsinanspruchnahme der Kläger gewesen. Dieses Ziel habe er aber nach Erlass der Haftungsbescheide nur durch Einlegung von Einsprüchen erreichen können. Es sei kein vernünftiger Grund ersichtlich, weshalb er nicht gegen die Bescheide Einsprüche eingelegt hätte, wenn ihm deren Existenz bekannt gewesen wäre.
Einer Umdeutung stehe auch nicht entgegen, dass die Stellungnahmen von einem Rechtsanwalt verfasst wurden, deren Verfahrenserklärungen grundsätzlich beim Wort zu nehmen seien. Hiervon sei eine Ausnahme zu machen, wenn dem Rechtskundigen die tatsächliche Verfahrenssituation nicht bekannt gewesen sei. Da die Umdeutung ein verschuldensunabhängiges Rechtsinstitut darstelle, sei schließlich unerheblich, dass die Kläger ihren Prozessvertreter schuldhaft nicht rechtzeitig über die Zustellung der Haftungsbescheide informiert hätten.
Der Senat hat die Revision zugelassen. Diese ist beim Bundesfinanzhof unter dem Aktenzeichen VII R 7/23 anhängig.
Urteil 8 K 1080/21 vom 12.01.2023 (nrkr - BFH-Az.: VII R 7/23)
Quelle: Finanzgericht Münster, Newsletter Februar 2023
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