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Der massive Anstieg der Energiepreise als Folge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, deutlich höhere Kosten für Lebensmittel sowie Lieferengpässe, die sich nur langsam auflösen, belasten die Konjunktur in Deutschland so stark, dass sie im Winterhalbjahr in die Rezession gerät. Doch gemessen an den enormen Herausforderungen zeigt sich die deutsche Wirtschaft robust – auch, weil die massive staatliche Entlastungspolitik in der Bundesrepublik und anderen EU-Ländern Wirkung zeigt. Vor allem die Energiepreisbremsen sind wesentliche Gründe dafür, dass der private Konsum im kommenden Jahr nicht so stark einbrechen wird wie noch im Frühherbst erwartet. Daher setzt das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung seine Prognose für die wirtschaftliche Entwicklung in diesem und im kommenden Jahr gegenüber seiner letzten Voraussage vom September herauf. Im Jahresdurchschnitt 2022 wird das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nach der neuen IMK-Prognose um 1,8 Prozent wachsen (September: 1,6 Prozent). Im kommenden Jahr wird die Wirtschaft zwar um 0,3 Prozent im Jahresmittel schrumpfen – im September waren die Düsseldorfer Forschenden allerdings noch von einem BIP-Rückgang um 1,0 Prozent ausgegangen. Die Lage am Arbeitsmarkt bleibt trotz der leichten Rezession im Winter und der eher zögerlichen Erholung im weiteren Jahresverlauf relativ stabil. Die Arbeitslosigkeit sinkt im Jahresdurchschnitt 2022 moderat und wird 2023 trotz eines leichten Wiederanstiegs noch geringfügig unter dem Wert von 2021 bleiben. Allerdings wird in diesem Winter die Kurzarbeit wieder spürbar zunehmen. Die Inflationsrate geht etwas zurück von 7,8 Prozent im Mittel 2022 auf 5,1 Prozent 2023, sie bleibt damit jedoch weiterhin auf hohem Niveau.
„Die deutsche Wirtschaft erweist sich als widerstandsfähig“ schreiben die Konjunkturexpertinnen und -experten des IMK in ihrer neuen Prognose. Allerdings zeigt sich dahinter ein gemischtes Bild. Die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind verhalten positiv: Das weltweite BIP dürfte 2023 um 2,7 Prozent wachsen, nach 3,0 Prozent im ablaufenden Jahr. Die noch bestehenden Lieferprobleme bei Vorprodukten dürften sich Schritt für Schritt lösen, so dass wichtige Industriezweige wie die Automobilindustrie ihren nach wie vor hohen Auftragsbestand verstärkt abarbeiten können. Positive Impulse kommen auch daher, dass die Aufbau- und Resilienzpläne der EU-Staaten zunehmend umgesetzt werden. In der Folge werden sich laut IMK die Ausrüstungsinvestitionen auch 2023 solide entwickeln und um 2,7 Prozent im Jahresdurchschnitt zunehmen.
Auf der anderen Seite leiden energieintensive Wirtschaftszweige wie die Chemieindustrie weiter unter den hohen Energiepreisen – auch wenn die Forschenden von einer leichten Entspannung ausgehen. Einen starken Einbruch verzeichnet der Bausektor, weil neben den Kosten auch die Zinsen für Immobilienkredite deutlich gestiegen sind: Das IMK rechnet mit einem Rückgang der Bauinvestitionen um 5,2 Prozent im kommenden Jahr.
Der wichtigste Faktor für den BIP-Verlust im kommenden Jahr ist die Schwäche des privaten Konsums; er wird 2023 real um 1,3 Prozent im Jahresdurchschnitt abnehmen. „Der Rückgang würde noch viel drastischer ausfallen, wenn nicht die staatlichen Preisbremsen für diverse Energieträger und vereinbarte Tariflohnerhöhungen einen Teil der hohen Realeinkommenseinbußen der Konsumenten ausgleichen würden“, analysieren die Forschenden. Kritik an den Kosten und dem Volumen der staatlichen Entlastungsprogramme halten sie für unberechtigt: Wenn man die Ausgaben ins Verhältnis zum jeweiligen BIP setzt, fallen sie hierzulande ähnlich hoch aus wie in Frankreich, Italien oder Spanien, ergibt ein Vergleich mit den Maßnahmen in diesen Staaten. Auch dass die Bundesregierung die Regelungen für einen erleichterten Zugang und eine längere Bezugsdauer von Kurzarbeitsgeld bis Juni 2023 verlängert hat, halten die Ökonominnen und Ökonomen für richtig. Vor allem in den Wintermonaten werde die Kurzarbeit zur Beschäftigungssicherung an Bedeutung gewinnen. „Das Zusammenspiel von betrieblichen, tariflichen und staatlichen Maßnahmen hat erneut – nach Finanzkrise und Pandemie – einen härteren Wirtschaftseinbruch abgewendet“, sagt Prof. Dr. Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des IMK.
Skeptisch bewertet das IMK hingegen weitere deutliche Zinserhöhungen durch die Europäische Zentralbank (EZB). Dadurch könnte „die Rezession merklich verschärft“ werden. Einen allzu forschen Kurs der EZB zählen die Forschenden daher zu den „Abwärtsrisiken“, die den leicht verbesserten Wirtschaftsausblick wieder konterkarieren könnten – ebenso wie eine Eskalation des Ukraine-Krieges oder neue heftige Corona-Wellen.
Arbeitsmarkt
Die negativen Auswirkungen insbesondere des Ukrainekrieges auf die Konjunktur beeinflussen auch die Arbeitsmarktentwicklung. Der positive Trend bei der Erwerbstätigkeit schwächt sich deutlich ab. So legt die Zahl der Erwerbstätigen 2022 jahresdurchschnittlich noch um 1,2 Prozent zu. Für 2023 erwartet das IMK dann im Jahresmittel nur noch einen Zuwachs um 0,3 Prozent. Bei den Arbeitslosenzahlen prognostiziert das IMK im Jahresdurchschnitt 2022 einen Rückgang um gut 190.000 Personen, so dass im Jahresmittel rund 2,42 Millionen Menschen arbeitslos sein werden. Das entspricht einer Quote von 5,3 Prozent. Für 2023 veranschlagen die Forschenden einen leichten Wiederanstieg der Arbeitslosigkeit auf rund 2,58 Millionen Arbeitslose. Das entspricht einer Quote von 5,7 Prozent – der gleiche Wert wie 2021. Auch die Zahl der Kurzarbeitenden steigt, von knapp 467.000 im Jahresmittel 2022 auf durchschnittlich 472.000 im kommenden Jahr.
Weltwirtschaft und Außenhandel
Trotz nach wie vor hoher Auftragsbestände deutscher Unternehmen entwickelt sich der Export 2023 schwach. Von wichtigen Handelspartnern kommen nur wenig Impulse. In den USA schwächt sich das Wachstum auf 1,9 Prozent im Jahresmittel 2022 und auf 0,7 Prozent im kommenden Jahr ab. Für die Wirtschaft im Euroraum veranschlagt das IMK 2022 ein Wachstum von 3,3 Prozent, 2023 hingegen nur von 0,5 Prozent.
Das hinterlässt Spuren im deutschen Außenhandel. 2022 legen die Exporte noch um 2,3 Prozent im Jahresmittel zu. 2023 schrumpfen sie um 0,5 Prozent. Die Importe wachsen 2022 jahresdurchschnittlich noch kräftig um 5,8 Prozent. 2023 sinken sie dann ebenfalls um 0,5 Prozent.
Investitionen
Die Ausrüstungsinvestitionen entwickeln sich laut IMK-Prognose vergleichsweise robust: 2022 steigen sie um 3,2 Prozent im Jahresmittel, 2023 um 2,7 Prozent. Die in den Vorjahren kräftigen Bauinvestitionen brechen hingegen wegen der Kosten- und Zinssteigerungen ein, vor allem 2023. Nach einem Rückgang um 1,8 Prozent im Jahresmittel 2022 fallen sie 2023 um jahresdurchschnittlich 5,2 Prozent zurück.
Privater Konsum
Die starke Teuerung drückt auf die realen Einkommen. Da die privaten Haushalte in Summe aber deutlich weniger sparen, wirkt sich das 2022 noch nicht auf die durchschnittliche Veränderungsrate des privaten Konsums aus. Der wächst im Jahresmittel um 4,4 Prozent, wobei dieser Wert die Dynamik weit überzeichnet (die Jahresverlaufsrate beträgt nur 1,3 Prozent). Im kommenden Jahr sinkt der private Konsum real um 1,3 Prozent.
Inflation und öffentliche Finanzen
Der Ukraine-Krieg hat die Inflation in diesem Jahr zeitweilig auf Rekordhöhen getrieben. Im Jahresdurchschnitt 2022 rechnet das IMK mit 7,8 Prozent Inflation. 2023 geht die Teuerungsrate etwas zurück, bleibt im Jahresmittel jedoch abermals weit über dem Inflationsziel der EZB: Das IMK prognostiziert 5,1 Prozent.
Die Steuereinnahmen entwickeln sich etwas schwächer. Zugleich setzt der Staat zur Krisenbekämpfung viel Geld ein, unter anderem für Stützungsmaßnahmen für Bürger und Unternehmen, zur Flüchtlingsaufnahme und ab 2023 für höhere Verteidigungsausgaben. Das trägt zur Stabilisierung der Konjunktur bei, führt aber auch dazu, dass das Defizit im öffentlichen Budget höher ist als nach dem Abklingen der akuten Corona-Krise erwartet. Nach 3,7 Prozent 2021 ergibt sich für 2022 ein Haushaltsdefizit von 1,8 Prozent des BIP. Für 2023 prognostiziert das IMK ein Defizit von 3,2 Prozent.
Quelle: Hans-Böckler-Stiftung
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