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  • 26.12.2025 – Apothekenpflicht im Warenkorb, Plattformlogik im Rücken, Regulierungsgrenzen im Blick ohne Schonraum für Betriebe
    26.12.2025 – Apothekenpflicht im Warenkorb, Plattformlogik im Rücken, Regulierungsgrenzen im Blick ohne Schonraum für Betriebe
    APOTHEKE | Systemblick - Kommentar von heute |  Kommentar: Das dm-med-Modell verbindet OTC-Versand, Kuration und Prozessstabilität zu einer neuen Marktlogik, in der Berat...

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ApoRisk® Nachrichten - APOTHEKE:


APOTHEKE | Systemblick - Kommentar von heute

Apothekenpflicht im Warenkorb, Plattformlogik im Rücken, Regulierungsgrenzen im Blick ohne Schonraum für Betriebe

 

Ausgabe Nr. 118 | Wenn ein Drogeriekonzern Arzneimittel als Sortimentsteil behandelt, verschiebt sich Wettbewerb von Versorgung zu Skalierung

Stand: Freitag, 26. Dezember 2025, um 14:33 Uhr

Apotheken-News: Kommentar von heute

Kommentar von Seyfettin Günder zu den aktuellen Apotheken-Nachrichten über dm-med, OTC-Versand aus Tschechien, Beratungsversprechen, Mengenbegrenzung und die neue Grenzziehung im Markt

Der Einstieg von dm in den Versand apothekenpflichtiger OTC aus Tschechien wird öffentlich als nüchterne Dienstleistung erzählt: stabiler Start ohne Kampagne, Prozesse laufen, Warenkörbe werden gemischt, ein Paket reicht meistens. In dieser Sprache steckt bereits die entscheidende Setzung. Arzneimittel erscheinen nicht als eigenständige Versorgungslogik, sondern als Kategorie im Einkaufskorb, die sich an Zustell- und Sortimentsmechanik anschmiegt. Wer so spricht, macht aus dem regulatorisch besonderen Gut ein normales Handelsobjekt, das nur noch an wenigen Stellen pharmakologisch „endkontrolliert“ wird. Der Markt wird damit nicht erweitert, sondern neu sortiert: weg von der Frage, wer Verantwortung trägt, hin zur Frage, wer Verlässlichkeit liefern kann, wenn Verlässlichkeit als Paketleistung definiert wird.

Auffällig ist die Selbstbeschreibung als Drogeriemarkt, der „keine Apotheke sein“ wolle, während zugleich apothekenpflichtige Ware versendet wird. Das ist keine semantische Spitzfindigkeit, sondern ein Versuch, die institutionelle Verantwortung zu entkoppeln: das Produkt ja, die Identität nein. In der Praxis entsteht daraus eine Doppelspur. Einerseits wird die pharmazeutische Endkontrolle als Standardbehauptung geführt, andererseits wird die Kernleistung – die situative, risikobasierte Intervention am Menschen – in die Randzone gedrängt, weil sie im Modell nur dann vorkommt, wenn jemand aktiv nachfragt. Wenn die Telefonberatung „im niedrigen einstelligen Bereich“ bleibt, kann das als Erfolg gelesen werden. Es kann aber ebenso als Signal gelesen werden, dass Beratung im Plattformkauf nicht mehr als Erwartung existiert, sondern als Störung, die man organisatorisch klein halten darf, solange kein Schadensfall sichtbar wird.

Bei der Frage nach Fehlgebrauch – etwa bei abschwellenden Nasensprays – zeigt sich das zweite Muster: Mengenbegrenzungen werden als Schutzmechanik vorgetragen, zugleich wird der Ausweichweg als allgemeine Marktgegebenheit relativiert: wer genug Wege findet, kommt an Stückzahlen. Das klingt realistisch, ist aber auch eine Kapitulationserzählung. Sie akzeptiert die Schattenseite als unvermeidlich und delegiert die Verantwortung an die Gesamtlogik des Marktes. Für apothekengeprägte Versorgung ist das heikel, weil die Stärke traditionell genau dort liegt, wo Systeme nicht „unvermeidlich“ sein dürfen: in der aktiven Risiko-Unterbrechung, in der Grenzziehung, in der Friktion, die den Fehlgebrauch erschwert, auch wenn das unbequem ist. Wenn Fehlgebrauch als etwas beschrieben wird, das ohnehin umgangen werden kann, wird aus Prävention ein Prozessparameter – und aus Verantwortung eine Statistik.

Die drittstärkste Stelle des Rohmaterials liegt in der Bemerkung über „Testkäufe von Wettbewerbern oder Juristen“ und über „erste rechtliche Angriffe“. Hier erscheint der Markt als Konfliktfeld, in dem nicht zuerst Patientenschutz oder Versorgungsgerechtigkeit verhandelt wird, sondern die Belastbarkeit des Modells gegen juristische und wettbewerbliche Reibung. Das ist konsequent aus Konzernsicht, aber es verschiebt den Fokus: Systeme werden so eingestellt, dass sie „der Realität“ entsprechen – gemeint ist das Bestellverhalten – und nicht den hypothetischen Käufen. In einer regulierten Arzneimittelwelt sind hypothetische Käufe jedoch kein akademisches Spiel, sondern der Kern jeder Missbrauchsprävention und jeder Qualitätssicherung. Wer nur nach dem Justieren auf beobachtete Nutzung arbeitet, läuft dem Risiko hinterher. Das ist eine strukturelle Asymmetrie: Plattformlogik lernt spät, Versorgungssysteme sollen früh verhindern.

Auch die Aussagen zur Beschaffung – „Es gibt keine Herausforderungen“ – markieren eine Machtverschiebung. Nicht weil sie zwingend wahr oder falsch wären, sondern weil sie das Narrativ stützen, dass Skalierung im OTC-Versand kein Engpass ist. Selbst wenn Lieferengpässe real bestehen, wird die Botschaft gesendet: ein großer Händler kann das. Damit entsteht ein psychologischer Wettbewerb, der vor dem preislichen Wettbewerb beginnt: Wer sich als souverän im Zugriff auf Ware präsentiert, schafft Erwartung, dass Versorgung im Paketformat robuster ist als Versorgung im lokalen Netz. Das trifft Apothekenbetriebe nicht nur über Umsatz, sondern über Legitimität. Sobald die Öffentlichkeit glaubt, dass Verlässlichkeit vor allem Logistik ist, geraten die unsichtbaren Sicherheitsleistungen der Versorgung – Risikoabklärung, Wechselwirkungs- und Kontraindikationssensibilität, Notfalltriage – in eine Begründungskrise.

Der Satz „Unsere Stärke ist es, Sortimente zu kuratieren“ ist im OTC-Versand mehr als Marketingsprech. Er ist der Bauplan: Kuration ersetzt Beratung, Auswahl ersetzt Abwägung, Verfügbarkeit ersetzt Indikationsprüfung. Im Rx-Bereich, so die eigene Begründung, entfalle diese Leistung, weil der Arzt entscheide. Genau darin liegt das strategische Fenster: OTC wird als Feld verstanden, in dem Entscheidung als Konsumentscheidung umcodiert werden kann. Je stärker OTC so behandelt wird, desto stärker wird die Apotheke in die Rolle eines Spezialanbieters gedrängt, der sich rechtfertigen muss, warum sein Modell teurer, langsamer oder friktionsreicher ist. Das ist der Kern von Verdrängungswettbewerb im Mantel von Service: nicht das einzelne Produkt verdrängt, sondern die Erwartung an das System.

Das Rohmaterial spricht zudem offen über die nächste Stufe: Sollte sich die Regulatorik ändern, könne man neu reagieren, Lobbybüro in Berlin habe man nicht. Auch das ist ein Kalkül. Politische Wirkung entsteht nicht nur über Lobby, sondern über Marktfakten: wenn ein Modell etabliert ist, wird Anpassung der Regeln als „Nachvollzug“ verkauft. Der Hinweis auf Abgeordnete im Wahlkreis klingt bürgernah, ist aber zugleich die Normalisierung von Druck über Konsumentenstimmen. Wenn „die Stimmen der Bevölkerung“ die Grenze verschieben sollen, wird die Frage, was medizinisch sinnvoll ist, schnell zur Frage, was bequem und billig ist. Das ist keine Unterstellung, sondern eine bekannte Mechanik politischer Regelsetzung in konsumgetriebenen Märkten.

Für die Branche ist daran das Schwerste nicht der einzelne Wettbewerber, sondern das Signal: Ein Handelskonzern behandelt Arzneimittel als Kategorie, die man in die Plattform- und Warenkorbarchitektur integriert, ohne die Identität des Versorgungssystems mitzunehmen. Das zwingt Apothekenbetriebe in eine doppelte Verteidigung: wirtschaftlich gegen Preis- und Skaleneffekte, kulturell gegen die Erzählung, dass Beratung optional sei. Wenn beides gleichzeitig wirkt, steigen die Kosten der Existenzführung. Nicht nur Miete, Personal und Abschläge drücken, sondern die Notwendigkeit, den Sinn des eigenen Modells ständig neu zu erklären, während die Gegenseite mit dem Satz „läuft stabil“ das Ende der Debatte vorgibt.

Die Konsequenz ist eine verschärfte Schere. Auf der einen Seite stehen große Systeme, die Stabilität als Prozess- und Paketqualität definieren, und die sich bei Risiken auf Mengenbegrenzung, Endkontrolle und nachgelagerte Analyse berufen. Auf der anderen Seite stehen Apothekenbetriebe, deren Stabilität aus Nähe, Risikoarbeit und Verantwortung entsteht, die aber in der öffentlichen Wahrnehmung dann schnell wie „Mehrleistung ohne Mehrwert“ aussieht, wenn der Warenkorb reibungslos läuft. Diese Schere treibt nicht nur Betriebsaufgaben, sie treibt eine neue Norm: Arzneimittel werden dort gekauft, wo der Alltag ohnehin stattfindet. Und wenn das zur Gewohnheit wird, wird die Frage nach Versorgung erst dann wieder laut, wenn die erste große Fehlleistung nicht mehr nur individuell, sondern systemisch sichtbar wird.

An dieser Stelle fügt sich das Bild.

Wenn ein Markt seine eigene Normalität baut, wirken die Regeln irgendwann wie nachträgliche Dekoration. Die neue Konkurrenz ist nicht nur ein Anbieter, sondern eine Erzählmaschine: Stabilität wird zur moralischen Währung, Kuration zur Ersatzlogik, Beratung zur Ausnahme. In dieser Verschiebung entsteht die eigentliche Härte für Betriebe: Nicht die Debatte wird verloren, sondern die Selbstverständlichkeit. Dann entscheidet nicht mehr, wer recht hat, sondern wer als „normal“ gilt.

Dies ist kein Schluss, der gelesen werden will – sondern eine Wirkung, die bleibt. Sobald Arzneimittel im Warenkorb als Routine erscheinen, wird Verantwortung im System unsichtbar und erst im Schaden wieder sichtbar. Die Branche erlebt dann nicht einen plötzlichen Umbruch, sondern eine Kette kleiner Gewöhnungen, die am Ende wie Naturgesetz wirkt. Wer Stabilität ausschließlich als Prozesssignal definiert, nimmt die spätere Risikorechnung billigend in Kauf. Und wer Betriebe nur noch als Kostenstelle sieht, produziert Versorgungslücken, die erst auffallen, wenn sie nicht mehr zu schließen sind.

 

SG
Prokurist | Publizist | Verantwortungsträger im Versorgungsdiskurs
Kontakt: sg@aporisk.de
Autorenseite öffnen

Wer das für Formalie hält, unterschätzt die Verantwortung, die Sprache heute tragen muss.
Ein Kommentar ist keine Meinung. Er ist Verpflichtung zur Deutung – dort, wo Systeme entgleiten und Strukturen entkoppeln.
Ich schreibe nicht, um zu erklären, was gesagt wurde. Ich schreibe, weil gesagt werden muss, was sonst nur wirkt, wenn es zu spät ist.
Denn wenn das Recht nur noch erlaubt, aber nicht mehr schützt, darf der Text nicht schweigen.

 

 

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