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  • 06.12.2025 – Lernende Systeme verschieben Verantwortung, Apotheken brauchen Leitplanken, Politik darf Risiken nicht delegieren
    06.12.2025 – Lernende Systeme verschieben Verantwortung, Apotheken brauchen Leitplanken, Politik darf Risiken nicht delegieren
    APOTHEKE | Systemblick |  Kommentar darüber, wie lernende Systeme Prozesse in Apotheken verändern, Verantwortung verschieben und warum klare Leitplanken für Einsatz, Da...

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Sehr geehrte Apothekerin, sehr geehrter Apotheker,
hier ist der vollständige Text für Sie:

ApoRisk® Nachrichten - APOTHEKE:


APOTHEKE | Systemblick | 

Lernende Systeme verschieben Verantwortung, Apotheken brauchen Leitplanken, Politik darf Risiken nicht delegieren

 

Ausgabe Nr. 72 | Kommentar zur Rolle lernender Systeme im Apothekenalltag

Apotheken-News: Kommentar von heute

Kommentar von Seyfettin Günder zu den aktuellen Apotheken-Nachrichten über lernende Systeme, Verantwortungsketten und die Zukunft der Versorgung

Lernende Systeme werden derzeit vielerorts als Lösung für fast jedes Problem gehandelt: Sie sortieren Daten, erkennen Muster, erzeugen Formulierungen und suggerieren, komplexe Entscheidungen ließen sich auf wenige Klicks reduzieren. Im Apothekenkontext entsteht dadurch ein Spannungsfeld, das weit über die Frage hinausgeht, ob ein Programm Bestände besser prognostiziert oder eine Warenbewegung schneller erkennt. Im Kern steht die Verantwortungskette: Wer haftet, wenn ein Algorithmus eine kritische Konstellation übersieht, eine Interaktion nicht meldet oder einen Grenzwert falsch gewichtet? Technik tritt hier nicht als neutraler Helfer auf, sondern als neuer Akteur im Versorgungsalltag, dessen Entscheidungen sich nicht ohne Weiteres nachvollziehen lassen.

Gerade deshalb ist es problematisch, wenn Lernsysteme überwiegend über Effizienz und „Entlastung“ verkauft werden. Diese Begriffe sprechen eine verständliche Sehnsucht an: weniger Routinearbeit, weniger Suchaufwand, weniger Übertragungsfehler. Doch jede Entlastung verändert gleichzeitig die Aufmerksamkeit. Wird ein Teil der Wachsamkeit an Systeme ausgelagert, verschiebt sich die innere Haltung: Warnungen werden zu Hintergrundgeräuschen, Ausbleiben von Hinweisen wird still als Bestätigung interpretiert. Die Versuchung ist groß, sich auf die technische Umgebung zu verlassen, weil sie zuverlässig wirkt und ohne Müdigkeit arbeitet. Aus diesem Mechanismus entsteht eine neue Sorte Risiko: weniger sichtbar, aber scharf, wenn mehrere kleine Versäumnisse zusammenfallen.

Vor-Ort-Apotheken stehen dabei in einer besonders heiklen Position. Einerseits sind sie auf effiziente Prozesse angewiesen, um Personalressourcen auf Beratung und komplexe Fälle konzentrieren zu können. Andererseits sind sie der Ort, an dem die Verantwortung nicht abstrakt, sondern ganz konkret greifbar wird: Patientinnen und Patienten kommen mit Verordnungen, Unsicherheiten, Wechselwirkungen und oft unvollständigen Informationen. In dieser Situation wirken Lernsysteme als Filter und Verstärker. Sie können Hinweise strukturieren, aber auch Lücken unsichtbar machen. Die Frage lautet daher nicht, ob Technik genutzt wird, sondern wie transparent bleibt, an welcher Stelle menschliche Urteilskraft eingreift – und wo genau die rote Linie verläuft, über die hinaus keine automatisierte Empfehlung akzeptiert wird.

Politik und Aufsicht können sich dieser Entwicklung nicht entziehen. Wenn immer mehr Entscheidungen im Hintergrund von Algorithmen vorbereitet werden, reicht es nicht, auf die allgemeine Digitalisierungsrhetorik zu verweisen. Es braucht klare Erwartungen an Transparenz, Auditierbarkeit und Verantwortungszuordnung. Wer Systeme in sensiblen Bereichen zulässt, sollte zumindest sicherstellen, dass Fehlverhalten und Fehlkonfigurationen nicht auf dem Rücken derjenigen ausgetragen werden, die täglich an der Front der Versorgung stehen. Wenn Haftungsrisiken und Dokumentationslast einseitig in Richtung der Leistungserbringer verschoben werden, während die Steuerungslogik der Technik weitgehend intransparent bleibt, entsteht eine gefährliche Asymmetrie.

Auch Versicherer sind Teil dieses Bildes. Sie betrachten die Realität, nicht die Versprechungen: Wo Lernsysteme ohne klare Regeln zum Einsatz kommen, steigen potenzielle Schadensszenarien. Fehlerhafte Empfehlungen, unerkannte Interaktionen, Datenabflüsse und Cyberangriffe sind nicht länger hypothetische Risiken, sondern konkrete Faktoren in der Risikoprüfung. Gleichzeitig bieten geordnete Strukturen beim Umgang mit Technik eine Chance, Risiken zu begrenzen: dokumentierte Leitlinien, definierte Freigabeprozesse, Schulungsnachweise und nachvollziehbare Entscheidungspfade zeigen, dass Verantwortung nicht an Algorithmen abgegeben, sondern bewusst gestaltet wird. Genau hier entscheidet sich, ob Technik in der Risikobetrachtung als Stabilitätsfaktor oder als zusätzlicher Unsicherheitsbringer wahrgenommen wird.

In der öffentlichen Debatte wird gerne von „unterstützenden Systemen“ gesprochen, als sei damit automatisch klar, wer am Ende entscheidet. Doch Unterstützung kann schleichend in Steuerung umschlagen. Wenn ein System dauerhaft bestimmte Varianten bevorzugt, Warnhinweise gewichtet oder Dokumentationsaufwände steuert, entstehen faktische Standards – auch ohne formale Vorgabe. Diese Standards wirken auf den Arbeitsalltag in den Apotheken zurück, sie prägen Routinen und Erwartungen. Eine kritische Auseinandersetzung mit Lernsystemen bedeutet deshalb, die Macht dieser stillen Normierung ernst zu nehmen. Wer nur auf Geschwindigkeit und Bequemlichkeit schaut, übersieht, wie schnell aus Wahlfreiheit eine implizite Verpflichtung zur Nutzung bestimmter Abläufe wird.

Am Ende geht es um einen nüchternen, aber entschiedenen Blick auf die Rolle des Menschen im Versorgungssystem. Lernende Systeme können viel: Sie sichten Daten, erinnern an Fristen, markieren Auffälligkeiten, schlagen Formulierungen vor. Was sie nicht können, ist Verantwortung tragen, empathisch abwägen oder in einem Grenzfall gegen die naheliegendste, aber unpassende Lösung entscheiden. Gerade in Apotheken, in denen auf engem Raum medizinische, rechtliche und wirtschaftliche Fragen zusammentreffen, bleibt diese Fähigkeit unverzichtbar. Die Aufgabe besteht nicht darin, Technik zu romantisieren oder zu verteufeln, sondern dafür zu sorgen, dass sie eingebettet bleibt in eine Struktur, die klare Grenzen setzt und Verantwortung sichtbar hält. Nur dann wird aus Lernen keine verdeckte Risikoübertragung, sondern ein Instrument, das Versorgung und Betriebe tatsächlich stärkt.

Lernende Systeme treten oft zuerst als Versprechen auf: weniger Aufwand, mehr Überblick, bessere Entscheidungen im Hintergrund. In der Apotheke zeigt sich jedoch schnell, dass hinter jedem technischen Komfort eine Verschiebung von Aufmerksamkeit, Verantwortung und Deutungshoheit steht. Die Linie zwischen hilfreicher Unterstützung und stiller Steuerung verläuft nicht im Code, sondern in den Köpfen der Menschen, die mit diesen Werkzeugen arbeiten. Genau an diesem Punkt entscheidet sich, ob Technik zum Gefährten einer verantwortlichen Versorgung wird – oder zum unsichtbaren Taktgeber, der Entscheidungen leise in eine andere Richtung lenkt. 

Dies ist kein Schluss, der gelesen werden will – sondern eine Wirkung, die bleibt. Lernende Systeme verändern den Alltag in Apotheken nicht durch große Gesten, sondern durch viele kleine Eingriffe, die Routinen verschieben und Erwartungen prägen. Dort, wo jede Empfehlung wie eine selbstverständliche Antwort wirkt, wächst die Gefahr, dass kritische Rückfragen seltener gestellt werden und Verantwortung unbemerkt an technische Strukturen abgleitet. Eine starke Leitung wird solche Werkzeuge deshalb nicht überhöhen, sondern einhegen: mit klaren Leitplanken, dokumentierten Zuständigkeiten und der bewussten Entscheidung, Grenzfälle immer in menschlicher Hand zu halten. Je mehr sich der Markt auf Tempo und Effizienz fixiert, desto wertvoller wird dieser nüchterne Gegenpol, der Technik als Hilfsmittel versteht, nicht als heimlichen Steuermann der Versorgung.
 
 

SG
Prokurist | Publizist | Verantwortungsträger im Versorgungsdiskurs
Kontakt: sg@aporisk.de

Wer das für Formalie hält, unterschätzt die Verantwortung, die Sprache heute tragen muss.

Ein Kommentar ist keine Meinung. Er ist Verpflichtung zur Deutung – dort, wo Systeme entgleiten und Strukturen entkoppeln.

Ich schreibe nicht, um zu erklären, was gesagt wurde. Ich schreibe, weil gesagt werden muss, was sonst nur wirkt, wenn es zu spät ist.

Denn wenn das Recht nur noch erlaubt, aber nicht mehr schützt, darf der Text nicht schweigen.

 

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