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APOTHEKE | Systemblick |
Stand: Freitag, 05. Dezember 2025, 20:00 Uhr
Apotheken-News: Kommentar von heute
Kommentar von Seyfettin Günder zu den aktuellen Apotheken-Nachrichten über Rezeptur-Retaxationen, politische Untätigkeit und die Zukunft des Versorgungsauftrags
Rezepturen waren nie ein Luxusangebot, sondern immer ein Teil des Kerns der Versorgung: individuell angepasste Arzneimittel für Menschen, die mit Fertigarzneien nicht erreicht werden. Wer heute auf die Situation in Baden-Württemberg blickt, erkennt jedoch eine gefährliche Verschiebung. Zehntausende Rezeptur-Retaxationen sind nicht einfach eine Serie unglücklicher Einzelfälle, sondern die Folge eines politischen und kassengetriebenen Umgangs mit einem Versorgungsauftrag, der de facto unter wirtschaftlichen Vorbehalt gestellt wurde. Während Teams mit Fachwissen und Zeitaufwand den individuellen Bedarf ihrer Patientinnen und Patienten abdecken, entscheiden Prüfstellen im Nachhinein, welcher Teil dieser Arbeit sich noch „lohnen“ darf.
Die eigentliche Zumutung liegt in der Konstellation: Der Gesetzgeber hat einen klaren Versorgungsauftrag formuliert, scheut aber seit Jahren vor der Klarheit beim Preisrecht zurück. Die Kassen nutzen dieses Vakuum konsequent, indem sie nur die tatsächlich verbrauchte Teilmenge eines Wirkstoffs bezahlen wollen und sich dabei auf ihr Verständnis von Wirtschaftlichkeit berufen. Verbände und viele Juristen verweisen dagegen auf die Systematik der Preisvorschriften und auf Gerichtsentscheidungen, die eher die Apothekenposition stützen. Entstanden ist ein Feld der Unschärfe, das aus Sicht der Betriebe einen bitteren Beigeschmack hat: Die Verantwortung für Versorgung bleibt, die Verantwortung für eine verlässliche Honorierung wird nach unten durchgereicht.
Politische Untätigkeit ist in dieser Lage keine neutrale Größe, sondern Teil des Problems. Wer weiß, dass eine ganze Berufsgruppe über Jahre hinweg mit Retaxationen in fünfstelliger Größenordnung beschäftigt ist, kann sich nicht mit dem Hinweis auf laufende Abstimmungen zwischen Ressorts, Ländern und Beteiligten aus der Verantwortung stehlen. Solange keine eindeutige gesetzliche Klarstellung erfolgt, welche Taxationslogik gelten soll, bleibt der Alltag in den Betrieben ein permanenter Stresstest. Inhaberinnen und Inhaber müssen Jahr für Jahr Leistungen erbringen, von denen sie nicht sicher wissen, ob ihre Abrechnung am Ende als „korrekt“ angesehen wird. Diese Unsicherheit senkt die Bereitschaft, in Rezepturkompetenz und Ausstattung zu investieren, und setzt Teams unter einen Druck, der mit professioneller Arbeit auf Augenhöhe wenig zu tun hat.
Die Kassen wiederum verlassen sich darauf, dass der politische Rückenwind für ihr Vorgehen stark genug ist oder zumindest die Gegenwehr auf einem beherrschbaren Niveau bleibt. Jeder zurückgewiesene Einspruch, jedes Gericht, das Verfahren aus formalen Gründen verwirft, ist in dieser Logik ein stiller Erfolg. Dabei wird übersehen, dass sich die ökonomische Logik auf der Ebene der Versorgung nur begrenzt über Prüfalgorithmen abbilden lässt. Wird die Rezeptur schrittweise zu einem wirtschaftlichen Hochrisikosegment, in dem eine einzige Welle von Kürzungen ausreicht, um die Jahresbilanz zu kippen, führt der theoretische Sparansatz in der Praxis zu einem Abbau von Leistungsbereitschaft. Am Ende stehen weniger Betriebe, die bereit sind, komplexe oder aufwendige Zubereitungen zu übernehmen.
Für Apotheken entsteht so eine paradoxe Lage. Sie wissen, dass bestimmte Rezepturen für die Versorgung unverzichtbar sind, und zugleich, dass sie sich mit jedem Ansatz der Gefahr aussetzen, Monate später einen Teil oder den gesamten Erlös wieder zu verlieren. Die rational nachvollziehbare Reaktion besteht darin, Rezepturen enger auszulegen, bestimmte Anfragen zu hinterfragen oder in Zweifelsfällen auf alternative Therapien zu drängen. Doch genau diese Reaktion läuft dem ursprünglichen Ziel der Regelungen zuwider, den Zugang zu individuell angepassten Arzneimitteln sicherzustellen. Die Verantwortung, diese Spannung aufzulösen, gehört nicht in die Offizin, sondern in die Politik. Wer den Versorgungsauftrag ernst nimmt, muss die Rahmenbedingungen so gestalten, dass er ohne betriebswirtschaftliche Selbstgefährdung erfüllt werden kann.
In dieser Gemengelage sind Versicherungsprodukte wie eine Retax-Deckung kein Zeichen von Übervorsicht, sondern eine nüchterne Antwort auf ein strukturelles Risiko. Sie fangen keine politischen Versäumnisse auf und ersetzen keine konsequenten Prozesse im Betrieb, aber sie können den Moment entschärfen, in dem eine Retaxserie sonst direkt in die Substanz eines Unternehmens greifen würde. Dass es solche Schutzinstrumente überhaupt braucht, ist eine deutliche Diagnose für den Zustand des Systems. Ein Bereich, der politisch als unverzichtbarer Versorgungsbaustein gilt, sollte nicht darauf angewiesen sein, dass Betriebe sich mit Spezialpolicen gegen das Verhalten der Kassen absichern müssen, die denselben Versorgungsauftrag mitfinanzieren.
Der Kern der Auseinandersetzung ist damit schnell benannt: Es geht nicht darum, ob einzelne Kürzungen im Einzelfall juristisch Bestand haben, sondern darum, ob ein Versorgungsauftrag ohne klare und faire Honorarbasis langfristig überleben kann. Solange über Teilmengen, Anbrüche und Auslegungen gestritten wird, während die Politik das Grundproblem liegen lässt, wächst die Wahrscheinlichkeit, dass sich Apotheken aus diesem Feld schrittweise zurückziehen. Dann wird nicht nur ein Preiskorrekturmechanismus scharf gestellt, sondern ein Stück Infrastruktur abgebaut, das sich mit keiner Rabattrunde und keiner Portalplattform ersetzen lässt. Wer heute über die Zukunft der Rezeptur diskutiert, diskutiert in Wahrheit über die Frage, ob individuelle Versorgung noch politisch gewollt ist – oder ob sie nur so lange bestehen darf, wie sie keinen Widerstand gegen eine einseitige Sparlogik leistet.
Rezepturen stehen exemplarisch für den Widerspruch zwischen politischem Anspruch und praktischer Realität. Offiziell gilt die individuelle Zubereitung als unverzichtbarer Versorgungsbaustein, faktisch werden Betriebe mit Retaxwellen konfrontiert, die aus einem Versorgungsauftrag ein wirtschaftliches Risikoexperiment machen. Wo klare gesetzliche Leitplanken fehlen, entstehen Zonen der Unsicherheit, in denen Kassen ihre Sparlogik durchsetzen und Apotheken zugleich den Kopf für Versorgung und Finanzierung hinhalten. Der Blick nach Baden-Württemberg zeigt damit nicht nur einen regionalen Ausreißer, sondern ein Stellbild dafür, wie stillschweigende Duldung auf Dauer Strukturveränderungen erzwingt.
Dies ist kein Schluss, der gelesen werden will – sondern eine Wirkung, die bleibt. Wenn eine Leistung wie die Rezeptur politisch gelobt, rechtlich aber im Ungefähren belassen wird, verschiebt sich das Risiko Schritt für Schritt auf die Ebene der Betriebe. Jede neue Retaxserie sendet das Signal, dass Engagement für individuelle Versorgung zur verwundbaren Flanke des Geschäftsmodells werden kann. Die Folge ist ein schleichender Rückzug aus Bereichen, in denen Unsicherheit und Aufwand die erwartbare Vergütung übersteigen, lange bevor formale Versorgungsengpässe sichtbar werden. Wer den Versorgungsauftrag ernst nimmt, muss diese Entwicklung als Warnsignal verstehen und nicht als Randnotiz, denn die Entscheidung, wie Rezepturen morgen honoriert und abgesichert werden, bestimmt mit, welche Versorgung in einigen Jahren überhaupt noch verfügbar ist.
SG
Prokurist | Publizist | Verantwortungsträger im Versorgungsdiskurs
Kontakt: sg@aporisk.de
Wer das für Formalie hält, unterschätzt die Verantwortung, die Sprache heute tragen muss.
Ein Kommentar ist keine Meinung. Er ist Verpflichtung zur Deutung – dort, wo Systeme entgleiten und Strukturen entkoppeln.
Ich schreibe nicht, um zu erklären, was gesagt wurde. Ich schreibe, weil gesagt werden muss, was sonst nur wirkt, wenn es zu spät ist.
Denn wenn das Recht nur noch erlaubt, aber nicht mehr schützt, darf der Text nicht schweigen.
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