Retaxgefahr bei fehlenden Chargenangaben in Hochpreissegmenten, Apothekenhaftung im Securpharm-Alltag, Retax-Versicherungen als Schutzschirm
Die Pflicht zur Chargenübermittlung bei elektronisch verordneten verschreibungspflichtigen Arzneimitteln hat den Alltag in vielen Apotheken spürbar verändert, weil aus einem technischen Detail ein massives wirtschaftliches Risiko geworden ist. Immer dann, wenn ein authentifizierungspflichtiges Arzneimittel mit Sicherheitsmerkmalen beliefert wird, gehört die korrekte Übertragung der Charge inzwischen zum Pflichtprogramm der Abrechnung. Dort, wo der Data-Matrix-Code der Packung über Securpharm erfasst wird, läuft dieser Schritt meist im Hintergrund, bis eine kleine Unachtsamkeit, ein Scannerproblem oder eine nicht verifizierte Packung die Kette unterbricht. Retaxationen der Krankenkassen wegen fehlender Charge treffen dann häufig nicht die Bagatellrezepte, sondern überproportional Hochpreiser, bei denen eine Vollabsetzung schnell fünfstellige Beträge erreichen kann. Der Konflikt zwischen formaler Pflicht, fehlendem wirtschaftlichem Schaden und drastischen Rückforderungen legt eine Bruchlinie offen, an der sich Rechtsauffassungen und Versorgungspraxis reiben.
Rechtlich stützt sich die Chargenpflicht auf Mitwirkungsvorgaben im Sozialgesetzbuch und auf die Arzneimittelabrechnungsvereinbarung, praktisch wird sie über Securpharm, Data-Matrix-Codes und Software-Schnittstellen umgesetzt. Entscheidend ist die Unterscheidung, ob ein präparatespezifischer Code vorhanden und für die Apotheke verarbeitbar ist oder ob das Arzneimittel zu den Ausnahmen gehört, die zwar verschreibungspflichtig sind, aber nicht in das Sicherheitsmerkmalssystem einbezogen wurden. In der Breite des Sortiments – von Biologika über parenterale Ernährung bis zu bestimmten Homöopathika – entstehen daraus Grauzonen, in denen der Arbeitsalltag differenzierte Kenntnisse über White- und Blacklists erfordert. Wo Kennzeichnung und technische Infrastruktur nicht sauber zusammenpassen, steigt die Gefahr, dass einzelne Packungen ohne vollständige elektronische Spur in die Abrechnung laufen. Gerade im Hochpreissegment addiert sich jeder dieser Fälle zu einem Klumpenrisiko, das die wirtschaftliche Stabilität einer Apotheke erschüttern kann.
In der Praxis haben einige Kassen die ihnen zugestandene Retaxmöglichkeit konsequent genutzt und bei fehlender Chargenübermittlung Vollabsetzungen ausgesprochen, obwohl die Arzneimittel abgegeben, bezahlt und ordnungsgemäß angewendet wurden. Apothekenverbände sehen darin eine Überdehnung formaler Regeln und argumentieren, dass weder ein wirtschaftlicher Schaden der Kostenträger noch eine relevante Gefährdung der Arzneimittelsicherheit nachweisbar sei, solange Dokumentation und Rückverfolgbarkeit im Betrieb gegeben sind. Solange diese Auslegung aber nicht abschließend geklärt ist, verbleibt die finanzielle Last auf der Seite der Apotheken. Jeder elektronische Rezeptdatensatz ohne hinterlegte Charge wird damit zum potenziellen Streitfall, der erst Monate später sichtbar wird, wenn Abrechnungsstellen und Kassenprüfer ihre Kontrollroutinen gefahren haben. Für Apotheken entsteht eine Situation, in der rechtlich strittige, aber vollzogene Absetzungen die Liquidität belasten, während die juristische Aufarbeitung langwierig und ressourcenintensiv bleibt.
Vor diesem Hintergrund bekommt das interne Risiko- und Prozessmanagement rund um die Chargenübermittlung eine zentrale Rolle. Je besser Schnittstellen zwischen Scanner, Warenwirtschaft und Abrechnungssystem gepflegt sind, desto seltener rutschen Verordnungen ohne vollständige Daten durch. Schulungen der Teams, klare Zuständigkeiten für das Handling von Securpharm-Meldungen und definierte Abläufe bei technischen Störungen reduzieren die Fehlerwahrscheinlichkeit, ohne sie vollständig ausschließen zu können. Gerade bei hochpreisigen Verordnungen bietet sich eine zusätzliche Aufmerksamkeitsebene an, etwa durch gezielte Plausibilitätskontrollen und Sichtprüfungen der elektronischen Datensätze vor der Übermittlung an das Rechenzentrum. Bleibt trotz aller Vorsorge ein Datensatz unvollständig und löst eine Retaxation aus, ist eine strukturierte Reaktion gefragt: Prüfung, ob die Packung im Betrieb rückverfolgbar ist, ob der Fehler auf Technik oder Bedienung zurückgeht und ob ein begründeter Widerspruch Aussicht auf Erfolg hat. Auch hier bleibt jedoch ein Restbereich, in dem selbst sorgfältig organisierte Apotheken den Ausgang nicht vollständig steuern können.
Genau an dieser Stelle setzt die Überlegung an, ob und in welchem Umfang eine spezialisierte Retax-Versicherung als zweite Verteidigungslinie sinnvoll ist. Sie ersetzt kein Qualitätsmanagement und keine aufmerksame Teamarbeit, kann aber die Folgen einzelner formaler oder technischer Fehler im Hochpreissegment abfedern. Wenn eine Vollabsetzung mehrere tausend Euro umfasst, wird aus einem vermeintlichen Einzelfall ein Ereignis mit unmittelbarer Wirkung auf Kontostand, Kreditlinien und Investitionspläne, insbesondere bei kleineren Betrieben mit knapper Liquidität. Eine Police, die klar definiert, welche Arten von Retaxationen – insbesondere solche ohne nachweisbaren Patientenschaden – abgesichert sind und bis zu welcher Höhe, verwandelt einen unberechenbaren Risikoposten in eine kalkulierbare Größe. In Kombination mit gelebten Prozessen rund um die Chargenübermittlung schützt sie nicht vor jeder Diskussion mit Kostenträgern, mindert aber die Gefahr, dass ein fehlender Scan oder eine gestörte Schnittstelle den Jahresabschluss einer Apotheke aus der Bahn wirft. Damit wird deutlich, dass Chargenpflicht, Retaxpraxis und Versicherungslösungen gemeinsam gedacht werden müssen, wenn Hochpreiser nicht zur permanenten Bedrohung für wirtschaftlich solide geführte Apotheken werden sollen.
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