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APOTHEKE | Systemblick |
Stand: Dienstag, 18. November 2025, um 18:05 Uhr
Apotheken-News: Kommentar von heute
Kommentar von Seyfettin Günder zu den aktuellen Apotheken-Nachrichten über Versandhandel im Graubereich des Apothekengesetzes, Altlasten in der Rechtsprechung und Wettbewerbsdruck auf Vor-Ort-Apotheken
Wer sich die Konstruktion des Apothekengesetzes nüchtern ansieht, erkennt ein klares Leitbild: Die öffentliche Apotheke ist ein Präsenzbetrieb mit persönlicher Verantwortung, regionaler Verankerung und Schutzfunktion für die Bevölkerung. Der Versand sollte ursprünglich nur ein angekoppelter Arm dieser Struktur sein, kein eigenes System. Dass sich daraus heute ein fast entkoppelter Markt mit milliardenschwerem Versandvolumen, ausländischen Konzernstrukturen und Plattformlogiken entwickelt hat, ist kein Naturereignis, sondern das Ergebnis eines konsequenten Wegschauens. Zwischen dem klaren Wortlaut des Gesetzes und der gelebten Realität klafft eine Lücke, die nicht zufällig entstanden ist, sondern politisch und rechtlich zugelassen wurde. Genau diese Lücke frisst sich inzwischen in die wirtschaftliche Basis der Vor-Ort-Apotheken hinein.
Besonders irritierend ist, dass an einer entscheidenden Stelle nicht die Politik, sondern die Gerichtsbarkeit den Ball hat liegen lassen. Die Frage, ob der Versandhandel im Lichte des Apothekengesetzes wirklich so weitgehend sein darf, wie er heute praktiziert wird, hätte längst grundlegend geklärt werden können. Stattdessen blieb es bei Entscheidungen, die eher an der Oberfläche einzelner Konstellationen kratzen, als dass sie die Strukturfrage anfassen. Das verschafft kurzfristig Ruhe, ersetzt aber keine inhaltliche Auseinandersetzung. Wenn eine Norm, die den Versand als Annex aus der Apotheke heraus anlegt, jahrelang danebenher existiert, während parallel ein faktisch eigenständiger Versandsektor wächst, ist das mehr als nur eine handwerkliche Schwäche. Es ist ein stilles Eingeständnis, dass man den Konflikt zwischen Schutzfunktion und Liberalisierungsdrang nicht offen austragen will.
Die Leidtragenden sind diejenigen, die auf genau diese Schutzfunktion vertraut haben: die Vor-Ort-Apotheken, die in Notdiensten, Akutfällen und strukturschwachen Regionen präsent sind und aus gutem Grund an ein eng reguliertes Betriebskorsett gebunden wurden. Sie tragen Pflichtdienste, bevorraten Arzneimittel auch dann, wenn sie sich betriebswirtschaftlich kaum rechnen, und halten Beratungskapazitäten vor, die man nicht einfach beliebig hoch- und runterfahren kann. Dem gegenüber stehen Versandmodelle, die sich auf planbare, vielfach chronische Versorgung konzentrieren und genau jene Teile des Systems bedienen, die logistisch am attraktivsten sind. Die Asymmetrie entsteht nicht aus besserer Effizienz, sondern aus einer Schieflage der Rahmenbedingungen. Wenn der Gesetzgeber diesen Unterschied nicht offen adressiert, wird der Wettbewerb faktisch auf Schultern ausgetragen, die für eine ganz andere Aufgabe verpflichtet wurden.
Hinzu kommt die politische Dimension, die sich unübersehbar durchzieht. Der Versandhandel ist längst kein neutrales Randphänomen mehr, sondern Bestandteil großer Digitalisierungs- und Liberalisierungsnarrative, in denen Versorgung als Logistikkette verstanden und Beratung auf Callcenter, Apps und algorithmische Vorschläge reduziert wird. Es ist bequem, diesen Erzählungen zu folgen, weil sie Modernität versprechen und vermeintlich „den Markt“ sprechen lassen. Nur bleibt dabei unbeachtet, dass der Markt in einem regulierten Gesundheitswesen nie neutral ist, sondern von Regeln, Pflichten und Schutzmechanismen lebt. Wer den Versandhandel praktisch wie eine eigene Versorgungsform agieren lässt, ohne das Apothekengesetz entsprechend zu justieren, betreibt Doppelbuchführung: nach außen Bekenntnisse zur Vor-Ort-Struktur, im Schatten ein wachsendes Parallelmodell mit anderen Spielregeln.
Gerade deshalb wäre Ehrlichkeit das Minimum, das die Vor-Ort-Apotheken erwarten können. Entweder der Versand bleibt das, was er im Gesetz einmal war: eine Ergänzung der öffentlichen Apotheke, gebunden an dieselben Verantwortungslinien, Pflichten und Erreichbarkeitsansprüche. Dann müsste klar definiert werden, welche Formen zulässig sind, wie Annexstrukturen aussehen dürfen und wo die Grenze zur eigenständigen Plattform überschritten wird. Oder aber man entscheidet sich offen für ein System, in dem Versand als eigenständige Versorgungsform anerkannt wird – mit eigenen, gleichwertig strengen Schutzmechanismen und einer ehrlichen Diskussion darüber, wie Verantwortung, Haftung und Pflichten neu verteilt werden. Beides wäre konfliktträchtig, aber zumindest transparent. Das jetzige Schweben im Dazwischen ist die schlechteste aller Varianten.
Für Apothekenleitungen ist der Versandhandel deshalb längst nicht mehr nur eine Frage der Konkurrenz, sondern eine Frage der Kalkulierbarkeit von Zukunft. Wer investiert, Standorte übernimmt oder erweitert, fragt nicht nur nach heutigen Umsätzen, sondern nach der Glaubwürdigkeit des Rahmens, in dem diese Umsätze erwirtschaftet werden. Solange der Annexcharakter im Gesetz steht, die Praxis aber etwas anderes lebt, bleibt jede strategische Entscheidung mit einem Schatten belegt: Wird in ein paar Jahren der Versand zurückgeführt, härter begrenzt, stärker kontrolliert – oder wird er endgültig zum dominierenden Systemmodell erklärt? Diese Unsicherheit frisst sich in die Bereitschaft, Risiken einzugehen, Mitarbeiter zu binden und zusätzliche Versorgungsaufgaben zu übernehmen.
Am Ende läuft es auf eine einfache, aber konsequente Forderung hinaus: Wer die Vor-Ort-Apotheke als tragende Säule der Arzneimittelversorgung erhalten will, darf sie nicht mit einem Versandmodell in Konkurrenz setzen, das aus einer rechtlichen Grauzone heraus agiert. Weder ist es akzeptabel, den Versandhandel klammheimlich zum Standard zu machen, noch ist es zielführend, ihn mit Symboldebatten zu überziehen, ohne die Strukturfrage zu lösen. Was fehlt, ist eine klare politische Entscheidung, die das Apothekengesetz der gelebten Realität anpasst – entweder durch eine konsequente Rückbindung des Versands an die Präsenzstrukturen oder durch eine offene Neuordnung mit fair verteilten Pflichten. Solange diese Entscheidung ausbleibt, bleiben die Vor-Ort-Apotheken die Pufferzone zwischen Norm und Praxis. Und genau das ist der Punkt, an dem sich nicht nur ökonomische, sondern auch gesundheitspolitische Verantwortung messen lässt.
Der Versandhandel legt schonungslos offen, was passiert, wenn Regulierung, Rechtsprechung und Marktkräfte über Jahre auseinanderlaufen. Ein Gesetz, das die Apotheke als Präsenzbetrieb schützt und den Versand nur als Anhängsel zulässt, trifft auf eine Wirklichkeit, in der Pakete, Plattformen und ausländische Strukturen längst Fakten geschaffen haben. Die Zurückhaltung der Gerichte hat diesen Prozess nicht gebremst, sondern ihm Raum gegeben, sich ungestört zu entfalten, während Vor-Ort-Apotheken ihre Pflichtdienste und ihre Kostenstrukturen unverändert tragen. In dieser Gemengelage entsteht ein Klima, in dem Investitionsentscheidungen, Standorttreue und Versorgungsbereitschaft immer stärker von politischen Signalen und weniger von betrieblicher Planbarkeit abhängen. Genau dort beginnt die eigentliche Belastung: nicht im Wettbewerb allein, sondern im Gefühl, dass die Regeln des Spiels jederzeit kippen können.
Dies ist kein Schluss, der gelesen werden will – sondern eine Wirkung, die bleibt. Der Blick auf den Versandhandel zeigt, dass die Vor-Ort-Apotheken nicht an vermeintlicher Reformunfähigkeit scheitern, sondern an einer ausbleibenden Klarheit derjenigen, die den Rahmen setzen. Solange ein Annex im Gesetz steht und ein de facto eigenständiger Markt danebenher wächst, trägt die Präsenzstruktur einen doppelten Schatten aus Pflichtenlast und Rechtsunsicherheit. Eine ehrliche Entscheidung darüber, ob Versand Ergänzung oder eigene Versorgungsform sein soll, wäre mehr als Symbolpolitik; sie wäre ein Signal, dass Verantwortung für Strukturfragen übernommen wird und nicht in die Filialbüros der Inhaberinnen und Inhaber delegiert bleibt. Erst wenn klar benannt ist, welche Rolle der Versandhandel im Gefüge der Arzneimittelversorgung haben soll und welche Pflichten ihn daran binden, kann Vertrauen in langfristige Strategien wachsen. Bis dahin bleibt der Versandhandel ein Prüfstein dafür, wie ernst die politischen Bekenntnisse zur Vor-Ort-Apotheke tatsächlich gemeint sind.
SG
Prokurist | Publizist | Verantwortungsträger im Versorgungsdiskurs
Kontakt: sg@aporisk.de
Wer das für Formalie hält, unterschätzt die Verantwortung, die Sprache heute tragen muss.
Ein Kommentar ist keine Meinung. Er ist Verpflichtung zur Deutung – dort, wo Systeme entgleiten und Strukturen entkoppeln.
Ich schreibe nicht, um zu erklären, was gesagt wurde. Ich schreibe, weil gesagt werden muss, was sonst nur wirkt, wenn es zu spät ist.
Denn wenn das Recht nur noch erlaubt, aber nicht mehr schützt, darf der Text nicht schweigen.
Tagesthemenüberblick: https://aporisk.de/aktuell
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