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  • 11.11.2025 – DocMorris unter Länderliste, Präsenzpflicht unter Beweislast, Versorgungsordnung im Stresstest
    11.11.2025 – DocMorris unter Länderliste, Präsenzpflicht unter Beweislast, Versorgungsordnung im Stresstest
    APOTHEKE | Systemblick |  Der BGH macht aus der Boni-Debatte eine Systemfrage: Gilt die Präsenzpflicht nur auf dem Papier oder real? Warum das OLG-Prüfmandat über Versand...

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ApoRisk® Nachrichten - APOTHEKE:


APOTHEKE | Systemblick | 

BGH-Prüfauftrag und Präsenzpflicht, Versandrecht mit Länderliste, Aufsicht und Sanktion

 

Ausgabe Nr. 51 | Der BGH zwingt die DocMorris-Debatte aus der Boni-Schleife in die Fundamentprüfung und lässt am OLG Düsseldorf klären, ob Präsenzapotheke und Länderliste materiell erfüllt sind

Stand: Dienstag, 11. November 2025, um 18:50 Uhr

Apotheken-News: Kommentar von heute

Kommentar von Seyfettin Günder zu den aktuellen Apotheken-Nachrichten über BGH-Remittierung, OLG-Prüfauftrag und die Marktfolgen für EU-Versender

Die Gelassenheit aus Heerlen ist kalkuliert: Wer jahrelang von der Engführung „Rx-Boniverbot vs. EU-Recht“ profitiert hat, rechnet damit, dass erneut die Kulisse dominiert. Dieses Mal ist die Bühne jedoch anders gebaut. Die Richter haben die Scheinwerfer auf das Fundament gerichtet: Gilt die Länderliste nicht nur formal, sondern materiell – also Präsenzapotheke mit echter, überprüfbarer Betriebserlaubnis, Verantwortlichkeit und Aufsicht – oder genügt das Etikett? An dieser Stelle unterscheidet sich Rechtsrahmen von Rechtsfiktion.

Für die Versorgung bedeutet das zweierlei. Erstens: Ein bejahter Präsenzstandard schafft wieder Symmetrie im Wettbewerb. Wer Arzneimittel nach Deutschland liefert, muss dieselbe Schwere der Pflichten tragen – Qualitätsprozesse, Verantwortungsapotheker, Reklamations- und Kühlkettennachweis, reale Inspektionen. Zweitens: Ein verneinter Standard würde die Apothekenordnung entkernen. Wenn Präsenz zur bloßen Anschrift schrumpft, werden Preis-, Kühlketten- und Werberegeln zum Wunschkonzert und die Aufsicht zur Briefmarke.

Die Selbstverwaltung hat dabei ihre Grenzen sichtbar gemacht. Die Paritätische Stelle war gedacht als präziser Hebel gegen Preis- und Vorteilsverstöße; geworden ist sie die Stelle, an der Haftungsrisiken hängen bleiben. Das ist keine Schande, sondern Systemdiagnose: Wo Grenzfälle mit EU-Bezug drohen, braucht es klare staatliche Zuständigkeit und eine Aufsicht, die trägt – notfalls mit Bußgeldern, die spürbar sind, und Verfahren, die nicht im Schatten enden. Wer Regeln setzt, muss sie auch durchsetzen; sonst erzeugt Regulierung nur Anreiz zur Umgehung.

DocMorris riskiert im OLG-Nachlauf mehr als einen Prozesspunkt. Wird eine Präsenzapotheke im Sinn der deutschen Spielregeln verneint, öffnet das Folgefragen: Erlöspfade, die auf Versand in den deutschen Markt beruhen; Werbe- und Bonusmodelle, die von der Distanz zur Aufsicht gelebt haben; Haftungswege, die bei Qualitätsmängeln plötzlich Rückwärtsgang verlangen. Wird sie bejaht, folgt die Gegenrechnung: Dann gelten auch die vollen Pflichten der Präsenz – und zwar prüfbar, belastbar, nicht nur brochure-tauglich.

Für die Versorgung vor Ort ist der Moment strategisch. Es geht nicht um Nostalgie, sondern um Funktionslogik: Arzneimittel sind kein generisches Paketgut. Kühlkette, Beratung, Abgabehoheit, Pharmakovigilanz – all das sind Ketten, die an der schwächsten Stelle reißen. Wer Versand zulässt, muss gleichermaßen sicherstellen, dass jede dieser Stellen kontrollierbar ist. Genau dafür sind Präsenz und Aufsicht keine Folklore, sondern Sicherungsschrauben.

Die Politik steht damit vor einer einfachen, aber folgenreichen Wahl. Entweder sie belässt es bei appellativer Selbstregulierung und riskiert, dass der Rechtsrahmen dort weich wird, wo der Markt am stärksten drückt. Oder sie zieht die Linien durch: Präsenzpflicht definieren, Länderliste verifizieren, Versand-Compliance prüfen, Sanktionen staatlich verorten, Verfahren beschleunigen. In beiden Fällen zahlt der Markt – aber nur in einem bleibt Vertrauen die Währung.

Bleibt die Frage nach Fairness. Wettbewerb ist willkommen, solange er auf derselben Bahn läuft. Wer Versorgung trägt, darf rechnen; wer Vorteile aus der Ferne zieht, muss dieselben Pflichten schultern. Der BGH hat die Tür geöffnet, das OLG muss hindurch. Danach wird es keine Ausreden mehr geben – nur noch Entscheidungen, die an der Realität gemessen werden.

Ein Rechtsstreit, der als Abrechnung mit Kammerklagen begann, öffnet die Scharniere des Systems: Nicht die Rx-Preisbindung steht im Zentrum, sondern die Frage, ob grenzüberschreitender Versand ohne reale Präsenzapotheke überhaupt den Spielregeln entspricht. Genau hier liegt die tektonische Linie: Wo Präsenzpflicht, Länderliste und Aufsicht nicht sauber ineinandergreifen, verschiebt sich Marktordnung in Richtung Graubereich. Für die Vor-Ort-Versorgung ist das mehr als Symbolik; es entscheidet, ob Wettbewerb regelgebunden bleibt – oder ob Ausnahmen die Regel werden. Der BGH zwingt nun zur Klärung, die Branche zur Haltung.

Dies ist kein Schluss, der gelesen werden will – sondern eine Wirkung, die bleibt. Wenn Präsenzpflicht und Länderliste Substanz bekommen, gewinnt die Versorgung an belastbarer Ordnung und der Wettbewerb an Fairness. Wenn nicht, werden Regeln zur Dekoration, und die Kosten zahlen Patientinnen und Patienten – mit Risiken, die erst sichtbar werden, wenn etwas schiefgeht. Deshalb gehört die Sanktionierung dorthin, wo sie hingehört: in die Hand des Staates, mit klaren Zuständigkeiten und ohne Haftungsroulette in Gremien. Der Kommentar ist kein Plädoyer gegen Versand, sondern für gleiche Lasten bei gleichen Rechten. Wer den deutschen Markt will, muss die deutschen Pflichten tragen – überprüfbar, nachvollziehbar, dauerhaft.

 

SG
Prokurist | Publizist | Verantwortungsträger im Versorgungsdiskurs
Kontakt: sg@aporisk.de

Wer das für Formalie hält, unterschätzt die Verantwortung, die Sprache heute tragen muss.

Ein Kommentar ist keine Meinung. Er ist Verpflichtung zur Deutung – dort, wo Systeme entgleiten und Strukturen entkoppeln.

Ich schreibe nicht, um zu erklären, was gesagt wurde. Ich schreibe, weil gesagt werden muss, was sonst nur wirkt, wenn es zu spät ist.

Denn wenn das Recht nur noch erlaubt, aber nicht mehr schützt, darf der Text nicht schweigen.

 

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