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  • 24.07.2025 – Wenn Rezepte zur Ware verkommen, Plattformlogik Versorgung ersetzt und Verantwortung im digitalen Rauschen verschwindet
    24.07.2025 – Wenn Rezepte zur Ware verkommen, Plattformlogik Versorgung ersetzt und Verantwortung im digitalen Rauschen verschwindet
    APOTHEKE | Systemblick |  Apotheken-News-Kommentar zu Callcenter-Cannabis, digitalen Rezeptportalen, Notdienstversagen, Diphenhydramin-Missbrauch und struktureller Verantwor...

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ApoRisk® Nachrichten - APOTHEKE:


APOTHEKE | Systemblick | 

Wenn Rezepte zur Ware verkommen, Plattformlogik Versorgung ersetzt und Verantwortung im digitalen Rauschen verschwindet

 

Ausgabe Nr. 22 | Callcenter-Cannabis, Rezeptbetrug, Muscimol-Gummis, Apothekenverlust, Telemedizinversagen, Notdienstchaos, KKH-Schaden, Regulierungsversagen

Apotheken-News: Kommentar von heute

Kommentar von Seyfettin Günder zur heutigen Lage im digitalen Gesundheitswesen – zwischen Rezeptverflachung, Plattformlogik, Kontrollverlust und ethischer Implosion.

Inmitten der täglichen Innovationsrhetorik wirkt die Realität des Gesundheitswesens wie ein entfesselter Spiegel: Die Strukturen spiegeln sich selbst nicht mehr, sie multiplizieren Brüche. Was einst als ärztliche Anamnese galt, wird heute als Prozess definiert, den man beschleunigen, vereinfachen und skalieren kann. Aber Skalierbarkeit ersetzt keine Verantwortung. Der digitale Raum, der Versorgung effizienter machen sollte, erzeugt nun ein Vakuum – nicht der Technik, sondern der Haltung.

Dass Plattformen heute Cannabis verschreiben, noch bevor der erste Satz im Arztgespräch ausgesprochen wurde, ist kein Versehen. Es ist ein Geschäftsmodell. Und zwar eines, das auf der formalen Existenz eines Rezepts basiert – nicht auf seiner inhaltlichen Qualität. Die ärztliche Indikation ist zur durchklickbaren Kategorie geworden, juristisch sauber, medizinisch entkernt. Dass nun die Ärztekammer Nordrhein selbst eingreift und klarstellt, „das sei keine medizinische Versorgung mehr“, ist keine Eskalation – es ist ein letzter Versuch, Begriffe zu retten, die längst zu Worthülsen verkommen sind.

Das Prinzip der Rezeptvergabe „auf Zuruf“ wird dabei nicht nur durch Cannabis durchgespielt. Auch die Missbrauchsentwicklung bei Diphenhydramin in den USA – und die importierte Social-Media-Logik dahinter – zeigen, wie schnell medizinische Substanzen ihre ursprüngliche Intention verlieren, wenn digitale Vermittlungsketten nicht durch Verantwortungsinstanzen kontrolliert werden. Dass Jugendliche ihre Überdosierungen inzwischen filmen, um damit Reichweite zu erzielen, ist keine moralische Episode. Es ist eine strukturelle Kapitulation des Systems vor Plattformmechanismen.

Hinzu kommt die Normalisierung grauer Konsumräume – wie etwa durch Muscimol-Gummis auf Basis des Fliegenpilzes. Produkte, die weder Arznei noch klar definiertes Lebensmittel sind, durchschlüpfen ein regulatorisches Raster, das auf Disziplin und Normtreue ausgelegt ist – nicht auf bewusste strategische Umgehung. Was sich hier zeigt, ist die finale Schwäche eines Systems, das lineare Ordnung auf nichtlineare Marktakteure anwendet – und daran scheitert. Die Plattformlogik agiert in Echtzeit, die Gesetzgebung im Zeitlupenparlament.

Der dabei entstehende Schaden ist nicht nur medizinisch – er ist politisch, ökonomisch und psychologisch. Apothekerinnen und Apotheker stehen zunehmend an letzter Stelle einer Kette, die sie nicht steuern, aber verantworten sollen. Wenn ein Rezept aus einer Plattformstruktur stammt, das Produkt aus einem fremdgesteuerten Versandmodell kommt und die Indikation bestenfalls ein Fragebogen war – dann bleibt dem Apothekenteam vor Ort oft nur noch das Abarbeiten von Formalitäten. Und wenn dann ein Schaden entsteht, wenn ein Medikament missbraucht wird, wenn etwas fehlt, dann lautet die erste Frage des Systems: Wer hat das Medikament abgegeben? Nicht: Wer hat die Indikation missbraucht?

Die KKH hat in diesem Jahr mit 5,4 Millionen Euro ihren größten dokumentierten Betrugsschaden gemeldet. Dabei steht der Arzneimittelsektor an zweiter Stelle. Und obwohl dies nur auf wenige Einzelfälle zurückgeht, hat das einen enormen strukturellen Effekt. Denn wo Vertrauen schwindet, wird Kontrolle gefordert. Aber Kontrolle in einem System, das auf Plattformlogik basiert, ist ein Phantom. Sie erzeugt nur Scheinsicherheit. Und wieder sind es die klassischen Versorger – die Apotheken –, die das Kontrollversprechen aufrechterhalten sollen. Ohne Einblick. Ohne Mitsprache. Ohne Sicherheit.

Auch beim Thema Ozempic zeigt sich, wohin diese Entwicklung führt. Der neue 8-Wochen-Pen soll logistische Vorteile bringen – weniger Ausgaben, weniger Interaktionen. Aber was dabei übersehen wird: Jeder Kontaktverlust ist ein Beratungsverlust. Weniger Fragen. Weniger Aufklärung. Weniger Sicherung. Dafür mehr Durchlauf, mehr Automatisierung – mehr Risiko.

Und währenddessen experimentiert man mit KI-Notdienstverteilung, obwohl die Realität längst eine andere ist: Apotheken schließen. Notdienstkreise schrumpfen. Die KI kann verteilen, was es strukturell nicht mehr gibt. Es ist, als würde man ein Netz spannen, obwohl keine Pfosten mehr stehen. Was bleibt, ist die Simulation eines Systems. Und darin liegt die gefährlichste Illusion: dass alles weiter funktioniere, solange es Datenpunkte gibt, die das System aufrechterhalten.

Der tiefere Skandal liegt nicht in den Plattformen selbst – sie handeln systemlogisch, nicht verantwortungsethisch. Der Skandal liegt darin, dass wir keine Begrenzungskraft mehr dagegen setzen. Kein rechtlicher Filter, der Wirkung zeigt. Kein politisches Leitbild, das Orientierung gibt. Kein regulatorischer Hebel, der Kontrolle durchsetzt. Stattdessen: Debatten über Einzelphänomene – statt Systemanalyse. Symbolische Verbote – statt strukturelle Klarstellungen.

Wer über die Zukunft der Telemedizin spricht, darf nicht über Technologie sprechen, sondern über Verantwortung. Wer Rezepte über Algorithmen vertreibt, muss Indikation wieder zur ärztlichen Entscheidung machen. Wer Apotheken mit digitalen Risiken überflutet, muss ihnen Schutz geben – und nicht nur Schuld zuweisen, wenn etwas schiefläuft.

Die Frage ist nicht, ob das System noch steuerbar ist. Die Frage ist, ob wir bereit sind, es überhaupt wieder zu steuern. Denn wenn der letzte ärztliche Blick durch ein Formular ersetzt wird, das in einer anderen Zeitzone generiert wurde, dann ist Versorgung kein Versprechen mehr – sondern ein Zufallsprodukt.

 

SG
Prokurist | Publizist | Verantwortungsträger im Versorgungsdiskurs
Kontakt: sg@aporisk.de

Wer das für Formalie hält, unterschätzt die Verantwortung, die Sprache heute tragen muss.

Ein Kommentar ist keine Meinung. Er ist Verpflichtung zur Deutung – dort, wo Systeme entgleiten und Strukturen entkoppeln.

Ich schreibe nicht, um zu erklären, was gesagt wurde. Ich schreibe, weil gesagt werden muss, was sonst nur wirkt, wenn es zu spät ist.

Denn wenn das Recht nur noch erlaubt, aber nicht mehr schützt, darf der Text nicht schweigen.

 

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