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APOTHEKE | Systemblick |
Stand: Sonntag, 30. November 2025, um 16:50 Uhr
Apotheken-News: Kommentar der Woche
Kommentar von Seyfettin Günder zu den aktuellen Apotheken-Nachrichten über Apothekensterben, vertagte Fixumzusagen, politisch einkalkulierte Standortverluste und die Frage, wer heute noch eine Apotheke in der Nähe braucht
Wer heute öffentlich sagt oder still hinnimmt, dass fünfzehntausend Apotheken für ein Land wie Deutschland ausreichen, trifft keine neutrale Strukturentscheidung, sondern akzeptiert Versorgungslücken als Preis für einen Haushalt, der an anderer Stelle Prioritäten setzt. Die Botschaft hinter dieser Zahl ist brutal schlicht: Jede geschlossene Apotheke ist kein Alarm, sondern eine erwünschte oder zumindest tolerierte Anpassung. Gleichzeitig steht im Koalitionsvertrag ein Fixum, das nie Realität geworden ist, obwohl alle Kostentreiber seit Jahren nach oben zeigen. Wer beides zusammennimmt, das politisch gefeierte Versprechen und die seither angewandte Sparpraxis, erkennt ein Muster: Die wohnortnahe Versorgung wird im Zweifel nicht als harte Grenze, sondern als variable Größe behandelt, an der man zuerst dreht, wenn der Etat eng wird.
Es geht längst nicht mehr nur um die Frage, ob ein Berufsstand genug verdient oder ob ein paar Cent pro Packung mehr oder weniger betriebswirtschaftlich verkraftbar sind. Es geht darum, ob der Staat eine Infrastruktur, auf die sich alle verlassen, auch dann schützt, wenn es unbequem wird. Apotheken tragen Lasten, die sich schlecht bilanzieren lassen: Sie sortieren Fehldiagnosen aus dem Internet aus, sie bremsen Medikationsfehler aus, sie fangen Menschen auf, die am Rand des Systems stehen. Wenn diese Arbeit mit einer seit zwei Jahrzehnten real entwerteten Vergütung beantwortet wird, lautet die unausgesprochene Antwort: Diese Leistung ist offenbar ersetzbar oder zumindest beliebig verdichtbar. Fünfzehntausend Apotheken sind dann nicht die Untergrenze für Versorgung, sondern die Zielmarke für ein System, das weniger Hausnummern und mehr Plattformen will.
Wer so argumentiert, beruft sich gern auf Botendienste und Versandhandel. Diese seien flexibel, modern, effizient und könnten Lücken schließen, die durch Schließungen entstünden. Das klingt technisch sauber und politisch beruhigend, verschweigt aber den Unterschied zwischen einem Paketweg und einem Versorgungsweg. Ein Paket kann warten, ein akuter Anfall nicht. Ein Karton kennt keine Rückfragen, eine verunsicherte Patientin schon. Botendienste sind eine starke Ergänzung, wenn sie auf einer stabilen Apothekenstruktur aufsetzen; sie werden zu einem Notbehelf, wenn die Stationen, von denen sie ausgehen, ausgedünnt werden. Versandhandel kann Standardversorgung im Routinefall abbilden, aber nicht die Vielzahl von Grenzsituationen, in denen Einschätzung, Abwägung und unmittelbare Intervention gebraucht werden. Wer all das ignoriert, rechnet mit Menschen in Tabellen, nicht mit Patienten im Alltag.
Das eigentlich Verstörende ist die politische Unehrlichkeit, mit der diese Entwicklung begleitet wird. Auf Landesebene gibt es warme Worte, man spricht von Sorge, von Wertschätzung, von Anerkennung der Leistung. In den Haushaltsbeschlüssen und in den Reformtexten erscheinen Apotheken dagegen vor allem als Kostenfaktor, der moderiert, gedeckelt, verschoben werden muss. Wenn ein Fixum schwarz auf weiß vereinbart wird und wenige Jahre später die Rede davon ist, dass die Finanzlage der GKV es „leider“ nicht hergibt, ist das kein bedauerlicher Zufall, sondern ein Bruch im Vertrauensvertrag. Wer so agiert, darf sich nicht wundern, wenn Apothekenpolitik als Spiel mit gezinkten Karten wahrgenommen wird. Man macht heiß mit Versprechen und kühlt dann ab mit Sparlogik, in der Hoffnung, dass der Berufsstand sich schon damit abfinden wird, solange das System nicht schlagartig kollabiert.
Die Wahrheit ist: Ein System der gestreckten Unterversorgung entsteht nicht in einem großen Knall, sondern in vielen kleinen Schritten, von denen jeder für sich genommen noch als „vertretbar“ erscheint. Heute schließt eine Apotheke, morgen werden Öffnungszeiten gekürzt, übermorgen wird der Notdienstkreis größer. Jedes Mal lässt sich statistisch argumentieren, dass die Versorgung noch „ausreichend“ sei. Erst wenn im ländlichen Raum Wege unzumutbar lang werden, wenn Stadtviertel ganze Schichten an niederschwelliger Versorgung verlieren, wenn Engpässe nicht mehr über Netze, sondern nur noch über Glück abgefedert werden, zeigt sich, was diese kumulierten Einschnitte bedeuten. Wer sich dann überrascht gibt, hat vorher bewusst weggesehen. Fünfzehntausend Apotheken sind in dieser Logik nicht das Ende einer unfreiwilligen Entwicklung, sondern eine Etappe auf einem Weg, der nie offen benannt wurde.
Die Frage, wer Apotheken in der Nähe braucht, ist in Wahrheit schnell beantwortet. Alle, die nicht davon ausgehen können, immer gesund, mobil, digital versiert und sozial gut angebunden zu sein. Kinder, die nachts Fieber bekommen. Pflegebedürftige, deren Medikamente ständig nachjustiert werden müssen. Menschen, die mehrere Sprachen sprechen, aber in keiner so sicher sind, dass sie Packungsbeilagen problemlos verstehen. Berufstätige, die zwischen Arbeit, Familie und Pflegeverantwortung jonglieren und keinen Puffer für Umwege haben. Sie alle sind keine Randgruppen, sondern das Gesicht dieser Gesellschaft. Wer ihnen den schnellen, verlässlichen Zugang zur Apotheke entzieht, riskiert mehr falsch eingenommene Präparate, mehr abgebrochene Therapien, mehr stille Verläufe, die erst spät eskalieren. Das ist kein abstraktes Risiko, sondern eine absehbare Folge politischer Entscheidungen.
Deshalb braucht dieses Thema mehr als sanfte Hinweise und stille Frustration im Berufsstand. Es braucht eine klare Botschaft an die Entscheidungsträger: Wer die Fixumzusage aus dem Koalitionsvertrag nicht einlöst und gleichzeitig ein Schrumpfen der Apothekenzahl toleriert, trifft eine bewusste Wahl gegen die wohnortnahe Versorgung. Man kann das aussprechen, man kann es verschleiern, aber man kann es nicht wegdiskutieren. Wenn fünfzehntausend Apotheken für „ausreichend“ erklärt werden, wird das Land andere Bilder aushalten müssen: leere Schaufenster, längere Wege, erschöpfte Teams, wachsende Unsicherheit. Wer diese Bilder verhindern will, muss aufhören, über Apotheken wie über austauschbare Kostenstellen zu sprechen – und anfangen, sie wieder als das zu behandeln, was sie sind: kritische Infrastruktur, deren Ausfall nicht in Euro und Cent, sondern in verpassten Chancen auf Gesundheit bezahlt wird.
Die Debatte um fünfzehntausend Apotheken wirkt auf den ersten Blick wie eine nüchterne Strukturfrage, doch unter der Oberfläche entfaltet sie eine viel tiefere Dynamik: Sie zeigt, wie still und schleichend ein Versorgungssystem ausgedünnt werden kann, wenn politische Prioritäten andere Wege einschlagen und finanzielle Zwänge als Sachzwang präsentiert werden. Jede verschobene Fixumzusage und jede als tolerierbar deklarierte Schließung verschiebt den Maßstab dessen, was als „noch tragfähig“ gilt. So entsteht ein Bild, in dem wohnortnahe Versorgung nicht mehr selbstverständlich ist, sondern zu einer optionalen Größe wird, die erst auffällt, wenn sie bricht.
Dies ist kein Schluss, der gelesen werden will – sondern eine Wirkung, die bleibt.
Wenn ein Land akzeptiert, dass Apothekensterben ein legitimer Preis für Haushaltseffizienz ist, verändert sich leise das Verständnis von Daseinsvorsorge. Die verschobene Fixumzusage und das politisch tolerierte Schrumpfen der Apothekendichte senden ein klares Signal: Nähe steht nicht oben auf der Prioritätenliste. Die Folgen tauchen nicht als dramatischer Systemkollaps auf, sondern in alltäglichen Situationen, in denen Wege länger, Beratung seltener und Unsicherheiten größer werden. Der wahre Kern dieses Konflikts liegt nicht in Centbeträgen oder Strukturplänen, sondern in der Frage, wie ernst Politik den Anspruch nimmt, allen Menschen in diesem Land verlässliche und erreichbare Versorgung zu garantieren.
SG
Prokurist | Publizist | Verantwortungsträger im Versorgungsdiskurs
Kontakt: sg@aporisk.de
Wer das für Formalie hält, unterschätzt die Verantwortung, die Sprache heute tragen muss.
Ein Kommentar ist keine Meinung. Er ist Verpflichtung zur Deutung – dort, wo Systeme entgleiten und Strukturen entkoppeln.
Ich schreibe nicht, um zu erklären, was gesagt wurde. Ich schreibe, weil gesagt werden muss, was sonst nur wirkt, wenn es zu spät ist.
Denn wenn das Recht nur noch erlaubt, aber nicht mehr schützt, darf der Text nicht schweigen.
Tagesthemenüberblick: https://aporisk.de/aktuell
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