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  • 22.06.2025 – Apotheken-Nachrichten von heute: Reformversprechen ohne Takt, Strukturdebatten ohne Rückgrat, Betriebswirtschaft ohne Bodenhaftung
    22.06.2025 – Apotheken-Nachrichten von heute: Reformversprechen ohne Takt, Strukturdebatten ohne Rückgrat, Betriebswirtschaft ohne Bodenhaftung
    APOTHEKE | Medienspiegel & Presse | Warum das Ministerium keine Linie findet, Gerichte Alltagsrisiken neu bewerten und Apotheken mit Klimastrategien vorausgehen – ein Lageb...

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ApoRisk® Nachrichten - APOTHEKE:


APOTHEKE | Medienspiegel & Presse |

Apotheken-Nachrichten von heute: Reformversprechen ohne Takt, Strukturdebatten ohne Rückgrat, Betriebswirtschaft ohne Bodenhaftung

 

Warum das Ministerium laviert, die Abda stagniert und die Realität den Apotheken wehtut

Während die Bundesregierung vage und unverbindlich von einer „zeitnahen“ Apothekenreform spricht, verschärft sich die Realität vor Ort: Apothekenschließungen nehmen zu, Versorgungslücken klaffen, technische Ausfälle lähmen Prozesse – und gleichzeitig bleibt die politische Reaktion auf dem rhetorischen Stand-by. Das Ministerium laviert, die Abda stagniert, und die Apotheken müssen wirtschaftlich wie rechtlich improvisieren, um zu überleben. Parallel dazu werden grundlegende Fragen der sozialen und betrieblichen Verantwortung verhandelt: Ein Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt erkennt selbst den Kaffeetassen-Sturz bei einer Besprechung als Arbeitsunfall an, während das Oberlandesgericht Hamm klarstellt, dass auch geleaste E-Auto-Akkus vollkaskoversichert sein können – beides Beispiele dafür, wie kontextbasierte Schutzlogik neu ausgelegt wird. Die politische Forderung nach Bürokratieabbau verpufft derweil im Dickicht wechselseitiger Regelkomplexe, in dem Vereinfachung immer neue Ausnahmen produziert. Und doch zeigen Apotheken, wie konkrete Handlungsmacht aussehen kann: Mit dem Nachhaltigkeitsleitfaden der ABDA beginnen viele Betriebe, ihre Prozesse klimasensibel zu gestalten – vom Einkauf über Beratung bis zur IT. Dass die gesetzlichen Krankenkassen im selben Moment einen trügerischen Quartalsüberschuss vermelden, der kaum zur Hälfte der geforderten Mindestreserve reicht, unterstreicht, wie weit Wunsch und Wirklichkeit im Gesundheitswesen auseinanderdriften.

 

Reformversprechen ohne Takt, Strukturdebatten ohne Rückgrat, Betriebswirtschaft ohne Bodenhaftung

Warum das Ministerium laviert, die Abda stagniert und die Realität den Apotheken wehtut

Die Wortwahl der Bundesregierung zum Thema Apothekenreform ist inzwischen ein semantisches Lehrstück für ausweichende Verantwortung. Dass man die Reform „möglichst zeitnah“ angehen wolle, bedeutet übersetzt: Es gibt keinen Plan, kein Datum, keine Dringlichkeit – und vermutlich auch keinen echten politischen Willen. In einem Umfeld, in dem immer neue Versorgungslücken entstehen, Rezepte wegen technischer Ausfälle nicht beliefert werden können und Standorte endgültig schließen, ist diese vage Ankündigung ein fatales Signal. Die politische Prioritätensetzung scheint klar: Apotheken rangieren irgendwo hinter Digitalisierungsverträgen, Krankenhausstrukturgesetz und Bundeswehrbeschaffungsamt. Dass dabei mit jedem verlorenen Tag Versorgungssicherheit ausgehöhlt wird, scheint im Ministerium bewusst in Kauf genommen zu werden – mit dem üblichen Hinweis auf die Gesamtkomplexität des Systems, auf Gespräche mit Stakeholdern und die Notwendigkeit einer nachhaltigen Lösung. Gemeint ist aber etwas anderes: Man will die Reform so lange hinauszögern, bis sich Teile des Problems von selbst erledigt haben – nämlich durch das wirtschaftliche Verschwinden kleiner Apotheken.

Während also das Ministerium laviert, kämpft die ABDA auf offener Bühne mit sich selbst. Die Strukturreform, die längst hätte tragfähig beschlossen sein sollen, wird zur internen Zerreißprobe. Stimmen, die einen moderneren, transparenteren Verband fordern, treffen auf Gremien, die um Einfluss bangen. Die Organisation wirkt blockiert, nicht entscheidungsfreudig, sondern mit sich selbst beschäftigt – und das in einer Zeit, in der politische Schlagkraft entscheidend wäre. Die Folge ist eine spürbare Machtlücke in der Interessenvertretung. Wo früher ein Präsident auf dem Podium stand, ringen nun Gremien um Beschlussfähigkeit. Das schwächt nicht nur die Außenwirkung, sondern verhindert auch glaubwürdige Positionspapiere und abgestimmte Kampagnen. Und während sich die ABDA mit ihren Strukturen beschäftigt, rutscht das Apotheken-Zukunftspapier vom politischen Schreibtisch in die Schublade des ministerialen Irgendwann. Die Vorschläge zu Prävention, Telepharmazie, Digitalisierung und Versorgungsflexibilität, die einst unter dem Etikett „Zukunftssicherung“ aufbereitet wurden, sind in den Hintergrund gerückt – weil kein politischer Resonanzraum vorhanden ist, in dem man sie platzieren könnte.

Gleichzeitig verdichten sich die betriebswirtschaftlichen Warnsignale. Dass eine Apotheke heute mindestens 2 bis 2,5 Millionen Euro Jahresumsatz benötigt, um kostendeckend zu arbeiten, ist längst keine Polemik mehr, sondern eine unternehmerische Realität. Personal, Miete, Warenvorfinanzierung, Energiekosten und IT-Infrastruktur summieren sich zu Fixkosten, die sich mit einem klassischen Mittelumsatz kaum noch abdecken lassen. Kleine Landapotheken geraten ins wirtschaftliche Trudeln, während Filialverbünde auf Effizienz optimieren. Doch auch sie stoßen an Wachstumsgrenzen – nicht wegen fehlender Nachfrage, sondern wegen fehlender Rahmenbedingungen: Rabattverträge, Retaxationen, Lieferengpässe, versicherungstechnische Risiken und ein steigender Druck durch digitale Wettbewerber sorgen für ein unternehmerisches Risiko, das sich selbst mit wirtschaftlicher Professionalität nicht mehr vollständig kalkulieren lässt.

Besonders deutlich wird die Gefährdungslage beim Thema Rechtsform. Die Debatte um die Apotheken-GmbH ist mehr als ein juristisches Randthema: Es ist ein Spiel mit dem Feuer. Wer Kapitalgesellschaften im Apothekenmarkt ermöglicht, verändert nicht nur die Betriebsform, sondern auch die Zielstruktur der Versorgung. Patientennähe, Gemeinwohlverpflichtung, Beratungstreue – all das wird sekundär, wenn Investorenrendite zur primären Richtschnur wird. Das Beispiel Pflegeheime zeigt, wohin die Reise führen kann, wenn Marktakteure ohne Fachbindung, aber mit Kapitalinteresse Versorgung als Renditeobjekt betrachten. Der Versuch, solche Modelle unter dem Deckmantel moderner Effizienz oder angeblicher Gleichbehandlung durchzudrücken, untergräbt die Grundarchitektur des heilberuflichen Systems. Dass das Bundesgesundheitsministerium hier keine klare Kante zeigt, sondern Gespräche über „strukturflexible Modelle“ in Aussicht stellt, ist angesichts der Lage keine Vermittlung, sondern ein Rückzug aus Verantwortung.

In diesem Gemenge aus politischer Unverbindlichkeit, verbandlicher Selbstbeschäftigung und betriebswirtschaftlichem Existenzkampf geraten auch jene Zukunftsbereiche unter die Räder, in denen Apotheken längst Mehrwert liefern – etwa bei der Prävention. Impfangebote, Medikationsberatung, Blutdruckscreenings oder die Versorgung vulnerabler Gruppen sind nicht nur Leistungsspektrum, sondern systemrelevanter Bestandteil einer dezentralen Gesundheitsarchitektur. Doch ohne politischen Rückhalt, ohne gezielte Finanzierung und ohne mediale Sichtbarkeit werden diese Leistungen entwertet – nicht in der Praxis, aber im politischen Gedächtnis. Und so entsteht eine paradoxe Realität: Während Apotheken täglich unter Einsatz aller Ressourcen systemisch mitwirken, werden sie in der Gesundheitsplanung wie eine lästige Restgröße behandelt – zu teuer, zu laut, zu kleinteilig.

Was bleibt, ist eine Branche zwischen struktureller Lähmung, politischer Ignoranz und wirtschaftlicher Prekarität. Der Appell an Reformen verhallt, die Gesprächsangebote versanden, und das Zukunftspapier verstaubt. Vielleicht ist genau das die politische Strategie: keine Entscheidung ist auch eine Entscheidung – und sie kostet nichts. Außer: Vertrauen, Versorgungssicherheit und einen ganzen Berufsstand.

 

Schutz wird zur Schranke, Verfahren lähmen Wandel, Regulierung ersetzt Verantwortung

Warum der politische Ruf nach Entlastung scheitert, wenn Verwaltung und Gesetzgebung sich gegenseitig verschachteln

Der Abbau bürokratischer Hürden steht auf der politischen Agenda, doch der tatsächliche Wandel bleibt aus – weil der Schutz, den Regeln einst bieten sollten, längst zu einem Schutzwall für sich selbst geworden ist. In fast allen Sektoren des öffentlichen Lebens hat sich eine Verwaltungsarchitektur etabliert, die Prozesse nicht nur absichert, sondern zugleich lähmt. Mit jedem neuen Paragraphen, der der Risikominimierung dienen soll, entstehen neue Anforderungen, Schnittstellen, Berichtspflichten – und genau jene kafkaesken Schleifen, die längst Symbolbild staatlicher Selbstblockade sind. Der vielbeschworene Bürokratieabbau gerät zur Phrase, weil sich Gesetze und Verordnungen ineinander verkeilen wie Zahnräder ohne Rückwärtsgang. Wer heute eine Vereinfachung beschließt, muss morgen eine Ausnahme für eine Ausnahmeregelung mitliefern – das produziert statt Entlastung eine neue Komplexitätsschicht.

Was einst als Schutz gedacht war, ist in vielen Bereichen zum Ersatz für Verantwortung geworden. Entscheidungen werden nicht mehr getroffen, sondern verwaltet. Prozesse sind nicht mehr Mittel zum Zweck, sondern Selbstzweck. Gerade in der öffentlichen Verwaltung und in regulierten Bereichen wie Gesundheit, Bauen, Bildung oder Energie wird deutlich: Der Staat traut sich nicht mehr, Entscheidungen zu treffen, ohne sie doppelt abzusichern – juristisch, statistisch, dokumentarisch. Dabei lähmt gerade diese Kaskade an Verantwortungsdiffusion jeden Gestaltungsspielraum. Wer etwa eine Apotheke eröffnen, ein neues Wohnprojekt starten oder eine digitale Plattform für Gesundheitsleistungen entwickeln will, sieht sich mit einem administrativen Prüfregime konfrontiert, das weder Beschleunigung kennt noch Innovation zulässt. Und das, obwohl politische Reden regelmäßig Vereinfachung versprechen.

Das Problem ist strukturell: Bürokratie ist nicht bloß die Summe vieler Regelungen, sondern ein System gegenseitiger Absicherungen. Ministerien regulieren, Parlamente kontrollieren, Behörden exekutieren – und alle gemeinsam sorgen dafür, dass nichts schiefgeht, indem sie jeden Schritt vordenken, absichern, dokumentieren. Doch wer alles absichern will, verhindert auch das Gelingen. Kein Zufall also, dass der Nationale Normenkontrollrat seit Jahren beklagt, wie jeder „Bürokratieentlastungsgesetzentwurf“ am Ende mehr neue Normen erzeugt als bestehende abbaut. Was fehlt, ist ein Paradigmenwechsel: Bürokratieabbau gelingt nicht durch die Reduktion einzelner Formulare, sondern durch das Neudenken staatlicher Verantwortungsteilung.

Zudem wird die politische Debatte von Missverständnissen durchzogen. Bürokratieabbau wird häufig mit Deregulierung gleichgesetzt, dabei geht es nicht um den Verzicht auf Kontrolle, sondern um die Reduktion von Selbstblockade. Auch das Argument des Verbraucherschutzes wird oft instrumentalisiert, um Regelungen zu zementieren, obwohl längst klar ist: Ein überregulierter Schutzmechanismus schützt nicht, er verwaltet. Der Preis ist hoch – nicht nur in Euro, sondern in Innovationskraft, Geschwindigkeit und Vertrauen. Denn je dichter der Regelwald, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass sich darin niemand mehr orientieren kann – weder Antragsteller noch Entscheider.

Ein dritter systemischer Fehler liegt in der Inkonsistenz zwischen politischen Forderungen und operativer Umsetzung. Während auf Bundes- und Länderebene Bürokratieabbauprogramme beschlossen werden, entstehen auf nachgeordneten Ebenen neue Regelkaskaden. Die Kommunen, häufig auf sich allein gestellt, müssen mit dem bestehenden Personalstand und begrenzten digitalen Werkzeugen umsetzen, was auf höherer Ebene beschlossen wurde – ein Paradox, das den Widerstand gegen vermeintliche Entlastungen zusätzlich verschärft. Auch die Digitalisierung ist kein Allheilmittel, solange Prozesse nicht zuerst vereinfacht, sondern bloß in Software gegossen werden. Kompliziertes bleibt kompliziert – auch digital.

Der Blick nach vorne verlangt eine radikale Rückbesinnung auf den Kern staatlichen Handelns: Verantwortung übernehmen, Vertrauen ermöglichen, Risiken eingehen, um Wirkung zu entfalten. Das bedeutet auch, bestehende Schutzmauern bewusst abzutragen – nicht blindlings, sondern gezielt dort, wo sie Innovation verhindern, Geschwindigkeit blockieren oder Entscheidungen delegitimieren. Es braucht mehr Mut zur Lücke und mehr Vertrauen in die Fachlichkeit derjenigen, die tagtäglich mit Regelwerken umgehen müssen – in Apotheken, Planungsämtern, Pflegeeinrichtungen, Schulbehörden und Unternehmen. Der Schutz darf nicht länger Selbstzweck sein. Erst wenn das anerkannt ist, wird Bürokratieabbau mehr als ein rhetorisches Versprechen. Dann wird er zur politischen Kulturleistung.

 

Fachkräfte führen, Risiken absichern, Vielfalt strukturieren

Wie Apotheken internationale Kolleg:innen integrieren, Schutzverantwortung übernehmen und Beratungskompetenz neu verorten

Wer Integration fordert, muss Strukturen schaffen – und sie rechtlich sichern. In deutschen Apotheken zeigt sich der Fachkräftemangel längst nicht mehr nur als betriebswirtschaftliches Problem, sondern als strukturelle Führungsaufgabe. Denn wo Personal fehlt, treten zunehmend internationale Bewerber:innen auf den Plan – häufig qualifiziert, aber formell noch nicht anerkannt. Daraus erwächst eine doppelte Verantwortung: Einerseits gilt es, das Potenzial dieser Kräfte nicht zu vergeuden. Andererseits müssen Apotheken gewährleisten, dass rechtliche Sicherheit, Versicherungsschutz und Teamklarheit jederzeit gewahrt bleiben. Eine Herausforderung, die weniger mit Paragrafen als mit Haltung zu tun hat – und mit dem Mut zur konkreten Umsetzung.

Ein Praxisbeispiel aus Sachsen demonstriert, wie betriebliche Integration auch in einem komplexen regulatorischen Umfeld gelingen kann. Dort nahm eine Apothekerin zwei arabischsprachige Kollegen ins Team auf, die über ein abgeschlossenes Pharmaziestudium verfügten, deren formale Anerkennung jedoch noch ausstand. Statt sie in die Statistenrolle zu drängen, schuf sie ein Onboarding-System, das rechtlich sauber, menschlich motivierend und organisatorisch tragfähig war: Spracharbeit, strukturierte Aufgabenverteilung, begleitete Kommunikation mit Patient:innen – alles dokumentiert, reflektiert, versichert. Das Resultat: nicht nur Entlastung im Tagesgeschäft, sondern ein Team, das gewachsen ist – an Verantwortung, an Miteinander und an Wirkung.

Diese Wirkung reicht über das Team hinaus. Denn Integration im Handverkauf bedeutet nicht einfach nur „mitarbeiten lassen“, sondern eine neue Qualität der Beratung zu erschließen: durch Sprache, kulturelles Verständnis, Vertrauen. Gerade bei arabischsprachigen Kund:innen erwies sich die neue personelle Aufstellung als Standortvorteil – nicht aus Marketinggründen, sondern aus echtem Bedarf heraus. In der Kindermedikation, bei chronischen Erkrankungen oder bei sensiblen Themen wie Frauengesundheit war das mehr als hilfreich – es war entscheidend. Denn nur wer versteht, kann auch aufklären. Und nur wer aufklärt, kann sicher versorgen.

Die rechtlichen und wirtschaftlichen Risiken sind dabei nicht zu unterschätzen. Wer ausländische Fachkräfte vor Anerkennung ins Team integriert, bewegt sich auf regulatorisch anspruchsvollem Terrain. Der Fehler beginnt oft schon bei der Annahme, dass gesetzliche Unfallversicherungen pauschal greifen – tun sie nicht. Ohne klar definiertes, dokumentiertes Anstellungsverhältnis droht im Fall eines Arbeitsunfalls nicht nur Deckungsausfall, sondern persönliche Haftung der Inhaberin oder des Inhabers. Deshalb braucht jede Integration ein starkes Fundament: Aufgabenprofile, Versicherungsnachweis, Validierung durch Rechtsberatung oder Standesvertretung. Betriebswirtschaftlich ist das keine Last – es ist eine Investition in Sicherheit.

Gleiches gilt für die emotionale Dimension. Menschen, die in einem fremden Land eine berufliche Anerkennung durchlaufen, befinden sich in einer Lebensphase voller Unsicherheiten – sprachlich, kulturell, sozial. Diese Unsicherheiten lassen sich nicht „wegorganisieren“. Aber sie lassen sich ernst nehmen. In der sächsischen Apotheke entstand daraus ein System aus Mentoring, Supervision, wöchentlichen Feedbackgesprächen und gezielter Prüfungsvorbereitung – nicht als Nebenprodukt, sondern als struktureller Bestandteil der Arbeit. Wer so führt, schafft nicht nur Wissen, sondern Bindung. Und wer Bindung erzeugt, verhindert Fluktuation.

Darin liegt eine Lehre für die ganze Branche: Integration ist keine karitative Geste, sondern ein strategischer Akt. Sie schützt – vor Haftungsrisiken, vor Fachkräftemangel, vor Missverständnissen. Und sie wirkt – nach innen wie nach außen. Apotheken, die ihre multikulturelle Kompetenz aktiv entwickeln, gewinnen neue Zielgruppen, sichern Beratungskontinuität und profilieren sich reputativ als Arbeitgeber. Die entscheidende Währung dabei heißt nicht Zertifikat, sondern Vertrauen. Und Vertrauen entsteht nur, wenn Verantwortung konsequent gelebt wird – nicht auf dem Papier, sondern im Alltag.

Der Weg dahin führt über klare Regeln. Apotheken müssen genau definieren, was internationale Kräfte im HV dürfen – und was nicht. Keine Beratung ohne Approbation, aber sehr wohl kommunikative Unterstützung, Übersetzung, Rezeptannahme unter Aufsicht, strukturierte Mitwirkung in logistischen Abläufen. Der Unterschied zwischen rechtlich relevanter Handlung und unterstützender Tätigkeit muss intern wie extern transparent sein – dokumentiert, versichert, kommuniziert. Nur dann kann das Team geschlossen agieren, ohne Angst vor Fehltritten, Retaxationen oder gar Ermittlungen.

Was viele übersehen: Versicherungsschutz ist ein Führungsinstrument. Wer schützt, schafft Spielraum. Wer absichert, kann delegieren. Und wer haftungsklar agiert, setzt nicht nur Standards, sondern sendet ein Signal – an das Team, an Bewerber:innen, an die Patientenschaft. In einem Marktumfeld, in dem Vertrauen zunehmend zum strategischen Faktor wird, ist das kein Nebenaspekt, sondern Kern betrieblicher Resilienz. Die Apotheke wird zum Ort der Zukunft nicht durch Technik, sondern durch Haltung.

Das bedeutet auch: Diversität darf nicht dem Zufall überlassen bleiben. Sie braucht Führung – nicht Kontrolle, sondern Richtung. Wer kulturelle Vielfalt zulässt, muss sie zugleich rahmen. Nur dann entsteht nicht Chaos, sondern Teamkraft. Und nur dann entfalten sich die eigentlichen Potenziale: neue Perspektiven, kreative Lösungsansätze, tiefere Kundenbindung. Wer das erkennt, begreift Vielfalt nicht als Störgröße, sondern als Ressource – betriebswirtschaftlich, emotional, politisch.

Denn die politische Dimension ist unausweichlich: In einer Gesellschaft, in der Migration keine Ausnahme, sondern Normalität ist, werden Apotheken zu Orten der Begegnung. Dort entscheidet sich im Alltag, ob Integration gelingt. Und dort entscheidet sich, wie gesundheitsnahe Dienstleistungen die Zukunft gestalten – nicht über Programme, sondern über Personen. Wer sie ernst nimmt, schützt sie. Wer sie schützt, erhält nicht nur Arbeitskraft, sondern Menschlichkeit. Und das ist – so zeigt es das Beispiel aus Sachsen – mehr wert als jeder kurzfristige Leistungsausweis.

Am Ende steht ein einfacher Satz: Verantwortung ist nicht verhandelbar. Wer internationale Kolleg:innen aufnimmt, übernimmt sie – mit allen Konsequenzen. Wer das nicht will, sollte sich gegen Integration entscheiden. Wer es aber tut, muss führen. Und Führung beginnt dort, wo Absicherung garantiert ist – juristisch, psychologisch, organisatorisch.

Die Apothekerin aus Sachsen sagte rückblickend: „Ich wollte helfen. Aber ich habe viel mehr zurückbekommen, als ich gegeben habe.“ Das ist keine Sentimentalität – das ist eine unternehmerische Erkenntnis. Denn gute Führung schafft nicht nur Sicherheit. Sie schafft Zukunft.

 

Versicherungsschutz beginnt beim Kaffee, endet nicht am Becherrand, entscheidet sich im Kontext

Wie das LSG Sachsen-Anhalt den Sturz bei der Besprechung als Arbeitsunfall wertete – und was dabei für Unternehmen auf dem Spiel steht

Ein Kaffeebecher, ein kollegialer Moment und ein folgenschwerer Sturz – das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt hat entschieden, dass auch alltägliche Handlungen wie der Griff zur Tasse während einer Dienstbesprechung unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung fallen können. Das Urteil verdeutlicht, dass der vermeintlich private Charakter eines Kaffeegangs nicht automatisch aus dem betrieblichen Versicherungsschutz herausfällt, sofern ein funktionaler Bezug zur Tätigkeit besteht.

Im Zentrum des Falls stand eine Verwaltungsangestellte, die während einer dienstlichen Besprechung zur Kaffeekanne ging, dabei stürzte und sich schwer verletzte. Die Berufsgenossenschaft verweigerte die Anerkennung als Arbeitsunfall mit Verweis auf einen „privaten Moment“. Das Gericht sah das anders: Die Besprechung sei betrieblich veranlasst gewesen, das Kaffeetrinken sei integraler Bestandteil des formalen Arbeitsablaufs gewesen – nicht etwa eine isolierte Pause. Entscheidend war, dass der Gang zur Kaffeemaschine unmittelbar mit der Durchführung der dienstlichen Besprechung verknüpft war.

Nach Auffassung des Gerichts diente der Kaffeegenuss der Konzentrationsfähigkeit, der kollegialen Interaktion und der Strukturierung des Arbeitsgeschehens – also Zwecken, die betrieblich geprägt sind. Damit sei ein innerer Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit zu bejahen. Der Unfall ereignete sich nicht in einem privaten Raum, sondern im Kontext einer betrieblichen Organisationseinheit, die Kommunikation als Arbeitsmittel nutzt. Der Versicherungsschutz greift laut Urteil auch bei typischen Alltagsverrichtungen, wenn sie in einen funktionalen Gesamtzusammenhang eingebettet sind.

Besonders hervorzuheben ist die differenzierte Abwägung des Gerichts: Es sei nicht entscheidend, ob der Kaffeekonsum als solcher zwingend erforderlich war, sondern ob er im konkreten Arbeitsrahmen als üblich, erwartbar und dienlich anzusehen sei. Diese Einschätzung folgt einer erweiterten Interpretation des Unfallversicherungsrechts, wie sie bereits in früheren Entscheidungen des Bundessozialgerichts angelegt war. Auch dort wurde betont, dass soziale Komponenten des Arbeitsalltags – wie gemeinsames Essen, Raucherpausen oder eben der Kaffeekonsum – durchaus versichert sein können, wenn sie der betrieblichen Funktionalität dienen.

Für Arbeitgeber ist dieses Urteil ein klares Signal: Die betriebliche Realität endet nicht an der Tür zum Besprechungsraum, und die Verantwortung für das Wohl der Beschäftigten umfasst auch scheinbar nebensächliche Abläufe. Rituale wie das gemeinsame Kaffeetrinken während Sitzungen sind nicht nur Teil der Unternehmenskultur, sondern auch relevante Elemente der Arbeitsorganisation. Wer diese fördert oder stillschweigend akzeptiert, muss gegebenenfalls auch für die damit verbundenen Risiken mitdenken – etwa im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung oder bei der Gestaltung sicherer Verkehrswege im Betrieb.

Der Fall wirft darüber hinaus ein Schlaglicht auf die Rolle betrieblicher Kommunikation in modernen Arbeitsverhältnissen. Teamprozesse, informelle Gespräche und gemeinsame Rituale stärken nicht nur den sozialen Zusammenhalt, sondern gelten zunehmend als produktivitätsrelevant. Die arbeitsrechtliche und versicherungsrechtliche Bewertung muss diese Realität abbilden. Das Urteil des LSG tut dies – und verschiebt die Grenze zwischen privatem Verhalten und beruflichem Handeln ein Stück weit in Richtung Alltagspraxis.

Dass alltägliche Bewegungen im Betrieb rechtlich relevant sein können, mag auf den ersten Blick verwundern. Doch das Sozialrecht nimmt die konkreten Bedingungen des Arbeitslebens ernst. Wenn eine Tasse Kaffee im Dienst eines reibungslosen Besprechungsverlaufs steht, dann wird sie – im juristischen Sinne – zu mehr als nur einem Getränk. Sie wird Teil der Arbeit. Und damit versichert.

 

Akku zählt mit, Leasing schließt nicht aus, Umweltbonus bleibt unangetastet

OLG Hamm klärt Kaskoversicherung bei E-Auto-Totalschaden und bestätigt Neupreisprinzip auch bei staatlicher Förderung

Ein Unfall mit wirtschaftlichem Totalschaden kann für Elektroautofahrer zur juristischen Hürde werden – insbesondere, wenn der Antriebsakku geleast ist. In einem aktuellen Urteil hat das Oberlandesgericht Hamm (Az. 20 U 99/23) nun klargestellt, dass auch ein geleaster Akku unter den Schutz einer Vollkaskoversicherung fällt, sofern dies in den Versicherungsbedingungen geregelt ist. Entscheidend war der Fall eines E-Auto-Fahrers, dessen Wagen inklusive Batterie nur zwei Monate nach Erstzulassung schwer beschädigt wurde. Während der Neupreis des Fahrzeugs mit 24.000 Euro veranschlagt war, kostete die separat geleaste Batterie 7.000 Euro – beide Komponenten waren laut Police explizit gegen Totalschäden abgesichert. Der Versicherer zahlte jedoch lediglich 612 Euro für die zerstörte Batterie, woraufhin der Halter klagte.

In erster Instanz entschied das Landgericht Hagen zugunsten des Klägers und sprach ihm einen Nachzahlungsbetrag von 6.188 Euro zu. Der Versicherer ging in Berufung. Das OLG Hamm bestätigte zwar grundsätzlich die Ersatzpflicht für die geleaste Batterie, korrigierte jedoch die Höhe der Entschädigung: Da im Vertrag ausdrücklich ein Abzug „neu für alt bei Akkumulatoren“ vereinbart war, durfte der Versicherer einen Wertminderungsabzug in Höhe von 15 Prozent des Neupreises geltend machen – auch bei einem zerstörten, nicht reparaturfähigen Akku. Dieser Abzug führte zu einer Kürzung der Erstattungssumme auf 5.950 Euro. Abzüglich der bereits gezahlten 612 Euro verblieb dem Kläger ein Anspruch auf 5.338 Euro. Damit hat das OLG eine zentrale Frage zur Kaskoversicherung von Elektrofahrzeugen geklärt: Leasingverhältnisse heben die versicherungsvertragliche Zusage nicht auf, solange die Nutzung und das Risiko versichert sind – auch bei externen Eigentumsverhältnissen.

Ein zweiter zentraler Aspekt des Urteils betrifft die Behandlung des staatlichen Umweltbonus. Dieser wurde dem Kläger beim Fahrzeugkauf als staatlicher Zuschuss in Höhe von 2.000 Euro gewährt. Der Versicherer argumentierte, dieser Betrag müsse im Schadenfall als marktüblicher Preisnachlass angerechnet werden. Das Gericht wies dies jedoch deutlich zurück. Anders als bei einem Händlerrabatt handele es sich beim Umweltbonus um eine verwaltungsrechtlich vergebene Subvention, die nicht als preisreduzierender Faktor in die Entschädigungsberechnung einbezogen werden dürfe. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer dürfe davon ausgehen, dass nur solche Preisnachlässe in Abzug gebracht werden, die unmittelbar vom Händler gewährt wurden. Eine solche Einschränkung enthalte die zugrundeliegende Versicherungspolice nicht, daher bleibe die volle Neupreisentschädigung bestehen.

Bemerkenswert ist die rechtliche Akzeptanz einer aus Sicht des Versicherers „ungerechtfertigten Bereicherung“. Zwar erkenne das Gericht an, dass der Kläger de facto sowohl beim Fahrzeugkauf als auch bei der fiktiven Wiederbeschaffung von der Subvention profitiere, dennoch sei dies im Versicherungsvertragsrecht zulässig. Maßgeblich sei allein das Leistungsversprechen in der Police, nicht ein allgemeines Bereicherungsverbot. Versicherer hätten die Möglichkeit, künftige Policen entsprechend anzupassen – im vorliegenden Fall aber habe sich das Unternehmen an die eigene Klauselbindung zu halten.

Das Urteil hat Bedeutung über den Einzelfall hinaus: Es stärkt die Position von E-Auto-Haltern, die ihre Antriebsbatterie separat leasen und sich auf eine Neuwertversicherung verlassen. Versicherer müssen sich künftig auf klare Vertragsformulierungen zurückziehen, wenn sie staatliche Anreize in die Leistungsberechnung einbeziehen wollen – eine pauschale Kürzung ist unzulässig. Für die Praxis bedeutet das mehr Transparenz in der Ausgestaltung von Kaskoversicherungen, aber auch neue Herausforderungen in der Bewertung technischer Bauteile wie Akkumulatoren, deren wirtschaftlicher Wert nicht linear mit dem Fahrzeugalter sinkt.

Der Fall zeigt exemplarisch, wie sich klassische Versicherungslogik und Elektromobilitätsrealität reiben: Der Restwert eines geleasten Akkus, die juristische Definition von Besitz und Eigentum und die Relevanz von Fördermitteln bilden neue Spannungsfelder. Zugleich verdeutlicht das Urteil, dass Versicherungsverträge bei neuartigen Mobilitätsformen nicht nur technologisch, sondern auch juristisch präzise ausformuliert sein müssen – ein wichtiger Fingerzeig für die Regulierungspraxis im Zeitalter der E-Mobilität.

 

Historischer Schritt in Westminster, gesellschaftliche Zerreißprobe, Kontroverse bis zuletzt
Britisches Parlament treibt Sterbehilfegesetz voran – Deutschland bleibt beim Nein zur aktiven Hilfe

Im Vereinigten Königreich bahnt sich ein tiefgreifender Wandel im Umgang mit dem Lebensende an: Das britische Unterhaus hat in einer richtungsweisenden Abstimmung dem Entwurf zur Legalisierung der Sterbehilfe zugestimmt. Nach intensiven Debatten, die das politische London wie auch die gesellschaftliche Mitte emotional aufgeladen haben, votierten die Abgeordneten für ein Gesetz, das Erwachsenen in England und Wales unter bestimmten Bedingungen den assistierten Suizid erlaubt. Vorgesehen ist die Möglichkeit für unheilbar erkrankte Menschen mit einer Lebenserwartung von weniger als sechs Monaten, ihr Leben mit medizinisch begleiteter Unterstützung zu beenden – ein Novum im bislang strikt restriktiven britischen Recht.

Die Entscheidung im Unterhaus wird von vielen Beobachtern als Zäsur gewertet, nicht nur in rechtlicher Hinsicht, sondern auch mit Blick auf die ethische Orientierung einer Nation, die seit Jahrzehnten mit einem umfassenden Tabu rund um das Thema Sterbehilfe ringt. Der Gesetzentwurf, der nun dem Oberhaus zugeleitet wird, gilt als politisch kaum noch aufhaltbar – wohl aber verhandelbar. Änderungsanträge und inhaltliche Präzisierungen bleiben im Rahmen der Lords-Debatte möglich. Die Grundrichtung scheint jedoch gesetzt: Der bislang strafbewehrte Vorwurf der Suizidbeihilfe wird, zumindest in engen Grenzen, durch ein Regelwerk ersetzt, das auf ärztlicher Begutachtung und interdisziplinärer Kontrolle basiert.

Zentrale Voraussetzung für die genehmigte Hilfe beim Sterben ist eine Dreifachprüfung durch ein ärztliches Duo sowie ein ethisch und juristisch abgestütztes Fachgremium. Neben Medizinern sind ein Sozialarbeiter, ein Jurist und ein Psychiater einzubeziehen. Das Ziel: Rechtssicherheit schaffen und gleichzeitig Missbrauch verhindern. Die Tragweite dieser Entscheidung wurde schon vor der finalen Abstimmung am Freitag von Demonstrationen vor dem Parlament begleitet – Befürworter und Gegner standen sich teils unversöhnlich gegenüber. Während Unterstützer auf Selbstbestimmung und Würde pochten, warnten Kritiker vor einem subtilen sozialen Druck auf Kranke und Alte, ihr Leben frühzeitig zu beenden, um „niemandem zur Last zu fallen“.

Auch deshalb ist die Parallele zur deutschen Debatte nicht zu übersehen. Zwar sind Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen und assistierter Suizid in der Bundesrepublik unter bestimmten Bedingungen erlaubt, doch aktive Sterbehilfe bleibt verboten. Wer in Deutschland eine todbringende Handlung direkt an einem Patienten vornimmt – sei es durch Injektion oder ähnliche Maßnahmen –, macht sich strafbar. Das Bundesverfassungsgericht hatte 2020 die Freiheit zur Selbsttötung gestärkt, doch ein umfassendes gesetzliches Regelwerk fehlt nach wie vor. Mehrere Anläufe für ein Sterbehilfegesetz im Bundestag scheiterten – auch, weil ethische, religiöse und politische Lager diametral gegenüberstehen.

Das Geschehen in Großbritannien könnte deshalb auch Signalwirkung für den deutschen Gesetzgeber entfalten. Denn obwohl sich die rechtlichen Ausgangslagen unterscheiden, ist der emotionale Unterstrom vergleichbar: Die Frage, wie eine Gesellschaft mit dem Sterben umgeht, rührt an ihr Selbstbild. Und sie stellt die Politik vor die schwierige Aufgabe, zwischen Autonomie und Schutzbedürftigkeit eine tragfähige Balance zu finden. Während London nun diesen Weg konsequent geht, verharrt Berlin weiterhin im status quo – und überlässt Patienten, Angehörigen und Ärzten die Verantwortung für eine der schwersten Entscheidungen überhaupt. Ob das auf Dauer trägt, dürfte sich nicht zuletzt im Lichte internationaler Entwicklungen zeigen.

 

Verpackung reduzieren, Verantwortung zeigen, Versorgung klimasensibel gestalten

Wie Apotheken ihren Arbeitsalltag umweltfreundlicher ausrichten, welche Hebel der neue Nachhaltigkeitsleitfaden benennt – und warum jedes Rezept eine ökologische Entscheidung ist

Klimaschutz beginnt nicht erst im Labor oder auf internationalen Konferenzen, sondern auch an Orten des Alltags wie in den Apotheken vor Ort. Dort, wo tagtäglich tausende Patientinnen und Patienten versorgt, beraten und begleitet werden, zeigt sich, wie eng Gesundheit und Nachhaltigkeit tatsächlich miteinander verflochten sind. Inmitten von Lagerlogistik, Kühlketten, Medikamentenabgabe und Beratungsgesprächen stellt sich zunehmend die Frage: Wie lässt sich ein ressourcenschonender Betrieb gestalten, der den pharmazeutischen Anforderungen ebenso gerecht wird wie den ökologischen Notwendigkeiten?

Ein umfassender neuer Leitfaden soll hier nun Orientierung geben. Entwickelt wurde er im Rahmen des Forschungsprojekts „Ökologische Nachhaltigkeit im ambulanten Gesundheitswesen (ÖNaG)“, das vom Fraunhofer-Institut initiiert und gemeinsam mit verschiedenen Gesundheitsakteuren umgesetzt wurde. Neben den Bereichen ärztlicher, zahnärztlicher und therapeutischer Praxen sowie der ambulanten Pflege stand auch die Apotheke im Fokus – mit eigener Analyse, eigenen Empfehlungen und einem dezidierten Maßnahmenkatalog. Beteiligt war auch die ABDA, die den Prozess nicht nur unterstützt, sondern inhaltlich mitgestaltet hat. Herausgekommen ist ein 49 Seiten starkes Dokument, das den Weg von der Zieldefinition zur konkreten Handlung begleitet – und zwar praxisnah, alltagstauglich und mit Blick auf die ökologischen Stellschrauben des Apothekenbetriebs.

Der Leitfaden macht dabei deutlich, dass Apotheken nicht erst mit groß angelegten Umbauten oder Investitionen in Solartechnik aktiv werden müssen. Vielmehr liege das Potenzial in vielen kleinen, aber systematisch umsetzbaren Entscheidungen – etwa bei der Auswahl energieeffizienter Kühlgeräte, dem bewussten Umgang mit Verpackungsmaterialien oder der Digitalisierung papiergebundener Prozesse. Auch die Art und Weise, wie Patientinnen und Patienten über umweltfreundliche Alternativen beraten werden, rückt in den Fokus: Denn Nachhaltigkeit betrifft nicht nur den Betrieb, sondern auch die Kommunikation.

Ein zentrales Thema ist die Arzneimittelentsorgung. Immer noch landen Medikamente in Toiletten oder dem Hausmüll, was erhebliche Umweltbelastungen verursacht. Apotheken könnten hier als aufklärende Schnittstelle wirken und standardisierte Rückgabesysteme anbieten, um die fachgerechte Entsorgung zu ermöglichen. Auch Verpackungssysteme bieten Anknüpfungspunkte: Monoverpackungen, unnötige Beipackzettelkopien oder doppelte Umverpackungen lassen sich hinterfragen – ebenso wie die Beschaffungspolitik bei Büro- und Hygieneartikeln.

Der Leitfaden listet zudem auf, welche CO₂-Treiber im Apothekenalltag besonders ins Gewicht fallen. Kühlketten und Raumklimatisierung stehen dabei ebenso auf dem Prüfstand wie die Anlieferlogistik oder der Stromverbrauch in den Offizinräumen. Apothekeninhaber:innen erhalten Hinweise zu Förderprogrammen und zur schrittweisen Umstellung auf eine klimafreundlichere Betriebsweise – inklusive Checklisten zur Selbsteinschätzung und Maßnahmenplanung. Auch das Personal wird explizit eingebunden: Denn ohne Sensibilisierung und Schulung lässt sich keine Verhaltensänderung im Alltag etablieren.

Bemerkenswert ist, dass der Leitfaden nicht auf bloße technische oder administrative Maßnahmen reduziert ist. Vielmehr versteht er Nachhaltigkeit als integratives Element der Versorgungskultur. Eine Apotheke, die ökologisch bewusst handelt, wird laut der Autoren nicht nur effizienter, sondern auch glaubwürdiger – gerade in einer Zeit, in der Patientinnen und Patienten auch Gesundheitsanbieter nach ihrem ökologischen Fußabdruck beurteilen. Das gilt besonders im ländlichen Raum, wo Apotheke und Nachbarschaft noch enger verbunden sind.

Ein Beispiel aus Niedersachsen zeigt, wie die Umsetzung aussehen kann: Dort wurde in einem Modellbetrieb der Heizenergieverbrauch durch intelligente Steuerungssysteme um 30 Prozent gesenkt, während gleichzeitig ein neues Mehrwegsystem für Botengänge mit Rückgabeboxen eingeführt wurde. Die Erfahrungen aus dem Pilotprojekt flossen direkt in den Leitfaden ein – und zeigen, dass sich Umwelt- und Patientenschutz keineswegs ausschließen müssen. Im Gegenteil: Wer ressourcenschonend arbeitet, schafft auch mehr finanzielle Spielräume, die letztlich der Versorgung zugutekommen.

Auch auf struktureller Ebene stellt der Leitfaden Weichen. Er empfiehlt, ökologische Nachhaltigkeit nicht als Nebenaufgabe, sondern als integralen Bestandteil des Qualitätsmanagements zu etablieren – inklusive klarer Verantwortlichkeiten, Zielkontrollen und fortlaufender Evaluation. Die ABDA prüft derzeit, ob bestimmte Standards daraus künftig auch in Fortbildungsprogramme oder Zertifizierungsverfahren einfließen sollen. Damit würde Nachhaltigkeit nicht nur als freiwillige Zusatzleistung, sondern als Bestandteil professioneller Apothekenführung verankert.

Was der Leitfaden nicht leistet: Er verordnet kein starres Pflichtenprogramm, sondern bietet ein flexibles Instrument zur Selbstentwicklung. Jede Apotheke kann selbst definieren, wo sie beginnt und wie weit sie gehen will. Doch das Signal ist eindeutig: Der Apothekenalltag ist kein ökologisches Vakuum. Jeder Schritt – ob bei der Lagerhaltung, dem Energieverbrauch oder dem Gespräch an der Kasse – hat Auswirkungen. Nachhaltigkeit ist damit kein Nebenschauplatz mehr, sondern ein Maßstab verantwortlicher Versorgung.

Insgesamt fügt sich der neue Leitfaden nahtlos in eine wachsende Erwartungshaltung der Öffentlichkeit und der Politik. Er signalisiert, dass Apotheken bereit sind, Verantwortung zu übernehmen – nicht nur für die Gesundheit der Menschen, sondern auch für die Umwelt, in der diese Gesundheit erhalten bleiben soll.

 

Leistungsdynamik nimmt zu, Reserven schrumpfen, Reformdruck steigt

Warum der Quartalsüberschuss der Kassen trügerisch ist, welche Ausgabentreiber das System destabilisieren und wie Ministerin Warken gegensteuern will

Die gesetzlichen Krankenkassen haben im ersten Quartal 2025 einen rechnerischen Überschuss von 1,8 Milliarden Euro erzielt – ein scheinbar positives Signal, das bei genauerer Betrachtung keineswegs Entwarnung erlaubt. Wie das Bundesgesundheitsministerium mitteilt, dienen die Mehreinnahmen vorrangig der Wiederauffüllung fast aufgebrauchter Rücklagen: Zum Quartalsende lagen die Finanzreserven der 94 Krankenkassen bei nur noch 3,6 Milliarden Euro – das entspricht 0,1 Monatsausgaben und damit lediglich der Hälfte der gesetzlich vorgeschriebenen Mindestreserve.

Gesundheitsministerin Nina Warken warnt vor falschen Schlüssen. „Die guten Zahlen täuschen“, erklärt sie. Denn im selben Zeitraum sind die Ausgaben der Kassen deutlich stärker gestiegen als die Einnahmen – ein strukturelles Ungleichgewicht, das den Druck auf die Zusatzbeiträge erhöht und neue Reformschritte erzwingt. Die Ministerin kündigt ein beschleunigtes Reformverfahren an. Eine Expertenkommission soll Vorschläge erarbeiten, wie die Beitragsstabilität dauerhaft gesichert werden kann – und zwar schneller als ursprünglich im Koalitionsvertrag vorgesehen. Parallel dazu will das Ministerium bereits mit konkreten Strukturreformen beginnen.

Im Detail standen im ersten Quartal Einnahmen von 88,3 Milliarden Euro Ausgaben von 86,5 Milliarden Euro gegenüber. Die Versichertenzahl stieg lediglich um 0,1 Prozent – doch die Ausgaben legten im Durchschnitt um 7,8 Prozent zu. Die Leistungsausgaben erhöhten sich um 6,0 Milliarden Euro, die Verwaltungskosten um 177 Millionen Euro. Besonders stark fiel das Plus bei den Krankenhauskosten aus: +9,5 Prozent bzw. +2,4 Milliarden Euro – verursacht vor allem durch gestiegene Vergütungssätze. Das Ministerium bezeichnet diesen Ausgabenblock als wesentlichen Treiber der aktuellen Dynamik.

Auch im Arzneimittelbereich sind die Ausgaben gestiegen – um 6,1 Prozent beziehungsweise 826 Millionen Euro. Besonders auffällig ist der Zuwachs bei Verordnungen innerhalb der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung: Mit einem Plus von 29,7 Prozent bzw. 187 Millionen Euro verzeichnet dieser Bereich die stärkste Einzelentwicklung. Die ambulant-ärztlichen Behandlungen kosteten die Kassen 874 Millionen Euro mehr als im Vorjahresquartal – ein Anstieg um 7,0 Prozent und laut BMG das höchste Wachstum seit über zehn Jahren.

Weitere Kostenblöcke unterstreichen die Brisanz: Die Ausgaben für medizinische Behandlungspflege legten um 13,8 Prozent (344 Millionen Euro) zu, Schutzimpfungen verzeichneten ein Plus von 14,4 Prozent (104 Millionen Euro) und auch die Aufwendungen für Vorsorge- und Reha-Leistungen stiegen überdurchschnittlich – um 9,1 Prozent beziehungsweise 102 Millionen Euro.

Trotz positiver Einnahmeentwicklung – die beitragspflichtigen Löhne und Gehälter trieben ein Einnahmeplus von 6,0 Prozent – bleibt die Schieflage bestehen. Das BMG warnt: Die Einnahmendynamik reicht nicht aus, um den systematischen Ausgabendruck zu kompensieren. Das strukturelle Defizit wachse weiter – wenn keine tiefgreifenden Maßnahmen folgen.

Zugleich weist das Ministerium darauf hin, dass einige Ausgabenbereiche – insbesondere ärztliche und zahnärztliche Leistungen – auf vorläufigen Schätzungen beruhen. Dennoch sei das Gesamtbild eindeutig: Der aktuelle Überschuss täuscht über ein wachsendes Finanzproblem hinweg, das nicht durch Einmaleffekte, sondern durch strukturelle Belastungen geprägt ist.

Ministerin Warken betont die Dringlichkeit. Eine Reform der Einnahme- und Ausgabenarchitektur der GKV sei unausweichlich. Die jetzt eingeleiteten Schritte sollen nicht nur Beitragssätze glätten, sondern eine langfristige Finanzstabilität ermöglichen – in einem System, das immer deutlicher an seine strukturellen Grenzen stößt.

Klimaschutz beginnt im Backoffice, wirkt im Handverkauf, entfaltet sich in der Lieferkette

Wie Apotheken Emissionen reduzieren, Ressourcen schonen und Umweltbildung als Teil ihrer Versorgungsleistung integrieren

Während Politik und Industrie nach großen Hebeln suchen, zeigt ein neuer Leitfaden der ABDA, dass echte Nachhaltigkeit auch dort beginnt, wo der Alltag entschieden wird: in der Apotheke vor Ort. Die Beteiligung am Fraunhofer-Projekt „ÖNaG“ und die gemeinsame Entwicklung des Leitfadens „Ökologische Nachhaltigkeit in Apotheken“ markieren dabei mehr als nur ein Bekenntnis – sie strukturieren das betriebliche Handeln neu. Der 49-seitige Katalog enthält nicht nur Empfehlungen, sondern übersetzt ökologisches Verantwortungsbewusstsein in konkrete Prozesse: von der patientenzentrierten Kommunikation über die klimagerechte Warenbeschaffung bis zur strukturellen Digitalisierung.

Der Leitfaden beginnt mit einer klaren Botschaft: Das Gesundheitswesen trägt rund fünf Prozent zur nationalen CO₂-Bilanz bei – ein Anteil, der sich nicht allein durch politische Vorgaben senken lässt. Apotheken als Teil der ambulanten Versorgung stehen damit auch ethisch in der Pflicht, ihren Beitrag zu leisten. Die Realität vor Ort ist jedoch komplexer. Die Autoren erkennen an, dass viele strukturelle Umweltprobleme nicht auf Betriebsebene gelöst werden können. Deshalb enthält der Leitfaden nicht nur Mikrostrategien für Apothekeninhaber:innen, sondern auch makroökonomisch adressierte Vorschläge für Hersteller, Verbände und Gesetzgeber.

In der Praxis bedeutet das: Wer seine Apotheke umweltfreundlich gestalten will, muss strategisch priorisieren. Sofortmaßnahmen bieten hierfür eine realistische Einstiegshilfe. Sie reichen vom ernennungspflichtigen Klimabeauftragten über optimierte Lager- und Bestellvorgänge bis zur konsequenten Mülltrennung. Auch der Einfluss auf das Konsumverhalten von Patient:innen wird betont: Wer über richtige Lagerung und Entsorgung aufklärt, reduziert automatisch den Bedarf an Ersatzverordnungen – ein indirekter, aber effektiver Klimaschutzmechanismus.

Noch praxisnäher wird es bei den Vorschlägen zur Energie- und Materialeffizienz: Refurbished-Geräte statt Neuanschaffung, LED-Beleuchtung, digitale QMS-Handbücher, papierlose Dokumentation, wassersparende Perlatoren, nachhaltiges Mobiliar. Selbst die Dekoration wird zum Umweltfaktor, wenn Einwegartikel durch langlebige Alternativen ersetzt werden. Die Empfehlung, Botendienste über E-Bikes oder E-Autos zu realisieren und per KI-gestützter Software zu planen, macht deutlich, dass Nachhaltigkeit auch ein ökonomischer Hebel sein kann – durch reduzierte Betriebskosten, weniger Verschleiß und effizientere Touren.

Die ökologische Verantwortung endet jedoch nicht an der Tür der Apotheke. Die Forderung nach sektorübergreifender Digitalisierung und nachhaltiger Beschaffung ist ein Aufruf zur Systemvernetzung. Auch die regionale Wirtschaft soll profitieren: Durch den gezielten Einkauf vor Ort können Emissionen gesenkt und gleichzeitig lokale Lieferketten stabilisiert werden. Das zahlt sich doppelt aus – ökologisch wie wirtschaftlich.

Die Umsetzung verlangt Mut zur Veränderung, aber auch klare Führung. Der Leitfaden macht deutlich: Nachhaltigkeit ist keine PR-Maßnahme, sondern eine Führungsaufgabe mit Relevanz für QM, Kommunikation und Personalstruktur. Wer nicht nur fordert, sondern absichert, wer nicht nur dekoriert, sondern konsequent digitalisiert, wer nicht nur aufklärt, sondern konkrete Prozesse schafft, der etabliert Umweltbewusstsein nicht als Zusatz, sondern als Versorgungsstandard.

Insgesamt zeigt der Leitfaden, dass Klimaschutz in Apotheken nicht auf Großinvestitionen angewiesen ist. Viele Hebel liegen bereits im täglichen Betrieb – es braucht nur die Entscheidung, sie zu bewegen. Die zehn Sofortmaßnahmen liefern den Einstieg, doch der eigentliche Wandel beginnt dort, wo Apothekenleitung, Team und Patientenschaft gemeinsam Verantwortung übernehmen.

Von Engin Günder, Fachjournalist

 

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