
Für Sie gelesen
Sehr geehrte Apothekerin, sehr geehrter Apotheker,
hier ist der vollständige Text für Sie:
APOTHEKE | Medienspiegel & Presse |
Ein Leipziger Strafprozess bringt die verborgene Realität systematischer Rezeptkorruption ans Licht: Über Jahre hinweg hatten ein Arzt und ein Apotheker Luftrezepte ausgestellt, gegen das Zuweisungsverbot verstoßen und Krankenkassen um über 400.000 Euro geschädigt – ein Verhalten, das nicht nur strafrechtlich relevant war, sondern auch das Vertrauen in zentrale Kontrollmechanismen im Gesundheitswesen erschüttert. Das Landgericht Leipzig erkannte die Vorgehensweise als planvoll und arbeitsteilig organisiert, sprach elf Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung aus und stellte zugleich die überlange Verfahrensdauer als strafmildernden Faktor fest. Doch das Urteil wirft weiterreichende Fragen auf: Warum schlugen Prüf- und Aufsichtssysteme der Kassen nicht an? Wie kann es sein, dass Verordnungen ohne tatsächliche Leistung abrechnungsfähig blieben? Und was bedeutet das für das Berufsverständnis von Apotheken und Ärzten, wenn wirtschaftlicher Eigennutz über berufliche Integrität gestellt wird? Die Affäre um die mutmaßlich systematische Täuschung beleuchtet nicht nur individuelle Schuld, sondern struktur
Verdeckte Rezepte, zerstörtes Vertrauen, verlorene Zukunft
Wie ein Leipziger Apotheker und ein Arzt systematisch gegen das Zuweisungsverbot verstießen, das Gesundheitswesen um Hunderttausende schädigten und ihre Karrieren aufs Spiel setzten
Im aufsehenerregenden Verfahren vor dem Landgericht Leipzig sind ein Apotheker und ein Facharzt aus Sachsen wegen illegaler Zuweisungsgeschäfte verurteilt worden. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass die beiden Heilberufler über Jahre hinweg systematisch gegen das Zuweisungsverbot verstoßen, Luftrezepte ausgestellt und die Krankenkassen um insgesamt rund 413.000 Euro geschädigt hatten. Beide Angeklagte erhielten eine Freiheitsstrafe von elf Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde – auch wegen der überlangen Verfahrensdauer. Dennoch ist das Urteil rechtskräftig, da sämtliche Verfahrensbeteiligte auf Rechtsmittel verzichtet haben. Damit endet ein jahrelanges Kapitel mutmaßlich systematischer Korruption im Gesundheitswesen, das nicht nur zwei Existenzen zerstörte, sondern auch tiefgreifende Fragen zur Wirksamkeit von Kontrollmechanismen und zur Mitverantwortung der Aufsichtsbehörden aufwirft.
Der verurteilte Apotheker war kein Unbekannter in Leipzig. Als Inhaber der Arnika-Apotheke hatte er sich über Jahre hinweg ein Netzwerk aufgebaut, das weit über die pharmazeutische Versorgung hinausging. Mit seiner Projektgesellschaft „Stötteritzer Eck“ errichtete er mehrere Ärztehäuser, versuchte sich als Immobilienentwickler und trat zeitweise sogar als Unternehmer im Freizeitsektor auf – sein millionenschweres „Sportparadies“ in Halle wurde jedoch zum finanziellen Desaster. Dass der Apotheker auch im Gesundheitsbereich über Jahrzehnte hinweg mehrfach negativ auffiel, ist dokumentiert: Zwischen 2005 und 2022 wurde seine Apotheke neunmal kontrolliert – mit nahezu jedem Besuch kamen neue Verstöße ans Licht. Sieben Bußgelder, ein Zwangsgeld wegen Missachtung behördlicher Auflagen sowie zwei strafrechtliche Verurteilungen – unter anderem wegen vorsätzlichen Inverkehrbringens gefälschter Arzneimittel und wegen Computerbetrugs – sprechen eine klare Sprache.
Trotz dieser Vorgeschichte konnte der Apotheker über Jahre hinweg weiter praktizieren. Erst im Februar dieses Jahres wurde sein Widerspruch gegen den Entzug der Betriebserlaubnis endgültig zurückgewiesen. Eine geordnete Übergabe der Apotheke scheiterte; eine Nachfolgerin ließ sich offenbar nicht mehr finden. Damit endet die Geschichte eines pharmazeutischen Betriebs, der über Jahrzehnte hinweg zum Synonym für Regelbruch, Machtmissbrauch und Intransparenz geworden war – und dessen Ende ein weiteres Schlaglicht auf die strukturellen Schwächen im deutschen Apothekenwesen wirft. Dass ausgerechnet ein Apotheker, der bereits einschlägig vorbestraft war und mehrfach gegen Berufs- und Arzneimittelrecht verstieß, erneut über Jahre hinweg ungestört agieren konnte, macht fassungslos.
Im Zentrum der aktuellen Verurteilung steht ein Verstoß gegen das Zuweisungsverbot nach § 11 Apothekengesetz. Demnach ist es Apothekern und Ärzten untersagt, sich gegenseitig Patienten zuzuweisen oder sich in einer Form wirtschaftlich zu vernetzen, die über das übliche Maß beruflicher Zusammenarbeit hinausgeht. Doch genau das soll im Fall der Arnika-Apotheke geschehen sein: Der Apotheker belieferte die Praxis des 67-jährigen Facharztes direkt mit Medikamenten zur Weitergabe an Patienten – ein klarer Regelverstoß. Darüber hinaus stellte der Arzt laut Anklage sogenannte Luftrezepte aus, also Verordnungen ohne tatsächliche Patientenbehandlung, die anschließend zur Abrechnung genutzt wurden. In 110 Fällen wurde der Arzt nun wegen Untreue verurteilt, der Apotheker in 57 Fällen wegen Betrugs. Ursprünglich war sogar von 416 Fällen bei dem Mediziner die Rede gewesen, doch das Gericht reduzierte im Zuge des Verfahrens die Anklagepunkte.
Für beide bleibt die juristische Strafe vergleichsweise mild: Aufgrund der langen Dauer des Verfahrens – die Apotheke war bereits 2018 durchsucht worden – wurden zwei Monate der Strafe als vollstreckt erklärt. Die Ermittlungen hatten sich laut Justiz wegen der Komplexität der Geschäftsbeziehungen und der Vielzahl an Einzelvorwürfen ungewöhnlich lang hingezogen. Dennoch stellt das Leipziger Urteil ein wichtiges Signal dar: Illegale Zuweisungsgeschäfte zwischen Ärzten und Apothekern werden nicht länger als Kavaliersdelikte betrachtet, sondern als substanzielle Eingriffe in das solidarisch finanzierte Gesundheitssystem. Dabei ging es in Leipzig nicht nur um Geld – sondern um Vertrauen, das unwiederbringlich zerstört wurde.
Unter Leipziger Kolleginnen und Kollegen waren die Zuweisungsgeschäfte des Apothekers schon länger Thema – gerüchteweise wurde sogar eine zivilrechtliche Klage thematisiert. Dennoch dauerte es Jahre, bis die Staatsanwaltschaft Konsequenzen zog und schließlich Anklage erhob. Auch das wirft Fragen auf: Wie konnte ein in vielen Belangen auffälliger Apotheker über so lange Zeit unbehelligt bleiben? Wieso wurden Aufsichtsmaßnahmen nicht früher mit größerer Konsequenz umgesetzt? Und wie kann künftig verhindert werden, dass Einzelne das System zu ihrem Vorteil manipulieren – zulasten der Patient:innen und der Solidargemeinschaft?
Mit dem rechtskräftigen Urteil endet ein Fall, der juristisch abgeschlossen ist, aber gesundheitspolitisch nachwirkt. Für viele Beobachter ist klar: Die derzeitigen Kontrollstrukturen im Gesundheitswesen genügen nicht, um systematisches Fehlverhalten frühzeitig zu unterbinden. Das betrifft nicht nur die Apothekerkammern, sondern auch die Landesdirektionen, die Strafverfolgungsbehörden und nicht zuletzt die Krankenkassen, die oftmals erst spät auf Abrechnungsanomalien reagieren. Es ist nicht nur ein Einzelfall, sondern ein strukturelles Problem – und damit ein Auftrag zur politischen Reform.
Versorgung kippt lokal, Verantwortung wechselt digital, Protest wächst öffentlich
Wie Apotheken um ihre Rolle in der Hilfsmittelversorgung kämpfen, Kassen Versorgungslücken in Kauf nehmen und Patient:innen zum Widerstand aufrufen
Ab dem 1. Juli 2025 wird es für rund drei Millionen Versicherte der IKK classic ernst: Die gewohnte Versorgung mit medizinischen Hilfsmitteln über ihre Stammapotheke vor Ort könnte abrupt enden – sofern diese nicht bereit ist, einem neuen Einzelvertrag mit der Kasse beizutreten. Was auf den ersten Blick nach einem Vertragsdetail aussieht, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Systembruch mit konkreten Folgen für Patient:innen, Apotheken und die Versorgungslandschaft insgesamt.
Den Anfang machte ein Post auf Instagram. Die Weida-Apotheken in Riesa, langjähriger Partner in der Hilfsmittelversorgung für viele IKK-Versicherte, nutzten das soziale Netzwerk, um auf die bevorstehende Veränderung hinzuweisen – und gleichzeitig zur Aktion aufzurufen. Die Botschaft ist klar formuliert: „Fordern Sie die IKK classic auf, wieder faire Bedingungen für eine qualitativ hochwertige Hilfsmittelversorgung über Ihre Apotheke vor Ort zu schaffen!“ Dahinter steckt die Sorge, dass ein zentrales Element patientennaher Versorgung verloren geht – aus Kostengründen, ohne nachvollziehbare Qualitätsverbesserung.
Der Hintergrund: Die IKK classic verfolgt seit Monaten eine neue Vertragspolitik. Anstelle einer allgemeinen, für alle Apotheken geltenden Vereinbarung setzt sie verstärkt auf selektive Einzelverträge mit einzelnen Apotheken. Diese Vertragskonstrukte gelten jeweils nur für bestimmte Hilfsmittelgruppen und verlangen detaillierte Leistungsvorgaben. Für viele Apotheken ist das weder wirtschaftlich tragbar noch logistisch umsetzbar – zumal häufig unklar ist, wie viele Patient:innen überhaupt betroffen sind.
Dementsprechend groß ist der Widerstand. Nur wenige Apotheken haben bislang unterschrieben. Die Folge: Ab dem Stichtag können viele Versicherte ihre gewohnten Hilfsmittel – etwa Inkontinenzprodukte, Kompressionsstrümpfe oder Pflegehilfen – nicht mehr über ihre Apotheke beziehen. Stattdessen sind sie auf die wenigen Vertragspartner angewiesen, die häufig nicht wohnortnah arbeiten. Teilweise liegen diese mehr als 50 Kilometer entfernt.
Für Patient:innen bedeutet das nicht nur eine massive Erschwernis, sondern auch ein Verlust an persönlicher Betreuung, Beratung und Versorgungskontinuität. Besonders hart trifft es pflegebedürftige Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind – und auf regelmäßige, diskrete und verlässliche Versorgung angewiesen sind.
Das Dilemma: Die IKK classic verweist auf Wirtschaftlichkeitsgebote, fordert günstigere Versorgungspfade und verweist auf den Wettbewerb. Die Apotheken hingegen kontern mit der Versorgungsrealität. „Wir sind es, die dafür sorgen, dass die Produkte korrekt angepasst, individuell erklärt und zuverlässig geliefert werden“, sagt eine Inhaberin aus Sachsen. Die neue Vertragspolitik zerschneide funktionierende Versorgungsketten und zwinge Patient:innen in ein System, das weder digital noch lokal tragfähig sei.
Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekenverbände (ABDA) hält sich bislang mit öffentlichen Äußerungen zurück, verweist aber auf das grundsätzliche Problem wachsender Selektivverträge zulasten der Regelversorgung. In Fachkreisen wird diskutiert, ob hier ein Präzedenzfall geschaffen wird – und ob andere Kassen dem Beispiel folgen könnten. Der GKV-Spitzenverband betont auf Nachfrage, dass die Krankenkassen innerhalb des gesetzlichen Rahmens handeln dürfen, solange sie Qualität, Wirtschaftlichkeit und Leistungsgleichwertigkeit sicherstellen. Was das jedoch konkret für Versicherte bedeutet, bleibe oft im Dunkeln.
In sozialen Medien zeigt sich unterdessen, dass das Thema Menschen bewegt. Der Post der Weida-Apotheke wurde binnen weniger Stunden über 1.000-mal geteilt, kommentiert oder gespeichert. Patient:innen berichten von Unsicherheit, Frust und Ängsten, plötzlich auf sich allein gestellt zu sein. Einige berichten, dass ihnen in Beratungsgesprächen offen empfohlen wurde, über einen Kassenwechsel nachzudenken – eine drastische Konsequenz, die das Vertrauen in das Versorgungssystem weiter untergräbt.
Doch auch die Apotheken stehen unter Druck. Für sie bedeutet jeder Wegfall eines Vertrags eine Schwächung der wirtschaftlichen Basis. Gleichzeitig geraten sie in eine paradoxe Rolle: Sie sollen informieren, beraten und auffangen – ohne dafür eine Grundlage zu haben. Manche Inhaber:innen berichten sogar, dass sie rechtlich prüfen lassen mussten, ob sie überhaupt noch Hilfsmittel für IKK-Versicherte abgeben dürfen, selbst wenn die Patient:innen bereit wären, privat zu zahlen.
Im Kern offenbart sich ein tiefer Strukturkonflikt zwischen wohnortnaher Versorgung und zentralisierter Vertragspolitik. Was als ökonomische Optimierung daherkommt, wird in der Fläche zur Zumutung – für Versicherte wie für Apotheken.
Das Plädoyer der Weida-Apotheke ist daher mehr als ein Aufruf: Es ist ein Appell an die Systemverantwortung der Kassen, an die Solidarität der Versicherten und an die politische Debatte über die Rolle von Apotheken in der Fläche. Denn was heute ein Post in Riesa ist, könnte morgen ein Protest in ganz Deutschland sein.
EU will Lieferketten stärken, Rabattverträge neu denken, Umweltkosten neu kalkulieren
Beim EPSCO-Rat fordern Liese und Warken konkrete Schritte gegen Engpässe, für Standortstärkung und realistische Abwasserregeln
In Luxemburg tagt heute der Rat der EU-Gesundheitsministerinnen und -minister – und die Erwartungen an konkrete Fortschritte in der Arzneimittelversorgung sind hoch. Vor allem der CDU-Europaabgeordnete Dr. Peter Liese macht Druck: Die seit Jahren bekannten Lieferengpässe müssten endlich mit substanziellen Maßnahmen bekämpft werden. Sein Appell richtet sich sowohl an die Kommission als auch an die Mitgliedstaaten: Die Produktion in Europa müsse gestärkt und das Beschaffungswesen so verändert werden, dass nicht mehr nur der niedrigste Preis entscheidet, sondern auch Versorgungssicherheit und Produktionsstandort mit einfließen.
Liese verweist auf einen Vorschlag der EU-Kommission vom 11. März, der genau diese neuen Bewertungskriterien vorsieht – etwa die Priorisierung europäischer Hersteller im Rahmen von Ausschreibungen. Für ihn ist das ein zentrales politisches Signal: Wenn Europa sich aus der massiven Abhängigkeit von Drittländern befreien will, müsse es seine Marktmacht bündeln und strukturelle Fehlanreize im System der Rabattverträge beheben. „Es ist schrecklich, wenn Patientinnen und Patienten hören: Ihr Medikament ist nicht lieferbar“, so Liese. Neben dem gesundheitlichen Schaden sei das ein immenser organisatorischer Aufwand für das medizinische Personal, das permanent nach Alternativen suchen müsse. Aus seiner Sicht kann nur die gebündelte Nachfrage der 27 EU-Staaten ein solches Umsteuern bei den Herstellern auslösen.
Konkret fordert Liese zudem eine Beschleunigung der Genehmigungsverfahren für Produktionsstätten, um europäische Standorte konkurrenzfähig zu machen. „Das Problem duldet keinen Aufschub“, mahnt er. Tatsächlich liegt bislang nur ein erster Vorschlag für ein europäisches Maßnahmenpaket gegen Arzneimittelknappheit auf dem Tisch. Eine Einigung auf das umfassendere Pharmapaket gilt zwar als sicher, doch die operative Umsetzung zur Vermeidung von Engpässen bleibt offen.
Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) äußerte sich zum Auftakt des Treffens zuversichtlich. Sie sieht im EPSCO-Rat den „Startschuss für die Verhandlungen im Rat“ und hebt das europäische Gesetz über kritische Arzneimittel – den „Critical Medicines Act“ – als zentrales Instrument hervor. Ziel sei es, Europas Versorgungssicherheit zu stabilisieren, Produktionsketten zu sichern und strukturelle Abhängigkeiten zu reduzieren. Als Beispiel nennt sie die derzeitige Antibiotikaversorgung, bei der die EU zu rund 80 Prozent auf externe Zulieferer angewiesen ist. Der Standort Europa müsse in strategisch sensiblen Bereichen widerstandsfähiger aufgestellt werden – auch durch gezielte Regulierung und industriepolitische Anreize.
Neben der Versorgungssicherheit sieht Warken auch die Wettbewerbsfähigkeit der Pharmaindustrie im Fokus. Das Pharmapaket solle Innovation fördern, die Erstattungsbedingungen transparenter gestalten und einen besseren Zugang zu bezahlbaren Arzneimitteln gewährleisten. Die strategische Autonomie Europas sei dabei kein Selbstzweck, sondern die Voraussetzung für eine robuste Patientenversorgung in Krisenzeiten. Das EU-Arzneimittelrecht soll daher umfassend modernisiert werden, um dieser Doppelfunktion – Innovation und Sicherheit – gerecht zu werden.
Ein weiteres Thema auf der EPSCO-Agenda: die neue EU-Richtlinie zur Kommunalabwasserbehandlung. Seit Jahresbeginn verpflichtet sie die Mitgliedstaaten, ihre Kläranlagen technisch aufzurüsten, um Mikroverunreinigungen besser herauszufiltern. Mindestens 80 Prozent der entstehenden Kosten sollen laut Richtlinie von den Hauptverursachern getragen werden – vor allem Pharma- und Chemieindustrie. Die EU-Kommission musste nun jedoch einräumen, dass die bisherigen Kostenschätzungen unrealistisch niedrig angesetzt waren. Eine Neubewertung wurde angekündigt.
Für Deutschland und andere Mitgliedstaaten birgt die Umsetzung dieser Richtlinie gleich doppelte Relevanz: Einerseits geht es um eine gerechte Lastenverteilung bei der Verursacherfinanzierung, andererseits um die Frage, ob überzogene Umweltauflagen nicht zu Standortnachteilen führen könnten – besonders im Hinblick auf die Stärkung europäischer Arzneimittelproduktion, wie sie Liese und Warken anstreben. Es ist ein klassischer Zielkonflikt zwischen Umweltschutz, Industriepolitik und Versorgungslogik – und zugleich ein Testfall für die innere Konsistenz europäischer Gesundheitspolitik.
Warken sieht im Zusammenspiel der drei EPSCO-Themen – Pharmapaket, Critical Medicines Act und Abwasserregulierung – eine Chance zur Stärkung der Resilienz. Europa müsse nicht nur auf Krisen reagieren, sondern in der Lage sein, kritische Infrastrukturen vorausschauend zu sichern und Versorgungslücken präventiv zu schließen. Dass diese drei Themen nun gemeinsam auf dem Tisch liegen, sei ein Zeichen für den politischen Willen, genau diese Aufgabe anzugehen. Die Realität in vielen Apotheken und Kliniken zeige, wie dringend es sei, aus bloßen Absichtserklärungen konkrete Lösungen zu machen.
Während Liese auf europäische Beschaffungssignale setzt und Warken das regulatorische Fundament ausbauen will, bleibt die zentrale Herausforderung bestehen: Versorgungssicherheit darf nicht länger der niedrigste Posten auf der Agenda sein. Sie muss zur strategischen Priorität werden – mit klaren Kriterien, resilienten Lieferketten und einer Industriepolitik, die nicht zwischen Preisdruck und Systemrelevanz zerrieben wird. Luxemburg könnte heute der Ort sein, an dem sich entscheidet, ob Europa diese Herausforderung endlich annimmt.
Pflichten kennen, Grenzen wahren, Urlaubszeiten absichern
Wann Mehrarbeit erlaubt ist, was tariflich geregelt ist und warum Urlaubsvertretung keine automatische Überstunde bedeutet
In vielen Apotheken beginnt mit dem Sommer auch die Zeit angespannter Dienstpläne. Urlaube treffen auf knappe Personaldecken, und allzu oft stellt sich die Frage, ob Mitarbeitende verpflichtet sind, spontan einzuspringen, länger zu bleiben oder zusätzliche Schichten zu übernehmen. Die Antwort ist differenziert – und hängt maßgeblich von der juristischen Definition „begründeter Ausnahmefälle“ sowie von den klaren Regelungen des Bundesrahmentarifvertrags (BRTV) ab. Denn so einfach sich die Erwartung von Kollegialität anhört: Rechtlich ist Mehrarbeit im Urlaubsfall eben nicht automatisch zulässig.
Laut § 7 BRTV dürfen Apothekeninhaber:innen zwar im Ausnahmefall Überstunden verlangen, wenn die Betriebsabläufe anders nicht aufrechterhalten werden können. Eine solche Ausnahme liegt aber typischerweise nur dann vor, wenn plötzlich mehrere Mitarbeitende gleichzeitig krankheitsbedingt ausfallen oder ein unvorhersehbares Ereignis den Betrieb bedroht. Ein regulärer Urlaub zählt jedoch ausdrücklich nicht zu diesen Fällen. Das hat seinen Grund: Er ist langfristig planbar, gesetzlich geschützt und in der Regel frühzeitig genehmigt. Das Tarifwerk sieht sogar ausdrücklich vor, dass Mitarbeitende ihre Jahresurlaubsplanung frühzeitig vorlegen sollen – gemäß § 11 BRTV bereits zu Beginn oder Ende des Vorjahres. Wenn also Urlaube im Vorfeld bekannt sind, darf eine Mehrbelastung der verbleibenden Angestellten nicht ohne Weiteres angeordnet werden.
Auch die Adexa stellt klar: Urlaubsvertretung ist kein Grund für spontane Mehrarbeit – zumindest nicht im tariflich erlaubten Sinne. Wird eine solche dennoch verlangt, verstößt dies in vielen Fällen gegen arbeitsrechtliche Grundsätze und kann angefochten werden. Nur wenn Urlaubsausfälle mit unvorhersehbaren Krankmeldungen zusammenfallen, kann ausnahmsweise eine befristete Verpflichtung zur Mehrarbeit zulässig sein. Doch auch dann bleiben gesetzliche Obergrenzen bestehen.
Denn unabhängig von der tariflichen Situation gilt stets das Arbeitszeitgesetz (ArbZG). Arbeitgeber:innen dürfen keine Überstunden verlangen, die eine Überschreitung der gesetzlich zulässigen Höchstarbeitszeit von zehn Stunden täglich bedeuten würden. Ruhezeiten zwischen zwei Einsätzen müssen eingehalten, Pausen gewährt und Wochenendregelungen beachtet werden. Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz sind keine Bagatellen – sie können geahndet werden und im Ernstfall auch zu Haftungsfragen führen, etwa bei Fehlern infolge übermüdeter Mitarbeitender.
Darüber hinaus müssen auch individuelle Interessen von Angestellten berücksichtigt werden. Teilzeitkräfte dürfen nicht gegen ihre Vereinbarungen in Vollzeitähnliche Dienste gepresst werden. Wer nur vormittags arbeitet – etwa wegen Kinderbetreuung – muss sich nicht verpflichten lassen, nachmittags einzuspringen. Auch persönliche Lebensumstände können arbeitsrechtlich relevant sein. So entschied ein Arbeitsgericht, dass sogar das Wohlergehen eines Haustiers Grund genug sein kann, um geplante Mehrarbeit zu verweigern, wenn der Tagesablauf dadurch unzumutbar beeinträchtigt würde.
Für Apothekenleitungen bedeutet das: Der Wunsch nach reibungsloser Personalverfügbarkeit darf nicht in planwidrige Überstundenkultur münden. Stattdessen braucht es frühzeitige Dienstplanung, transparente Kommunikation, faire Urlaubsabstimmung und realistische Erwartungsmanagement – gerade im Sommer. Wer hier proaktiv handelt und frühzeitig Ressourcen kalkuliert, kann Konflikte vermeiden. Und wer dennoch auf kurzfristige Aushilfen angewiesen ist, sollte freiwillige Lösungen bevorzugen statt fragwürdige Anweisungen. Denn Zwang erzeugt nicht nur juristische Risiken, sondern auch Frust im Team – und damit den schlimmsten Engpass: Vertrauensverlust.
In einer Zeit, in der Personalbindung zum zentralen Erfolgsfaktor geworden ist, zählt jedes Signal der Fairness. Kolleg:innen dürfen füreinander einspringen – aber nicht müssen. Tarifverträge und Gesetzgebung setzen klare Grenzen. Nur wer diese kennt und respektiert, kann Personalengpässe überstehen, ohne die eigenen Strukturen zu gefährden.
Mitarbeiterbindung durch Mobilität, Steuerbonus durch Struktur, Vertrauensgewinn durch Transparenz
Wie Apotheken mit Diensträdern qualifiziertes Personal halten, steuerlich profitieren und rechtlich sicher agieren
Diensträder haben sich längst als Symbol moderner, nachhaltiger Mobilität etabliert – doch im Apothekenwesen geht es um weit mehr als reine Fortbewegung. In einem zunehmend umkämpften Arbeitsmarkt, der durch Fachkräftemangel, demografischen Wandel und steigenden Kostendruck geprägt ist, werden steuerlich begünstigte Zusatzleistungen zu strategischen Hebeln im Personalmanagement. Vor allem das Leasing von Fahrrädern oder E-Bikes gewinnt in Apotheken an Popularität – nicht nur, weil es ökologisch sinnvoll ist, sondern weil es den Apothekenbetrieb steuerlich entlasten, das Arbeitgeberimage stärken und Mitarbeiter langfristig binden kann. Entscheidend bleibt jedoch, dass die Umsetzung juristisch einwandfrei erfolgt und mit betriebswirtschaftlicher Sorgfalt begleitet wird.
Die steuerliche Grundlage ist auf den ersten Blick eindeutig: Wird ein Dienstrad zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Gehalt überlassen, bleibt diese Leistung nach § 3 Nr. 37 EStG steuer- und sozialabgabenfrei. Für Apothekeninhaber bedeutet das, dass sie ihren Angestellten einen echten Mehrwert bieten können, ohne dafür höhere Lohnnebenkosten in Kauf nehmen zu müssen. Gerade in kleinen Betrieben mit begrenzten Ressourcen bietet diese Variante die Möglichkeit, das Nettoeinkommen der Mitarbeitenden effektiv zu steigern – ein nicht zu unterschätzender Vorteil im Wettbewerb um qualifiziertes Personal. Insbesondere jüngere Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger legen zunehmend Wert auf Nachhaltigkeit und Work-Life-Balance – Diensträder können hier ein ausschlaggebender Faktor bei der Arbeitgeberwahl sein.
Anders sieht es aus, wenn das Modell über eine sogenannte Entgeltumwandlung erfolgt. Dabei wird ein Teil des Bruttogehalts einbehalten, um das Leasingrad zu finanzieren. Der geldwerte Vorteil, der daraus entsteht, muss zwar versteuert werden – jedoch gilt auch hier eine privilegierte Regelung. Nur ein Viertel des Bruttolistenpreises dient als Bemessungsgrundlage, auf die dann die Ein-Prozent-Regel Anwendung findet. Damit ist die steuerliche Belastung deutlich geringer als bei klassischen Dienstwagen – und bleibt für viele Mitarbeitende weiterhin attraktiv. Dennoch erfordert dieses Modell eine höhere organisatorische und rechtliche Sorgfalt: Die Gehaltsreduktion muss schriftlich vereinbart, transparent kommuniziert und sorgfältig dokumentiert werden, um rechtssicher zu bleiben.
Denn genau hier lauern erhebliche Risiken. Apothekenbetriebe, die sich in der Regel auf das Kerngeschäft konzentrieren und oft keine eigene Personal- oder Rechtsabteilung unterhalten, laufen Gefahr, fehlerhafte Verträge abzuschließen oder steuerliche Fallstricke zu übersehen. Ein häufiger Fehler ist die fehlende Dokumentation bei Entgeltumwandlungen – was im Rahmen einer Betriebsprüfung zu erheblichen Nachforderungen bei Lohnsteuer und Sozialabgaben führen kann. Im schlimmsten Fall drohen Rückzahlungen, die die finanzielle Stabilität kleiner Betriebe empfindlich erschüttern können. Der Spielraum für Fehler ist gering – umso wichtiger ist es, von Beginn an auf strukturierte Beratung, externe Dienstleister und rechtssichere Standardmodelle zu setzen.
Doch selbst bei rechtlich sauberer Umsetzung bleiben strategische Fragen offen. Besonders brisant ist die Auswirkung auf die Renten- und Sozialversicherungsansprüche der Mitarbeitenden: Sinkt das Bruttogehalt durch die Umwandlung, reduziert sich auch die spätere Rente, das Krankengeld oder das Arbeitslosengeld. Arbeitgeber sind deshalb in der Pflicht, ihre Mitarbeitenden transparent und umfassend aufzuklären – nicht nur aus juristischer Vorsicht, sondern auch aus ethischer Verantwortung. Wer moderne Zusatzleistungen wie das Dienstrad anbietet, darf die langfristigen Effekte nicht verschweigen. Alles andere würde das Vertrauensverhältnis gefährden, das in Apothekenteams eine zentrale Rolle spielt.
Dabei sind Diensträder mehr als nur ein steuerliches Modell – sie haben auch eine symbolische Funktion. In einer Branche, die sich zunehmend als Gesundheitsdienstleister versteht und nicht nur als Handelsbetrieb, geht es auch um Werte wie Nachhaltigkeit, Vorbildfunktion und Gemeinwohlorientierung. Wer als Apotheker:in Diensträder anbietet, signalisiert Verantwortungsbewusstsein – gegenüber Mitarbeitenden, gegenüber Kund:innen und gegenüber der Gesellschaft. In Zeiten wachsender Umwelt- und Klimasensibilität wirkt sich dies positiv auf das Image aus und kann auch den Kundenkontakt emotional aufwerten.
Die operative Umsetzung ist nicht zu unterschätzen: Leasingverträge müssen rechtssicher gestaltet sein, Fragen zur Wartung, Versicherung, Unfallregulierung und Rücknahme bei Auslaufen des Vertrags geregelt werden. Empfehlenswert sind Kooperationen mit erfahrenen Anbietern, die auf die Bedürfnisse kleiner und mittelständischer Betriebe zugeschnittene Komplettpakete bereitstellen. Das entlastet die Verwaltung, minimiert Fehlerquellen und erhöht die Akzeptanz bei allen Beteiligten. Gerade in Apotheken, wo Ressourcen knapp und Prozesse auf Effizienz getrimmt sind, kann ein gut gemachtes Dienstradmodell ein echter Gewinn sein – organisatorisch wie kulturell.
Nicht zuletzt zeigt sich an diesem Thema eine strukturelle Schieflage in der politischen Umsetzung steuerlicher Förderinstrumente. Während große Konzerne eigene Fachabteilungen einsetzen können, müssen sich Apothekeninhaber durch ein Dickicht an Vorschriften kämpfen und auf externe Unterstützung hoffen. Förderlogik droht zur Überforderung zu werden, wenn sie nicht konsequent vereinfacht und praxistauglich aufbereitet wird. Was als Motivation gedacht war, wird so zum Belastungstest – für die, die sich am wenigsten Fehler erlauben können.
In der Summe bleibt festzuhalten: Diensträder sind ein leistungsstarkes Werkzeug zur Stärkung der Arbeitgebermarke, zur Steueroptimierung und zur Förderung eines positiven Betriebsklimas. Doch ihr Erfolg steht und fällt mit einer konsequent sauberen, durchdachten Umsetzung. Wer sie als bloße Image-Maßnahme einsetzt, riskiert rechtliche Fallstricke und beschädigt langfristig das Vertrauensverhältnis zu seinem Team. Wer jedoch ganzheitlich denkt – vom Vertrag bis zur Kommunikation – wird mit einem Plus an Motivation, Loyalität und Wettbewerbsfähigkeit belohnt. Apotheken, die diesen Weg konsequent gehen, senden ein starkes Signal: Wir gestalten Zukunft – verantwortungsbewusst, nachhaltig und partnerschaftlich.
Wirtschaftsmythen, Feiertagslogik, Belastungsgrenzen
Warum die Streichung arbeitsfreier Tage kaum mehr Wachstum bringt, wie Symbolpolitik und Realität auseinanderklaffen und was Erholungszeit mit Produktivität zu tun hat
Die Diskussion flammt verlässlich auf, wenn Brückentage das Land in den kollektiven Kurzurlaub versetzen und Teile der Wirtschaftsbühne reflexartig ihre alten Narrative entstauben: Mehr Arbeitstage, weniger Feiertage, höheres Bruttoinlandsprodukt – so lautet die simple Formel, mit der Arbeitgeberverbände, wirtschaftsliberale Stimmen und einzelne Ökonomen in Krisenzeiten zur Disziplin rufen. So auch jüngst, als DIHK-Präsident Peter Adrian und die „Wirtschaftsweise“ Monika Schnitzer die Streichung eines Feiertags zur Stärkung der Volkswirtschaft anregten. Symbolisch und effizient zugleich solle das sein. Doch aktuelle Daten sprechen eine andere Sprache – und entlarven den Wachstumsmythos als verkürzte Wunschprojektion.
Das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) hat sechs reale Fälle untersucht, in denen Feiertage abgeschafft oder neu eingeführt wurden – teils bundesweit, teils regional. Das Ergebnis der Analyse ist eindeutig: Es gibt keine ökonomisch belastbaren Belege dafür, dass die Abschaffung von Feiertagen die Wirtschaftsleistung erhöht. Im Gegenteil: In mehreren Fällen entwickelte sich die Wirtschaft in den Bundesländern mit beibehaltenen oder zusätzlichen Feiertagen sogar besser. Die Gleichung „Ein Feiertag weniger gleich mehr BIP“ ist nach Einschätzung der IMK-Forscher schlicht zu simpel für die komplexe Realität einer postindustriellen Gesellschaft.
Ein besonders prägnantes Beispiel liefert der Wegfall des Buß- und Bettages ab 1995. Damals wurde der Feiertag zur teilweisen Gegenfinanzierung der Pflegeversicherung in allen Bundesländern gestrichen – mit Ausnahme Sachsens. Sollte der Wegfall tatsächlich einen messbaren wirtschaftlichen Schub erzeugen, hätte sich dieser zumindest im Vergleich zwischen Sachsen und seinen Nachbarländern zeigen müssen. Doch das Gegenteil trat ein: Während das nominale BIP bundesweit um 3,4 Prozent wuchs, legte Sachsen um 9,7 Prozent zu – trotz Feiertag. Auch im Vergleich mit Sachsen-Anhalt und Thüringen, die den Feiertag wie alle anderen Bundesländer abschafften, lag der Freistaat vorn. Das lässt sich weder mit Strukturförderung noch Einmaleffekten plausibel erklären, sondern verweist auf eine größere Gleichung, in der Produktivität, Arbeitszufriedenheit, Erholungsphasen und Innovationsfähigkeit eng miteinander verwoben sind.
Genau dort setzt das IMK an: Nicht die reine Zahl an Arbeitsstunden bestimme das wirtschaftliche Gesamtergebnis, sondern vor allem deren Qualität. Wer ausgeruht arbeitet, arbeitet effizienter. Wer überlastet ist, senkt seine Leistungsbereitschaft. Und wer das Gefühl hat, dass sein Kalender nur aus Arbeitszeit besteht, steigt tendenziell früher aus dem Erwerbsleben aus oder reduziert die Wochenarbeitszeit. Gerade in einem Umfeld zunehmender psychischer Belastungen, komplexer Arbeitsrealitäten und eines strukturellen Fachkräftemangels seien zusätzliche Arbeitstage kein Garant für mehr Wertschöpfung – sondern potenziell kontraproduktiv.
So belegen Studien zu Erschöpfung und Burnout-Risiken, dass Regenerationsphasen zentrale Voraussetzung für nachhaltige Leistung sind. Die Idee, Belastung durch Verzicht auf Feiertage zu erhöhen, mag kurzfristig fiskalisch plausibel erscheinen, untergräbt aber mittel- bis langfristig das Fundament der Leistungsfähigkeit. Darauf verweist auch die Pandemie-Erfahrung: Ausgerechnet in systemrelevanten Berufen wie Pflege, Medizin oder Bildung war zu beobachten, dass Beschäftigte ihre Arbeitszeit freiwillig reduzierten, um der Überlastung zu entkommen. Diese Form der „stillen Reaktion“ kann auch bei einer Feiertagsreform eintreten – mit negativen Rückkopplungen für das gesamtwirtschaftliche Arbeitsangebot.
Gleichzeitig konfrontiert das IMK die einseitige Wachstumsfixierung mit einer differenzierteren Sichtweise. Feiertage seien nicht nur volkswirtschaftliche Störungen, sondern auch soziale und kulturelle Anker, die kollektive Identität und psychologische Stabilität stiften. In einem Land mit 250 bis 260 durchschnittlichen Arbeitstagen pro Jahr stellt ein zusätzlicher Feiertag eine minimale Abweichung dar – mit maximaler symbolischer Aufladung. Dass genau diese Symbolik jedoch in die falsche Richtung genutzt wird, kritisieren Arbeitsmarktforscher, Sozialverbände und zunehmend auch Vertreter der Gesundheitswirtschaft. Sie plädieren dafür, statt wachstumssteigernder Feiertagsstreichungen endlich strukturelle Verbesserungen in Arbeitsorganisation, Digitalisierung und Innovationsförderung anzugehen – dort nämlich, wo der Hebel tatsächlich groß ist.
Selbst das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW), das den BIP-Effekt eines entfallenden Feiertags auf 5 bis 8,6 Milliarden Euro schätzt, räumt ein, dass es sich hierbei um rein rechnerische Werte handelt – nicht um garantierte volkswirtschaftliche Gewinne. Diese Summe entstehe unter idealisierten Annahmen, etwa einer vollständigen Verlagerung ausgefallener Produktion oder Dienstleistungen auf den neuen Arbeitstag, einer konstanten Arbeitsmotivation und eines unveränderten Konsumverhaltens. Faktoren wie Krankheit, Unproduktivität, Motivationsverluste oder schlicht fehlende Nachfrage bleiben in solchen Kalkulationen unberücksichtigt.
Auch international zeigt sich kein klarer Zusammenhang zwischen Feiertagsdichte und Wirtschaftskraft. Länder wie Frankreich oder Italien mit mehr arbeitsfreien Tagen pro Jahr haben vergleichbare Produktivitätsraten wie Deutschland, während wirtschaftsstarke Volkswirtschaften wie die USA oder Südkorea trotz geringerer Feiertagszahlen mit ganz eigenen strukturellen Herausforderungen kämpfen. Die Feiertagsfrage ist also kein isolierter Hebel, sondern eingebettet in ein komplexes Geflecht wirtschaftlicher, kultureller und psychologischer Faktoren.
Unterm Strich bleibt damit festzuhalten: Wer den Abbau von Feiertagen fordert, um Konjunktur und Wachstum zu steigern, operiert mit einer verkürzten Logik, die weder den empirischen Befund noch die gesellschaftliche Realität berücksichtigt. Was auf dem Papier nach Effizienzgewinn aussieht, kann in der Praxis zu Motivationsverlust, Produktivitätsverfall und sozialen Spannungen führen. Feiertage sind keine Wachstumsbremse, sondern Teil eines feingliedrigen Systems, das wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, soziale Resilienz und individuelle Gesundheit zusammendenkt. Wer dieses Gleichgewicht stört, riskiert mehr, als er gewinnt.
Marktöffnung, Herkunftswechsel, Kostendruckverstärker
Wie Grindeks Kalcek aus Lettland den deutschen Generikamarkt aufmischt, welche strategischen Effekte für Rabattverträge drohen und warum westliche Anbieter unter Zugzwang geraten
Der Markteintritt von Grindeks Kalcek auf dem deutschen Generikamarkt markiert einen strategischen Wendepunkt: Mit dem lettischen Unternehmen etabliert sich erstmals ein osteuropäischer Anbieter in einer Größenordnung, die die bislang dominierende Präsenz indischer und chinesischer Hersteller konkret herausfordert – sowohl preislich als auch logistisch. Der Vorstoß ist kein Zufallsprodukt, sondern Teil einer langfristigen Diversifizierungsstrategie, die in Reaktion auf die Versorgungskrisen der letzten Jahre Fahrt aufgenommen hat. Während sich westeuropäische und deutsche Produzenten in bürokratischen Debatten um Lieferengpässe, Rohstoffversorgung und Produktionsrückverlagerung verlieren, zeigt Grindeks Kalcek, dass auch Länder außerhalb des bisherigen Rabattvertragsnexus marktfähige Strukturen aufbauen können. Die Firma mit Sitz in Riga, die bereits in mehreren EU-Staaten aktiv ist, nutzt die zunehmende Offenheit der Kassen gegenüber alternativen Bezugsquellen – und trifft auf eine Marktlücke, die durch politische Blockaden, unterbrochene Lieferketten und den wachsenden Ruf nach „strategischer Autonomie“ entstanden ist.
Grindeks Kalcek tritt mit einem breiten Portfolio an generischen Wirkstoffen an – von Herz-Kreislauf-Therapeutika bis hin zu onkologischen Substanzen – und signalisiert zugleich, dass man nicht nur reine Nachahmerprodukte liefern, sondern auch in die bioäquivalente Weiterentwicklung investieren will. Bemerkenswert dabei ist die klare Positionierung: Statt sich anonym über Drittlogistiker in Rabattwellen einzuschleusen, tritt das Unternehmen selbstbewusst unter eigenem Namen auf. Diese Transparenz in Kombination mit dem EU-Produktionsstandort wird von einigen Kassenvertretern ausdrücklich begrüßt. Erste Versorgungsverträge mit kleineren Kassenkonsortien sind bereits geschlossen, weitere Ausschreibungen im Rahmen des neuen §130a-Rahmens in Vorbereitung.
Für die etablierten Marktakteure bedeutet dies eine neue Form der Konkurrenz: Denn Grindeks Kalcek positioniert sich mit moderaten Einstiegspreisen, einer belastbaren Lieferfähigkeit und strategischem Know-how bei regulatorischen Prozessen – das betrifft sowohl AMNOG-Dossiers als auch Zulassungsfragen bei der EMA. Die Rabattvertragslandschaft könnte dadurch perspektivisch breiter, aber auch unübersichtlicher werden. Gleichzeitig erhöht sich der Druck auf die klassischen Player, insbesondere in Deutschland, Frankreich und Österreich, ihre Produktionsstandorte zu modernisieren oder zu konsolidieren. Auch der Ruf nach einer differenzierteren Bewertung osteuropäischer Pharmaproduktion im EU-Rahmen wird lauter: Denn anders als häufig vermutet, verfügt Lettland über solide Kontrollsysteme, qualitätsgesicherte Herstellungsbedingungen und zunehmend auch über eigene Forschungskapazitäten.
Politisch fällt der Eintritt von Grindeks Kalcek zudem in eine sensible Phase: Die europäische Debatte um Arzneimittelautarkie, Anti-Knappheitsstrategien und ein belastbares Gesundheitssystem hat zuletzt Fahrt aufgenommen – allerdings bislang stark auf Frankreich, Deutschland und Italien konzentriert. Dass nun ein mittelgroßes EU-Land mit pharmaindustrieller Expertise in Erscheinung tritt, verschiebt die Narrative: Die EU als Arzneimittelproduktionsstandort muss sich künftig nicht nur gegen China und Indien behaupten, sondern auch ihre innereuropäische Dynamik neu sortieren. Grindeks Kalcek könnte hier als Katalysator wirken – sowohl wirtschaftlich als auch symbolisch.
Für Apotheken vor Ort eröffnet der Markteintritt ebenfalls eine neue Option: Je nach vertraglicher Ausgestaltung könnten grindeksbasierte Präparate in der Sichtwahl auftauchen oder in Rabattlieferketten integriert werden. Da das Unternehmen bereits über deutsche Vertriebsstrukturen und GDP-konforme Lieferkanäle verfügt, ist der operative Start gut vorbereitet. Entscheidend wird sein, wie schnell das Unternehmen auf Liefermengenanpassungen und saisonale Bedarfsschwankungen reagieren kann – hier haben sich andere Neueinsteiger in der Vergangenheit oft verkalkuliert. Grindeks Kalcek setzt dagegen auf ein dezentrales Logistikkonzept mit Warehousing-Kapazitäten in Mitteleuropa. Auch dies signalisiert: Man will nicht als Billiganbieter, sondern als planbarer Versorger wahrgenommen werden.
Die langfristige Perspektive hängt jedoch nicht allein vom Produkt- und Lieferportfolio ab, sondern auch von der Akzeptanz auf Seiten der Ärzteschaft, der Apotheken und der Patientinnen und Patienten. Das Unternehmen kündigte bereits an, in Aufklärung und Patientenkommunikation investieren zu wollen – insbesondere dort, wo es um sensible Wirkstoffklassen oder Wechselwirkungsmanagement geht. Wenn Grindeks Kalcek diese Balance aus Preisvorteil, Versorgungsqualität und professioneller Kommunikation halten kann, könnte der lettische Anbieter nicht nur eine Marktnische besetzen, sondern ein ernstzunehmender Mitgestalter des zukünftigen europäischen Generikamarkts werden.
Arzt gefesselt aufgefunden, Zeugin spricht von gemeinsamer Gefangenschaft, Ermittler prüfen Tötungsmotiv
Ein 76-jähriger Mediziner stirbt offenbar durch Ersticken in seiner Berliner Praxis, während eine 35-jährige Bekannte angibt, im Nebenraum eingesperrt gewesen zu sein
Ein gewaltsamer Todesfall erschüttert die Ärzteschaft und wirft düstere Fragen über ein Verbrechen in einer Berliner Arztpraxis auf. Am Freitagnachmittag wird im Stadtteil Wedding ein 76 Jahre alter Arzt tot in seinen Praxisräumen aufgefunden – gefesselt, hilflos, laut Obduktion wahrscheinlich erstickt. Was zunächst wie ein Einbruch mit tödlichem Ausgang erscheint, entwickelt sich in der Folge zu einem komplexen Fall mit widersprüchlichen Aussagen, einer überraschenden Zeugin und noch vielen offenen Ermittlungsansätzen.
Die alarmierten Polizisten finden den Leichnam des Mediziners gefesselt in einem Behandlungsraum. Zeitgleich wird eine 35-jährige Frau in einer nahegelegenen Bar angetroffen. Sie trägt Klebebandreste an den Handgelenken, wirkt verstört und gibt an, zuvor mit dem Arzt in der Praxis gewesen zu sein. Ein bislang unbekannter Täter habe sie überwältigt, gefesselt und in einem Nebenraum eingeschlossen. Nach eigenen Angaben konnte sie sich irgendwann befreien, in die Bar flüchten, dort um Hilfe bitten und sich von ihren Fesseln befreien lassen. Anschließend sei sie zurück in die Praxis geeilt, habe einen Notruf abgesetzt und versucht, den Arzt zu reanimieren – jedoch vergeblich.
Laut Staatsanwaltschaft handelt es sich bei der Frau um eine Bekannte des Arztes. Sie habe angegeben, mit ihm freundschaftlich verbunden gewesen zu sein. Weitere Details zur Art der Beziehung sind bislang nicht bekannt. Die Frau beteuert, keine Kenntnis vom genauen Tathergang zu haben – sie habe nur Schreie aus dem benachbarten Raum gehört, in dem sich der Arzt aufgehalten habe. Von dem mutmaßlichen Täter, der beide gefesselt haben soll, fehle jede Spur.
Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Berlin erklärte am Samstag, man ermittle wegen eines Tötungsdelikts. Die Obduktion habe ergeben, dass der Arzt sehr wahrscheinlich erstickt sei – Details zu möglichen Verletzungen oder toxikologischen Befunden wurden bislang nicht veröffentlicht. Ebenso ist unklar, wie der oder die Täter Zugang zur Praxis erhielten, ob Spuren eines gewaltsamen Eindringens vorliegen oder ob es sich um ein gezieltes Vorgehen handelte. Die Ermittler wollen sich zur genauen Todesursache und zu weiteren Umständen vorerst nicht äußern, um den Fortgang der Untersuchungen nicht zu gefährden.
Auch das Umfeld des Arztes wird derzeit durchleuchtet. Nachbarn und Patienten beschreiben den Mediziner als ruhig, kompetent und zurückgezogen lebend. In der Praxis sei stets wenig Betrieb gewesen. Ob er gezielt Opfer eines Überfalls wurde oder die Tat im Zusammenhang mit persönlichen Beziehungen steht, ist derzeit offen. Die 35-jährige Frau, die in der Bar auftauchte, befindet sich nach ersten Vernehmungen wieder auf freiem Fuß, steht jedoch weiterhin unter Beobachtung und wird intensiv befragt.
Das Landeskriminalamt hat die Ermittlungen übernommen. Neben Spuren am Tatort und der Auswertung von Videoaufnahmen in der Umgebung sollen auch telefonische Verbindungen, Bewegungsdaten und frühere Kontakte des Arztes rekonstruiert werden. In der Nachbarschaft wurde bisher keine verdächtige Person gesichtet. Die Ermittler setzen auf Hinweise aus der Bevölkerung – insbesondere auf Beobachtungen am Freitagnachmittag in der Nähe der Praxis in der Müllerstraße.
Der Fall sorgt bundesweit für Aufsehen, nicht nur wegen der dramatischen Umstände, sondern auch wegen der vielen unbeantworteten Fragen. Die Vorstellung, dass ein Arzt mitten in Berlin in seiner Praxis gefesselt und getötet wird, während eine weitere Person angeblich ebenfalls in Geiselhaft genommen wurde, wirkt verstörend – insbesondere in einem medizinischen Umfeld, das normalerweise als geschützter Raum gilt.
Die Berliner Ärztekammer äußerte sich bestürzt über die Tat. Präsident Dr. Peter Bobbert teilte mit, man sei in tiefer Trauer und hoffe auf eine rasche Aufklärung. „Wir verlieren einen Kollegen, der bis ins hohe Alter seinem Beruf treu geblieben ist. Die Umstände machen fassungslos.“ Auch Berlins Gesundheitssenatorin Ina Czyborra (SPD) sprach den Angehörigen ihr Mitgefühl aus und lobte das entschlossene Vorgehen der Einsatzkräfte.
Während sich die Öffentlichkeit fragt, ob es sich um ein Verbrechen aus dem persönlichen Umfeld oder einen eskalierten Überfall handelt, bleibt für die Ermittler entscheidend, das Handeln der Zeugin lückenlos zu rekonstruieren. War sie tatsächlich Opfer – oder könnte sie mehr mit dem Geschehen zu tun haben, als sie zugibt? Die nächsten Tage dürften klären, ob die Polizei in einem Mordfall ermittelt, der nur einen Täter kennt – oder ob das Netz hinter der Tat noch größer ist.
Fest steht: Die Praxis ist inzwischen versiegelt, der Tatort kriminaltechnisch gesichert, und die Arbeit der Ermittler läuft auf Hochtouren. Die 35-Jährige wird in den kommenden Tagen erneut vernommen. Die Polizei hofft auf Hinweise aus der Bevölkerung und appelliert an mögliche Zeugen, sich zu melden – auch anonym. Der Tod des Arztes könnte sonst in einem Labyrinth aus Halbwahrheiten, Spekulationen und fehlenden Beweisen untergehen. Doch noch besteht Hoffnung, dass Licht in das Dunkel der Praxisräume von Berlin-Wedding dringt.
Vertrauen braucht Transparenz, Lernen braucht Fehleranalyse, Gesellschaft braucht Heilung
Warum eine Enquete-Kommission zur Corona-Pandemie kommt, was sie leisten soll – und welche politischen Konfliktlinien drohen
Fünf Jahre nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie setzen Bundestag und Regierung einen späten, aber weitreichenden Schritt: Die lange diskutierte Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der Krise wird nun tatsächlich eingerichtet. SPD und Union wollen damit einerseits Lehren aus der tiefsten gesundheitlichen, sozialen und politischen Ausnahmelage der jüngeren Geschichte ziehen, andererseits auch zur gesellschaftlichen Versöhnung beitragen. Das erklärte Ziel: kein Tribunal, sondern ein Analyseprozess mit Zukunftsfokus. Doch wie realistisch ist das – und welche Themen werden die Debatte bestimmen?
Dagmar Schmidt, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, spricht in ungewöhnlich klaren Worten von einer „tiefen Zäsur“: Familien, Kinder, Pflegekräfte, Selbstständige und viele andere hätten unter den Corona-Maßnahmen ebenso gelitten wie unter der Krankheit selbst. „Wir schauen hin, wir hören zu, und wir lernen“, formuliert sie die Richtschnur der Koalition. Die Kommission solle nicht nur Mängel aufdecken, sondern auch Positives hervorheben und ein differenziertes Bild der Pandemiepolitik liefern – ein Anspruch, der angesichts der politischen Spannungen von 2020 bis 2022 ambitiös wirkt.
Auch die Union sendet Signale der Zusammenarbeit. Albert Stegemann, Vizechef der Unionsfraktion, betont, dass es ausdrücklich nicht um Schuldzuweisungen gehen soll. Stattdessen wolle man Lehren ziehen, um bei künftigen Pandemien schneller und besser reagieren zu können. Damit setzt er sich bewusst von einem Untersuchungsausschuss ab, der parteipolitisch konfrontativer wäre. Dass die Kommission schon im Koalitionsvertrag vereinbart war, zeigt, wie sehr die Große Koalition noch nachwirkt – und wie dringend der Konsensbedarf beim Thema Corona nach wie vor ist.
Enquete-Kommissionen gelten im parlamentarischen Raum als Instrumente der gemeinsamen Wissensbildung. Sie bestehen aus Abgeordneten und externen Expert:innen, arbeiten oft über Jahre hinweg und schließen mit einem Abschlussbericht, der in Empfehlungen münden kann. Anders als Untersuchungsausschüsse zielen sie nicht auf Aufklärung individueller Verantwortlichkeiten, sondern auf systemische Erkenntnis. Genau dies scheint in der Corona-Aufarbeitung sinnvoll: Der politische Streit über Lockdowns, Schulschließungen, Impfpflicht, Testpolitik und Grundrechtsbeschränkungen verlief oft entlang moralischer Frontlinien, nicht faktenbasierter Differenzierungen. Diese Kommission könnte hier einen sachorientierten, gesellschaftlich anschlussfähigen Rahmen liefern.
Entscheidend wird allerdings die Zusammensetzung sein. Denn die Auswahl der Sachverständigen, ihre Einbindung und das politische Mandat der Kommission prägen maßgeblich, welche Fragen gestellt – und welche ausgeklammert werden. Der Hinweis, dass auch Betroffene selbst gehört werden sollen, lässt auf einen partizipativen Ansatz hoffen, wirft aber zugleich Fragen nach Gewichtung und Repräsentation auf. Wer gilt als Betroffener? Wer darf sprechen? Wer entscheidet über die Agenda?
Inhaltlich dürfte sich das Spektrum der Debatte entlang mehrerer Linien entfalten. Erstens: Die Verhältnismäßigkeit und Dauer von Maßnahmen – insbesondere im Bildungsbereich. Zweitens: Der Umgang mit vulnerablen Gruppen, etwa in der Pflege, in sozialen Brennpunkten oder im Gesundheitssystem. Drittens: Die demokratische Kontrolle von Exekutivmaßnahmen, etwa über das Infektionsschutzgesetz oder die Rolle der Ministerpräsidentenkonferenzen. Viertens: Die wirtschaftlichen, psychischen und sozialen Langzeitfolgen – von Existenzängsten bis zu Vereinsamung. Und schließlich fünftens: Die Kommunikationsstrategie des Staates in Zeiten höchster Verunsicherung.
Dabei darf auch die Rolle von Medien, Gerichten und zivilgesellschaftlichen Akteuren nicht ausgeklammert werden. Denn nicht nur Regierung und Verwaltung haben gehandelt – auch Journalist:innen, Wissenschaftler:innen, NGO-Vertreter:innen und Kritiker:innen prägten das Bild der Pandemie. Welche Narrative setzten sich durch? Welche Warnungen wurden ignoriert, welche übertrieben? Welche Instrumente der Krisenkommunikation waren erfolgreich – und welche kontraproduktiv?
Dass nun ausgerechnet die Große Koalition von gestern – CDU/CSU und SPD – die Kommission von heute einsetzt, birgt Chancen wie Risiken. Einerseits stehen beide Parteien in der Verantwortung für zentrale Entscheidungen der Pandemiezeit. Andererseits könnten sie durch den gemeinsamen Zugriff auf die Gremienstruktur eine Form von kontrollierter Selbstevaluation betreiben, bei der besonders umstrittene Themen – etwa die Maskenbeschaffung, die Teststrategie, die Schulpolitik oder die Impfskepsis – nur zurückhaltend adressiert werden. Genau dies zu vermeiden, wäre Voraussetzung für einen glaubwürdigen, integrativen Prozess.
Dass dieser Prozess auch eine psychologische Dimension hat, ist vielen Beteiligten bewusst. Die Rede von gesellschaftlicher „Heilung“ ist mehr als eine politische Floskel. In zahlreichen Familien haben sich Gräben aufgetan, Berufsbiografien wurden zerbrochen, Vertrauen in Institutionen nachhaltig erschüttert. Wenn die Kommission ernsthaft versucht, über juristische und gesundheitspolitische Rückblicke hinaus auch diesen Riss zu erfassen und produktiv zu verarbeiten, könnte sie über den rein administrativen Lerngewinn hinaus einen gesellschaftspolitischen Mehrwert erzeugen.
Die Einsetzung der Kommission ist ein Anfang – nicht mehr und nicht weniger. Sie ist weder Garantie für Wahrheit noch Allheilmittel gegen Spaltung. Doch sie kann, klug besetzt und mutig geführt, einen Raum öffnen, in dem Differenzierung wieder möglich ist. Ein Raum, in dem weder Schuldzuweisung noch Verdrängung dominieren, sondern der Wille zur Verständigung und zur Verbesserung. Wer diesen Raum kleinredet, verspielt eine Chance. Wer ihn mit Substanz füllt, kann aus der Krise tatsächlich etwas lernen – auch für das nächste Mal.
Fixkombination reduziert Injektionslast, optimiert Glukosekontrolle, stärkt Therapietreue
Wie das Wocheninsulin Icodec mit Semaglutid kombiniert wirkt, welche Ergebnisse die COMBINE-Studien liefern und was die einmalige Wochendosis für Patienten bedeutet
Die Therapie des Typ-2-Diabetes hat in den vergangenen Jahren eine strategische Neuausrichtung erfahren, bei der die Reduktion der Injektionsfrequenz zunehmend als wichtiger Parameter für die Patientenzufriedenheit und Therapietreue erkannt wird. In diesem Kontext rückt eine neue Fixkombination in den Fokus klinischer Forschung: IcoSema, bestehend aus dem Basalinsulin Icodec und dem GLP-1-Rezeptoragonisten Semaglutid. Beide Substanzen können einmal wöchentlich appliziert werden. Ziel ist es, durch eine kombinierte Injektion den Therapieaufwand zu minimieren und gleichzeitig die Wirksamkeit zu erhalten. Das COMBINE-Studienprogramm liefert hierzu erste validierte Ergebnisse.
Im Mittelpunkt der aktuellen Publikationen stehen die COMBINE-1- und COMBINE-3-Studien. COMBINE-1 ist eine randomisierte, offene Phase-3-Studie, die die Wirksamkeit und Sicherheit der Fixkombination bei insulinpflichtigen Typ-2-Diabetikern untersuchte. Die Patienten erhielten über 52 Wochen entweder IcoSema oder eine etablierte tägliche Kombinationstherapie mit Insulin glargin U100 plus einmal wöchentlich Semaglutid. Die Resultate belegen, dass IcoSema in der Glukosekontrolle nicht unterlegen war und gleichzeitig einen zusätzlichen Vorteil bei der Gewichtsreduktion und der Reduktion hypoglykämischer Episoden zeigte. Im Detail: Der HbA1c-Wert konnte im Mittel um 1,5 Prozent gesenkt werden, während das Körpergewicht der IcoSema-Gruppe im Schnitt um 5,3 Kilogramm zurückging. Dies war signifikant besser als im Kontrollarm.
Auch die COMBINE-3-Studie richtete sich an insulin-naive Typ-2-Diabetiker, die zuvor mit oralen Antidiabetika behandelt worden waren. Hier stand der Vergleich zwischen IcoSema und einer Monotherapie mit Semaglutid 1 mg im Fokus. Ergebnis: Die Fixkombination erzielte eine stärkere Senkung des HbA1c-Wertes (–1,8 % vs. –1,4 %) und einen vergleichbaren Gewichtsverlust (–4,6 kg). Insbesondere in Bezug auf die therapeutische Zielerreichung – ein HbA1c-Wert unter 7 % ohne klinisch relevante Hypoglykämie – zeigte sich ein Vorteil für die IcoSema-Gruppe.
Bemerkenswert ist, dass in beiden Studien die Injektionsfrequenz auf einmal pro Woche reduziert wurde, was in der Praxis erhebliche Auswirkungen auf die Akzeptanz der Therapie haben dürfte. In Patientenbefragungen äußerten die Teilnehmenden eine hohe Zufriedenheit mit dem Dosierschema. Viele gaben an, sich die wöchentliche Injektion besser in ihren Alltag integrieren zu können als tägliche Mehrfachinjektionen. Diese Beobachtung ist nicht trivial, denn Adhärenzprobleme gelten als einer der Hauptgründe für unzureichende Therapieeffekte bei chronischen Erkrankungen – insbesondere bei Diabetes.
Pharmakologisch basiert der Effekt der Fixkombination auf zwei unterschiedlichen, sich ergänzenden Wirkmechanismen: Während das Insulin icodec eine ultra-langanhaltende Glukosekontrolle über sieben Tage bietet, reduziert Semaglutid als GLP-1-Analogon das Hungergefühl, verlangsamt die Magenentleerung und erhöht die Glukoseabhängigkeit der Insulinsekretion. Damit entsteht ein dualer Effekt, der sowohl die nüchternen als auch postprandialen Blutzuckerwerte günstig beeinflusst – bei gleichzeitiger Gewichtsabnahme.
Auch aus regulatorischer Sicht ist die Entwicklung relevant: Sollte sich die Kombination als sicher und effektiv erweisen, könnte sie nicht nur bestehende Injektionsschemata vereinfachen, sondern auch die Anzahl der notwendigen Pens und Schulungen reduzieren. Derzeit prüft Novo Nordisk als Hersteller die Zulassung der Kombination in mehreren Märkten. Die US-amerikanische FDA hat bereits einen „Fast Track“-Status gewährt, was auf eine beschleunigte Bewertung hindeutet. In Europa laufen entsprechende Verfahren an.
Kritiker der Kombitherapie mahnen indes zur Vorsicht: Zwar sei der klinische Nutzen überzeugend, doch müsse insbesondere bei älteren oder multimorbiden Patienten die individuelle Dosisanpassung gewährleistet bleiben. Da IcoSema in einem festen Mischverhältnis verabreicht wird, könnte dies bei komplexen Stoffwechselprofilen eine Herausforderung darstellen. Ebenso müsse das Risiko kumulativer Nebenwirkungen beobachtet werden, etwa gastrointestinale Unverträglichkeiten durch Semaglutid in Verbindung mit Hypoglykämien bei unsachgemäßer Insulinanwendung.
Dennoch steht fest: Die Integration von IcoSema in die tägliche Praxis könnte einen Paradigmenwechsel markieren – weg von täglichen, komplexen Mehrfachregimen hin zu einer einmal wöchentlichen Therapieoption mit klaren Vorteilen für die Patientinnen und Patienten. Weitere Ergebnisse aus COMBINE-2 und COMBINE-4 werden in den kommenden Monaten erwartet und könnten die Evidenzbasis noch erweitern.
Bleibt die Frage, ob Krankenkassen die neue Fixkombination auch als wirtschaftlich bewerten. Die Hersteller argumentieren mit Einsparpotenzialen durch weniger Arztbesuche, weniger Schulungsbedarf und geringere Komplikationsraten. Ob dieser Kosten-Nutzen-Nachweis unter realen Versorgungsbedingungen gelingt, dürfte entscheidend für die Aufnahme in die Regelversorgung sein. Fest steht schon jetzt: Die neue Kombination hat das Potenzial, die Lebensrealität vieler Menschen mit Typ-2-Diabetes substanziell zu verbessern – vorausgesetzt, sie wird nicht durch regulatorische, wirtschaftliche oder praktische Hürden ausgebremst.
Essverhalten stabilisiert sich, Lebensqualität steigt, psychiatrische Risiken konstant
Was eine neue Metaanalyse über die psychischen Effekte von GLP1-Rezeptoragonisten bei Adipositas und Diabetes zeigt – und welche Grenzen die Studienlage hat
Glucagon-like Peptide-1-Rezeptoragonisten (GLP1-RAs) wie Semaglutid oder Tirzepatid haben sich längst in der Therapie von Typ-2-Diabetes und Adipositas etabliert. Ihre Wirkung auf Gewichtsreduktion, glykämische Kontrolle und kardiovaskuläre Risikofaktoren ist gut dokumentiert – doch wie steht es um die neuropsychiatrischen Effekte dieser Wirkstoffgruppe? Eine aktuelle systematische Übersichtsarbeit mit Metaanalyse gibt nun erstmals ein repräsentatives Bild: Demnach verbessern GLP1-RAs das restriktive und emotionale Essverhalten sowie verschiedene Aspekte der Lebensqualität – ohne das Risiko psychiatrischer Nebenwirkungen zu erhöhen.
Die an der University of Edinburgh in Kooperation mit dem King’s College London durchgeführte Analyse wertete 80 randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte Studien aus. Eingeschlossen wurden über 107.000 Erwachsene mit Adipositas oder Diabetes, die durchschnittlich 28 Wochen behandelt worden waren. Ziel der Untersuchung war es, den Einfluss von GLP1-RAs auf psychiatrische Nebenwirkungen, psychische Symptome, gesundheitsbezogene Lebensqualität und kognitive Funktionen zu bestimmen. Die Stichprobe war damit nicht nur deutlich größer als bei früheren Arbeiten, sondern erstmals auch methodisch einheitlich und systematisch auf neuropsychiatrische Outcomes ausgelegt.
Die Ergebnisse zeigen ein klares Muster: Weder Suizidalität noch Schlafstörungen, depressive Symptome oder Angstzustände traten unter GLP1-RAs häufiger auf als unter Placebo. Auch die kognitiven Leistungen veränderten sich im Mittel nicht – wobei die Datenlage in diesem Punkt als lückenhaft bewertet wurde, sodass keine metaanalytische Auswertung möglich war. Anders sieht es beim Essverhalten und der Lebensqualität aus: In beiden Bereichen ergaben sich statistisch signifikante und klinisch relevante Verbesserungen. Besonders das emotionale Essverhalten – das als einer der Hauptfaktoren für Adipositas gilt – wurde positiv beeinflusst.
Bemerkenswert ist, dass sich die Zunahme an Lebensqualität nicht vollständig mit physiologischen Parametern wie HbA1c oder Gewichtsverlust erklären ließ. Dies deutet laut den Forschenden auf eine direkte zentrale Wirkung hin. Diskutiert werden etwa Veränderungen im Belohnungssystem, Modulation neurochemischer Signalwege oder eine erhöhte Ausschüttung von BDNF (brain-derived neurotrophic factor), einem für neuronale Plastizität, Lernen und Stimmung bedeutenden Protein. Die These: GLP1-RAs könnten über ihre peripheren Stoffwechseleffekte hinaus auch stimmungsstabilisierende Impulse setzen – ohne jedoch als Antidepressiva zu wirken.
Diese Differenzierung ist wichtig, denn bei Menschen mit Adipositas oder Typ-2-Diabetes besteht ein erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen: Das Depressionsrisiko liegt bei Diabetes doppelt so hoch wie in der Allgemeinbevölkerung, bei Adipositas immerhin um 55 Prozent höher. Eine medikamentöse Therapie, die weder depressive Symptome verstärkt noch die Suizidalität erhöht, ist daher ein zentrales Sicherheitskriterium – gerade angesichts der intensiven Vermarktung von GLP1-RAs als „Abnehmspritzen“.
Gleichwohl weist die Studie auch auf klare Limitationen hin. So schlossen viele der betrachteten Studien Personen mit bekannten psychischen Vorerkrankungen explizit aus. Rückschlüsse auf diese Patientengruppen sind daher nur begrenzt möglich. Es bleibt unklar, ob GLP1-RAs bei bestehender Depression, Angststörung oder Essstörung dieselben Wirkungen entfalten – oder möglicherweise sogar gegenteilige Effekte zeigen. Erste Hinweise aus Einzelfallstudien deuten auf eine potenzielle Wirksamkeit bei Binge-Eating-Störungen hin, doch eine systematische Forschungslinie fehlt bislang.
Hinzu kommt: Der Effekt auf kognitive Parameter bleibt unklar. Obwohl viele Betroffene mit Typ-2-Diabetes über Gedächtnisprobleme oder verminderte Konzentration klagen und Studien neurodegenerative Langzeitfolgen nahelegen, reichen die verfügbaren Daten zur kognitiven Leistungsfähigkeit nicht aus, um metaanalytisch gesicherte Aussagen zu treffen. Hier besteht ein gravierender Forschungsbedarf – auch im Hinblick auf Langzeiteffekte und mögliche protektive Eigenschaften von GLP1-RAs gegen neurokognitive Abbauprozesse.
Fazit: Die neue Metaanalyse liefert solide Hinweise auf die psychiatrische Unbedenklichkeit von GLP1-Rezeptoragonisten bei Menschen ohne psychische Vorerkrankungen. Insbesondere das verbesserte Essverhalten und die Steigerung der Lebensqualität gelten als klinisch relevant. Gleichzeitig bleiben zentrale Fragen zur Wirkung auf kognitive Funktionen und auf vulnerable psychiatrische Subgruppen offen. Die Forschung muss nun klären, ob GLP1-RAs in Zukunft auch gezielt bei Essstörungen oder psychischen Komorbiditäten eingesetzt werden können – oder ob ihre Indikation auf die metabolische Domäne begrenzt bleibt. Klar ist aber schon jetzt: Wer psychische Risiken befürchtet, kann zumindest im bisherigen Erkenntnisstand Entwarnung finden – GLP1-RAs wirken stabil, nicht destabilisierend.
Von Engin Günder, Fachjournalist
Sie haben einen Beruf gewählt, der weit mehr als reine Erwerbstätigkeit ist. Sie verfolgen im Dienste der Bevölkerung hohe ethische Ziele mit Energie, fachlicher Kompetenz und einem hohen Maß an Verantwortung. Um sich voll auf Ihre Aufgabe konzentrieren zu können, erwarten Sie die optimale Absicherung für die Risiken Ihrer Berufsgruppe.
Sie suchen nach Möglichkeiten, Ihre hohen Investitionen zu schützen und streben für sich und Ihre Angehörigen nach einem angemessenen Lebensstandard, auch für die Zukunft.
Unter der kostenfreien Telefonnummer 0800. 919 0000 oder Sie faxen uns unter 0800. 919 6666, besonders dann, wenn Sie weitere Informationen zu alternativen Versicherern wünschen.
Mit der ApoRisk® FirmenGruppe steht Ihnen ein Partner zur Seite, der bereits viele Apothekerinnen und Apotheker in Deutschland zu seinen Kunden zählen darf. Vergleichen Sie unser Angebot und Sie werden sehen, es lohnt sich, Ihr Vertrauen dem Versicherungsspezialisten für Ihren Berufsstand zu schenken.