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  • 13.06.2025 – Apotheken-Nachrichten von heute: MFA ins Visier, Vertrauensbruch mit System, Plattformlogik unter dem Radar
    13.06.2025 – Apotheken-Nachrichten von heute: MFA ins Visier, Vertrauensbruch mit System, Plattformlogik unter dem Radar
    APOTHEKE | Medienspiegel & Presse | DocMorris lockt MFA mit Webinaren zur ePA – im Fokus steht die App mit CardLink-Funktion. Ein Gericht verbietet KIM-Werbung, Apotheker w...

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ApoRisk® Nachrichten - APOTHEKE:


APOTHEKE | Medienspiegel & Presse |

Apotheken-Nachrichten von heute: MFA ins Visier, Vertrauensbruch mit System, Plattformlogik unter dem Radar

 

Wie DocMorris Praxispersonal an sich binden will, welche Rolle CardLink und ePA dabei spielen und wie Apotheker die Strategie durchkreuzen

Der Kampf um die Rezeptsteuerung verschiebt sich von öffentlichen Debatten in die operativen Strukturen ärztlicher Praxen: Mit Webinaren, Fortbildungsanstrich und subtiler CardLink-Einbindung adressiert DocMorris gezielt medizinische Fachangestellte (MFA), um sie als digitale Multiplikatoren der eigenen Plattformlogik zu gewinnen – eine Strategie, die nicht auf offene Werbung, sondern auf strukturelle Einflussnahme setzt. Während Apotheker durch Aufklärung reagieren, setzt die Apothekerkammer NRW rechtlich Grenzen: Ein Urteil des LG Köln untersagt DocMorris jegliche werbliche KIM-Kommunikation mit Arztpraxen. Gleichzeitig beginnt Ministerin Nina Warken, neue Verbindlichkeiten zu versprechen, während SPD und CDU über Transparenz in der Maskenaffäre streiten, die mit der Freigabe des Sudhof-Berichts durch Karl Lauterbach erneut aufflammt. Die GMK in Weimar wiederum stellt Prävention, psychische Gesundheit und zivile Resilienz in den Fokus. MFA werden zur Schaltstelle eines Systems, das zwischen digitalem Zugriff, juristischer Abwehr und politischer Zukunft ringt.

 

MFA ins Visier, Vertrauensbruch mit System, Plattformlogik unter dem Radar

Wie DocMorris Praxispersonal an sich binden will, welche Rolle CardLink und ePA dabei spielen und wie Apotheker die Strategie durchkreuzen

Die Front im Kampf um die Rezeptsteuerung verläuft nicht mehr allein zwischen Apotheken und Plattformen, sondern mitten durch die Versorgungspraxis. Mit einer neuen Strategie nimmt DocMorris gezielt medizinische Fachangestellte (MFA) ins Visier – also die Personen, die in Haus- und Facharztpraxen das Rückgrat der Patientenversorgung bilden, Zugang zu sensiblen Gesundheitsdaten haben und täglich mit Rezepten umgehen. Unter dem Vorwand digitaler Fortbildung veranstaltet DocMorris Webinare, in denen nicht nur die elektronische Patientenakte (ePA), sondern vor allem die App des Versandunternehmens ausführlich vorgestellt wird – in auffälliger Nähe zur CardLink-Funktion. Das Ziel ist keine offene Werbeoffensive, sondern eine technokratische Vertrauensbildung, die MFA subtil in die digitale Steuerungslogik der Plattform integriert.

Was als Fortbildung beginnt, endet im Umprogrammieren von Alltagshandlungen. Eine Apothekerin, die sich unter dem Namen einer fiktiven Ärztin zum Webinar anmeldete, konnte die Veranstaltung live verfolgen und dokumentieren: „Es ging nicht um objektive Information zur ePA, sondern um das Erlernen der Bedienung einer App, deren primäre Funktion die Weiterleitung von Rezepten an DocMorris ist.“ Laut ihrer Aussage wurde mehrfach betont, wie „einfach“ es sei, „Patienten bei der Einlösung zu unterstützen“, indem der Token des E-Rezepts „einfach über CardLink an die Wunschapotheke gesendet wird“. Dass „Wunschapotheke“ in diesem Kontext ausschließlich die Plattform des Versenders meint, wurde nicht explizit gesagt – aber durch Screenshots, Screensharing und Navigationshilfen unmissverständlich visualisiert.

Dabei nutzt DocMorris einen kritischen Zwischenraum aus: MFA sind formal keine Heilberufler, werden aber zunehmend in ärztliche Delegationsprozesse einbezogen. Ihre Nähe zur Patientenführung macht sie zu idealen Zielpersonen für „Service-Vereinfachung“, gerade wenn diese mit App-Funktionalitäten verbunden ist, die auf den ersten Blick wie administrative Hilfen wirken – in Wahrheit aber Rezeptströme umleiten. DocMorris versucht mit der CardLink-Anbindung, die Versorgung umzupolen: von der individuellen Verordnung hin zur vorstrukturierten Rezeptlenkung, eingebettet in eine App, die im Webinar als „digitale Brücke zur modernen Apotheke“ beschrieben wurde. Der Begriff „Vor-Ort-Apotheke“ fiel kein einziges Mal.

Technisch bedeutet CardLink, dass der Token – also die zentrale Rezept-ID – ohne weitere Interaktion direkt in die Plattforminfrastruktur von DocMorris eingespeist wird. Damit umgeht der Versandhändler aktiv die Notwendigkeit, dass Patienten selbst digital tätig werden müssen. Eine MFA, die vom Webinar überzeugt wurde, kann den Token mit wenigen Klicks versenden – de facto eine Einlösung durch Dritte. Aus juristischer Sicht ist diese Praxis mindestens grenzwertig, denn die Bundesmantelverträge und SGB-V-Regelungen sehen keine strukturierte Rezeptweiterleitung durch MFA an Versandapotheken vor. Die Autonomie des Patienten bei der Apothekenwahl wird damit zur Fiktion.

Noch gravierender ist der zweite Aspekt der Strategie: der Anschluss an die Telematikinfrastruktur über die ePA. Im Webinar wurde demonstriert, wie die DocMorris-App „optimal“ in den Praxisworkflow eingebunden werden könne – verbunden mit der Andeutung, dass der Versandhändler künftig „auch ePA-Funktionalitäten“ einbinden werde. Hintergrund ist das Bestreben, nicht nur Rezepte, sondern komplette Medikationsprofile und Verlaufseinträge über die eigene Plattform lesbar zu machen – ein Schritt, der DocMorris zu einer Art digitalen Medikationsmanager machen würde.

Dabei ist das System bewusst auf Intransparenz gebaut: Für Außenstehende wirkt die Schulung wie eine produktneutrale Fortbildung zur Digitalisierung, tatsächlich aber ist sie ein gezielter Schulungstrichter für App-Nutzung, Token-Weiterleitung und Rezeptlenkung. Die Apothekerin, die sich eingeschleust hatte, berichtet von einer Atmosphäre, in der Fragen nach Alternativen zur Plattform nicht gestellt wurden oder unbeantwortet blieben. Wichtige Themen wie Datenschutz, Verantwortung bei Fehlmedikation oder Rolle der Apotheker wurden nicht einmal angeschnitten.

Diese Praxis wirft grundsätzliche Fragen zur Verantwortung von Plattformen im Gesundheitswesen auf. Während Apotheken gesetzlich geregelt, haftungsgebunden und regional verankert sind, operiert DocMorris aus einer Parallelstruktur, die auf Nutzerführung durch Technologiedesign setzt. MFA werden nicht mehr nur in administrative Abläufe einbezogen, sondern zum Eingangstor für Rezeptdaten umfunktioniert. Ihre Rolle im Versorgungssystem verändert sich dadurch fundamental – ohne dass der Gesetzgeber mitgedacht hat, wie solche Prozesse rechtlich und ethisch zu bewerten sind.

Besonders brisant ist das Vorgehen auch vor dem Hintergrund des Kölner KIM-Urteils: Demnach darf DocMorris keine Arztpraxen mehr über das medizinische Kommunikationssystem KIM anschreiben, um aktiv zur Rezepteinlösung auf der Plattform aufzufordern. Mit der Umstellung auf MFA-Zielgruppen versucht der Konzern nun, dieselbe Wirkung durch die Hintertür zu erzielen. Die Einladung zu den Webinaren erfolgt nicht an Ärztinnen und Ärzte direkt, sondern an die Assistenzteams – oft über Praxisverteiler oder gezielt geschaltete Anzeigen in medizinischen Fortbildungsportalen. Damit werden weder ärztliche Berufspflichten noch Patientenrechte verletzt – jedenfalls nicht offensichtlich.

Die Reaktion aus der Apothekerschaft zeigt, wie sensibel das Thema mittlerweile geworden ist. Der Eindruck, dass Plattformen versuchen, MFA zu digitalen Gatekeepern ihrer Geschäftsmodelle zu machen, trifft einen empfindlichen Nerv. Schon jetzt fühlen sich viele Apotheken vom Rezeptstrom abgeschnitten, weil Plattformen mit digitalen Rezeptformularen, Expresszustellung und Werbemechanismen arbeiten, die patientenseitig Vertrauen suggerieren – MFA könnten dieses Vertrauen nun auf systemischer Ebene vorbereiten.

Dabei fehlt eine öffentliche Debatte über die eigentliche Dimension der Entwicklung: Wenn die Einlösung von Rezepten durch App-Navigation ersetzt wird, MFA zur Weiterleitung ermutigt werden und CardLink die letzte Hürde zur vollständigen Plattformsteuerung überwindet, dann steht nicht nur der Apothekenmarkt zur Disposition – sondern das gesamte Prinzip der Gesundheitsfreiheit. Die Apothekerin, die das Webinar verfolgte, bringt es auf den Punkt: „Es war nicht dreist, es war freundlich. Und genau das war das Problem.“

 

DocMorris darf Ärzte nicht mehr anschreiben, AKNR setzt sich durch, Kölner Urteil schützt KIM-System

Wie das LG Köln dem Missbrauch digitaler Gesundheitsinfrastruktur einen Riegel vorschiebt, Apothekerkammer NRW mit Erfolg gegen Spam-Kommunikation vorgeht und Ärzte vor rechtswidriger Einflussnahme geschützt werden

Die systematische Unterwanderung medizinischer Kommunikationskanäle durch privatwirtschaftliche Akteure hat einen weiteren Dämpfer erhalten: Die Apothekerkammer Nordrhein (AKNR) hat vor dem Landgericht Köln eine einstweilige Verfügung gegen DocMorris erwirkt, die dem niederländischen Versandkonzern verbietet, über den sicheren Telematik-Messenger KIM (Kommunikation im Medizinwesen) ärztliche Praxen mit werblichen E-Mails zu adressieren. Hintergrund war ein bereits 2022 gestarteter Versuch von DocMorris, sich über das KIM-System eine direkte Verbindung in die Arztpraxen zu schaffen – verbunden mit konkreten Anleitungen zur Rezeptweiterleitung und eindeutig werbenden Formulierungen. Die juristische Einschätzung des Gerichts fiel eindeutig aus: Es handele sich um unerwünschte elektronische Werbung, die gegen Wettbewerbsrecht verstößt und zudem die Zweckbestimmung des KIM-Systems untergräbt.

Im Zentrum des Verfahrens stand die Frage, ob eine Plattform wie DocMorris das eigens zur sicheren Übermittlung medizinischer Daten geschaffene KIM-Netz nutzen darf, um niedergelassene Ärztinnen und Ärzte aktiv auf die Möglichkeit hinzuweisen, E-Rezepte direkt an den Versender zu übermitteln – inklusive Anleitung, Token-Adresse und Versandoptionen per PDF oder Freiumschlag. Die AKNR wertete dies nicht nur als Systemmissbrauch, sondern auch als gezielte Einflussnahme auf die freie ärztliche Entscheidung und ein Unterlaufen berufsrechtlicher Grenzen. Dass DocMorris trotz Abmahnung im Oktober 2023 keine Unterlassungserklärung abgab, zwang die Kammer zur gerichtlichen Klärung. Mit Erfolg: Das LG Köln untersagte den Versand solcher Nachrichten nun per einstweiliger Verfügung, verbunden mit der Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000 Euro für jeden Wiederholungsfall.

Die Entscheidung wirkt weit über den Einzelfall hinaus: Sie setzt nicht nur einen Präzedenzrahmen für die Nutzung sicherheitskritischer Kommunikationsinfrastrukturen im Gesundheitswesen, sondern markiert auch eine juristische Grenzlinie für marketinggetriebene Versuche, sich in medizinische Entscheidungsprozesse einzuschalten. In der Begründung unterstrichen die Richter, dass die Werbung via KIM nicht nur formal unzulässig, sondern auch geeignet sei, Ärztinnen und Ärzte in eine rechtlich prekäre Situation zu bringen – denn das aktive Hinweisen auf bestimmte Versandapotheken könnte als Verstoß gegen berufsrechtliche Neutralitätspflichten gewertet werden.

Dr. Bettina Mecking, Geschäftsführerin und Justiziarin der AKNR, begrüßte das Urteil als klare Bestätigung der Kammerlinie: „Wir haben jetzt schwarz auf weiß, dass es sich bei dieser Aktion um unerwünschte Werbung handelt – also Spam. Das KIM-System ist für den sicheren Austausch medizinischer Dokumente geschaffen worden, nicht für Werbekampagnen.“ Die Anweisung, wie das E-Rezept als PDF zu versenden sei, entfalte dabei eine unzulässige Steuerungswirkung – nicht zuletzt im Hinblick auf den wirtschaftlichen Vorteil des Versenders. Noch deutlicher wurde AKNR-Präsident Dr. Armin Hoffmann, der in dem Vorgehen von DocMorris eine symptomatische Entwicklung erkennt: „Seit Jahren beobachten wir einen immer sorgloseren Umgang mit Arzneimitteln – gerade im Lifestyle-Bereich. Der ausländische Versandhandel bietet nach unserer Überzeugung nicht annähernd den gleichen Service wie die Apotheke vor Ort.“

Die Entscheidung aus Köln ist deshalb auch ein Signal für die laufenden Auseinandersetzungen um das Verhältnis zwischen stationärer Versorgung, ärztlicher Unabhängigkeit und den Ambitionen digitaler Plattformen. Rechtsanwältin Dr. Anne Bongers-Gehlert, die die AKNR regelmäßig vertritt, ordnete das Urteil in eine Reihe von Verfahren ein, die sich mit unlauteren Wettbewerbspraktiken ausländischer Versender befassen – von unerlaubten Bonuszahlungen bis hin zu strukturverändernden Plattformmodellen. Sie kündigte an: „Ganz gleich, ob es um Werbung, um digitale Rezeptwege oder um Kooperationen mit Dritten geht – wir werden nicht nachgeben, wenn es um den Schutz der Arzneimittelversorgung geht.“

Was auf dem Spiel steht, ist weit mehr als ein formaler Kommunikationskanal. Es geht um die Integrität des Versorgungssystems – darum, dass keine technische Infrastruktur instrumentalisiert werden darf, um medizinische Entscheidungen subtil umzuleiten. Die einstweilige Verfügung gegen DocMorris steht exemplarisch für einen grundsätzlichen Kurs: Die Schutzräume medizinischer Kommunikation müssen unangetastet bleiben, auch im digitalen Zeitalter. Ärztinnen und Ärzte dürfen nicht zu Multiplikatoren kommerzieller Interessen gemacht werden, sondern müssen in ihrer Rolle als heilberufliche Garanten von Neutralität gestärkt werden. Die Apothekerkammer Nordrhein hat mit ihrem Vorstoß ein wichtiges Zeichen gesetzt – und die Justiz hat ihm das nötige Gewicht verliehen.

 

Warken stellt Weichen, Lauterbach verliert Rückhalt, Spahn muss aufklären

Wie die CDU-Ministerin neue Versprechen gibt, der SPD-Mann sein Haus verliert und der Ex-Gesundheitschef im Maskensumpf steckt

Als Nina Warken den Vorsitz im Bundesgesundheitsministerium übernahm, stand sie nicht nur am Anfang einer neuen politischen Etappe, sondern auch mitten in einem politischen Minenfeld. Die Herausforderungen, die ihr Erbe definieren werden, sind zahlreich: ein fragmentiertes Versorgungssystem, tiefgreifendes Misstrauen in der Apothekerschaft, eskalierende Kosten in der GKV-Finanzierung und ein Publikum, das seit Jahren mehr Rückbau als Reform erlebt. Doch im Unterschied zu ihren Vorgängern tritt Warken mit dem Anspruch auf, nicht bloß rhetorische Pflöcke einzuschlagen, sondern strukturelle Verbindlichkeit zu schaffen – zumindest ist das die Erwartung, mit der sie auf dem Apothekertag empfangen wird.

Dort hat sie mehr als nur wohlklingende Versprechungen im Gepäck. Bereits im Vorfeld ließ ihr Ministerium verlauten, dass man an einem „verlässlichen Fahrplan“ für eine Neuordnung der Apothekenlandschaft arbeite. Das Problem: Details fehlen. Weder liegt ein konkreter Gesetzentwurf vor, noch wurde ein Zeitrahmen skizziert, der über vage Ankündigungen hinausgeht. In Fachkreisen wächst daher die Skepsis, ob hier tatsächlich ein Kurswechsel vollzogen wird – oder ob erneut nur auf Sicht gefahren wird, während sich Apothekenteams in der Realität zwischen Unterfinanzierung, Personalnot und digitaler Überforderung aufreiben. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Ministerium Erwartungen weckt, die das Parlament dann kalt stellt.

Warken ist allerdings nicht allein auf weiter Flur. Ihre Position innerhalb der CDU ist komplex: Sie gilt als loyal gegenüber Parteichef Friedrich Merz, wird jedoch intern auch mit Karin Maag verglichen – der ehemaligen gesundheitspolitischen Sprecherin, die für ihre strukturierte, aber oft technokratische Politik bekannt war. Gleichzeitig positioniert sich Tino Sorge als gesundheitspolitischer Hardliner mit klarem Fokus auf Deregulierung und Marktorientierung. Warken muss daher nicht nur dem Parlament, sondern auch ihrer eigenen Fraktion beweisen, dass sie die gesundheitspolitische Führungsrolle aktiv gestalten kann – und nicht zum ausführenden Organ parteiinterner Machtfragen wird.

Während Warken auftritt, ist einer ihrer Vorgänger politisch bereits abserviert: Karl Lauterbach. Der Gesundheitsökonom war lange das mediale Gesicht der Pandemiepolitik und genoss während der Corona-Krise ein fast messianisches Vertrauen in weiten Teilen der Bevölkerung. Doch mit zunehmender Dauer seines Mandats geriet sein Politikstil ins Kreuzfeuer: technokratisch, kommunikativ oft ungeschickt, strukturell wenig anschlussfähig. Dass ihm nun der Vorsitz im Ausschuss für Forschung und Technikfolgenabschätzung entzogen wurde, ist mehr als eine Personalie. Es ist ein demonstrativer Machtentzug – von der Fraktion ebenso wie vom parlamentarischen Zentrum der Gesundheitspolitik.

Noch gravierender aber ist Lauterbachs Scheitern an seinen eigenen Großprojekten. Die Krankenhausreform liegt weit hinter dem Zeitplan. Die elektronische Patientenakte ist flächendeckend weder ausgereift noch akzeptiert. Das E-Rezept erzeugt mehr Frustration als Erleichterung, und die Cannabisfreigabe, einst als Symbol liberaler Gesundheitssteuerung gefeiert, entpuppte sich als gesetzgeberischer Flickenteppich mit Sicherheitslücken. Im Bundesrat, in der Ärzteschaft, unter Apotheken wie auch bei den Krankenkassen hat Lauterbach viele Brücken abgerissen, statt neue Bündnisse zu schmieden. Dass er nun auch im eigenen Haus als isoliert gilt, ist Resultat einer Amtsführung, die klug gerechnet, aber schlecht moderiert war.

Die politische Bühne bekommt dadurch wieder Raum für Altbekanntes – und Altlasten. Jens Spahn, CDU, vormals Hoffnungsträger einer marktliberal geprägten Ordnungspolitik, steht erneut im Fokus der Kritik. Der Grund: Über 1,5 Milliarden Euro, die im Zuge der Maskenbeschaffung während der Corona-Pandemie ausgegeben – oder besser gesagt: verschwendet – wurden. Zwar betont Spahn stets, im „Krisenmodus“ gehandelt zu haben. Doch inzwischen ist klar: Viele Verträge wurden ohne Ausschreibung vergeben, zu Höchstpreisen abgeschlossen oder blieben schlicht unausgeliefert. Die Wut über dieses Desaster ist nicht verschwunden – sie hat sich nur in juristische Prozesse, Untersuchungsausschüsse und politische Grabenkämpfe verlagert. Für Spahn bedeutet das nicht nur Reputationsschaden, sondern möglicherweise auch eine gravierende Hypothek für seine weitere Karriere.

Brisant ist dabei weniger die Höhe der Summen – auch wenn 1,5 Milliarden Euro einem Drittel der jährlichen Apothekenvergütung entsprechen – sondern die Art und Weise, wie hier politischer Handlungsspielraum missbraucht wurde. Zahlreiche Lieferanten, darunter auch branchenfremde Unternehmen, erhielten Millionenbeträge, ohne ihre vertraglichen Leistungen zu erfüllen. Die Aufarbeitung dieser Vorgänge zieht sich durch diverse Ausschüsse – und könnte Spahn in einem möglichen Bundestagswahlkampf erneut zur Belastung für seine Partei machen. Dass ausgerechnet die CDU nun wieder das Gesundheitsressort verantwortet, macht die Sache nicht einfacher.

Inmitten dieser Gemengelage steht das deutsche Gesundheitssystem vor dem nächsten Umbruch. Im September sollen im Rahmen der Haushaltsberatungen zentrale Entscheidungen über Investitionsrahmen, Apothekenvergütung, Digitalisierungsfinanzierung und pDL-Strukturen getroffen werden. Wenn Warken bis dahin keinen konkreten Gesetzentwurf, kein abgestimmtes Budget und keine Rückendeckung aus dem Kanzleramt vorlegt, wird auch sie zur nächsten Übergangsfigur einer misslingenden Gesundheitspolitik.

Dabei ist die Erwartung an ihre Amtszeit klar definiert: Sie muss das Vertrauen der Apotheken zurückgewinnen, das unter Lauterbachs Mandat dramatisch verloren ging. Sie muss für verlässliche Finanzierung sorgen, wo Spahn mit Aktionismus und Budgettricks versagte. Und sie muss eine Steuerungskraft entfalten, die sich nicht in Ankündigungen erschöpft, sondern in parlamentarischer Wirkungskraft niederschlägt. Der Apothekertag war der symbolische Anfang – entscheidend wird sein, ob daraus ein politischer Kurs wird, der dem System wieder Struktur, den Beteiligten wieder Planungssicherheit und den Patientinnen und Patienten wieder Vertrauen bietet.

Warken könnte also zur ersten Ministerin werden, die aus dem Schatten ihrer Vorgänger heraustritt – oder zur dritten Enttäuschung in Folge.

 

Prävention gewinnt an Gewicht, psychische Gesundheit braucht System, Krisenschutz wird zur Führungsaufgabe

Wie die GMK in Weimar neue Prioritäten setzt, Versorgungslücken bei psychisch Kranken thematisiert und Gesundheitsresilienz für zivile Notlagen stärken will

Prävention ist kein Beiwerk mehr – sie wird zur politischen Leitkategorie. Das jedenfalls ist der Anspruch, den die Gesundheitsministerinnen und -minister der Länder bei der Gesundheitsministerkonferenz (GMK) 2025 in Weimar formulieren. In einem sichtlich geschlossenen Auftreten verständigten sich die Länder auf eine Neujustierung gesundheitspolitischer Grundpfeiler, die nicht nur auf akute Versorgung zielen, sondern strukturell vorausschauend wirken sollen. Besonders im Fokus: die Stärkung von Prävention, der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) und ein ressortübergreifendes Risikomanagement – Themen, die bislang zu oft im Windschatten gesetzlicher Routine verharrten.

Thüringens Gesundheitsministerin Katharina Schenk, diesjährige GMK-Vorsitzende, machte den Leitantrag zur Prävention zur strategischen Kernbotschaft der Konferenz. Unter dem Begriff „Health in all Policies“ fordert sie ein umfassendes Zusammendenken von Gesundheit und Politik – quer durch Ressorts, Kommunen und föderale Ebenen. Ihre Einschätzung: Gesundheit sei nicht nur individuelles Gut oder medizinische Leistung, sondern auch wirtschaftlicher Standortfaktor, soziale Grundlage und demokratischer Stabilitätsanker. Entsprechend müsse Prävention nicht als Randdisziplin, sondern als integrale Investition in die Resilienz der Gesellschaft verstanden werden. Dass sich alle Länder dem Vorstoß anschlossen, darf als politisches Signal gelten: Gesundheitsförderung soll sich nicht mehr in Projektzyklen erschöpfen, sondern strukturelle Wirkung entfalten – auch durch mehr Verantwortung des Bundes.

Doch zur Wahrheit gehört ebenso, dass dieses Bekenntnis nur dann wirksam wird, wenn der Öffentliche Gesundheitsdienst auf neue Beine gestellt wird. Digitalisierung, Personalgewinnung, einheitliche Versorgungsstandards – alles hängt an der Frage, ob und wie Bund und Länder sich auf eine verbindliche Finanzierungsarchitektur einigen. Vieles deutet darauf hin, dass hier die nächste Belastungsprobe der föderalen Kooperationsfähigkeit liegt.

Dynamischer noch war der zweite große Themenkomplex: die Versorgung und Prävention bei psychisch erkrankten Menschen, insbesondere mit Blick auf potenziell gewaltgeneigte Personen. Hamburgs Gesundheitssenatorin Melanie Schlotzhauer nutzte die GMK, um auf den Messerangriff am Hamburger Hauptbahnhof Ende Mai zu reagieren – nicht polemisch, sondern systemkritisch. Ihre Forderung: weg vom Einzelversagen, hin zu verbindlichen gemeindepsychiatrischen Verbünden mit klar geregelter Zuständigkeit und verlässlicher Begleitung. Der bisherige Flickenteppich zwischen Gesundheits- und Sicherheitsbehörden reiche nicht mehr aus, um Eskalationen zu verhindern. Schlotzhauers Argumentation folgt einem konsistenten Risikoansatz: Ohne verlässliche Beziehungsangebote und rechtssicheren Informationsaustausch bleibe Prävention bloße Theorie – mit teils fatalen Folgen.

Diese Logik eines integrativen Krisenschutzes führte direkt zum dritten Schwerpunkt der GMK: der strukturellen Vorbereitung auf systemische Großlagen. Der vom Bundesgesundheitsministerium angestoßene Entwurf eines Gesundheitssicherstellungsgesetzes (GeSiG) trifft auf offene Ohren in den Ländern. Nordhein-Westfalens Minister Karl-Josef Laumann appellierte an das historische Bewusstsein: Pandemien, Stromausfälle oder militärische Konflikte seien keine abstrakten Bedrohungsszenarien mehr – sondern politische Planungsgrundlage. Der Schulterschluss zwischen zivilem Bevölkerungsschutz und militärischer Logistik, so die Einigkeit der Länder, dürfe nicht an Zuständigkeitsfragen scheitern. Vielmehr brauche es eine tiefgreifende, föderal verzahnte Analyse und Reorganisation der Versorgungsstrukturen – über den Katastrophenfall hinaus.

Damit wird deutlich: Die GMK 2025 war keine Verwaltungsroutine, sondern ein politischer Versuch, die brüchigen Ränder des Systems zu adressieren. Das kommende Vorsitzland Niedersachsen, vertreten durch Minister Andreas Philippi, will diesen Weg im Juni 2026 in Hannover fortsetzen. Ob das gelingt, hängt nicht nur vom politischen Willen ab – sondern davon, ob Bund, Länder und Kommunen bereit sind, ihre Koordinaten dauerhaft neu zu justieren.

 

Führung neu strukturiert, Marktsegmentierung geschärft, Verbandspolitik strategisch besetzt

Pharma Deutschland setzt mit neuer Doppelspitze auf Rx- und OTC-Fokussierung und besetzt Schlüsselrollen mit Verbandserfahrung und Marktkompetenz

Pharma Deutschland vollzieht einen bedeutsamen Schritt in der verbandspolitischen und operativen Neuausrichtung: Ab 2026 wird die Geschäftsführung des Bonner Branchenverbands in eine klar segmentierte Doppelspitze gegliedert – mit je einem Fokus auf den rezeptpflichtigen (Rx) sowie den rezeptfreien (OTC) Arzneimittelbereich. Damit reagiert die Organisation auf die zunehmende Divergenz der Marktlogiken, regulatorischen Anforderungen und politischen Interessenlagen zwischen den beiden Sektoren. Die neue Struktur ist Ausdruck einer strategischen Differenzierung, die sich in personellen Entscheidungen ebenso wie in der künftigen Gremienarbeit widerspiegeln soll.

Für den OTC-Bereich übernimmt ab Januar eine langjährige Führungskraft aus dem innerverbandlichen Kontext die Verantwortung: Dr. Julia Keßler, bisher Leiterin des Bereichs Selbstmedikation, wird intern zur Geschäftsführerin berufen. Sie bringt profunde Kenntnisse des regulatorischen Umfelds sowie langjährige Netzwerke auf Bundes- und EU-Ebene mit. Ihr Wechsel in die Geschäftsführung gilt als logischer Schritt angesichts ihrer Rolle bei der Neuausrichtung der OTC-Strategie in der Post-Pandemie-Zeit und ihrer führenden Beteiligung an der Positionierung des Verbands bei Werbung, Apothekenvertrieb und digitalen Selbstmedikationsangeboten.

Die zweite neue Geschäftsführungsstelle verantwortet künftig den Rx-Bereich – ein Ressort, das in den vergangenen Jahren politisch stark unter Druck geraten ist, insbesondere durch Diskussionen um Preisregulierung, Erstattungsfähigkeit und Marktzugang neuer Arzneimittel. Für diese Position wurde mit Dr. Henrik Vogt ein externer Manager mit interner Anbindung gewonnen: Vogt war bis 2023 Vorstandsmitglied bei Pharma Deutschland, leitete zuvor die deutsche Einheit eines europäischen Arzneimittelunternehmens und gilt als strategisch versierter Gesundheitspolitiker mit tiefem Verständnis für die Schnittstellen zwischen Industrie, Behörden und Versorgungspraxis. Seine Rückkehr in operativer Verantwortung soll nach Aussage des Vorstands die Schlagkraft des Verbands bei politischen Schlüsselthemen wie dem AMNOG-Verfahren, der Nutzenbewertung und der Lieferengpasspolitik deutlich erhöhen.

Die neue Geschäftsstruktur ist nicht nur eine Reaktion auf externe Herausforderungen, sondern Ausdruck eines Wandels, der innerhalb der Branche selbst zunehmend eingefordert wurde. In der Mitgliedschaft gab es zuletzt immer wieder den Wunsch nach stärkerer Differenzierung, höherer Sichtbarkeit der Teilinteressen und professionellerer Interessenvertretung auf Spezialthemenebene. Vorstandsvorsitzender Dr. Thomas Bertram betonte, dass mit der neuen Aufstellung ein „strukturierter Dialog zwischen Politik, Versorgung und Markt“ ermöglicht werde. Die doppelte Besetzung sei nicht als Aufspaltung, sondern als gezielte Vertiefung zu verstehen – mit gemeinsamen Schnittstellen, aber klar getrennten Verantwortlichkeiten in Strategie, Kommunikation und Gremienarbeit.

Im Zuge dieser Neuausrichtung soll auch die Positionierung von Pharma Deutschland in übergeordneten Allianzen – etwa im Kontext der Arzneimittelallianz, der Gesundheitswirtschaftsinitiative oder den europäischen Industrieverbänden – gezielter nach Sektorlogik erfolgen. Das betrifft sowohl die Beteiligung an Studien und Stellungnahmeverfahren als auch die Präsenz bei politischen Formaten. Schon ab Frühjahr 2026 sollen die jeweiligen Geschäftsbereiche mit eigenständigen Kommunikationslinien, Veranstaltungsformaten und politischen Dossiers auftreten.

Die neue Doppelspitze tritt ihre Arbeit offiziell zum 1. Januar 2026 an. Im Verband wird sie bereits jetzt als Signal für Strukturwandel, Agilität und thematische Schärfung gewertet. Für die pharmazeutische Industrie in Deutschland – insbesondere für mittelständische Unternehmen mit klarer Sektorverortung – dürfte diese Entwicklung mittelfristig die Repräsentation ihrer spezifischen Anliegen spürbar stärken.

 

Maskendeals unter Druck, Verantwortung im Rückblick, Koalitionsklima auf dem Prüfstand

Wie Lauterbach den Sudhof-Bericht freigibt, Spahn in Erklärungsnot bringt und die Ampel über Transparenz streitet

Der Maskenstreit der Pandemie kehrt mit voller Wucht in den politischen Alltag zurück – und diesmal trifft es alle Regierungsphasen zugleich. Während der ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wegen millionenschwerer Maskenbeschaffungen aus seiner Amtszeit unter Druck gerät, wächst der Druck auch auf seinen Nachfolger Karl Lauterbach (SPD), der den Untersuchungsbericht zur Causa bislang unter Verschluss hielt. Mit einem demonstrativen Schritt will Lauterbach nun Handlungsbereitschaft signalisieren und dem Vorwurf der politischen Rücksichtnahme auf die eigene Karrierephase entgegentreten. Die SPD wiederum nutzt das Momentum, um den Koalitionspartner CDU auf Konfrontationskurs zu zwingen – und um sich selbst aus der Deckung zu lösen.

In einem Statement auf der Plattform X gibt sich Lauterbach offen für eine vollständige Offenlegung des von ihm selbst in Auftrag gegebenen Sudhof-Berichts. Der Bericht der damaligen Staatssekretärin sollte ursprünglich die Vorgänge rund um die stark kritisierten Maskenkäufe unter Spahns Leitung durchleuchten – insbesondere die bevorzugte Beauftragung des Logistikunternehmens Fiege, das ohne Teilnahmewettbewerb an der Vergabe beteiligt worden sein soll. Lauterbach betont nun, er selbst habe mit Sudhof weder mündlich noch schriftlich über den Inhalt gesprochen und sich vollständig aus der inhaltlichen Einflussnahme herausgehalten. Sein Eingeständnis, den Bericht aus politischen Gründen nicht veröffentlicht zu haben, deutet allerdings eine strategische Zurückhaltung während seiner Übergangsphase im Amt an – aus Angst vor innerkoalitionellen Verwerfungen.

Im Zentrum der Kritik steht erneut Jens Spahn, heute Unionsfraktionschef, der sich 2020 in einer akuten Beschaffungskrise für ein pragmatisches Verfahren entschied. Dass dabei die Firma Fiege mit Sitz in seiner westfälischen Heimat ohne Ausschreibung zum Zuge kam, wirft nun Fragen nach Vorteilsgewährung und Intransparenz auf. Die CDU stellt den Zeitdruck und die damalige Notsituation in den Vordergrund, doch insbesondere Grüne und Linke fordern lückenlose Aufklärung und berufen sich auf demokratische Kontrollrechte des Parlaments. Auch innerhalb der SPD wächst der Druck auf Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU), den Bericht nicht nur selektiv zu verwenden, sondern ihn dem Haushaltsausschuss vollständig zu übergeben. Ausschussvorsitzende Tanja Machalet formulierte dies inzwischen unmissverständlich.

Warken hingegen betont, dass der Bericht personenbezogene Informationen und vertrauliche Ermittlungsdetails enthalte, die eine vollständige Veröffentlichung verhinderten. Sie kündigte lediglich an, zentrale Erkenntnisse in den Ausschüssen vorzutragen – ein Vorgehen, das vor allem die Grünen nicht akzeptieren wollen. Sie fordern Sondersitzungen und drohen, den Vorgang parlamentarisch durchzusetzen. Der Sudhof-Bericht wird damit zu einem Symbol politischer Transparenzdebatte: Wer kontrolliert wen, wer trägt welche Verantwortung und wie viel Offenlegung ist in einem System politischer Loyalitäten wirklich gewollt?

Für die Ampel-Koalition ist der Streit mehr als ein historisches Nachspiel. Er wirft die Frage auf, ob sich der Koalitionswille zur Transparenz auch dann durchsetzt, wenn die politische Konkurrenz in CDU-Reihen sitzt – und ob das politische System bereit ist, eigene Versäumnisse offen zu benennen, wenn sie der eigenen Regierungskarriere geschadet haben könnten. Dass Lauterbach nun seine vorherige Blockadehaltung offen einräumt, zeigt, wie eng das Verhältnis zwischen politischer Opportunität und staatlicher Verantwortung tatsächlich ist. Doch der symbolische Befreiungsschlag könnte zu spät kommen – nicht für Lauterbach, aber für das Vertrauen in eine Bundesregierung, die sich der Fehler ihrer Vergangenheit stellen will, aber an den Loyalitäten der Gegenwart scheitern könnte.

 

Tod durch Kontamination, Kontrolle durch Behörden, Vertrauen durch Aufklärung

Wie bakterienverseuchtes Fentanyl 38 Menschen tötete, Ermittlungen auf Apotheken und Hersteller zielen und ein Pharmaskandal internationale Sicherheitsdebatten auslöst

Die argentinischen Gesundheitsbehörden stehen unter massivem Druck: Innerhalb weniger Wochen sind in mehreren Kliniken des Landes 38 Menschen gestorben – mutmaßlich infolge einer Verabreichung kontaminierten Fentanyls. Die Ermittlungen laufen auf Hochtouren. Was als klinische Routineversorgung begann, endete für dutzende Patienten tödlich. Im Zentrum steht das synthetische Opioid Fentanyl, das für seine hohe analgetische Wirkkraft bekannt ist, aber in diesem Fall mit gefährlichen Keimen belastet gewesen sein könnte.

Das Gesundheitsministerium bestätigte, dass eine Untersuchung zur Todesursache eingeleitet wurde. Zahlreiche Hinweise deuten darauf hin, dass bakterielle Verunreinigungen in mehreren Chargen des Schmerzmittels den tödlichen Ausgang begünstigt haben. Die Staatsanwaltschaft hat ein umfassendes Prüfverfahren gegen den argentinischen Hersteller HLB eingeleitet. Die Ermittler durchsuchten Firmengelände in San Isidro und beschlagnahmten betroffene Arzneimittelchargen. Auch die Vertriebsstruktur ist ins Visier geraten: Eine Apothekenkette musste auf Anordnung der Nationalen Behörde für Medikamentensicherheit (ANMAT) ihren Betrieb vorläufig einstellen, nachdem bei einer Kontrolle die gesetzlich vorgeschriebenen Lieferdokumente nicht vorgelegt werden konnten.

Parallel dazu wurde eine Filiale der Kette Nueva Era in Rosario durchsucht. In dieser Metropole hatten mehrere Kliniken bei der Arzneimittelverwendung mit Fentanyl Auffälligkeiten festgestellt, was den Ausgangspunkt für die landesweite Alarmierung bildete. Dass in zahlreichen Krankenhäusern nahezu zeitgleich schwere Komplikationen und Todesfälle auftraten, hat in Fachkreisen zu Spekulationen über systemische Hygienefehler oder unsachgemäße Lagerung geführt. Das Ausmaß der möglichen Bakterienkontamination legt jedoch nahe, dass der Ursprung der Verunreinigung bereits auf Produktionsebene zu suchen ist.

Fentanyl gilt als eines der stärksten Schmerzmittel weltweit. Es kommt insbesondere in der Palliativmedizin sowie bei Tumorpatienten zum Einsatz, da es rund 100-mal potenter wirkt als Morphin. Die Substanz ist jedoch nicht nur wegen ihrer therapeutischen Potenz berüchtigt, sondern auch wegen ihrer Missbrauchsanfälligkeit: In den USA gilt Fentanyl als Haupttreiber der aktuellen Opioidkrise mit über 100.000 Todesopfern jährlich.

Der nun bekannt gewordene Fall in Argentinien wirft neben der Frage nach hygienischen Mindeststandards auch ein grelles Licht auf regulatorische Schwachstellen im Umgang mit Hochrisikoarzneimitteln. Wenn bei einem derart potenten Wirkstoff schon auf nationaler Ebene Liefer- und Sicherheitsdokumente fehlen, stellt sich die Frage, wie viele Produktions- und Kontrolllücken international unentdeckt bleiben. Die Behörden kündigten bereits an, neben der strafrechtlichen Aufarbeitung auch die regulatorischen Leitlinien für Opioidmedikamente zu verschärfen. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) wurde über den Fall informiert, da eine potenzielle Verbreitung über Landesgrenzen hinaus nicht ausgeschlossen werden kann.

Das Vertrauen in das Medikament Fentanyl hat durch diesen Vorfall erneut einen schweren Schlag erlitten. Noch ist unklar, ob die tödlichen Fälle durch eine systematische Verunreinigung oder durch eine grob fahrlässige Chargenkontrolle entstanden sind. Klar ist hingegen: Der Pharmaskandal von Argentinien hat internationale Relevanz – und könnte zu einem globalen Umdenken beim Umgang mit synthetischen Opioiden führen.

 

Vertrauen verteidigen, Verantwortung erklären, Verfahren abwägen

Wie Laumann Spahn den Rücken stärkt, Warken auf Akten verweist und der Maskenstreit neue Dynamik erhält

Jens Spahn ist zurück im politischen Fokus – nicht wegen aktueller Initiativen, sondern wegen der Vergangenheit. Es geht um Schutzmasken, um Verträge im Eilverfahren und um das politische Gedächtnis für die Krise des Jahres 2020. Während der damalige Bundesgesundheitsminister heute als Fraktionsvorsitzender der Union agiert, bricht sich erneut Kritik an den damaligen Beschaffungen Bahn. Unterstützung erhält er nun von einem CDU-Parteifreund, der selbst tief in der Pandemiepolitik stand: Karl-Josef Laumann, Gesundheitsminister in Nordrhein-Westfalen.

Laumann betonte am Rande der Gesundheitsministerkonferenz in Weimar, es sei „leicht, Jahre später über Entscheidungen zu urteilen“. Damals habe es keine Blaupause gegeben, aber den dringenden Bedarf, medizinisches Personal mit Schutzausrüstung auszustatten. Der politische Druck sei enorm gewesen, ebenso die Verantwortung für das Leben und die Arbeitsfähigkeit im Gesundheitswesen. Dass Spahn schnell handelte, sei nicht zu beanstanden, sondern zeuge von Führungsbereitschaft in der Unsicherheit. Laumann sagte ausdrücklich, er sei dem damaligen Bundesminister dankbar, dass der Bund überhaupt in der Lage gewesen sei, Schutzkleidung bereitzustellen.

Diese Loyalitätsadresse erfolgt in einem Moment, in dem nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch parlamentarische Gremien Aufklärung fordern. Die aktuelle Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) sieht sich mit dem vom SPD-Vorgänger Karl Lauterbach beauftragten Prüfbericht konfrontiert. Sie erklärte zwar, dem Haushaltsausschuss diesen Bericht zukommen lassen zu wollen, schränkte jedoch direkt ein: Aus Gründen des Datenschutzes und wegen laufender juristischer Verfahren könne der Bericht nicht vollständig veröffentlicht werden. Damit bleibt der Zugang zu wesentlichen Informationen erneut selektiv – was Spekulationen eher befeuert als beendet.

Die Gemengelage ist heikel. Die CDU möchte eine politische Figur schützen, deren Handeln in der Pandemie rückblickend als beherzt, aber strukturell unkontrolliert gilt. Gleichzeitig steht mit Nina Warken eine Parteifreundin an der Spitze des Gesundheitsministeriums, die nun in der Pflicht steht, Aufklärung zu ermöglichen – ohne dabei den politischen Rückraum ihrer Partei zu beschädigen. Der Verweis auf Datenschutz und juristische Verfahren ist nachvollziehbar, aber auch ein Schutzschild, das politische Rückfragen nur teilweise parieren kann. Die Frage, wo Verwaltungspflicht endet und Parteiräson beginnt, wird in diesem Fall exemplarisch verhandelt.

Es ist ein Balanceakt zwischen Rückendeckung und Verantwortungsverlagerung. Während Spahn auf Loyalität bauen kann, steht Warken für den Versuch, eine beschädigte Akte zu verwalten, ohne sich selbst zu exponieren. Dass ausgerechnet Laumann das Wort ergreift, ist dabei kein Zufall – er gilt als christdemokratischer Stabilitätsanker mit hoher innerparteilicher Glaubwürdigkeit. Doch auch seine Worte ändern nichts daran, dass das Vertrauen in politische Aufklärung oft weniger durch Empörung schwindet als durch fehlende Transparenz.

 

Gesundheitskultur im Wandel, Absicherung gegen Retax, Führungsverantwortung im Apothekenbetrieb

Wie die AOK Plus den Prüfkonzern Davaso berät, warum Apotheken ihre Vermögensrisiken strategisch sichern müssen und was das für die Führungsstruktur bedeutet

Was bislang als Einbahnstraße wirkte, wird nun zur gespiegelten Gesundheitsinitiative: Die AOK Plus, größter gesetzlicher Krankenversicherer in Sachsen, berät neuerdings das Unternehmen Davaso – jenen Abrechnungsdienstleister, der für eben diese Kasse Retaxationen durchführt. Der Perspektivwechsel zeigt: Auch Kontrolleure brauchen Schutz. Im Rahmen einer auf drei Jahre angelegten Kooperation zur betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) sollen Maßnahmen eingeführt werden, die sowohl die physische Belastbarkeit als auch die mentale Stabilität der Mitarbeitenden stärken – eine Zielsetzung, die auch Apotheken dringend verfolgen sollten, gerade im Kontext steigender Arbeitsdichte, Rechtsunsicherheit und wachsender Fehleranfälligkeit im Rezeptmanagement.

Herzstück der Zusammenarbeit ist die Plattform „AOK bewegt“, eine digitale Anwendung, die niedrigschwellige Bewegungs-, Ernährungs- und Mentalimpulse in den Büroalltag integriert. Parallel dazu wird der Leipziger Firmenlauf genutzt, um Teambuilding und Motivation durch sportliche Vorbereitung zu verbinden. Doch was in der Kommunikation nach außen als imagebildende Wohltat erscheint, hat innenpolitisch strategische Substanz: In Zeiten des Fachkräftemangels, wachsender psychischer Belastungen und wachsender Reputationsanforderungen setzen Gesundheitsprogramme längst an der Arbeitgebermarke an. Wer intern gut führt, schützt sich extern vor Einbruch – das gilt für Abrechnungszentren ebenso wie für Apothekenbetriebe.

Für Letztere ergibt sich dabei eine doppelte Perspektive: Zum einen als Arbeitgeber, die selbst gesunde Arbeitsbedingungen und mentale Entlastung bieten müssen – etwa durch Fortbildung, geregelte Pausensysteme, Vermeidung von Überstunden und klare Verantwortungsstrukturen. Zum anderen aber auch als potenziell geschädigte Parteien im Kontext von Retaxationen, insbesondere dann, wenn durch Krankenkassen oder Prüfzentren wie Davaso wirtschaftliche Schäden infolge fehlerhafter Rezeptabrechnungen geltend gemacht werden. Die strategische Bedeutung einer speziellen Retax-Versicherung nimmt hier zu – nicht nur als finanzielle Rückversicherung, sondern auch als Schutzschirm für Betriebsführung, Personalbindung und Rechtssicherheit.

Denn wie sich zeigt, sind die Retaxfälle zunehmend nicht mehr auf klassische Versehen bei Preisangaben, Sonderkennzeichen oder Abgabedatum beschränkt. Vielmehr rücken komplexe Fallgruppen ins Zentrum, etwa bei Mischverordnungen, unvollständig elektronisch übermittelten Rezeptdaten oder Fristüberschreitungen im Rahmen digitaler Abrechnungsvorgaben. In all diesen Fällen drohen nicht nur Rückforderungen, sondern auch personelle Konflikte, Reputationsverluste und ein schleichender Autoritätsverlust des Apothekeninhabers gegenüber Team und Patient. Umso wichtiger wird eine unternehmerische Gesamtstrategie, die Prävention, Versicherung und Führungskultur zusammendenkt.

Was Davaso im Schulterschluss mit der AOK Plus nun selbst beginnt – die ernsthafte Auseinandersetzung mit Belastungsfaktoren und betrieblicher Resilienz – sollten Apotheken ebenfalls umsetzen, nicht aus Nachahmung, sondern aus betrieblicher Notwendigkeit. Denn wer heute Personal halten will, muss nicht nur in fachliche Qualifikation investieren, sondern auch in psychologische Sicherheit. Eine professionelle Führung erkennt frühzeitig, dass Retax kein Einzelfall, sondern Systemrisiko ist – und handelt mit Versicherungsabschluss, klarer Verantwortungsverteilung und regelmäßiger Prüfung der Rezept- und Abgabeprozesse.

Letztlich liegt die Verantwortung nicht nur bei der Führung, sondern in der strukturellen Vorbereitung auf Fehler. Eine Retax-Versicherung ersetzt dabei nicht die Pflicht zur Sorgfalt – sie ergänzt sie. Und wer mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit seiner Apotheke handelt, erkennt in der Gesundheitsförderung nicht ein Wellnessprogramm für das Team, sondern einen essenziellen Bestandteil wirtschaftlicher Stabilität. Die Lektion der Prüfer sollte auch für die Geprüften gelten: Nur wer sein Risiko kennt, kann es kontrollieren. Und nur wer seine Mitarbeitenden schützt, wird dauerhaft bestehen.

 

Kosten dämpfen, Versorgung sichern, Vertrauen riskieren

Wie die AOK den Biosimilar-Austausch vorantreibt, Hersteller vor Preisdruck und Lieferausfällen warnen und Apotheken in eine neue Verantwortung geraten

Der AOK-Bundesverband macht Druck: Mit Verweis auf Einsparpotenziale in Milliardenhöhe und funktionierende Modelle aus anderen EU-Ländern fordert Vorsitzende Dr. Carola Reimann den konsequenten nächsten Schritt – die automatische Austauschbarkeit von Biosimilars in Apotheken. Die geplante Regelung sieht vor, dass biotechnologisch hergestellte Arzneimittel künftig direkt am HV-Tisch substituiert werden können, ohne Rücksprache mit dem verordnenden Arzt. Die AOK spricht von einem wichtigen Instrument zur Eindämmung ausufernder Arzneimittelausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung und einer dringend notwendigen Entlastung der Solidargemeinschaft. Doch die Reaktionen der Industrie fallen scharf aus: Die Branche warnt eindringlich vor Produktionsverlagerungen, Versorgungsunsicherheit und einem drohenden Rückschritt für den Standort Deutschland.

Reimann beruft sich auf europäische Zulassungsbehörden, die die Austauschbarkeit biopharmazeutischer Nachfolgepräparate bereits als sicher bewertet haben. Auch erste Umsetzungsversuche bei parenteralen Zubereitungen verliefen laut AOK ohne Probleme. In der politischen Debatte hat diese Haltung Rückenwind: Das Stellungnahmeverfahren beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) ist bereits eröffnet, eine Entscheidung könnte noch 2025 folgen. Die Krankenkasse will mit der Substitution nicht nur Wirtschaftlichkeit sichern, sondern auch die Handlungsfähigkeit von Apotheken stärken. Letztere sollen unkompliziert, patientennah und flexibel reagieren können – gerade in Situationen, in denen eine Verordnung durch Lieferengpässe obsolet geworden ist. So zumindest die Theorie.

Die Hersteller sehen das anders. Mit vereinter Stimme lehnen gleich fünf große Verbände – bio Deutschland, BPI, Pharma Deutschland, vfa und Pro Generika – den Vorstoß ab. Sie halten die bestehende Marktstruktur bereits jetzt für wettbewerbsintensiv, durchsetzt mit Einsparmechanismen wie der Hilfstaxe, Open-House-Modellen und gesetzlichen Zwangsrabatten. Zusätzlicher Preiswettbewerb würde die Produktionskosten weiter senken – mit gefährlichen Konsequenzen. Die Folge seien Abwanderung von Produktionsstandorten, strategische Abhängigkeit von Drittstaaten und im schlimmsten Fall Engpässe bei versorgungskritischen Arzneimitteln. Die Warnung ist deutlich: Wer exklusiv auf den billigsten Anbieter setzt, riskiert die Stabilität des gesamten Versorgungssystems.

Neben den ökonomischen Risiken verweisen die Hersteller auch auf klinisch-praktische Herausforderungen: Gerade bei Biosimilars, deren Anwendung oft Injektoren oder penbasierte Hilfsmittel umfasst, sei die Vergleichbarkeit über reine Wirkstoffanalogie hinaus zu denken. Ein Austausch könne für schwerkranke Patientinnen und Patienten mit Verunsicherung, Compliance-Problemen und letztlich Therapieabbrüchen einhergehen – zumal Rückverfolgbarkeit und Pharmakovigilanz leiden könnten. Dass die AOK diese Bedenken mit dem Hinweis auf bisherige Erfahrungen beiseitewischt, wertet die Branche als Ignoranz gegenüber der Versorgungsrealität im Hochpreissegment.

Zwischen beiden Lagern geraten die Apotheken in ein bekanntes Spannungsfeld: Auf der einen Seite die Forderung nach einfacher, wirtschaftlicher Umsetzung der Substitution – auf der anderen Seite die Verantwortung für Therapieerfolg, Patientensicherheit und individuelle Betreuung. Die Frage ist nicht nur, ob ein Austausch technisch möglich ist, sondern ob die Offizinen über ausreichende Informationen, Beratungskapazitäten und Rechtssicherheit verfügen, um im Alltag verantwortungsvoll zu handeln. Denn auch wenn Reimann von einem „unbürokratischen Verfahren“ spricht, ist die Realität weitaus komplexer – nicht zuletzt, weil sich das Vertrauen der Patientinnen und Patienten nicht automatisch auf ein neues Präparat überträgt.

Die Debatte um Biosimilars zeigt in aller Deutlichkeit, wie eng wirtschaftspolitische Erwägungen mit Fragen der Versorgungsethik und Systemstabilität verwoben sind. Die Forderung nach Ausschöpfung aller Wirtschaftlichkeitsreserven wirkt auf den ersten Blick plausibel – doch ihre Umsetzung wirft neue Risiken auf, die in ihrer Tragweite noch nicht vollständig absehbar sind. Der Spagat zwischen Effizienz und Sicherheit bleibt damit bestehen. Ob er gelingt, wird nicht zuletzt davon abhängen, ob der G-BA zu einer ausgewogenen Bewertung findet – und ob die Apotheken die ihnen zugedachte Rolle in diesem Machtspiel überhaupt tragen wollen.

 

Ein Leben für den Berufsstand, ein Herz für die Kollegenschaft, ein Blick für das Machbare

Wie Johannes Hermes Generationen von Apothekern prägte, die PTA-Ausbildung voranbrachte und der Berufspolitik Haltung verlieh

Westfalen-Lippe hat einen der profiliertesten und zugleich unaufgeregtesten Apothekerfunktionäre seiner Generation verloren. Johannes Hermes, der am 31. Mai 2025 im Alter von 69 Jahren verstarb, war weit mehr als ein Zahlenmensch, Gremienkenner oder Verwaltungsverantwortlicher. Er war ein Gesicht des Berufsstands, ein Mann mit Haltung und Handschlagqualität – verwurzelt in der täglichen Offizinarbeit, zugewandt in der Kollegenschaft, sachlich in der Debatte, standhaft im Konflikt. Mit seinem Tod endet ein Kapitel berufsständischer Mitgestaltung, das über drei Jahrzehnte hinweg vieles prägte und nicht selten auch milderte, wenn es in den Debatten zu hitzig wurde.

Hermes wurde am 3. März 1956 geboren, als Sohn einer Apothekerfamilie – sein Berufsweg war gewissermaßen vorgezeichnet, doch seine Prägung ging über das Familiäre hinaus. Die Alte Apotheke in Bergkamen war für ihn nicht nur Arbeitsplatz, sondern Zentrum eines Menschenbildes, das Nähe, Fürsorge und Verantwortung verband. Hier führte er das Unternehmen im besten Sinne familiär – für die Kundschaft, aber auch für seine Mitarbeitenden. Doch sein Blick reichte weit über die eigene Offizin hinaus. Bereits ab 1992 engagierte er sich im Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL), ab 2003 übernahm er Verantwortung im Vorstand, zuständig für Finanzen und Administration. Es war eine Rolle, die ihm lag: nüchtern, analytisch, zuverlässig – und zugleich durchdrungen von einem tiefen Verständnis für die realen Sorgen an der Basis.

Im Apothekerparlament Westfalen-Lippe war Hermes eine prägende Stimme, zuerst von 1993 bis 2005, später erneut von 2009 bis 2024. Ein Mann, der nicht das große Rampenlicht suchte, aber ein Fundament schuf, auf dem viele bauen konnten. Besonders in der PTA-Ausbildung war sein Wirken deutlich spürbar: Als stellvertretender Vorsitzender des Vereins PTA-Fachschule Westfalen-Lippe kämpfte er dafür, Ausbildungsperspektiven zu sichern und praxisnahe Bildung zu ermöglichen. Der Nachwuchs war für ihn keine Zukunftsfloskel, sondern Gegenwartspflicht.

Doch Hermes war auch ein Querdenker im besten Sinne – als Kreisvertrauensapotheker, als Beauftragter für Öffentlichkeitsarbeit im Kreis Unna-Süd und als Vertreter der Apothekerschaft im Vorstand des Verbands Freie Berufe NRW. Er war einer, der Konflikte nicht scheute, wenn sie der Sache dienten, dabei aber stets im Ton verbindlich blieb. Es war dieser westfälische Pragmatismus, von dem im Nachruf die Rede ist – eine Mischung aus Beharrlichkeit, Realismus und der Fähigkeit, die Dinge auch einmal mit einem Augenzwinkern zu betrachten.

„Seine große Herzlichkeit, sein Humor, sein Lachen, seine Lebensfreude und seine Fähigkeit, nicht nur zu arbeiten, sondern auch zu genießen“ – dieser Satz aus dem Nachruf des AVWL ist keine Floskel, sondern beschreibt präzise, was Hermes als Chef, Kollege und Freund ausmachte. Berufspolitik war für ihn nie Selbstzweck, sondern Dienen am Beruf. Und auch als Rechnungsprüfer in der Kammer oder im Ausschuss für Zusatzversorgung und Soziales setzte er auf Integrität statt Inszenierung.

Der Verlust trifft nicht nur die Institutionen, sondern vor allem Menschen, die mit ihm gearbeitet, gestritten, gelernt und gelacht haben. In einer Zeit, in der politische Lautstärke oft über Substanz gestellt wird, war Hermes ein wohltuendes Gegengewicht – ein Mensch, der zuhören konnte, ohne nachzugeben, und überzeugen konnte, ohne zu überreden. Sein Tod reißt eine Lücke. Doch sein Wirken bleibt Maßstab.

 

Calciumaufnahme sichern, Osteoporoserisiken mindern, Substitution gezielt steuern

Wie PPI die Mineralstoffresorption hemmen, warum Citratverbindungen überlegen sind und welche Defizite langfristig gefährlich werden

Protonenpumpenhemmer (PPI) zählen zu den meistverordneten Medikamenten in der säurehemmenden Therapie. Ob Reflux, Ulkuskrankheiten oder NSAR-Prophylaxe – Pantoprazol, Omeprazol oder Esomeprazol gelten in der Praxis als bewährter Standard. Doch während die klinische Wirksamkeit in der Säurereduktion unbestritten ist, bringt der pH-Anstieg im Magen eine Reihe physiologischer Nebenwirkungen mit sich, die in der Versorgung besonders vulnerabler Patientengruppen – wie etwa bei Osteoporose oder Polypharmazie – differenziert betrachtet werden müssen. Eine zentrale Folge: die erschwerte Resorption von Calcium, Magnesium, Eisen, Vitamin B12, Folsäure und Vitamin D.

Mit Blick auf die Calciumaufnahme zeigt sich dabei ein molekularer Unterschied, der therapeutisch hochrelevant ist: Calciumcarbonat, bislang häufig Standard in Supplementen, benötigt zur Lösung Magensäure – eine Ressource, die durch PPI-Wirkung gezielt reduziert wird. Die Folge: Die Bioverfügbarkeit sinkt, selbst bei ausreichender Dosierung. Im Gegensatz dazu ist Calciumcitrat als organische Verbindung säureunabhängig resorbierbar – es entfaltet seine Löslichkeit bereits im neutraleren Milieu des Dünndarms und stellt damit unter PPI-Einnahme die verlässlichere Substitutionsform dar. Auch Calciumglycinat, eine Aminosäureverbindung, zeigt unter vergleichbaren Bedingungen eine bessere Aufnahme. Dieser biochemische Vorteil sollte insbesondere bei Osteoporose-Patient:innen berücksichtigt werden, zumal PPI selbst mit einer erhöhten Frakturgefahr assoziiert sind, die über Calcium- und Vitamin-D-Mangel hinausgehen und möglicherweise auch auf eine direkte Hemmung osteoklastärer Aktivität zurückgehen.

Langzeitstudien deuten zudem auf systemische Folgen hin: Bereits nach drei Monaten Einnahme können durch PPI behandelte Patient:innen Anzeichen eines Magnesiummangels zeigen – mit potenziell kardiologischen Konsequenzen wie Herzrhythmusstörungen. Auch Hypokaliämien sind dokumentiert, die in Kombination mit Magnesiumdefiziten zur Destabilisierung der kardialen Erregungsleitung führen können. Diese Erkenntnisse sind vor allem in der älteren Patientengruppe klinisch relevant, da diese nicht nur häufiger PPI erhalten, sondern auch andere Risikofaktoren wie Diuretika, ACE-Hemmer oder eingeschränkte Nierenfunktion aufweisen. Eine regelmäßige Kontrolle der Serumwerte – Magnesium, Kalium, Calcium und Vitamin B12 – wird deshalb in der Langzeitbehandlung empfohlen.

Neben Mineralstoffen zeigen auch essentielle Mikronährstoffe wie Vitamin B12, Folsäure und Eisen eine verminderte Resorption unter PPI. Vitamin B12 etwa benötigt freie Salzsäure zur Spaltung vom Transportprotein Haptocorrin, während Eisen aus nicht-hämgebundener Form ebenfalls auf eine saure Umgebung zur Reduktion von Fe3+ zu Fe2+ angewiesen ist. Eine langfristige PPI-Therapie ohne adäquate diagnostische Begleitung kann deshalb zur subklinischen oder manifesten Mangelversorgung führen – mit Konsequenzen für hämatologische, neurologische und kardiovaskuläre Gesundheit.

Die Auswahl geeigneter Supplemente muss sich daher an pharmakokinetischen Gegebenheiten orientieren. Der Wechsel von Carbonat- auf Citratverbindungen bei Calcium ist nicht nur biochemisch sinnvoll, sondern auch in der Beratungspraxis gut vermittelbar: Citratpräparate lassen sich unabhängig von Mahlzeiten einnehmen, sind magenfreundlicher und zeigen ein geringeres Risiko gastrointestinaler Nebenwirkungen. Ergänzend empfiehlt sich die zeitlich getrennte Einnahme von PPI und Mineralstoffpräparaten – optimalerweise im Abstand von mindestens zwei Stunden –, um mögliche Interaktionen im Dünndarm zu minimieren.

Führungspersonal in Apotheken und Arztpraxen ist aufgerufen, in der Medikationsanalyse auf diese Wirkzusammenhänge aktiv hinzuweisen. Das betrifft nicht nur die sachgerechte Empfehlung säureunabhängiger Präparate, sondern auch die Sensibilisierung für Laborparameter, die bei Langzeit-PPI-Therapie kontrolliert werden sollten. Der routinierte Blick auf Arzneimittellisten, das aktive Nachfragen nach Symptomen wie Muskelschwäche oder Parästhesien und eine evidenzbasierte Beratung zur Supplementierung sind Teil einer professionellen pharmazeutischen Versorgung. Nur wer die sekundären Effekte von PPI frühzeitig erkennt und gezielt kompensiert, kann die Vorteile der Säureblockade nutzen, ohne das Risiko einer mineralstoff- oder vitaminbedingten Folgeproblematik einzugehen.

Von Engin Günder, Fachjournalist

 

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