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  • 07.06.2025 – Apotheken-Nachrichten von heute: Versorgungsanspruch trifft Absicherungsversagen, Führungsdruck wird zur Systemfrage, Prävention verlangt Gerechtigkeit
    07.06.2025 – Apotheken-Nachrichten von heute: Versorgungsanspruch trifft Absicherungsversagen, Führungsdruck wird zur Systemfrage, Prävention verlangt Gerechtigkeit
    APOTHEKE | Medienspiegel & Presse | Systembelastung auf allen Ebenen: Apotheken als überforderte Versorgungsträger, Gerichte fordern Einzelfälle in der PKV, Maskenvergabe ...

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ApoRisk® Nachrichten - APOTHEKE:


APOTHEKE | Medienspiegel & Presse |

Apotheken-Nachrichten von heute: Versorgungsanspruch trifft Absicherungsversagen, Führungsdruck wird zur Systemfrage, Prävention verlangt Gerechtigkeit

 

Wie Apotheken unter struktureller Überforderung leiden, Maskenskandale politischen Schatten werfen und Geschlechtergesundheit zum Schlüsselthema wird

Apotheken stemmen zunehmend systemrelevante Aufgaben, erhalten aber weder rechtliche Absicherung noch wirtschaftliche Stabilität – eine strukturelle Überlastung, die auch die Führungskräfte in ihrer Verantwortung zermürbt. Gleichzeitig verlangen Gerichte bei PKV-Rückforderungen eine fundierte Einzelfallanalyse, die viele Versicherte überfordert. Im Bundesgesundheitsministerium sorgt der geheim gehaltene Maskenbericht zur Fiege-Vergabe für parteiübergreifende Kritik. Bei Kindern bleibt die protrahierte bakterielle Bronchitis eine unterschätzte Gefahr mit möglichen Langzeitschäden. Frauenspezifische Gesundheitsanliegen stoßen weiterhin auf strukturelle Tabus, während altersbedingter Testosteronmangel bei Männern oft verharmlost oder falsch interpretiert wird. Hoffnung kommt aus der Forschung: Der OX2R-Agonist Oveporexton zeigt vielversprechende Ergebnisse bei Narkolepsie Typ 1 – ein Signal, dass medizinischer Fortschritt systemische Rückendeckung braucht, um Wirkung zu entfalten.

 

Zwischen Versorgungslast, Spezialisierungsdruck und Absicherungsdefizit

Warum Apotheken ohne systemische Schutzstruktur zur Instabilität des Gesundheitswesens werden

Die öffentlichen Apotheken in Deutschland stehen unter strukturellem Dauerbeschuss: Sie übernehmen zunehmend systemrelevante Aufgaben, erhalten aber weder die rechtliche Absicherung noch die wirtschaftliche Stabilität, die dafür notwendig wären. Was als wohnortnahe Versorgungsinstanz politisch aufgeladen wird – Impfpunkt, Medikationsanalyst, Akuthelfer, Notfallabsicherung –, zerfasert auf betrieblicher Ebene zu einer riskanten Überforderung. Die Apotheke von heute ist kein reiner Arzneimittelausgaberaum mehr, sondern ein multifunktionaler Versorgungsbetrieb unter Hochspannung – allerdings ohne den Schutzschirm, den solche Hochanforderungen eigentlich voraussetzen.

Der Versuch, durch Spezialisierung die eigene Relevanz zu sichern, ist vielerorts zum zweischneidigen Schwert geworden. Wo früher Rezeptur und Beratung dominierten, stehen heute Verblisterung, onkologische Therapiebegleitung und geriatrisches Management auf dem Plan – verbunden mit Investitionen in Technik, Personal und Fortbildung. Doch wer neue Leistungstiefen erschließt, geht auch neue Risiken ein: Der kleinste IT-Ausfall kann Patienten gefährden, eine Kühlausfallmeldung bei parenteralen Zubereitungen eine Versorgungskette unterbrechen. Der Aufwand steigt, die Resilienz sinkt – nicht selten, weil rechtliche, versicherungstechnische und betriebswirtschaftliche Rückendeckung fehlt. Die Spezialisierung mutiert vom Differenzierungsmerkmal zum existenziellen Risikotreiber.

Noch dramatischer zeigt sich die systemische Unsicherheit bei der Digitalisierung. Das E-Rezept, die elektronische Patientenakte, die Anbindung an Versorgungsplattformen, die Kommunikation mit Kliniken und Pflegeheimen – all das funktioniert nur mit IT-Infrastrukturen, die ausfallsicher, datenschutzkonform und versichert sind. In der Realität aber verfügen zahlreiche Apotheken weder über eine belastbare Firewall noch über eine Cyberversicherung, die Betriebsunterbrechung und Datenschutzpannen abdeckt. Viele Inhaber hoffen auf Schadensfreiheit, weil sie die Versicherungsprämien für realistische Deckungssummen nicht tragen können – oder weil es am Markt keine branchenspezifischen Policen gibt, die der Verantwortung der Apotheken gerecht werden.

Parallel verschiebt sich das betriebliche Risikoprofil durch neue Anforderungen in der Versorgung: Wo Palliativarzneimittel mit Kühlpflicht lagern, können Wasserschäden und Stromausfälle unmittelbar zur Versorgungsunterbrechung führen. Wo Patienten ihre Arzneimittel individuell verblistert erhalten, kann jeder technische Fehler rechtliche Folgen nach sich ziehen. Und wo eine Apotheke ohne Backup-System digital rezeptiert, reicht ein Hackerangriff, um den Betrieb lahmzulegen. Dennoch ist der Großteil der Apotheken weder gegen Haftungsfolgen noch gegen betriebliche Komplettausfälle adäquat geschützt – obwohl ihre Leistungserbringung zunehmend als versorgungsrelevant deklariert wird.

Dabei ist das finanzielle Fundament brüchiger denn je. Die Fixhonorierung stagniert, neue pharmazeutische Dienstleistungen sind komplex abwickelbar und oft nicht kostendeckend. Zeitgleich steigen Personalkosten, Versicherungsprämien, Energiekosten – bei gleichzeitiger Zunahme regulatorischer Anforderungen. Wer mehr leisten will, muss mehr investieren – und geht damit ein unternehmerisches Risiko ein, das durch keine Gesetzgebung, keine Vergütungsstruktur und keine Haftungslogik abgesichert ist. Der Beruf des Apothekers hat sich in vielen Regionen vom Heilberuf zum Haftungsberuf gewandelt – mit dramatischen Folgen für die Betriebsbereitschaft.

Denn die Konsequenzen sind bereits sichtbar: Investitionsstaus bei der IT, Rückzug aus spezialisierten Versorgungsfeldern, Abwanderung aus strukturschwachen Regionen, weil dort die Systemrisiken betriebswirtschaftlich nicht mehr beherrschbar sind. Der politisch geforderte Wandel der Apotheke zum Gesundheits-Hub ist real, aber strukturell unterminiert. Statt Zukunftssicherheit entstehen neue Unsicherheiten – nicht durch Verweigerung, sondern durch das Fehlen eines stabilen Rahmens.

Die zentrale Aufgabe für Politik, Versicherungswirtschaft und Kammerstrukturen besteht nun darin, eine funktionale Systemarchitektur zu schaffen, die Absicherung, Vergütung, Verantwortung und Innovation synchronisiert. Spezialisierung ohne Absicherung ist keine Lösung, sondern ein Einfallstor für Versorgungsausfall. Digitalisierung ohne IT-Sicherheit ist keine Modernisierung, sondern ein Risikoimport. Und Leistungsverdichtung ohne wirtschaftliches Fundament ist keine Effizienz, sondern eine Zwangsbelastung.

 

PKV-Rückforderungen auf dem Prüfstand: Gerichte fordern fundierte Einzelfallanalyse

Massenklagen verlieren an Boden – Versicherte müssen Beitragserhöhungen detailliert begründen und mit konkreten Nachweisen untermauern

Die juristische Landschaft rund um Rückforderungen in der Privaten Krankenversicherung (PKV) verändert sich grundlegend. Über Jahre hinweg waren standardisierte Massenklagen das Mittel der Wahl für Versicherte, um sich gegen Beitragserhöhungen zur Wehr zu setzen. Diese Vorgehensweise stützte sich auf automatisierte Formulare, vereinfachte Rechtsauslegungen und das Prinzip der Beweislastumkehr. Doch dieser Ära erteilen die Zivilgerichte inzwischen eine klare Absage: Wer heute Ansprüche geltend machen will, muss den Einzelfall durchdringen – und zwar in einer Tiefe, die viele Kläger überfordert.

Ausgangspunkt des Paradigmenwechsels ist die verschärfte Substantiierungspflicht. Gerichte verlangen, dass Versicherte genau darlegen, auf welcher Grundlage eine Beitragserhöhung unzulässig gewesen sein soll. Das bedeutet: Ein bloßer Hinweis auf mangelnde Transparenz reicht nicht. Stattdessen müssen die sogenannten Auslösegründe der Prämienanpassung im Detail hinterfragt werden – also die mathematischen und statistischen Annahmen, die den Erhöhungen zugrunde lagen. Gemeint sind etwa Veränderungen bei den Behandlungskosten, der Lebenserwartung oder den Sterbewahrscheinlichkeiten innerhalb eines bestimmten Tarifs. Diese müssen im konkreten Tarifverlauf des Klägers überprüfbar und nachvollziehbar sein. Genau das aber ist ohne Zugang zu den internen Kalkulationsgrundlagen der Versicherer kaum möglich.

Zwar sieht das Recht eine sekundäre Darlegungslast der Versicherer vor – sie müssen ihre Prämienanpassung grundsätzlich erklären. Doch genügt hierfür oft schon eine plausible Darstellung. Ein vollständiger Einblick in die Kalkulation ist nicht erforderlich. Der Informationsvorsprung der Unternehmen bleibt bestehen – und wird zur strukturellen Hürde im Gerichtsverfahren. Die Chancen auf Erfolg sind dadurch maßgeblich vom Zugang zu versicherungsmathematischer Fachberatung abhängig. Ohne diese bleiben Betroffene chancenlos.

Besonders dramatisch ist diese Entwicklung für Versicherte mit eingeschränkten finanziellen Mitteln oder ohne Rechtsschutzversicherung. In der Frühphase der Klagewelle – die durch einzelne Kanzleien wie Piloten ins Rollen gebracht wurde – gewährten viele Rechtsschutzversicherer bereitwillig Deckung. Doch diese Bereitschaft ist weitgehend verschwunden. Versicherer prüfen heute schärfer, verlangen Einzelfallbegründungen und lehnen spekulative Klagen zunehmend ab. Das bedeutet: Wer keinen Zugang zu juristischer und mathematischer Expertise hat, bleibt faktisch ohne Rechtsschutz. Das finanzielle Risiko im Fall einer Niederlage – mit Anwalts-, Gutachter- und Gerichtskosten – schreckt zusätzlich ab.

Auch die zeitliche Dimension spielt gegen die Versicherten. Rückforderungsansprüche verjähren regelmäßig nach drei Jahren – gerechnet ab dem Ende des Jahres, in dem die Beitragserhöhung mitgeteilt wurde. Wer die Frist verpasst, verliert dauerhaft alle Ansprüche. Hinzu kommt die Unübersichtlichkeit vieler Beitragsschreiben. Zwar erfüllen diese häufig die formalen Anforderungen, bleiben aber so vage, dass eine fundierte Prüfung ohne Hilfe kaum möglich ist. Versicherte müssen Angaben zu Tarifwechseln, Voranpassungen, versicherten Leistungen und korrespondierenden Mitteilungen rekonstruieren – oft über Zeiträume von zehn Jahren oder mehr.

Die Folge ist eindeutig: Während in den vergangenen Jahren Gerichte mit standardisierten Rückforderungsklagen überflutet wurden, gehen die Klagezahlen nun spürbar zurück. Statt massenhafter Verfahren mit Textbausteinen dominieren jetzt individualisierte Prozesse mit hohem Aufwand. Das steigert die Effizienz der Justiz – reduziert aber den Zugang zum Recht. Denn der Weg durch die Instanzen steht de facto nur noch jenen offen, die über Mittel, Wissen oder spezialisierte Unterstützung verfügen.

Der Rückzug aus der Fläche führt zu einer gesellschaftspolitischen Schieflage. Denn das Recht auf faire Beitragskalkulation wird entwertet, wenn es nur auf dem Papier existiert. Versicherte, die zu Unrecht zu viel gezahlt haben, bleiben auf ihrem Schaden sitzen – nicht, weil ihre Ansprüche unbegründet wären, sondern weil sie die Begründung nicht liefern können. Damit wird aus einem rechtsstaatlichen Problem ein Gerechtigkeitsdefizit.

Der Gesetzgeber ist nun gefordert. Er muss Transparenzvorgaben bei Prämienanpassungen gesetzlich nachschärfen, insbesondere zur Offenlegung der Auslösegründe in verständlicher Sprache. Zusätzlich braucht es öffentlich geförderte Beratungsstrukturen, um Versicherten einen rechtssicheren Zugang zu den Informationen zu ermöglichen, die sie für eine Klage benötigen. Ohne diese Korrekturen droht der Zugang zum Zivilrecht zum Privileg derer zu werden, die ihn sich leisten können.

Die PKV steht damit in doppelter Hinsicht unter Beobachtung: wirtschaftlich wegen wachsender Zweifel an der Nachvollziehbarkeit ihrer Kalkulationen – und rechtlich, weil der legitime Zugang zu Prüfverfahren immer weiter eingeengt wird. Der Rückgang der Klagezahlen täuscht über die eigentliche Schieflage hinweg: Geklagt wird nicht weniger, weil alles rechtens ist – sondern weil es für viele schlicht keinen gangbaren Weg mehr gibt.

 

Führung wandelt sich zur Überforderung, Verantwortung zur Belastung, Selbstständigkeit zum Risiko

Wie Apothekenleiterinnen unter Druck geraten, zwischen Pflichten zerrieben werden und ihre Berufung im System scheitern sehen

Der Apothekerberuf war über Jahrzehnte hinweg mit einer klaren Vorstellung verbunden: fachlich exzellent, persönlich nahbar, unternehmerisch selbstbestimmt. Die Apotheke als Ort verantwortungsvoller Heilberufsausübung – zwischen Wissenschaft, Versorgung und Fürsorge. Doch diese Idealvorstellung wird für viele Inhaberinnen und Inhaber zur brüchigen Erinnerung. Die Realität der Apothekenleitung im Jahr 2025 ist ein Spagat zwischen regulatorischem Dauerfeuer, ökonomischem Preisdruck, juristischen Risiken und wachsender psychischer Belastung. Der einstige Gestaltungsraum ist einem starren Korsett aus Pflichten und Kontrollzwängen gewichen, das Führung nicht mehr als Chance, sondern als ständige Überforderung erscheinen lässt.

Im Zentrum des Problems steht die kumulative Verantwortung der Apothekenleitung. Sie umfasst nicht nur die Arzneimittelversorgung im engeren Sinne, sondern reicht von Personalführung über Datenschutz und IT-Sicherheit bis hin zu komplexen Lieferkettenentscheidungen, Wirtschaftlichkeitsprüfungen und haftungsrelevanten Einzelfällen. Diese Aufgabenballung verlangt eine 360-Grad-Kompetenz, die angesichts des Fachkräftemangels oft nicht delegierbar ist. Zugleich führt das wachsende Maß an Regularien, etwa durch das ALBVVG, das SGB V oder die Arzneimittelpreisverordnung, dazu, dass der Fokus von heilberuflicher Tätigkeit auf betriebswirtschaftliche Selbstverteidigung umschwenkt. Das Gefühl, für alles verantwortlich, aber in nichts mehr wirklich frei zu sein, prägt die Erfahrungswelt vieler Apothekenleitungen – insbesondere bei inhabergeführten Einzelbetrieben.

Hinzu kommt eine kulturelle Erosion der Führungsklarheit: Während Apothekenteams häufig auf flexible Kommunikation, Teamorientierung und kollegiales Miteinander angewiesen sind, sehen sich viele Inhaberinnen und Inhaber einem diffusen Erwartungsdruck ausgesetzt – vom eigenen Personal, von Kund:innen, vom Gesundheitssystem. Entscheidungen werden immer häufiger unter juristischer Unsicherheit getroffen, etwa bei Retaxationen, Rezeptfälschungen oder Lagerwertabschreibungen, die nicht selten existenzielle Konsequenzen haben können. Gleichzeitig fehlt es an Schutzmechanismen, psychologischer Begleitung oder struktureller Anerkennung für diese Verantwortungslast. Die klassische Führungsrolle wird zur Solokür auf unsicherem Grund.

Nicht selten wird das gesundheitliche Risiko der Leitungsträger:innen selbst zur systemischen Schwachstelle. Burnout, depressive Erschöpfung oder somatische Stresssymptome nehmen zu. Die Bereitschaft zur Übernahme oder Neugründung sinkt. Die Apothekenlandschaft ist dadurch in einer gefährlichen Dynamik gefangen: Je weniger Leitungspersönlichkeiten bereit sind, Verantwortung zu schultern, desto fragiler wird das System – sowohl im ländlichen Raum als auch in den Städten. Der Rückzug aus der Selbstständigkeit ist keine Seltenheit mehr, sondern wird zur rationalen Konsequenz aus einem überfordernden Berufsbild.

Dabei wäre die Lösung nicht zwingend ein Rückbau der Verantwortung, sondern deren gezielte Entlastung und gesellschaftliche Neubewertung. Das bedeutet: verlässliche Unterstützungssysteme für Führungskräfte, klare Haftungsbegrenzungen, juristisch abgesicherte Standards bei Rezeptprüfungen, digitale Vereinfachungen statt neuer Bürokratie und vor allem: ein Bewusstsein, dass Führungsverantwortung kein Automatismus, sondern ein schützenswerter Berufswert ist. Die Apothekenleitung darf nicht länger als Puffer für politische und regulatorische Versäumnisse missbraucht werden. Sonst verlieren nicht nur die Apotheken ihre Führung – sondern auch das Gesundheitssystem einen tragenden Pfeiler.

 

Vergabepolitik unter Druck, Transparenzblockade im BMG, politische Schutzschirme für Spahn

Wie die Masken-Logistikvergabe an Fiege nachträglich zum Risiko wird, warum Sudhofs Bericht geheim bleibt und welche Dynamik Lauterbachs Aufarbeitung entfaltet

Der Versuch, die umstrittene Maskenvergabe während der Corona-Hochphase politisch und juristisch aufzuarbeiten, hat eine neue Eskalationsstufe erreicht. Im Zentrum der Debatte steht ein geheim gehaltener Bericht der früheren Staatssekretärin Margaretha Sudhof, den Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in Auftrag gegeben hatte, um die milliardenschweren Beschaffungsprozesse seines Vorgängers Jens Spahn (CDU) lückenlos zu analysieren. Nun steht jedoch weniger der Inhalt des Berichts im Fokus als die Entscheidung, ihn unter Verschluss zu halten. Die Einstufung als „nur für den Dienstgebrauch“ hat eine Welle parteiübergreifender Kritik ausgelöst – und wirft Fragen auf, ob hier nicht mehr geschützt als aufgeklärt werden soll.

Konkret geht es um die hochbrisante Vergabe von Logistikdienstleistungen in der Frühphase der Pandemie, insbesondere die Entscheidung, den westfälischen Familienkonzern Fiege ohne Ausschreibung mit der Verteilung und Beschaffung von Masken, Desinfektionsmitteln und Schutzkleidung zu betrauen. Fiege hatte laut interner Unterlagen bereits am 13. März 2020 Arbeiten für die Bundesregierung übernommen – offenbar, ohne dass dies vom Beschaffungsamt des Bundesinnenministeriums gutgeheißen wurde. Im Gegenteil: Die dortigen Verantwortlichen verweigerten nach Recherchen von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung eine nachträgliche Zustimmung. Trotzdem setzte das Bundesgesundheitsministerium auf die sofortige Einbindung Fieges und bat das Innenressort „händeringend“ um nachträgliche Legitimierung.

Das politische Gewicht dieser Vorgänge ergibt sich nicht nur aus dem Milliardenvolumen – laut Recherchen geht es um Leistungen im Umfang von bis zu 1,5 Milliarden Euro –, sondern aus der strukturellen Brisanz: Die Umgehung regulärer Vergabeverfahren in einer akuten Notsituation kann juristisch vertretbar, politisch aber hochproblematisch sein, vor allem wenn persönliche Nähe oder parteipolitische Interessen die Entscheidung flankieren. Jens Spahn, damals CDU-Gesundheitsminister und heute einer der prominentesten Oppositionspolitiker, hatte die Firma Fiege stets als erfahren und krisenbewährt bezeichnet. Dass sein Heimatbezug dabei mitschwang, blieb nicht unbemerkt. Spahn betonte mehrfach, er habe den Dienstleister „einschätzen“ können – eine Formulierung, die nun im Licht der Geheimhaltung des Sudhof-Berichts kritischer denn je betrachtet wird.

Margaretha Sudhof, als Verwaltungsjuristin mit Stationen im Justiz- und Verteidigungsministerium sowie als ehemalige Staatssekretärin prädestiniert für eine präzise Aufarbeitung, hatte laut BMG den Auftrag, alle Beschaffungsvorgänge strukturiert, nachvollziehbar und gegebenenfalls kritisch zu evaluieren. Dass das Resultat dieser Arbeit nun nicht öffentlich gemacht wird, steht im Widerspruch zur ursprünglichen Ankündigung von Minister Lauterbach, für vollständige Transparenz sorgen zu wollen. Stattdessen wird der Haushaltsausschuss nach aktueller Planung „zu gegebener Zeit unterrichtet“ – eine Formulierung, die im politischen Berlin häufig als Signal für Verschleppung oder Kontrollvermeidung verstanden wird.

Insbesondere aus Reihen der Grünen kommt nun harsche Kritik. Die Haushaltspolitikerin Paula Piechotta äußerte gegenüber dem Recherchenetzwerk den Verdacht, dass der Bericht gezielt zurückgehalten werde, um Spahns politischer Karriere nicht zu schaden. Diese Unterstellung trifft ein ohnehin aufgeheiztes politisches Klima, in dem das Vertrauen in parteiübergreifende Aufklärung zunehmend erodiert. Die Tatsache, dass Spahn den Bericht nicht kennt und angeblich keinen Zugriff darauf hat, verschärft die Debatte: Kritiker werten dies als Beleg für institutionellen Selbstschutz im BMG – und als Indiz, dass der Inhalt des Berichts tatsächlich brisant sein dürfte.

Lauterbach selbst verweigert bislang jede Kommentierung der Vorgänge. Auch das Bundesgesundheitsministerium äußert sich ausschließlich formal und verweist auf interne Klassifizierungsregeln. Die offizielle Linie: Der Bericht sei ein internes Dokument, das verwaltungsintern bleibe. Doch die politische Wirkung dieser Entscheidung ist nicht intern, sondern extern: Parlamentarier, die in der Pandemie politisch mitverantwortlich waren, fordern Zugang, Opposition und Teile der Koalition drängen auf Offenlegung, und das öffentliche Interesse an den genauen Abläufen der milliardenschweren Maskenvergabe wächst.

Der Fall wird damit zunehmend zu einem Testfall politischer Glaubwürdigkeit: Kann eine Regierung, die Transparenz verspricht, einen Bericht unter Verschluss halten, wenn es um die Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit staatlichen Handelns in einer Ausnahmesituation geht? Oder schützt sie damit letztlich nicht nur verwaltungstechnische Abläufe, sondern auch politisch exponierte Akteure? Die Fiege-Vergabe könnte – rückblickend betrachtet – als notwendig, als übereilt oder als unangemessen gewertet werden. Doch solange die Faktenlage unter Verschluss bleibt, regiert der Verdacht – und mit ihm die politische Dynamik, die Jens Spahn wieder ins Zentrum öffentlicher Kritik rückt.

 

Chronischer Husten gefährdet Lungenentwicklung, Antibiotika bleiben unterdosiert, Warnsystem soll Kinder schützen

Warum protrahierte bakterielle Bronchitis unterschätzt wird, wie irreversible Schäden entstehen und was ein digitales Frühinterventionsmodell leisten kann

Chronischer Husten im Kindesalter ist mehr als ein lästiges Symptom – er kann der Beginn eines schleichenden Krankheitsverlaufs sein, der zu bleibenden Lungenschäden führt. Was viele Eltern als „normalen Infekt“ abtun, entpuppt sich in der medizinischen Praxis zunehmend als unterschätzte Gefahr: die protrahierte bakterielle Bronchitis (PBB). Dr. Anne Schlegtendal, Oberärztin an der Universitätskinderklinik Bochum, spricht von einer alarmierenden Diagnoselage – zu spät erkannt, zu kurz behandelt, zu oft ignoriert.

Ihre Forschung zeigt, dass eine PBB nicht nur behandelbar, sondern vor allem ernst zu nehmen ist. In einer retrospektiven Studie wurden 200 Kinder untersucht, die im Kleinkindalter wegen Atemwegsinfektionen stationär aufgenommen worden waren. Jahre später – bei einer systematischen Nachuntersuchung – zeigte sich bei 63 von ihnen ein fortbestehender oder erneut aufgetretener Husten. Bei mehreren Kindern konnte sogar eine signifikante Beeinträchtigung der Lungenfunktion nachgewiesen werden, teils trotz antibiotischer Behandlung.

Besonders kritisch: Selbst wenn im Akutstadium Antibiotika verabreicht wurden, genügte die Therapiedauer oftmals nicht, um die bakterielle Entzündung vollständig zu beseitigen. Zwei Wochen konsequente Behandlung seien nach aktueller Datenlage das Minimum, so Schlegtendal. Andernfalls entwickle sich aus der akuten Bronchitis eine chronische Strukturveränderung des Lungengewebes – mit potenziell irreversiblen Folgen für Atmung, Leistungsfähigkeit und Langzeitgesundheit der betroffenen Kinder.

In Deutschland gibt es bislang weder eine offizielle Leitlinie zur Diagnose und Therapie der PBB noch systematische Nachsorgeempfehlungen. Genau hier setzt die Initiative des Bochumer Forschungsteams an: Mit einem digitalen Ampelsystem, das auf klinischen Parametern, Hustendauer und Risikofaktoren basiert, sollen Kinder mit Verdacht auf PBB frühzeitig identifiziert und ärztlich versorgt werden.

Die geplante Struktur sieht vor, dass Kinder mit alarmierenden Symptomen – etwa über vier Wochen persistierender Husten, Nachtschweiß oder Atemnot – sofort in eine medizinische Abklärung überführt werden. „Rot bedeutet dann Klinik, Gelb Kontrolle, Grün Entwarnung“, erklärt Schlegtendal.

Ziel sei es nicht, eine neue Hysterie zu schüren, sondern medizinisch begründete Aufmerksamkeit zu erzeugen – und zwar bei Eltern wie auch bei Kinderärztinnen und -ärzten. Denn viele PBB-Verläufe werden weiterhin mit einfachen Erkältungen verwechselt oder lediglich mit inhalativen Therapien behandelt, was die bakterielle Ursache nicht adressiert.

Langfristig will das Team um Schlegtendal das Warnsystem in die pädiatrische Regelversorgung integrieren und mit bestehenden digitalen Gesundheitsakten verknüpfen. Gleichzeitig drängen sie auf eine zügige Entwicklung verbindlicher Behandlungsrichtlinien – auch um klare Therapieentscheidungen in der Praxis zu ermöglichen und juristische wie versicherungsrechtliche Absicherungen zu schaffen.

Denn chronischer Husten ist nicht harmlos. Er ist häufig der Anfang eines strukturellen Lungenumbaus – und damit ein stiller Vorbote für eine medizinische Tragödie, die bei frühzeitiger Diagnose und systematischer Antibiotikagabe vermeidbar wäre.

 

Gesundheit beginnt mit Aufklärung, Gleichstellung braucht System, Tabus blockieren Prävention

Wie Frauenversorgung enttabuisiert, Bildung gestärkt und Gesundheitskompetenz geschlechtergerecht verankert werden kann

Wer über Chancengleichheit spricht, darf bei der Gesundheit nicht schweigen – denn gerade hier zeigen sich tradierte Rollenzuschreibungen und systemische Versäumnisse mit besonderer Deutlichkeit. Noch immer sind es Frauen, die den Großteil der unbezahlten Gesundheitsorganisation in Familien leisten, die in Pflegeberufen dominieren, sich um die medizinischen Belange anderer kümmern – aber gleichzeitig mit ihren eigenen Anliegen zu oft nicht gehört werden. Die Veranstaltung des AOK-Bundesverbands in Berlin macht deutlich, wie tief diese strukturelle Schieflage im System verankert ist und welche Schritte nötig wären, um sie zu überwinden.

Gesundheitskompetenz ist nicht geschlechtsneutral – sie ist historisch, kulturell und politisch aufgeladen. Während Frauen überwiegend als Zuständige für Gesundheit fungieren, werden ihre eigenen gesundheitlichen Themen marginalisiert. Regelschmerzen, Endometriose, Wechseljahre, hormonelle Dysbalancen – jahrzehntelang galten diese Themen als privat, intim, nicht gesellschaftsfähig. Erst in den letzten Jahren beginnt sich das zu ändern. Doch was sich langsam in öffentlichen Debatten etabliert, muss systemisch gesichert werden: durch Aufklärung, Bildungsreformen und geschlechtersensible Versorgungsstrukturen.

Anne Högemann, Vorständin der Ärztlichen Gesellschaft zur Gesundheitsförderung, formuliert es unmissverständlich: Gesundheitsthemen müssen schon in den Schulen besprechbar werden. Mädchen müssten früh verstehen, dass ihre Beschwerden ernst genommen werden – nicht als Ausnahme, sondern als Regel. Gleichzeitig gehe es auch darum, Jungen einzubeziehen, ihnen die andere Perspektive nahezubringen und Vorurteile abzubauen. Gesundheitsaufklärung müsse ein selbstverständlicher Teil schulischer Bildung sein, nicht nur ein optionales Randthema.

Auch Nicoletta Wischnewski, Leiterin des Gesundheitsamts Charlottenburg-Wilmersdorf, fordert nichts Geringeres als ein Schulfach Gesundheit – mit verbindlichen Inhalten, die Prävention, Körperwissen und emotionale Kompetenzen gleichrangig vermitteln. Der gesellschaftliche Preis für die Tabuisierung sei hoch, so Wischnewski, nicht zuletzt mit Blick auf ungewollte Schwangerschaften, psychische Belastungen oder verschleppte Krankheitsverläufe. Frühzeitige Gesundheitsbildung könne hier konkret vorbeugen – mit Wirkung auf das gesamte Leben.

Die Diskussion auf dem Panel zeigt auch: Gleichberechtigung im Gesundheitssystem ist kein automatischer Fortschritt, sondern ein aktiv zu gestaltender Prozess. Es reicht nicht, dass Frauen in Gesundheitsberufen stark vertreten sind – entscheidend ist, ob ihre Perspektiven auch strukturell einfließen. Ob Studien geschlechterdifferenziert durchgeführt werden, ob Versorgungsangebote weibliche Bedarfe abbilden, ob finanzielle Ressourcen dort eingesetzt werden, wo strukturelle Rückstände sind. Der Weg zu einem gleichberechtigten Gesundheitssystem ist kein Nebenstrang, sondern Voraussetzung für soziale Gerechtigkeit.

Dabei geht es nicht nur um Frauen als Patientinnen – sondern auch um sie als Pflegende, Ärztinnen, Apothekerinnen, Führungskräfte. Ein Gesundheitssystem, das Gleichstellung ernst nimmt, muss aufhören, Fürsorge als weibliche Selbstverständlichkeit zu verwalten. Es muss Care-Arbeit als gesamtgesellschaftliche Verantwortung begreifen und Gesundheitsmanagement als Bildungsauftrag. Die Initiative der AOK setzt dabei ein Signal – eines, das im Alltag ankommen muss: in Schulen, Apotheken, Arztpraxen, Betrieben, Familien. Denn solange Gesundheit ein Tabuthema bleibt, bleibt auch Gleichstellung Theorie.

 

Oveporexton aktiviert Wachheit, senkt Kataplexie, übertrifft Vergleichstherapien

Neue Hoffnung bei Narkolepsie Typ 1 durch selektive OX2R-Agonisten in Phase-III-Testung

Narkolepsie Typ 1 gehört zu den neurologischen Erkrankungen, bei denen der therapeutische Fortschritt bislang vor allem auf Symptomkontrolle beruhte – exzessive Tagesschläfrigkeit und Kataplexie galten als behandelbar, aber nicht nachhaltig beeinflussbar. Mit dem Wirkstoff Oveporexton, einem oral verfügbaren, hochselektiven Agonisten am Orexinrezeptor-2 (OX2R), scheint sich das zu ändern. Die kürzlich im New England Journal of Medicine publizierten Ergebnisse der Phase-IIb-Studie liefern robuste Hinweise auf eine substanzielle Verbesserung der Wachsamkeit und eine signifikante Reduktion der Kataplexierate – bei gleichzeitig günstiger Verträglichkeit. Damit hebt sich Oveporexton deutlich von bisherigen Standardtherapien ab und erreicht in zentralen Parametern Werte, die an die Normwerte gesunder Personen heranreichen. Takeda hat das Prüfpräparat nun in die Phase-III-Entwicklung überführt.

Die pathophysiologische Grundlage von Narkolepsie Typ 1 liegt im Verlust Orexin-produzierender Neuronen im Hypothalamus. Orexin, ein Neuropeptid, das in zwei Rezeptorformen (OX1R, OX2R) wirkt, spielt eine Schlüsselrolle bei der Stabilisierung des Wachzustands und der Vermeidung von Kataplexie – ein pathologischer, plötzlicher Tonusverlust der Muskulatur, der durch starke Emotionen getriggert werden kann. Während duale Orexinrezeptor-Antagonisten wie Daridorexant zur Sedierung bei Insomnie eingesetzt werden und bei Narkolepsie kontraindiziert sind, macht Oveporexton genau das Gegenteil: Es verstärkt selektiv die OX2R-Aktivität und stabilisiert so den Wachzustand von innen heraus. Die Fähigkeit des Moleküls, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden, ist dabei entscheidend für den klinischen Effekt.

In der Phase-IIb-Studie (TAK-861-2001) wurden 112 Erwachsene mit Narkolepsie Typ 1 acht Wochen lang entweder mit einem von vier Oveporexton-Dosierungsschemata oder Placebo behandelt. Die primäre Messgröße war der Maintenance of Wakefulness Test (MWT), flankiert von sekundären Endpunkten wie der Epworth Sleepiness Scale (ESS) und der wöchentlichen Kataplexie-Frequenz. Der MWT zeigte dosisabhängige Verbesserungen der mittleren Schlaflatenz von bis zu 27 Minuten – deutlich über den 2 bis 12 Minuten, die mit gängigen Therapien erreicht werden. 79 Prozent der Behandelten erreichten am Studienende ESS-Werte unterhalb des Normwert-Schwellenwertes von 10 Punkten. Parallel sank die Kataplexierate signifikant in allen Dosierungen.

Auch in der Sicherheitsbeurteilung überzeugt Oveporexton: Während eine frühere Substanz derselben Wirkstoffklasse (TAK-994) hepatotoxische Effekte zeigte, blieben derartige Nebenwirkungen bei Oveporexton aus. Die häufigsten unerwünschten Ereignisse – Schlaflosigkeit, Harndrang, Polyurie – wurden überwiegend als leicht bis moderat eingestuft. Takeda sieht in Oveporexton einen potenziellen First-in-Class-Agonisten, der gezielt an der zugrunde liegenden Pathophysiologie der Narkolepsie Typ 1 ansetzt – und damit den therapeutischen Anspruch über reine Symptombekämpfung hinaus erweitert.

Mit dem Übergang in Phase III steht nun die Prüfung der Langzeitwirksamkeit und -sicherheit in einem größeren Kollektiv an. Sollte die Substanz auch in dieser klinischen Prüfphase überzeugen, könnte Oveporexton zu einer strategischen Neuordnung in der Behandlung von Narkolepsie führen – und als Modellsubstanz für weitere Erkrankungen gelten, bei denen Orexin eine Rolle spielt.

 

Richtiger Umgang mit Gewicht, Eiweiß und Stoffwechsel

Wie Frauen in den Wechseljahren ihren Körper verstehen, Ernährung gezielt anpassen und langfristig Gesundheit sichern

Wenn der Körper sich umstellt, braucht es mehr als Durchhaltevermögen – es braucht Wissen. Die Wechseljahre stellen für viele Frauen eine körperliche, emotionale und auch stoffwechseltechnische Zäsur dar, die sich nicht nur in klassischen Symptomen wie Hitzewallungen oder Stimmungsschwankungen zeigt, sondern tief in die körperliche Regulation eingreift. Spürbar wird das vor allem am Gewicht. Für viele Frauen ist die plötzliche Zunahme, oft rund zehn Kilo bis zur Menopause, kein kosmetisches Problem, sondern ein existenzielles: Sie steht sinnbildlich für einen Kontrollverlust über den eigenen Körper. Doch gerade dieser Punkt lässt sich durch bewusste Ernährung und gezielte Bewegung wieder aktiv gestalten – vorausgesetzt, man versteht die Mechanismen dahinter.

Der sinkende Östrogenspiegel verschiebt die hormonelle Balance, die bisher für ein gewisses Maß an metabolischer Stabilität gesorgt hat. Die Folge: Das viszerale Fett nimmt zu, die Muskelmasse nimmt ab. Diese Entwicklung lässt sich zwar nicht komplett aufhalten, aber gezielt steuern. Genau das betont auch Irene Noack, Ernährungswissenschaftlerin aus Sankt Augustin, die in ihrer Beratungspraxis immer wieder mit Frauen konfrontiert ist, die sich schuldig fühlen – weil Diäten nicht mehr wirken, weil Bewegung plötzlich weniger bewirkt, weil der Körper sich „entzieht“. Doch Noack stellt klar: Es ist kein persönliches Versagen, sondern eine physiologische Veränderung, die andere Strategien erfordert.

Eine zentrale Stellschraube ist laut Noack die Proteinzufuhr. Während die allgemeine Empfehlung der DGE bei 0,8 g/kg Körpergewicht liegt, sei in den Wechseljahren ein Zielbereich von 1 bis 1,5 g/kg sinnvoll – vorausgesetzt, die Nierenfunktion erlaubt dies. Denn Muskelmasse ist nicht nur ästhetisch relevant, sie ist stoffwechselaktiv, schützt vor Sarkopenie und senkt das Risiko für metabolische Erkrankungen. In Kombination mit regelmäßigem Krafttraining – auch in moderater Form – ergibt sich ein effektiver Schutz vor dem gesundheitlichen Abwärtstrend, den viele Frauen befürchten.

Parallel sollte die Energiezufuhr individuell angepasst werden. Der Ruheumsatz bei Frauen ab 51 liegt laut DGE bei rund 1220 kcal. Darauf aufbauend lässt sich mit Hilfe von Aktivitätsfaktoren ein realistischer Gesamtenergiebedarf berechnen. Die Wahl der Ernährungsform – ob mediterrane Mischkost, Low Carb, Intervallfasten oder andere Varianten – ist zweitrangig, solange sie mit einer ausreichenden Eiweißaufnahme und einem nachhaltigen Lebensstil kombiniert wird. Entscheidend ist: Ernährung darf nicht als Diätmaßnahme verstanden werden, sondern als präventive Gesundheitsstrategie mit langfristiger Wirkung.

Dazu gehört auch ein Perspektivwechsel. Statt auf kurzfristige Gewichtsabnahme zu schielen, sollte der Fokus auf Erhalt und Ausbau der Muskelmasse sowie auf Reduktion des viszeralen Fettes gelegt werden. Denn beides hat Einfluss auf Insulinsensitivität, kardiovaskuläres Risiko und Lebensqualität im Alter. Das bedeutet: Wer frühzeitig beginnt, sei es schon in der Prämenopause, hat die besseren Karten. Ernährung ist dabei kein isolierter Faktor, sondern Teil eines Zusammenspiels aus Bewegung, Regeneration und hormoneller Balance – ein System, das nur dann funktioniert, wenn man es ganzheitlich denkt.

 

Testosteron, Lebensqualität, Therapiebedarf

Was Männer mit schwindendem Hormonspiegel beachten müssen, warum Selbstmedikation gefährlich ist und wann ärztliche Abklärung wirklich sinnvoll wird

Testosteronmangel ist keine Modeerscheinung, sondern ein medizinisch ernstzunehmender Zustand – und doch keine Entsprechung der weiblichen Wechseljahre. Während bei Frauen hormonelle Umstellungen in der Lebensmitte abrupt und deutlich wahrnehmbar einsetzen, vollzieht sich die Abnahme des Testosteronspiegels bei Männern schleichend, oft unbemerkt und mit variabler Ausprägung. Die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) räumt mit dem Mythos der „männlichen Wechseljahre“ auf – nicht aber mit den realen Belastungen, die ein Testosteronmangel verursachen kann: Energiemangel, Antriebslosigkeit, sexuelle Unlust, schlaffer Muskeltonus und emotionale Labilität. Dabei sind die Grenzen zwischen altersphysiologischen Prozessen, lebensstilbedingten Einflüssen und manifestem Hormonmangel oft fließend – was eine differenzierte Diagnostik und verantwortungsbewusste Indikationsstellung unverzichtbar macht.

Ein diagnostischer Grenzwert liegt bei rund 8 Nanomol Testosteron pro Liter Blut. Werte darunter gelten als behandlungswürdig – sofern sie mit belastenden Symptomen einhergehen und nicht nur situativ, etwa durch Schlafmangel, Übergewicht oder exzessiven Stress, erklärt werden können. Männer, die unter anhaltender Müdigkeit, Libidoverlust oder depressiven Verstimmungen leiden, sollten nicht vorschnell zu vermeintlichen Selbsthilfemitteln oder frei verkäuflichen Boostern greifen. Denn was als Lifestyle-Kur vermarktet wird, ist in Wahrheit ein steuerungsrelevanter Eingriff in hormonelle Regelkreise – mit Risiken für Herz-Kreislauf, Prostatagesundheit und Stoffwechselbalance.

Die DGE warnt daher ausdrücklich vor einer Einnahme von Testosteronpräparaten ohne medizinische Indikation. Die Diagnostik muss in ärztlicher Hand liegen und umfasst neben einer ausführlichen Anamnese auch mindestens zwei Labormessungen zu festgelegten Tageszeiten. Denn nur so lassen sich pathologische Hormonmängel von vorübergehenden Schwankungen unterscheiden. Auch die Ursachenklärung ist entscheidend: Liegt eine Schädigung der Hodenfunktion (primärer Hypogonadismus) vor oder eine Störung der Steuerzentren im Gehirn (sekundärer Hypogonadismus)? Erst die genaue Zuordnung erlaubt eine gezielte Therapie – und schützt zugleich vor der Fehlbehandlung funktionaler Störungen, bei denen Lebensstiländerungen wirksamer sein können als Medikamente.

Professor Dr. Sven Diederich, erfahrener Endokrinologe am Medicover Berlin, macht deutlich: Testosteron ist mehr als ein Sexualhormon. Es beeinflusst die Leistungsfähigkeit, das Körperfettverhältnis, die Knochendichte, das Schlafverhalten und die psychische Resilienz. Ein Mangel kann weitreichende Folgen haben – umgekehrt aber auch durch falsche Diagnosen oder unkritische Substitution unnötige Risiken erzeugen. So kann etwa eine unkontrollierte Gabe von Testosteron zu einer Reduktion der körpereigenen Produktion führen, zur Vergrößerung der Prostata beitragen oder unerwünschte Veränderungen im Blutbild auslösen.

Der ärztliche Zugang zur Thematik verfolgt daher einen mehrstufigen Ansatz: Zuerst steht die Abklärung möglicher Ursachen und Lebensstilfaktoren im Vordergrund – darunter Schlafqualität, Ernährung, Stressbelastung, Alkoholkonsum und körperliche Aktivität. Nur wenn diese Aspekte nicht ausreichen, um Beschwerden zu lindern, kommt eine medizinisch gesteuerte Hormonersatztherapie infrage – stets eingebettet in ein engmaschiges Monitoring, das Nebenwirkungen ausschließt und die Dosis an individuelle Bedarfe anpasst. Die Devise lautet also nicht: mehr Testosteron für mehr Männlichkeit, sondern: gezielte Therapie für echte Mangelzustände.

Gerade in der gesundheitsökonomischen Realität, in der auch Männer zunehmend selbstverantwortlich agieren müssen, ist es wichtig, Informationsdefizite abzubauen und unseriöse Versprechen zu entlarven. Testosteron ist kein Medikament für den Alltag – es ist ein zentrales Hormon der Lebenssteuerung. Wer es leichtfertig behandelt, riskiert weit mehr als nur seinen Hormonhaushalt.

 

Glosse: Türsteher, Testkits, Triage-Tango

Wie Apotheken angeblich den Praxen den Laden freihalten, Armbandlogik Realität wird und Teleclinic schon mal übernimmt

Erkältung, Rückenschmerz, Übelkeit nach Bratwurst – alles Gründe, einen Arzt aufzusuchen. Oder zumindest alles, was dem deutschen Durchschnittspatienten genügt, um in einer überfüllten Praxis zu erscheinen und seine Versichertenkarte wie eine Eintrittskarte zum Kabarett der Beschwerden vorzulegen. Die Arztpraxen stöhnen, die Wartezimmer ächzen, und die MFA vor Ort betreiben längst mehr Konfliktmanagement als Gesundheitsadministration. Was also tun? Die Lösung ist ebenso visionär wie unverschämt: Die Apothekerin als Türsteherin. Mit Klapptisch, Schnelltest und Festivalbändchen.

Was klingt wie eine Persiflage auf die personifizierte Gesundheitsreform, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als bitterironischer Spiegel einer Versorgungspolitik, die sich lieber in Modellprojekten verliert, als die Wirklichkeit zu akzeptieren. Der Gedanke, Apotheker:innen vor den Arztpraxen zu platzieren, damit sie mit Stuhl, Stift und Sicherheitsweste den Zugang regeln, hat durchaus System: Deutschland ist Weltmeister im Sortieren. Was bei PET-Flaschen funktioniert, muss doch auch bei Patienten gehen.

Das Szenario ist schnell gemalt: Blutdruck, Körpertemperatur, Sauerstoffsättigung, Stuhlfrequenz – alles wird im Vorraum der Arztpraxis gemessen, kategorisiert, codiert. Wer gut abschneidet, darf nicht rein, sondern wird mit einem freundlichen „Grün“ und der Bitte um Geduld wieder hinauskomplimentiert. „Ihr Fall wird vorgemerkt. In drei Monaten hören Sie von uns.“ Wer hingegen lallt, röchelt oder klagt wie ein Grubenkanarienvogel, erhält das „Rot“ der Priorität und darf sich in der Folge auf ein blinkendes Armband mit Notfall-Buzzer freuen.

Der Zwischenfall? Schon geregelt. Festivallogik trifft auf Gesundheitssystem: Orange = schwer, Gelb = lästig, Grün = egal. Wer bei Orange landet, bekommt ein Wartezimmer mit Steckdose. Bei Gelb darf man sich im Keller auf eine PowerPoint-Präsentation mit dem Titel „Warum Sie heute nicht drankommen“ freuen. Und wer den Buzzer bei Rot nicht selbstständig drücken kann, gilt ohnehin nicht mehr als behandelbar, sondern als überführbar.

Während die Politik sich von der Effektivität solcher Farbsysteme begeistert zeigt, regt sich erster Widerstand. Aktivisten fordern freie Farbwahl. Schließlich könne die Aura eines Menschen nicht durch Stuhlfrequenz entwertet werden. Auch chronisch Erkrankte begehren auf: Warum kein Sonderarmband für Long Covid mit Glittereffekt? Warum keine Warte-VIP-Lounge für Rückenschmerz mit Burnout-Bonus?

Die einzige Berufsgruppe, die sich nicht wehrt, sind – natürlich – die Apotheker:innen selbst. Sie nicken, testen, sortieren und hoffen, dass sie am Ende nicht auch noch für die kaputten Blutdruckgeräte haften müssen. Denn während sich die Ärzteschaft über zu viele Patienten beklagt, fehlt den Apotheken schlicht das Personal, um in Schichten Türdienst und Offizinbetrieb gleichzeitig zu leisten.

Doch die Apothekenfront steht nicht nur am Praxisportal, sondern auch in der digitalen Kulisse unter Druck. Während DocMorris Tochterunternehmen zur „digitalen Erstversorgungsinstanz“ für KVen aufrüstet, wird „Pharmacy first“ zur bestenfalls charmanten Fußnote. Der Beitrag der Vor-Ort-Apotheke zur Primärversorgung? In den Talkshows kaum Thema, in den Gesetzesentwürfen Randnotiz, im Alltag systemkritisch – aber eben ohne Lobby.

ABDA-Präsident Thomas Preis versuchte jüngst in Köln auf der Apothekentour dagegenzuhalten. Wenn es ein Primärarztsystem geben soll, dann mit Apotheke – so die Botschaft. Doch während er spricht, hat Teleclinic bereits 17.000 Erstgespräche für Niedersachsen abgewickelt. Ein Schelm, wer sich da denkt: Die Türsteherrolle ist längst besetzt – nur eben digital.

Und wer es bis hierher für eine überdrehte Glosse hielt: Stimmt. Aber auch Glossen dürfen Wahrheiten sagen, solange die Praxis noch offen ist. Wobei – bitte vorher Armbandfarbe prüfen.

Von Engin Günder, Fachjournalist

 

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