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  • 06.06.2025 – Apotheken-Nachrichten von heute: Versorgung verlangt Weitsicht, Betriebsführung braucht Risikointelligenz, Absicherung wird zur Existenzfrage
    06.06.2025 – Apotheken-Nachrichten von heute: Versorgung verlangt Weitsicht, Betriebsführung braucht Risikointelligenz, Absicherung wird zur Existenzfrage
    APOTHEKE | Medienspiegel & Presse | Versorgungssicherheit braucht Risikointelligenz: Apotheken kämpfen 2025 gegen digitale Gefahren, Marktverdrängung und politische Unentsc...

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ApoRisk® Nachrichten - APOTHEKE:


APOTHEKE | Medienspiegel & Presse |

Apotheken-Nachrichten von heute: Versorgung verlangt Weitsicht, Betriebsführung braucht Risikointelligenz, Absicherung wird zur Existenzfrage

 

Wie Apotheken sich gegen digitale Angriffe, technische Ausfälle und menschliche Fehler wappnen müssen, warum Versicherungsschutz heute Führungsverantwortung bedeutet und welche Policen den Betrieb wirklich schützen

Apotheken stehen 2025 an einem kritischen Wendepunkt zwischen struktureller Unsicherheit, wachsendem Schadendruck und politischer Lähmung – ob durch technische Ausfälle, Cyberangriffe, juristische Rückforderungen oder unterlassene Absicherung, die Risiken materialisieren sich nicht nur auf dem Papier, sondern im realen Versorgungsalltag, weshalb strategisches Risikomanagement, aktives Reklamationshandling, differenzierter Policeneinsatz und betriebswirtschaftlich fundierte Entscheidungen nicht länger Optionen, sondern Pflichtaufgaben jeder Apothekenführung sind, während gleichzeitig neue Marktakteure wie dm ihre Infrastruktur strategisch erweitern, die Politik auf symbolische Signale wie den Besuch von Nina Warken beim Apothekertag setzt, während zentrale Entscheidungen vertagt werden, und wissenschaftlich-medizinisch durch Entwicklungen wie In-vivo-CAR-T oder neue Immuntherapien bei Lungenkrebs zusätzliche Beratungs- und Sicherheitsdimensionen entstehen, die Apotheken in ihrer Versorgungsfunktion fordern und die Notwendigkeit eines strukturell integrierten Zukunftskonzepts unterstreichen, das Absicherung, Kommunikation, Versorgungskompetenz und Marktbeobachtung als einheitliche Führungsdisziplin begreift.

 

Versorgung verlangt Weitsicht, Betriebsführung braucht Risikointelligenz, Absicherung wird zur Existenzfrage

Wie Apotheken sich gegen digitale Angriffe, technische Ausfälle und menschliche Fehler wappnen müssen, warum Versicherungsschutz heute Führungsverantwortung bedeutet und welche Policen den Betrieb wirklich schützen

Apotheken sind inmitten einer Systemlandschaft positioniert, die täglich komplexer, schneller und riskanter wird. Was früher als gut strukturierter Routinebetrieb galt, ist heute ein hochgradig exponierter Gesundheitspunkt mit multifunktionaler Verantwortung: Arzneimittelabgabe, Medikationsberatung, Impfleistungen, Rezeptverarbeitung, Datenmanagement, Risikokommunikation. Diese Vielfalt bringt nicht nur Chancen, sondern erzeugt eine Matrix betrieblicher Gefährdungen – und verlangt vom Apothekeninhaber mehr denn je strategisches Risikobewusstsein. Dabei ist die zentrale Frage nicht mehr, ob etwas schiefgehen kann, sondern wann – und wie der Betrieb darauf vorbereitet ist. Versicherungen sind in diesem Kontext keine sekundären Kostenfaktoren, sondern primäre Instrumente des betriebswirtschaftlichen Überlebens.

Jede Apotheke vereint unterschiedliche Risikodimensionen in einem sensiblen Mikrokosmos: hohe Warenwerte, regulatorische Kontrolle, menschliche Fehlbarkeit, technische Abhängigkeit, Cyberanfälligkeit. Während Standard-Policen oft nur oberflächlichen Schutz bieten, verlangen moderne Apotheken ein Versicherungskonzept, das Risiken differenziert, kombiniert und in Echtzeit auf neue Bedrohungen reagieren kann. Wer nur auf klassische Haftpflicht oder Betriebsunterbrechung setzt, läuft Gefahr, sich selbst in trügerischer Sicherheit zu wiegen. Der tatsächliche Schutz beginnt erst dort, wo branchenspezifische Risiken vollständig erkannt, bewertet und vertraglich berücksichtigt werden – online wie offline.

Online-Risiken treffen Apotheken an ihrer empfindlichsten Stelle: der digitalen Infrastruktur. eRezept, Warenwirtschaft, Kundenkommunikation, Schnittstellen zu Kassenärztlicher Vereinigung oder Großhandel – all das läuft heute softwaregestützt. Hackerangriffe, Systemabstürze, Datenverluste oder Erpressungstrojaner können in kürzester Zeit nicht nur den Betrieb lähmen, sondern auch den Ruf zerstören und empfindliche Bußgelder nach sich ziehen. Die Deckung über Cyberversicherungen muss dabei mehr sein als ein Modul im Kleingedruckten: Sie muss konkret auf Apotheken zugeschnitten sein, Haftpflicht und Eigenschaden kombinieren, Datenschutzverletzungen und Forensikmaßnahmen abdecken und bei Betriebsstillstand sofort Liquidität sichern. Denn ein Angriff auf das Warenwirtschaftssystem ist heute keine seltene Ausnahme mehr, sondern realistisches Tagesrisiko.

Offline-Risiken hingegen wirken oft unscheinbarer – und sind gerade deshalb gefährlicher. Wer kontrolliert täglich die Kühltemperatur für Insuline, Impfstoffe oder Fertigarzneimittel? Wer dokumentiert lückenlos die Verfügbarkeit von Strom oder prüft Notstromversorgungen? Ein einziger Stromausfall oder ein technisches Versagen bei Kühlsystemen kann Medikamente im Wert von zehntausenden Euro unbrauchbar machen – und ohne korrekt eingestellte Versicherung bleibt der Betrieb auf dem Schaden sitzen. Allgefahrenversicherungen, die nicht nur definierte Einzelereignisse, sondern jede unerwartete Schädigung abdecken, sind hier unverzichtbar. Entscheidend ist dabei, dass auch Bedienfehler und menschliche Versäumnisse – etwa eine offen gebliebene Kühlschranktür – nicht automatisch vom Schutz ausgenommen werden.

Ein dritter, oft unterschätzter Risikofaktor ist das Personal selbst. Fehlerhafte Arzneimittelabgaben, falsche Beratung zu Kontrazeptiva, Unachtsamkeit bei Rezeptprüfung – das kann nicht nur zu zivilrechtlichen Forderungen führen, sondern im schlimmsten Fall zur strafrechtlichen Verfolgung. Hinzu kommen interne Vertrauensdelikte wie Unterschlagung, Sabotage oder IT-Manipulation. Vertrauensschadenversicherungen bilden dafür eine kritische Absicherungsschicht, die auch Risiken aus dem unmittelbaren Arbeitsumfeld auffangen kann. Denn die Annahme, dass alle im Team verantwortungsvoll handeln, ersetzt keine haftungsfähige Vorsorge.

Auch strukturelle Risiken, etwa durch behördliche Maßnahmen oder regulatorische Stilllegungen, verlangen Absicherung auf Augenhöhe. Besonders relevant ist die sogenannte Pharmazieratsklausel: Sie regelt, dass nicht ein Gutachter der Versicherung entscheidet, wann der Betrieb wieder aufgenommen werden darf, sondern die zuständige Apothekenaufsicht. Fehlt diese Klausel, kann der Versicherer die Leistung einstellen, obwohl die Behörde den Betrieb noch gesperrt hält – mit fatalen Folgen für Liquidität und Fortbestand.

Eine weitere Unbekannte im Risikokalkül: Zeitverzögerung. Schäden aus Beratungsfehlern oder Fehlabgaben zeigen sich oft erst Jahre später. Ohne Nachhaftungsklausel in der Berufshaftpflicht bleiben solche Spätschäden unversichert – besonders bei Betriebsaufgabe oder Vertragswechsel. Wer hier keine Vorsorge trifft, riskiert eine Haftung mit dem Privatvermögen.

Besondere Aufmerksamkeit verdient auch der Bereich Retaxation. Nicht medizinische Fehler, sondern banale Formfehler – etwa ein falsch gedrucktes Rezeptdatum oder ein fehlendes Kreuz – führen zur Rückforderung durch die Krankenkassen. In Kombination mit Rezeptverlusten entstehen Vermögensschäden, die nicht selten existenzielle Dimensionen annehmen. Versicherungsbausteine zur Retaxabsicherung gehören daher zu den Pflichtkomponenten eines modernen Apothekenportfolios – insbesondere, wenn große Rezeptmengen verarbeitet werden und der Betrieb als Filialverbund agiert.

Pandemierisiken, wie sie in COVID-19 deutlich wurden, haben zudem gezeigt, wie schnell behördliche Schließungen oder Quarantänemaßnahmen den Betrieb lähmen. Eine dynamisch gestaltete Betriebsschließungsversicherung, die auch neu auftretende Erreger berücksichtigt, ist heute Pflicht – vor allem für Betriebe mit persönlicher Kundenfrequenz und starkem Beratungsanteil.

Zusammengefasst ist es nicht mehr zeitgemäß, Apothekenbetrieb und Versicherungslogik getrennt zu betrachten. Vielmehr muss sich die Führungsstrategie der Apotheke an einer Risikokarte orientieren, in der alle Gefährdungspotenziale identifiziert, priorisiert und versicherungstechnisch adressiert werden. Dabei darf es keine Abhängigkeit von Standardlösungen geben – erforderlich sind individuell konfigurierte Policen, die nicht nur auf betriebliche Größe, sondern auch auf Leistungsprofil, Techniknutzung, Kundenstruktur und Personalverantwortung abgestimmt sind. Absicherung ist damit nicht länger ein verwalteter Randbereich – sie ist Ausdruck unternehmerischer Reife und das Fundament betrieblicher Zukunftssicherheit.

 

dm formiert Marktstrategie, ABDA vertagt Führungsentscheidungen, Politik bleibt unentschieden

Warum der Versandhandel wieder zur Kulisse wird, welche Kräfte sich neu sortieren und was Apotheken jetzt strategisch ausrichten müssen

Die Forderung nach einem Versandhandelsverbot ist schnell auf dem Tisch, doch die tatsächliche Bereitschaft zur politischen und strukturellen Auseinandersetzung mit der Apothekenzukunft zeigt sich in einer anderen Zeitzone. Während ABDA-Präsident Thomas Preis weiterhin auf bewährte Narrative setzt und öffentlichkeitswirksam Positionen bezieht, fehlt es hinter den Kulissen an konkreter Bewegung. Die ABDA-Strukturen wirken gelähmt, Kampagnenpläne bleiben vage, und entscheidungsrelevante Gremien verschieben zentrale Weichenstellungen auf die Zeit nach der Sommerpause. Gleichzeitig meldet sich mit dm ein neuer Akteur auf dem Markt, dessen jüngste Investitionen in pharmazeutische Infrastruktur und digitale Services nicht als symbolische Annäherung, sondern als reale Marktpositionierung zu verstehen sind. Der Drogeriekonzern nutzt den durch die politische Stagnation entstehenden Raum konsequent und bereitet sich strukturell auf einen erweiterten Zugang zum Apothekenmarkt vor – sei es durch künftige Gesetzeslücken, Modellvorhaben oder Kooperationsoptionen mit telemedizinischen Plattformen.

Für Apothekenleiter bedeutet diese Gemengelage vor allem eines: Handlungsbedarf. Die Diskussion um das Versandhandelsverbot ist längst zu einem rhetorischen Platzhalter verkommen, der reale Machtverhältnisse verdeckt. Wer strategisch führen will, muss sich nicht auf das politische Warten, sondern auf betriebliche Weitsicht stützen. Dazu gehört, digitale Schnittstellen zur Kundenbindung zu stärken, pharmazeutische Dienstleistungen nicht nur formal, sondern marktwirksam zu etablieren und Kooperationen zu hinterfragen, die langfristig strukturelle Abhängigkeiten fördern. Die Relevanz der Präsenzapotheke wird sich nicht über Deklarationen erhalten lassen, sondern nur durch konsequent weiterentwickelte Versorgungsangebote, zielgerichtete Öffentlichkeitsarbeit und interne Führung, die mehr ist als Krisenbewältigung.

Die politische Ebene befindet sich derweil in einer Phase der Neusortierung. Neue Abgeordnete, unklare Zuständigkeiten im BMG, wenig handlungsstarke Impulse aus den Fachausschüssen – das Zeitfenster für Einflussnahme ist offen, aber es verlangt Initiative. Wer hier nicht handelt, wird gestaltet. Gerade die ABDA müsste jetzt strategische Kampagnen aufsetzen, kommunikative Räume besetzen und Budgetentscheidungen treffen, die Wirkung entfalten. Doch stattdessen bleibt vieles in Vorbereitungsrunden stecken, personelle Dynamik wird verschleppt und der Fokus auf das Versandverbot als Leitmotiv der Argumentation unterschätzt die tatsächliche Komplexität der Marktveränderung.

Auch innerhalb der Apothekerschaft ist der Wandel spürbar, jedoch uneinheitlich: Zwischen Versammlungen und Resolutionen, betrieblicher Erschöpfung und digitaler Neugier entwickelt sich eine Gemengelage, die sowohl neue Allianzen als auch disruptive Brüche möglich macht. Während einige Kammern und Verbände auf politische Zuverlässigkeit setzen, setzen andere gezielt auf Regionalinitiativen, Patientenansprache und wirtschaftliche Resilienz. Die Transformation der Branche wird nicht mehr nur durch Gesetze, sondern durch strategische Führungsentscheide im Betrieb geprägt – vom Investitionsverhalten über Fortbildungsstrategien bis zur Positionierung im öffentlichen Raum.

Für Apothekenbetreiber ergibt sich damit eine klare Agenda: Es genügt nicht mehr, sich auf Standesorganisationen zu verlassen oder auf Bundesratsmehrheiten zu hoffen. Die neue Realität erfordert unternehmerisches Handeln mit systemischer Perspektive. Wer den Sommer nutzt, um digitale Prozesse zu professionalisieren, Standortprofile zu schärfen und präventiv auf neue Marktakteure zu reagieren, wird nicht nur bestehen, sondern im Transformationsprozess eigene Spielräume gewinnen. Die Alternative wäre, sich in der symbolischen Abwehrschlacht um den Versandhandel zu verlieren – während andere längst Strukturen für den Zugriff auf die nächste Versorgungsgeneration schaffen.

 

Reklamationen aktiv steuern, Rezeptbetrug früh erkennen, Policen gezielt einsetzen

Wie Apotheken mit Mounjaro-Fällen souverän umgehen, Fälschungen systematisch abwehren und Versicherungsschutz strategisch führen

Die Geschichte beginnt mit einem Defekt, entwickelt sich zur Geduldsprobe und endet in einer betriebswirtschaftlichen Lektion. Im September 2024 meldet Dr. Tom Siener, Inhaber der Laurentius-Apotheke in Koblenz, einen fehlerhaften Mounjaro-Kwikpen beim Hersteller Lilly. Die letzte Dosis lässt sich nicht auslösen – ein bekanntes, aber dennoch seltenes Problem bei Injektionspens. Siener handelt sofort, dokumentiert den Fall, kontaktiert Lilly, hakt nach. Doch die Antwort dauert. Wochen vergehen, dann Monate. Erst im Mai 2025, nach über einem halben Jahr, wird der Vorfall anerkannt und die Gutschrift ausgestellt.

In dieser Zeit musste der Patient versorgt werden. Die Apotheke trat in Vorleistung, trug das Risiko, ohne Garantie auf Rückerstattung. Der Schaden mag finanziell begrenzt gewesen sein, doch der strukturelle Schaden ist größer: Vertrauen in Herstellerservice, Reaktionsgeschwindigkeit und Fairness wurden erschüttert. Für Apothekenleitung bedeutet das: Reklamationen dieser Art dürfen kein Nebenprodukt des Alltags sein, sie müssen systematisch geführt, dokumentiert und strategisch gemanagt werden – mit Blick auf Haftung, Liquidität und langfristige Beziehungspflege.

Der Fall zeigt beispielhaft, wie wichtig ein professionelles Reklamationsmanagement geworden ist – gerade bei hochpreisigen Arzneimitteln wie Mounjaro, bei denen Einzelpackungen mehrere Hundert Euro kosten. Diese Medikamente sind kein Standardgut, sondern betriebliche Risikopositionen. Wenn sich der Erstattungsprozess über Monate hinzieht, entstehen nicht nur Liquiditätsengpässe, sondern auch Unsicherheiten gegenüber dem Patienten. Denn dieser erwartet Leistung – nicht Rechtfertigung gegenüber einem verzögerten Herstellerkontakt.

Doch der Fall Mounjaro ist kein Einzelfall mehr. In vielen Apotheken berichten Teams von ähnlichen Erlebnissen: Verzögerte Gutschriften, Kommunikationsprobleme, fehlende Ansprechpartner. Herstellerseitig liegt die Erklärung oft in internen Prüfroutinen, Qualitätssicherung, Risikomanagement. Doch was aus Industriesicht als gerechtfertigte Vorsicht gilt, wird aus Apothekensicht zur operativen Belastung – besonders dann, wenn keine strukturierte Unterstützung erfolgt.

Zusätzlich zur Reklamationsproblematik rückt ein noch gravierenderes Thema in den Fokus: die zunehmende Zahl professionell gefälschter Mounjaro-Rezepte. Besonders in Nordrhein-Westfalen und Bayern registrierten Landesbehörden 2024 einen drastischen Anstieg an Fälschungen – häufig täuschend echt, mit realistisch wirkenden Praxisstempeln, gefälschten Chargennummern und QR-Codes. Die Täter gehen mit technischer Raffinesse vor, nutzen Druckereien, Photoshop, Bot-Systeme und beschaffen sich oft echte Musterrezepte aus früheren Arztpraxen.

Apotheken stehen hier in einer systemischen Zwickmühle: Einerseits wollen sie chronisch kranken Menschen helfen, andererseits tragen sie das volle Risiko, wenn sich die Verordnung später als Fälschung entpuppt. Der wirtschaftliche Schaden geht dann schnell in die Tausende – inklusive Retaxation, Eigenhaftung, Reputationsverlust und im schlimmsten Fall strafrechtlicher Ermittlungen. In vielen Fällen steht die Apothekenleitung vor der Frage: Wie viel Prüfung ist zumutbar? Und wann beginnt die Pflicht zur Verweigerung?

Hier beginnt die entscheidende Führungsaufgabe: Ein Apothekenbetrieb kann sich gegen diese Form von Kriminalität nur dann absichern, wenn er technisch und organisatorisch vorausschauend arbeitet. Dazu gehören standardisierte Prüfprozesse bei Hochrisikopräparaten wie Mounjaro, interne Schulungen zur Fälschungserkennung, ein klares Eskalationssystem bei Verdachtsmomenten und der Aufbau eines strukturierten Rezeptarchivs. Denn ohne schriftliche Belege, Screenshots und Kommunikationsverläufe bleibt auch die beste Rechtsschutzversicherung machtlos.

Apropos Versicherung: Der Schutz gegen Rezeptfälschungen ist ein immer noch unterschätzter Baustein im Apotheken-Risikomanagement. Viele Berufshaftpflichtversicherungen decken zwar typische Betriebsfehler ab, aber eben keine Schäden durch manipulierte Rezepte. Spezialpolicen, die genau diesen Bereich absichern, sind bislang selten und teuer – aber im Schadensfall oft existenzsichernd. Insbesondere Kombinationen mit Retax-Versicherungen und Vertrauensschadenpolicen gewinnen an Relevanz, da sie nicht nur materielle Verluste, sondern auch Reputationsfolgen und rechtliche Streitkosten abdecken können.

Wer sich auf Versicherer verlässt, muss sich allerdings auch auf sich selbst verlassen können. Denn Policen greifen nur, wenn alle internen Anforderungen eingehalten wurden: sorgfältige Prüfung, zeitnahe Dokumentation, korrekte Kommunikation. Es reicht nicht, einen Verdacht zu äußern – es muss bewiesen werden, dass alle internen Standards eingehalten wurden. Hier scheitern in der Praxis viele Apotheken: Der Prozess ist oft informell, nicht dokumentiert, nicht geschult – und damit juristisch angreifbar.

Führungsverantwortung heißt daher 2025: Risiken nicht nur erfassen, sondern strategisch beherrschen. Es reicht nicht mehr, im Schadenfall zu reagieren. Apothekenleitungen müssen präventiv handeln, Schulungspläne etablieren, Versicherungen mit Risikoprofilen abgleichen, Prüfstrukturen einführen und alle Maßnahmen revisionssicher protokollieren. Nur so entsteht aus einem formalen Haftungssystem ein echtes Schutzsystem. Denn im Ernstfall zählt nicht, was man meinte, sondern was man beweisen kann.

Die Lektion aus Koblenz ist deutlich: Ein defekter Pen kann eine Prozesskette auslösen, die wirtschaftliche und rechtliche Folgen nach sich zieht. Und ein gefälschtes Rezept kann eine Apotheke binnen Minuten zum Haftungsfall machen. Wer in dieser Situation bestehen will, muss Führung neu denken: nicht als Reaktion, sondern als Systematik. Nicht als Kostenstelle, sondern als Investition in Resilienz.

 

Umsatzsteuerpflicht trotz Pandemielogik, BFH schafft Klarheit, Apotheken müssen prüfen

Warum die Maskenpauschale nicht steuerfrei bleibt, welche Rückwirkungen drohen und wie Betriebsinhaber jetzt reagieren sollten

Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Umsatzsteuerpflicht der Maskenpauschale aus dem Jahr 2021 hat für viele Apotheken erhebliche Relevanz – nicht nur rückwirkend, sondern auch im Hinblick auf künftige staatliche Erstattungsprogramme. Im Zentrum steht die Abgabe von FFP2-Masken an besonders vulnerable Bevölkerungsgruppen im Rahmen der Coronavirus-Schutzmasken-Verordnung (SchutzmV). Die Bundesregierung hatte damals eine flächendeckende Versorgung durch Apotheken organisiert und dafür eine Pauschale von sechs Euro pro Maske vorgesehen – nach Einschätzung des BFH ein steuerpflichtiges Entgelt und kein echter Zuschuss im Sinne des Umsatzsteuerrechts. Die Folge: Apotheken mussten für diese Beträge Umsatzsteuer abführen, auch wenn sie im staatlichen Auftrag handelten.

Der BFH hat damit die Sichtweise der Finanzverwaltung gestützt, die von Anfang an davon ausging, dass es sich bei den Pauschalen nicht um unechte Zuschüsse oder Beihilfen zur Sicherstellung der Versorgung handelte, sondern um ein klassisches Leistungsentgelt im umsatzsteuerlichen Sinne. Die Begründung: Die Maskenabgabe erfolgte im wirtschaftlichen Interesse der Empfänger – konkret als Gegenleistung für die vom Staat beauftragte Verteilung. Da eine direkte Zuordnung von Leistung und Gegenleistung bestand, greift keine Steuerbefreiung nach § 4 UStG, weder als Heilbehandlung noch als staatlich begünstigte Maßnahme. Dass die Abgabe eine politische und pandemische Maßnahme darstellte, ändere nichts am rechtlichen Charakter der Zahlung.

Für Apothekenbetreiber bedeutet das vor allem eins: Der Jahresabschluss für 2021 ist auf entsprechende Korrekturbedarfe zu prüfen, falls damals eine Steuerfreiheit unterstellt wurde. Besonders riskant sind Fälle, in denen die Maskenpauschale vollständig als nicht steuerpflichtiger Zuschuss behandelt und in der Buchhaltung ohne Umsatzsteuer verbucht wurde. In diesen Konstellationen drohen nicht nur Steuernachzahlungen, sondern auch Verzugszinsen und – im ungünstigsten Fall – steuerstrafrechtliche Konsequenzen. Dabei gilt es zu beachten, dass der BFH dem Thema keine Bagatellfunktion zumisst: Die Entscheidung betrifft eine relevante Größenordnung von Leistungen mit bundesweitem Volumen.

Gleichzeitig wirft das Urteil grundlegende Fragen für zukünftige Kooperationen zwischen öffentlichen Auftraggebern und Apotheken auf. Wenn auch künftig pandemie- oder krisenbedingte Leistungen stets als umsatzsteuerpflichtige Lieferungen oder Dienstleistungen qualifiziert werden, müssen Apotheken rechtzeitig Rückstellungen bilden und dürfen sich nicht auf eine politische Sonderbehandlung verlassen. Die Erwartung, dass Krisenhilfe steuerlich privilegiert sein müsse, wird durch diese Entscheidung endgültig entkräftet. Stattdessen betont der BFH die strikte Trennung zwischen gesundheitspolitischem Zweck und steuerrechtlichem Leistungsbegriff.

Für Apothekeninhaber ergibt sich daraus die Pflicht zur steuerlichen Selbstprüfung: Welche Unterlagen wurden dem Steuerberater übergeben? Wurde die Maskenpauschale vollständig korrekt versteuert? Gibt es Korrekturbedarf in Buchführung oder Umsatzsteuervoranmeldung? Eine rückwirkende Korrektur ist in vielen Fällen durch Berichtigung nach § 153 AO möglich, sollte aber unbedingt steuerlich begleitet werden. Auch steuerliche Betriebsprüfungen können sich auf diesen Punkt stützen – und werden das nun voraussichtlich tun. Denn das Urteil ist rechtskräftig, die Linie der Finanzämter klar.

Darüber hinaus verlangt das Urteil ein strategisches Umdenken bei künftigen öffentlichen Kooperationsangeboten: Apothekenleitungen sollten jede neue staatliche Maßnahme auf ihren umsatzsteuerlichen Charakter hin prüfen lassen – nicht nur aus Haftungsvermeidung, sondern auch zur Liquiditätsplanung. Wer 2021 aus gutem Willen gehandelt hat, könnte sich nun mit finanziellen Nachforderungen konfrontiert sehen. Die klare Botschaft des BFH: Auch gut gemeinte Versorgung ist steuerbar, wenn Geld fließt und Leistung erfolgt – eine Erkenntnis, die über das Pandemiejahr hinaus nachwirkt und das Verhältnis zwischen Staat und Gesundheitsdienstleistern neu definiert.

 

Warken sendet Signale der Nähe, Preis fordert Kurswechsel, Apotheken erwarten politischen Neustart

Warum der Besuch der neuen Ministerin beim DAT politisches Gewicht hat, wie Thomas Preis den Kurs der Vergangenheit kritisiert und was die Apothekerschaft nun konkret erwartet

Wenn Bundesgesundheitsministerin Nina Warken im September zum Deutschen Apothekertag (DAT) nach Düsseldorf reist, dann tut sie nicht nur einen symbolischen Schritt – sie betritt ein vermintes Gelände. Ihre physische Anwesenheit ist eine Zäsur: Während ihr Vorgänger Karl Lauterbach (SPD) die Apothekerschaft aus dem Videostudio grüßte, will Warken persönlich Flagge zeigen – und das in einem Moment, in dem das Vertrauen der Branche in die Gesundheitspolitik nahezu erschöpft ist. Die Entscheidung, den Eröffnungstag mit einem Grußwort der CDU-Ministerin zu beginnen, signalisiert zumindest Gesprächsbereitschaft – und einen Bruch mit der Distanzhaltung, die den vergangenen Jahren unter Lauterbach vorgeworfen wurde.

ABDA-Präsident Thomas Preis zeigt sich demonstrativ offen und erwartungsvoll: Man freue sich über die Teilnahme der neuen Ministerin, betont er, und knüpft daran eine klare Erwartungshaltung. Warken habe bereits kurz nach ihrer Amtsübernahme einen Dialog über die „dringenden Anliegen“ der Apotheken gesucht – ein Punkt, der in der Ära Lauterbach so nicht möglich gewesen sei, so Preis. Das vergangene Regierungsdrittel beschreibt der ABDA-Präsident nüchtern als „die schlimmsten drei Jahre“ für Apotheken: Schließungsrekorde, wirtschaftliche Erosion, strukturelle Auszehrung. Dass Apotheken als einzige Akteure im Gesundheitswesen weiterhin einem Zwangsrabatt unterliegen, gilt innerhalb der Berufsgruppe als systematische Benachteiligung – und aus Sicht der ABDA auch als politisch motivierter Fehlgriff mit realwirtschaftlichen Folgen.

Vor diesem Hintergrund bekommt die Teilnahme Warkens eine strategische Bedeutung. Es geht nicht um ein Pflichtprogramm, sondern um ein politisches Signal. Die Ministerin wolle – so Preis – künftig das fachliche Know-how der Verbände stärker nutzen. Die Apothekerschaft wiederum sei bereit, sich in Entscheidungen „aktiv einzubringen“. Der Deutsche Apothekertag wird damit zur Bühne für mehr als nur Resolutionen: Er wird zum Testfall für die Glaubwürdigkeit einer neuen gesundheitspolitischen Linie. Denn ob aus einem wohlklingenden Grußwort auch tatsächliche Kurskorrekturen folgen, wird maßgeblich davon abhängen, wie konkret die Ministerin auf zentrale Forderungen reagiert: die Abschaffung des Apothekenabschlags, die nachhaltige Sicherung des Arzneimittelversorgungsnetzes und die strategische Einbindung der Apotheken in präventive und koordinierende Gesundheitsstrukturen.

Indem Warken den Dialog mit der Berufsgruppe sucht, stellt sie sich bewusst in einen Kontrast zum Kommunikationsstil ihres Vorgängers – eine Chance, aber auch eine Verpflichtung. Denn die Apothekerschaft ist nicht länger bereit, mit wohlklingenden Appellen abgespeist zu werden. Die Einladung zum DAT mag höflich formuliert sein – ihr Echo wird deutlich hörbarer ausfallen, wenn es der neuen Ministerin nicht gelingt, Vertrauen durch verlässliches Handeln zu gewinnen.

 

Ministerin setzt Präsenzzeichen, Preis erwartet politische Wende, Apotheken pochen auf Mitsprache

Warum Nina Warkens Auftritt beim Deutschen Apothekertag neue Erwartungen weckt, wie die ABDA die Ära Lauterbach bilanziert und welche Forderungen nun im Raum stehen

Der Deutsche Apothekertag 2025 bekommt eine neue politische Tonlage: Wenn Bundesgesundheitsministerin Nina Warken im September nach Düsseldorf reist, um das wichtigste Treffen der Apothekerschaft persönlich zu eröffnen, setzt sie damit ein klares Signal – nicht nur der Höflichkeit, sondern gezielter Gesprächsbereitschaft. Während Karl Lauterbach den Apothekertag zuletzt nur per Videoschalte bediente, wird Warkens physische Präsenz von der ABDA als Zeichen echter Beteiligung gewertet.

ABDA-Präsident Thomas Preis knüpft daran eine strategisch formulierte Hoffnung: Der Dialog mit der Politik müsse nicht nur stattfinden, sondern zur Grundlage konkreter Entscheidungen werden – und zwar zugunsten eines Versorgungssystems, das über Jahre unter Druck geraten ist. „Wir freuen uns sehr über das persönliche Grußwort der Ministerin“, erklärt Preis, „und sehen darin ein wichtiges Zeichen für den Beginn eines neuen Dialogs.“ Dass Warken bereits kurz nach Amtsantritt Kontakt zur Standesvertretung aufgenommen habe, wertet er als positives Signal – zumal es an Gesprächsbereitschaft in der Vergangenheit deutlich gefehlt habe.

In seinem Rückblick auf die Regierungsjahre unter Lauterbach findet Preis klare Worte: Für die Apotheken seien es „die schlimmsten drei Jahre“ gewesen. Der Apothekenabschlag, der nur diese eine Berufsgruppe betraf, sei nicht nur ökonomisch belastend gewesen, sondern symbolisch entwürdigend – ein Alleingang ohne sachliche Grundlage, der zur Schließungswelle maßgeblich beigetragen habe. Damit steht Warken vor einer doppelten Aufgabe: Sie muss Vertrauen aufbauen, das über Jahre verspielt wurde – und sie muss strukturelle Korrekturen einleiten, die auf Bundesebene längst überfällig sind.

Dass die Ministerin das Know-how der Verbände künftig stärker einbinden will, gilt in der ABDA-Spitze als richtiger Ansatz. Die Apothekerschaft signalisiert ihrerseits Bereitschaft zur aktiven Mitgestaltung, sei es in Fragen der Versorgungssicherheit, der digitalen Integration oder der finanziellen Gleichbehandlung. Doch es bleibt bei aller Dialogfreude eine klare Erwartung: Dass es nicht bei einem symbolischen Auftritt bleibt.

Der Apothekertag wird damit zum Prüfstein einer neuen Politikgeneration im Gesundheitsministerium. Apotheken wollen nicht mehr beschwichtigt, sondern eingebunden werden. Der nächste Schritt liegt bei Warken – die Bühne steht, der Handlungsdruck ebenso.

 

Reform braucht Koordination, Versorgung braucht Vor-Ort-Apotheken, Politik braucht Verantwortung

Warum Bayerns Ministerin Gerlach einen Apotheken-Gipfel fordert, flächendeckende Versorgung verteidigt und dem Koalitionsvertrag Nachdruck verleiht

Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach hat zum diesjährigen Tag der Apotheke ein deutliches Signal nach Berlin gesendet: Die wohnortnahe Arzneimittelversorgung stehe auf dem Spiel – und mit ihr das gesamte Fundament der öffentlichen Apothekenstruktur in Deutschland. Ihre Forderung nach einem bundesweiten Apotheken-Gipfel ist mehr als ein politisches Statement. Es ist ein Weckruf an die föderale Gesundheitspolitik, endlich ressortübergreifend zu handeln, statt das Apothekenwesen weiter durch halbherzige Reformen und kontraproduktive Maßnahmen zu belasten. Gerlach bringt mit ihrer Initiative nicht nur Apothekenvertreter, Großhandel und Krankenkassen ins Gespräch, sondern auch die Frage nach der Daseinsvorsorge zurück ins Zentrum des gesundheitspolitischen Diskurses.

Die Ministerin betont, dass die Maßnahmen der ehemaligen Bundesregierung in die falsche Richtung gewiesen hätten – insbesondere der Versuch, sogenannte „Apotheke-light“-Modelle zu forcieren. Abgabestellen ohne Apothekerinnen oder Apotheker vor Ort seien für Gerlach keine Alternative, sondern eine Gefahr: für die Beratungsqualität, für die Therapiesicherheit und letztlich für die Gesundheit der Menschen – in ländlichen Regionen ebenso wie in urbanen Versorgungsräumen. Die CSU-Politikerin stellt klar: Arzneimittelsicherheit beginnt mit pharmazeutischer Präsenz – und die gibt es nur in der öffentlichen Vor-Ort-Apotheke.

Dass Bayerns Regierung hier proaktiv agiert, zeigt sich nicht nur in der Forderung nach einem Apotheken-Gipfel, sondern auch in konkreten Dialogformaten mit der Bayerischen Landesapothekerkammer und dem Bayerischen Apothekerverband. Der personelle Nachwuchs, die Honorierungssystematik, die strukturelle Stabilität des Apothekennetzes – all diese Themen sollen laut Gerlach nicht auf später verschoben, sondern jetzt geregelt werden. Besonders drängt sie auf eine rasche Umsetzung der entsprechenden Passagen im Koalitionsvertrag: eine auskömmliche Vergütung, die die gestiegenen Betriebskosten berücksichtigt, sowie eine politische Rückendeckung für Apotheken als erste Anlaufstelle im Gesundheitssystem.

Gerlachs Initiative ist vor diesem Hintergrund auch als strategisches Gegenmodell zur aktuellen Bundespolitik zu lesen, die trotz vollmundiger Ankündigungen zu wenig konkrete Fortschritte erzielt hat. Mit dem Begriff „staatliche Daseinsvorsorge“ verleiht Gerlach den Apotheken eine verfassungsähnliche Legitimation und macht klar, dass wirtschaftliche Schwächung, Filialsterben oder Personalengpässe nicht länger als betriebliche Nebensächlichkeiten abgetan werden dürfen. Vielmehr handelt es sich um systemische Störungen mit gesundheitspolitischem Gefahrenpotenzial – ein Befund, den viele Apothekenleitungen seit Jahren teilen, aber selten auf Bundesebene Gehör finden.

Der Apotheken-Gipfel, den Gerlach fordert, soll daher nicht nur ein Gesprächskreis sein, sondern ein strategisches Steuerungsinstrument. Dass sie auch den pharmazeutischen Großhandel und die Krankenkassen explizit miteinbezieht, zeigt: Die Versorgungssicherheit ist kein Monopol der Apotheken, sondern ein Systeminteresse – und die Verantwortung für seine Zukunft kann nicht auf Einzelakteure abgewälzt werden. Gerlach zielt auf ein ressortübergreifendes Bekenntnis zur Stärkung des bewährten Apothekenmodells – in wirtschaftlicher, rechtlicher und politischer Hinsicht.

Dass Bayern dabei vorangeht, ist kein Zufall. Bereits in früheren Legislaturperioden setzte der Freistaat auf eine kooperative Apothekenpolitik mit regionalem Bezug. Mit Gerlach erhält diese Linie nun eine bundespolitisch orientierte Schlagkraft. Die Botschaft ist klar: Wer Versorgung sichern will, muss sie ermöglichen – und wer Apotheken fordert, muss sie führen lassen. Die Debatte um Honorierung, Nachwuchs und Strukturfragen ist damit eröffnet – und Gerlachs Gipfelforderung könnte zum Testfall für die politische Ernsthaftigkeit des Gesundheitsstandorts Deutschland werden.

 

Transplantation rettet Leben, Spenden fehlen, Gesetzgebung blockiert Fortschritt

Wie ein Spenderherz Franziska Bleis das Leben rettete, warum Tausende auf Organe warten und was die Widerspruchsregelung in Deutschland verändern könnte

Franziska Bleis lebt. Ihr Herz, das sie heute in der Brust trägt, schlug einst in einem anderen Menschen – einem Fremden, dessen Entscheidung zur Organspende ihre Existenz verlängert hat. Die 42-Jährige wurde 2019 durch eine fulminante Myokarditis aus ihrem Alltag gerissen, kämpfte mit dem Tod, wurde zweimal von ihrem Mann reanimiert, einmal über 30 Minuten. 2022 erhielt sie am Deutschen Herzzentrum der Charité (DHZC) ein Spenderorgan. Dass sie nun wieder arbeiten, lachen und leben kann, ist nicht selbstverständlich – und genau darin liegt das Problem der deutschen Organspendepolitik: Was für Bleis möglich war, bleibt für Tausende eine Hoffnung ohne Realität.

Zum Tag der Organspende am 7. Juni erinnern Ärzte, Patienten und Institutionen an eine Zahl, die seit Jahren in Deutschland auf schmerzhafte Weise konstant bleibt: Mehr als 8.000 Menschen stehen auf den Wartelisten. Manche warten vergebens, manche sterben, ohne je eine Chance bekommen zu haben. Und trotz breiter Aufklärung und symbolträchtiger Aktionen liegt die Zahl der tatsächlich realisierten Spenden weit hinter dem Bedarf zurück. 426 postmortale Spender wurden bis Ende Mai dieses Jahres gezählt, 953 waren es im gesamten Vorjahr – bei 2.855 gespendeten Organen. Zahlen, die der medizinischen Leistungsfähigkeit des Landes spotteten, wären sie nicht zugleich Ausdruck eines strukturellen Defizits: fehlende gesetzliche Klarheit, kulturelle Zurückhaltung, politische Lähmung.

Dr. Felix Schönrath, Oberarzt für Herzinsuffizienz und Transplantationen am DHZC, nennt es unverblümt: „Es gibt immer mehr Patientinnen und Patienten, die gar nicht mehr auf die Warteliste aufgenommen werden, weil die Wahrscheinlichkeit einer Transplantation so gering ist.“ Ende Mai 2025 standen laut Eurotransplant exakt 8.081 Menschen auf dieser Liste – eine Zahl, die sich über Jahre hinweg kaum verändert, obwohl die medizinischen Möglichkeiten gewachsen sind.

Ein zentrales Hindernis liegt im deutschen Zustimmungsmodell: Organe dürfen nur entnommen werden, wenn die verstorbene Person zu Lebzeiten zugestimmt hat – oder Angehörige im Sterbefall ausdrücklich einwilligen. Es gilt das Prinzip der aktiven Zustimmung. In vielen anderen europäischen Ländern hingegen ist die sogenannte Widerspruchsregelung etabliert: Wer nicht zu Lebzeiten widerspricht, gilt im Todesfall als potenzieller Spender. In Spanien, Frankreich oder Österreich sind dadurch die Spendezahlen signifikant höher. Auch Prof. Dr. Volkmar Falk, ärztlicher Direktor des DHZC, fordert daher eine Kehrtwende: „Wir wollen die Widerspruchsregelung, weil die internationale Evidenz eindeutig zeigt, dass sie zu deutlich mehr Transplantationen führt.“

Aktuell sind laut Deutscher Stiftung Organtransplantation (DSO) lediglich rund 319.200 Menschen im Organspenderegister erfasst – das entspricht weniger als 0,4 Prozent derjenigen, die theoretisch infrage kämen. Die Zurückhaltung resultiert nicht nur aus Unwissen oder Ablehnung, sondern oft aus der Angst, sich mit der eigenen Sterblichkeit zu konfrontieren. Doch wer wie Franziska Bleis die Unmittelbarkeit des Lebensendes erlebt hat, findet dafür klare Worte: „Es kann jeden treffen. Jeder kann morgen ein Spenderorgan brauchen.“ Für sie ist die Spende ein „Akt der Nächstenliebe“ – und zugleich eine gesellschaftliche Verpflichtung.

Fachleute fordern über die gesetzliche Neuausrichtung hinaus auch medizinische Modernisierung: Während in Deutschland bislang nur Organspenden nach eindeutig festgestelltem Hirntod erlaubt sind, öffnen andere Länder längst die Möglichkeit zur Entnahme nach Herz-Kreislauf-Stillstand. In der Schweiz etwa führte diese Praxis zu einer Verdopplung der Spenderzahlen. Warum Deutschland weiterhin an einem extrem engen medizinischen Kriterium festhält, bleibt erklärungsbedürftig – insbesondere, da technische Verfahren zur exakten Diagnostik inzwischen zur Verfügung stehen.

Zugleich mahnen Ärzte zur aktiveren politischen Rahmensetzung: Die Organspende dürfe nicht länger als rein private Entscheidung behandelt werden. Sie ist Teil der öffentlichen Gesundheitsverantwortung. Wer Organspenden fördern will, muss entsprechende rechtliche Strukturen schaffen, Aufklärungsinstrumente institutionalisieren und Angehörige im Ernstfall medizinisch und psychologisch professionell begleiten.

Ein zukunftsfähiges Modell der Organspende müsste daher mindestens drei Elemente beinhalten: die Einführung der Widerspruchslösung, die medizinische Zulassung von Spenden nach Herz-Kreislauf-Tod sowie ein deutlich breiter angelegtes Spendenregister mit aktiver Informationspflicht. Franziska Bleis hat das Glück gehabt. Doch wie viele müssen noch auf dieses Glück verzichten, bevor sich etwas ändert?

 

Schmerzfreiheit darf kein Selbstversuch sein, Dauertherapie braucht Kontrolle, Aufklärung beginnt im Alltag

Warum rezeptfreie Schmerzmittel nicht verharmlost werden dürfen, wie falsche Selbstmedikation Risiken verschärft und weshalb Gesundheitsbildung jetzt entscheidend ist

Fast jeder fünfte Mensch in Deutschland lebt mit täglichen oder nahezu täglichen körperlichen Schmerzen – eine Zahl, die nicht nur betroffen macht, sondern auch einen gefährlichen Umgang mit frei verkäuflichen Schmerzmitteln offenlegt. Eine aktuelle Forsa-Umfrage im Auftrag der HKK Krankenkasse beleuchtet zum Aktionstag gegen den Schmerz, wie verbreitet die Selbstmedikation in der Bevölkerung ist – und wie leichtsinnig sie vielfach erfolgt. Besonders Frauen sowie Menschen zwischen 30 und 59 Jahren greifen zur Tablette, ohne den ärztlichen Blick zu suchen. Schmerzfreiheit wird zur privaten Angelegenheit, Risiko inklusive.

Zwei Drittel der Betroffenen nehmen rezeptfreie Schmerzmittel ein – vor allem wegen Kopf- und Migräneschmerzen, gefolgt von Muskel-, Gelenk- und Rückenschmerzen. Auch Menstruationsbeschwerden sind häufige Auslöser. Die eigentliche Gefahr liegt jedoch nicht im Medikament selbst, sondern in der oft fehlenden Orientierung bei der Anwendung. Zwar wissen zwei Drittel, dass solche Präparate nicht länger als vier Tage in Folge ohne ärztliche Rücksprache eingenommen werden sollen – dennoch überschreitet ein Drittel diese Grenze regelmäßig. Damit wird das, was kurzfristig helfen soll, unbemerkt zur Dauerlösung mit potenziell gravierenden Nebenwirkungen. Besonders kritisch sind Nieren- und Magenschäden, Abhängigkeitseffekte und die Kombination mit Alkohol – eine fatale Mischung, die etwa beim vermeintlich harmlosen Griff zu Paracetamol gegen den Kater sogar lebensgefährlich werden kann.

Was die Zahlen zusätzlich alarmierend macht, ist die Entscheidungsbasis: 66 Prozent der Befragten orientieren sich bei Dosierung und Einnahmedauer an eigener Erfahrung oder Schmerzintensität, nur 19 Prozent lesen die Packungsbeilage. Die ärztliche Perspektive bleibt außen vor – auch, weil Eigenverantwortung mit Kontrolle verwechselt wird. „Schmerzmittel dürfen kein Ersatz für ärztliche Abklärung oder nachhaltige Therapie sein“, mahnt Dr. Imke Starp vom Rote Kreuz Krankenhaus Bremen. Besonders bei Spannungskopfschmerzen sei häufig der Lebensstil der Auslöser – etwa durch zu wenig Bewegung, zu viel Bildschirmzeit oder Dehydrierung. Migräne wiederum habe meist genetische Ursachen, lasse sich aber durch Lebensrhythmus und Entspannung positiv beeinflussen.

Doch das eigentliche Problem beginnt viel früher: bei der Normalisierung eines Medikationsverhaltens, das die Grenze zur chronischen Einnahme unterwandert. Die mediale Verfügbarkeit, Onlineverkäufe ohne Beratung und unterschwellige Werbestrategien befördern eine Alltagspraxis, die weder gesundheitskompetent noch risikobewusst ist. Selbstdiagnose, Erfahrungswert und Schmerzverdrängung ersetzen ärztliche Begleitung – in einem Bereich, der enorme Auswirkungen auf Organfunktionen und Langzeitgesundheit haben kann. So entsteht eine stille Medikamentenkultur, die unauffällig bleibt, weil sie gesellschaftlich akzeptiert ist – und gerade deshalb gefährlich wird.

Diese gesellschaftliche Normalisierung zeigt sich auch in der strukturellen Verschiebung von Verantwortung: Schmerz ist kein klar definierter medizinischer Zustand, sondern zunehmend ein individuelles Managementthema geworden. Die Entgrenzung zwischen gelegentlicher Selbsthilfe und riskanter Routine wird dabei nicht nur durch mediale Einflussfaktoren befördert, sondern auch durch eine mangelhafte gesundheitliche Infrastruktur – etwa durch die begrenzte Verfügbarkeit ärztlicher Schmerztherapie, Wartezeiten auf Facharzttermine oder einen Mangel an niedrigschwelliger Beratung. In dieser Lücke gedeiht eine Selbstbehandlungslogik, die auf Erfahrungswissen und Trial-and-Error basiert – mit hohem Risiko für Überdosierungen, Fehlinterpretationen und Interaktionen.

Die psychosoziale Dimension wird häufig unterschätzt: Wer täglich Schmerzen hat, verliert mitunter nicht nur körperliche Lebensqualität, sondern auch Vertrauen in die Systemlogik von Hilfe, Diagnostik und Versorgung. Der Schmerz wird zum Alltag, die Tablette zur Strategie, der Arztbesuch zur Ausnahme. Die Gesundheitskompetenz bleibt dabei selektiv: Während manche Risiken wie Magenprobleme präsent sind, geraten andere wie Niereninsuffizienz, Magengeschwüre oder die Gefahr einer Medikamentenabhängigkeit in den Hintergrund – oft mit der trügerischen Gewissheit, dass „rezeptfrei“ auch „harmlos“ bedeute. Diese Gleichsetzung wird durch Werbung und Produktgestaltung bewusst begünstigt.

Besonders gefährlich wird es, wenn verschiedene Wirkstoffe parallel oder unsachgemäß kombiniert werden – etwa Paracetamol mit Alkohol, oder Ibuprofen in zu hoher Dosierung bei unzureichender Flüssigkeitszufuhr. Auch die wiederholte Einnahme über Tage oder Wochen hinweg, ohne medizinische Kontrolle, kann zu kumulativen Organschäden führen. Das Bewusstsein hierfür ist noch immer lückenhaft: Viele Menschen verlassen sich auf Erfahrungswerte, denen medizinische oder pharmakologische Kenntnisse fehlen – ein gefährlicher Mechanismus, den auch Onlineplattformen und Medikamentenbewertungen in sozialen Medien verstärken.

Was fehlt, ist eine systematische Einbettung von Schmerzprävention in den Bildungsalltag: Gesundheitsbildung in Schulen, Betrieben und sozialen Räumen könnte helfen, das Verständnis für Schmerzursachen zu vertiefen, Alternativen zur Tablette aufzuzeigen und frühe Eskalationsmuster zu erkennen. Denn wer früh versteht, warum Schmerzen entstehen – sei es durch Lebensstil, Fehlhaltung, Überlastung oder psychische Belastung – hat bessere Chancen, frühzeitig gegenzusteuern, ohne pharmakologisch nachzuhelfen. Schmerzfreiheit ist ein berechtigtes Ziel – aber sie muss professionell begleitet, nicht durch Selbstversuche improvisiert werden.

Die HKK fordert, Gesundheitskompetenz strukturell zu fördern – und zwar nicht nur durch Informationskampagnen, sondern durch curricular verankerte Bildung, digitale Gesundheitsbegleiter, niederschwellige Beratungsangebote in Apotheken und eine stärkere Verzahnung zwischen Prävention, Früherkennung und individueller Therapie. Schmerz ist kein rein medizinisches Symptom, sondern ein biopsychosoziales Geschehen – und genau so muss es auch gesellschaftlich adressiert werden. Der Aktionstag gegen den Schmerz ist eine Mahnung: Wer Aufklärung will, muss dort ansetzen, wo Schmerz entsteht – nicht dort, wo er nur geschluckt wird.

 

Zielgerichtete Blockade, verlängertes Überleben, kritische Immunbalance

Wie Serplulimab das Überleben bei ES-SCLC verbessert, die Therapieplanung verändert und immunvermittelte Risiken neue Verantwortung schaffen

Mit der Einführung von Serplulimab als Erstlinientherapie beim extensiv metastasierten kleinzelligen Lungenkarzinom (ES-SCLC) verschiebt sich das therapeutische Koordinatensystem für eine Indikation, die bislang durch begrenzte Überlebenschancen, hohe Progressionsgeschwindigkeit und eingeschränkte therapeutische Optionen gekennzeichnet war. Der vollständig humane IgG4-Antikörper erweitert das Portfolio der PD-1-Inhibitoren und ergänzt die bestehende Kombination aus Carboplatin und Etoposid um eine gezielte immunonkologische Komponente. Im Zentrum steht dabei nicht nur die Verlängerung des Gesamtüberlebens, sondern auch die differenzierte Steuerung des Immunsystems in einer Patientengruppe mit hohem Risiko für rasche Krankheitsprogression.

Die ASTRUM-005-Studie liefert hierzu belastbare Daten: 585 therapienaive Patienten mit ES-SCLC wurden im Verhältnis 2:1 randomisiert und erhielten entweder Serplulimab plus Chemotherapie oder Placebo plus Chemotherapie. Das mediane Gesamtüberleben lag in der Verumgruppe bei 15,4 Monaten und damit signifikant über dem Vergleichswert von 10,9 Monaten. Auch nach einer Nachbeobachtungszeit von über 30 Monaten blieb dieser Überlebensvorteil stabil erhalten, was die robuste Wirksamkeit der Kombination untermauert. In einem Therapiemarkt, in dem Fortschritt bislang meist in Monatsintervallen gemessen wurde, markiert dieser Unterschied eine klinisch relevante Verschiebung – und das mit einem vergleichbaren Nebenwirkungsprofil.

Als PD-1-Antikörper wirkt Serplulimab durch Blockade der Immunbremse PD-1, welche die T-Zell-Aktivität gegen Tumorzellen abschwächt. Tumore des SCLC-Subtyps nutzen häufig diesen Mechanismus zur Immunflucht, indem sie PD-L1 und PD-L2 exprimieren. Die Reaktivierung der Immunantwort durch Serplulimab stellt also eine gezielte therapeutische Gegenmaßnahme dar – mit nachgewiesenem klinischem Nutzen. Die empfohlene Dosis liegt bei 4,5 mg/kg KG alle drei Wochen per intravenöser Infusion, wobei die Gabe stets vor der Chemotherapie erfolgen sollte. Durch eine initial reduzierte Infusionsrate wird das Risiko akuter Reaktionen minimiert; eine Verkürzung auf 30 Minuten ist bei guter Verträglichkeit ab der zweiten Gabe möglich.

Gleichzeitig verschiebt Serplulimab den Fokus der ärztlichen Verantwortung auf die frühzeitige Identifikation und das proaktive Management immunvermittelter Nebenwirkungen. Diese können potenziell jedes Organsystem betreffen – von Haut über Leber bis zu endokrinen Drüsen – und sich mitunter erst Monate nach Therapieende manifestieren. In der klinischen Praxis bedeutet dies eine Notwendigkeit zur engmaschigen Überwachung, fundierten Schulung des Teams und klaren Handlungsplänen bei immuntoxischen Verläufen. Dabei ist der Einsatz von Corticosteroiden zur Therapie dieser Nebenwirkungen ausdrücklich vorgesehen, jedoch nicht zur Prophylaxe vor Therapiebeginn, da dies die Effektivität des PD-1-Inhibitors kompromittieren kann.

Nicht zuletzt führt der Einsatz von Serplulimab auch zu ethischen und reproduktionsmedizinischen Implikationen: Frauen im gebärfähigen Alter müssen während der Therapie und bis zu sechs Monate nach der letzten Dosis eine sichere Kontrazeption gewährleisten. Eine Anwendung in der Schwangerschaft wird nicht empfohlen, während das Stillen unter Abwägung der Risiken kurz nach der Geburt pausiert werden sollte. Solche Vorgaben rücken die Therapieentscheidung in den Kontext langfristiger Lebensplanung und verlangen umfassende Aufklärung.

Insgesamt steht Serplulimab für einen therapeutischen Fortschritt, der die Prognose einer bislang schwer behandelbaren Patientengruppe messbar verbessert. Die Herausforderung besteht nun darin, diesen Fortschritt in der Versorgungsrealität verantwortungsvoll, differenziert und leitliniengerecht zu implementieren – mit einem Fokus auf Immuntoxizität, Patientensicherheit und strukturierte Aufklärung. Die Zulassung bedeutet nicht nur ein zusätzliches Molekül im onkologischen Repertoire, sondern einen Paradigmenwechsel im Umgang mit dem kleinzelligen Lungenkarzinom, der das Zusammenspiel zwischen Onkologie, Immunologie und klinischer Steuerung neu kalibriert.

 

Cathinone breiten sich aus, Nitazene töten schneller, Cannabis wird unberechenbarer

Wie Europas Drogenmarkt entgleist, welche Substanzen Therapien sprengen und warum das Gesundheitssystem zu spät reagiert

Der europäische Drogenmarkt steht vor einer tektonischen Verschiebung, die sich nicht nur in den Mengen beschlagnahmter Substanzen, sondern vor allem in ihrer chemischen Qualität, strukturellen Variabilität und gesundheitlichen Gefährlichkeit widerspiegelt. Mit dem Drogenbericht 2025 der EU-Drogenagentur Euda liegt ein Dokument vor, das weniger Alarmismus als kalte Realität benennt: Europa erlebt eine Phase neuartiger Drogenrisiken, die institutionelle Kapazitäten ebenso überfordern wie therapeutische Systeme. Besonders besorgniserregend ist der massive Anstieg synthetischer Cathinone – stimulierender Substanzen, die in ihrer Wirkung zwischen Amphetaminen und Kokain liegen, jedoch durch ihre chemische Wandelbarkeit selbst für forensische Labore kaum greifbar sind. 37 Tonnen davon wurden 2023 in der EU sichergestellt – eine Verachtfachung gegenüber 2021. Polen ist mit über 50 entdeckten Produktionsstätten Zentrum dieser Entwicklung und zeigt, dass sich die Herstellung längst innerhalb Europas professionalisiert hat.

Parallel dazu gewinnen Nitazene – hochpotente synthetische Opioide – dramatisch an Relevanz. Sie wirken teilweise stärker als Fentanyl, sind aber durch ihre strukturelle Vielfalt schwer zu identifizieren und in ihrer toxikologischen Wirkung kaum kalkulierbar. Die EU verzeichnet seit 2009 ganze 88 neue Substanzvarianten, darunter eine Reihe extrem schnell wirkender Derivate, die besonders in den baltischen Staaten bereits zu mehreren Todesfällen geführt haben. Anders als klassische Opioidwellen breitet sich die Nitazen-Gefahr nicht aus prekären US-Märkten, sondern aus dem europäischen Untergrund. Das Risiko liegt nicht nur in der Substanz selbst, sondern in ihrer Mischung mit anderen Rauschmitteln, was die Dosis kaum kontrollierbar macht und medizinische Notfallreaktionen verzögert.

Gleichzeitig verändert sich das Cannabissegment radikal. Der THC-Gehalt von Haschisch hat sich in zehn Jahren verdoppelt, womit die psychotrope Wirkung heute vergleichbar mit jener einstiger synthetischer Cannabinoide ist – nur, dass sie zunehmend gesellschaftlich verharmlost wird. Halbsynthetische Verbindungen wie Hexahydrocannabinol (HHC) oder THCP gelangen über Süßwaren oder Vapes in den Umlauf – wie der Fall manipulierte „Gummibärchen“ in Ungarn 2024 exemplarisch demonstrierte. Diese Produkte werden vor allem von jungen Konsumenten aufgenommen, ohne dass sie sich der Inhaltsstoffe bewusst sind. Der legale Graubereich, in dem viele dieser Substanzen zunächst operieren, erschwert die behördliche Reaktionsfähigkeit erheblich.

Der klassische Drogenmarkt zeigt sich derweil ebenfalls im Wachstum: Der Kokainkonsum erreicht historische Höchstwerte, mit 4,6 Millionen Konsumenten in der EU und 419 Tonnen sichergestelltem Kokain im Jahr 2023. Die Folge sind steigende Notaufnahmen, mehr psychotische Zwischenfälle, eine überforderte Notfallversorgung und zunehmende Gewaltvorfälle im Umfeld des Straßenhandels. Auch hier lassen sich Verschiebungen in der Logistik beobachten: Neben klassischen Häfen wie Rotterdam und Antwerpen treten vermehrt kleinere Umschlagorte ins Licht, was die zersplitterte Struktur krimineller Netzwerke zeigt – aber auch die begrenzten Handlungsspielräume der Strafverfolgung.

Was all diese Entwicklungen eint, ist ein beunruhigendes Muster: Neue psychoaktive Substanzen sind nicht mehr Zufallsprodukte exotischer Labore, sondern strategisch entwickelte Wirkstoffe mit hohem Wirkpotenzial, niedrigem Preis und extrem kurzer Innovationszyklen. Ihre schnelle Verbreitung, ihre chemische Unvorhersehbarkeit und ihre breite Akzeptanz in Konsumentengruppen setzen nicht nur die öffentlichen Gesundheitssysteme unter Druck, sondern verlangen nach einem völlig neuen Paradigma der Risikoanalyse, Prävention und Behandlung. Das EU-Drogengeschehen ist kein Randphänomen mehr, sondern ein politisch wie medizinisch zentrales Thema – und eine offene Rechnung mit dem Anspruch, durch Aufklärung und Regulierung Schaden abwenden zu können.

 

Beratung beginnt beim Bluttropfen, Prävention entsteht im Dialog, Verantwortung liegt im Handeln

Wie Apotheken mit Glucosemessungen Versorgungsnähe stärken, Patientengespräche zur Früherkennung nutzen und Gesundheitskompetenz aktiv fördern

Der kleine Stich in die Fingerbeere, gefolgt von einem Tropfen Blut auf dem Teststreifen – was für viele nur wie ein banaler Routineakt aussieht, ist in der Apotheke längst mehr als eine technische Handlung. Die Bestimmung des Blutzuckerwerts ist zu einem zentralen Element niedrigschwelliger Prävention geworden, das Apothekerinnen und Apotheker strategisch nutzen, um Versorgungslücken zu überbrücken, Frühindikatoren chronischer Erkrankungen zu erkennen und Patienten nicht nur mit Zahlen, sondern mit Perspektiven zu versorgen. In einer Zeit, in der Hausarztpraxen vielerorts überfüllt, Facharzttermine rar und Gesundheitskompetenz heterogen verteilt ist, wird das Glucosemessen in der Offizin zum Türöffner für strukturierte Gesundheitsberatung.

Die Voraussetzungen dafür sind in vielen Apotheken gegeben: Es mangelt weder an geeigneten Räumen noch an geschultem Personal oder hochwertigen Geräten. Entscheidend ist jedoch der nächste Schritt – die Interpretation des Werts und das anschließende Gespräch. Denn was nützt ein korrekt gemessener Nüchternwert von 126 mg/dl, wenn die betroffene Person nichts über Prädiabetes, metabolisches Syndrom oder kardiale Risikofaktoren weiß? Genau an dieser Stelle trennt sich die Dienstleistung von der professionellen Gesundheitsbegleitung: Wer nur misst, liefert eine Momentaufnahme; wer erklärt, schafft Orientierung; wer gezielt interveniert, kann Leben verändern.

Dabei liegt die Wirksamkeit der Beratung nicht in der Häufigkeit, sondern in der Qualität des Gesprächs. Ein erhöhter Glucosewert bietet die Chance, das Gespräch auf Lebensstil, Ernährung, Medikamenteneinnahme und individuelle Risikofaktoren zu lenken – ohne Angst zu erzeugen, aber mit der nötigen Klarheit. Apothekenteams, die diese Gesprächssituationen strategisch nutzen, erweitern ihre Rolle im Versorgungssystem: Sie wirken als Vertrauensinstanz, als Risikokompass und als Schnittstelle zur ärztlichen Weiterleitung. In Kombination mit pharmazeutischen Dienstleistungen, Medikationsanalysen oder Blutdruckmessungen kann daraus ein kontinuierlicher Betreuungsprozess entstehen – ohne Systembruch, ohne Wartezeit, ohne Schwellenangst.

Gleichzeitig stellen Glucosemessungen auch Anforderungen an betriebliche Sorgfalt: Dokumentation, Datenschutz, hygienische Standards, Gerätewartung und haftungsrechtliche Abgrenzung gehören zum Pflichtprogramm. Denn was im Einzelfall harmlos wirkt, kann im Gesamtkontext juristisch oder wirtschaftlich relevant werden – etwa dann, wenn ein falsch interpretierter Messwert zu einer versäumten Weiterleitung führt oder Beschwerden bagatellisiert werden. Hier ist Führung gefragt: Die Apothekenleitung muss Prozesse definieren, Verantwortlichkeiten klären und Fortbildungen initiieren. Nur so lässt sich die Dienstleistung sicher und wirksam integrieren – und nicht nur als Zusatzangebot führen.

Noch liegt das Potenzial dieser Dienstleistung in vielen Regionen brach. Insbesondere bei jüngeren Zielgruppen, Migranten oder sozial benachteiligten Menschen besteht Nachholbedarf – nicht wegen Desinteresse, sondern wegen Informationslücken. Hier können Apotheken gezielt aufklären, etwa durch mehrsprachige Infoflyer, niedrigschwellige Aktionswochen oder Kooperationen mit kommunalen Gesundheitsdiensten. Auch digitale Dokumentationstools oder telepharmazeutische Nachgespräche nach einer auffälligen Messung könnten helfen, die Präventionskette zu schließen.

Für das Jahr 2025 stellt sich daher nicht mehr die Frage, ob Apotheken Blutzucker messen sollen, sondern wie strategisch, professionell und wirksam sie dies tun. Die Messung ist der Anfang – aber das Gespräch macht den Unterschied. Wer Glucosewerte ernst nimmt, muss auch die Lebensrealität dahinter erkennen: Ernährung, Stress, Schlafmangel, Medikamente, Bewegung, familiäre Disposition. Daraus entsteht nicht nur ein einzelner Beratungsmoment, sondern ein nachhaltiges Versorgungskonzept. Und genau hier zeigt sich, wie aus einem Tropfen Blut ein neuer Blick auf Gesundheit werden kann.

 

Von der Maßanfertigung zur Massenanwendung, von Risiko zu Routine, von Zelllabor zu Therapieplattform

Wie In-vivo-CAR-T-Zellen die personalisierte Immuntherapie transformieren, neue Sicherheitsstrategien etablieren und ein industrielles Paradigma im Gesundheitswesen markieren

Die CAR-T-Zelltherapie galt über Jahre hinweg als Paradebeispiel für eine hocheffiziente, aber individualisierte Hochrisikotherapie – verbunden mit logistischer Komplexität, exorbitanten Kosten und patientenspezifischer Herstellung. Nun kündigt sich ein disruptiver Wandel an: Statt die T-Zellen ex vivo aus dem Patienten zu isolieren, zu modifizieren und reinfundieren, eröffnen neue Technologien erstmals die Möglichkeit, die genetischen Modifikationen direkt im Körper des Patienten durchzuführen. Dieses sogenannte In-vivo-Engineering markiert den Übergang von der personalisierten Zellmanufaktur zur serienfähigen Therapie – mit potenziell drastischen Auswirkungen auf Verfügbarkeit, Wirtschaftlichkeit und klinische Praktikabilität.

Herzstück der klassischen CAR-T-Zelltherapie ist die Umrüstung körpereigener T-Zellen mit einem chimären Antigenrezeptor (CAR), der gezielt Oberflächenstrukturen maligner Zellen erkennt. Die so veränderten Immunzellen greifen Krebszellen aggressiv an – doch die individualisierte Produktion erfordert aufwendige Laborprozesse, teure Rückführungen und eine vorbereitende Chemotherapie zur Immunmodulation. Der Preis liegt entsprechend hoch: In Deutschland rund 120.000 Euro pro Dosis, in den USA sogar etwa 500.000 US-Dollar – eine Therapie, die medizinisch vielversprechend, ökonomisch jedoch begrenzt ist.

Ein Paradigmenwechsel bahnt sich nun an: Die genetische Bauanleitung für den Antigenrezeptor wird den T-Zellen direkt im Körper zugeführt – entweder über virale Vektoren oder über RNA-basierte Transduktionsmechanismen. Damit wird nicht nur die personalisierte Produktion überflüssig, auch der Krankenhausaufenthalt kann sich deutlich verkürzen. Der Vorteil liegt auf der Hand: Lagerfähige Wirkstofflösungen könnten künftig wie klassische Medikamente verabreicht werden, mit besserer Steuerbarkeit und deutlich reduzierter Kostenstruktur.

Technologisch treten dabei zwei konkurrierende Systeme an: Auf der einen Seite virale Vektorverfahren, insbesondere lentivirale Systeme, wie sie etwa Interius BioTherapeutics oder Umoja Biopharma erproben. Diese Strategie nutzt gezielte Bindungen an T-Zell-Rezeptoren wie CD7, CD3, CD58 und CD80, um die Rezeptor-Baupläne stabil in das Genom zu integrieren. Erste klinische Ergebnisse, etwa beim Non-Hodgkin-Lymphom, zeigen vielversprechende Remissionen. Doch der Preis dieser Stabilität ist hoch: Die ungerichtete Integration birgt das Risiko von Insertionsmutationen und sekundären Tumorentstehungen.

Demgegenüber stehen mRNA-basierte Verfahren – etwa von Capstan oder Orna Therapeutics entwickelt –, bei denen das CAR-Protein nur vorübergehend exprimiert wird. Hierbei wird die Bauanleitung nicht dauerhaft in das Erbgut eingeschrieben, sondern nur temporär durch Nanopartikel eingeschleust. Die Vorteile liegen auf der Hand: Es gibt keine genetische Veränderung des Zellkerns, das Risiko für Sekundärtumoren entfällt, und bei unerwünschten Effekten lässt sich die Therapie kurzfristig abbrechen. Die Kurzlebigkeit der RNA erlaubt zudem flexible Wiederholungsbehandlungen, wie sie aus der klassischen Pharmakotherapie bekannt sind.

Spannend ist, dass sich damit auch neue therapeutische Felder öffnen – etwa im Bereich der Autoimmunerkrankungen. Während sich CAR-T bislang auf maligne Erkrankungen konzentrierte, hoffen Biotechfirmen nun, mit transienter CAR-Expression auch fehlgeleitete Immunzellen auszuschalten, ohne das gesamte Immunsystem zu kompromittieren. Erste Hinweise aus Erlangen deuten bereits auf klinisches Potenzial bei solchen Indikationen hin – mit präziser Wirkung und kontrollierter Begrenzung.

Dass sich große Pharmaspieler wie AstraZeneca mit gezielten Beteiligungen – etwa bei EsoBiotec – bereits frühzeitig Zugang zu dieser neuen Therapieplattform sichern, unterstreicht die industrielle Brisanz. Der Umbau von CAR-T zur industriell skalierbaren Plattformmedizin ist mehr als eine technische Optimierung: Er signalisiert einen grundlegenden Wandel im Verständnis personalisierter Medizin. Statt aufwendig individualisierter Zelllabore werden standardisierte Rezepturen auf Vorrat produziert – ein Schritt hin zur Demokratisierung einer bislang elitären Therapieform.

Doch die Euphorie ist nicht frei von Vorbehalten: Weder bei den viralen noch bei den RNA-basierten Strategien sind derzeit ausreichende Langzeitdaten zur Wirksamkeit und Sicherheit verfügbar. Zwar zeigen erste Patientenfälle spektakuläre Remissionen – etwa bei multiplem Myelom –, doch ist unklar, wie reproduzierbar und nachhaltig diese Effekte sind. Entscheidend wird sein, ob sich beide Systeme in der Breite durchsetzen, ob unerwartete Immunreaktionen auftreten und wie regulatorische Behörden die Bewertung komplexer Genmanipulationen im Körper vornehmen.

Die eigentliche Revolution der In-vivo-CAR-T-Strategie liegt jedoch nicht nur in der Technologie, sondern in der Philosophie: Therapien, die bislang mit stationärem Aufwand, individualisierter Biologie und massiver Infrastruktur verbunden waren, könnten zu standardisierbaren, ambulant einsetzbaren Medikamenten mutieren. Das verändert nicht nur die Versorgungsrealität, sondern zwingt auch das Gesundheitswesen, neue Erstattungslogiken und Zulassungswege zu etablieren. Was heute noch Pilotprojekt ist, könnte morgen Bestandteil jeder onkologischen Standardbehandlung sein.

 

Klimawandel stärkt Schädlinge, Brennhaare gefährden Gesundheit, Nematoden sichern Lebensräume

Wie der Eichenprozessionsspinner sich bundesweit etabliert, wieso seine Larven ein Gesundheitsrisiko darstellen und welche biologischen Strategien erfolgreich gegen ihn wirken

In deutschen Wäldern und Siedlungen hat sich ein unscheinbarer, aber gefährlicher Schädling still und effektiv ausgebreitet: Der Eichenprozessionsspinner, ursprünglich nur lokal auffällig, ist inzwischen ein bundesweites Phänomen – befeuert durch den Klimawandel, geschützt durch milde Winter und gestützt durch den verfrühten Austrieb der Eichen. Mit seiner Etablierung in Sachsen ist die vollständige Durchdringung aller klimatisch begünstigten Bundesländer vollzogen. Die Spätfolgen für Mensch und Natur beginnen sich erst jetzt mit voller Wucht abzuzeichnen: Wo früher vereinzelte Waldgebiete betroffen waren, geraten heute ganze Regionen in einen Zyklus aus Larvenbefall, massiven Gesundheitsrisiken und wachsendem Bekämpfungsdruck.

Der eigentliche Schaden entsteht nicht nur durch die Entlaubung von Eichen – obwohl auch diese den Forstwirtschafts- und Siedlungsraum langfristig destabilisiert –, sondern vor allem durch die hochtoxischen Brennhaare der Larven. Das darin enthaltene Protein Thaumetopoein ist kein klassisches Kontaktgift, sondern wirkt als komplexer Immunmodulator: Bereits beim ersten Hautkontakt entstehen schwere Reizreaktionen, teils mit asthmatischen Folgeerscheinungen, die sich mit jedem weiteren Kontakt verschärfen. Besonders tückisch ist die Aerosolwirkung: Die mikroskopisch kleinen Härchen brechen bei kleinster Bewegung, werden kilometerweit vom Wind getragen und lagern sich auf Kleidung, Spielplätzen, Gartenmöbeln und Atemwegen ab – unsichtbar, aber wirksam.

Wissenschaftler des Julius Kühn-Instituts beobachten diese Dynamik mit Sorge. Die neu gewonnene Standortgunst des Schädlings in Sachsen bestätigt eine Entwicklung, die seit den 1990er Jahren messbar zunimmt und sich direkt mit dem klimabedingt früheren Laubaustrieb verknüpfen lässt. Denn der Entwicklungszyklus des Prozessionsspinners ist penibel abgestimmt: Ende Juli bis Anfang September legen die nachtaktiven Falter ihre Eier an sonnigen, freistehenden Eichen ab – bevorzugt in siedlungsnahen Bereichen. Die Larven schlüpfen im April, fressen nachts in Kolonnen und verpuppen sich im Hochsommer – geschützt durch ihre markanten, nestartigen Gespinste. Ab dem dritten Larvenstadium werden die toxischen Brennhaare gebildet, und genau dort beginnt der Gefahrenbereich für den Menschen.

Die Bekämpfung ist komplex und jahreszeitlich streng limitiert. Während chemische Mittel wegen Umwelt- und Gesundheitsrisiken kaum noch eingesetzt werden, setzen immer mehr Kommunen auf biologische Schädlingskontrolle durch Nematoden. Der Landkreis Lüneburg etwa sprüht seit drei Jahren lebende Fadenwürmer in die Baumkronen – bei Nacht, um lichtempfindliche Organismen zu schützen und maximale Effektivität zu erzielen. Die Methode zeigt Wirkung: Laut Straßenbaubetriebsleiter Jens-Michael Seegers liegt die Erfolgsquote bei über 90 Prozent, ohne Menschen oder andere Tiere zu gefährden. Das ist nicht nur ein Fortschritt in der ökologischen Schädlingsbekämpfung, sondern auch ein Beispiel für risikobewusste öffentliche Infrastrukturpflege.

Doch die Dimension des Problems reicht längst über Einzelmaßnahmen hinaus. Gesundheitsämter warnen vor einem zunehmenden Beratungs- und Versorgungsaufwand – insbesondere bei Kindern, Allergikern und Außendienstkräften. Schulen und Kitas melden jedes Jahr temporäre Sperrungen von Außenbereichen, Gartenbaubetriebe verlieren Aufträge, und das Gesundheitswesen muss sich auf wiederkehrende Wellen von Kontaktdermatitis, Asthma und Augenentzündungen einstellen. Der Prozessionsspinner ist keine bloße Forstplage, sondern ein multifaktorielles Risiko – ökologisch, ökonomisch und gesundheitspolitisch.

Die Strategie der kommenden Jahre muss daher mehrschichtig angelegt sein: Frühwarnsysteme im Forst, kartografierte Hochrisikozonen, finanzierte Einsatztruppen für die Nematodenverteilung, aber auch Aufklärungskampagnen für die Bevölkerung. Denn während die biologische Bekämpfung ein wichtiges Werkzeug darstellt, bleibt die Klimaanpassung langfristig der einzige wirksame Hebel gegen die systemische Etablierung des Eichenprozessionsspinners.

 

Schönheit erzeugt Wirkung, Erfolg folgt nicht überall, Vertrauen entsteht kulturell

Wie Attraktivität weltweit gedeutet wird, welche Erfolgsmuster sich daraus ableiten lassen und warum Ästhetik kein globaler Vorteil ist

Schönheit kann Türen öffnen – aber nicht in jedem Land. Eine neue, groß angelegte Studie der Universität Mannheim und der ETH Zürich zeigt, dass Attraktivität global höchst unterschiedlich wirkt: Während sie in westlichen Industrienationen häufig mit Kompetenz, Intelligenz und Erfolg verknüpft wird, schlägt sie in anderen Regionen der Welt sogar in Misstrauen, Vorurteile oder Ablehnung um. Die Forschenden sprechen vom „Schönheitsindex“, der erstmals mit Hilfe großer Sprachmodelle in 68 Sprachen analysiert wurde und das kollektive semantische Bewusstsein verschiedener Kulturen in Bezug auf Schönheit und ihre Verknüpfung mit sozialen Aufstiegsmerkmalen sichtbar macht. Der vermeintlich universelle Schönheitsbonus, so zeigt die Auswertung, ist eher ein westlich geprägtes Konstrukt – und kulturell alles andere als selbstverständlich.

Zentrale Erkenntnis: In Ländern wie Frankreich, Italien, Spanien, Finnland oder der Schweiz ist der semantische Zusammenhang zwischen Wörtern wie „hübsch“ oder „schön“ mit Konzepten wie „kompetent“, „vertrauenswürdig“ oder „intelligent“ besonders stark ausgeprägt. Schönheit wird hier nicht nur als ästhetisches Merkmal wahrgenommen, sondern als vertrauensbildende Ressource – mit Folgen für Beruf, Karriere, soziale Netzwerke und Führungszugänge. In diesen Kontexten wirkt Attraktivität wie ein soziales Kapital: Menschen, die als schön gelten, gelten zugleich als leistungsfähig und durchsetzungsstark. Die soziale Gleichung scheint zu lauten: Wer gut aussieht, kann auch viel.

Ganz anders das Bild in Osteuropa und Teilen Asiens. Vor allem in Rumänien, Vietnam, China oder Thailand zeigt sich ein teils gegenteiliger Effekt: Dort werden Begriffe der Schönheit seltener mit positiven, oft sogar mit negativ konnotierten Konzepten wie „Naivität“, „Unzuverlässigkeit“ oder „Oberflächlichkeit“ verknüpft. Schönheit wird in diesen Kulturen nicht zwangsläufig als Zeichen von Leistungsfähigkeit oder Vertrauenswürdigkeit gelesen – sondern mitunter als Makel, der eine tiefere Fähigkeit zur Integrität oder Rationalität infrage stellt. Aus evolutionärer Sicht mag es naheliegen, dass Schönheit übergreifend mit Partnerwahlmechanismen und sozialem Status verknüpft ist, doch die Daten zeigen: Die semantische Codierung von Schönheit in sozialen Kontexten folgt keiner universellen Linie.

Bemerkenswert ist dabei, dass der Unterschied nicht entlang der klassischen West-Ost-Differenz verläuft. Auch in Südkorea oder Japan, wo körperliche Inszenierung eine hohe soziale Bedeutung besitzt, fällt der Schönheitsindex ambivalent aus. Dort existieren differenzierte Erwartungen an Ästhetik, aber zugleich eine ausgeprägte Leistungs- und Meritokratieorientierung, in der äußere Attraktivität nicht automatisch mit innerer Kompetenz gleichgesetzt wird. Auch religiöse, ideologische oder historische Prägungen spielen hinein. In konservativen Gesellschaften kann auffällige Schönheit zum Stigma werden, insbesondere wenn sie mit Eitelkeit, Stolz oder Abweichung vom normativen Kollektiv verbunden wird. Die Sozialpsychologie spricht hier vom „Beauty Backlash“ – einer paradoxen Form der sozialen Sanktionierung attraktiver Personen, die als zu abweichend oder zu auffällig gelten.

Für Führungskräfte, Personalverantwortliche und Strategen in der internationalen Kommunikation ergeben sich daraus neue Fragen. Wer global erfolgreich agieren will, muss verstehen, wie nonverbale Merkmale wie Attraktivität kulturell gerahmt und sozial gelesen werden. Wer sich bei der Besetzung von Positionen, der Gestaltung von Werbekampagnen oder der Auswahl von Testimonials auf westlich geprägte Schönheitsvorstellungen verlässt, könnte in anderen Weltregionen genau das Gegenteil dessen bewirken, was beabsichtigt war. Schönheit als Strategie funktioniert nicht überall – manchmal wirkt sie sogar kontraproduktiv.

Dass Schönheit ein soziales Kapital sein kann, wurde in vielen Studien nachgewiesen. Attraktive Personen erzielen im Schnitt höhere Einkommen, bekommen mehr Aufmerksamkeit im Unterricht, werden seltener unterbrochen und häufiger in Führungspositionen befördert. Doch das gilt nur in Gesellschaften, die Schönheit mit Vertrauen und Leistungsfähigkeit verknüpfen. Dort, wo Schönheit eher mit Eitelkeit, Ablenkung oder Oberflächlichkeit assoziiert wird, verliert sie diesen Bonus – oder verkehrt sich gar in einen Nachteil. Eine Erkenntnis, die Personalstrategien, Diversity-Konzepte und auch das politische Framing von Repräsentation hinterfragen sollte.

Gerade im digitalen Raum, in dem visuelle Inhalte dominieren und algorithmische Strukturen Aufmerksamkeit nach Attraktivitätsmerkmalen priorisieren, verschärfen sich diese kulturellen Unterschiede. Plattformen wie Instagram, TikTok oder LinkedIn projizieren westliche Schönheitsideale global, doch die Wirkung bleibt lokal gebunden. Das erklärt auch, warum ein Influencer, der in Paris durchstartet, in Hanoi kaum Resonanz findet – und umgekehrt. Denn die semantische Codierung von Schönheit folgt kulturell erlernten Mustern, die nicht beliebig exportierbar sind.

Auch genderbezogene Unterschiede spielen eine Rolle. Der Schönheitsbonus ist vor allem für Frauen untersucht worden – bei Männern wirkt Attraktivität zwar ebenfalls, aber oft anders: Sie wird weniger mit Vertrauenswürdigkeit als mit Dominanz, Status oder Fitness verbunden. Die kulturelle Bewertung dieser Zuschreibungen variiert jedoch noch stärker. Während in Skandinavien auch ein schöner Mann mit hoher sozialer Kompetenz assoziiert wird, können dieselben Merkmale andernorts als Zeichen von Selbstverliebtheit oder Machismo gelesen werden.

Die Studie lässt damit auch Fragen der sozialen Gerechtigkeit aufscheinen: Wenn Schönheit kulturell selektiv wirkt, dann ist sie kein neutraler Vorteil, sondern ein Faktor systematischer Chancenungleichheit. Wer in einem Land lebt, in dem Attraktivität negativ konnotiert ist, wird für sein Aussehen unter Umständen abgestraft – sei es bei der Jobsuche, im Bildungssystem oder im Alltag. Umgekehrt profitieren andere von einem kulturell überhöhten Schönheitsnimbus, den sie sich nicht erarbeitet haben. Der Schönheitsbonus wird damit zum kulturellen Selektionsmechanismus – mit Folgen für die soziale Mobilität.

Für Bildungseinrichtungen, Medienhäuser, HR-Abteilungen und Marketingverantwortliche bedeutet das: Schönheit ist kein universeller Code, sondern ein kulturell kontextabhängiger Faktor, dessen Wirkungsmuster verstanden, reflektiert und in internationale Strategien integriert werden muss. Nur so lässt sich vermeiden, dass Kampagnen, Karrieren oder Kommunikationsformate an kulturellen Missverständnissen scheitern. Die Schönheit der Welt liegt auch in der Vielfalt ihrer Wahrnehmungen – doch gerade deshalb verlangt sie differenzierte Deutungsmuster statt plakativer Stereotype.

Von Engin Günder, Fachjournalist

 

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