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APOTHEKE | Medienspiegel & Presse |
Cybersicherheit ist längst keine technische Nebensache mehr, sondern betriebliche Pflicht – besonders in Apotheken, die zunehmend digitalisieren und sich damit neuen Bedrohungen aussetzen, während zugleich politische Umweltauflagen wie die EU-Abwasserrichtlinie das Risiko bergen, generische Schlüsselmedikamente wie Metformin vom Markt zu verdrängen und ganze Versorgungsketten ins Wanken zu bringen, was insbesondere für chronisch kranke Patient:innen zu dramatischen Folgen führen kann, während Apotheken nicht nur auf die technischen und regulatorischen Risiken reagieren müssen, sondern auch zunehmend in gesellschaftliche Schlüsselrollen hineinwachsen – ob bei der Rauchentwöhnung, bei Multipler Sklerose, bei der Früherkennung von HIV oder durch die Aufklärung zu Nahrungsergänzungsmitteln, die auf Plattformen wie TikTok als Wundermittel vermarktet werden, zugleich illustrieren Persönlichkeiten wie Riem Hussein und Modelle wie das britische Hausarztteam in Luton, wie eng Führung, Versorgung und Menschlichkeit verwoben sein müssen, damit Gesundheit nicht zur anonymen Systemleistung, sondern zur vertrauensbasierten Daseinsvorsorge wird – und dies zeigt sich ebenso bei der rechtlichen Auseinandersetzung um §218 wie bei der medizinischen Neubewertung der Präeklampsie als Frühwarnsignal für das spätere Leben.
Cybersicherheit verlangt Führung, Resilienz verlangt Planung, Versorgung verlangt Schutz
Digitale Apotheken sind keine Spielwiese – wie IT-Risiken das System gefährden, Verantwortung missverstanden wird und Sicherheitsarchitektur zum Pflichtbestandteil wird
Cybersicherheit ist keine Kür mehr, sondern Pflicht – und sie entscheidet über das Überleben eines Betriebs. Apotheken, die digitale Prozesse implementieren, ohne sie systematisch gegen Angriffe abzusichern, begeben sich nicht nur in betriebswirtschaftliche Gefahr, sondern gefährden auch Versorgungsketten und Patientenschutz. Die Einführung des E-Rezepts, cloudbasierter Warenwirtschaftssysteme und digitaler Kommunikation mit Ärztinnen, Krankenkassen und Rechenzentren hat die Verwundbarkeit der Apotheken vervielfacht – und doch agieren viele Betriebe so, als seien sie vom digitalen Bedrohungsgeschehen ausgenommen. Die Folge: Eine kritische Sicherheitslücke genügt, um IT-Systeme lahmzulegen, sensible Patientendaten zu kompromittieren oder die Versorgung ganzer Regionen zu unterbrechen.
Gerade kleinere Apotheken werden vermehrt zur Zielscheibe für Cyberangriffe, weil sie an der Schnittstelle zwischen Gesundheitsversorgung und personenbezogenen Daten stehen – und gleichzeitig oft nur über geringe IT-Ressourcen verfügen. Phishing-Mails, Ransomware oder gezielte Hacks treffen längst nicht mehr nur Großkonzerne. In Apotheken, die sich durch Digitalisierung effizienter aufstellen wollten, können dieselben Fortschrittsprozesse zu existenziellen Risiken werden, wenn sie nicht mit Sicherheitsarchitektur unterlegt sind. Im Unterschied zur analogen Welt reicht kein Schlüsselbund und kein Tresor: Die Schutzmaßnahmen müssen digital, redundant und proaktiv sein – und auf allen Ebenen greifen.
Trotz dieser Bedrohungslage herrscht in vielen Apotheken Unsicherheit. Wer trägt Verantwortung für Cyberschutz? Ist es Aufgabe des Inhabers, des IT-Dienstleisters oder der Filialleitung? Diese Unklarheit ist selbst Teil des Risikos. Denn rechtlich liegt die Verantwortung klar bei den Inhaberinnen und Inhabern – und sie umfasst sowohl technische als auch organisatorische Maßnahmen. Dazu gehören nicht nur Firewalls, Antivirensoftware und Verschlüsselungstechnologie, sondern auch Schulung, Notfallplanung und dokumentierte Zuständigkeiten. Die Realität ist jedoch ernüchternd: Viele Betriebe setzen auf Mindeststandards, überalterte Systeme und einmalige Installationen, ohne ihre Sicherheitslage kontinuierlich zu überprüfen.
Dabei reicht es nicht, Technik zu kaufen – Sicherheit beginnt im Kopf. Zahlreiche Angriffe erfolgen nicht über technische Schwachstellen, sondern durch menschliches Versagen. Unachtsam geöffnete E-Mail-Anhänge, fehlende Passwortrichtlinien oder mangelnde Awareness für verdächtige Verhaltensmuster gehören zu den häufigsten Einfallstoren. Wer Cybersicherheit ernst meint, muss deshalb in Schulung und Kultur investieren – und das nicht einmal jährlich, sondern regelmäßig. Eine Apothekensoftware kann kein Sicherheitsbewusstsein ersetzen.
Die rechtlichen Grundlagen setzen diese Anforderungen längst voraus. Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) verpflichtet zu technisch-organisatorischen Schutzmaßnahmen. Dabei geht es nicht nur um Datenschutz im engeren Sinne, sondern um einen strukturell abgesicherten Betrieb. Wer dagegen verstößt, riskiert nicht nur Bußgelder, sondern auch Regressforderungen bei Schadensfällen – und verliert im Ernstfall die wirtschaftliche Basis. Noch gravierender aber: Ein Vertrauensverlust der Patienten kann selbst eine formal abgesicherte Apotheke irreparabel schädigen. Denn in der Arzneimittelversorgung zählt Verlässlichkeit – und die ist digital nicht weniger wichtig als pharmazeutisch.
Versicherungen wie die PharmaRisk® Cyber-Versicherung können helfen, finanzielle Schäden abzumildern. Aber sie ersetzen kein funktionierendes Schutzsystem – und sie befreien nicht von der Haftung. Wer glaubt, mit einem Versicherungsvertrag die Verantwortung ausgelagert zu haben, hat das Prinzip nicht verstanden. Versichern bedeutet Risikoabsicherung, nicht Risikodelegation. Entscheidend ist, dass Apotheken vor einem Angriff geschützt sind – nicht, dass sie danach entschädigt werden.
Verantwortung bedeutet deshalb strategisches Handeln. Eine wirksame Sicherheitsarchitektur besteht aus drei Säulen: technischer Schutz, organisatorische Struktur und kontinuierliche Schulung. Dazu gehören unter anderem rollenbasierte Zugänge, vollständige Backup-Systeme, revisionssichere Protokollierungen und die Fähigkeit, im Krisenfall handlungsfähig zu bleiben. All das muss betriebsintern verankert sein, auch wenn externe Dienstleister beim Betrieb helfen. Die strategische Steuerung jedoch darf nicht delegiert werden. Wer das tut, macht sich angreifbar – nicht nur technisch, sondern auch juristisch.
Gleichzeitig muss die Politik endlich anerkennen, dass digitale Sicherheit zur öffentlichen Gesundheitsvorsorge gehört. Die alleinige Verantwortung der Betriebe ist nicht mehr zeitgemäß, wenn sich die Angriffe systematisch auf die Infrastruktur des Gesundheitswesens richten. Standesvertretungen, Berufsverbände und Gesundheitspolitik müssen ein einheitliches Rahmenwerk schaffen, das Mindeststandards definiert, Schulung verbindlich macht und die technische Modernisierung der Apotheken unterstützt. Förderung, Qualifizierung und politische Rahmensetzung gehören zu einer umfassenden Digitalstrategie – alles andere bleibt Stückwerk.
Was heute noch als betriebliches Problem erscheint, wird morgen zur Strukturfrage des gesamten Systems. Die Apothekenlandschaft in Deutschland steht nicht nur vor wirtschaftlichen Herausforderungen, sondern auch vor einer digitalen Belastungsprobe. Wer nicht investiert, verliert – vielleicht nicht sofort, aber mittelfristig an Stabilität, Vertrauen und Anschlussfähigkeit. Cybersicherheit ist keine abstrakte Bedrohung, sondern der Lackmustest für die Zukunftsfähigkeit der Apothekenbetriebe.
Digitale Transformation und Versorgungssicherheit sind untrennbar miteinander verbunden. Wer das eine will, muss das andere gewährleisten. Der Irrtum, Cybersicherheit sei ein Thema für Spezialisten, hat sich überholt. In Wahrheit ist sie eine Führungsaufgabe – genauso wie Personalführung, Qualitätsmanagement oder wirtschaftliche Steuerung. Die Vorstellung, mit Basisschutz und Goodwill durchzukommen, war schon gestern gefährlich. Heute ist sie unverantwortlich. Und morgen ist sie tödlich – für Systeme, Vertrauen und letztlich für die Versorgung.
Politik verordnet Reinigung, Industrie rechnet ab, Patienten bangen
Wie neue EU-Umweltregeln Arzneimittel verteuern, Metformin bedrohen und Apotheken überfordern
Die Europäische Union verfolgt das Ziel, Mikroverunreinigungen aus dem Abwasser zu filtern und die Industrie stärker an den Kosten der Umweltentlastung zu beteiligen. Doch während Brüssel die vierte Reinigungsstufe in Kläranlagen politisch forciert und mit ökologischen Argumenten versieht, geraten andere Bereiche der Daseinsvorsorge unweigerlich ins Schleudern. Einer der zentralen Konfliktpunkte: Die neuen Pflichten nach der sogenannten Kommunalabwasser-Richtlinie (KARL) könnten dazu führen, dass Generikahersteller zentrale Medikamente wie Metformin vom Markt nehmen. Diese Entwicklung trifft nicht nur die industrielle Arzneimittelproduktion, sondern bringt auch Apotheken, chronisch kranke Patienten und letztlich das gesamte Gesundheitssystem in Bedrängnis. In einem Interview mit der »Rheinischen Post« schlägt ABDA-Präsident Thomas Preis Alarm – und benennt gleich mehrere regulatorische Eingriffe aus Brüssel, die die Versorgung gefährden.
Preis sieht in der neuen Richtlinie zur Abwasserbehandlung eine ernstzunehmende Bedrohung der Arzneimittelversorgung, insbesondere im preisgünstigen Segment der Generika. Hier gehe es nicht um einzelne Luxusprodukte, sondern um die Basistherapien für Millionen von Patienten. Metformin ist das klassische Beispiel: ein seit Jahrzehnten bewährter Wirkstoff zur Behandlung des Typ-2-Diabetes, in unterschiedlichen Darreichungsformen im Markt etabliert, hochverfügbar – bisher. Denn die Pläne, Arzneimittelhersteller an den Umweltkosten der Mikroschadstofffiltration zu beteiligen, treffen die Produzenten dort, wo die Marge ohnehin auf Kante genäht ist. Anders als bei Hochpreismedikamenten lassen sich die zusätzlichen Umweltabgaben hier nicht auf den Markt umlegen. Die Folge: Rückzugsankündigungen, Lieferstopps, globale Produktionsverlagerungen.
Laut Preis hat der »Spiegel« bereits berichtet, dass mehrere Generikahersteller offen über ein Aus für Metformin nachdenken. Sollte die Richtlinie in der vorliegenden Fassung beschlossen werden, droht dem Gesundheitswesen ein Dominoeffekt. Denn Metformin steht dabei stellvertretend für eine Vielzahl von Arzneimitteln, die in hochstandardisierten, aber betriebswirtschaftlich grenzwertigen Verfahren hergestellt werden. Besonders alarmierend: Schon heute, so Preis, verzeichnen Apotheken einen Anstieg der Lieferengpässe um rund zehn Prozent – fast 550 Arzneimittel seien aktuell nicht verfügbar. Die Ursache sieht er klar im zunehmenden Druck auf die Produktionskosten durch politisch gewollte, aber ökonomisch folgenreiche Maßnahmen.
Die Warnung des ABDA-Präsidenten bleibt nicht bei der neuen Abwasserrichtlinie stehen. Im selben Interview verweist Preis auf die sogenannte F-Gas-Verordnung, mit der die EU den Ausstoß fluorierter Treibhausgase reduzieren will – ein klimapolitisches Anliegen, das sich direkt auf die Herstellung von Asthmasprays auswirkt. Betroffen sind insbesondere Dosieraerosole mit Salbutamol. Hier seien die Lieferprobleme bereits real, so Preis, da große Hersteller die Umstellung auf alternative Treibmittel scheuen und sich zunehmend aus dem Segment zurückziehen. Nur durch Importe aus den USA und Spanien lasse sich die Versorgung derzeit überhaupt noch gewährleisten – ein Zustand, der laut Preis „nicht tragfähig“ sei und das nächste große Problem signalisiere.
Apotheken geraten damit an zwei Fronten unter Druck: einerseits durch die unberechenbare Lieferlage, andererseits durch den gestiegenen Beratungsaufwand. Denn wenn Arzneimittel wie Metformin oder Asthmasprays nicht mehr lieferbar sind, braucht es nicht nur pharmazeutischen Ersatz, sondern auch intensive Rücksprachen mit Ärzten und aufwendige Aufklärungsgespräche mit verunsicherten Patienten. Dieser Zusatzaufwand bindet Zeit, Personal und Nerven – Ressourcen, die in einer ohnehin unterfinanzierten Struktur knapp bemessen sind. Die Versorgungssicherheit droht damit an einem kritischen Punkt zu kippen: nicht aus Mangel an medizinischem Wissen, sondern aus regulatorisch erzeugter Verfügbarkeitslücke.
Die Umweltziele der Europäischen Union sind grundsätzlich unstrittig – sauberes Wasser, weniger CO₂, mehr Nachhaltigkeit im Alltag. Doch Preis macht deutlich, dass diese Ziele in ihrer Umsetzung nicht losgelöst von den Realitäten pharmazeutischer Produktion betrachtet werden können. Eine Umweltregulierung, die die Herstellung lebenswichtiger Medikamente faktisch unwirtschaftlich macht, verfehlt ihren Zweck. Gerade bei Generika, die für Millionen Menschen unverzichtbar sind und ein Rückgrat der GKV-Finanzierung darstellen, braucht es laut Preis einen differenzierten politischen Umgang. Eine einseitige Kostenzuschreibung an die Industrie führt nicht zu umweltfreundlicherem Wirtschaften, sondern zu Produktionsstopps und globaler Verlagerung – mit dem Resultat, dass Umweltschäden in Drittstaaten entstehen, während Europa gleichzeitig seine Arzneimittelhoheit verliert.
Preis’ Warnung ist Teil einer wachsenden Debatte über die ungewollten Nebenwirkungen grüner Regulierungen im Gesundheitswesen. Die Sorge, dass der Anspruch der ökologischen Transformation in Konflikt mit der sozialen Daseinsvorsorge gerät, ist nicht neu – aber durch die drohenden Metformin-Engpässe bekommt sie ein neues, besonders bedrohliches Gesicht. Während in Brüssel Umweltgremien die Treibhausgasbilanz von Arzneien berechnen, fragen sich Patienten in Deutschland, ob sie ihre Standardmedikamente morgen noch in der Apotheke bekommen.
Der ABDA-Präsident bringt diese Spannung auf den Punkt: Der Klimaschutz darf nicht zur Gesundheitsgefahr werden. Die Politik müsse, so Preis, endlich verstehen, dass pharmazeutische Lieferketten hochsensibel auf ökonomische Eingriffe reagieren – und dass eine nachhaltige Regulierung immer auch eine sozial tragfähige sein muss. Andernfalls entstehen neue Versorgungslücken an Stellen, die bisher als stabil galten. Wenn ausgerechnet preisgünstige, unverzichtbare Arzneimittel wie Metformin oder Salbutamol verschwinden, dann ist nicht nur die Umweltpolitik aus dem Gleichgewicht geraten, sondern auch das Vertrauen in das europäische Gesundheitssystem.
Werbung zielt, Sucht bindet, Ausstieg scheitert oft an Systemlücken
Wie die Tabakindustrie gezielt Jugendliche ködert, Entwöhnung an strukturellen Barrieren scheitert und Apotheken neue Zugänge ermöglichen könnten
Rund 15 Millionen Menschen in Deutschland rauchen – trotz jahrzehntelanger Aufklärung, gesundheitlicher Risiken und explodierender Kosten. Jedes Jahr am 31. Mai ruft die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit dem Weltnichtrauchertag dazu auf, den Tabakkonsum infrage zu stellen. Doch statt der großen Wende zeigen sich verhärtete Muster: Die Nikotinsucht bleibt eine der zähesten gesellschaftlichen Dauerkonflikte. Unter dem diesjährigen Motto „den Reiz entlarven“ prangert die WHO die perfiden Mechanismen an, mit denen Tabakkonzerne – zunehmend über soziale Medien und Lifestyle-Plattformen – junge Menschen ins Ziel nehmen. Was im Marketing glänzt, endet in Realität oft mit Krankheit, Abhängigkeit und dem vergeblichen Versuch, sich davon zu lösen.
Die Mechanik der Verführung ist heute raffinierter denn je. Zwar gelten klassische Zigaretten inzwischen als unsexy, ungesund und teuer – doch gerade deswegen hat die Branche in den letzten Jahren auf E-Zigaretten, tabakfreie Nikotinbeutel, aromatisierte Liquids und modische Devices gesetzt. Die Botschaft ist subtil: Nikotin darf wieder cool sein, solange es modern verpackt ist. Influencer-Posts, vermeintlich unabhängige Erfahrungsberichte, Rabattcodes und Festivalpartnerschaften tragen dazu bei, dass Nikotin in der Generation Z oft als temporärer Lifestyle-Code erscheint – nicht als gefährliche Sucht. Dass der Konsum nikotinhaltiger Produkte das Gehirn in der Entwicklungsphase tiefgreifend verändert, wird dabei gezielt verschleiert. Die Grenzüberschreitungen der Industrie sind zahlreich – und häufig legal. Wo Regulierung versagt, entsteht Sucht.
Gleichzeitig fehlt es auf der Gegenseite an professionellen, zugänglichen Entwöhnungsstrukturen. Die Zahl der auf Tabakentwöhnung spezialisierten Fachkräfte ist gering, Beratungsangebote in Praxen oder Kliniken sind rar, Therapieplätze oft ausgebucht. Selbst für Menschen mit klarer Ausstiegsabsicht bleiben die Wege unklar. Zwar sind kognitive Verhaltenstherapie und medikamentöse Unterstützung nachweislich effektiv, aber im Alltag kaum abrufbar. Nikotinersatzpräparate wie Pflaster, Kaugummis oder Sprays sind apothekenpflichtig, jedoch nicht erstattungsfähig – ein Paradox, das gerade sozial schwächere Gruppen strukturell benachteiligt. Wer den Ausstieg ernst meint, muss ihn bezahlen können. Für viele ist das der erste Stolperstein.
Dabei könnten Apotheken eine zentrale Rolle in der Raucherentwöhnung spielen – nicht nur als Bezugsquelle für Ersatzpräparate, sondern auch als niedrigschwellige Anlaufstelle für Beratung, Motivation und Verlaufsbetreuung. Studien zeigen, dass persönliche Begleitung die Erfolgschancen signifikant erhöht. Doch viele Apotheken sind weder personell noch strukturell auf diese Funktion vorbereitet. Es fehlt an klar definierten Versorgungsaufträgen, Honorierungsmodellen und Fortbildungsinitiativen. Stattdessen bleibt es bei punktuellen Einzelinitiativen – motiviert, aber nicht flächendeckend.
Auch die Politik hat bisher kein klares Entwöhnungskonzept formuliert. Zwar gibt es Präventionskampagnen, Rauchverbote und Steuererhöhungen – doch ausstiegsorientierte Programme sind in der Regel projektbezogen und nicht systemisch verankert. Die Raucherquote stagniert entsprechend: Während sie bei Männern über 35 leicht sinkt, steigt sie bei jungen Frauen und marginalisierten Gruppen wieder an. Die gesundheitlichen Langzeitfolgen – Herz-Kreislauf-Erkrankungen, COPD, Krebs – treiben nicht nur individuelle Leidensgeschichten, sondern auch die GKV-Kosten langfristig nach oben.
Der Weltnichtrauchertag ist deshalb nicht nur ein Aktionstag für gute Vorsätze, sondern ein Seismograph struktureller Versäumnisse. Die Tabakindustrie agiert global vernetzt, mit Milliardenbudgets, juristisch abgesichert und kreativ bis zur Schmerzgrenze. Die Gegenbewegung bleibt schwach, zerfasert und häufig auf ehrenamtliches Engagement angewiesen. Selbst wer staatlich geförderte Entwöhnungsprogramme sucht, muss sich durch Internetportale klicken, Service-Hotlines anrufen oder lange auf Rückmeldung warten – kaum eine Motivation für jemanden, der im emotionalen Chaos einer Suchterkrankung steckt.
Es braucht daher einen politischen Paradigmenwechsel: Wer Rauchprävention ernst nimmt, darf Entwöhnung nicht als freiwillige Zusatzleistung sehen, sondern muss sie als elementaren Teil der Gesundheitsversorgung begreifen. Das bedeutet: Klare Abrechnungsstrukturen für Apotheken, Schulungskonzepte für PTA und Approbierte, ärztlich-pharmazeutische Netzwerke und die Einbindung digitaler Tools zur Rückfallprävention. Nikotinsucht ist keine Willensschwäche, sondern ein medizinisch relevantes Störungsbild – behandelbar, aber nur, wenn die Versorgungsrealität dem wissenschaftlichen Konsens folgt.
Die nächste Generation steht bereits im Visier der Industrie. Während Gesundheitsakteure noch um Zuständigkeiten ringen, fluten TikTok, Instagram und Snapchat weiter mit versteckter Produktwerbung. Je länger der Entwöhnungssektor dysfunktional bleibt, desto mehr junge Menschen werden abhängig – und desto mehr ältere Menschen scheitern am Ausstieg. Dabei ist der Weg bekannt: multiprofessionelle Ansätze, verlässliche Strukturförderung, Aufklärung ohne moralischen Zeigefinger. Die Frage ist nicht, was getan werden müsste. Sondern warum es noch immer nicht geschieht.
Erkrankung erkennen, Lebensstil stabilisieren, Apotheke als Partner verstehen
Warum Multiple Sklerose so unterschiedlich verläuft, wie Ernährung und Bewegung den Verlauf beeinflussen – und welche Rolle die Apotheke als erste Gesundheitsanlaufstelle spielt
Multiple Sklerose ist eine Erkrankung des zentralen Nervensystems – und eine der wenigen chronisch verlaufenden Krankheiten, bei der der Alltag nicht nur durch die Diagnose, sondern durch ihre Unberechenbarkeit geprägt ist. Die Autoimmunerkrankung, die zumeist zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr erstmals in Erscheinung tritt, zählt rund 280.000 Betroffene in Deutschland, mit weltweit stark steigender Tendenz. Der 30. Mai – Welt-MS-Tag – erinnert jedes Jahr daran, dass diese Krankheit nicht nur medizinisch, sondern auch gesellschaftlich, sozial und lebenspraktisch verstanden werden muss. „1.000 Gesichter und Deins“ – das Motto des diesjährigen Aktionstags verweist darauf, dass kein Krankheitsverlauf dem anderen gleicht und jede Patientengeschichte eine eigene ist. Apothekerinnen und Apotheker können dabei eine bedeutende Rolle spielen: nicht nur als Medikamentenmanager, sondern auch als verlässliche Beratungsinstanz für Alltag, Ernährung und Lebensqualität.
MS betrifft das Gehirn, das Rückenmark und die Sehnerven. Entzündliche Prozesse stören die Reizweiterleitung, was zu vielfältigen Symptomen führt: Sehstörungen, Kribbeln, Muskelschwäche, Gangunsicherheit, kognitive Einschränkungen, Erschöpfung. Während einige Menschen mit MS jahrzehntelang kaum Einschränkungen erleben, schreitet die Krankheit bei anderen schnell voran. Entsprechend unterschiedlich sind auch die Bedürfnisse im Umgang mit Therapie, Beratung und Alltagshygiene – ein Umstand, der häufig zu Überforderung führt, insbesondere in der Phase direkt nach der Diagnosestellung. Hier setzt die Rolle der Apotheke an: Sie ist niederschwellig, vor Ort, kontinuierlich erreichbar – und vielfach die erste Anlaufstelle außerhalb ärztlicher Behandlung.
Die pharmazeutische Betreuung von Menschen mit MS ist komplex: Rund ein Dutzend krankheitsmodifizierende Therapien stehen zur Verfügung, viele davon als Injektionslösung, andere in Tablettenform. Daneben kommen symptomlindernde Medikamente zum Einsatz – gegen Spastik, Schmerzen, Fatigue oder Blasenstörungen. Die Begleitung der Arzneimittelabgabe durch pharmazeutische Beratung ist entscheidend, da Fragen zu Nebenwirkungen, Wechselwirkungen oder Therapietreue häufig zunächst in der Apotheke gestellt werden. Besonders relevant: Apothekenteams sind häufig diejenigen, die erkennen, wenn Patientinnen und Patienten mit dem Therapieschema hadern oder überfordert sind – und rechtzeitig intervenieren können.
Ein unterschätzter Faktor im MS-Management ist die Lebensstilberatung. Zwar gibt es bislang keine evidenzbasierte Diät, die eine Verbesserung der MS belegt – doch viele Betroffene geraten unter erheblichen Druck, bestimmten Ernährungstrends oder „MS-Diäten“ zu folgen. Das kann in der Konsequenz zu erheblichem Stress, Schuldgefühlen oder Mangelernährung führen. Hier liegt ein konkreter Ansatzpunkt für Apothekenteams: Aufklärung leisten, evidenzbasiert beruhigen, Orientierung geben. Die aktuelle S2k-Leitlinie zur MS-Behandlung spricht sich explizit gegen restriktive Diäten aus – empfiehlt jedoch klar eine pflanzenbetonte, ausgewogene Ernährung im Sinne der kardiovaskulären Prävention.
Warum? Weil kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Übergewicht, Fettstoffwechselstörungen, Bluthochdruck oder Diabetes mit einer ungünstigeren MS-Prognose verbunden sind. Wer also durch Ernährung seinen Gefäßstatus schützt, senkt indirekt das Risiko für zusätzliche neurologische Komplikationen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt: Wasser, Gemüse, Hülsenfrüchte, Vollkornprodukte, Nüsse, Obst, pflanzliche Öle – maßvoll ergänzt durch Fisch, Milchprodukte und geringe Mengen Fleisch. Diese Empfehlungen gelten für alle – aber für MS-Betroffene sind sie besonders relevant, weil sie nachweislich auch das psychische Wohlbefinden stabilisieren können.
Neben der Ernährung ist körperliche Aktivität ein weiterer Dreh- und Angelpunkt. Auch hier dominieren im Alltag oft Unsicherheiten: Was ist zu viel? Was darf ich trotz Fatigue? Was, wenn mein Gleichgewicht gestört ist? Die Leitlinien geben klare Empfehlungen: Aerobes und Krafttraining – jeweils zwei- bis dreimal pro Woche – ergänzt durch Beweglichkeits- und Balanceübungen, angepasst an die individuellen Einschränkungen. Apotheken können auch hier einen wichtigen Impuls setzen – etwa durch Aushänge, Broschüren oder direkte Gespräche, die Motivation fördern, ohne zu überfordern.
Der Welt-MS-Tag 2025 erinnert an die Vielfalt der MS und stellt die Menschen in den Mittelpunkt – nicht nur die Krankheit. Für Apotheken heißt das: Sie sind nicht nur Abgabestelle für Medikamente, sondern auch Reflexionsort, Begleiter, Vertrauensinstanz. Sie können durch einfühlsame Kommunikation, gute Information und realistische Hilfsangebote dazu beitragen, dass Menschen mit MS ihr Leben mit mehr Selbstbestimmtheit gestalten. Gerade in einer Gesellschaft, in der chronische Erkrankungen häufig noch mit Schweigen, Überforderung oder Stigmatisierung einhergehen, kommt der Apotheke damit eine gesellschaftlich tief verankerte Aufgabe zu. Sie macht sichtbar, was hinter den 1.000 Gesichtern wirklich steht: Mut, Strategie und der Wunsch nach einem möglichst stabilen Alltag.
Gefährliche Wirkung, fehlende Kontrolle, digitale Irreführung
Wie Nahrungsergänzungsmittel als Arzneien wahrgenommen werden, die Werbung auf Social Media falsche Sicherheiten schafft und der Verbraucherschutz auf Lücken stößt
Ob Detox-Kapseln, Haut-Elixiere oder Vitamin-Booster – in den sozialen Medien erscheinen Nahrungsergänzungsmittel (NEM) längst nicht mehr als harmlose Zusätze, sondern zunehmend als medizinisch wirkversprechende Lifestyle-Produkte. Influencer:innen inszenieren sie als Schlüssel zu Gesundheit, Ausstrahlung und Leistungsfähigkeit. Der Verbraucherzentrale Bundesverband warnt nun vor der zunehmenden Verwechslungsgefahr mit Arzneimitteln und fordert eine verschärfte Kontrolle – eine Forderung, die angesichts des digitalen Wirkungsraums längst überfällig scheint. Denn was auf TikTok als gesunder Immun- oder Leberkick verkauft wird, basiert häufig nicht auf wissenschaftlicher Evidenz, sondern auf klickstarker Narration. Die Schwelle zwischen Produktpräsentation und Gesundheitsversprechen verwischt – und mit ihr die Regulierungskompetenz der Behörden.
Laut einer repräsentativen Befragung im Rahmen des Projekts »Lebensmittelklarheit«, an der über 2.000 Personen teilnahmen, glauben 24 Prozent der Befragten, dass Nahrungsergänzungsmittel mit natürlichen Arzneimitteln gleichzusetzen seien. Rund 39 Prozent schreiben den Produkten eine präventive Wirkung zu, während 36 Prozent davon ausgehen, sie könnten bei Erkrankungen heilsam wirken. Die Marktwirklichkeit ignoriert dabei eine klare rechtliche Grenze: NEM gelten nach europäischem Recht als Lebensmittel – nicht als Arzneien. Sie benötigen keine Zulassung, keine klinische Prüfung, keine apothekenpflichtige Abgabe. Dennoch suggerieren ihre Vermarktungsstrategien häufig das Gegenteil – mit Folgen für Konsument:innen, besonders für junge Zielgruppen.
Wie tief diese Missverständnisse reichen, zeigt eine weitere Zahl aus der Befragung: Fast die Hälfte der Befragten geht fälschlich davon aus, dass Nahrungsergänzungsmittel vor dem Verkauf auf gesundheitliche Unbedenklichkeit geprüft würden. Ebenso glaubt ein erheblicher Teil, es gäbe verbindliche gesetzliche Höchstmengen für Inhaltsstoffe wie Vitamine oder Mineralstoffe. Beides trifft nicht zu – die Realität ist eine rechtliche Grauzone, die durch die rasante Ausbreitung über soziale Medien potenziert wird. Denn Plattformen wie YouTube, TikTok und Instagram fungieren als Gesundheitsberater zweiter Ordnung – allerdings ohne staatlich gesicherte Qualitätssicherung. Der Verbraucherzentrale Bundesverband spricht von »fragwürdigen Gesundheitsaussagen«, die sich millionenfach verbreiten, ohne überprüft, sanktioniert oder entfernt zu werden.
Zwar dürfen laut Health-Claims-Verordnung nur gesundheitsbezogene Aussagen gemacht werden, die von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) bewertet und zugelassen wurden – doch bei pflanzlichen Stoffen, sogenannten Botanicals, herrscht in vielen Fällen ein rechtsfreier Zwischenzustand. Während Aussagen über bestimmte Wirkungen untersagt sind, dürfen Hinweise auf eine »traditionelle Anwendung« oder »Erfahrungswissen« durchaus auftauchen – eine semantische Hintertür, durch die Marketingabteilungen gezielt Effekte suggerieren, die sie rechtlich nicht explizit behaupten dürfen. Dass über zwei Drittel der Befragten der Aussage »Ingwer hilft bei Entzündungen« glauben, obwohl dies wissenschaftlich nicht eindeutig belegt ist, unterstreicht die Wirkungskraft dieser Grauzonenkommunikation.
Besonders besorgniserregend ist die Rezeption solcher Inhalte durch Jugendliche. Die aktuelle Sinus-Jugendstudie 2024/2025 zeigt, dass sich junge Menschen bei Gesundheitsfragen primär über TikTok, YouTube oder Wikipedia informieren. Fachärztliche Expertise, Apothekenberatung oder evidenzbasierte Informationsportale spielen kaum eine Rolle. In dieser medialen Gemengelage können sich Gesundheitsmythen ungeprüft verfestigen – etwa die Idee, durch Vitamin-Supplementierung Krankheiten vorzubeugen oder »Entgiftungen« herbeizuführen, obwohl weder medizinisch eine Vitaminunterversorgung vorliegt noch das Konzept der Entgiftung durch Kapseln biologisch plausibel wäre.
Für die Verbraucherschützer liegt die Verantwortung nicht nur bei den Plattformen, sondern auch bei den Behörden. »Es braucht endlich gesetzlich festgelegte Höchstmengen für Vitamine und Mineralstoffe«, fordert Jochen Geilenkirchen, Teamleiter Lebensmittel beim vzbv. Zudem sei ein verpflichtendes Zulassungsverfahren auf EU-Ebene notwendig, um den Schutz der Verbraucher:innen strukturell abzusichern. Auch die Lebensmittelüberwachung in den Bundesländern müsse gestärkt und digital besser ausgestattet werden, um auf die Schnelligkeit und Reichweite der Social-Media-Verbreitung reagieren zu können.
Die Forderung ist nicht neu – doch sie erhält durch die aktuellen Zahlen neue Dringlichkeit. Wenn acht von zehn Menschen regelmäßig Nahrungsergänzungsmittel nutzen und mehr als die Hälfte dies wöchentlich tut, ist das kein Nischenmarkt mehr, sondern ein relevanter Versorgungssektor mit erheblichem Risikopotenzial. Dabei geht es nicht nur um die Wirkungslosigkeit mancher Präparate, sondern auch um mögliche Überdosierungen, Wechselwirkungen oder das Verdrängen sinnvoller Therapien. Gerade für vulnerablere Gruppen – chronisch Erkrankte, Jugendliche, ältere Menschen – kann das Vertrauen in nicht geprüfte Präparate zu realen gesundheitlichen Nachteilen führen.
Die Apothekerschaft ist hier in einer paradoxen Rolle: Einerseits beraten viele Apotheken aktiv zur sinnvollen Nutzung von Nahrungsergänzungsmitteln, andererseits konkurrieren sie mit Influencer-gestütztem Direktvertrieb, der in einer faktisch unregulierten Werbewelt agiert. Für eine fundierte Gesundheitsversorgung bräuchte es jedoch klare gesetzliche Rahmenbedingungen, die Fakten von Fiktion trennen – nicht nur in der Packungsbeilage, sondern auch im Feed.
HIV früh erkennen, Versorgung aktivieren, Stigmatisierung konsequent bekämpfen
Wie Apotheken beim Indikator-Management helfen, warum CD4-Zellen über Risiken entscheiden und das politische Versagen globale Folgen hat
Im Schatten stiller Symptome bleibt eine HIV-Infektion oft lange unerkannt – bis der Immunstatus bereits kollabiert. Der Münchner Infektiologe Professor Dr. Christoph Spinner hat auf dem Pharmacon-Kongress in Meran deutlich gemacht, dass das Wissen um sogenannte Indikatorerkrankungen nicht nur in ärztlichen Praxen, sondern auch in Apotheken zum Handwerkszeug gehören muss. Er plädiert dafür, Patientenkontakte besser zu nutzen, Risikoprofile entschiedener einzuschätzen und HIV-Tests proaktiv zu empfehlen. Eine Haltung, die mehr ist als medizinisches Handeln – sie ist ein politisches Statement gegen das globale Versagen in der HIV-Prävention.
Zentrale Messgröße für den Immunstatus HIV-infizierter Personen ist die Zahl der CD4-Zellen. Gesunde Menschen weisen zwischen 500 und 1500 solcher Zellen pro Mikroliter Blut auf. Fällt dieser Wert unter 200, liegt ein substanzieller Immundefekt vor – und damit das Risiko für sogenannte Aids-definierende Erkrankungen. Pneumozystose, Soor-Ösophagitis oder ein Wasting-Syndrom sind typische Beispiele. Wer solche Symptome erkennt, muss HIV zumindest in Betracht ziehen. Doch genau daran scheitert es immer wieder – selbst bei Fachkräften. Eine Berliner Studie, die Spinner zitierte, zeigt: Jeder fünfte Patient mit fortgeschrittener Infektion hatte bereits vorher Kontakt mit dem Gesundheitswesen – ohne dass ein HIV-Test angeboten wurde. Das ist kein Zufall, sondern Ausdruck struktureller Blindstellen im System.
Solche Versäumnisse haben Folgen. Wird eine HIV-Infektion erst spät entdeckt, steigen Komplikationen, Kosten – und die psychische Belastung. Eine effektive antiretrovirale Therapie (ART) kann heute zwar eine normale Lebenserwartung sichern, doch nur, wenn sie frühzeitig beginnt. Die derzeit bevorzugten Therapien, etwa Bictegravir/Emtricitabin/Tenofoviralafenamid oder Dolutegravir/Lamivudin, ermöglichen eine bequeme Ein-Tabletten-Lösung mit hoher Wirksamkeit. Doch kein Wirkstoff kann die Folgen verspäteter Diagnostik neutralisieren.
Darum rücken Indikatorerkrankungen ins Zentrum der Debatte. Ob Herpes zoster, Hepatitis B oder C, ungeklärtes Fieber oder sexuell übertragbare Infektionen – sie alle können Hinweise auf ein geschwächtes Immunsystem sein. Apothekenteams, so Spinner, müssen sich dieser Signale bewusst sein. Sie können – und sollten – Patientinnen und Patienten, die entsprechende Symptome zeigen oder Präparate für solche Erkrankungen abholen, in geeigneter Weise ansprechen und über HIV-Tests informieren. Dass dies gelingt, setzt Schulung, Sensibilität und ein Bewusstsein für die eigene Verantwortung voraus.
Technisch ist der Zugang einfach: In Apotheken sind HIV-Selbsttests der dritten Generation erhältlich, die HIV-spezifische Antikörper nachweisen. Ihr diagnostisches Fenster liegt bei etwa zwölf Wochen. Laborbasierte Tests der vierten Generation, die zusätzlich das p24-Antigen erkennen, verkürzen dieses Zeitfenster auf zwei bis sechs Wochen. Die testtechnische Seite ist also geklärt. Offen bleibt, wie man das Gespräch über ein Stigma führt, das bis heute tief sitzt.
Stigma ist die unsichtbare Mauer in der HIV-Prävention – und die politische Nachlässigkeit ihr zementierter Sockel. Spinner spart in Meran nicht mit Kritik: In Russland, Teilen der USA und vielen Schwellenländern wird HIV noch immer marginalisiert, ignoriert oder gar dämonisiert. Wo politische Programme versagen, steigen die Neuinfektionen. Deutschland steht im internationalen Vergleich nicht schlecht da – aber auch nicht gut genug. 95 Prozent aller HIV-Infizierten sollen laut UNAIDS-Zielvorgabe über ihren Status Bescheid wissen. Deutschland liegt aktuell bei 92 Prozent. Das ist zu wenig – gerade in einem System, das über die Mittel, das Wissen und die Infrastruktur verfügt, um mehr zu leisten.
Gerade hier zeigt sich die systemische Rolle der Apotheke neu: Als niedrigschwelliger Ort, als Gesundheitspartner mit Überblick über Medikationsprofile, als Kommunikationsschnittstelle zwischen Prävention, Diagnostik und Beratung. Doch diese Rolle ist in Deutschland institutionell weder abgesichert noch gefördert. Es fehlt an gesetzlicher Klarheit, politischem Willen und sektorübergreifender Kooperation. Wer HIV-Prävention in der Fläche will, muss Apotheken befähigen – rechtlich, personell, wirtschaftlich.
Dazu gehört auch, dass pharmazeutisches Personal fundierte Informationen zu HIV-Tests, Indikatorerkrankungen und Gesprächsstrategien erhält. Die Initiative Eurotest etwa bietet auf ihrer Website praxisnahe Leitfäden an. Solche Angebote müssen jedoch strukturell eingebunden, systematisch genutzt und finanziell unterfüttert werden. Weiterbildung darf nicht vom Engagement Einzelner abhängen.
Der Kampf gegen HIV ist längst kein rein medizinisches Projekt mehr. Er ist ein Gradmesser für das Zusammenspiel von Gesundheitswesen, Gesellschaft und Politik. Wer ihn bestehen will, muss bereit sein, die Komfortzone zu verlassen: Gespräche führen, die unangenehm sind. Tabus ansprechen, die lange verschwiegen wurden. Systeme hinterfragen, die unbemerkt Exklusion erzeugen.
Am Ende geht es darum, Leben zu verlängern – und Lebensverhältnisse zu verbessern. HIV ist nicht heilbar, aber behandelbar. Die Voraussetzungen sind vorhanden. Es braucht nur den Mut, sie auch zu nutzen. Die Apotheke kann dabei viel mehr sein als bloße Abgabestelle – sie kann Katalysator sein für ein anderes, entschlosseneres Gesundheitshandeln. Das Ziel: Kein Test zu wenig, kein Leben zu spät.
Pfeifen, forschen, führen – eine Frau mit Linie
Wie Riem Hussein zwischen Apotheke, Doktorhut und FIFA-Pfiff Geschichte schreibt
Sie trägt das weiße FIFA-Trikot mit derselben Selbstverständlichkeit wie den weißen Apothekerkittel, navigiert sicher durch Bundesliga-Spiele wie durch pharmazeutische Studienprotokolle – und hält sich dabei stets an eines: die Linie. Riem Hussein, promovierte Apothekerin und langjährige FIFA-Schiedsrichterin, ist zum fünften Mal zur „Schiedsrichterin des Jahres“ gekürt worden. Die Auszeichnung markiert keinen zufälligen Karrierehöhepunkt, sondern die verdiente Anerkennung eines konstanten Ausnahmewegs, auf dem sich Präzision, Führungsstärke und Belastbarkeit über zwei Welten hinweg gegenseitig befruchten: Sport und Pharmazie.
Im niedersächsischen Bad Harzburg aufgewachsen, zieht Hussein seit jeher klare Linien – ob auf dem Spielfeld oder im Labor. Ihre Promotion an der TU Braunschweig im Jahr 2009 trug den Titel „Charakterisierung von Hartfettmatrices und Lipidnanosuspensionen mit Phospholipon“, ein Thema, das pharmazeutisch komplexer kaum sein könnte. Während andere Kommilitoninnen nach dem Studium in den klassischen Apothekenalltag eintauchten, kombinierte Hussein Berufserfahrung bei Solvay und Abbott mit der Rückkehr in den elterlichen Betrieb, den sie heute gemeinsam mit ihren Geschwistern als OHG führt – eine familiär-professionelle Struktur, die ebenso auf Teamarbeit und Vertrauen beruht wie eine gut geführte Spielleitung auf dem Platz.
Dass Hussein sich auf beiden Feldern gleichermaßen souverän bewegt, verdankt sie ihrer klaren Auffassung von Verantwortung: Entscheidungen müssen nachvollziehbar, unabhängig und zügig sein – egal, ob bei der Arzneimittelabgabe oder bei einem Elfmeter in der Nachspielzeit. Schon 2005 begann sie als DFB-Schiedsrichterin, zwei Jahre zuvor hatte sie ihre aktive Spielerkarriere beendet. Ab 2006 kam sie regelmäßig in der Frauen-Bundesliga zum Einsatz, 2009 folgte der internationale FIFA-Status. Die Spiele, die sie seitdem leitete, reichen von der EM 2017 bis zur WM 2019 in Frankreich, wo sie bei drei Partien auf dem Rasen stand. 2010 pfiff sie das Finale des DFB-Pokals der Frauen – Duisburg gegen Jena – und setzte damit früh ein Zeichen für Qualität und Durchsetzungsfähigkeit.
Doch Husseins Karriere ist auch ein Beispiel für strategischen Rückzug bei gleichzeitiger Professionalisierung. Im Männerbereich war sie seit 2008 aktiv, zunächst in der Regionalliga, später – ab der Saison 2015/16 – in der 3. Liga. Nach 56 Partien zog sie zum Ende der Spielzeit 2023/24 selbst die Konsequenz: Schluss auf dem Platz, aber nicht im System. Als Video Assistant Referee bleibt sie weiterhin in der Bundesliga aktiv – mit kühlem Kopf, technischer Versiertheit und unbestechlichem Blick.
Dass ihre Vielschichtigkeit nicht nur innerhalb der Fußballwelt geschätzt wird, zeigt auch die wiederholte Ehrung durch den DFB. Nach den Titeln 2013, 2016, 2020 und 2021 erhält Hussein 2025 zum fünften Mal den Preis als Schiedsrichterin des Jahres. Dabei fiel die Wahl keineswegs nur einer Jury zu: Über 3.200 Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter stimmten ab – ein demokratisches Votum für Führungsqualität, Disziplin und Vorbildfunktion. Knut Kircher, selbst langjähriger DFB-Schiedsrichter und heute Geschäftsführer Sport und Kommunikation der DFB Schiri GmbH, nennt die Auszeichnung ein „Lebenswerk“, das Hussein wie Brych – dem männlichen Preisträger 2025 – zustehe.
Tatsächlich markiert der Gleichklang beider Auszeichnungen mehr als nur zwei herausragende Karrieren: Er zeigt, wie sehr sich der Schiedsrichterberuf professionalisiert hat, und wie sehr er heute auf Persönlichkeiten angewiesen ist, die mehr mitbringen als Regelkenntnis – etwa Kommunikationsstärke, Haltung, psychologische Feinfühligkeit und Resilienz. Eigenschaften, die auch in Apotheken täglich gefordert sind, gerade wenn es um Aufklärung, Umgang mit Unsicherheit oder interdisziplinäre Koordination geht.
Riem Hussein gelingt die Synthese dieser Anforderungen nicht nur, sie lebt sie – als Wissenschaftlerin, Unternehmerin, Kollegin, Schwester, Spielleiterin. In einer Zeit, in der multiprofessionelle Lebensläufe zur Ausnahme zählen, setzt sie ein Zeichen dafür, wie konsequent Vielfalt auch eine Stärke sein kann. Ihre Geschichte ist nicht bloß inspirierend – sie ist richtungsweisend.
Medizin auf dem Flur, Versorgung per Koffer, Hoffnung aus Luton
Wie Englands mobile Ärzteteams den Kliniknotstand lindern, Patienten vor Entmenschlichung schützen und das Gesundheitssystem auf der Straße neu denken
Als Colin auf dem Flur seiner Wohnung zusammenbricht, kommt nicht der Krankenwagen. Es klingelt an der Tür – eine Ärztin und eine Pflegekraft stehen da, mit einem Notfallkoffer und einem automatischen Hebestuhl. Statt Klinikflur, Intensivbett oder Krankenhausakte beginnt für den Patienten ein anderer Weg der medizinischen Versorgung: Zuhause, zwischen Couch und Esstisch. Was auf den ersten Blick nach Improvisation aussieht, ist in Wirklichkeit Teil eines systemischen Gegenentwurfs zur stationären Unterversorgung in Großbritannien. In Luton, einer Stadt nördlich von London, reagiert das Gesundheitswesen mit mobilen Krankenhausteams auf katastrophale Zustände in den Kliniken – und wagt eine radikale Umkehr: Weg von zentralisierter stationärer Hochleistung, hin zu dezentralisierter Näheversorgung.
Dass dieser Weg kein britisches Nischenmodell, sondern ein ernster Versuch ist, systemische Mängel zu kompensieren, zeigt die neue arte-Dokumentation »Re: Erste Hilfe für das britische Gesundheitssystem«. Darin dokumentieren Reporter hautnah, was es bedeutet, wenn Notfallmedizin, Palliativbegleitung und Akutbehandlung nicht mehr innerhalb von Klinikwänden stattfinden können – weil schlicht kein Platz mehr ist. Die OECD-Zahl spricht eine nüchterne Sprache: Während Deutschland mit 7,8 Krankenhausbetten je 1000 Einwohner ausgestattet ist, kommt Großbritannien gerade einmal auf 2,4. Die Folgen sind dramatisch.
In überfüllten Gängen sterben Patienten unbeobachtet, Pflegekräfte berichten von Zuständen, die sich jeder Vorstellung entziehen: Menschen, die in blutigen Bettlaken liegen, ohne gewaschen zu werden, Krebspatientinnen, deren Immunsysteme isoliert werden müssten, stehen hinter Paravents im Personal-Durchgang. Nicht aus Ignoranz, sondern aus Systemzwang. Denn längst ist nicht mehr der Mangel an Engagement das Problem, sondern der strukturelle Kollaps. Der 460 Seiten starke Report des Royal College of Nursing aus dem Januar belegt, dass Pflegende in Schränken, auf Parkplätzen und in umfunktionierten Lagerhallen behandeln müssen. Fast 67 Prozent geben an, täglich in ungeeigneten Räumen zu arbeiten.
Das Modell in Luton ist eine Konsequenz aus dieser Dauerkrise – aber auch ein gesellschaftspolitisches Statement: Wenn die Klinik nicht mehr erreichbar ist, muss die Medizin zu den Menschen kommen. In der Praxis bedeutet das: Mobile Ärzteteams versorgen pro Tag bis zu acht Patientinnen und Patienten zu Hause. Die Ärztin misst Vitalzeichen, gibt Infusionen, entscheidet, ob ein stationärer Aufenthalt notwendig ist – oder ob ein weiterer Hausbesuch reicht. Für das System ist das günstiger, schneller und vor allem menschlicher. 1700 Pfund kostet ein Krankenhausbett pro Nacht. Für einen Bruchteil davon lässt sich eine medizinische Mini-Infrastruktur mobilisieren, wie sie in Luton aufgebaut wurde. Der Clou: Die Einsätze reduzieren sogar die Anzahl von Rettungsfahrten. Allein im Januar 2025 konnten 300 Fahrten vermieden werden – durch telefonische Voreinschätzungen und mobile Teams.
Dabei ist der Dienst keineswegs ein „Pflegedienst mit Stethoskop“. Er ersetzt, was das stationäre System nicht mehr leisten kann. Eine Notärztin beschreibt, wie sie per Ferndiagnose entscheidet, ob ein Transport ins Krankenhaus sinnvoll ist – oder ob ein Verbleib zu Hause sicherer wäre. Der Zeitfaktor ist entscheidend: Bis zu zwölf Stunden Wartezeit für einen Notarztbericht sind in britischen Kliniken keine Seltenheit. Das System in Luton reagiert darauf mit pragmatischer Empathie – etwa, indem Rettungssanitäterinnen Menschen vor Ort davon überzeugen, nicht mit ins Krankenhaus zu kommen, sondern stattdessen auf das mobile Team zu warten.
Hinter dieser Strategie steht aber auch eine bittere Erkenntnis: Die Normalität des stationären Systems ist längst dysfunktional. Der Rückzug aus den Fluren der Krankenhäuser ist nicht Ausdruck von Schwäche, sondern von Handlungsmacht – ein letztes Aufbäumen gegen Entmenschlichung. Dass es dabei auch an Fachkräften fehlt, bleibt ungelöst. Die Belastung ist enorm: Mobile Ärztinnen sind täglich bis zu 12 Stunden unterwegs, mit knappen Pausen, administrativem Aufwand und psychischer Dauerbelastung. Doch sie machen weiter – aus Überzeugung, nicht aus Komfort.
Was diese Entwicklung für andere Länder bedeutet, wird in der Dokumentation nicht explizit diskutiert, ist aber hochaktuell: Auch in Deutschland mehren sich die Zeichen eines schleichenden Kapazitätsrückbaus in der stationären Versorgung. Kleine Kliniken schließen, Fachabteilungen fusionieren, personelle Engpässe häufen sich. Der Gedanke, dass Krankenversorgung auch außerhalb stationärer Infrastrukturen funktionieren kann, gewinnt damit an Relevanz. Entscheidend ist dabei nicht nur die Organisation, sondern auch die Haltung: Die mobile Ärztin in Luton bringt dem Patienten nicht nur Hilfe, sondern Würde. Das ist vielleicht das größte Kapital eines Systems, das am Rande seiner Leistungsfähigkeit operiert – aber neue Wege wagt.
Neue Therapien, neue Risiken, neue Chancen
Wie 2024 zum Schlüsseljahr für Arzneiinnovationen wurde, bei Fezolinetant die Debatte um Lebertoxizität aufflammt und Insulin icodec das Dosierungskonzept verändert
2024 war kein gewöhnliches Jahr für die pharmazeutische Innovation. Es war ein Jahr, das nicht nur durch die Anzahl neuer Wirkstoffe beeindruckte, sondern vor allem durch ihre Qualität, Tiefe und Bedeutung für die therapeutische Praxis. 39 neue Wirkstoffe wurden europaweit zugelassen – davon waren lediglich sieben klassische Analogpräparate. Das bedeutet: Über 80 Prozent der Neueinführungen boten entweder substanzielle Schritt- oder sogar Sprunginnovationen. Eine solche Verdichtung echter Neuerungen lässt sich in der Rückschau als Ausnahmeereignis interpretieren – und sie verlangt nach kritischer wie konstruktiver Einordnung. Denn mit den neuen Optionen steigen auch die Anforderungen an Überwachung, Indikationspräzision und ärztlich-apothekerliche Beratung.
Besonders im Fokus steht Fezolinetant – ein selektiver Neurokinin-3-Rezeptorantagonist, der unter dem Handelsnamen Veoza™ von Astellas Pharma als erste nicht-hormonelle Therapie gegen vasomotorische Symptome (VMS) in den Wechseljahren auf den Markt kam. In den Zulassungsstudien SKYLIGHT 1 und 2 zeigte sich eine signifikante Überlegenheit gegenüber Placebo – ein echter Durchbruch, insbesondere für Frauen, die keine Hormonersatztherapie (HRT) erhalten dürfen oder wollen. Doch dieser Fortschritt hat einen kritischen Haken: Es fehlt ein direkter Vergleich mit der HRT, die bei VMS weiterhin als Goldstandard gilt. Ohne diese Daten bleibt die klinische Bewertung unvollständig – insbesondere im Hinblick auf Wirksamkeit, Dauertherapie und Patientenpräferenzen. Noch brisanter aber ist die potenzielle Lebertoxizität: Ein aktueller Rote-Hand-Brief hebt hervor, dass unter Fezolinetant Leberschädigungen beobachtet wurden. Leberfunktionstests sind daher verpflichtend – ein Signal für die Praxis, dass Innovation nicht gleichzusetzen ist mit problemloser Integration.
Das Sicherheitsprofil und die indikationsspezifische Lücke treffen sich in einem weiteren Punkt: Patientinnen mit estrogenrezeptorpositivem Brustkrebs, die unter antihormoneller Therapie besonders häufig VMS entwickeln, wurden bislang systematisch aus Studien ausgeschlossen. Gerade sie könnten aber von einer nicht-hormonellen Option wie Fezolinetant profitieren. Aktuell wird diese Frage in der Phase-III-Studie HIGHLIGHT 1 geprüft. Die Konkurrenz schläft indes nicht: Bayer verfolgt mit Elinzanetant eine Parallelentwicklung und strebt von Beginn an eine Zulassung für beide Patientengruppen an – ein strategischer Schachzug, der das Rennen um die bessere VMS-Therapie verschärft.
Während die Sprunginnovation bei Fezolinetant in einer gezielten molekularen Wirkweise und einem konkreten klinischen Versorgungsproblem liegt, steht bei Delgocitinib eine technologische Grenzüberschreitung im Fokus: Als erster topischer JAK-Inhibitor zur Behandlung des chronischen Handekzems bietet er einen neuen Ansatz für eine schwer therapierbare Erkrankung. Unter dem Handelsnamen Anzupgo® – marketingwirksam an »Hands up and go« angelehnt – bringt der pan-JAK-Inhibitor Delgocitinib den JAK-STAT-Signalweg erstmals direkt über die Haut ins Visier. Studien wie DELTA-1 und -2 zeigten eine Placeboäquivalenz beim Nebenwirkungsprofil und eine klinische Wirksamkeit bei akuten Ekzemsymptomen. Der systemische Anteil bleibt gering – eine zentrale Eigenschaft in der topischen Therapie. Doch auch hier gibt es ein Schattenrisiko: In der Stoffklasse der JAK-Inhibitoren wurden in seltenen Fällen Basalzellkarzinome beobachtet. Für Delgocitinib ist dieser Effekt bisher nicht dokumentiert, dennoch bleibt ein potenzieller Klasseneffekt denkbar. Auch hier wird die Arzneimittelüberwachung eine entscheidende Rolle spielen.
Innovativ im Dosierungskonzept ist Insulin icodec – ein ultralangwirksames Basalinsulin, das unter dem Handelsnamen Awiqli® (ausgesprochen: Awikli) firmiert. Die molekulare Besonderheit liegt in der Kopplung des Insulinmoleküls über einen Spacer an eine Fettsäure, wodurch es nach subkutaner Gabe an Albumin bindet und über sieben Tage eine gleichmäßige Freisetzung ermöglicht. Das Ziel: Eine einzige Injektion pro Woche – eine Revolution im Alltag insulinpflichtiger Patientinnen und Patienten. Die pharmakokinetischen Eigenschaften sprechen für sich: stabile Plasmaspiegel, keine Speicherprobleme im subkutanen Fettgewebe und gute Handhabbarkeit. Doch auch hier stellt sich die Frage: Wie beeinflusst die verlängerte Wirkdauer das Hypoglykämierisiko? Wie wird die Patientenadhärenz durch die neue Frequenz tatsächlich verändert? Und wie reagiert die Versorgungsstruktur auf eine Insulintherapie, die sich nicht mehr in das klassische Tagesschema einfügt? Die Antworten sind noch offen, doch das Potenzial ist zweifellos vorhanden.
Was 2024 damit zeigt, ist ein doppelter Trend: Zum einen nimmt die therapeutische Präzision deutlich zu – weg von generischen Wiederholungen, hin zu individuelleren Wirkprinzipien. Zum anderen wachsen die Anforderungen an Risikoabwägung, Überwachung und Versorgungsintegration exponentiell mit. Sprunginnovationen wie Fezolinetant, Delgocitinib oder Insulin icodec sind mehr als nur neue Produkte. Sie markieren eine Phase, in der medizinischer Fortschritt wieder stärker in die Tiefe geht – und in der Apotheke wie Praxis gleichermaßen neue Fähigkeiten, klare Beratung und gezielte Risikoaufklärung gefragt sind.
Selbstbestimmung braucht Gesetzeswandel, Versorgung braucht Entlastung, Strafrecht braucht Reform
Warum der Ärztetag das Abtreibungsrecht neu denkt, wie §218 medizinische Praxis kriminalisiert und weshalb echte Gleichstellung nur jenseits des Strafgesetzes beginnt
Wer das Selbstbestimmungsrecht von Frauen nicht nur rhetorisch, sondern rechtlich ernst nimmt, kommt an einer fundamentalen Neubewertung des §218 StGB nicht vorbei – das zeigt die jüngste Positionierung der Bundesärztekammer auf dem Deutschen Ärztetag in Leipzig. Der Beschluss, Schwangerschaftsabbrüche in der Frühphase aus dem Strafrecht herauszulösen, ist nicht bloß Symbolpolitik eines Berufsstandes, sondern ein deutlicher Handlungsauftrag: Die Kriminalisierung reproduktiver Entscheidungen ist mit einer modernen Gesundheitsversorgung und mit der Gleichberechtigung der Geschlechter nicht vereinbar. Dass der Ärztetag dieses Thema aufgreift, während sich die politische Mehrheit weiterhin verweigert, illustriert eine wachsende Kluft zwischen gesetzlicher Norm und gesellschaftlicher Realität – aber auch zwischen medizinischem Handlungswissen und politischer Trägheit.
Denn faktisch ist ein Schwangerschaftsabbruch in Deutschland auch im Jahr 2025 nur unter Bedingungen erlaubt, die strafrechtlich negativ gerahmt sind: Er bleibt »rechtswidrig, aber straffrei«, wenn bestimmte Voraussetzungen – Beratungspflicht, Fristenwahrung, Indikationen – erfüllt sind. Dieser juristische Spagat hat gravierende Konsequenzen: Für Patientinnen bedeutet er nicht nur ein Stigma, sondern auch eingeschränkten Zugang zu sicheren Versorgungsstrukturen; für Ärztinnen und Ärzte bedeutet er Unsicherheit, Misstrauen und das Risiko von Anfeindungen oder juristischen Angriffen. Der Paragraf 218 steht nicht isoliert, er wirkt systemisch – als Signal an Gesellschaft, Justiz, Politik und Medizin, dass Fortpflanzungsentscheidungen unter Generalverdacht stehen.
Vor allem jedoch verhindert er strukturellen Fortschritt: Die Versorgungslage für ungewollt Schwangere ist angespannt – nicht nur im ländlichen Raum, sondern auch in Städten mit wenigen, häufig unter Druck stehenden Einrichtungen. Dass in vielen Bundesländern kaum noch Praxen zu finden sind, die überhaupt Schwangerschaftsabbrüche durchführen, ist direkte Folge der juristischen Rahmung. Wo potenziell strafrechtliche Relevanz besteht, weichen viele Leistungserbringende zurück. Die Folge: ein faktischer Versorgungsnotstand, der durch politische Blockadehaltung zementiert wird.
Dabei sprechen die Zahlen eine eindeutige Sprache: Laut einer im Auftrag des Bundesministeriums für Familie durchgeführten repräsentativen Befragung aus dem Jahr 2024 befürworten mehr als 78 Prozent der Deutschen eine vollständige Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in der Frühphase. Diese breite gesellschaftliche Zustimmung kontrastiert scharf mit der ablehnenden Haltung konservativer Kräfte, allen voran Bundeskanzler Friedrich Merz, der sich zuletzt klar gegen eine Entkriminalisierung aussprach. Die geplante Neuregelung scheiterte im Februar 2025 – trotz breiter Unterstützung von SPD, Grünen und mehr als 300 Bundestagsabgeordneten.
Doch die Debatte ist nicht neu. Sie reicht bis in die Weimarer Republik zurück, erlebte ihren erbitterten Höhepunkt in den 1970er-Jahren – mit Massenprotesten, Gerichtsurteilen und ideologischen Frontlinien. Der Kompromiss von 1995, der das heutige System der Beratungspflicht schuf, war ein mühsam errungener Ausgleich – aber eben auch ein Verzicht auf echte Entkriminalisierung. Seither hat sich vieles verändert: medizinische Standards, gesellschaftliche Haltungen, internationale Rechtsvergleiche. In den meisten europäischen Nachbarländern ist der Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafrechts geregelt – in Frankreich, den Niederlanden, Italien oder Spanien gilt das Recht auf Abbruch als Teil der reproduktiven Gesundheitsversorgung.
Umso größer ist die normative Schieflage in Deutschland, die mitunter groteske Formen annimmt: So müssen Frauen nach einer Vergewaltigung häufig nachweisen, dass sie nicht nur Anzeige erstattet, sondern auch ein Gutachten vorgelegt haben – was in der Praxis zu retraumatisierenden Verfahren führt. Auch medizinische Indikationen unterliegen strengen Prüfungen, bei denen nicht selten moralische oder institutionelle Widerstände mitspielen. Wer auf Basis der aktuellen Gesetzeslage Hilfe sucht, wird oft allein gelassen – oder muss ins Ausland ausweichen.
Der Deutsche Ärztetag hat das erkannt. Sein Beschluss fordert nicht nur die Entkriminalisierung, sondern auch eine Stärkung der Versorgungssicherheit und eine Aufwertung der Beratungsstrukturen. Dabei bleibt die Pflicht zur Beratung als Chance erhalten – nicht als Hürde. Die Bundesärztekammer betont, dass gerade in einer offenen, vorurteilsfreien Beratung Raum geschaffen werden kann, um Entscheidungen zu begleiten und medizinisch wie menschlich zu stützen – ohne Strafandrohung, ohne moralische Verurteilung, ohne politische Ideologisierung.
Die politische Verweigerung, diese Realität endlich gesetzgeberisch anzuerkennen, ist nicht nur ein frauenpolitisches Versagen, sondern auch ein gesundheits- und rechtsstaatliches Problem. Es zementiert ein antiquiertes Bild von Mutterschaft als Pflicht und stellt reproduktive Freiheit unter Vorbehalt – gegen den Willen der Mehrheit, gegen die Expertise der Fachleute und gegen jede zukunftsfähige Gleichstellungspolitik. Wer das Selbstbestimmungsrecht ernst nimmt, muss §218 abschaffen – nicht reformieren, nicht kosmetisch verändern, sondern klar und konsequent durch ein Gesetz ersetzen, das reproduktive Rechte als Teil der Gesundheitsversorgung anerkennt. Alles andere bleibt ein Rückfall in ein patriarchales System, das weder medizinisch noch moralisch Bestand hat.
Schwangerschaft als Risikomultiplikator, Präeklampsie als Frühwarnsystem, Forschung als Hoffnungsanker
Wie eine hypertensive Komplikation die Gefäßbiografie von Frauen prägt, therapeutische Lücken entlarvt und neue Ansätze zwischen Blutwäsche und RNA-Intervention
Präeklampsie ist keine vorübergehende Schwangerschaftskomplikation, sondern ein metabolischer Stresstest mit Langzeitfolgen – für Mutter wie Kind. Diese Einsicht zieht sich wie ein roter Faden durch den Vortrag von Professor Dr. Holger Stepan beim Pharmacon-Kongress in Meran. Der Leiter der Geburtsmedizin am Universitätsklinikum Leipzig wirft in seinem Referat nicht nur ein Licht auf die pathophysiologischen Details dieser hypertensiven Erkrankung, sondern rückt sie auch in einen größeren epidemiologischen und präventivmedizinischen Kontext. Seine zentrale These: Die Schwangerschaft ist ein Fenster zur kardiometabolischen Zukunft der Frau – wer hier genau hinschaut, kann Leben retten.
Präeklampsie, definiert durch erhöhten Blutdruck in Kombination mit Organfunktionsstörungen, entpuppt sich laut Stepan als epidemiologischer Risikomultiplikator: Frauen, die in der Schwangerschaft an dieser Form der Hypertonie leiden, tragen ein deutlich erhöhtes Risiko für spätere kardiovaskuläre Ereignisse – ein Risiko, das in seiner Dimension selbst Rauchen oder Adipositas übersteigt. So sei das kardiometabolische Risiko einer Frau nach einer Präeklampsie mit dem eines stark nikotinsüchtigen Mannes vergleichbar, erklärte Stepan zugespitzt. Besonders alarmierend: Wiederholte Präeklampsien wirken sich nicht nur additiv, sondern potenziell exponentiell auf die spätere Gefäßgesundheit aus. Die arterielle Voralterung, messbar am Bauchaortendurchmesser, entspricht bei betroffenen Frauen einem Verlust von etwa zehn physiologischen Gefäßjahren.
Diese Langzeitfolgen machen die strikte Blutdruckkontrolle während der Schwangerschaft umso relevanter – nicht nur zur Vermeidung akuter Komplikationen wie Plazentalösungen oder intrauteriner Wachstumsstörungen, sondern auch als Prävention künftiger Erkrankungen. Die früher verbreitete Sorge, eine antihypertensive Therapie könne zu untergewichtigen Neugeborenen führen, entkräftete Stepan klar: Eine solche Assoziation lasse sich in der Datenlage nicht belegen. Vielmehr plädiert er für eine konsequente medikamentöse Intervention ab 140/90 mmHg mit Zielwerten bei 135/85 mmHg. Bevorzugt werden α-Methyldopa, Labetalol, Nifedipin oder Metoprolol – wobei die Sorge um eine etwaige depressiogene Wirkung von α-Methyldopa im Wochenbett nachweislich unbegründet sei.
Noch immer ist die Ätiologie der Präeklampsie nicht vollständig entschlüsselt. Eine Schlüsselrolle spielt das gestörte Gleichgewicht zwischen dem plazentaren Wachstumsfaktor PlGF und seinem Antagonisten sFlt-1, einem löslichen Rezeptor, der angiogene Signale blockiert. Dieses Missverhältnis führt zu endothelialer Dysfunktion, Vasokonstriktion und gestörter Plazentaperfusion – zentrale Merkmale der Präeklampsie. In der klinischen Routine hat sich die prophylaktische Gabe von 150 mg ASS bis zur 34. Schwangerschaftswoche bei Risikopatientinnen etabliert – eine Maßnahme, deren Wirksamkeit durch Studien belegt ist. Hingegen seien Heparin und Fischöltherapien weder evidenzbasiert noch empfehlenswert.
Dass es bislang keine kausale Therapie gegen die manifeste Präeklampsie gibt, markiert eine der zentralen Versorgungslücken im Bereich der perinatalen Medizin. Derzeit bleibt nur die Entbindung mit Entfernung der Plazenta als ultima ratio – was bei Frühgeburten mit erheblichen Risiken für das Kind verbunden ist. Umso drängender stellt sich die Frage nach neuen therapeutischen Ansätzen, die über rein symptomatische Strategien hinausgehen.
In der translationalen Forschung gibt es derzeit drei Hauptlinien: die extrakorporale Entfernung von sFlt-1 durch Blutwäscheverfahren, die Neutralisation durch Antikörper sowie die Gabe von rekombinanten Wachstumsfaktoren wie PlGF oder VEGF. Am ambitioniertesten – und zugleich ethisch wie methodisch am herausforderndsten – ist die Genregulation von sFlt-1 durch small interfering RNA (siRNA). Präklinische Modelle zeigen vielversprechende Ergebnisse, doch der Schritt in die Humanstudie gestaltet sich angesichts potenzieller Plazentatoxizität, immunologischer Risiken und ethischer Limitationen schwierig.
Damit stellt sich eine grundsätzliche Frage: Wie kann die Medizin Frauen schützen, ohne den Fötus zu gefährden? Wie lassen sich molekulare Interventionen so gestalten, dass sie selektiv, reversibel und sicher sind? Und wie weit darf Forschung gehen, wenn es um das Leben von zwei Patienten gleichzeitig geht – Mutter und Kind? Die Präeklampsie ist damit nicht nur eine klinische Herausforderung, sondern ein ethisches Spannungsfeld. Sie zwingt zur interdisziplinären Kooperation von Geburtsmedizin, Kardiologie, Nephrologie, Molekularbiologie und Ethik.
Was aus klinischer Sicht wie eine temporäre Episode erscheint, ist in Wahrheit ein biometrischer Warnschuss: Die Schwangerschaft offenbart, was der Körper einer Frau in den kommenden Jahrzehnten erwartet. Für die Frauengesundheit bedeutet das eine paradigmatische Verschiebung: Weg von der reaktiven Behandlung akuter Symptome, hin zu einem prädiktiven Monitoring kardiometabolischer Signaturen. Der Geburtshelfer wird damit zum Chronisten künftiger Herzinfarkte – sofern er die richtigen Schlüsse zieht.
Von Engin Günder, Fachjournalist
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