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  • 30.05.2025 – Apotheken-Nachrichten von heute: Hochpreiser fordern Führung, Trickbetrug entlarvt Lücken, Marktverdrängung verschärft Druck
    30.05.2025 – Apotheken-Nachrichten von heute: Hochpreiser fordern Führung, Trickbetrug entlarvt Lücken, Marktverdrängung verschärft Druck
    APOTHEKE | Medienspiegel & Presse | Hochpreisarzneien, Sicherheitslücken und Versanddruck verändern Apotheken tiefgreifend. Der Bericht zeigt, warum wirtschaftliche Führun...

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APOTHEKE | Medienspiegel & Presse |

Apotheken-Nachrichten von heute: Hochpreiser fordern Führung, Trickbetrug entlarvt Lücken, Marktverdrängung verschärft Druck

 

Wie Apotheken zwischen wirtschaftlicher Belastung, Sicherheitsdefiziten und struktureller Konkurrenz ihre Zukunft behaupten müssen

Hochpreisarzneimittel belasten zunehmend die wirtschaftliche Stabilität von Apotheken, fordern präzise Führungsentscheidungen, versicherungstechnische Weitsicht und betrieblich abgesicherte Risikostrategien, gleichzeitig entlarvt der Trickbetrugsfall im Apothekenbotendienst in Bochum die strukturelle Unterschätzung des Sicherheitsniveaus im Versorgungsalltag und macht deutlich, dass Vertrauen ohne Kontrollmechanismen zur Schwachstelle werden kann, während parallel mit DocMorris eine aggressive Wettbewerbsdynamik entfesselt wird, die Apothekenschließungen instrumentalisiert, um Marktanteile zu verschieben und dabei die Versorgungsverantwortung aus dem öffentlichen Raum in digitale Vertriebslogik verlagert, flankiert von infrastrukturellen Störanfälligkeiten wie dem Krankenhausausfall in Radevormwald durch eine Maus, der die Anfälligkeit vermeintlich sicherer Versorgungssysteme drastisch sichtbar machte, einer Keuchhustenwelle mit über 25.000 Fällen, die eine politische wie operative Impflücke aufdeckt, einem realen Strukturwandel in Rieseby, wo Rabattterminals die Vor-Ort-Apotheke verdrängen, Rückrufen wie bei Melperon, die die Schwächen in Lieferkette und Qualitätssicherung unterstreichen, und einem Cannabisskandal in Fruchtgummis, der das Versagen elementarer Produktkontrollen offenlegt – in Summe ein Vielschichtendruck, der von Apotheken heute nicht nur Reaktion, sondern strategisches Leadership verlangt.

 

Wirtschaft strategisch denken, Risiken intelligent managen, Teamkompetenz gezielt ausbauen

Wie Hochpreiser den Apothekenalltag transformieren, welche Sicherheitsmechanismen notwendig sind und warum Versicherungen nicht länger Nebensache bleiben dürfen

In deutschen Apotheken entwickelt sich der Umgang mit Hochpreisern zunehmend zum doppelten Lackmustest – sowohl betriebswirtschaftlich als auch pharmazeutisch. Medikamente mit fünfstelligen Preisen pro Packung sind längst keine Ausnahme mehr, sondern markieren einen Wachstumsbereich mit vielschichtigen Anforderungen: an Liquidität, Personalführung, Patientensensibilität, IT-Infrastruktur und rechtliche Absicherung. Die Fallbeispiele, wie sie etwa Apotheker Steffen Kuhnert aus Düren schildert, sind exemplarisch für eine Branche, die inmitten von Preisdruck und Personalknappheit neue Kompetenzzonen erschließen muss – oder untergeht.

Der Weg zu den Hochpreisern war bei Kuhnert kein strategischer Masterplan, sondern Ergebnis pragmatischer Entscheidungen im Versorgungsgeschehen: Patient:innen, deren Rezepte andernorts abgelehnt oder nur verzögert bearbeitet wurden, fanden in seinen Apotheken Gehör – und blieben. Die Marktlücke war nicht gesucht, aber da. Dass sie heute eine tragende Säule seiner wirtschaftlichen und pharmazeutischen Positionierung geworden ist, verdankt sich einer aktiven Entscheidung: Hochpreiser nicht als Bedrohung, sondern als integrale Herausforderung zu begreifen. Dieser Perspektivwechsel – vom Defensivmodus zum strategischen Zugriff – ist der entscheidende Unterschied.

Doch dieser Unterschied verlangt Vorbereitung. Und Führung. Denn Hochpreiser sind kein Selbstläufer, sondern ein Risiko. Fehler in der Rezeptbelieferung oder in der Kommunikation mit Arztpraxen können hier nicht nur Versorgungsfolgen, sondern existenzielle wirtschaftliche Schäden nach sich ziehen. Kuhnert begegnet diesem Risiko mit zwei Werkzeugen, die in vielen Apotheken noch zu kurz kommen: strukturelle Klarheit und kollektives Bewusstsein. Das Vier-Augen-Prinzip ist dabei kein bloßer Kontrollmechanismus, sondern Teil einer Kultur der geteilten Verantwortung. Wer ein Fünfzigtausend-Euro-Präparat bestellt, tut dies bei Maxmo nicht im Alleingang, sondern mit Rückhalt – fachlich wie finanziell.

Parallel dazu rückt die Frage der Liquidität ins Zentrum. Die traditionelle Antwort darauf – das klassische Kontokorrent – verliert zunehmend an Attraktivität. Zinsen steigen, Banken werden restriktiver, die Planbarkeit sinkt. Kuhnert testet deshalb digitale Finanztools, etwa den Cash-Manager von Noventi, der auf Tagesbasis Liquidität freisetzt. Das Ziel: Entscheidungsspielräume vergrößern, ohne die Bankbeziehung zu überstrapazieren. Was als technische Spielerei erscheinen mag, ist in Wahrheit Ausdruck einer neuen ökonomischen Intelligenz im Apothekenwesen: Wer Hochpreiser bewältigen will, muss wirtschaftlich mitdenken – täglich, vorausschauend, präzise.

Doch nicht nur wirtschaftlich sind Hochpreiser anspruchsvoll. Auch die Wissensdimension verschiebt sich. Neue Wirkstoffe, neue Indikationen, neue Darreichungsformen – das pharmazeutische Personal steht vor der Wahl: fachlich stagnieren oder sich fortlaufend neu verorten. Kuhnert hat sich für Letzteres entschieden und dabei eine weitere Stärke mobilisiert: die Patient:innen selbst. Viele von ihnen sind therapieerfahren, medizinisch gebildet, oft verunsichert – und suchen im persönlichen Kontakt mehr als eine bloße Abgabestelle. Wer hier empathisch kommuniziert, offen mit Wissensgrenzen umgeht und Rückfragen nicht als Makel, sondern als Qualitätsmerkmal versteht, stärkt nicht nur die Bindung, sondern auch das fachliche Profil der Apotheke.

Das größte Hindernis bleibt jedoch oft intern. Angst vor Fehlern, Unsicherheit im Umgang mit hochkomplexen Verordnungen oder latentem Retax-Risiko können lähmen – oder strukturell kanalisiert werden. Kuhnerts Strategie ist klar: Fehler dürfen angesprochen werden, bevor sie passieren. Der Umgang mit Hochpreisern wird so zur Führungsaufgabe im besten Sinne – nicht durch autoritäre Kontrolle, sondern durch klare Regeln, transparente Prozesse und kollektives Lernen.

Genau an diesem Punkt schließt sich die Frage nach der Absicherung. Wer täglich mit Packungspreisen von mehreren zehntausend Euro operiert, muss sich gegen digitale und analoge Risiken wappnen – und zwar nicht hypothetisch, sondern präzise. Das reicht vom Schutz vor Rezeptfälschungen und IT-Ausfällen über interne Haftungsfragen bei Missverständnissen bis hin zu rechtlich abgesicherten Rückabwicklungen bei Arztfehlern. Klassische Inhaltsversicherungen und Warentransportdeckungen reichen hier nicht aus. Gefordert ist ein intelligenter Mix aus branchenspezifischer Berufshaftpflicht, Vertrauensschadenversicherung – insbesondere bei Personalwechsel – sowie ergänzender Rechtsschutzkomponenten. Auch Cyberversicherungen gehören heute zur Grundausstattung.

Wer Hochpreiser abgibt, trägt Verantwortung auf mehreren Ebenen – rechtlich, medizinisch, wirtschaftlich, menschlich. Die Illusion einer rein pharmazeutischen Aufgabe greift zu kurz. Hochpreiser zwingen Apotheken, sich neu zu definieren: als professionelle Versorgungseinheit mit klarer Prozesslogik, differenzierter Kommunikation und strukturell verankerten Schutzmechanismen. Dass dies gelingt, ist kein Selbstläufer. Aber eine Führungsentscheidung.

 

Falsche Apothekerin, reale Gefahr, strukturelles Risiko

Wie Trickbetrüger den Vertrauensvorschuss des Apothekenbotendienstes missbrauchen, warum das System neue Sicherheitskonzepte braucht und welche Verantwortung Betriebe dabei nicht abwälzen dürfen

Es ist ein Alltagsbild in Deutschland, das Vertrauen stiftet: Eine Botin der Apotheke klingelt an der Tür, übergibt diskret ein Paket, vielleicht ein paar erklärende Worte, dann ist sie schon wieder unterwegs zur nächsten Adresse. 300.000 solcher Botendienste werden laut Abda täglich durchgeführt. Sie gelten als Symbol wohnortnaher Gesundheitsversorgung, als Brücke zwischen stationärer Versorgung und häuslicher Realität. Doch in Bochum wurde dieses Vertrauen jüngst perfide missbraucht. Eine falsche Apothekenmitarbeiterin verschaffte sich mit einer raffinierten Geschichte Zugang zur Wohnung einer Seniorin – und ihre Komplizen nutzten das Vertrauen der 85-Jährigen, um sie zu bestehlen.

Der Vorfall ereignete sich mitten am Tag, in einem vermeintlich sicheren Umfeld. Eine unbekannte Frau, ausgestattet mit der passenden Geschichte und scheinbar routiniertem Auftreten, gab vor, eine Notiz für einen nicht erreichbaren Nachbarn in der Wohnung hinterlassen zu wollen. Die Seniorin ließ sie herein – ein Vertrauensakt, wie er in Apothekenkontexten tagtäglich stattfindet. Der Trick war einfach, aber effektiv: Während die vermeintliche Apothekenangestellte die ältere Frau ablenkte, schlichen sich zwei weitere Personen, ein Mann und eine Frau, in die Wohnung. Die drei Täter flüchteten wenige Minuten später mit Bargeld – in einem schwarzen SUV, so die Polizei. Die Täter sind noch flüchtig.

Was nach einem Einzelfall klingt, offenbart bei näherem Hinsehen ein strukturelles Risiko. Der Apothekenbotendienst lebt vom Vertrauen – und von der Gewöhnung. Gerade ältere Menschen öffnen ohne größere Prüfung, lassen Mitarbeitende der Apotheke herein, lassen sie mitunter sogar unbeaufsichtigt Medikamente erklären oder Dokumente ablegen. Die Grenze zwischen Dienstleistung und persönlicher Nähe ist fließend – und damit auch ein Einfallstor für Missbrauch. Denn weder tragen alle Zustellerinnen und Zusteller Dienstkleidung noch ist der Besitz eines Fahrzeugs mit Apothekenlogo eine zwingende Voraussetzung. Schon ein kurzer Anruf bei der Apotheke – vermeintlich im Namen des Nachbarn – oder das Auftreten mit einer Tasche im Apothekenstil kann reichen, um bei älteren Menschen Glaubwürdigkeit zu erzeugen.

Die Polizei reagiert mit einem vertrauten Hinweis: Niemand solle fremde Personen in die Wohnung lassen, egal wie plausibel die Geschichte erscheint. Doch dieser Hinweis allein reicht längst nicht mehr. Denn das System Botendienst hat sich von der Ausnahme zur Regel entwickelt – gerade in der Versorgung immobiler oder betagter Patientinnen und Patienten. Die Infrastruktur, die eigentlich Schutz und Sicherheit vermitteln soll, gerät nun selbst zum Einfallstor für Unsicherheit. Und Apotheken geraten zunehmend in eine Doppelrolle: Als Versorger mit hohem Vertrauensvorschuss einerseits, als potenzieller Risikofaktor durch mangelnde Kontrolle andererseits.

Sicherheitsvorgaben im Botendienst sind bislang freiwillig – sofern es nicht um den Transport von BtM oder temperaturkritischen Arzneimitteln geht. Es gibt keine bundesweit einheitliche Pflicht zur Legitimation von Apothekenboten, keine Kennzeichnungspflicht von Fahrzeugen, keine Schulungspflicht zur Erkennung von Gefahrensituationen an der Haustür. Dabei wäre genau das nötig, um sowohl Kundinnen als auch die Mitarbeitenden selbst zu schützen. Denn das Vertrauen, das hier ausgenutzt wurde, entsteht nicht nur durch die tägliche Nähe – es basiert auf der stillschweigenden Annahme, dass eine Apotheke weiß, wen sie in ihren Namen losschickt. Wenn dieser Eindruck beschädigt wird, droht der langfristige Vertrauensverlust ganzer Patientengruppen.

Auch die Versicherungsfrage bleibt bislang diffus: Wer haftet, wenn unter Vorspiegelung einer Apothekentätigkeit Straftaten begangen werden? Wie können sich Apotheken juristisch absichern, wenn ihr guter Ruf von Dritten zweckentfremdet wird? Und wie sieht es aus mit dem Reputationsrisiko, wenn Patientinnen und Patienten nicht mehr zwischen echtem und falschem Botendienst unterscheiden können – und sich aus Angst gegen eine Versorgung entscheiden?

Der Fall aus Bochum ist mehr als eine lokale Polizeinachricht. Er ist ein Warnsignal dafür, wie nah Versorgung und Verletzbarkeit beieinanderliegen – und dass Sicherheitskonzepte in der Apothekenlogistik kein freiwilliger Zusatz mehr sein dürfen, sondern integraler Bestandteil betrieblicher Verantwortung werden müssen. Denn solange Botendienste in Deutschland täglich Hunderttausende Türen öffnen, muss auch die Frage gestellt werden, wie viele dieser Türen nicht mehr geschlossen werden können, wenn der Vertrauensvorschuss verspielt wird.

 

Werbung macht Politik, Kontrolle verliert Takt, Versorgung wird Ware

Wie DocMorris mit aggressiver Kampagne auf Apothekenschließungen zielt, die Marktregeln unterwandert und Patientensicherheit zur Nebenrolle macht

Sie tauchen auf Plakaten, in TV-Spots und Social-Media-Kampagnen auf – kurz, provokant, wirksam: „Apotheke geschlossen? DocMorris!“ ist keine Frage, sondern ein Angriff. Die jüngste Werbewelle der niederländischen Versandapotheke setzt auf eine simple Gleichung: Der Rückzug der Vor-Ort-Apotheken wird nicht betrauert, sondern instrumentalisiert. Wer heute mit einem leeren Apothekenschaufenster konfrontiert wird, soll morgen mit dem Smartphone zum Bestellkunden werden. Was auf den ersten Blick nach cleverem Marketing aussieht, ist in Wahrheit ein Frontalangriff auf das System der Präsenzversorgung, flankiert von regulatorischen Schieflagen und einer neuen Eskalationsstufe im Verteilungskampf um die Zukunft des Arzneimittelmarkts.

Die Brisanz liegt im Systemversagen: Vor-Ort-Apotheken kämpfen unter wirtschaftlichem Druck, durch Fixhonorarkürzungen, Personalengpässe, steigende Energie- und Sicherheitskosten. Gleichzeitig schaffen es Versandapotheken, sich aus der Notlage einen Wettbewerbsvorteil zu bauen. Unterstützt durch international gestreute Konzernstrukturen, digitale Reichweite und gesetzliche Schlupflöcher, wird ein Marktsegment ausgebaut, das mit niedrigeren Kontrollhürden und steuerlicher Entlastung operieren kann. Die Werbung wirkt dabei wie ein Spiegel gesellschaftlicher Fehlsteuerung – und wie ein Katalysator für deren Fortschreiten.

Dass eine Versandapotheke aktiv mit der Misere ihrer Konkurrenz wirbt, markiert eine neue Grenze. Zwar unterliegen auch Versandapotheken der Apothekenbetriebsordnung und dem Heilmittelwerbegesetz, doch in der Praxis sind die Durchsetzungsmechanismen oft schwach, vor allem, wenn grenzüberschreitende Anbieter wie DocMorris mit Sitz in Heerlen agieren. Die aggressive Kommunikation wird bislang kaum effektiv sanktioniert, während Vor-Ort-Apotheken selbst bei kleinsten Werbeabweichungen abgemahnt oder retaxiert werden. Die Asymmetrie ist politisch gewollt – oder wird zumindest billigend in Kauf genommen.

Dabei geht es längst nicht mehr nur um Imageschäden oder den Verlust regionaler Versorgung. Die Werbekampagne trifft ins Herz eines Systems, das auf Vertrauen, Verfügbarkeit und persönliche Beratung angewiesen ist. Wenn ein Konzern das Schließen von Apotheken nicht nur ausnutzt, sondern kommunikativ befeuert, verschiebt sich das gesellschaftliche Bild von Versorgung. Statt empathischer Unterstützung für untergehende Versorgungsstrukturen gibt es Algorithmen-gesteuertes Ersatzverhalten: Der Patient wird zum Klick-Kunden, die Apotheke zur logistischen Restgröße.

Ein Blick auf die Entstehungsgeschichte zeigt, dass der Wandel lange vorbereitet wurde. Schon mit dem EuGH-Urteil zur Rx-Preisbindung 2016 wurde Versandapotheken aus dem Ausland ein rechtlicher Vorteil eingeräumt, der bis heute nicht neutralisiert wurde. DocMorris profitierte direkt davon – und nutzte die rechtliche Grauzone, um sich sukzessive als vollwertiger Versorger zu positionieren. In der Pandemiezeit erfolgte dann ein weiterer Sprung: Der Digitalisierungsdruck, gepaart mit der E-Rezept-Einführung, verschaffte Online-Anbietern strukturelle Vorteile, während viele Vor-Ort-Apotheken ihre IT erst mühsam nachrüsten mussten.

Die aktuelle Kampagne ist also kein Zufall, sondern Resultat jahrelanger Marktverdrängung, begünstigt durch politische Passivität und eine wachsende Entfremdung zwischen Gesundheitsversorgung und Marktlogik. Die Fragen, die sich daraus ergeben, sind systemischer Natur: Kann eine Gesundheitsversorgung funktionieren, wenn wirtschaftliche Stärke über regulatorische Fairness triumphiert? Wann kippt das Gleichgewicht zwischen digitaler Effizienz und sozialer Verantwortung? Und welche Rolle spielt der Staat, wenn Marktakteure mit dreisten Mitteln Tatsachen schaffen?

Die Antworten darauf bleiben diffus. Zwar fordern Apothekerverbände und einzelne Landespolitiker immer wieder eine Gleichstellung bei Kontrolle, Steuerpflicht und Werbung – doch die Bundespolitik verharrt in der Beobachterrolle. Gesundheitsminister Karl Lauterbach kommentierte den Werbefall nicht, während das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) für Werbeaufsicht formal nicht zuständig ist. Die Realität ist: Die Lücke zwischen regulierter Apothekenpflicht vor Ort und dereguliertem Onlinegeschäft vergrößert sich – und wird von Konzernen wie DocMorris strategisch genutzt.

Nicht zuletzt zeigt der Fall, dass Versorgungssicherheit nicht nur ein logistisches, sondern ein kulturelles Gut ist. Apotheken vor Ort bieten nicht nur Medikamente, sondern auch Beratung, Notdienst, Rezeptprüfung, Interaktionskontrolle, Impfdokumentation, Vertrauensbindung – alles Leistungen, die durch ein Paket im Briefkasten nicht ersetzt werden können. Wenn Werbung nun vermittelt, dass das alles obsolet sei, weil die „geöffnete“ Alternative digital funktioniert, verschiebt sich auch die gesellschaftliche Wahrnehmung des Apothekenberufs.

Es ist kein Zufall, dass die Antwort auf diese Kampagne nicht in einer Gegenkampagne liegt, sondern im politischen Diskurs. Wer Apotheken schließen lässt, muss wissen, was danach kommt – und wer das definiert. Wenn Konzerne wie DocMorris die Leerstelle besetzen, wird aus dem Rückzug eine Strategie. Und aus Versorgung eine Währung im Markt der Aufmerksamkeit.

 

Technik versagt durch Tierbefall, Versorgung bricht schlagartig ab, Versicherungen prüfen Haftungslücken

Wie eine Maus ein Krankenhaus lahmlegt, welche Parallelen zu Apotheken bestehen und warum Kühlgut-Policen zur Führungsentscheidung werden müssen

Es war kein Cyberangriff, kein gezielter Sabotageakt, kein technisches Großversagen – sondern eine Maus. In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch legte ein einzelner Nager durch einen Kurzschluss im Traforaum das gesamte Stromnetz eines Krankenhauses im nordrhein-westfälischen Radevormwald lahm. Die Folge: Evakuierung von 50 Patientinnen und Patienten, Alarmierung der Feuerwehr, Hochfahren der Notstromversorgung – und ein temporärer Kollaps der medizinischen Infrastruktur. Der Vorfall mag kurios klingen, doch er ist in seiner Tragweite ernst. Denn er offenbart in drastischer Deutlichkeit, wie fragil vermeintlich stabile Versorgungsnetze im Gesundheitswesen sein können – und wirft die entscheidende Frage auf, ob Apothekenbetreiber und Klinikleitungen strukturell überhaupt auf solche Risiken vorbereitet sind.

Was sich in einem Krankenhaus manifestierte, betrifft Apotheken in gleichem Maße – insbesondere mit Blick auf temperaturgeführte Lagerungen, empfindliche Rezepturen und betriebswirtschaftliche Verwundbarkeit. Eine unterbrochene Kühlkette infolge eines Stromausfalls kann nicht nur Medikamente unbrauchbar machen, sondern schnell zum Vermögensschaden in fünfstelliger Höhe führen. Anders als bei Großkliniken erfolgt in Apotheken die Schadensbegrenzung jedoch meist ohne externe Unterstützung, Notfallpläne sind selten dokumentiert, Kühlgut-Versicherungen werden oft nur lückenhaft abgeschlossen – oder gar nicht.

Zurück nach Radevormwald: Nach dem Kurzschluss registrierte die Brandmeldeanlage Rauchentwicklung, die Feuerwehr traf ein, und es zeigte sich schnell, dass die Notstromaggregate nur begrenzte Flächen der Klinik versorgen konnten. Da eine vollständige Netzstabilisierung nicht absehbar war, entschied die Klinikleitung in Abstimmung mit dem Kreisgesundheitsamt zur sofortigen Räumung. Eine logistische Meisterleistung, aber zugleich Ausdruck systemischer Schwäche. Denn der gesamte Vorfall offenbart ein eklatantes Missverhältnis zwischen technischer Realität und theoretischer Notfallplanung.

Genau hier liegt die Parallele zu Apothekenbetrieben: Auch sie agieren in hochgradig technisierten Systemen, deren Redundanzen nur auf dem Papier existieren. In Apotheken entscheidet ein durchgehender Betrieb von Kühlschränken über die Verwendbarkeit kühlpflichtiger Arzneimittel – vom Impfstoff über insulinpflichtige Präparate bis hin zu patientenindividuellen Rezepturen. Fällt der Strom aus, sind binnen Stunden Schäden zu erwarten – oft irreversibel. Wer hier nicht vorsorgt, riskiert nicht nur wirtschaftliche Einbußen, sondern auch haftungsrelevante Konsequenzen. Der Fall Radevormwald macht damit auf einem anderen Feld deutlich, was im Apothekenwesen längst Realität ist: Sicherheit muss technisch gedacht, organisatorisch verankert und versicherungstechnisch abgesichert sein.

Betriebswirtschaftlich gesehen entsteht in derartigen Fällen ein komplexes Geflecht aus Kosten, Haftungsfragen, Regressansprüchen und Nachweispflichten. Kliniken haben eigene Risikoabteilungen, Rückverlegungspläne und ein formales Schadensmanagement. Apotheken dagegen stehen oft alleine vor der Entscheidung, wie sie Kühlgut-Schäden nachweisen, was die Versicherung übernimmt – und ob überhaupt eine Police abgeschlossen wurde, die diesen Schadensfall abdeckt. Denn viele Apothekeninhaber verlassen sich auf klassische Inhaltsversicherungen, die jedoch bei Kühlgutverlusten durch Stromausfall mitunter Ausschlüsse vorsehen. Eine branchenspezifische Kühlgut-Versicherung, ergänzt um Ertragsausfallschutz, wird damit zur elementaren Führungsfrage. Nicht aus betrieblichem Komfortdenken, sondern aus Gründen betrieblicher Existenzsicherung.

Gleichzeitig offenbart sich ein kultureller Defekt: Risiko wird im deutschen Gesundheitswesen häufig retrospektiv bewertet, nicht antizipierend. Erst der Schaden zwingt zur Reaktion. Dabei zeigen Ereignisse wie der in Radevormwald, dass präventive Sicherheitsstrategien nicht in der IT-Abteilung enden dürfen. Gebäudesicherheit, Schädlingsschutz, Transformator-Abschirmung, Notfallbeleuchtung, redundante Kühlung – all das muss im Ernstfall funktionieren. Und zwar nicht im Sinne einer abstrakten Risikoanalyse, sondern im Alltag.

Für Apotheken ist das keine akademische Debatte. Es geht um konkrete Produktverluste, mögliche Retaxationen wegen nicht mehr verkehrsfähiger Arzneimittel und im schlimmsten Fall um die Schließung für mehrere Tage – mit entsprechenden wirtschaftlichen Folgen. Deshalb rückt der Abschluss einer Kühlgut-Versicherung mit spezifizierter Schadensabdeckung immer mehr in den Fokus betriebswirtschaftlicher Planung. Die Anforderungen steigen: Temperaturüberwachung, automatisierte Dokumentation, Stromausfallsensorik, Anbindung an Alarmierungssysteme. Wer hier aufrüstet, sichert nicht nur Kühlgut, sondern den gesamten Betrieb.

Die zentrale Lehre aus dem Maus-bedingten Klinik-GAU lautet also: Mikroereignisse können Makrofolgen haben. Und der Unterschied zwischen Kontrollverlust und Systemerhalt liegt oft in unscheinbaren Elementen – sei es ein Trafo, ein Kühlschrank oder eine unscheinbare Versicherungsklausel. Führung bedeutet, genau an diesen Schnittstellen präventiv zu agieren. Der Stromausfall in Radevormwald sollte nicht als Anekdote verbucht, sondern als strategisches Frühwarnsignal verstanden werden – für Kliniken ebenso wie für Apotheken.

 

Steinmeiers Worte, Steinhagels Wirkung, Apotheken im Echoraum

Wie eine Rede ohne Versandapothekenbezug die Branche aufwühlt, warum Missverständnisse zum Debattenmotor werden und wofür Apotheken jetzt Haltung zeigen müssen

Der Bundespräsident spricht – und eine Branche zittert. Was zunächst wie ein überzogener Reflex klingt, hat sich Mitte Mai zu einer realen Kommunikationsdynamik entfaltet: Frank-Walter Steinmeier hielt eine Rede zur Bedeutung des bürgerschaftlichen Engagements, erwähnte kein Wort zu Apotheken, doch gerade diese Stille entzündete in Fachmedien, Standesvertretungen und Teilen der Pharmaöffentlichkeit ein bemerkenswertes Echo. In Talk-Formaten wurde der „Apothekenmoment“ herbeigeredet, in Kommentaren die „Nicht-Erwähnung“ als politische Entwertung interpretiert – und schließlich eine mediale Debatte angestoßen, in der aus rhetorischer Auslassung eine systemische Kränkung wurde. Dabei war der eigentliche Kern der Rede nicht nur eindeutig, sondern auch anschlussfähig: das soziale Rückgrat in Zeiten gesellschaftlicher Umwälzung. Wer ihn suchte, hätte ihn finden können – auch für Apotheken. Dass dennoch eine emotionale Verstimmung dominierte, legt strukturelle Bruchlinien offen: zwischen Selbstbild und Fremdwahrnehmung, zwischen Anspruch und Erwartung, zwischen öffentlicher Resonanz und tatsächlicher Einbindung in politische Narrative.

Apotheken, so die berechtigte Forderung vieler Berufsangehöriger, seien mehr als nur Arzneimittelabgabestellen. Sie böten Gesundheitsberatung, seien niedrigschwellige Versorgungsorte, manchmal letzte Gesprächspartnerin des Tages – gerade in strukturschwachen Regionen. Doch wenn dieses Selbstverständnis auf Bundespräsidialebene nicht gespiegelt wird, stellt sich die Frage: Liegt das an der mangelnden Sichtbarkeit des Systems – oder an einer sprachlichen Rhetorik, die für komplexe Versorgungslagen keine Worte mehr findet? In der systemischen Betrachtung wird klar: Die Auseinandersetzung mit Steinmeiers Rede ist ein Lackmustest für die kommunikative Anschlussfähigkeit der Apothekerschaft an das politische Zentrum.

Denn was hier geschieht, ist ein Lehrbuchbeispiel für das, was Politikwissenschaftler „Interpretationsvakuum“ nennen: Eine Lücke, in die Bedeutung hineingedeutet wird – entweder um Anschluss zu finden oder um sich aus der Anschlusslosigkeit herauszudefinieren. Dass dabei eine „Versandapothekenlücke“ vermutet wurde, verweist auf ein empfindliches, tief sitzendes Misstrauen gegenüber der Gleichwertigkeit des Apothekensystems. Und auf ein unterschwelliges Trauma: zu oft übergangen, zu selten betont, meist nur dann politisch relevant, wenn es um Lieferengpässe oder Vergütungsprobleme geht. Die Entfesselung der Debatte war daher weniger Ausdruck von Empörung über ein Nicht-Gesagtes – sondern über ein nicht länger Erträgliches.

Mit Blick auf die Rolle der ABDA, ihrer Präsidentin Gabriele Regina Overwiening und die jüngst selbstbewussteren Töne aus Berlin wird das Ganze noch spannungsgeladener. Statt mit einem Schulterschluss auf die Rede zu antworten, statt die geöffnete Arena des sozialen Engagements für sich zu reklamieren, wurde der Fokus auf die Abwesenheit von Begrifflichkeiten gelegt. Diese Selbstverzwergung führt zum eigentlichen strategischen Problem: Wer nicht selbst benennt, wo die eigene gesellschaftliche Relevanz liegt, überlässt anderen die Deutungshoheit.

Dabei hat die Rede durchaus politische Schnittstellen geboten: Wenn Steinmeier von „verlorenen Orten“ spricht, dann sind Apotheken in ländlichen Regionen davon genauso betroffen wie Dorfbibliotheken oder Jugendclubs. Wenn er von „Alltagsheldinnen“ spricht, dann sind Apothekenangestellte darunter genauso zu verstehen wie Pflegerinnen oder Erzieher. Die Herausforderung liegt nicht in der fehlenden Nennung, sondern im fehlenden Brückenschlag.

Diese Brücke müsste nun professionell gebaut werden: durch einen öffentlichen, positiven Reframing-Prozess der eigenen Rolle. Durch konkrete Beteiligungsangebote. Durch das Aufzeigen, dass Versorgung eben nicht nur durch ärztliche oder pflegerische Dienste erfolgt, sondern integrativ, oft interdisziplinär – und dass Apotheken dabei nicht nur ein Logistiksystem betreiben, sondern eine soziale Infrastruktur.

Die Lektion aus der „Steinmeier-Stille“ lautet also nicht, künftig jeden rhetorischen Fauxpas zur Kampflinie zu erklären. Sondern, sich mit Haltung in gesellschaftliche Diskurse einzuschalten, auch wenn diese nicht explizit das Wort „Apotheke“ enthalten. Denn dann hat die Profession ihren Platz nicht nur verdient – sie nimmt ihn sich.

 

Impflücken öffnen Keuchhusten Tür und Tor, Nestschutz versagt, Frühkinderrisiko explodiert

Warum Deutschland den stärksten Pertussisausbruch seit Jahrzehnten erlebt, wie Immunisierungsketten brechen und welche Verantwortung jetzt bei Schwangeren und Ärzten liegt

Mit der Wucht eines Weckrufs brechen die Keuchhustenzahlen des Jahres 2024 über das deutsche Gesundheitssystem herein. Mehr als 25.200 Fälle – ein Höchststand seit Einführung der bundesweiten Meldepflicht im Jahr 2013. Die Krise hat Struktur, Rhythmus und Ursache: eine massive Durchlässigkeit in den Immunisierungsketten, die besonders Schwangere und Kinder gefährlich ungeschützt lässt. Was sich in den Zahlen verbirgt, ist kein bloßer Ausbruch, sondern ein dokumentierter Kollaps präventiver Logik, genährt durch Impfmüdigkeit, Informationsdefizite und systemische Versäumnisse im Versorgungsalltag.

Der Verlauf ist weder singulär noch isoliert: Bereits im Mai 2024 sind mehr Keuchhustenfälle registriert worden als im gesamten Vorjahr. In einer Zeit, in der Infektionsschutz durch pandemische Lektionen eigentlich ins kollektive Gedächtnis übergegangen sein sollte, reißt Pertussis erneut Lücken in die Vulnerabilitätskarte der Bevölkerung – mit globalem Echo. Frankreich, England, die USA und China melden zeitgleich massive Anstiege. Der historische Vergleich macht die Entwicklung noch dramatischer: weltweit handelt es sich laut Fachanalysen um die stärkste Pertussiswelle seit Jahrzehnten. Deutschland ist kein Randphänomen, sondern Teil einer strukturellen Epidemie der Nachlässigkeit.

Besonders fatal ist die Verlagerung des Krankheitsgeschehens in die verletzlichste Altersgruppe: Säuglinge. Rund die Hälfte der betroffenen Kinder unter einem Jahr muss stationär behandelt werden. Der sogenannte Nestschutz – also der immunologische Schutz durch Antikörpertransmission von der Mutter auf das Neugeborene – versagt, wenn Mütter ungeimpft sind. Laut Robert-Koch-Institut waren 81 Prozent der Mütter erkrankter Säuglinge während der Schwangerschaft nicht gegen Pertussis immunisiert. Diese Zahl ist nicht nur epidemiologisch ein Alarmsignal, sondern moralisch ein Notruf. Denn der Schutz von Neugeborenen beginnt nicht mit der Geburt, sondern mit präventiver Verantwortung im dritten Trimenon.

Das Bild, das sich aus den Daten des Robert-Koch-Instituts ergibt, ist glasklar: Die Durchimpfungsraten sinken – und zwar auf gefährlich niedrige Werte. Nur noch 64 Prozent der Kinder erhalten die dritte und damit letzte Dosis der Grundimmunisierung im vorgesehenen Zeitfenster. Über ein Drittel bleibt ungeschützt oder unvollständig geimpft. Dieser Trend, so warnen Infektiologen, öffnet zyklischen Ausbrüchen Tür und Tor. Zwar liegt die Impfquote bei jüngeren Kindern offiziell noch bei etwa 93 Prozent (Stand 2018), doch dieser Durchschnitt täuscht über wachsende Kohortendefizite hinweg.

Keuchhusten ist kein neues Phänomen, sondern ein altbekannter Gegner mit zyklischer Wiederkehr. Alle vier bis sechs Jahre steigen die Fallzahlen sprunghaft an – ein Effekt, der auf die nachlassende Immunität auch bei Geimpften sowie auf Versorgungslücken zurückzuführen ist. Die Impfstoffe, die derzeit in Deutschland verwendet werden, basieren auf azellulären Komponenten – meist drei- oder fünfwertig – und gelten als sicher, aber weniger langlebig wirksam als frühere Ganzkeimimpfstoffe. Die Diskussion um Impfstoffwahl tritt jedoch hinter eine weitaus kritischere Erkenntnis zurück: Der Impfstoff wirkt nur, wenn er verabreicht wird – und zwar vollständig und rechtzeitig.

Die Rolle der Ständigen Impfkommission (Stiko) ist in diesem Zusammenhang deutlich und präzise: Die Empfehlung umfasst eine 6-fach-Kombinationsimpfung (DTaP-IPV-Hib-HepB) im Säuglingsalter – mit Impfterminen im 2., 4. und 11. Lebensmonat – sowie Auffrischimpfungen in der Kindheit, Jugend und im Erwachsenenalter. Insbesondere Schwangere sollen im dritten Trimenon erneut geimpft werden – unabhängig vom zeitlichen Abstand zur letzten Impfung. Diese Maßnahme schützt das Neugeborene durch maternale Antikörper. Doch der Weg von der Empfehlung zur tatsächlichen Durchführung ist offenbar gestört: durch mangelnde Beratung, durch medizinischen Alltag, der Impfen nicht priorisiert, und durch eine öffentliche Kommunikation, die das Risiko Pertussis in der Präventionshierarchie zu weit nach unten rutschen ließ.

Die Verantwortlichkeit liegt dabei auf mehreren Schultern. Ärzte müssen ihre Kontrollfunktion konsequenter wahrnehmen – jeder Arztkontakt sollte zur Impfstatusüberprüfung genutzt werden. Apotheken, die zunehmend in Präventionsaufgaben eingebunden werden, können zur Impferinnerung beitragen, etwa durch Aufklärungskampagnen oder digitale Impfpass-Checks. Auch Bildungseinrichtungen, Elternberatungen und Gynäkologen haben einen entscheidenden Hebel: Denn wer Schwangeren nicht aktiv zur Impfung rät, riskiert aktiv das Wohlergehen des Neugeborenen.

Zugleich erfordert die aktuelle Situation eine neue strategische Verortung der Impfkommunikation. Die Pertussiswelle 2024 beweist, dass Informationsmaterialien, Empfehlungen und Broschüren nicht ausreichen. Es braucht proaktive Ansprache, niedrigschwellige Impfmöglichkeiten – etwa in Geburtsvorbereitungskursen, bei Jugenduntersuchungen oder in Apotheken – sowie einen gesetzlichen Rahmen, der Nachlässigkeit nicht belohnt. Impfprävention darf nicht allein dem individuellen Gewissen überlassen bleiben, wenn die Risiken kollektiv getragen werden.

Die gesundheitspolitische Dimension dieser Entwicklung ist eindeutig: Pertussis ist ein Paradebeispiel dafür, wie ein kontrollierbarer Erreger durch systemisches Versagen erneut zum dominierenden Gesundheitsrisiko werden kann – nicht durch Mutation, sondern durch gesellschaftliche Fahrlässigkeit. Die Chance liegt im Kurswechsel. Impfpflichten sind nicht vorgesehen, doch Impfdruck muss erzeugt werden – durch transparente Daten, durch Erinnerungsmechanismen, durch institutionelle Bündnisse, die Impfen nicht als Option, sondern als Selbstverständlichkeit kommunizieren.

Bleibt die Frage: Wie viel Warnung braucht es noch, bevor Impflücken geschlossen werden? Der aktuelle Ausbruch ist kein Schicksal, sondern Folge unterlassener Prävention. Und Prävention beginnt mit Aufklärung, Verfügbarkeit und Verantwortung. In allen Lebensphasen, bei jeder Patientengruppe – und ohne Verzug.

 

Rabatte provozieren Rückzug, Terminals ersetzen Vertrauen, Ortsversorgung verliert Legitimation

Wie eine Apothekenschließung in Rieseby zum Symbol für unfaire Marktverschiebung, rabattsensible Terminalpolitik und das Ende kollegialer Versorgung wird

In der kleinen Gemeinde Rieseby an der Schlei verdichtet sich gerade ein Strukturwandel, der beispielhaft steht für das, was vielerorts im Stillen geschieht: Das gewachsene Verhältnis zwischen Patient und Apothekerin wird durch die Logik des Terminals ersetzt, pharmazeutische Beratung weicht algorithmischer Effizienz, und am Ende bleibt eine Schaufensterzeile mit der Aufschrift „geschlossen“ – während keine 500 Meter weiter ein Bildschirm mit Rabattaktionen lockt. Was hier wie ein betriebswirtschaftlicher Einzelfall erscheint, ist in Wahrheit die Eskalation einer Versorgungsideologie, die sich aus der Logik des Wettbewerbs speist, aber jeden Anspruch auf Kollegialität preisgibt.

Die Schulhaus-Apotheke in Rieseby schließt, das ist beschlossene Sache. Die Inhaberin, seit Jahren im Ort verwurzelt, stemmte sich lange gegen die ökonomische Realität: geringe Frequenz, zu wenig Nachwuchs, zu viel bürokratischer Druck. Doch jetzt gibt sie auf – nicht freiwillig, sondern kapitulativ. Der Entschluss fiel zu einem Zeitpunkt, als sich bereits ein Terminal im Edeka-Supermarkt ankündigte – aufgestellt von einem Kollegen aus der Umgebung, dessen Name vor Ort nicht unbekannt ist. Was die Apothekerin zunächst als Konkurrenz auf Distanz betrachtete, wandelte sich rasch in einen direkten Konflikt, als der Terminalbetreiber auf einmal mit Rabattaktionen warb. Zehn Prozent auf rezeptpflichtige Arzneimittel – eine Offerte, die die schließende Apothekerin empfindlich trifft, denn: „Ich muss noch abverkaufen, um wirtschaftlich halbwegs aus der Sache herauszukommen.“

Dass sich nun eine weitere Apothekerin in das kleine Gefüge einmischte und mit dem Gedanken spielte, ebenfalls ein Terminal aufzustellen, verschärfte die Dynamik. Um seine Position abzusichern, startete der erste Terminalbetreiber eine Preisoffensive – rein rechtlich gedeckt, strategisch wirksam, aber emotional toxisch. Für die Inhaberin der Schulhaus-Apotheke wirkt der Schritt wie ein Schlag ins Gesicht. „Das ist unkollegial“, sagt sie. Und man glaubt ihr, dass es weniger um die Höhe des Rabatts geht als um den Zeitpunkt und das Signal. Dass Patientinnen und Patienten im Ort zur Rabattprämie verführt werden, während sie die Türen ein letztes Mal öffnet, fühlt sich für sie wie ein Abgesang auf alles an, was sie über Jahre aufgebaut hat: Beziehung, Verlässlichkeit, Gesicht.

Es ist genau diese Konstellation, die die Debatte über Terminals in eine neue Dimension hebt. In der Theorie galten sie als technische Ergänzung, als Zugangskanal für dünn besiedelte Regionen. Doch in der Praxis mutieren sie zunehmend zum Hebel einer aggressiven Marktstrategie, in der sich Filialisten oder entferntere Apothekenbetreiber in die Nahversorgung drängen – digital präsent, aber ohne soziale Rückbindung. Und das verändert mehr als nur Betriebsbilanzen.

Was mit der Terminaloffensive in Rieseby einhergeht, ist ein schleichender Wandel der Versorgungskultur. Die Terminalstruktur erlaubt das Einspielen zentralisierter Preisaktionen, ermöglicht entpersonalisierten Zugang zu Medikamenten und ersetzt die unmittelbare Verantwortung durch Prozessroutinen. Es gibt keine Apothekerin mehr, die man um Rat fragen kann, kein Gegenüber, das Therapietreue einschätzt oder auf Wechselwirkungen hinweist. Stattdessen gibt es Rabattcodes, Bildschirmdialoge, Paketfächer.

Gerade in einer Übergangssituation, wie sie in Rieseby gegeben ist, wirkt dieser Bruch besonders hart. Wer gestern noch zur Beratung in die Schulhaus-Apotheke ging, steht morgen allein vor einem Display. Und wer heute aus Verbundenheit die alteingesessene Apothekerin unterstützt, fühlt sich morgen als ökonomisch irrational. Denn Rabatte setzen eine neue Erwartung: Wer sie nutzt, handelt klug; wer sie meidet, verliert Geld – so die implizite Botschaft.

Die Situation in Rieseby offenbart auch einen strukturellen Blindspot in der Versorgungsregulierung. Es gibt keine Regeln, die kollegiales Verhalten einfordern würden, keine Schranken für zeitlich gesteuerte Preisdynamiken in Umbruchsphasen. Der moralische Kompass bleibt Sache der Akteure selbst. Wer vor Ort bleibt, erwartet Loyalität. Wer digital expandiert, kalkuliert Reichweite. Die Spannung entsteht genau dazwischen.

Was bleibt, ist mehr als eine Apothekenschließung. Es ist ein Stück kollektiven Vertrauensverlusts – in das System, in das Miteinander, in die Idee, dass Versorgung mehr sein kann als ein logistischer Akt. Wenn selbst die letzten Abverkäufe eines Ortsbetriebs durch Rabattaktionen unterlaufen werden, dann stirbt nicht nur ein Geschäft. Dann stirbt ein Ort.

Denn Terminals können viel – aber sie können nicht trösten. Nicht in den letzten Tagen eines Betriebs, nicht in der Sprachlosigkeit, die bleibt, wenn Türen für immer schließen.

 

Qualitätsrisiko erkennen, Versorgungslage verschärfen, Sicherheit verantworten

Warum Ratiopharm Melperon-Filmtabletten zurückruft, wie sich Bruchstellen auf Patientenschutz auswirken und was der Fall über strukturelle Schwächen im Engpassmanagement offenlegt

Es sind nicht die spektakulären Rückrufe, die das Vertrauen in Arzneimittel erschüttern, sondern die stillen, technisch klingenden Hinweise auf mikroskopisch kleine, doch makrosystemisch relevante Defekte – wie jener, der aktuell Melperon-Filmtabletten von Ratiopharm betrifft. Sichtbare Bruchstellen auf Tabletten der 25-mg-Stärke veranlassten den Generikahersteller zu einem vorsorglichen Rückruf zahlreicher Chargen. Was zunächst wie eine routinierte Maßnahme aus dem Lehrbuch pharmazeutischer Qualitätssicherung wirkt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als ein Kristallisationspunkt gleich mehrerer Problemzonen im deutschen Arzneimittelsystem: Die lückenhafte Kontrolle der Lieferketten, die fragile Verfügbarkeit zentraler Wirkstoffe und eine zunehmend überforderte Risikokommunikation stehen hier in einer kaum noch zu übersehenden Wechselwirkung.

Melperon, ein niedrigpotentes Neuroleptikum mit dopaminblockierender Wirkung, gilt als bewährtes Präparat zur Behandlung von Schlafstörungen, Verwirrtheitszuständen und innerer Unruhe. Seine Rolle ist dabei weniger spektakulär als stabilisierend – gerade in geriatrischen oder psychiatrischen Settings ist es nicht selten die einzige gut verträgliche Alternative zu aggressiveren Antipsychotika. Entsprechend empfindlich reagiert das Versorgungssystem auf Ausfälle. Dass sich die betroffenen Tabletten zwar äußerlich verändert, aber nicht zwangsläufig in ihrer Wirksamkeit beeinträchtigt zeigen, ändert nichts an der Relevanz des Rückrufs. Sichtbare Bruchstellen gelten in der Arzneimittelsicherheit als unmittelbares Warnsignal: Sie können auf Produktionsprobleme, fehlerhafte Pressvorgänge oder Stabilitätsmängel hinweisen – und sie durchbrechen die Integrität eines Arzneimittels dort, wo Patientenerwartung, Zulassungsvorgabe und Herstellungsverantwortung aufeinandertreffen.

Bruchstellen markieren in diesem Fall mehr als einen physikalischen Makel. Sie symbolisieren eine Versorgung, die in Teilen bereits selbst rissig geworden ist. Denn der Rückruf trifft auf ein ohnehin angespanntes Umfeld: Melperon in anderen Wirkstärken – insbesondere 50 mg und 100 mg – ist laut BfArM derzeit bereits als lieferengpassgefährdet eingestuft. Aristo, ein weiterer Anbieter, meldet für seine Produkte signifikante Einschränkungen bis weit in das zweite Halbjahr hinein. Vor diesem Hintergrund droht eine therapeutische Lücke, die nicht nur Apotheken organisatorisch herausfordert, sondern Ärztinnen und Ärzte dazu zwingt, ihre Verordnungen auf schwer kalkulierbare Alternativen umzustellen – ein Risiko, das insbesondere bei vulnerablen Patientengruppen wie Älteren oder Menschen mit Demenz zur medizinischen Eskalation führen kann.

Wie in zahlreichen vergleichbaren Fällen tritt auch hier das strukturelle Missverhältnis zwischen pharmazeutischer Präzision und ökonomischer Marginalität zutage. Melperon ist seit Jahrzehnten im Markt, der Patentschutz längst abgelaufen, der Preis gedrückt. Die betroffenen Packungsgrößen – 20, 50 und 100 Stück – zählen zum generischen Basisspektrum. Im Rabattvertragssystem rangieren sie unter den niedrigmargigsten Segmenten. Hersteller wie Ratiopharm sichern sich durch hohe Volumina Marktanteile, tragen aber das Risiko von Qualitätsschwankungen entlang komplexer Produktionsketten, die häufig ins europäische Ausland oder nach Asien ausgelagert sind. Sichtbare Bruchstellen, so harmlos sie optisch erscheinen mögen, entlarven in diesem Kontext die Schattenseite industrieller Effizienz: Arzneimittelqualität ist eben nicht nur eine Frage analytischer Prüfung, sondern auch organisatorischer und regulatorischer Stabilität.

Auch die Kommunikation spielt in solchen Fällen eine entscheidende Rolle. Der Rückruf erfolgte im Rahmen der „fortlaufenden Qualitätskontrolle“ – eine Formulierung, die auf systemische Sorgfalt verweist, zugleich aber nicht präzisiert, wie viele Packungen betroffen sind, ob es konkrete Beschwerden gab oder ob Patienten bereits Einnahmeprobleme meldeten. Apotheken werden aufgefordert, betroffene Chargen zu identifizieren und an den Großhandel zurückzugeben. Doch in der Alltagsrealität vieler Betriebe, die mit Lieferausfällen, E-Rezept-Pannen und Personalmangel ringen, bedeutet ein solcher Vorgang nicht nur logistischen Mehraufwand, sondern auch therapeutische Unsicherheit – was tun, wenn kein Ersatz verfügbar ist, der Patient das Präparat aber dringend benötigt?

Einzelfälle wie dieser verweisen damit auf systemische Stellschrauben, die neu justiert werden müssten. Erstens: Die Erkennung und Meldung von Qualitätsmängeln gehört in ein digitales Frühwarnsystem, das über Chargeninformationen hinaus patientennahe Echtzeitdaten verarbeitet. Zweitens: Der Engpassstatus muss nicht nur dokumentiert, sondern aktiv gesteuert werden – etwa durch priorisierte Importregelungen oder die temporäre Freigabe alternativer Wirkstoffe mit vergleichbarem Wirkspektrum. Drittens: Der Gesetzgeber muss sich endlich der strukturellen Schwäche der Niedrigpreisversorgung stellen – wo Arzneimittel wirtschaftlich kaum tragfähig produziert werden können, darf die Patientensicherheit nicht zur Verhandlungsmasse werden.

Die Melperon-Bruchstellen mögen klein erscheinen, ihr Bedeutungshorizont reicht jedoch weit. Denn sie legen offen, wie fragil die Verbindung zwischen pharmazeutischer Sicherheit, regulatorischer Kontrolle und wirtschaftlicher Realität geworden ist. Ein Rückruf wird in diesem Kontext nicht nur zur Maßnahme der Qualitätssicherung, sondern zum Indikator systemischer Reizschwellen. Und wenn diese Risse nicht geschlossen werden, könnten schon die nächsten Bruchstellen mehr als nur Tabletten betreffen.

 

Unwissen schützt nicht, Kennzeichnung versagt, Vertrauen verpufft

Wie Cannabis in Fruchtgummis Kindern gefährlich wurde, welche Lücken bei Lebensmittelkontrollen sichtbar werden und warum Prävention mehr braucht als Rückrufe

Sie waren bunt, süß und augenscheinlich harmlos – doch der Schein trog. Als in den Niederlanden mehrere Menschen, darunter Kinder, nach dem Verzehr von Haribo-Fruchtgummis mit Unwohlsein reagierten, wurde rasch klar: Hier stimmte etwas nicht. Eine Analyse der niederländischen Lebensmittel- und Produktsicherheitsbehörde (NVWA) brachte es ans Licht – in mindestens drei Großpackungen des Sortiments „Happy Cola“ wurden Spuren von Cannabis festgestellt. Was wie ein Stoffwechselirrtum klang, entpuppte sich als ernstzunehmender Vorfall mit potenziell systemischen Implikationen: für Lebensmittelkontrollen, für Produkthaftung – und für das Vertrauen in vermeintlich harmlose Alltagsprodukte.

Die Umstände sind brisant. Dass sich ein psychoaktiver Stoff wie Cannabis in Kinder-Süßigkeiten wiederfindet, ist kein Skandal der klassischen Art – sondern eine toxische Mischung aus Kontrollversagen, Informationslücke und psychotropem Risiko. Die betroffenen Produkte stammten ersten Erkenntnissen zufolge aus einer regulären Charge, produziert unter der Flagge eines der bekanntesten Süßwarenhersteller der Welt. Dass nun ausgerechnet ein Markenartikel, der als Synonym für Qualitätsstandard gilt, zum Vehikel eines Drogenfunds wird, erhöht die Brisanz und stellt grundsätzliche Fragen an den gesamten Kontrollapparat: Wie sicher sind verpackte Lebensmittel in Europa? Welche Schutzmechanismen greifen – und wo versagen sie?

Haribo selbst zeigte sich laut Unternehmensangaben erschüttert und betonte, man nehme den Vorfall „sehr ernst“. Die Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden laufe eng, ein vorsorglicher Rückruf sei umgehend eingeleitet worden. Doch auch wenn die Kommunikationsstrategie dem Handbuch für Krisen-PR entspricht, bleibt eine bittere Wahrheit bestehen: Der Schaden ist bereits angerichtet – materiell, gesundheitlich, psychologisch. Die Bilder der betroffenen Kinder, die über Übelkeit, Schwindel und Angstzustände klagen, sind ebenso verstörend wie die Vorstellung, dass ein solches Ereignis nur eine Charge entfernt ist vom regulären Verkauf im deutschen Einzelhandel.

Die Ursache der Verunreinigung ist derzeit noch ungeklärt. Die niederländische Polizei hat Ermittlungen aufgenommen. Ob es sich um einen gezielten Sabotageakt handelt, ein technisches Versehen oder ein bislang unbekanntes Sicherheitsleck in der Produktionskette – jede Variante ist alarmierend. Denn während andere europäische Länder liberaler mit Cannabis umgehen, gilt nach wie vor: Der gezielte oder fahrlässige Zusatz von THC oder verwandten Cannabinoiden in nicht-deklarierten Lebensmitteln ist rechtlich wie gesundheitlich höchst bedenklich. Gerade bei Kindern wirken die Substanzen deutlich stärker und unkontrollierter – was nicht nur medizinische, sondern auch juristische Konsequenzen nach sich ziehen kann.

Die Aufarbeitung des Falls wird Wochen, vielleicht Monate dauern. Vieles deutet darauf hin, dass sich die Cannabis-Spuren nicht in der Rezeptur selbst befanden, sondern erst später in die Produktionslinie eingebracht wurden – womöglich über eine kontaminierte Zutat, möglicherweise durch ein externes Eindringen. Doch selbst wenn der technische Pfad bald rekonstruiert werden kann, bleibt ein zentrales Problem bestehen: Die Regelwerke zur Lebensmittelkontrolle, insbesondere bei internationalen Massenprodukten, scheinen nicht mehr mit der Realität Schritt zu halten. Stichprobenverfahren, automatische Scans, Dokumentationspflichten – all diese Instrumente schützen nur dann, wenn sie konsequent, durchgängig und lückenlos greifen.

Für den Verbraucher stellt sich derweil die Frage nach der Verantwortung. Dass Kinder unbeabsichtigt Cannabis konsumieren, ist ein Alptraum für Eltern – und ein Dilemma für Aufsichtsbehörden. Wer haftet? Was ist mit der Produkthaftung, was mit dem Vorsorgerecht? Und wo beginnt – ganz praktisch – die Verbraucherschutzpflicht, wenn es um Produkte geht, die explizit für Minderjährige gedacht sind? Der Rückruf durch Haribo mag korrekt sein, aber er reicht nicht aus. Denn der Vorfall ist kein Einzelfall in einem isolierten Land, sondern ein Beispiel für strukturelle Fragilität im globalisierten Lebensmittelhandel.

Die Diskussion über cannabisähnliche Stoffe in Süßwaren ist nicht neu. Bereits in den vergangenen Jahren hatten Fälle in den USA und Kanada für Aufsehen gesorgt, in denen Kinder unbeabsichtigt zu THC-Gummibärchen griffen – meist aufgrund optischer Ähnlichkeit oder fehlender Kennzeichnung. Auch in Europa tauchen immer wieder Produkte mit CBD oder anderen Cannabisderivaten auf, teils legal, teils in Graubereichen des Lebensmittel- und Arzneimittelrechts. Die Grenzziehung ist diffus, die Kontrollen schwerfällig. Genau das ist das Risiko: Wenn Normen und Narrative auseinanderklaffen, entstehen Räume, in denen Sicherheit zur Option wird – und nicht zur Pflicht.

Gerade weil sich der Vorfall um ein beliebtes Massenprodukt wie „Happy Cola“ dreht, besteht hier die Chance zur Korrektur. Es braucht nicht nur die lückenlose Aufklärung des aktuellen Falls, sondern eine Neubewertung der Kontrollsysteme, eine striktere Kennzeichnungspflicht auch für zufällig kontaminierte Produkte, ein erweitertes Monitoring entlang der Lieferkette. Besonders kritisch: In einem System, das auf globalisierte Zutaten, flexible Zulieferer und just-in-time-Produktion setzt, kann ein winziger Fehler in einem Glied der Kette katastrophale Folgen im Endprodukt haben – ohne dass ein Unternehmen dies in Echtzeit merkt.

Gesetzgeberisch könnte der Fall Signalwirkung entfalten. Denn der Unterschied zwischen „künstlicher Aromatisierung“ und „kontaminierender Substanz“ ist im geltenden EU-Lebensmittelrecht teils schwer zu operationalisieren. Es bräuchte also klare, verbindliche Vorgaben, ab wann ein Lebensmittelprodukt sofort gestoppt, analysiert und rückverfolgt werden muss – unabhängig davon, ob bereits Symptome vorliegen. Eine Cannabisverunreinigung ist kein Einzelfehler – sie ist eine Warnung. Und als solche muss sie behandelt werden. Nicht durch Presseerklärungen, sondern durch Systemveränderung.

 

Apotheken stagnieren, Kliniken wachsen, Versand drängt nach

Wie der Marktumbau im ersten Quartal die Kräfte verschiebt, Apotheken wirtschaftlich ausbremst und neue Vertriebsrealitäten formt

Während der deutsche Pharmamarkt im ersten Quartal 2025 insgesamt zulegt, treten die Vor-Ort-Apotheken wirtschaftlich auf der Stelle – ausgerechnet in einer Zeit, in der das Versorgungsnetz der Fläche dringend ökonomische Stabilität bräuchte. Die jüngsten Zahlen von Iqvia zeichnen ein fein strukturiertes, aber klar divergierendes Bild der Marktdynamik: Klinik und Versandhandel wachsen mit Tempo, während die Apotheken ihren Umsatz nur leicht steigern und im Absatz kaum zulegen. Diese Verschiebung ist mehr als eine temporäre Momentaufnahme – sie ist Ausdruck einer tiefgreifenden Reallokation von Marktanteilen und regulatorisch induzierten Wettbewerbsverzerrungen, die das System der Präsenzversorgung systematisch untergraben.

Im Umsatz legt der Gesamtmarkt auf Basis der Herstellerabgabepreise (ApU) um 7 Prozent auf 16,6 Milliarden Euro zu – ein ordentlicher Wert, hinter dem sich jedoch deutliche Unterschiede verbergen. Die Vor-Ort-Apotheken generieren mit 14,2 Milliarden Euro den größten Brocken, kommen aber lediglich auf ein Wachstum von 6,4 Prozent. Der Klinikmarkt dagegen legt um 10 Prozent auf 2,4 Milliarden Euro zu und setzt damit ein deutliches Signal: Die Rückverlagerung von Therapien in stationäre Versorgungskanäle ist in vollem Gange. Und auch der Versandhandel meldet sich zurück: Zwar liegen keine Gesamtzahlen für Rx und Non-Rx vor, doch im für Versand relevanten OTC-Segment stiegen die Umsätze um 7,3 Prozent auf 940 Millionen Euro. Diese Dynamik zeigt: Wo Apotheken stagnieren, entstehen neue Räume – und diese füllen andere.

Die Umsatzsteigerung im Apothekenmarkt speist sich überwiegend aus dem verschreibungspflichtigen Bereich (Rx), der um 6,6 Prozent auf 12,4 Milliarden Euro zulegte. Dass dieses Wachstum nicht auf eine gestiegene Versorgung zurückgeht, sondern zu einem guten Teil auf den gesenkten Herstellerrabatt von 12 auf 7 Prozent zurückzuführen ist, entlarvt die Kennziffer als politisch getriebene Illusion. Der frei verkäufliche Bereich (Non-Rx) legt mit 5,2 Prozent auf 1,8 Milliarden Euro zu – ein Wert, der unter dem Versandzuwachs liegt und erneut die strukturellen Wettbewerbsnachteile der Apotheken im OTC-Segment offenbart.

Im Absatzbereich fällt das Bild noch verhaltener aus. Gemessen in Zähleinheiten stagniert der Gesamtmarkt mit einem Plus von nur 0,4 Prozent bei 25,5 Milliarden Einheiten. Apotheken liefern davon 23,5 Milliarden Einheiten (plus 0,4 Prozent), Kliniken rund 2 Milliarden (plus 0,2 Prozent). In Packungen gerechnet zeigt sich ein leicht anderes Bild: Der Apothekenmarkt kommt auf 443,9 Millionen Packungen (plus 1,9 Prozent). Während der Rx-Bereich mit 202,7 Millionen Packungen lediglich um 0,7 Prozent zulegt, verbucht der OTC-Bereich ein Plus von 2,9 Prozent. Diese Werte erscheinen auf den ersten Blick robust – doch in Relation zum Versandhandel, der mit 77 Millionen OTC-Packungen ein Plus von 4 Prozent realisiert, wird deutlich: Die Vor-Ort-Apotheken verlieren auch auf kleinster Einheitsebene Marktanteile.

Ein weiteres Indiz für die angespannte Struktur der Versorgung ist der Blick auf die GKV-Abrechnungen. Im ersten Quartal wurden zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung 189,4 Millionen Packungen (plus 0,4 Prozent) im Wert von 14,6 Milliarden Euro (plus 4,6 Prozent) abgegeben – ein moderater Zuwachs, der jedoch in keinem Verhältnis zu den realen Kostensteigerungen auf Betriebsmittelseite steht. Während die Einnahmen stagnieren, explodieren die Kosten für Personal, Energie, IT und Miete – eine betriebswirtschaftliche Schere, die längst in den Teams ankommt.

Besonders aufschlussreich ist der Blick in den Monatsverlauf: Januar und März waren im Rx-Segment stark, mit Umsatzzuwächsen von 9,2 und 8,1 Prozent und Absatzplus von 2,5 bzw. 1,3 Prozent. Der Februar allerdings fällt mit einem schwachen Plus von 1,4 Prozent im Umsatz und sogar einem Minus von 2,6 Prozent im Absatz aus der Reihe. Diese Volatilität unterstreicht die strukturelle Fragilität der Versorgungslage: Wenige externe Impulse – etwa Lieferengpässe, E-Rezept-Störungen oder saisonale Erkrankungswellen – reichen aus, um die Dynamik temporär zu kippen.

Was sich in den Zahlen verdichtet, ist ein struktureller Trend: Der Präsenzmarkt verliert an Elastizität, Resilienz und Ertragskraft, während alternative Vertriebsmodelle – Klinik und Versand – kontinuierlich zulegen. Diese Dynamik wird durch regulatorische Anreize noch befeuert: Während Kliniken durch zentrale Einkaufsmodelle profitieren und Versandapotheken über skalierbare Margen operieren können, sehen sich die Vor-Ort-Apotheken mit wachsendem Aufwand und sinkender Marge konfrontiert. Politische Maßnahmen wie das ALBVVG oder die Umsetzung des E-Rezepts haben bislang keine substanzielle Entlastung gebracht – im Gegenteil: Die Belastungen steigen weiter, während die politischen Versprechen versanden.

Die aktuelle Marktanalyse liefert keine Entwarnung, sondern ein Frühwarnsignal. Wenn Apotheken wirtschaftlich nicht mehr Schritt halten, werden sie politisch, regulatorisch und versorgungstechnisch ins Hintertreffen geraten. Die strukturellen Wachstumsimpulse fehlen, während operative Kostenbelastung und organisatorischer Druck zunehmen. Das Risiko, dass die Präsenzversorgung schleichend durch alternative Modelle ersetzt wird, ist längst nicht mehr hypothetisch – es manifestiert sich in jeder Packung, die nicht mehr über die Ladentheke, sondern per Klick ins Haus gelangt.

 

Langzeitwirkung bestätigt klinische Relevanz, Leberwerte bleiben im Fokus, Phase-III-Ziele rücken näher

Fenebrutinib überzeugt erneut bei MS – doch das Risiko bleibt Teil der Strategie

Als Roche im Oktober 2023 erste klinische Daten zu Fenebrutinib veröffentlichte, war der Tenor eindeutig: Die Reduktion von MS-Läsionen und das gezielte Eindringen in das zentrale Nervensystem deuteten auf einen vielversprechenden therapeutischen Fortschritt hin – gerade für Patienten mit schubförmiger Multipler Sklerose (RRMS), die auf bestehende Therapien unzureichend ansprechen. Doch nur zwei Monate später kam der Dämpfer: Die US-Zulassungsbehörde FDA bremste das klinische Entwicklungsprogramm teilweise aus, nachdem bei mehreren Probanden Leberwertanomalien mit Verdacht auf Arzneimittel-induzierte Leberschäden festgestellt wurden. Die Diskussion über Nutzen und Risiko schien neu eröffnet – doch nun liefert Roche erneut Daten, die in ihrer klinischen Relevanz kaum zu relativieren sind.

Auf der diesjährigen Jahrestagung des Consortium of Multiple Sclerosis Centers (CMSC) in Phoenix stellte der Pharmakonzern neue Ergebnisse vor, die insbesondere den Langzeiteffekt von Fenebrutinib in den Fokus rücken: Über einen Zeitraum von 96 Wochen sei es gelungen, Krankheitsaktivität und Behinderungsprogression nahezu vollständig zu unterdrücken. Diese Aussage ist nicht weniger als ein strategisches Versprechen – ein Beleg für das Potenzial eines Bruton-Tyrosinkinase-Inhibitors, der selektiv und zentral wirksam in die Pathophysiologie der MS eingreift.

Dass Fenebrutinib ein BTK-Hemmer ist, markiert den Unterschied zu etablierten Therapien. Während klassische MS-Medikamente primär auf entzündliche Schübe und immunmodulatorische Effekte zielen, greift Fenebrutinib an einem zentralen Signalprotein an, das sowohl B-Zellen als auch Mikroglia beeinflusst – und damit gleich zwei entscheidende Treiber der Neuroinflammation. Diese doppelte Zielstruktur könnte erklären, warum der Effekt nicht nur akut, sondern auch über zwei Jahre hinweg stabil bleibt. Dass es sich dabei nicht um rein theoretische Modellannahmen handelt, sondern um klinisch dokumentierte Effekte, erhöht die therapeutische Relevanz des Mittels erheblich.

Gleichzeitig bleibt das Sicherheitsprofil der kritische Prüfstein für die weitere Entwicklung. Die im Dezember 2023 kommunizierten Transaminasen- und Bilirubinerhöhungen hatten die Debatte über Arzneimittelsicherheit neu entfacht – nicht zuletzt, weil sie bei symptomfreien Patienten entdeckt wurden und reversibel waren. Dennoch bleibt der mechanistische Hintergrund unklar. Die Differenzierung zwischen dosisabhängiger Toxizität, individueller Metabolisierung und immunvermittelten Mechanismen ist bislang nicht abschließend geklärt – ein Punkt, der für die Zulassungsfähigkeit ebenso entscheidend ist wie für die spätere Marktwahrnehmung.

Strategisch interessant ist der Umgang Roches mit der Situation: Während viele Unternehmen vergleichbare Rückschläge zum Anlass nehmen, klinische Programme komplett einzustellen oder radikal neu auszurichten, verfolgt Roche eine doppelgleisige Strategie. Zum einen wird die Kommunikation über Nutzen und Risiko aktiv gesteuert, zum anderen bleiben die klinischen Studien in Phase III unbeirrt auf Kurs. Aktuell laufen drei Studien im fortgeschrittenen Entwicklungsstadium – mit dem Ziel, bis Ende 2025 ausreichend belastbare Daten für eine globale Zulassungsanfrage vorzulegen. Das wirkt wie ein kalkuliertes Risiko mit hohem Return-on-Innovation-Potenzial.

Dass Roche dabei nicht nur auf den klinischen Erfolg, sondern auch auf narrative Führung setzt, zeigt sich auch an der Wahl des Präsentationsrahmens: Die CMSC-Tagung gilt als Fachplattform mit starker Schnittstelle zwischen Klinik, Forschung und Versorgungspraxis – ideal, um Vertrauen in ein angeschlagenes Projekt zurückzugewinnen und gleichzeitig die Aufmerksamkeit der MS-Community strategisch zu lenken. Das gezielte Storytelling rund um Langzeitdaten, Gehirngängigkeit und duale Wirkmechanismen verknüpft medizinische Evidenz mit Marktpotenzial – ohne die Toxizitätsdebatte unter den Tisch zu kehren.

Für das Unternehmen bleibt Fenebrutinib ein Wagnis – aber ein kalkulierbares. In einem zunehmend gesättigten, aber differenzierten MS-Therapiemarkt zählt jeder Wirkmechanismus, der neue Segmente adressiert. Und genau das gelingt Fenebrutinib: Während Interferone, S1P-Modulatoren und Anti-CD20-Antikörper ihre jeweiligen Nischen besetzen, positioniert sich der BTK-Inhibitor als Brückentechnologie zwischen immunmodulatorischer Präzision und neuroprotektiver Langzeitwirkung. Sollte sich dieser klinisch-pharmakologische Spagat durch die laufenden Phase-III-Studien bestätigen lassen, hätte Roche nicht nur ein neues MS-Medikament, sondern eine neue MS-Kategorie im Portfolio.

Gleichwohl bleibt die Leberproblematik ein möglicher Gamechanger – nicht wegen ihrer Häufigkeit, sondern wegen ihrer Signalwirkung. In einer Phase, in der Patientenaufklärung, Zulassungsbehörden und Gesundheitsmedien sensibel auf jedes Risiko reagieren, muss jede positive Wirksamkeitsmeldung ein begleitendes Sicherheitsnarrativ liefern. Roche scheint diesen Balanceakt zu beherrschen – jedenfalls bis zur nächsten regulatorischen Zäsur.

Von Engin Günder, Fachjournalist

 

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