ApoRisk® auf Facebook ApoRisk® auf X
  • 28.05.2025 – Apotheken-Nachrichten von heute: Recht schafft Druck, Versorgung braucht Struktur, Vertrauen entsteht durch Sichtbarkeit
    28.05.2025 – Apotheken-Nachrichten von heute: Recht schafft Druck, Versorgung braucht Struktur, Vertrauen entsteht durch Sichtbarkeit
    APOTHEKE | Medienspiegel & Presse | Die Freie Apothekerschaft, neue Versicherungsmodelle, ein Fake-Apotheker, digitale Gesundheitsaufklärung und evidenzbasierte Beratung prÃ...

Für Sie gelesen

Sehr geehrte Apothekerin, sehr geehrter Apotheker,
hier ist der vollständige Text für Sie:

ApoRisk® Nachrichten - APOTHEKE:


APOTHEKE | Medienspiegel & Presse |

Apotheken-Nachrichten von heute: Recht schafft Druck, Versorgung braucht Struktur, Vertrauen entsteht durch Sichtbarkeit

 

Wie juristische Klagen, neue Versorgungssysteme und evidenzbasierte Beratung Apotheken und Gesundheitspolitik gleichzeitig herausfordern

Zwischen politischem Vorstoß und systemischer Selbstbehauptung formiert sich eine neue strategische Dynamik im Gesundheitswesen: Die Freie Apothekerschaft nutzt Klagen, Strukturreformen und digitale Kontrollmechanismen, um Versorgungspolitik nicht nur zu kommentieren, sondern juristisch zu prägen, während Apotheken unter wachsendem Innovations- und Versicherungsdruck erkennen müssen, dass konventioneller Schutz gegen Leckagen, Cyberangriffe oder Medikationsfehler nicht mehr ausreicht – unternehmerische Resilienz wird zur Überlebensfrage; parallel offenbart ein Skandal um einen angeblichen Apotheker in Österreich, der sich mit gefälschtem Abschluss Amt und Einfluss erschlich, ein tiefes Systemversagen in der Berufszugangskontrolle, das über nationale Grenzen hinaus Vertrauen und Prüfung infrage stellt; zugleich legt die Bundesregierung mit dem geplanten Primärarztsystem einen Umbau der Patientensteuerung vor, der Hausärzten mehr Macht, aber Patienten neue Regeln bringt – eine Entwicklung, die Ärztekammern, Verbände und Schutzstiftungen gleichermaßen auf den Plan ruft; während Elternschaft laut neuer europäischer Studie zwar Lebenssinn, aber keineswegs immer Zufriedenheit stiftet, verändert sich auch die jugendliche Gesundheitsaufklärung grundlegend: Tiktok ersetzt das RKI, Youtube verdrängt klassische Kanäle, was Barmer mit der Plattform „Durchblickt!“ kontert; dass Deutschland trotz bester Arzneimittelversorgung bei der Lebenserwartung zurückfällt, unterstreicht, wie sehr Struktur nicht automatisch Gesundheit bedeutet; Apotheken zeigen derweil in der Schwangerschaftsberatung, dass Kompetenz, Abgrenzung und Empathie kombinierbar sind – gerade wenn es um Selbstmedikation, Mikronährstoffe oder die ersten 1.000 Tage geht; therapeutisch markiert die FDA-Zulassung von Mepolizumab für COPD-Patienten mit Typ-2-Inflammation eine neue Ära der zielgerichteten Versorgung, während FSME-Risiken durch verlängerte Zeckensaisons neue Präventionsaufgaben stellen und die Frauengesundheit in einer aktuellen Umfrage als unterversorgt, unterrepräsentiert und politisch marginalisiert erscheint – ein Brennglas für strukturelle Gerechtigkeit im Gesundheitswesen insgesamt.

 

Politischer Druck, juristische Hebel, strukturelle Absicherung

Wie die Freie Apothekerschaft mit Klagen, Anträgen und Reformforderungen die Apothekenpolitik herausfordert

Als politischer Akteur abseits der klassischen Kammer- und Verbandsstruktur hat sich die Freie Apothekerschaft (FA) längst ein eigenes Profil erarbeitet – ein Profil, das weniger auf beratende Gremienarbeit als vielmehr auf offensive, konfrontative und strategisch angelegte Interventionen setzt. Die Mitgliederversammlung in Frankfurt markierte diesen Kurs erneut mit Nachdruck: Klagen gegen die Bundesrepublik, juristische Vorstöße gegen internationale Versandapotheken, Wettbewerbsverfahren gegen Branchenriesen, digitale Kontrollinitiativen gegen illegale Arzneimittelverkäufe – und nicht zuletzt eine Satzungsänderung, die die eigene Handlungsfähigkeit künftig beschleunigt. Was sich wie eine lose Sammlung von Einzelmaßnahmen liest, offenbart bei genauerem Hinsehen eine geschlossene Strategie: Druck erzeugen, Sichtbarkeit erhöhen, Versorgungsstrukturen juristisch absichern – und der Politik den Takt diktieren.

Im Zentrum der aktuellen Offensive steht eine Feststellungsklage, die im April 2024 gegen die Bundesrepublik Deutschland eingereicht wurde. Ziel ist es, das Apothekenhonorar über § 3 Abs. 1 Satz 1 der Arzneimittelpreisverordnung gerichtlich neu bewerten zu lassen. Die FA argumentiert, dass sich aus dem Wortlaut ein Anspruch auf Anhebung des Honorars ableiten lässt – ein Anspruch, der angesichts der wirtschaftlichen Lage vieler Apotheken dringend justiziabel gemacht werden müsse. Dass die Erfolgsaussichten unter Juristen umstritten sind, war auch in Frankfurt Thema. Doch möglicherweise geht es der FA gar nicht primär um den Ausgang des Verfahrens, sondern um dessen symbolische Wucht. Der Fall liegt beim Verwaltungsgericht Berlin, ein Verhandlungstermin ist frühestens 2025 zu erwarten. Bis dahin bleibt die Klage ein wirkungsvoller Marker im gesundheitspolitischen Raum.

Juristisch nicht weniger aufgeladen ist das zweite Verfahren, das sich gegen die sogenannte Länderliste des Bundesgesundheitsministeriums richtet. Diese Liste definiert, aus welchen Staaten Arzneimittelversand nach Deutschland als zulässig gilt – darunter auch die Niederlande. Genau diesen Punkt attackiert die FA: Das BMG müsse die Niederlande streichen, da von dort aus massive Wettbewerbsverzerrungen und strukturelle Risiken für den stationären Apothekenbetrieb ausgingen. In erster Instanz unterlag die FA vor dem Verwaltungsgericht Köln. Doch das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen lässt sich mit einer Entscheidung Zeit – was der FA paradoxerweise nutzt: Die Unsicherheit bleibt bestehen, das Thema auf der politischen Agenda.

Parallel zu diesen Grundsatzverfahren setzt die FA auch auf das Wettbewerbsrecht als Hebel. Im Fokus stehen DocMorris und Shop Apotheke, gegen deren Gutscheinaktionen die FA juristisch vorgeht. Beide Klagen sind ausgesetzt, da sie mit einem noch ausstehenden Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) zum Thema Boni im Apothekenbereich verknüpft sind. Der Verhandlungstermin am BGH ist für den 17. Juli angesetzt. Ein Urteil mit Signalwirkung ist zu erwarten – für das Wettbewerbsgefüge ebenso wie für die juristischen Manöver kleinerer Akteure.

Während sich die großen Verfahren ziehen, hat die FA auf einem anderen Schauplatz bereits einen Achtungserfolg erzielt. Mit gezielten Interventionen bei Facebook und Ebay gelang es, die illegale Handelsplattform »Medikamentenflohmarkt« zu schließen. Der Verein nutzte dabei nicht nur öffentliches Aufsehen, sondern auch direkte Kommunikationskanäle mit den Rechtsabteilungen der Plattformbetreiber. Ziel ist es nun, als sogenannter »Trusted Flagger« dauerhaft anerkannt zu werden. Ein entsprechender Antrag liegt der Bundesnetzagentur vor. Gelingt dieser Schritt, würde die FA zur digitalen Kontrollinstanz gegen Arzneimittelmissbrauch im Netz – ein bislang unbesetztes, aber hochbrisantes Feld.

Auch intern stellt sich die FA neu auf. Mit der Satzungsänderung, nach der künftig bereits ein einziges anwesendes Mitglied für die Beschlussfähigkeit ausreicht, wird die Schlagkraft des Vereins deutlich erhöht. Die Hürde von 20 Prozent Präsenz war angesichts der bundesweiten Streuung der 1.560 Mitglieder kaum praktikabel. Bei der Versammlung in Frankfurt waren lediglich rund 100 Mitglieder anwesend – zu wenig für eine reguläre Beschlussfassung. Doch der Vorstand hatte mit dieser Situation gerechnet: Nach einer planmäßigen Unterbrechung konnte die Versammlung formal korrekt neu eröffnet werden, diesmal mit sofortiger Beschlussfähigkeit nach der neuen Satzungsregel.

Bestätigt im Amt wurden Daniela Hänel als Vorsitzende, Cordula Eichhorn als ihre Stellvertreterin und Reinhard Rokitta als Schatzmeister – ein Zeichen innerer Stabilität, das die FA gezielt nach außen kommuniziert. Mit der neuen Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) verbindet Hänel nun die Hoffnung auf eine Rückbesinnung auf die Präsenzapotheke: »Die öffentliche Apotheke braucht endlich wieder politische Rückendeckung.« Sollte diese ausbleiben, kündigt Hänel an, den öffentlichen Druck weiter zu erhöhen – und auch vor weiteren juristischen Schritten nicht zurückzuschrecken.

Flankiert wurde die Versammlung durch einen Vortrag von Bernd Raffelhüschen, Professor für Finanzwissenschaft an der Universität Freiburg, der die demografischen und sozialpolitischen Herausforderungen nach der Bundestagswahl skizzierte. Dass ein profilierter Ökonom das gesundheitspolitische Setting einer apothekerpolitischen Mitgliederversammlung einrahmte, unterstreicht das strategische Selbstverständnis der FA: Es geht nicht um Einzelinteressen, sondern um Grundfragen der Versorgungslogik – und deren Verteidigung mit allen Mitteln, auch juristischen.

 

Digitalisierung verlangt Vorsorge, Innovation verlangt Sicherheit, Verantwortung verlangt Absicherung

Warum Apotheken zwischen Technologiedruck, Patientenbindung und Versicherungsrisiken neu denken müssen

Die Zukunft der Apotheken entscheidet sich nicht allein an neuen Dienstleistungen oder digitalen Schnittstellen, sondern zunehmend an der Frage, wie Betreiberinnen und Betreiber die strukturellen, technologischen und versicherungsrelevanten Risiken ihres Unternehmens antizipieren. Zwischen expandierender Telepharmazie, wachsendem Online-Wettbewerb, drohenden Arzneimittelengpässen und komplexer Haftung durch Medikationsfehler wandelt sich das Risikoprofil rasant. Wer sich auf den traditionellen Schutz durch Inhalts- oder Betriebshaftpflichtversicherung verlässt, riskiert im Ernstfall den finanziellen und rechtlichen Totalschaden. Apothekenbetreiber müssen jetzt erkennen: Risikoprävention ist keine Verwaltungspflicht, sondern unternehmerische Überlebensstrategie.

Die Herausforderungen sind konkret. Der Versandhandel gewinnt durch flächendeckende Lieferplattformen wie Redcare oder Shop-Apotheke weiter Marktanteile – auch bei rezeptpflichtigen Medikamenten. Gleichzeitig drängen nicht nur Start-ups, sondern auch internationale Tech-Konzerne in die digitale Versorgungslandschaft. Wer diesen Druck nur reaktiv begegnet, verliert nicht nur Kundschaft, sondern auch Marktstellung. Doch Modernisierung hat ihren Preis: Je stärker Prozesse automatisiert, Lager digitalisiert oder Beratungsangebote telemedizinisch erweitert werden, desto größer wird die Angriffsfläche für Cyberrisiken, Datenschutzverletzungen und Systemausfälle. Dabei ist längst nicht nur die IT-Infrastruktur bedroht – auch der Haftungsrahmen verschiebt sich: Etwa dann, wenn eine falsche Medikationsabfolge per Videosprechstunde verschrieben oder eine digitale Medikationsanalyse unzureichend dokumentiert wird.

Traditionelle Policen, etwa gegen Leitungswasserschäden oder Einbruchdiebstahl, decken solche Szenarien nicht ab. Stattdessen brauchen moderne Apotheken heute kombinierte Versicherungsmodelle, die offline- und onlinebasierte Risiken gleichrangig adressieren: Dazu gehören Cyberversicherungen mit forensischem Notfallmanagement, Berufshaftpflichtlösungen mit erweiterten Deckungssummen für Telepharmazie-Fälle und modulare Rechtsschutzpakete, die speziell für den Gesundheitssektor entwickelt wurden. Entscheidend ist nicht nur, ob eine Police besteht, sondern was genau versichert ist – und ob die Deckungssummen der tatsächlichen Unternehmensrealität entsprechen.

Ein unterschätzter Risikobereich liegt in der Schnittstelle zwischen digitaler Rezeptverarbeitung und realer Arzneimittelabgabe. Der zunehmende E-Rezept-Alltag bringt nicht nur Erleichterung, sondern auch neue Haftungslagen mit sich – insbesondere bei technischen Systemausfällen, Manipulationen oder Rezeptfälschungen. Wer zahlt, wenn ein E-Rezept doppelt eingelöst wird, ein Arzneimittel ohne gültige Verordnung abgegeben oder durch Systemfehler eine Packungsgröße falsch berechnet wird? Hier greifen klassische Betriebshaftpflichtmodelle oft zu kurz oder schließen digital verursachte Schäden aus. Eine umfassende Deckung erfordert nicht nur branchenspezifisches Wissen, sondern auch die aktive Auseinandersetzung mit Szenarien, die bis vor wenigen Jahren noch als hypothetisch galten.

Zugleich eröffnen sich Apotheken durch technologische Innovationen neue Chancen: Telepharmazie, KI-gestützte Arzneimittelinteraktionschecks oder automatisierte Verfügbarkeitsprüfungen können Effizienz und Qualität steigern – vorausgesetzt, die Systeme sind datenschutzkonform, haftungsrechtlich abgesichert und durch solide IT-Infrastrukturen geschützt. Doch jede Innovation erhöht auch den Komplexitätsgrad: Wer etwa KI-basierte Empfehlungen in der Arzneimittelauswahl verwendet, muss dokumentieren, kontrollieren und belegen, dass daraus keine patientenschädlichen Entscheidungen resultieren. Das verlangt interne Schulung, externes Audit und entsprechende Absicherung durch eine Innovationshaftpflicht, wie sie mittlerweile in spezialisierten Versicherungskonzepten für Gesundheitsberufe integriert wird.

Neben der digitalen Seite bleibt auch die klassische Risikoabsicherung hoch relevant – vor allem in einer Zeit, in der Medikamentenengpässe, Kühlkettenprobleme und wirtschaftlicher Druck das operative Geschäft belasten. Wer beispielsweise Hochpreisarzneimittel wie Biologika oder zubereitete Parenteralia bevorratet, braucht nicht nur ein funktionierendes Kühlkettenmanagement, sondern auch eine Inhaltsversicherung, die temperaturempfindliche Ware als besonders schadensanfällig berücksichtigt. Eine standardisierte Pauschalabsicherung reicht hier nicht mehr aus.

Ein besonderes Augenmerk gilt zudem der Betriebsunterbrechungsversicherung: In einer zunehmend vernetzten Infrastruktur kann ein Stromausfall, ein Telematik-Blackout oder ein Wasserschaden in der Rezeptur innerhalb weniger Stunden den gesamten Betrieb zum Erliegen bringen – mit massiven wirtschaftlichen Folgen. Eine versierte Apothekenversicherung deckt dabei nicht nur den Schaden selbst, sondern auch den entgangenen Ertrag, die Wiederherstellungskosten der IT-Systeme sowie etwaige Aufwände für Patientenkommunikation und behördliche Auflagen.

Für Apothekenbetreiber ergibt sich daraus ein klares Handlungsprofil: Versicherungen dürfen nicht als notwendiges Übel verstanden werden, sondern müssen integraler Bestandteil der strategischen Praxisführung sein. Die Auswahl geeigneter Policen verlangt nicht nur betriebswirtschaftliches Augenmaß, sondern auch ein tiefes Verständnis für branchenspezifische Risiken – und deren juristische Bewertung. Beratungsresistente Betreiber setzen sich nicht nur wirtschaftlichen Gefahren aus, sondern gefährden auch ihren Versorgungsauftrag gegenüber der Bevölkerung.

Gleichzeitig ist es Aufgabe der Versicherer, ihre Angebote an die Realitäten moderner Apotheken anzupassen. Pauschalprodukte mit Mindestdeckung reichen in einer Welt von Cyberangriffen, KI-Anwendungen und regulatorischen Neuerungen nicht mehr aus. Gefragt sind hybride Versicherungslösungen, die technologische, juristische und betriebliche Entwicklungen in einem dynamischen Modell zusammenführen. Dazu gehört auch eine engere Kooperation mit Berufsverbänden, Apothekenkammern und spezialisierten Juristen, um neue Risikomodelle frühzeitig zu erkennen und praxistauglich abzusichern.

Letztlich entscheidet sich die Zukunftsfähigkeit von Apotheken nicht nur an der Kundenbindung oder der Innovationsfreude – sondern an der Frage, ob sie ihre neuen Risiken auch tragen können. Verantwortungsvoll handeln heißt heute: Chancen realisieren, aber auf Sicherungssysteme bestehen. Nur wer Innovationen nicht als Selbstzweck, sondern als verantwortliche Weiterentwicklung der Versorgungsleistung versteht, wird die Apotheke der Zukunft auch wirtschaftlich und rechtlich stabil führen können.

 

Gefälschte Titel, erschlichene Macht, entblößte Strukturen

Ein angeblicher Apotheker erschlich sich Amt und Ansehen – und entlarvt ein Systemversagen, das Vertrauen, Kontrolle und Prüfstandards gleichermaßen betrifft

Er führte Kundengespräche über Wechselwirkungen, füllte Rezepturen ab, unterschrieb pharmazeutische Dokumente – und war offiziell nie Apotheker. Der Fall des jungen Wieners, der laut aktueller Enthüllungen mehr als acht Jahre mit gefälschtem akademischen Abschluss nicht nur in Apotheken arbeitete, sondern auch berufspolitisch reüssierte, erschüttert die Grundfesten eines Systems, das auf Vertrauen, Formalisierung und Kontrolle fußt. In einem Land, das für seine bürokratische Akribie bekannt ist, öffnet sich mit diesem Skandal eine verstörende Leerstelle: Wie konnte es einem Einzelnen gelingen, mit einem gefälschten Sponsionsbescheid nicht nur die Berufsberechtigung zu erschleichen, sondern sich zudem in höchste Gremien der Apothekerschaft einzuschleusen?

Laut Apothekerkammer Österreich war es ein Dokument aus dem Jahr 2018, das als Schlüssel zur Täuschung diente: ein mutmaßlich gefälschter Sponsionsbescheid der Universität Wien, der die erfolgreiche Beendigung eines Pharmaziestudiums bestätigen sollte. Mit dieser vermeintlichen Urkunde verschaffte sich der Mann Zugang zur Berufsausübung – samt Kammermitgliedschaft, Arbeitsverhältnissen in Apotheken und standespolitischem Engagement. Die Fälschung blieb unentdeckt. Weder die Kammer noch die Apotheken, in denen er tätig war, zogen die Legitimation in Zweifel. Erst durch Hinweise der Universität selbst flog der Schwindel auf. Die Apothekerkammer reagierte unmittelbar mit dem Entzug der Berufsberechtigung – doch der Schaden ist nicht nur juristischer oder verwaltungstechnischer Natur. Es ist ein Reputationsverlust, der das System der pharmazeutischen Selbstkontrolle in seiner Verwundbarkeit entblößt.

Dass der Mann auch in der berufspolitischen Vertretung so weit aufstieg – als Vorstandsmitglied der österreichischen Apothekerkammer, im Verband Angestellter Apotheker Österreich (VAAÖ) und sogar als Präsident der Austrian Young Pharmacists (AYP) –, verschärft die Brisanz. Wer eine solche Karriere in einem berufsrechtlich stark geregelten Umfeld durchlaufen kann, ohne je ein legitimer Teil dieser Profession gewesen zu sein, bringt das Prinzip der Standesvertretung an seine Grenzen. Nicht nur die Kontrollmechanismen der Kammer, auch die Echtheitsprüfung akademischer Urkunden wird zur Debatte gestellt. Der Fall zeigt, dass formale Zertifikate noch immer eine Eintrittskarte sind – und das Vertrauen in ihre Echtheit offenbar zu groß, um auf systematische Plausibilitätsprüfungen zu bestehen.

Die Kammer bemüht sich derweil um Schadensbegrenzung. Man sei von der Universität Wien rechtzeitig informiert worden, habe dem Betroffenen in einem persönlichen Gespräch die Berufsberechtigung entzogen und sowohl ihn als auch seine Arbeitgeber in Kenntnis gesetzt. Der Vorfall sei „einzigartig“, betont die Kammer – und weist auf die verschärften Prüfmechanismen seit der Corona-Pandemie hin. Doch gerade dieser Hinweis wirkt defensiv. Denn was 2018 möglich war, hätte auch 2024 oder 2025 erneut geschehen können – wäre nicht die Hochschule selbst eingeschritten.

Auch rechtlich wirft der Fall Fragen auf: Wie haftbar ist ein solcher „Fake-Apotheker“ rückwirkend für die von ihm vorgenommenen Handlungen? Wurden Rezepturen fehlerhaft verarbeitet, Aufzeichnungen unzulässig geführt oder Patient:innen gefährdet? Und wie steht es um die arbeitsrechtliche Dimension – nicht zuletzt im Hinblick auf Gehaltszahlungen, Sozialversicherungsbeiträge und mögliche Regressforderungen durch Krankenkassen oder Arbeitgeber? Eine lückenlose Aufarbeitung wird notwendig sein, um das Vertrauen in die berufsrechtliche Integrität wiederherzustellen.

Der Skandal ist dabei kein singuläres österreichisches Problem. Auch in Deutschland mehren sich Berichte über gefälschte Approbationen, manipulierte Prüfzeugnisse oder fingierte Studienabschlüsse – nicht nur im medizinischen Bereich. In einer Zeit, in der digitale Manipulationen immer professioneller werden und personalisierte Urkunden mit wenigen Klicks reproduzierbar sind, reicht das klassische Vieraugenprinzip zur Dokumentenprüfung nicht mehr aus. Notwendig wären automatisierte Abgleiche mit Hochschuldatenbanken, verbindliche digitale Schnittstellen zur Verifikation von Abschlüssen und ein berufsübergreifendes Register zur Kontrolle von Approbationen.

Der Wiener Fall ragt deshalb nicht nur wegen seiner Dauer und Dreistigkeit heraus – sondern auch, weil er das Systemversagen auf mehreren Ebenen offenlegt: auf der bürokratischen, der standespolitischen und der strukturellen. Dass der Mann zudem als Fachautor tätig war, in Fachmedien publizierte, eine Motorradwerkstatt betrieb und als Gitarrist auftrat, verleiht dem Fall eine bizarre Parallelrealität, die Medien wie das Boulevardportal »Heute« genüsslich ausschlachten – und die zugleich überdeckt, wie ernst der Vorgang in seiner Kernbedeutung ist.

Denn wenn jemand über Jahre hinweg Medikamente ausgibt, pharmazeutische Beratung anbietet und damit unrechtmäßig das Vertrauen tausender Patientinnen und Patienten genießt, dann ist nicht nur ein individueller Betrug zu ahnden. Dann ist eine ganze Berufsgruppe gefordert, ihre institutionellen Schutzmechanismen neu zu justieren – und sicherzustellen, dass ein solcher Fall tatsächlich einmalig bleibt. Die angekündigte Überprüfung der Prüfungsmodalitäten ist dabei nur ein erster Schritt. Entscheidend ist, dass daraus ein strukturell belastbarer Kontrollrahmen entsteht – nicht nur in Reaktion auf einen Skandal, sondern als proaktive Sicherung der Integrität pharmazeutischer Berufe.

 

Mehr Vertrauen für Hausärzte, weniger Chaos bei Terminen, neue Balance zwischen Freiheit und Steuerung

Warum das geplante Primärarztsystem Versorgungsprozesse neu strukturiert, wie Patienten auf die Termingarantie reagieren und was Ärztekammer und Stiftung Patientenschutz einfordern

Inmitten einer überlasteten Facharztlandschaft und wachsender Kritik an Wartezeiten und Versorgungswirrwarr legt die Bundesregierung die Weichen für ein neues, verpflichtendes Primärarztsystem, das auf eine konsequente Lotsenfunktion des Hausarztes setzt. Was auf den ersten Blick wie eine Rückkehr zur klassischen Versorgungspyramide wirkt, ist in Wahrheit ein ordnungspolitischer Umbau der Patientenwege – mit Folgen für Autonomie, Koordination, Vertrauen und Systemakzeptanz.

Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) betonte beim Deutschen Ärztetag in Leipzig die Zielrichtung: Die Hausarztpraxis soll zur ersten, verlässlichen Anlaufstelle im System werden – mit dem Recht und der Pflicht, fachärztliche Behandlungen über Terminvergaben zu steuern. Eine sogenannte Termingarantie soll sicherstellen, dass Patientinnen und Patienten innerhalb eines definierten Zeitfensters eine Überweisung erhalten und dieser Termin auch eingehalten wird. Kommt es zu Verzögerungen, ist eine Behandlung in einem Krankenhaus als fachärztliches Back-up vorgesehen. Diese Regelung, im Koalitionsvertrag von Union und SPD fest verankert, verändert nicht nur den Ablauf, sondern auch die Machtbalance in der ambulanten Versorgung.

Was als Effizienzmaßnahme angekündigt wurde, greift tief in die gelebte Versorgungsrealität ein. Eine aktuelle AOK-Forsa-Umfrage zeigt: Knapp 70 Prozent der Bevölkerung wären bereit, auf die freie Facharztwahl zu verzichten, wenn der Hausarzt schneller Termine vermitteln könnte. Der Wunsch nach Entlastung und systemischer Ordnung ist greifbar – auch, weil viele Menschen längst den Eindruck haben, zwischen offenen Sprechstunden, Telefonwarteschleifen und Facharztverzeichnissen zu verzweifeln. Dennoch bleibt die Frage, ob das Modell mehr als eine theoretische Ordnung verspricht.

Genau hier setzt die Kritik der Bundesärztekammer an. Präsident Klaus Reinhardt warnte vor einem bürokratisch erzwungenen Koordinationsmodell ohne strukturelle Basis. Die Vorstellung, die Terminvergabe ließe sich politisch verordnen, sei gefährlich realitätsfern. Gerade in strukturschwachen Regionen, in denen bereits heute Hausarztpraxen fehlen oder nicht voll ausgelastet arbeiten können, würde eine Primärarztpflicht das Problem eher verschärfen als lösen. Auch das Nebeneinander mehrerer Hausarztkontakte sei nicht primär ein Ausdruck von Disziplinlosigkeit, sondern Folge gelebter Praxis: Pendelnde Patienten, Urlaubsvertretungen oder fehlende elektronische Dokumentation sorgen für Doppelerfassungen – ein systemisches und nicht individuelles Versäumnis.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz unterstützt diese Sichtweise. Vorstand Eugen Brysch betonte, man müsse die sozialen und geografischen Realitäten stärker berücksichtigen, statt eine Normversorgung über alle Lebensmodelle zu stülpen. Ein Arbeitnehmer mit Wohnsitz im Umland, aber Arbeitsplatz in der Innenstadt, wird zwangsläufig auf zwei Praxen stoßen. Ein System, das solche Mehrfachkontakte sanktioniert oder stigmatisiert, sei lebensfremd. Ebenso müsse die 25-Stunden-Präsenzzeit für GKV-Patienten ernsthaft umgesetzt werden – eine vertragliche Norm, die vielerorts mehr Fiktion als Realität sei.

Doch die eigentliche Herausforderung liegt tiefer: Das Primärarztsystem soll nicht nur koordinieren, sondern auch Vertrauen zurückgewinnen – in die Leistungsfähigkeit des Systems, die Fairness der Zugangswege und die Verlässlichkeit von Terminverläufen. Jahrzehntelang galt das deutsche System als besonders liberal: Patienten konnten weitgehend selbst entscheiden, ob sie mit Magenschmerzen direkt zur Gastroenterologie oder zunächst zum Hausarzt gingen. Diese Freiheit hatte ihren Preis: Doppeldiagnosen, Ressourcenverschwendung und ein Gefühl von Versorgungsbeliebigkeit.

Der aktuelle Vorstoß ist damit auch ein Statement gegen strukturelle Ineffizienz. Er fordert nicht nur Disziplin von Patienten, sondern Leistungsfähigkeit von Hausärzten, Erreichbarkeit von Fachpraxen und Verbindlichkeit im System. Die Idee, in Klinikambulanzen auszuweichen, wenn niedergelassene Fachärzte überlastet sind, zeigt jedoch auch, wie knapp das Netz inzwischen gespannt ist. Denn viele Ambulanzen sind selbst am Limit – nicht nur personell, sondern auch abrechnungstechnisch.

Flankierend muss daher die hausärztliche Versorgung gestärkt werden. Ohne ausreichend Praxen, bessere Vergütungsmodelle und niedrigere Bürokratielasten bleibt das Primärarztsystem eine Richtlinie ohne Reichweite. Zudem sind Schnittstellenlösungen gefragt – etwa digitale Terminplattformen mit Echtzeitübersicht, gemeinsame Fallakten oder sektorenübergreifende Kommunikationsformate. Der Begriff der „guten Versorgung aus einer Hand“ darf nicht zum Etikettenschwindel werden. Dafür braucht es Verbindlichkeit auf allen Seiten – bei Ärzten, bei Kassen, bei der Politik.

Am Ende bleibt die Frage: Wie viel Steuerung verträgt das System, wie viel Freiheit braucht es? Die Antwort wird nicht auf Kongressen gegeben, sondern im Praxisalltag erprobt – zwischen Telefonaten, Wartezimmern und digitalen Terminmasken. Und dort entscheidet sich auch, ob aus einem Primärarztsystem ein Versorgungserfolg wird – oder ein weiteres politisches Versprechen, das an der Lebensrealität zerschellt.

 

Elternschaft bedeutet Sinn, aber nicht immer Glück

Warum sozioökonomische Unterschiede das Elternerleben prägen, Skandinavien als Vorbild gilt und Lebenssinn keine Garantie für Zufriedenheit ist

Eltern zu sein ist nicht per se ein Quell des Glücks – aber sehr wohl ein Anker des Sinns. Eine neue großangelegte Studie aus dem Hause der Universität Köln rückt das Ideal vom universell glücklichen Elternsein zurecht und zeigt, wie stark Lebenszufriedenheit in der Elternschaft vom sozialen Status und vom geografischen Kontext abhängt. Der Beitrag basiert auf Daten von über 43.000 Menschen aus 30 europäischen Ländern und macht deutlich, dass Elternschaft zwar eine dauerhafte Steigerung des subjektiven Lebenssinns bewirken kann, die Zufriedenheit jedoch vor allem bei benachteiligten Frauen unter Druck gerät. Das Elternglück, so viel steht fest, ist kein Naturgesetz – es ist ein Produkt gesellschaftlicher Bedingungen.

Die Forschung von Dr. Ansgar Hudde und Professorin Marita Jacob vom Kölner Department für Soziologie und Sozialpsychologie, veröffentlicht im »Journal of Marriage and Family«, dekonstruiert die verbreitete Gleichung „Kind gleich Glück“. Zwar berichten frischgebackene Eltern in einem kurzen Zeitfenster nach der Geburt des ersten Kindes von einem messbaren Anstieg der Lebenszufriedenheit – doch dieser Effekt verflüchtigt sich rasch. Der dauerhafte Zuwachs liegt vielmehr in einer gestärkten Sinnhaftigkeitserfahrung. Ein Kind verändert also die persönliche Bedeutungsskala – nicht zwingend aber die emotionale Bilanz des Alltags.

Gerade für Frauen mit niedrigem sozioökonomischem Status kippt diese Bilanz ins Negative. Die Daten legen offen: In dieser Gruppe sinkt die Lebenszufriedenheit signifikant, sobald Kinder ins Spiel kommen – während gleichgestellte kinderlose Frauen höhere Zufriedenheitswerte aufweisen. Der subjektive Lebenssinn bleibt hingegen bemerkenswert stabil, selbst unter Belastung. In höher gestellten gesellschaftlichen Gruppen sowie bei Männern zeigen sich kaum Unterschiede zwischen Eltern und Kinderlosen. Die soziale Schere manifestiert sich nicht nur in Einkommen, Bildung und Sicherheit – sondern auch im inneren Erleben von Elternschaft.

Auffällig wird der europäische Vergleich. In den nordeuropäischen Ländern, insbesondere Skandinavien, gelingt es Eltern, sowohl Sinn als auch Zufriedenheit in Einklang zu bringen. Der Befund ist kein Zufall. Vielmehr scheint dort die Kombination aus umfassenden familienpolitischen Leistungen, gut ausgebauter Infrastruktur, hoher Gleichstellung und kultureller Akzeptanz der Elternrolle ein Umfeld zu schaffen, in dem das Elternsein nicht zur emotionalen Belastung wird. Lebensmodelle mit Kindern sind hier nicht mit strukturellen Nachteilen behaftet, sondern mit gesellschaftlichem Rückhalt ausgestattet. Genau dieser Rückhalt fehlt in vielen anderen Ländern – auch in Deutschland, trotz formeller Unterstützungssysteme.

Der internationale Vergleich macht deutlich: Je besser die sozialen und institutionellen Bedingungen, desto eher gelingt die emotionale Integration der Elternrolle in das eigene Lebensglück. Dass insbesondere Frauen mit prekären Arbeitsbedingungen, geringem Einkommen und unzureichender Betreuungseinbindung am stärksten betroffen sind, verweist auf einen blinden Fleck vieler Gleichstellungspolitiken. Familie ist politisch – nicht nur als Institution, sondern als emotionale Lebensrealität. Die Studie legt offen, was häufig übersehen wird: Dass Elternschaft unter bestimmten Voraussetzungen zu einem ungleichen Tausch wird – Sinn gegen Zufriedenheit, Rolle gegen Selbstbestimmung, Verantwortung gegen Wohlbefinden.

Dabei ließe sich die strukturelle Asymmetrie durchaus aufbrechen. Der Schlüssel liegt nicht allein in höheren Kindergeldsätzen oder steuerlichen Entlastungen, sondern in der Reform ganzer Lebenswelten: bessere Arbeitszeitmodelle, sichere Kita-Plätze, reale Wahlfreiheit bei der Rollenverteilung, gerechte Verteilung von Care-Arbeit und vor allem Anerkennung. Es geht darum, Elternschaft nicht als individuelles Projekt zu überhöhen, sondern als gesamtgesellschaftliche Verantwortung zu gestalten. Nur dann kann Elternglück mehr sein als ein Moment – nämlich eine stabile Lebenslage, in der Sinn und Zufriedenheit koexistieren dürfen.

Was die Forschung ebenso eindrücklich zeigt: Die Frage nach dem Glück von Eltern ist nicht nur individuell zu beantworten. Sie ist ein Prüfstein für das soziale Gefüge eines Landes. Skandinavien ist kein Märchen, sondern das Ergebnis strategischer Politik. Wo Eltern gelassener sind, weil sie nicht allein gelassen werden, wächst auch die emotionale Rendite der Familiengründung. Wer heute über Geburtenraten, Vereinbarkeit, Gendergerechtigkeit oder psychische Gesundheit von Familien diskutiert, sollte diese Zahlen als Warnsignal verstehen – aber auch als Aufruf, Familienpolitik als emotionale Infrastruktur neu zu denken. Denn Elternschaft ist nicht nur privat. Sie ist ein Spiegel des öffentlichen Willens, Glück zu ermöglichen.

 

Vertrauen bröckelt, Plattformen dominieren, Prävention hinkt

Warum Jugendliche dem RKI den Rücken kehren, Tiktok als Gesundheitslexikon nutzen und Barmer mit Durchblickt! gegensteuert

In der gesundheitlichen Aufklärung der jungen Generation hat ein epochaler Wechsel stattgefunden. Wo früher das Robert Koch-Institut oder die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung galten, dominieren heute Tiktok, Youtube und Wikipedia das Informationsverhalten von Teenagern. Die Sinus-Jugendstudie 2024/2025 im Auftrag der Barmer zieht ein aufschlussreiches Bild der digitalen Umorientierung junger Menschen – und der gleichzeitigen Rückzugsbewegung klassischer Institutionen aus dem Relevanzraum der 14- bis 17-Jährigen. Eine zentrale Erkenntnis: Jugendliche informieren sich nicht weniger über Gesundheitsthemen als früher – sie tun es bloß radikal anders.

Mehr als jeder vierte Teenager in Deutschland nutzt laut der aktuellen Umfrage Youtube (27 %), Tiktok (26 %) oder Wikipedia (25 %), um sich zu Gesundheit, Symptomen oder Präventionsthemen zu informieren. Dagegen rangieren klassische Medien und etablierte Plattformen wie das Robert Koch-Institut inzwischen weit abgeschlagen: Nur noch 13 % der Jugendlichen nennen das RKI als Informationsquelle – ein Rückgang um sieben Prozentpunkte gegenüber 2022. Noch gravierender ist der Vertrauensverlust bei traditionellen Nachrichtenportalen, die von 26 % auf nur noch 14 % zurückfallen. Damit steht fest: Die institutionalisierte Informationsordnung hat bei der jungen Zielgruppe ihre Wirkungsmacht weitgehend eingebüßt.

Der Wandel vollzieht sich nicht still, sondern im direkten Zusammenspiel mit tiefgreifenden Mentalitätsveränderungen. Die sogenannte digitale Gesundheitskompetenz – also die Fähigkeit, Informationen aus dem Netz kritisch zu prüfen und in einen faktenbasierten Zusammenhang zu bringen – ist in weiten Teilen der Zielgruppe unterentwickelt. Professor Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der Barmer, spricht offen von einer »potenziell riskanten Informationslage«: Wer seine Gesundheitsthemen von Tiktok beziehe, bekomme nicht nur schlagwortartige oder fragmentarische Informationen, sondern oft genug auch Desinformation, Trends und gefährliche Selbstdiagnosen serviert – vom Intervallfasten bei Untergewicht bis zur vermeintlich »sanften« Selbstmedikation bei Depressionen.

Die strukturelle Antwort der Barmer auf dieses Kommunikationsdefizit heißt »Durchblickt!« – ein schulisches Lernportal, das im Unterricht eingesetzt werden kann und gezielt digitale Kompetenzen mit gesundheitlichem Wissen verbindet. Das Projekt zielt nicht nur auf Schüler:innen, sondern explizit auch auf Lehrkräfte und Eltern. Neben Themen wie Ernährung, Sucht, Stress und Sexualität widmet sich die Plattform auch Fragen wie »Was ist ein gesunder Umgang mit digitalen Medien?« oder »Wie erkenne ich Fake Health News?«. Der Einsatz lehrplankonformer Materialien soll dabei die Schwelle für pädagogische Fachkräfte niedrig halten – und so das Projekt in den Regelunterricht integrieren, statt es als Extramodul zu isolieren.

Doch wie wirksam ist diese Gegenstrategie im Angesicht einer algorithmisch geprägten Gegenöffentlichkeit? Tiktok und Youtube setzen auf emotional aufgeladene Kurzformate, visuelle Ansprache und niedrigschwellige Unterhaltung, um Aufmerksamkeit zu binden. Die Barmer versucht es dagegen mit Struktur, Reflexion und curricularem Anschluss. Ein ungleiches Rennen, das auf einen wunden Punkt des Bildungssystems verweist: Digitale Informationskompetenz wird in Deutschland nach wie vor nicht systematisch gefördert. Auch der Digitalpakt Schule hat daran wenig geändert – weder in der Ausstattung noch in der Didaktik.

Dabei sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache. Zwar ist der Anteil der Jugendlichen, die Youtube als Informationsquelle nutzen, von 38 % (2022) auf 27 % (2024) gesunken. Dennoch bleibt das Videoportal Spitzenreiter unter den digitalen Quellen. Tiktok hingegen gewinnt kontinuierlich an Boden – was auch mit seiner Plattformlogik zu tun hat. Gesundheitsvideos auf Tiktok sind selten sachlich, aber oft viral: Die sogenannte »HealthTok«-Community bringt Ernährungstipps, Fitness-Hacks und Mental-Health-Themen im Minutentakt unter die Nutzer. Die Inhalte sind oft kreativ, aber kaum kontrolliert. Dass dabei nicht selten medizinische Irrtümer oder gefährliche Vereinfachungen transportiert werden, ist Teil des Problems.

Eine paradoxe Wendung offenbart die Jugendstudie in einem anderen Punkt: Das Vertrauen in Krankenkassen hat im gleichen Zeitraum zugenommen. Während 2022 nur 13 % der Jugendlichen Krankenkassenwebsites oder -apps als Quelle nutzten, sind es inzwischen 18 %. Damit gewinnen strukturierte, versicherungsnahe Informationskanäle überraschend an Bedeutung – ein Zeichen dafür, dass Seriosität und Reichweite sich nicht ausschließen müssen, wenn Form und Zugang stimmen. Diese Entwicklung sollte Gesundheitsinstitutionen motivieren, nicht nur Inhalte, sondern auch ihre Kommunikationsstrategien zu modernisieren.

Denn eines zeigt die Studie mit aller Deutlichkeit: Die Gesundheitskommunikation in Deutschland steht vor einer Generationenherausforderung. Wer junge Menschen erreichen will, muss verstehen, wie sie Informationen finden, konsumieren und verarbeiten – und muss bereit sein, ihnen auf diesen Wegen verlässlich zu begegnen. Das bedeutet nicht, auf Tiktok zu tanzen, aber sehr wohl, dort präsent zu sein. Ein seriöses Gesundheitsangebot muss nicht langweilig sein – aber es muss erreichbar, wiedererkennbar und interaktiv sein. Die Zeit, in der wissenschaftliche Autorität ausreichte, um junge Menschen zu überzeugen, ist vorbei.

Gleichzeitig erfordert die neue Realität auch politische Konsequenzen. Die Förderung digitaler Gesundheitskompetenz darf nicht bei freiwilligen Schulprojekten stehenbleiben. Sie gehört in den Bildungsauftrag, die Lehrerfortbildung, die Medienregulierung und die Gesundheitspolitik. Nur so lässt sich verhindern, dass eine ganze Generation zwischen Memes und Mythen ihre gesundheitliche Orientierung verliert. Prävention beginnt nicht beim Symptom, sondern beim Verstehen.

 

Geld garantiert Versorgung, aber nicht Gesundheit

Warum Deutschland Spitzenwerte bei Arzneimitteln erzielt, europäische Fristen unterbietet und dennoch bei der Lebenserwartung zurückbleibt

Dass der Zugang zu Arzneimitteln in Deutschland europaweit zu den besten zählt, ist kein Zufall, sondern das Resultat eines strukturell hochgerüsteten und finanzkräftigen Gesundheitssystems, das in seiner Ausgabentätigkeit EU-weit an der Spitze steht. Mit 12,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, die im Jahr 2022 für Gesundheit aufgewendet wurden, lässt Deutschland die meisten Nachbarn deutlich hinter sich – der EU-Durchschnitt liegt bei vergleichsweise moderaten 10,4 Prozent. Doch dieser finanzielle Kraftakt führt nicht automatisch zu besseren Gesundheitsoutcomes, wie die vergleichende Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der Privaten Krankenversicherung (PKV) aufzeigt: Während Zugang, Verfügbarkeit und Erstattung von Arzneimitteln in Deutschland nahezu mustergültig geregelt sind, bleibt die Lebenserwartung der Deutschen bemerkenswert niedrig.

Im Fokus der Studie standen zehn europäische Staaten mit unterschiedlichen Finanzierungsmodellen – von steuerbasierten Systemen wie in Dänemark oder Großbritannien bis zu beitragsfinanzierten Modellen wie in Deutschland, Frankreich oder der Schweiz. Ergänzt wurde der Ländervergleich durch den Durchschnitt der 27 EU-Mitgliedsstaaten. Das Ergebnis lässt keinen Zweifel zu: Deutschland gehört zur Spitzengruppe, wenn es um die flächendeckende Versorgung mit Arzneimitteln geht. Mit einer Erstattungsquote von 81 Prozent der Medikamentenausgaben durch die Krankenversicherung lag Deutschland im Jahr 2022 auf Platz zwei – nur Frankreich übertraf diesen Wert mit 82 Prozent. Der EU-Durchschnitt fällt mit 59 Prozent deutlich ab. In vielen Ländern ist also ein erheblicher Eigenanteil der Patienten erforderlich, um an notwendige Arzneimittel zu gelangen.

Diese Diskrepanz zwischen den Staaten hat einen zentralen Grund: Die Preisgestaltung und Erstattungsregelungen von Arzneimitteln sind nationale Entscheidungen, obwohl die Zulassung über die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) weitgehend harmonisiert erfolgt. Das führt nicht nur zu unterschiedlich langen Wartezeiten bei neuen Therapien, sondern auch zu erheblichen Unterschieden in deren Verfügbarkeit. Während Deutschland laut PKV-Gutachten im Median lediglich 47 Tage benötigt, um ein neues Medikament nach Zulassung für Patienten verfügbar zu machen, vergehen in anderen Ländern im Schnitt 474 Tage – also mehr als 15 Monate. Und während hierzulande 88 Prozent der zwischen 2019 und 2022 neu zugelassenen Arzneimittel tatsächlich verfügbar sind, liegt der EU-Schnitt bei nur 43 Prozent. Damit positioniert sich Deutschland als Verfügbarkeits-Champion in der Arzneimittelversorgung.

Doch das deutsche System wirkt in seiner Funktionalität fast überperfekt – zumindest, wenn man nur die Gesundheitslogistik betrachtet. Die Frage, warum dieses System trotz seines Tempos und seiner Breite keine bessere Lebenserwartung erzeugt, bleibt drängend. Denn Deutschland steht in dieser zentralen Messgröße weit hinter Staaten, die deutlich weniger Geld für Gesundheit ausgeben. Der Widerspruch ist evident: Ein Hochleistungssystem produziert keine Hochlebenszeit. Die Ursachen hierfür sind komplex – sie reichen von sozialen Ungleichheiten und Bildungsmangel über eine unzureichende Prävention bis zu hoher Arbeitsbelastung, Fehlernährung und ungenügender Alltagsbewegung. Medikamente kommen im Akutfall schnell zum Einsatz – doch Gesundheit ist keine reine Reparaturleistung.

Auch im europäischen Vergleich zeigt sich, dass Länder mit besser integrierten Präventions- und Vorsorgestrukturen – etwa die nordischen Staaten – nicht nur mit weniger Aufwand, sondern mit besseren gesundheitlichen Gesamtergebnissen arbeiten. Das deutsche System hingegen ist nach wie vor stark auf Krankheitsbehandlung und weniger auf strukturelle Gesundheitsförderung ausgerichtet. Die hohe Arzneimittelverfügbarkeit wirkt damit wie eine Art Kompensationsleistung für tieferliegende gesellschaftliche Versäumnisse. Die technischen Abläufe stimmen – die gesundheitlichen Lebensverhältnisse nicht.

In der Folge ist der hohe Mitteleinsatz in Deutschland ambivalent zu bewerten. Zwar sorgt die Finanzkraft für Sicherheit bei Versorgungsfragen, doch sie überdeckt zugleich systemische Defizite. So bleibt die Frage unbeantwortet, warum ein Land, das überdurchschnittlich viele innovative Medikamente verfügbar macht und sie rasch bereitstellt, gleichzeitig eine deutlich niedrigere Lebenserwartung aufweist als etwa Spanien oder Italien. Der bloße Zugang zu Medikamenten heilt eben nicht den sozialen Körper.

Hinzu kommt, dass diese Versorgung auch Risiken birgt – etwa durch zu frühe oder zu weite Indikationsstellungen bei neuen Therapien, durch Preisdrift bei Hochkostenarzneimitteln oder durch strukturelle Überversorgung in bestimmten Bevölkerungsgruppen. Deutschland ist nicht nur europäische Apotheke, sondern auch Versuchsfeld einer pharmazeutischen Interventionskultur, die auf Behandlung statt auf Verhältnisprävention setzt.

Der Bericht des PKV-Instituts liefert somit weniger eine Apotheose des deutschen Systems als eine Analyse seiner leistungsfähigen Symptome. Er beschreibt die Geschwindigkeit und die Vollständigkeit der Versorgung, aber nicht deren gesundheitlichen Output. Die Bewertung fällt damit zweigeteilt aus: Auf der einen Seite ein exzellent funktionierendes Arzneimittelsystem mit geringen Hürden, auf der anderen Seite eine demografisch, sozial und verhaltensbezogen unterversorgte Gesellschaft mit nur mittelmäßigen Gesundheitsoutcomes. Das deutsche System beweist, dass man mit Geld Zugang kaufen kann – aber nicht unbedingt Gesundheit.

 

Vertrauen aufbauen, Wissen vertiefen, Sicherheit vermitteln

Wie Apotheken in der Schwangerschaft evidenzbasiert beraten, OTC-Grenzen abwägen und Verantwortung mit fundierter Abgrenzung leben

Schwangerschaft verändert alles – auch die Art der Beratung. Für Apotheken ist sie Alltag und Ausnahmesituation zugleich: Einerseits geht es um vermeintlich banale Beschwerden, andererseits um eine Beratungssituation, in der Fehlgriffe psychisch wie medizinisch kaum zu verantworten wären. In dieser Spannung liegt die Herausforderung pharmazeutischer Verantwortung. Die Botschaft, die Dr. Miriam Ude beim Pharmacon-Kongress in Meran vermittelte, ist klar: Die Selbstmedikation in der Schwangerschaft ist keine Grauzone – sondern ein klar strukturierter Beratungsraum, wenn Apothekenteams wissen, wo die Grenze verläuft.

Die Grundlage ist nicht allein pharmazeutisches Fachwissen, sondern die Fähigkeit zur Kontextbewertung: Ist ein Medikament wirklich notwendig oder reichen nichtmedikamentöse Maßnahmen aus? Welche Wirkstoffe sind belegt sicher, welche mit Risiko behaftet – und was bedeutet das in einer akuten Entscheidungssituation am HV-Tisch? Genau hier entstehen Unsicherheiten, denn Standard-Fachinformationen reichen selten aus. Das erklärte Ziel laut Ude: evidenzbasierte Beratung ohne Verzicht auf Empathie. Datenbanken wie Embryotox, Reprotox oder LactMed® liefern dafür die nötige Tiefenschärfe.

Gerade bei Beschwerden wie Übelkeit oder Sodbrennen – beides häufige Begleiter vor allem im ersten und dritten Schwangerschaftsdrittel – zeigt sich, wie differenziert das Apothekenteam agieren muss. Zwar sei Dimenhydrinat laut Embryotox eine akzeptable Option, bei vorzeitigen Wehen jedoch tabu. Besser, aber nicht OTC-verfügbar: Doxylamin mit Pyridoxin. OTC-tauglich, aber mit begrenzter Wirkung: Ingwer und Vitamin B6. Ein ähnliches Muster zeigt sich bei Sodbrennen – hier sind Magaldrat und Hydrotalcit wegen geringer systemischer Resorption geeignet, müssen aber zur Aluminiumvermeidung niedrig dosiert und kurzzeitig eingesetzt werden.

Doch auch Alginate oder pflanzliche Kombinationen wie Iberogast Advance® sind unter Bedingungen einsetzbar – wobei hier ein höheres Maß an Risikoabwägung nötig ist. Bei Refluxösophagitis ist Omeprazol das Mittel der Wahl, das zwar in die Muttermilch übergeht, aber keine negativen Auswirkungen zeigt – eine Erkenntnis, die laut Ude Berührungsängste reduzieren sollte.

Noch klarer ist die Datenlage bei Obstipation – ein typisches Problem des zweiten Trimenons. Macrogol steht als Mittel der Wahl unangefochten an erster Stelle. Es kann durch alle Schwangerschaftsphasen hindurch eingesetzt werden, ohne dass relevante Risiken dokumentiert sind. Lactulose ist möglich, aber wegen potenzieller Gasbildung nur zweite Wahl. Kurzfristig sind bei unzureichender Wirkung auch stimulierende Laxanzien wie Bisacodyl oder Natriumpicosulfat vertretbar – ein Beispiel für die pragmatische Empfehlung auf Basis gestufter Risiko-Nutzen-Bewertung.

Bei Fieber oder Schmerzen ergibt sich ein vertrautes Bild: Paracetamol ist nach wie vor das Standardmittel in allen Schwangerschaftsphasen – weniger wegen überragender Wirkung, sondern wegen nachgewiesener Sicherheit. Doch viele Frauen sprechen darauf nicht an. In den ersten zwei Trimestern ist Ibuprofen die Alternative, danach allerdings ausgeschlossen. Der Grund ist gravierend: Die Prostaglandinhemmung durch NSAR kann ab der 28. Woche zu einem vorzeitigen Verschluss des Ductus arteriosus führen – eine kardinale Struktur im fetalen Blutkreislauf. Diese pathophysiologische Grundlage ist oft unbekannt, aber entscheidend für das Beratungsgespräch.

Was bei Migräne hilft, ist in vielen Fällen bekannt: Sumatriptan, insbesondere bei diagnostizierter Migräne, kann auch während der Schwangerschaft eingenommen werden. Voraussetzung ist jedoch, dass ein Arzt involviert ist. Es geht also nicht um die Substanz allein, sondern um die Einbettung in ein interdisziplinäres Versorgungskonzept.

Dr. Miriam Udes Fazit war daher doppelt aufrüttelnd und beruhigend zugleich: Es gibt ausreichend sichere Medikamente für Schwangere – entscheidend sei aber, dass sich Apothekenteams ihrer Rolle als Filter, Lotse und Risikoabwäger bewusst sind. Nicht aus Angst, sondern aus Wissen erwächst Handlungssicherheit. Die Qualität der Beratung in dieser besonderen Lebensphase ist kein reines Wissensspiel, sondern eine Führungsaufgabe auf Augenhöhe mit der Patientin.

 

Exazerbationen senken, Typ-2-Inflammation gezielt kontrollieren, Versorgungsperspektiven bei COPD erweitern

Warum Mepolizumab einen neuen Therapieansatz markiert, wie die FDA-Zulassung klinisch fundiert ist und welche Hürden in Europa noch bestehen

Die Zulassung von Mepolizumab (Nucala®) für die Zusatzbehandlung der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) bei erwachsenen Patientinnen und Patienten mit eosinophilem Phänotyp durch die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) markiert einen strategisch bedeutsamen Schritt in der therapeutischen Landschaft einer Erkrankung, die weltweit zu den führenden Todesursachen zählt. Im Zentrum dieser Entscheidung steht eine präzise definierte Subgruppe: Patient:innen mit persistierender Typ-2-Inflammation und unzureichender Kontrolle trotz inhalativer Dreifachtherapie. Für diese Gruppe, die nach Schätzungen rund 70 Prozent der schwerer betroffenen US-COPD-Patient:innen umfasst, bedeutet Mepolizumab eine spezifische Option mit belegter Wirksamkeit in Bezug auf die Senkung von Exazerbationsraten, Krankenhausaufenthalten und Notfallinterventionen.

Bereits seit 2016 ist der Wirkstoff Mepolizumab in der Europäischen Union zur Therapie von schwerem eosinophilem Asthma zugelassen. Der monoklonale Antikörper wirkt gezielt auf Interleukin 5 (IL-5), das als zentrales Zytokin in der Regulation der Eosinophilen gilt. IL-5 vermittelt entscheidende Schritte der eosinophilen Differenzierung, Aktivierung und des Überlebens. Mit der neuen Zulassung für COPD in den USA erweitert sich das therapeutische Spektrum des Wirkstoffs deutlich – vor allem in Hinblick auf ein Krankheitsbild, bei dem bisherige Standardtherapien oft nicht ausreichen, um den inflammatorischen Schub zu kontrollieren.

Die Evidenzgrundlage für diese Entscheidung basiert auf den Phase-III-Studien METREX und MATINEE. Beide Studien dokumentieren eine signifikante Reduktion der jährlichen Exazerbationsrate um etwa 20 Prozent im Vergleich zu Placebo – bei einer Dosierung von 100 mg Mepolizumab subkutan alle vier Wochen als Add-on zur bestehenden Tripeltherapie (bestehend aus LAMA, LABA und inhalativen Kortikosteroiden). Besonders eindrücklich war dabei die Auswertung der MATINEE-Studie: Hier zeigte sich neben der Reduktion der Exazerbationen auch eine deutliche Senkung der Rate von Krankenhausaufenthalten und Notaufnahmen – also jener klinischen Marker, die als prädiktive Größen für künftige Morbidität und Mortalität bei COPD gelten.

Kaivan Khavandi, Leiter der respiratorischen Forschung bei GlaxoSmithKline (GSK), unterstrich diesen Zusammenhang mit Nachdruck: Exazerbationen seien nicht nur Marker einer akuten Verschlechterung, sondern Indikatoren für den Gesamtverlauf der Krankheit – insbesondere dann, wenn sie eine stationäre Behandlung erfordern. Daraus ergibt sich auch eine zentrale gesundheitspolitische Perspektive: Ein gezielter Einsatz von Mepolizumab könnte nicht nur klinische Verläufe positiv beeinflussen, sondern auch ökonomisch bedeutsame Folgen wie Krankenhauskosten oder Notfallressourcen reduzieren.

Dass die Zulassung an strenge Kriterien gebunden ist, etwa einen dokumentierten Eosinophilen-Wert von mindestens 150 Zellen/µl, deutet auf eine zunehmende Präzisierung der COPD-Behandlung hin. Die klassische Einteilung in GOLD-Stadien gerät damit zunehmend unter den Druck molekularer Phänotypisierung. Die Definition einer Typ-2-Inflammation als therapiebestimmender Faktor reiht sich ein in ein Paradigmawechsel, der sich bereits in der Asthmatherapie etabliert hat und nun offenbar auch in der COPD angekommen ist.

Aus europäischer Sicht ist die FDA-Zulassung auch ein Signal an Regulierungsbehörden und Fachgesellschaften, über eine differenziertere Indikationsausweitung nachzudenken. Derzeit laufen laut GSK entsprechende Zulassungsverfahren in der EU und in China. Dass die bisherige Zulassung auf Asthma beschränkt blieb, lag weniger an fehlender Evidenz, sondern an den historisch unterschiedlichen Behandlungsparadigmen von Asthma und COPD. Während bei Asthma die immunmodulatorische Komponente der Entzündung im Vordergrund steht, war COPD lange Zeit als vornehmlich mechanisch-obstruktive Erkrankung mit rauchassoziierter Pathogenese verstanden worden. Diese binäre Trennung verliert mit der Anerkennung eosinophiler Entzündungsmuster bei COPD zunehmend an Relevanz.

Gleichzeitig stellt sich die Frage nach der praktischen Integration dieser neuen Behandlungsoption. Auch wenn Mepolizumab als Subkutaninjektion eine vergleichsweise einfache Applikation erlaubt, so wird die flächendeckende Identifikation geeigneter Patient:innen – inklusive labordiagnostischer Eosinophilenzählung – eine Herausforderung für viele hausärztlich orientierte Systeme sein. In Deutschland wird die Frage der Kostenübernahme eine zentrale Rolle spielen, insbesondere angesichts des angespannten GKV-Haushalts und der Debatten um Zusatznutzenbewertungen und Erstattungspreise.

Ein zweiter Blick lohnt sich zudem auf die pharmakologische Pipeline: Weitere Substanzen mit gezieltem Angriffspunkt auf Typ-2-Inflammation sind in Entwicklung. Diese Entwicklung könnte den Zugang zu personalisierter COPD-Therapie künftig ausweiten und Wettbewerb in einem bislang von symptomorientierten Standardtherapien dominierten Segment beleben. Der Einsatz monoklonaler Antikörper markiert dabei nicht nur einen Paradigmenwechsel in der klinischen Versorgung, sondern stellt auch Anforderungen an Fortbildung, Versorgungspfade und therapeutische Entscheidungslogik.

Insgesamt verdeutlicht die US-Zulassung von Mepolizumab: Der Kampf gegen Exazerbationen, die als Schlüsselmoment im COPD-Verlauf gelten, hat eine neue Dimension erreicht. Für Patient:innen mit eosinophilem Phänotyp eröffnet sich damit die Aussicht auf eine gezieltere, stabilisierende und langfristig morbiditätsmindernde Therapieoption – vorausgesetzt, sie wird rechtzeitig erkannt, differenziert eingesetzt und regulatorisch flankiert.

 

FSME ernst nehmen, Zeckenarten kennen, Impfschutz nutzen

Warum die Zeckenzeit nicht mehr endet, welche Krankheiten sie bringen und wie wir uns schützen können

Wenn Zecken zur Gefahr werden, denken viele reflexartig an die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) oder an Borreliose – Krankheiten, die im kollektiven Bewusstsein fest mit dem Gemeinen Holzbock verknüpft sind. Doch das tatsächliche Bedrohungsspektrum ist deutlich breiter. Mit dem Auftauchen weiterer Zeckenarten, der kontinuierlichen Ausweitung von Risikogebieten und der Verlängerung der Zeckensaison bis in die Wintermonate hinein verändert sich auch die Risikolandschaft – für Menschen wie für Tiere. Damit stellt sich die Frage neu, ob unsere Schutzstrategien noch ausreichen, ob Impfkampagnen die richtigen Gruppen erreichen und ob das Risiko nicht längst unterschätzt wird.

Was Zecken in der Breite gefährlich macht, ist weniger ihre schiere Zahl, sondern ihr krankheitsübertragendes Potenzial – und dieses ist differenzierter, als es in der öffentlichen Wahrnehmung erscheint. Neben dem Holzbock hat sich die Auwaldzecke (Dermacentor reticulatus) stark ausgebreitet, inzwischen auch in urbanen Randzonen. Sie ist nicht nur ein Träger des FSME-Virus, sondern überträgt vor allem auf Hunde die Babesiose, auch Hundemalaria genannt – eine potenziell tödlich verlaufende Erkrankung. Die Braune Hundezecke (Rhipicephalus sanguineus), eine invasive Art, kann ebenfalls zur Gefahr werden, vor allem wenn sie über Tierimporte eingeschleppt wird.

Bei Menschen jedoch stehen zwei Erregergruppen im Zentrum: FSME-Viren und Borrelien. Während Borreliose ganzjährig ein Thema ist und keine spezifische Risikogebietsdefinition kennt, ist FSME stärker saisonal gebunden – und meldepflichtig. Laut RKI wurden 2023 deutschlandweit 686 FSME-Erkrankungen registriert – eine deutliche Steigerung gegenüber den 478 Fällen im Vorjahr. Die Hauptmonate: Mai und Juni. Die Zahl schwankt von Jahr zu Jahr – weniger wegen klimatischer Faktoren, sondern aufgrund des komplexen Zusammenspiels zwischen Zeckenpopulation und Wirtstieren wie Nagern. Denn erst durch die hohe Präsenz infizierter Zwischenwirte steigt die Wahrscheinlichkeit, dass eine Zecke zum Überträger wird.

Borreliose hingegen ist schwerer zu greifen – nicht weil sie seltener wäre, sondern weil sie nicht meldepflichtig ist. Studien aus Abrechnungsdaten zufolge lagen die geschätzten Fallzahlen 2018 bei über 300.000. Besonders stark betroffen: Regionen in Süd- und Ostdeutschland. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen – denn viele Patientinnen und Patienten suchen bei diffusen Symptomen nicht sofort ärztlichen Rat. Die Diagnose erfolgt oft spät oder gar nicht. Dabei wäre Prävention einfach – denn im Gegensatz zur FSME, bei der das Virus sofort mit dem Stich übertragen werden kann, braucht Borrelia burgdorferi Zeit. Je früher eine Zecke entfernt wird, desto geringer das Übertragungsrisiko.

Und hier beginnt der praktische Teil der Vorsorge: Kontrolle, Entfernung, Desinfektion. Die Empfehlung lautet, nach jedem Aufenthalt in der Natur gründlich Haut und Kleidung zu inspizieren – auch im Winter, denn Zecken sind mittlerweile ganzjährig aktiv. Die gängige Zeckenentfernung mit Zange oder Karte ist dabei ebenso entscheidend wie die anschließende Desinfektion mit Povidon-Iod oder Octenidin. Darüber hinaus helfen Repellenzien – etwa mit Icaridin oder DEET – und Kleidungstricks wie das Stecken der Hosenbeine in die Socken. Helle Kleidung erleichtert das Auffinden von Zecken zusätzlich.

Der effektivste Schutz gegen FSME bleibt jedoch die Impfung – besonders für Menschen, die in Risikogebieten leben oder dort Urlaub machen. Und diese Gebiete dehnen sich aus. Neu hinzugekommen sind in diesem Jahr die Landkreise Elbe-Elster (Brandenburg), Celle (Niedersachsen) und der Stadtkreis Augsburg (Bayern). Gerade Menschen mit viel Aufenthalt im Freien, bei Wanderungen, Gartenarbeit oder beruflicher Exposition, sollten sich impfen lassen – in Absprache mit dem Hausarzt.

Anders liegt der Fall bei der Borreliose. Eine Impfung existiert bislang nicht. Die Forschung ist aktiv, aber konkrete Zulassungen fehlen. Hier bleibt nur die Verhaltensprävention – das eigene Handeln entscheidet über das Infektionsrisiko. Das RKI schätzt, dass zwischen 10 und 35 Prozent der Zecken Borrelien tragen, bei FSME-Viren liegt die Rate bei 0,1 bis 5 Prozent – stark abhängig von Region und Umweltbedingungen. Damit zeigt sich: Nicht jede Zecke ist eine Gefahr. Aber jede Zecke kann eine werden – und jede vermiedene Infektion ist ein Gewinn an Lebensqualität und Sicherheit.

Auch Haustiere sind Teil der Gleichung. Für Hunde und Katzen stehen Spot-on-Präparate, Tabletten oder Zeckenhalsbänder zur Verfügung – oft kombiniert mit Flohschutz. Denn Tierhalter tragen nicht nur Verantwortung für die Gesundheit ihrer Vierbeiner, sondern auch ein indirektes Risiko: Zecken, die auf Tiere übergehen, können anschließend Menschen befallen. Die Veterinärmedizin ist daher integraler Teil der öffentlichen Prävention – eine One-Health-Perspektive, die überfällig erscheint.

Die FSME-Gefahr darf nicht länger unterschätzt werden – nicht nur in ausgewiesenen Risikogebieten, sondern bundesweit. Dasselbe gilt für die Borreliose, deren epidemiologisches Gesamtbild weiter diffus bleibt. In einer Zeit, in der Klimawandel, Artenausbreitung und menschliche Mobilität neue biologische Realitäten schaffen, braucht es mehr als bloße Wachsamkeit: Es braucht Impfbereitschaft, Aufklärung, Struktur – und eine klare Strategie für Prävention und Früherkennung. Wer Zecken weiterhin als bloße Naturerscheinung abtut, riskiert eine Krankheit, die vermeidbar gewesen wäre. Und das nicht nur im Frühsommer.

 

Nährstofflücken schließen, Geschmackserziehung beginnen, Risiken vermeiden

Wie Schwangere die „ersten 1000 Tage“ aktiv mitgestalten, warum Mikronährstoffe essenziell sind und welche Irrtümer beim Essen lebenslang nachwirken

Die moderne Ernährungsmedizin hat längst aufgedeckt, was für Generationen zuvor bestenfalls ein Bauchgefühl war: Schwangerschaft ist nicht nur ein biologischer Ausnahmezustand, sondern ein prägendes Ernährungsfenster für zwei Menschen gleichzeitig. Was eine werdende Mutter zu sich nimmt, legt in den ersten 1.000 Tagen – vom Zeitpunkt der Befruchtung bis zum zweiten Geburtstag des Kindes – fundamentale Weichen für Geschmack, Stoffwechsel, Immunprofil und langfristige Krankheitsrisiken. Genau deshalb ist der Rat „nicht für zwei essen, aber für zwei denken“ mehr als ein Slogan. Es ist eine medizinische Anweisung mit lebenslanger Tragweite.

Professor Dr. Martin Smollich, Apotheker und Leiter des Instituts für Ernährungsmedizin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, stellte beim Pharmacon-Kongress in Meran klar, dass sich die Entwicklung des Geschmacks nicht erst nach der Geburt, sondern bereits im Mutterleib formt. Wenn die Mutter Bitterstoffe wie Brokkoli konsumiert, zeigt der Fötus laut Ultraschallaufnahmen deutliche Abwehrreaktionen – wohingegen süßlichere Geschmäcker wie Möhren ein Lächeln provozieren. Diese sensorische Prägung ist nicht nur eine Momentaufnahme, sondern hat nachweislich Einfluss auf die spätere Akzeptanz bestimmter Lebensmittel in der Kindheit. Wer als Fötus Vielfalt erlebt, akzeptiert später mit höherer Wahrscheinlichkeit eine abwechslungsreiche Kost.

Doch Vielfalt bedeutet nicht Verantwortungslosigkeit. Besonders sensibel reagiert der kindliche Organismus auf Infektionserreger, die über kontaminierte Lebensmittel aufgenommen werden. Listerien, die beispielsweise in rohem Fisch, Rohmilchkäse oder abgepacktem Salat vorkommen können, sind für Erwachsene oft harmlos, für Feten jedoch potenziell tödlich. Der klare medizinische Appell lautet daher: Keine rohen tierischen Produkte in der Schwangerschaft. Gleichzeitig wird Küchenhygiene nicht zur Disziplin für Pedanten, sondern zum wirksamsten Präventionsmittel gegen stille Katastrophen im Mutterleib.

Zentrale Rolle spielen in dieser vulnerablen Phase auch die sogenannten Big Five der Mikronährstoffe: Folsäure, Jod, Eisen, Vitamin D und Omega-3-Fettsäuren. In der Theorie bekannt, in der Praxis oft ignoriert. Smollich warnt eindringlich vor einer latenten Versorgungslücke. Zwar sei das Bewusstsein für Folsäure in der Frühschwangerschaft in vielen Praxen etabliert – etwa zur Prävention von Neuralrohrdefekten. Doch selbst hier liegt die praktische Umsetzung weit hinter dem Soll: Nur etwa 50 Prozent der Frauen nehmen die empfohlene Tagesdosis tatsächlich ein. Die anderen hoffen – oder ignorieren. Dabei ist gerade bei Folsäure die zeitliche Dimension entscheidend: Die Supplementation sollte idealerweise schon vor der Empfängnis beginnen, denn bereits in den ersten Wochen nach der Befruchtung laufen zentrale Prozesse der Zellteilung und Gewebedifferenzierung ab, die ohne ausreichende Versorgung irreversibel gestört werden können.

Auch beim Thema Jod zeigt sich eine erschreckende Diskrepanz: Deutschland gilt weiterhin als Jodmangelland. Smollich verweist auf Studien, die zeigen, dass etwa ein Drittel der Schwangeren die empfohlene Zufuhr nicht erreicht. Das ist nicht nur ein Problem für die mütterliche Schilddrüse, sondern auch für die fetale Gehirnentwicklung, die stark jodabhängig ist. Doch Supplementierung nach dem Gießkannenprinzip sei ebenso fehl am Platz: Nur nach individueller Messung des Jodstatus könne die richtige Dosis durch den Frauenarzt festgelegt werden.

Beim Eisen scheiden sich die Geister: Einerseits ist der Bedarf während der Schwangerschaft deutlich erhöht – Blutvolumen und Sauerstofftransportkapazität müssen wachsen. Andererseits ist die Bandbreite der biologischen Verfügbarkeit von Eisen riesig. Unkontrolliertes Supplementieren kann Nebenwirkungen wie Verstopfung oder Übelkeit nach sich ziehen. Auch hier plädiert Smollich für diagnostisch gestützte Individualisierung: Erst messen, dann geben.

Vitamin D, das durch Sonnenlicht auf der Haut synthetisiert wird, ist in Deutschland ebenfalls ein Mangelkandidat – vor allem in den dunklen Monaten. Die Effekte einer Unterversorgung reichen von einer verminderten Immunantwort bis hin zu Knochenentwicklungsstörungen beim Kind. Dennoch bleibt die Bestimmung des Status und die angemessene Supplementierung auch hier ärztliche Aufgabe.

Am unkompliziertesten gestaltet sich die Versorgung mit Omega-3-Fettsäuren, insbesondere mit der langkettigen Docosahexaensäure (DHA). Diese beeinflusst nachweislich die neuronale Entwicklung und das Sehvermögen des Kindes. Smollich empfiehlt, mindestens 200 mg DHA pro Tag zu supplementieren – ohne Ausnahme, unabhängig von der sonstigen Ernährung.

Auffällig ist jedoch, dass viele dieser Empfehlungen trotz wiederholter Betonung durch Fachgesellschaften, Gynäkologen und Apotheker nicht die nötige Breitenwirkung entfalten. Weder in der Bevölkerung noch in der ärztlichen Praxis scheint angekommen zu sein, dass Mikronährstoffversorgung kein Lifestyle-Thema ist, sondern Teil der primären Krankheitsprävention. Dass gerade die Apotheke hier eine zentrale Rolle übernehmen kann, ist unbestritten – vorausgesetzt, sie nutzt diese Rolle offensiv, evidenzbasiert und empathisch.

Denn eines zeigt sich deutlich: Schwangerschaft ist keine Krankheit, aber eine physiologische Extremsituation, in der Wissen, Aufmerksamkeit und Prävention über Generationen hinweg wirken. Die Beratung in der Apotheke muss diesem Anspruch gerecht werden – nicht als Anhängsel der Gynäkologie, sondern als unabhängige Instanz für evidenzbasierte Alltagsaufklärung. Wer heute aufklärt, verändert morgen Leben.

 

Gesundheitsversorgung braucht Vertrauen, Forschung braucht Daten, Politik braucht Realitätssinn

Warum Frauen sich unzureichend versorgt fühlen, geschlechtsspezifische Forschung bislang scheitert und digitale Strategien gesellschaftlich polarisieren

Der internationale Tag der Frauengesundheit am 28. Mai ist mehr als eine symbolische Mahnung – er ist ein Spiegel für strukturelle Schwächen in der medizinischen Versorgung, deren geschlechtsspezifische Dimension nach wie vor systematisch unterschätzt wird. Was seit Jahren in Fachkreisen diskutiert wird, erhält nun durch eine aktuelle, repräsentative Umfrage von Pharma Deutschland schärfere Konturen: Frauen empfinden ihre Gesundheitsversorgung nicht nur als unzureichend, sondern auch als politisch marginalisiert. Die politische Rhetorik über Gleichstellung in der Medizin wird von vielen Betroffenen nicht als Verbesserung ihrer Lebensrealität empfunden, sondern als hohles Versprechen. Zwischen medizinischem Alltag, forschungspolitischer Ambition und digitaler Zukunftsdebatte klafft eine Vertrauenslücke, deren Dimension die Umfrage mit deutlicher Klarheit ausleuchtet.

Ein zentraler Befund ist dabei die höhere Nutzung rezeptfreier Arzneimittel durch Frauen: 52,1 Prozent der weiblichen Befragten greifen mindestens einmal im Monat zu OTC-Präparaten – ein signifikanter Unterschied zu den 38,4 Prozent der Männer. Diese Kennziffer steht nicht nur für individuelle Gesundheitsvorsorge, sondern auch für das wachsende Gefühl, in der regulären Versorgung unterversorgt zu sein. Frauen kompensieren offenbar Versorgungsdefizite zunehmend im Selbstmanagement, das oft ohne ärztliche Rückbindung erfolgt – mit allen Risiken der Selbstdiagnose und -behandlung. Hier zeigt sich eine kritische Schnittstelle zwischen Präventionsverantwortung und Systemversagen.

Die politische Vertrauensbilanz fällt dabei ernüchternd aus: Nur jede fünfte Frau (20,4 Prozent) glaubt laut der Erhebung, dass politische Maßnahmen tatsächlich zur Verbesserung der Arzneimittelversorgung beitragen könnten. Männer zeigen mit 23,6 Prozent ein leicht höheres Zutrauen – doch auch hier ist das Vertrauen auf niedrigem Niveau. Die Diskrepanz ist nicht nur zahlenmäßig, sondern symbolisch bedeutsam: Sie spiegelt die Erfahrung vieler Frauen wider, dass geschlechtsspezifische Krankheitsbilder wie Endometriose oder hormonelle Störungen politisch kaum Priorität besitzen. Zwar betont die Bundesregierung, etwa durch die Aussagen von Gesundheitsministerin Nina Warken, die Notwendigkeit geschlechtsspezifischer Medizin. Doch Versorgungsrealität und strategische Planung klaffen weit auseinander – und die Empfindung einer systemischen Ungleichbehandlung bleibt bestehen.

In der digitalen Gesundheitsstrategie offenbart sich zudem eine weitere Konfliktlinie: Nur 61,6 Prozent der Frauen wären laut Umfrage bereit, ihre Gesundheitsdaten für Forschungszwecke bereitzustellen, 30,2 Prozent lehnen dies strikt ab. Männer zeigen mit 72,1 Prozent eine deutlich höhere Bereitschaft. Diese Kluft ist nicht bloß eine Frage der Digitalaffinität, sondern verweist auf tiefsitzende Ängste vor Datenmissbrauch, Kontrollverlust und mangelnder Transparenz. Die Digitalisierung im Gesundheitswesen wird von vielen Frauen nicht als Befreiung, sondern als Bedrohung empfunden – auch weil ihre Bedürfnisse in technokratischen Systemarchitekturen zu wenig Berücksichtigung finden.

Pharma Deutschland sieht die Branche in der Pflicht und betont ihre Verantwortung für gezielte Innovationen. Therapien gegen Endometriose, Brustkrebs und hormonelle Erkrankungen sollen stärker gefördert werden, um eine gendergerechte Arzneimittelentwicklung zu ermöglichen. Gleichzeitig mahnt Hauptgeschäftsführerin Dorothee Brakmann mehr gesellschaftliche Akzeptanz geschlechtsspezifischer Krankheitsbilder an – eine Forderung, die auch aus Sicht der Patientinnen überfällig ist. Denn der medizinische Alltag zeigt: Wer über Schmerzen schweigt, weil sie „normal“ seien, erhält keine Therapie. Wer seine Symptome nicht als biologisch relevant klassifizieren kann, bleibt in der Versorgung außen vor.

Die Diskussion um geschlechtersensible Versorgung steht damit an einem Wendepunkt. Die Ergebnisse des Gesundheitsmonitors verdeutlichen, dass es nicht nur um medizinische Parameter oder politische Programme geht, sondern um ein Grundverständnis von Gerechtigkeit in der Gesundheitsversorgung. Die Zielsetzung muss dabei dreifach gedacht werden: Zugang zur Versorgung, Vertrauen in Forschung und Relevanz in politischer Steuerung. Dass Frauen derzeit in allen drei Bereichen Defizite empfinden, ist kein individuelles Problem – sondern ein strukturelles Versagen. Der 28. Mai ist damit nicht nur ein Gedenktag, sondern ein Prüfstein für die Glaubwürdigkeit gesundheitspolitischer Programme.

Von Engin Günder, Fachjournalist

 

Zurück zur Übersicht

Kontakt
Jetzt Ihr persönliches Angebot anfordern!
Rückrufservice
Gerne rufen wir Sie zurück!
Suche
  • Pharmarisk® OMNI: Die Allrisk-Police zu Fixprämien
    Pharmarisk® OMNI: Die Allrisk-Police zu Fixprämien
    Allgefahrenschutz online berechnen und beantragen

Wir kennen Ihr Geschäft, und das garantiert Ihnen eine individuelle und kompetente Beratung.

Sie haben einen Beruf gewählt, der weit mehr als reine Erwerbstätigkeit ist. Sie verfolgen im Dienste der Bevölkerung hohe ethische Ziele mit Energie, fachlicher Kompetenz und einem hohen Maß an Verantwortung. Um sich voll auf Ihre Aufgabe konzentrieren zu können, erwarten Sie die optimale Absicherung für die Risiken Ihrer Berufsgruppe.

Sie suchen nach Möglichkeiten, Ihre hohen Investitionen zu schützen und streben für sich und Ihre Angehörigen nach einem angemessenen Lebensstandard, auch für die Zukunft.

  • Die PharmaRisk® FLEX
    Die PharmaRisk® FLEX
    Eine flexible Versicherung für alle betrieblichen Gefahren
Nutzen Sie unsere Erfahrung und rufen Sie uns an

Unter der kostenfreien Telefonnummer 0800. 919 0000 oder Sie faxen uns unter 0800. 919 6666, besonders dann, wenn Sie weitere Informationen zu alternativen Versicherern wünschen.

Mit der ApoRisk® FirmenGruppe steht Ihnen ein Partner zur Seite, der bereits viele Apothekerinnen und Apotheker in Deutschland zu seinen Kunden zählen darf. Vergleichen Sie unser Angebot und Sie werden sehen, es lohnt sich, Ihr Vertrauen dem Versicherungsspezialisten für Ihren Berufsstand zu schenken.

  • Die PharmaRisk® CYBER
    Die PharmaRisk® CYBER
    Eine einzige Versicherung für alle Internetrisiken