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APOTHEKE | Medienspiegel & Presse |
Während der Phagro eine strategische Wende in der Skontodebatte vollzieht und mit echten Skonti auf den Festzuschlag neue Steuerungsräume für Liquidität öffnet, geraten Apotheken durch existenzbedrohliche Retaxationen, fehlende Versicherungslösungen und stagnierende Fixum-Reformen in eine betriebswirtschaftliche Schieflage, die durch politisch blockierte Umsetzungsschritte, unklare Telepharmazie-Regelungen und digital fragile Übergangsinfrastrukturen – etwa die befristete CardLink-Zulassung – zusätzlich verschärft wird, gleichzeitig ringt Redcare um Marktvertrauen und strategische Richtung, während Ministerin Nina Warken zwar strukturelle Reformen bei Kliniken, Pflege und Finanzierung ankündigt, diese jedoch bislang nicht konkretisiert, die Gematik nach tragfähigen E-Rezept-Nachfolgelösungen sucht, digitale Rezeptportale juristisch unklar agieren und ein BGH-Urteil zur Studienvermittlung die Debatte über rechtlich zulässige Gesundheitsdienstleistungen neu entfacht, ergänzt durch öffentliche Impflücken und eine Diphtherie-Alarmierung, die die Schwächen grenzüberschreitender Prävention deutlich macht – womit sich die Versorgungssicherheit nicht nur als wirtschaftliches, sondern als rechtlich-politisches Steuerungsproblem erweist.
Skontokompromiss wird Strategie, Liquiditätssteuerung wird Hebel, Versorgungsstruktur wird Prüfstein
Wie der Phagro seine Haltung zur Skontofrage revidiert, die Vorfristigkeit zur wirtschaftlichen Stellschraube erklärt und das Urteil des BGH als Grenzlinie nutzt
Der Großhandelsverband Phagro vollzieht eine strategische Wende in der Skontodebatte und präsentiert einen Lösungsvorschlag, der einerseits die Anforderungen des Bundesgerichtshofs (BGH) respektiert und andererseits auf die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Apotheken eingeht. Nach jahrelanger Blockadehaltung spricht sich der Verband nun für die gezielte Einführung sogenannter „echter Skonti“ auf den gesetzlich fixierten Festzuschlag von 73 Cent aus – unter klaren Bedingungen: Skonti sollen ausschließlich als Gegenleistung für die vorfristige Zahlung gewährt werden dürfen und sich am geltenden Zinsniveau orientieren. Damit versucht der Verband, einen tragfähigen Mittelweg zwischen Wirtschaftlichkeit und Rechtssicherheit zu definieren, der weder die Substanz des Großhandels gefährdet noch die Liquiditätsengpässe der Apotheken ignoriert.
Die Kehrtwende kommt nicht zufällig. Der Koalitionsvertrag sieht eine „Aufhebung des Skonti-Verbots“ ausdrücklich vor. Auch wenn der Begriff juristisch unzutreffend ist – ein generelles Verbot existiert nicht –, wurde der Debattenraum bislang vom Urteil des BGH vom 8. Februar 2024 bestimmt. Dieses hatte unmissverständlich klargestellt, dass der Festzuschlag nicht durch Rabatte oder Skonti unterschritten werden darf, da sonst die gesetzlich garantierte Mindesterstattung des Großhandels unterlaufen würde. Der Phagro betont daher, dass es in Wahrheit um die Sicherung einer Untergrenze geht – und nicht um die vollständige Abschottung gegen jegliche Nachlässe.
Bemerkenswert ist die neue argumentative Linie: Der Verband stellt nicht mehr die Apotheken als Profiteure infrage, sondern sucht den Schulterschluss. Geschäftsführer Michael Dammann und Thomas Porstner verweisen auf die systemische Verflechtung: „Nur gemeinsam können wir Patientinnen und Patienten in ganz Deutschland schnell und zuverlässig versorgen.“ Damit deutet sich eine strategische Neuausrichtung an, bei der der Großhandel seine Rolle als stabilisierende Infrastrukturkomponente wirtschaftlich absichert – ohne die Apothekerschaft als Gegner zu adressieren.
Gleichzeitig kalkuliert der Phagro seine Schmerzgrenze messerscharf: Eine flächendeckende Skontofreigabe könnte nach eigenen Berechnungen zu einem Ergebnisverlust von 255 Millionen Euro pro Jahr führen – bei einem Branchengewinn von 310 Millionen Euro. Diese Zahl unterstreicht, dass eine falsch austarierte Skontopolitik den Großhandel massiv destabilisieren könnte, mit Folgen für Lieferfrequenzen, Arzneimittelverfügbarkeit und Investitionen in die Lieferkette. Der neue Vorschlag des Phagro erscheint daher als präzise justierter Kompromiss: kein Rabatt auf Vorrat, sondern eine Liquiditätslogik, die die Interessen beider Seiten vertraglich und rechnerisch bindet.
Konkret schlägt der Verband vor, dass echte Skonti nur dann erlaubt sein sollen, wenn der zeitliche Vorlauf zur Fälligkeit des Rechnungsbetrags den gewährten Nachlass rechtfertigt – gemessen am aktuellen Basiszinssatz zuzüglich einer marktüblichen Bankenmarge. Diese ökonomisch abbildbare Skontostruktur soll verhindern, dass das Instrument zur verdeckten Rabattsubvention mutiert. Gleichzeitig bliebe der Handlungsspielraum erhalten, sofern sich Apotheken auf eine beschleunigte Zahlungsweise einlassen können oder wollen.
Dieser Kurswechsel könnte politisch ein Befreiungsschlag sein: Die Bundesregierung, die im Koalitionsvertrag eine Öffnung angedeutet hat, erhält damit ein vorgeprüftes Konzept aus der Branche selbst – rechtssicher, differenziert, wirtschaftlich kalkulierbar. Für Apotheken bedeutet das: Skonti sind wieder denkbar, aber nicht um jeden Preis. Für den Großhandel heißt es: keine pauschale Abwertung des eigenen Modells, sondern selektive Optimierung auf Grundlage solider Kalkulation.
Die eigentliche Signalwirkung des Vorstoßes liegt jedoch tiefer: Der Phagro positioniert sich als strukturtragende Instanz, die auf Veränderung nicht mit Blockade, sondern mit Systematik antwortet. Das stärkt nicht nur die Verhandlungsposition gegenüber Politik und Apotheken – es schützt auch die Glaubwürdigkeit des Großhandels in einem Markt, der zunehmend unter Preisdruck, Logistikengpässen und politischen Eingriffen leidet.
Dass die Lösung zugleich eine Absage an eine Skontoflut ist, gehört zur strategischen Klarheit. Denn ohne rechtliche Rückendeckung und wirtschaftliches Gleichgewicht würde jede Skontoinitiative schnell zum Bumerang – für die Versorgung, die Apotheken, den Großhandel gleichermaßen. Dass dies nicht geschieht, ist nun erklärtes Ziel einer Politik der kontrollierten Öffnung, nicht der überhitzten Verteilung.
Retaxationen ruinieren Vertrauen, Versicherungen verhindern Existenzkrisen, Schulung wird zur Überlebensstrategie
Wie Apotheken durch Rezeptur-Retaxationen unter Druck geraten, warum Vermögensschadenversicherungen zur Pflicht werden und wieso Prävention nicht nur juristisch, sondern betriebswirtschaftlich zählt
Die Wut ist greifbar. „Mein Retax-Wert liegt bei über 20.000 Euro“, sagt Andrea Kampmann, Inhaberin der Rats-Apotheke im niedersächsischen Uchte. Sie meint damit nicht einen einmaligen Schaden, sondern eine Summe, die sich über Monate und Jahre aufgebaut hat. Immer wieder dieselbe Begründung seitens der Kasse: „Die Abrechnung sei nicht korrekt erfolgt.“ Dass es dabei fast ausschließlich um Rezepturen geht – jene aufwendig gefertigten, individuellen Arzneimittel –, macht das Ganze doppelt bitter. Denn gerade diese Leistungen stehen für pharmazeutisches Handwerk und patientenzentrierte Versorgung. Was also läuft schief?
Das eigentliche Problem liegt im System selbst. Apotheken sollen Individualität liefern, dabei aber ein formalisiertes Abrechnungsprotokoll durchlaufen, das in der Praxis oft an der Lebensrealität vorbeigeht. Rezeptur-Retaxationen sind kein Einzelfall, sondern strukturelle Realität: Formulierungsfehler in der Dokumentation, fehlende Angaben zu Konservierungsmitteln, das vermeintlich falsche Behältnis oder das Missverständnis, ob eine Konservierung entbehrlich war – jedes Detail kann eine Retaxation begründen. Die GKV-Routinen sind automatisiert, die Interpretationen rigide. Kulanz ist selten, Einsprüche scheitern oft an der „Formalentscheidung“ der Krankenkassen.
Bedenklich ist dabei weniger die bloße Summe der Retaxationen – auch wenn fünfstellige Rückforderungen existenzbedrohend sein können –, sondern die daraus resultierende Verunsicherung. Apotheken werden in ihrer heilberuflichen Leistung delegitimiert, weil sie sich nicht auf ein stabiles Regelwerk verlassen können. Das Vertrauen in die Systemlogik bröckelt. Dabei handelt es sich bei den betroffenen Rezepturen oft um ärztlich verordnete, medizinisch notwendige Maßnahmen – kein Luxus, keine Experimente. Die Apotheken dokumentieren, prüfen, haften – und verlieren trotzdem.
Inmitten dieser systemischen Schieflage rückt eine Frage in den Vordergrund, die lange unterschätzt wurde: Wie sichern Apotheken sich gegen solche Risiken eigentlich ab? Die Antwort ist ernüchternd – viele gar nicht oder nur unzureichend. Während klassische Betriebshaftpflichtversicherungen Personenschäden, Produkthaftung oder Diebstahl abdecken, bleibt der Bereich der Retaxationen ein Graubereich. Erst spezialisierte Vermögensschadenversicherungen können hier gezielt greifen. Doch auch diese erfordern eine exakte Definition der versicherten Risiken: Sind auch fahrlässige Formfehler abgedeckt? Was passiert bei systematischer Beanstandung durch eine Kasse? Werden Rückforderungen bei Rezepturen ohne klaren ärztlichen Zusatz verlässlich übernommen?
Gerade kleinere Betriebe oder Inhaber ohne juristisch geschultes Personal gehen davon aus, dass sie über ihre Standardpolice ausreichend geschützt sind – ein fataler Irrtum. Die Realität zeigt, dass viele Versicherer im Ernstfall auf Ausschlussklauseln pochen oder die Schadensregulierung verschleppen. Wer sich absichern will, muss vertraglich definierte Schadensarten, Gutachterregelungen und Beweislastumkehrmechanismen klar festlegen. Vor allem aber: Die Police muss explizit auch Honorarrückforderungen nach § 130 SGB V wegen angeblicher Abrechnungsfehler einschließen. Nur dann greift sie dort, wo Apotheken am verwundbarsten sind.
Neben der Absicherung bleibt die Prävention entscheidend – und auch hier hapert es vielerorts. Schulungen für Rezepturpersonal, standardisierte Prüfprozesse, IT-gestützte Validierungen und vor allem eine kontinuierliche Weiterbildung im Umgang mit Abrechnungsregeln sind kein Luxus, sondern unternehmerische Notwendigkeit. Wer etwa regelmäßig mit der eigenen Apothekerkammer, dem Pharmazierat oder spezialisierten Abrechnungsjuristen kommuniziert, kann Fehlerquellen gezielt minimieren. Trotzdem bleibt: Der Aufwand steigt, die Einnahmen bleiben konstant – ein toxisches Verhältnis.
Auch die politische Dimension ist nicht zu unterschätzen. Die strukturelle Retax-Praxis stellt eine Belastungsprobe für das Verhältnis zwischen GKV-System und freiem Heilberuf dar. Wenn wirtschaftlicher Druck durch formale Erbsenzählerei ersetzt wird, ist das kein fairer Dialog mehr – sondern ein Zeichen institutioneller Überforderung. In Zeiten, in denen Apotheken um Nachwuchs kämpfen, Standorte schließen und die ambulante Versorgung auf Kante genäht ist, droht die Retax-Logik zum Brandbeschleuniger des Apothekensterbens zu werden.
Die einzige wirksame Gegenstrategie liegt daher in einem mehrstufigen Sicherheitsnetz: Professionelle Abrechnungsvorbereitung, interne Qualitätssicherung, rechtssichere Versicherungskonzepte – und ein politisch kluges Eintreten für ein besseres Miteinander von Krankenkassen und Apotheken. Denn wer das Rezepturhandwerk ruiniert, gefährdet nicht nur den Berufsstand, sondern auch Patient:innen, die auf Individualtherapie angewiesen sind.
Macht kehrt zurück, Vertrauen bleibt aus, Strategie steht auf der Kippe
Wie Redcare-Gründer Michael Köhler mit seinem Rückkauf den Aufsichtsrat elektrisiert, der Markt weiter Vertrauen verliert und das Unternehmen vor einem Wendemanöver steht
Während Investoren in wachsender Zahl das Weite suchen und der Aktienkurs von Redcare auf Talfahrt bleibt, entscheidet sich ausgerechnet der einstige Gründungsvorstand Michael Köhler für das Gegenteil: Er kauft sich wieder ein – mit nennenswertem Kapitaleinsatz, zum Tiefstand – und lässt sich gleichzeitig in den Aufsichtsrat des Unternehmens wählen. Ein Schachzug, der wie ein kalkuliertes Comeback wirkt. Doch was wie ein persönlicher Befreiungsschlag erscheint, ist in Wirklichkeit ein strategisches Störsignal an Markt, Politik und Öffentlichkeit. Denn Redcare steht nicht nur vor einem Kursproblem, sondern mitten in einer Identitätskrise: zwischen regulatorischen Unsicherheiten, wachsendem Widerstand aus der Apothekerschaft und sinkendem Vertrauen der Kapitalmärkte. In dieser Gemengelage wirkt Köhlers Schritt wie die Reaktivierung eines unternehmerischen Gravitationszentrums – mit offenem Ausgang.
Dass Redcare ein massives Kommunikations- und Legitimationsdefizit aufgebaut hat, zeigt sich an der Reaktion der Börse: Der Kurs sackte am Tag von Köhlers Einstieg weiter ab – trotz des deutlichen Kaufsignals. Normalerweise gelten Insiderkäufe – besonders durch erfahrene Branchengrößen – als Vertrauensanker. Hier aber nicht. Die Investoren quittieren den Rückkauf nicht mit Aufbruchshoffnung, sondern mit Ratlosigkeit. Offenbar wird Köhlers Rückkehr nicht als strategischer Masterplan, sondern als Zeichen einer möglichen Verzweiflungstat gelesen: als Versuch, Kontrolle zurückzugewinnen in einem Konzern, dessen Außenbild längst durch aggressive Marketingkampagnen, technische Bruchstellen und politische Friktionen dominiert wird.
Inhaltlich trifft Köhlers Rückkehr auf einen Wendepunkt: Das bisherige Herzstück der Redcare-Strategie, der Einlöseweg über CardLink, ist regulatorisch auf Abruf gestellt. Die von den Aufsichtsbehörden nur befristet genehmigte Schnittstelle zur E-Rezept-Einlösung steht vor dem Aus, eine Nachfolgelösung über die GesundheitsID ist angekündigt – jedoch weder technisch etabliert noch gesellschaftlich akzeptiert. Die Sorge: Viele Kundinnen und Kunden werden den neuen digitalen Authentifizierungsweg nicht nutzen – sei es aus Sicherheitsbedenken, aus Komfortgründen oder wegen der fehlenden Integration in bestehende Alltagspfade. Genau hier beginnt das strukturelle Risiko: Redcare droht sein wichtigster Wettbewerbsvorteil – der unkomplizierte Rezeptfluss – zu entgleiten. Und damit eine zentrale Kundenschnittstelle.
Köhlers Einstieg in den Aufsichtsrat ist vor diesem Hintergrund mehr als nur symbolisch. Er bedeutet die Rückkehr eines Unternehmers, der das Unternehmen nicht nur gegründet, sondern über Jahre gegen massive politische Widerstände und Branchenschelte hinweg aufgebaut hat. Seine Personalie wirkt wie ein Rettungsanker aus der Vergangenheit – eine Rückbesinnung auf unternehmerische Steuerung, auf direkte Beteiligung, auf integrierte Verantwortung. In der Branche aber werden zwei Lesarten diskutiert: Entweder wird hier versucht, den internen Kurs zu stabilisieren, um operative Neuausrichtung zu ermöglichen – oder es geht schlicht darum, verlorenes Vertrauen über biografische Autorität zurückzuholen, ohne den strategischen Unterbau zu verändern. Beides wäre möglich. Doch entscheidend ist: Der Markt glaubt (noch) nicht an die Wende.
Dass die Strategie von Redcare neu justiert werden muss, ist auch politisch offensichtlich geworden. Spätestens seit dem öffentlichen Disput zwischen ABDA-Vize Ina Lucas und Redcare-CEO Olaf Heinrich beim AByou-Future Lab ist klar: Der Versandhandel steht unter verschärfter Beobachtung. Der Vorwurf: Werbetechnisch dominant, aber versorgungspolitisch ausweichend. Die öffentliche Diskussion über gleichwertige pharmazeutische Dienstleistungen, über Verantwortung in der Kühlkette und über strukturelle Versorgungslücken auf dem Land trifft Redcare ins Mark. Die Symbolik: Der Marktführer im Versand wird plötzlich als Infrastrukturproblem gesehen – nicht als Effizienzbringer. Das verstärkt den Druck auf den Konzern, sich neu zu legitimieren.
Köhler könnte dabei nicht nur eine historische, sondern auch eine taktische Rolle spielen: Er ist keiner, der sich mit formalem Mandat begnügt. Als Vorstand prägte er Redcare in den Aufbaujahren, verankerte den Onlinehandel im Arzneimittelmarkt, positionierte sich gegen behördliche Bremsversuche und setzte auf europäische Expansion. Dass er nun erneut mit Kapital einsteigt, lässt Rückschlüsse zu: Er sieht entweder eine massive Unterbewertung – oder spürt die Notwendigkeit, in eine operative Lücke zu springen, bevor andere sie füllen. In Branchenkreisen wird bereits spekuliert, ob Redcare mittelfristig eine CEO-Rochade plant oder sogar einen Strategiewechsel im E-Rezept-Geschäft vollzieht – etwa hin zu Kooperationsmodellen mit öffentlichen Apotheken.
Was bislang aber fehlt, ist ein öffentlich sichtbares Narrativ. Der Rückkauf ist ein starkes Signal – aber kein strategischer Plan. Die Fragen der Branche bleiben: Wie will Redcare die Kundenbindung im E-Rezept-Zeitalter sichern? Wie umgehen mit der zunehmenden politischen Kritik? Wie die eigene Infrastruktur so absichern, dass das Vertrauen institutioneller Investoren zurückkehrt? Derzeit wirkt Redcare wie ein Konzern im Stillstand: mit zu großem Apparat, zu kleinem Vertrauenspolster und wachsender struktureller Angriffsfläche. Dass ausgerechnet der Gründer jetzt wieder an Bord ist, kann entweder der erste Zug einer langfristigen Neuaufstellung sein – oder das letzte Aufbäumen vor dem Umbau. Entscheidend wird sein, ob auf die symbolische Handlung nun operative und kommunikative Kohärenz folgt.
Für Köhler ist die Wette klar: Er setzt auf das Comeback seines Unternehmens, auf die Wiederbelebung eines Geschäftsmodells, das von Effizienz, Service und digitalem Zugang geprägt war – und nicht von regulatorischen Ausnahmeregeln oder taktischen Prozesslücken. Für Redcare aber ist seine Rückkehr eine Verpflichtung: Wer sich die Gründungsfigur zurückholt, muss liefern – keine Repräsentation, sondern Richtung. Nur wenn sich die Unternehmensführung jetzt klar zum Wandel bekennt, wenn technologische Resilienz, politische Anschlussfähigkeit und strukturelle Versorgungsstärke glaubhaft kombiniert werden, kann aus dem Rückkauf ein Aufbruch werden.
CardLink steht auf Abruf, Gematik sucht Alternativen, Redcare beschwichtigt
Wie die Diskussion um die PoPP-Zukunft an Fahrt gewinnt, warum Börsianer skeptisch bleiben und welche Rolle die GesundheitsID künftig spielt
Die Unsicherheit rund um das Verfahren „CardLink“ zur kontaktlosen Einlösung elektronischer Rezepte über Versandapotheken hat eine neue Stufe erreicht – und damit eine zentrale Schwachstelle der derzeitigen Digitalstrategie im Apothekenwesen offengelegt. Während Redcare am Markt um Beruhigung bemüht ist und betont, dass PoPP-basierte Nachfolgelösungen in Planung seien, bleibt die Frage offen, wie lange die Brücke zwischen regulatorischer Zwischenlösung und dauerhafter Infrastruktur tragfähig bleibt. Die durch die Gematik nur befristet erteilte Zulassung für CardLink läuft Ende März 2026 aus. Damit steht eine Schlüsselfunktion des digitalen Apothekenvertriebs auf der Kippe – mit potenziell gravierenden Folgen für den Versandmarkt.
In ihrer aktuellen Kommunikationsstrategie setzt Redcare auf Zuversicht. Man sei gut vorbereitet und vertraue auf eine „nahtlose“ Fortsetzung des Systems. Tatsächlich jedoch liegt die technische Verantwortung nicht bei Redcare, sondern bei der Gematik, die die Entwicklung eines rechts- und datensicheren Nachfolgers koordinieren muss. Hierbei steht die „Proof of Patient Presence“-Logik (PoPP) im Zentrum: eine Architektur, die sicherstellen soll, dass Rezepte nur durch die verifizierte Anwesenheit des Patienten – physisch oder digital – eingelöst werden können. CardLink war der erste Versuch, diese Anforderung in einem nutzerfreundlichen, mobilen System umzusetzen – basierend auf der eGK ohne PIN.
Das Problem: Die Zulassung erfolgte unter dem Eindruck politisch induzierter Beschleunigung, nicht unter Idealbedingungen langfristiger Sicherheit. Bereits im Herbst 2024 wurden Bedenken laut, ob CardLink tatsächlich den hohen Standards an Datenschutz, Missbrauchssicherheit und Systemintegration genügt. Die befristete Genehmigung war entsprechend ein Kompromiss – ein strategischer Zeitgewinn für die Versender, aber kein regulatorischer Freifahrtschein. Die nun absehbare Auslaufphase wirft deshalb fundamentale Fragen auf: Was geschieht, wenn ein technisch wie juristisch einwandfreier Nachfolger nicht rechtzeitig bereitsteht? Und noch wichtiger: Welche Akzeptanz wird die alternative Einlösemöglichkeit über die neue „GesundheitsID“ erfahren, insbesondere unter älteren oder weniger digitalaffinen Versicherten?
An der Börse wurden diese Fragen mit Misstrauen quittiert. Analysten befürchten, dass ein Bruch der Systemkette zu massiven Kundeneinbrüchen bei den Versendern führen könnte – ein Szenario, das auch der Wettbewerb in der Apothekenlandschaft neu sortieren würde. Während Präsenzapotheken von einer Rückkehr analoger Rezeptflüsse profitieren könnten, würde der Digitalvertrieb an Sichtbarkeit und Komfort einbüßen. Derzeit lebt das Geschäftsmodell von Redcare und anderen davon, dass sich E-Rezepte mit wenigen Klicks mobil einlösen lassen – inklusive Arzneimittelversand, Zahlungsintegration und Verfolgung per App. Fällt diese Einstiegshürde weg oder wird sie erhöht, schwindet das Kernelement der Nutzerbindung.
Die Gematik betont zwar, dass man bereits an der Nachfolgelösung arbeite, doch wie diese konkret aussehen wird, bleibt vage. Ein PoPP-System mit eGK, aber ohne PIN, das kontaktlos und massentauglich einsetzbar ist, muss höchste Anforderungen erfüllen – technisch, datenschutzrechtlich und in puncto Nutzerführung. Die Vision einer vereinheitlichten mobilen Einlösung über die GesundheitsID scheint zwar elegant, ist aber abhängig vom politischen Willen zur Durchsetzung und einer tatsächlichen Integration in die Lebensrealität der Versicherten. Insbesondere das Beharren auf freiwilliger Nutzung und diverser Zugangskanäle macht das Projekt derzeit nicht robuster, sondern fragmentierter.
Hinzu kommt: Die Diskussion um CardLink zeigt exemplarisch, wie abhängig die Digitalisierung des Gesundheitswesens noch immer von Einzellösungen und Interimsverfahren ist. Das strukturelle Risiko entsteht nicht erst, wenn Systeme auslaufen – sondern schon dadurch, dass sie überhaupt als zeitlich begrenzte Ausnahme konzipiert werden. Die Rede von der „Brückentechnologie“ hat sich in diesem Kontext längst abgenutzt: Wer Brücken baut, muss wissen, was auf der anderen Seite steht. Ist dort nur ein weiteres Provisorium, dann ist auch der Übergang keine Lösung, sondern ein endloser Prozess von Übergängen. Und dieser Prozess, so viel lässt sich festhalten, droht aktuell nicht nur den digitalen Apothekenmarkt zu destabilisieren, sondern die gesamte Strategie für eine vereinfachte, flächendeckende E-Rezept-Nutzung in Frage zu stellen.
Gesundheit vernetzen, Gefahren erkennen, Justiz reformieren
Warum von der Decken die ePA zur Prävention nutzen will, Messerattacken politisch diskutiert werden und der Föderalismus an Grenzen stößt
Es war nicht der erste Fall, doch seine Wucht hat eine neue Dringlichkeit erzeugt: Der Messerangriff vom 23. Mai im Hamburger Hauptbahnhof, verübt mutmaßlich durch eine psychisch erkrankte Frau mit mehrfacher Vorgeschichte in psychiatrischen Kliniken, darunter offenbar auch in Schleswig-Holstein, hat eine politische Debatte ausgelöst, die nicht nur die Sicherheit im öffentlichen Raum betrifft, sondern auch tief in die digitale Struktur der Versorgungssysteme reicht. Justiz- und Gesundheitsministerin Kerstin von der Decken (CDU) formulierte im Innen- und Rechtsausschuss des Landtags eine klare Konsequenz: Die elektronische Patientenakte (ePA) könne zur Verhinderung schwerer Gewalttaten psychisch kranker Menschen beitragen – wenn sie bundesweit funktioniere, länderübergreifend zugänglich sei und der Datenschutz rechtssicher geregelt werde.
Die ePA soll dabei nicht zum Überwachungsinstrument werden, sondern als medizinisch-psychiatrisches Bindeglied wirken: Informationen über Behandlungsverläufe, Diagnosen und Risikobewertungen könnten zwischen Kliniken, ambulanter Versorgung und Sozialbehörden so geteilt werden, dass gefährliche Versorgungslücken wie im aktuellen Fall vermieden werden. Die Ministerin verwies in ihrer Stellungnahme auf die anstehende Gesundheitsministerkonferenz der Länder, bei der zwei Anträge diskutiert werden sollen: einer zur Verbesserung des Datenaustauschs über Landesgrenzen hinweg, ein zweiter zur stärkeren Integration der Länder in bundesweite Facharbeitsgruppen. Damit wird deutlich, dass es längst nicht nur um Einzelfallverantwortung geht – sondern um eine systemische Koordination zwischen föderalen Zuständigkeiten, Datenschutzstandards und digitaler Infrastruktur.
Die Debatte steht damit an einem politisch sensiblen Knotenpunkt: Zwischen Sicherheitsbedürfnis und Persönlichkeitsrechten, zwischen Landeshoheit und Bundeskoordination, zwischen Recht auf informationelle Selbstbestimmung und staatlicher Fürsorgepflicht. Der Fall Hamburg macht schmerzhaft deutlich, dass Entlassmanagement, Vorverurteilungsängste und Aktenunklarheit tödlich zusammenwirken können – nicht als Einzelfehler, sondern als strukturelle Schwäche. Von der Decken argumentiert daher nicht juristisch, sondern systemisch: Wenn psychiatrische Einrichtungen frühzeitig relevante Vorinformationen kennen – etwa über bereits dokumentierte Gewalttaten, Therapieabbrüche oder juristisch relevante Diagnosen –, steigt die Chance auf präventive Intervention. Hier könne die ePA „Lücken schließen, die niemand will – aber jeder kennt“.
Ob diese Hoffnung realistisch ist, wird auch davon abhängen, ob es gelingt, die ePA von ihrem Image als optionales Add-on der hausärztlichen Versorgung zu befreien und sie in den Hochrisikobereich der forensischen Psychiatrie zu integrieren – mit allen damit verbundenen ethischen, juristischen und technischen Herausforderungen. Die Ministerin setzt auf Konsens, verweist aber auf die Notwendigkeit klarer Regeln: „Wir brauchen Standards, die zwischen den Ländern halten.“ Der Fall der Hamburger Täterin habe gezeigt, dass die Entlassung aus einer Klinik kein Schutz vor Rückfällen sei – und dass Warnzeichen oft dokumentiert, aber nicht geteilt würden. Die elektronische Patientenakte, bislang in weiten Teilen noch Zukunftsversprechen, wird so zum politischen Prüfstein – nicht nur für die CDU-Ministerin, sondern für ein Gesundheitssystem, das Verantwortung nicht mehr fragmentieren darf.
Warken beschleunigt Klinikumbau, entlastet Versicherte, stabilisiert die Pflege
Wie das BMG Reformdruck in Strukturpolitik überführt, Beitragssteigerungen vermeiden will und Pflegestabilität mit Kooperationslogik verknüpft
Die neue Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) stellt die gesundheitspolitische Agenda ihrer Amtszeit mit einem klaren Korrekturimpuls unter Reformdruck. Anstatt die Krankenhausreform der Vorgängerregierung einfach zu übernehmen, kündigt das Bundesgesundheitsministerium (BMG) bereits jetzt substanzielle Nachbesserungen an – mit Blick auf Versorgungssicherheit, Kooperationsstruktur und Finanzierungsarchitektur. In Zeiten wachsender ökonomischer Spannungsfelder signalisiert Warken nicht nur Änderungsbereitschaft, sondern aktive strategische Neujustierung. Die politische Botschaft ist unmissverständlich: Wer Struktur umbaut, muss gleichzeitig die Zahlungsfähigkeit stabilisieren und die Interessen der Versicherten respektieren.
In der Sache sieht der Entwurf des Ministeriums vor, zentrale Elemente der Krankenhausreform beschleunigt neu auszurichten. Noch im Sommer soll ein überarbeiteter Gesetzesvorschlag ins Kabinett. Der Fokus liegt auf verlängerten Übergangsfristen beim Umbau des Kliniknetzes, einer gestärkten regionalen Spezialisierung sowie neuen Kooperationsmodellen zwischen Klinikstandorten. Dass die Länder frühzeitig eingebunden werden sollen, ist mehr als ein formaler Schritt – es ist ein Signal, dass Warken sich den Vorwurf zentralistischer Überformung nicht zu eigen machen will. Die Gesundheitsministerkonferenz in der kommenden Woche markiert dazu den ersten Gesprächsanlauf.
Gleichzeitig bereitet das BMG den Start zweier großer Reformkommissionen vor: für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) und die Pflegeversicherung. Die geplante GKV-Kommission soll Ergebnisse nicht erst 2027, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, sondern bereits ein Jahr früher liefern. Damit macht das Ministerium klar, dass es mit Blick auf die eskalierenden Beitragslasten eine konkrete Handlungsagenda verfolgt. Die Debatte um eine neue Einnahmebasis wird damit nicht auf die lange Bank geschoben. Denn während die Ausgaben im Gesundheitswesen weiterhin zweistellig wachsen, droht bei einer stagnierenden Beitragsbasis der Systemkollaps.
Für die Pflegeversicherung wird eine gesonderte Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingerichtet, die bis Ende 2025 strukturelle Vorschläge zur Stabilisierung der Finanzierungsgrundlage vorlegen soll. Die Kommission soll in der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause ihre Arbeit aufnehmen – ein ambitionierter Zeitplan, der verdeutlicht, wie eng getaktet die Reformachse läuft. Hinter den Kulissen des BMG ist zu hören, dass insbesondere Kombimodelle aus Bundeszuschüssen, Beitragssatzdisziplin und struktureller Aufgabenverlagerung in die Pflegefinanzierung eingebracht werden könnten.
Bemerkenswert ist dabei, wie deutlich Warken die rote Linie zieht: Weitere Beitragsanhebungen für Versicherte und Arbeitgeber seien derzeit nicht geplant – die entlastende Wirkung müsse vor allem über eine Aufstockung des Bundeszuschusses erreicht werden. Die bisherige Pauschalzahlung in Höhe von 14,5 Milliarden Euro pro Jahr steht damit ebenso auf dem Prüfstand wie das politische Dogma fiskalischer Zurückhaltung. Die Signalrichtung lautet: Entlastung vor Belastung, Subvention vor Sozialabgabe. Dabei spielt nicht nur die Finanzverfassung eine Rolle, sondern auch die politische Priorisierung zwischen sozialem Frieden und haushaltspolitischer Dogmatik.
Gerade in der Rückschau auf die Reformjahre unter Lauterbach, die durch ein hohes Maß an Zentralismus, digitale Reizüberflutung und fehlende Einbindung der Länder geprägt waren, positioniert sich Warken nun als strukturkonservativ mit kooperationsfreundlichem Akzent. Reform heißt für sie nicht Umbau um des Umbaus willen, sondern systemgerechte Anpassung – getragen von finanzieller Bodenhaftung, föderalem Pragmatismus und Versorgungssicherheit im Kern.
In der Praxis steht Warken damit vor der gewaltigen Aufgabe, gleich drei Parallelpfade glaubwürdig zu führen: die Krankenhausreform zu deeskalieren, die GKV strukturell zu sichern und die Pflegeversicherung nachhaltig zu stabilisieren. All dies unter den Bedingungen eines politisch brüchigen Haushalts, dem Druck der Länder und dem Unmut der Leistungserbringer. Dass sie dabei Geschwindigkeit mit Dialogbereitschaft kombiniert, markiert einen strategischen Unterschied zur Amtsführung ihres Vorgängers – und schafft im besten Fall das, was dem Gesundheitswesen zuletzt fehlte: eine klare Richtung, die ökonomische Tragfähigkeit und versorgungspolitische Vernunft zusammendenkt.
Kooperation ersetzt Konfrontation, Strukturreform ersetzt Symbolpolitik, Apotheken ersetzen Lückenmedizin
Wie Preis und Laumann beim Ärzte-IN-Netzwerktreffen den Kurswechsel betonen, die Rolle der Apotheken neu definieren und die schlimmsten Lauterbach-Jahre bilanzieren
Als Thomas Preis auf dem Podium des Netzwerktreffens „Ärzte-IN“ der Rheinischen Post und der Apobank zum Mikrofon greift, spricht er nicht nur als ABDA-Präsident, sondern als Kronzeuge einer drei Jahre währenden politischen Auszehrung. Er sitzt neben Karl-Josef Laumann, NRW-Gesundheitsminister und CDU-Schwergewicht, und beide sind sich in einem Punkt schnell einig: Die Zeit unter Lauterbach sei für die Apotheken desaströs gewesen. Preis sagt es offen: „Die letzten drei Jahre waren die schlimmsten.“ Damit ist der Rahmen gesetzt – für eine Diskussion, die nicht nur rückblickend abrechnet, sondern vor allem die Konturen einer politischen Erneuerung absteckt. Die neue Bundesregierung, so der Tenor, setze auf Beteiligung, Konsens und Struktur statt Symbolpolitik, technokratischem Durchregieren und sektoraler Isolierung.
Preis erkennt im neuen Koalitionsvertrag erstmals echte Bewegung: Die Apotheken seien nicht mehr marginalisiert, sondern erhielten ein eigenes Kapitel – mit Honorarerhöhung, Dynamisierung und einer ausdrücklichen Perspektive zur Weiterentwicklung des Heilberufs. Laumann sekundiert: „Wir haben etwas Gutes hinbekommen.“ Er selbst war als CDU-Chefverhandler mitverantwortlich für die Apothekenpassagen, die – so der Tenor – eine Rückbesinnung auf Versorgung statt Verwaltung einläuten. Beide sind sich einig, dass es nun gelte, diese Vorhaben gegen strukturellen Widerstand und operative Trägheit durchzusetzen.
Im Zentrum der Diskussion steht die Frage, wie Patienten künftig gesteuert werden können – nicht als Kostenfaktor, sondern als Versorgungssubjekt. Laumann nennt die Zahl von „einer Milliarde Patientenkontakten pro Jahr“ – ein ineffizientes System, das neue Wege brauche. Sein Plädoyer: eine große Strukturreform mit Augenmaß und Beteiligung der Akteure. Und hier kommt Preis mit einem Vorschlag, der über klassische Rollenerweiterungen hinausgeht: Apotheken als erster niedrigschwelliger Zugang zur Versorgung, insbesondere in einem dysfunktionalen Hausarztsystem mit 5000 unbesetzten Praxen und steigender Überforderung. Das Zentralinstitut der Ärzte rechnet bereits mit bis zu 2000 zusätzlichen Kontakten je Praxis im Fall eines rigiden Primärarztsystems. Preis kontert: „Dann müssen wir Apotheken als Steuerungsinstanz mitdenken – nicht als Lückenfüller, sondern als Erstkontakt mit Fachlichkeit.“
Die Idee ist nicht neu, doch nun scheint der politische Boden dafür bereitet: Laumann unterstreicht die Rolle der Apotheken als alltagsnahe Gesundheitsinstanz. Tests, Blutdruckmessungen, Arzneimittelberatung – all das könne, so seine Überzeugung, das System entlasten, wenn es professionell vergütet und systemisch integriert werde. Preis wiederum verweist auf das bereits entwickelte Zukunftskonzept der Apothekerschaft, das konkrete Leistungen definiere. Es liege nun an der Politik, dieses Konzept nicht nur zu zitieren, sondern verbindlich umzusetzen – und zwar in enger Absprache mit der KBV, mit der man bereits im Austausch sei.
Der Richtungswechsel wird auch an anderer Stelle deutlich. Mit Nina Warken (CDU) als neuer Bundesgesundheitsministerin sieht Preis ein Fenster für neue Formen der Kooperation: „Frau Warken will das Know-how der Verbände nutzen. Wir werden uns einbringen.“ Damit ist nicht nur eine neue Gesprächskultur gemeint, sondern ein Bruch mit der bisherigen Haltung des Hauses Lauterbach, das die Apothekerschaft weitgehend ignorierte, wenn nicht gar bewusst marginalisierte. Preis benennt es deutlich: „Apotheken waren unter Lauterbach die einzigen Akteure mit Zwangsrabatt – das hat die Schließungswelle beschleunigt.“
Was bleibt, ist ein doppelter Auftrag: Für die Politik, ihre Ankündigungen in Struktur zu übersetzen. Und für die Apothekerschaft, diese neue Rolle nicht nur einzufordern, sondern aktiv mitzugestalten – als Versorger, Gestalter, Partner. Die schlimmsten Jahre mögen vorbei sein. Die entscheidenden beginnen jetzt.
Fixum braucht Dynamik, Apotheken brauchen Liquidität, Politik braucht Entscheidungskraft
Warum die angekündigte Honorarerhöhung verpufft, welche politischen Manöver den Fortschritt verzögern und wie Apotheken am Rande der Belastungsgrenze operieren
Die Erhöhung des Fixums für Apotheken galt als zentrale politische Geste zur Stabilisierung einer Branche, die seit Jahren unter strukturellem Druck steht. Doch ausgerechnet das Bundesgesundheitsministerium (BMG) gibt sich derzeit zugeknöpft: Auf die konkrete Frage, wann die angekündigte Erhöhung tatsächlich im Portemonnaie der Apotheken ankommt, heißt es aus dem Ministerium lapidar, „die konkrete Umsetzung bleibt abzuwarten“. Inhaberinnen und Inhaber, die auf eine kurzfristige Liquiditätsspritze gehofft hatten, stehen damit einmal mehr im Nebel zwischen politischer Ankündigung und regulatorischer Realität.
Hinter den Kulissen des BMG wird deutlich, dass das Thema Fixum längst nicht mehr nur haushälterisch betrachtet wird, sondern in den interministeriellen Abstimmungen zwischen Finanz- und Gesundheitsressort zum strategischen Streitpunkt avanciert ist. Während Bundesgesundheitsministerin Nina Warken die Erhöhung zwar öffentlich bestätigt hat, fehlt weiterhin ein abgestimmter Kabinettsfahrplan. Selbst auf eine mögliche Vorgriffslösung, etwa über ein ministerielles Schreiben an den GKV-Spitzenverband zur temporären Anpassung, will sich das BMG nicht einlassen – zu groß sei die Sorge vor einem haushaltsrechtlichen Präzedenzfall.
In Apotheken herrscht währenddessen betriebswirtschaftlicher Alarmzustand. Wie aus vertraulichen Zahlen der Apothekenrechenzentren hervorgeht, liegt die durchschnittliche operative Marge im Jahr 2024 bei unter 1,2 %. Für mehr als ein Drittel der Betriebe ist der Fixkostenblock – insbesondere Mieten, Energiekosten und Personal – nicht mehr durch das geltende Fixum zu decken. Insbesondere kleinere Landapotheken sind davon überproportional betroffen. Dass der Bundesverband Deutscher Apothekenverbände (ABDA) wiederholt auf die Dynamisierung und nicht nur die Einmalanhebung des Fixums pocht, zeigt, dass man dort die langfristige Systemfrage stellt: Ist die derzeitige Fixum-Logik überhaupt noch geeignet, ein flächendeckendes Versorgungssystem zu sichern?
Hinzu kommt ein wachsender Vertrauensverlust auf Seiten der Apothekenteams. Die jahrelange Praxis politischer Ankündigungen ohne zeitnahe Umsetzung hat bei vielen Inhaberinnen und Inhabern zu einer Kultur der finanziellen Vorsicht geführt: Investitionen werden aufgeschoben, Personal nicht nachbesetzt, Innovationen – etwa im Bereich Telepharmazie oder pharmazeutische Dienstleistungen – nur noch zögerlich eingeführt. Der Signalwert einer sofort wirksamen Fixumserhöhung wäre hingegen enorm: Liquidität würde sofort verfügbar, Investitionsblockaden könnten gelöst, strategische Stabilität zurückgewonnen werden.
Auch auf europäischer Bühne wächst der Druck: In der jüngsten Sitzung der Ständigen Vertretung der Apothekenorganisationen in Brüssel wurde Deutschland explizit aufgefordert, seine stationäre Versorgung nicht durch ökonomische Selbstaushöhlung zu gefährden. Länder wie Österreich, die Schweiz und Belgien setzen längst auf dynamisierte, indexgebundene Honorarsysteme, um Versorgungssicherheit auch in wirtschaftlich angespannten Lagen zu garantieren. Deutschland hingegen setzt auf haushaltsrechtliches Zaudern.
Die offene Frage lautet daher: Wird die Fixumserhöhung zum Befreiungsschlag – oder zum nächsten Rohrkrepierer? Apothekerinnen und Apotheker erwarten nicht nur einen höheren Betrag, sondern vor allem Verlässlichkeit. Ohne politische Entschlossenheit droht auch diese Maßnahme in der Routine des Verwaltungsstaus zu versanden. Der Handlungsdruck ist enorm – doch im politischen Berlin herrscht Schweigen statt Dynamik.
Telepharmazie bleibt Baustelle, Ministerium hält sich bedeckt, Koalitionsversprechen hinken hinterher
Wie die CDU-Gesundheitsministerin Nina Warken auf Distanz zu Lauterbachs Konfliktlinien geht, warum konkrete Apothekenmaßnahmen ausbleiben und wieso Telepharmazie politisch im Ungefähren verharrt
Im politischen Berlin gilt die Telepharmazie weiterhin als unausgesprochener Prüfstein für die Ernsthaftigkeit der Gesundheitsdigitalisierung – doch ausgerechnet das Bundesgesundheitsministerium (BMG) unter Ministerin Nina Warken (CDU) hüllt sich in auffälliges Schweigen. Während ihr Vorgänger Karl Lauterbach (SPD) in seiner Amtszeit zumindest für polarisierende Akzente gesorgt hatte, vermeidet Warken bislang jede Festlegung. Eine Sprecherin des Hauses verweist lediglich darauf, dass die im Koalitionsvertrag vereinbarten Maßnahmen zur Apothekenpolitik „in Vorbereitung“ seien. Konkrete Aussagen zur Ausgestaltung, zum Zeitrahmen oder zu inhaltlichen Prioritäten der Ministerin: Fehlanzeige. Damit reiht sich das BMG nahtlos in das Muster ein, das bereits bei anderen Versorgungsfragen auffällt – deklarierte Fortschrittsziele ohne operative Umsetzung.
Besonders irritierend ist die Zurückhaltung angesichts der expliziten Formulierung im Koalitionsvertrag. Dort heißt es klar, dass Rahmenbedingungen und Honorierung für Videosprechstunden, Telemonitoring und Telepharmazie verbessert werden sollen, „um die Versorgung flächendeckend sicherzustellen“. Doch was heißt das konkret? Welche telepharmazeutischen Leistungen sollen in welchem Maß honoriert werden? Welche infrastrukturellen, datenschutzrechtlichen und qualitativen Anforderungen gelten? Und vor allem: Wie wird die ärztlich-pharmazeutische Arbeitsteilung auf digitale Kanäle übertragen, ohne neue Reibungsverluste oder Retaxrisiken zu erzeugen? Das BMG bleibt jede Antwort schuldig – ein ernüchterndes Signal, gerade in einer Zeit, in der Apothekenstrukturen vor allem in ländlichen Räumen neue Lösungen brauchen.
Dass Ministerin Warken bisher keinerlei Position zu telepharmazeutischen Leistungen bezogen hat, deutet auf zwei mögliche Szenarien hin: Entweder fehlt es noch an einer internen Linie, die innerhalb der CDU abgestimmt werden müsste – oder es fehlt schlicht der politische Wille, diesen Punkt aktiv zu gestalten. Beides wäre alarmierend. Denn in der Praxis zeigt sich längst, dass ohne strukturierte Telepharmazie kein nachhaltiges Gleichgewicht zwischen Präsenzbetrieb und digitaler Beratung zu erreichen ist. Apotheken, die freiwillig Pilotstrukturen aufbauen, berichten von wachsendem Bedarf – insbesondere bei pflegebedürftigen Menschen, in strukturschwachen Regionen oder für Arzneimittel mit besonderem Erklärungsbedarf.
Ein weiterer Aspekt ist die Honorierung: Während Videosprechstunden im ärztlichen Bereich mittlerweile in der Regelversorgung angekommen sind, bleiben telepharmazeutische Leistungen formal unterdefiniert und wirtschaftlich unattraktiv. Ohne eine klare Regelung wird das Innovationspotenzial in der Fläche verpuffen. Auch gesundheitspolitisch ergibt sich ein Widerspruch: Die Bundesregierung fordert in anderen Bereichen – etwa bei der ePA oder der sektorenübergreifenden Versorgung – höhere Digitalstandards, gleichzeitig bleibt sie bei der Digitalisierung des pharmazeutischen Alltags konturenlos.
In der CDU selbst ist das Thema nicht unumstritten. Zwar gibt es wirtschaftsliberale Stimmen, die Telepharmazie als Chance für neue Versorgungsmodelle sehen, doch ebenso laut äußern sich Vertreter, die einen drohenden Kontrollverlust über Apothekenabläufe befürchten. Hinzu kommt der kulturpolitische Faktor: Gerade in ländlichen CDU-Hochburgen wird die Apotheke vor Ort nicht nur als Versorgungsinstitution, sondern als Teil der lokalen Identität verstanden – eine politische Konstellation, die die Ausgestaltung jeder Telepharmaziestrategie zum Balanceakt macht.
So bleibt festzuhalten: Der Koalitionsvertrag enthält eine Zielmarke, doch das federführende Ministerium liefert keine Richtung, keine Maßnahmen, keine Klarheit. Das wäre schon in normalen Zeiten bedenklich. Angesichts wachsender Schließungszahlen, Fachkräftemangel und sinkender Versorgungsgerechtigkeit ist es schlicht fahrlässig. Wenn Ministerin Warken die Versorgung sichern will, wird sie nicht umhinkommen, Position zu beziehen – zur Telepharmazie und zur Rolle der Apotheken im digitalen Wandel. Alles andere wäre politisches Versteckspiel auf Kosten der Gesundheitsversorgung.
Patientenwohl braucht Handlungsspielraum, Beratung braucht Zeit, Apotheken brauchen finanzielle Substanz
Warum die ökonomische Realität vor Ort den heilberuflichen Anspruch untergräbt und der Tag der Apotheke zur strategischen Wegmarke werden muss
Am 7. Juni steht traditionell der Tag der Apotheke im Kalender – ein symbolischer Moment, der seit Jahren darauf hinweist, wie unverzichtbar die rund 17.000 öffentlichen Apotheken für die Gesundheitsversorgung in Deutschland sind. Doch 2025 fällt dieser Aktionstag in eine Zeit wachsender Spannungen zwischen heilberuflicher Ethik und ökonomischem Druck. Statt als Feierstunde wirkt er wie ein Warnsignal. Denn inmitten regulatorischer Engpässe, steigender Kosten und chronischer Unterfinanzierung gerät der ethische Anspruch vieler Apothekerinnen und Apotheker zunehmend ins Wanken – nicht aus Nachlässigkeit, sondern aus betriebswirtschaftlicher Notwendigkeit.
Laut einer aktuellen Befragung von Noventi und aposcope geben 31,6 Prozent der Befragten aus dem Apothekenumfeld an, dass sich wirtschaftliche Stabilität und heilberufliche Verantwortung in ihrem Alltag eher schlecht miteinander verbinden lassen. Fast ein Drittel erkennt somit keinen harmonischen Einklang zwischen Ethos und Einnahmendruck – eine Quote, die deutlich macht, dass strukturelle Probleme nicht mehr nur Randphänomene sind, sondern das Fundament des Apothekenbetriebs betreffen. Wenn Qualität zur Variablen im Wirtschaftsdruck wird, ist das Patientenwohl akut gefährdet.
Mark Böhm, Vorstandsvorsitzender von Noventi, bringt es auf den Punkt: Ohne wirtschaftliche Resilienz der Vor-Ort-Apotheken ist weder pharmazeutische Exzellenz noch regionale Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Die Beratung in Apotheken rettet tagtäglich Leben, indem sie gefährliche Wechselwirkungen erkennt oder Medikationsfehler verhindert – doch diese Beratungsleistung gerät zunehmend unter finanziellen Rechtfertigungsdruck. Eine intensive Betreuung erfordert Zeit, doch Zeit ist ohne angemessene Honorierung kaum leistbar. Für 13,4 Prozent der befragten Apothekenmitarbeitenden ist genau dieser Beratungsaufwand bereits heute ein wirtschaftliches Problem. Was in Einzelfällen zu Beratungsabbrüchen führt, kann im Ernstfall mit gesundheitlichen Schäden enden.
Besonders gravierend sind die Folgen dann, wenn ökonomischer Druck nicht nur die Beratung ausdünnt, sondern das Geschäftsmodell als Ganzes zermürbt. Der aktuelle Tiefstand von nur noch 16.908 Apotheken in Deutschland per 31. März 2025 spricht eine klare Sprache: Die Rückzugsbewegung aus der Fläche beschleunigt sich. Damit droht ein Dominoeffekt, der nicht nur ländliche Regionen trifft, sondern die Apothekenstruktur insgesamt destabilisiert – mit Folgen für Notdienste, Lieferfähigkeit und Therapiebegleitung.
Doch was ist der Kern des Dilemmas? Für 28,9 Prozent der Befragten liegt der Hauptkonflikt genau im Spannungsfeld zwischen Patienteninteresse und ökonomischem Zwang. 12,4 Prozent räumen ein, dass auch Produkte empfohlen oder verkauft werden müssen, die nicht primär heilberuflich motiviert sind, sondern betriebswirtschaftlich geboten erscheinen. Solche Zielkonflikte beschädigen nicht nur das Berufsbild, sondern untergraben langfristig das Vertrauen in die Apotheke als ethisch verlässliche Instanz. Das ist kein Vorwurf an das Personal, sondern ein Appell an die Systemverantwortlichen, endlich wirtschaftliche Ehrlichkeit zur Grundlage politischer Reformen zu machen.
Zugleich bleibt die finanzielle Realität in vielen Apotheken ein Tabuthema. 32,2 Prozent der Befragten sehen gesellschaftliche Erwartungen an Heilberufe als Hauptgrund für diese Sprachlosigkeit. Weitere 18,9 Prozent kritisieren die verzerrte öffentliche Wahrnehmung der wirtschaftlichen Lage, 17,9 Prozent verweisen auf mangelnde Finanzkompetenz im Team, und 17,3 Prozent nennen emotionale oder rechtliche Unsicherheiten als Hemmnis für den offenen Umgang mit Geld. Dass Apotheken für viele Patientinnen und Patienten wie Institutionen erscheinen, die „einfach funktionieren“, verschleiert die betriebliche Realität und senkt die politische Dringlichkeit.
Dabei sind die wirtschaftlichen Herausforderungen nicht vage, sondern klar benennbar. Einkauf und Lagerhaltung belasten laut Studie 71 Prozent der Apothekenbetriebe, gefolgt vom Personalmanagement (69,7 Prozent) und Fragen der Kundenbindung (61,2 Prozent). Auch wenn die Liquiditätsplanung mit 23,5 Prozent etwas weniger häufig genannt wird, bleibt sie angesichts schwankender Zahlungsflüsse und Kostenschübe ein permanenter Risikofaktor. Lösungen, die sich in den Alltag integrieren lassen – von smarter Warenwirtschaft bis hin zu strategischem Kostencontrolling –, sind dringender denn je gefragt.
Besorgniserregend ist zudem die strukturelle Isolierung der Apothekenleitung in wirtschaftlichen Fragen: In 85 Prozent der Betriebe entscheiden die Inhaberinnen und Inhaber allein über wirtschaftliche Fragen. Zwar ziehen 36,8 Prozent externe Berater hinzu, doch die Mitarbeitenden werden nur in etwa jedem fünften Betrieb eingebunden. Das erschwert nicht nur die Identifikation mit betrieblichen Entscheidungen, sondern verhindert auch den Aufbau einer ökonomisch reflektierten Teamkultur – ein Faktor, der in Zeiten multipler Krisen zur Achillesferse werden kann.
Wenn wirtschaftliche Entscheidungsspielräume schrumpfen, steigt die Gefahr, dass aus ethischen Dilemmata strukturelle Fehler werden. Damit die Vor-Ort-Apotheke auch morgen noch aufklärend, begleitend und rettend tätig sein kann, braucht sie heute ein System, das ökonomischen Rückhalt nicht als Ausnahme, sondern als Grundlage begreift. Der Tag der Apotheke wäre ein guter Moment, um diese Wahrheit nicht nur zu formulieren, sondern in konkrete Reformvorschläge zu überführen. Denn Patientenwohl lässt sich nicht auf Knopfdruck herausholen – es braucht Räume, Ressourcen und Respekt.
Maklerprinzip vor Vermittlermacht, Vertragsklarheit vor Klauseltrick, Bildungssuche vor Rechtsfalle
Warum der BGH Vermittlungshonorare an den Studienbeginn knüpft, was Studierende bei Auslandsagenturen beachten müssen und wie der Fall StudiMed neue Standards setzt
Das Streben nach einem Studienplatz im Ausland ist für viele junge Menschen mit Hoffnung, Entschlossenheit – und nicht selten hohen Kosten verbunden. Besonders begehrt sind medizinische und pharmazeutische Studiengänge, die in Deutschland häufig am Numerus clausus scheitern. Vermittlungsagenturen wie StudiMed bieten hier ihre Dienste an, werben mit Komplettpaketen von Beratung bis Betreuung – und verlangen dafür mitunter vierstellige Summen. Doch wo endet die Dienstleistung und wo beginnt die rechtliche Grenze der Entlohnung? Der Bundesgerichtshof (BGH) hat diese Frage in einem aufsehenerregenden Urteil nun eindeutig beantwortet und der gängigen Praxis mancher Vermittler eine klare Absage erteilt: Das vereinbarte Honorar wird nur fällig, wenn der vermittelte Studienvertrag tatsächlich zustande kommt. Eine bloße Zusage der Universität reicht nicht aus – ein Urteil mit Signalwirkung.
Im konkreten Fall hatte ein junger Mann aus Bayern mit Hilfe von StudiMed einen Platz an einer Universität in Bosnien erhalten, sich aber nach der Zusage gegen das Studium entschieden. Die Vermittlungsagentur bestand trotzdem auf der Zahlung von rund 11.200 Euro – mit Verweis auf eine Klausel im Vertrag, die das Honorar bereits mit der reinen Platzzusage fällig stellte. Der Fall zog sich durch die Instanzen, die Vorgerichte in München entschieden zugunsten des Bewerbers – nun hat der BGH diese Linie bestätigt. Die Richter stuften die Vereinbarung als Maklervertrag ein, mit der rechtlichen Folge: Die Provision wird nur geschuldet, wenn der vermittelte Vertrag – hier also die tatsächliche Aufnahme des Studiums – zustande kommt. Der 1. Zivilsenat stellte zudem klar, dass eine Klausel, die eine Zahlung bereits bei Platzzusage vorsieht, den Bewerber unangemessen benachteilige. Denn sie erzeuge faktisch einen wirtschaftlichen Zwang, den Studienplatz auch gegen eigene Bedenken anzunehmen – was dem Freiheitsprinzip des Vertragsrechts widerspreche.
Damit hebt das Gericht nicht nur die konkrete Klausel, sondern die strukturelle Machtasymmetrie zwischen Vermittler und Bewerber ins juristische Licht. Besonders junge Studieninteressierte befinden sich häufig in einer psychologischen und informatorischen Abhängigkeit, die Vermittlungsfirmen ausnutzen könnten – sei es durch Intransparenz, durch zeitlichen Druck oder durch undurchschaubare Vertragsformulierungen. Der BGH macht mit seinem Urteil klar: Der Erfolg eines Maklers bemisst sich nicht an der Versprechung, sondern am vollendeten Ziel. Das gilt für Wohnungen, Versicherungen – und künftig auch für Studienplätze.
Für die Branche bedeutet das Urteil einen Wendepunkt. Zahlreiche Vermittler operieren bislang mit Klauseln, die eine Pauschalzahlung bereits bei Platzzusage oder sogar beim Vertragsabschluss mit der Agentur selbst auslösen. Solche Vertragsmodelle dürften jetzt flächendeckend auf den Prüfstand kommen. Auch Studierende, die sich in der Vergangenheit zur Zahlung gedrängt fühlten, könnten nachträglich prüfen lassen, ob Rückforderungsansprüche bestehen. Die klare juristische Qualifizierung als Maklervertrag bietet hier eine tragfähige Grundlage.
Besonders im Bereich medizinischer und pharmazeutischer Auslandsstudiengänge, die in Deutschland durch Zulassungsgrenzen blockiert sind, ist der Markt für Vermittlungsangebote groß – und mit ihm das Missbrauchspotenzial. Der Fall StudiMed zeigt, dass es nicht nur um juristische Feinschliffe geht, sondern um existenzielle Bildungsentscheidungen und das Vertrauen junger Menschen in faire Beratung. Wer ihnen hilft, ein Studium zu beginnen, verdient eine faire Vergütung – aber eben nur dann, wenn der Studienbeginn auch tatsächlich erfolgt. Alles andere wäre nicht nur rechtlich angreifbar, sondern ethisch verfehlt.
Infektionsketten entlang der Fluchtrouten, Impflücken bei Kindern, grenzüberschreitende Alarmbereitschaft
Wie der Diphtherieausbruch von 2022 neue Übertragungsrisiken offenbarte, vernachlässigter Impfschutz die Prävention untergräbt und europäische Frühwarnsysteme erneut gefordert sind
Der größte Diphtherieausbruch seit sieben Jahrzehnten in Westeuropa wirft nicht nur ein Schlaglicht auf übersehene Erregerdynamiken entlang bekannter Migrationsrouten, sondern offenbart zugleich strukturelle Impfschwächen in der Breitenversorgung. Ausgehend von einer Häufung kutaner und respiratorischer Diphtheriefälle bei jungen, meist ungeimpften Geflüchteten aus Afghanistan und Syrien analysierte ein länderübergreifendes Forschungskonsortium 363 Isolate aus zehn europäischen Staaten – mit frappierendem Ergebnis: Die Bakterienstämme wiesen eine nahezu identische genetische Struktur auf, was auf persistente Infektionsnester entlang bestimmter Transitorte hinweist. Der Fall zeigt exemplarisch, wie klassische Infektionskrankheiten unter dem Radar der öffentlichen Aufmerksamkeit wieder aufflammen können, wenn systemische Impfprävention brüchig wird und die frühzeitige Detektion international koordiniert werden muss.
Die betroffenen Länder – darunter Deutschland, Österreich, Belgien, Frankreich und Italien – profitierten in der Krisenphase von einer zügigen Bereitstellung und Synchronisierung von Genomdaten, die eine präzise Nachverfolgung der Infektionswege erlaubte. Doch trotz erfolgreicher Eindämmung bis Ende 2022 zeigen aktuelle Meldungen aus dem Frühjahr 2025, dass infektiöse Diphtheriestämme der damaligen Ausbruchsserie weiterhin im Umlauf sind. Diese Persistenz bei gleichzeitig sinkender Impfquote wirkt wie ein epidemiologischer Brandbeschleuniger: Laut Robert Koch-Institut liegt die DTP3-Durchimpfungsrate bei Kindern des Geburtsjahrgangs 2020 in Deutschland nur noch bei 64 Prozent – ein dramatischer Rückgang, der auch auf pandemiebedingte Störungen der Gesundheitsvorsorge zurückzuführen ist. Besonders besorgniserregend ist, dass mehr als ein Drittel der betroffenen Kinder im empfohlenen Alter keine vollständige Grundimmunisierung gegen Diphtherie, Tetanus und Pertussis erhalten hat.
Andreas Hoefer vom ECDC betont daher die Relevanz grenzüberschreitender Surveillance-Instrumente, die nicht erst im Krisenfall, sondern als vorausschauendes Risikomanagement zur Anwendung kommen müssten. In seiner Analyse warnt er vor anhaltenden Übertragungen an sogenannten Schnittstellenorten der Migration, etwa in temporären Lagern, auf bestimmten Reiserouten oder in prekären urbanen Unterkünften. Die epidemiologische Relevanz dieser Kontaktzonen werde bislang strukturell unterschätzt, was sowohl für Impfprogramme als auch für klinische Notfallversorgung weitreichende Konsequenzen hat.
Die medizinische Relevanz der Diphtherie selbst bleibt hoch: Neben der bekannteren respiratorischen Form, die durch die Bildung von Pseudomembranen im Rachenraum zu schweren Atemwegskomplikationen führen kann, tritt auch die kutane Variante mit chronischen Hautulzerationen auf – häufig übersehen, aber hochinfektiös. Gerade in beengten Unterkünften oder bei unzureichender Wundversorgung stellen diese Fälle erhebliche Infektionsherde dar. Professor Adrian Egli (Universität Zürich) warnt deshalb vor einer Unterschätzung der klinischen Breite: Diphtherie sei „kein rein historischer Erreger“, sondern ein „lebendiges Risiko“, insbesondere für vulnerable Gruppen.
Auch Dr. Sabrina Bacci vom ECDC fordert deshalb einen Paradigmenwechsel in der Impfkommunikation und Gesundheitserziehung. Die klassischen Zielgruppen für Impfauffrischungen – ältere Menschen mit Vorerkrankungen, Wohnungslose, Drogenabhängige, Personen mit Migrationshintergrund – müssten proaktiv und niedrigschwellig erreicht werden. In Anbetracht zunehmender Mobilität und wachsender Impfmüdigkeit sei „nicht nur die medizinische Versorgung, sondern auch die gesellschaftliche Resilienz gegenüber vermeidbaren Krankheiten gefährdet“. Die Rolle niederschwelliger Impfinfrastruktur – etwa in Apotheken, Erstaufnahmeeinrichtungen oder mobilen Angeboten – gewinne in dieser Logik strategische Bedeutung.
Dass Österreich mit dem ersten respiratorischen Diphtheriefall nach fast 30 Jahren konfrontiert war, zeigt nicht nur die Reichweite der Migration, sondern auch die Unvorhersehbarkeit globalisierter Infektionsketten. Der Vorfall wurde durch enge Abstimmung zwischen AGES und ECDC zügig eingegrenzt – dennoch bleibt der Fall ein Warnsignal. Auch in Deutschland wurden 2023 und 2024 vereinzelt Diphtheriefälle identifiziert, die direkt auf die Erregerlinie von 2022 zurückgehen. Die Folge: Gesundheitsämter stehen unter Druck, nicht nur Reiserouten besser zu überwachen, sondern auch Impfdaten in Echtzeit zu erfassen, zu aktualisieren und gezielt aufzufrischen. Der politische Appell an Bund, Länder und Gesundheitsdienste lautet deshalb: Impflücken erkennen, schließen, monitoren – bevor sich vermeintlich historische Erreger dauerhaft zurückmelden.
Von Engin Günder, Fachjournalist
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