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Sehr geehrte Apothekerin, sehr geehrter Apotheker,
hier ist der vollständige Text für Sie:
Steuer & Recht
Nach
Ansicht von Generalanwalt Paolo Mengozzi verstößt es gegen das
Unionsrecht, dass in Deutschland Drittstaatsangehörigen ein Visum zum
Zweck des Ehegattennachzugs nur erteilt wird, wenn sie Grundkenntnisse
der deutschen Sprache nachweisen können. Das 2007 eingeführte
Spracherfordernis ist weder mit der Stillhalteklausel des
Assoziierungsabkommens mit der Türkei noch mit der Richtlinie über die
Familienzusammenführung vereinbar. Seit 2007 macht Deutschland die
Erteilung eines Visums für den Ehegattennachzug von
Drittstaatsangehörigen grundsätzlich von der Bedingung abhängig, dass
sich der nachzugswillige Ehegatte zumindest auf einfache Art, auch
schriftlich, in deutscher Sprache verständigen kann1.
Diese neue Bedingung soll die Integration von Neuankömmlingen in
Deutschland erleichtern und der Bekämpfung von Zwangsehen dienen.
Frau
Dogan, die türkische Staatsangehörige ist und in der Türkei lebt,
möchte seit vier Jahren zu ihrem Ehemann nach Deutschland ziehen. Ihr
Ehemann, der ebenfalls türkischer Staatsangehöriger ist, lebt seit 1998
in Deutschland, wo er eine GmbH als deren Mehrheitsgesellschafter leitet
und eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitzt. Vor ihrer
standesamtlichen Eheschließung im Jahr 2007 waren Herr und Frau Dogan
bereits eine religiöse Ehe vor einem Imam eingegangen, aus der zwischen
1988 und 1993 vier Kinder hervorgegangen sind. Im Januar 2012 lehnte die
Deutsche Botschaft in Ankara erneut die Erteilung eines Visums für den
Ehegattennachzug an Frau Dogan ab, da sie Analphabetin sei und damit
nicht über die erforderlichen Sprachkenntnisse verfüge.
Frau Dogan erhob hiergegen eine Klage beim Verwaltungsgericht Berlin. Dieses hat dem Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob
das 2007 in Deutschland eingeführte Spracherfordernis mit dem
Unionsrecht und insbesondere mit der sog. Stillhalteklausel vereinbar
ist, die seit Anfang der 1970er Jahre im Rahmen des Assoziierungsabkommens mit der Türkei gilt2. Diese Klausel verbietet die Einführung neuer Beschränkungen3 der Niederlassungsfreiheit.
In
seinen Schlussanträgen verneint Generalanwalt Paolo Mengozzi diese
Frage. Nach Auffassung des Generalanwalts untersagt es die
Stillhalteklausel, türkische Staatsangehörige, die wie Herr Dogan im
Rahmen des Assoziierungsabkommens von der Niederlassungsfreiheit
Gebrauch gemacht haben, neuen Maßnahmen zu unterwerfen, die wie das hier
in Rede stehende Spracherfordernis bezwecken oder bewirken, dass ihren
Ehegatten die Einreise in den betreffenden Mitgliedstaat zum Zweck des
Ehegattennachzugs erschwert wird.
Besteht nämlich für
einen türkischen Staatsangehörigen keine konkrete Aussicht auf
Familienzusammenführung in dem Mitgliedstaat, in dem er niedergelassen
ist (oder sich als Selbständiger niederlassen will), so ist dies
geeignet, für ihn die Ausübung der vom Assoziierungsabkommen umfassten
Niederlassungsfreiheit zu behindern oder zumindest weniger attraktiv zu
machen. Ohne diese Aussicht kann ein türkischer Staatsangehöriger
entweder - wenn die familiäre Bindung bereits besteht - davon
abgeschreckt werden, sich im Unionsgebiet niederzulassen, oder sich -
wenn diese Bindung erst nach seiner Ausreise geknüpft worden ist -
veranlasst sehen, seine Tätigkeit zu unterbrechen und das Unionsgebiet
zu verlassen. In beiden Fällen müsste er zwischen seiner beruflichen
Tätigkeit und der Erhaltung der Einheit seiner Familie wählen.
Hinsichtlich
der Frage, ob das Spracherfordernis mit der Bekämpfung von Zwangsehen
gerechtfertigt werden kann, vertritt der Generalanwalt die Meinung, dass
dieses Erfordernis jedenfalls unverhältnismäßig ist. Es kann nämlich
die Familienzusammenführung in dem betreffenden Mitgliedstaat unbegrenzt
lange hinausschieben, und es gilt vorbehaltlich ganz bestimmter
abschließend festgelegter Ausnahmen4 unabhängig von einer Würdigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls.
Der
Generalanwalt weist im Übrigen das Vorbringen der deutschen Regierung
zurück, dass es für die Verhinderung der sozialen Ausgrenzung der Opfer
von Zwangsehen weniger wirksam wäre, den nachzugswilligen Ehegatten erst
nach seinem Eintreffen in Deutschland zur Teilnahme an Integrations-
und Sprachkursen zu verpflichten, als ihm den vorherigen Erwerb von
Sprachkenntnissen aufzuerlegen. Der Generalanwalt betont, dass die
Verpflichtung zur Teilnahme an solchen Kursen die betreffenden Personen
dazu veranlasst, aus ihrem familiären Umfeld herauszutreten, wodurch ihr
Kontakt mit der deutschen Gesellschaft erleichtert wird. Sollten
Familienangehörige Zwang auf sie ausüben, so wären diese dann ihrerseits
gezwungen, einen solchen Kontakt zuzulassen, der ohne eine solche
Verpflichtung trotz vorhandener Grundkenntnisse der deutschen Sprache
behindert werden könnte. Außerdem können regelmäßig unterhaltene
Beziehungen zu für die Durchführung solcher Kurse verantwortlichen
Einrichtungen und Personen dazu beitragen, günstige Voraussetzungen für
ein spontanes Hilfeersuchen der Opfer zu schaffen und die Feststellung
von Situationen, die ein Eingreifen erfordern, und deren Anzeige an die
zuständigen Behörden erleichtern.
Der Generalanwalt kommt
somit zu dem Ergebnis, dass Frau Dogan angesichts der Einführung einer
neuen Beschränkung der Niederlassungsfreiheit, die ihr Ehegatte genießt,
der Anwendung des deutschen Spracherfordernisses in ihrem Fall
entgegentreten kann.
Das Verwaltungsgericht Berlin möchte ferner wissen, ob auch die Richtlinie über die Familienzusammenführung5
- der zufolge die Mitgliedstaaten von Drittstaatsangehörigen, die in
den Genuss einer Familienzusammenführung gelangen könnten, verlangen
dürfen, dass sie Integrationsmaßnahmen nachkommen - dem entgegensteht,
dass das Recht des Ehegatten eines sich bereits in Deutschland
rechtmäßig aufhaltenden Drittstaatsangehörigen, seinerseits nach
Deutschland einzureisen, vom Nachweis von Grundkenntnissen der deutschen
Sprache abhängig gemacht wird.
Angesichts seiner vorgeschlagenen
Antwort auf die erste Frage des Verwaltungsgerichts zur
Stillhalteklausel hält der Generalanwalt eine Beantwortung dieser
allgemeineren Frage für nicht mehr erforderlich. Für den Fall, dass sich
der Gerichtshof seiner Auffassung nicht anschließen sollte, schlägt
Herr Mengozzi jedoch vor, auf die zweite Frage zu antworten, dass es
dieser Richtlinie zuwiderläuft, die Erteilung eines Visums zum Zweck
der Familienzusammenführung wie im vorliegenden Fall von dem Nachweis
abhängig zu machen, dass der nachzugswillige Ehegatte über
Grundkenntnisse der Sprache des betreffenden Mitgliedstaats verfügt,
ohne dass die Möglichkeit einer Gewährung von Befreiungen aufgrund einer
Einzelfallprüfung besteht. Für diese Einzelfallprüfung sind
die Interessen minderjähriger Kinder sowie alle relevanten Umstände des
Einzelfalls zu berücksichtigen. Damit ist auch der Frage Beachtung zu
schenken, ob in dem Wohnstaat des nachzugswilligen Ehegatten Unterricht
und unterstützendes Material, wie sie für den Erwerb der erforderlichen
Sprachkenntnisse notwendig sind, verfügbar und (insbesondere unter
Kostengesichtspunkten) auch zugänglich sind. Ebenso sind etwaige, auch
zeitweilige Schwierigkeiten zu berücksichtigen, die (wie Alter,
Analphabetismus, Behinderung und Bildungsgrad) mit dem
Gesundheitszustand oder der persönlichen Situation des nachzugswilligen
Ehegatten zusammenhängen.
Hinweis:
Die
Schlussanträge des Generalanwalts sind für den Gerichtshof nicht
bindend. Aufgabe des Generalanwalts ist es, dem Gerichtshof in völliger
Unabhängigkeit einen Entscheidungsvorschlag für die betreffende
Rechtssache zu unterbreiten. Die Richter des Gerichtshofs treten nunmehr
in die Beratung ein. Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt
verkündet.
Fußnoten |
EuGH, Rechtssache C-138/13 vom 30.04.2014
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