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APOTHEKE | Systemblick |
Stand: Montag, 24. November 2025, um 19:15 Uhr
Apotheken-News: Kommentar von heute
Kommentar von Seyfettin Günder zu den aktuellen Apotheken-Nachrichten über digitale Patientenakten, ambulante Vergütungspfade, klinische Apothekenrollen und frühes Fingerrechnen.
Wenn Ärztinnen und Ärzte die elektronische Patientenakte als „Datenfriedhof“ beschreiben, steckt darin mehr als digitale Müdigkeit. Es zeigt sich eine Kluft zwischen politischem Gestaltungswillen und der Realität in Praxen, Kliniken und Apotheken. Daten werden gesammelt, Zugänge geschaffen, Module angekündigt – aber der Mehrwert im Alltag bleibt oft abstrakt. Für Apotheken bedeutet das: zusätzliche Schnittstellen, neue Dokumentationspflichten, noch kein klarer Nutzen in Beratung, Medikationsmanagement und Haftungssicherheit. Digitalisierung wird zum Versprechen auf später, während der Aufwand längst im Heute ankommt.
Parallel dazu soll die Ambulantisierung mit Hybrid-DRGs Tempo aufnehmen und stationäre Leistungen in die Fläche verlagern. Auf dem Papier wirkt das effizient: weniger Betten, mehr ambulante Eingriffe, gedeckelte Pauschalen. In der Praxis verschieben sich Risiken und Verantwortungen entlang der gesamten Versorgungskette. Wenn Krankenhäuser Leistungen auslagern, rücken Arzneimitteltherapiesicherheit, Entlassmanagement und Schnittstellenkommunikation stärker in den Vordergrund. Apotheken geraten damit in eine Rolle, in der Fehler aus anderen Systemen aufgefangen werden müssen, ohne dass Vergütungslogik, Zuständigkeiten und digitale Werkzeuge konsequent mitwachsen.
Die neue Chefin der Klinikapotheke bei Vivantes steht damit exemplarisch für eine Entwicklung, die häufig übersehen wird: Apothekerinnen und Apotheker werden immer stärker als klinische Risikomanager gebraucht, nicht nur als Logistiker. Hochrisikomedikationen, Niereninsuffizienz, Polypharmazie – die Fälle werden komplexer, die Spielräume enger. Wenn Klinikapotheken Hochrisikomedikation systematisch analysieren, entstehen Inseln gelebter Arzneimitteltherapiesicherheit. Entscheidend ist, ob solche Projekte in die Breite der Versorgung getragen werden oder als Leuchtturmprojekte im eigenen Haus verharren. Für öffentliche Apotheken bleibt der Eindruck, dass anspruchsvolle Aufgaben gerne verteilt, strukturelle Ressourcen aber zögerlich bereitgestellt werden.
Zwischen diesen Themen wirkt die Studie zum Fingerrechnen zunächst wie ein fachfremder Seitenaspekt. Tatsächlich legt sie einen wunden Punkt frei: Systemlogiken setzen häufig auf formale Schnelligkeit, während Lernprozesse Zeit, Umwege und individuelle Strategien brauchen. Kinder, die früh mit Fingern rechnen, entwickeln später stabilere mathematische Fähigkeiten – nicht, weil sie Regeln auswendig lernen, sondern weil sie sich den Stoff körperlich und schrittweise aneignen. Übertragen auf die Versorgung heißt das: Digitalisierung, Ambulantisierung und neue Rollenprofile funktionieren nur, wenn Menschen entlang der Versorgungskette Raum haben, sich Arbeitsabläufe eigenständig zu erschließen und zu verfeinern.
Für Apothekenteams entsteht aus dieser Gemengelage ein Spannungsfeld, das im politischen Diskurs selten klar benannt wird. Auf der einen Seite stehen Versprechen: digitale Entlastung, effiziente Vergütungspfade, gestärkte klinische Rollen. Auf der anderen Seite bleibt der Alltag geprägt von Medienbrüchen, unklaren Verantwortungsgrenzen und wachsender Kontrolllast. Jede neue Plattform, jede zusätzliche Fallgruppe und jeder neue Versorgungsvertrag verändert still die Fehlerlandschaft. Wer in der Versorgung steht, trägt diese Reibungsverluste in Echtzeit, während Entscheidungen auf der Makroebene oft in abstrakten Kennziffern verhandelt werden.
Die eigentliche Bruchstelle verläuft damit weniger zwischen analog und digital, sondern zwischen Ankündigungspolitik und betrieblicher Realität. Eine ePA, die im ambulanten Bereich wächst, aber Krankenhäuser und Apotheken nur halb anbinden kann, führt in die Irre. Eine Ambulantisierung, die in Fallzahlen denkt, ohne ausreichend in Übergänge, Medikationsdaten und Versorgungskoordination zu investieren, bleibt labil. Klinische Apotheken, die Risiken erkennen und abfedern, ohne systematisch in Vergütung, Personalplanung und Entscheidungsstrukturen berücksichtigt zu werden, geraten in eine stille Überverantwortung.
Im Alltag bedeutet dies, dass Apotheken immer stärker zum Puffer zwischen Reformtempo und Versorgungsfähigkeit werden. Sie fangen Medikationsbrüche nach Klinikaufenthalten auf, übersetzen digitale Anordnungen in konkrete Einnahmepläne und stehen Patientinnen und Patienten gegenüber, die Erwartungen an ein nahtloses System haben, das es so noch nicht gibt. Jede Verschiebung im Vergütungs- oder Verantwortungsgefüge schlägt damit zeitversetzt auf Beratungsgespräche, Personalplanung und wirtschaftliche Stabilität durch. Der rote Faden ist erkennbar: Politische Projekte, die echten Mehrwert bringen sollen, müssen dort ansetzen, wo Haftung, Verantwortung und Handlungsspielräume täglich zusammenfallen – in den Versorgungsbeziehungen vor Ort.
Zwischen elektronischer Patientenakte, Hybrid DRG, Klinikapotheke und Fingerrechnen spannt sich eine gemeinsame Linie: Entscheidungen werden schnell getroffen, während die Praxis mit langsamen, oft widersprüchlichen Effekten leben muss. Die ePA droht zum Archiv ohne Kompass zu werden, wenn Funktionalität und Datenharmonisierung nicht gleichzeitig mitgedacht werden. Ambulantisierung klingt nach Effizienz, verschiebt aber Risiken und Koordinationslast in jene Bereiche, in denen Personal, Systeme und Vergütung längst am Limit laufen. Klinikapotheken übernehmen leise eine wachsende Rolle als Sicherheitsnetz, ohne dass diese Verantwortung im System klar abgebildet wird. Und die Fingerstudie erinnert daran, dass gutes Lernen Zeit, Umwege und individuelle Strategien braucht, während Reformprozesse häufig in starren Taktvorgaben verhandelt werden.
Dies ist kein Schluss, der gelesen werden will – sondern eine Wirkung, die bleibt. Entscheidend ist nicht, wie viele Reformmodule politisch verabschiedet werden, sondern ob sie im Versorgungsalltag tragfähig landen. Eine ePA, die echte Entscheidungsunterstützung bietet, ein Vergütungssystem, das ambulante Leistungen ohne neue Bruchkanten ermöglicht, und Klinikapotheken, die als feste Sicherheitsinstanz anerkannt werden, wären mehr als Symbolpolitik. Im Alltag bedeutet dies, dass Apothekenteams, Praxen und Kliniken verlässliche digitale Werkzeuge, klare Zuständigkeiten und ausreichend Zeit für sorgfältige Entscheidungen brauchen. Solange Reformen vor allem in Kennzahlen und Fallgruppen gedacht werden, wächst der Abstand zwischen Versprechen und gelebter Praxis. Die eigentliche Probe findet dort statt, wo Menschen Verantwortung übernehmen, Fehler vermeiden und jeden Tag neu entscheiden, wie viel Kontrolle und wie viel Vertrauen in einem komplexen System möglich ist.
SG
Prokurist | Publizist | Verantwortungsträger im Versorgungsdiskurs
Kontakt: sg@aporisk.de
Wer das für Formalie hält, unterschätzt die Verantwortung, die Sprache heute tragen muss.
Ein Kommentar ist keine Meinung. Er ist Verpflichtung zur Deutung – dort, wo Systeme entgleiten und Strukturen entkoppeln.
Ich schreibe nicht, um zu erklären, was gesagt wurde. Ich schreibe, weil gesagt werden muss, was sonst nur wirkt, wenn es zu spät ist.
Denn wenn das Recht nur noch erlaubt, aber nicht mehr schützt, darf der Text nicht schweigen.
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