DocMorris-Verfahren als Weichenstellung, Vor-Ort-Apotheken unter Beobachtung, Versandstrukturen als Sicherheitsrisiko
Der Konflikt zwischen der Apothekerkammer Nordrhein und grenznahen Versandstrukturen wie DocMorris ist in eine Phase eingetreten, in der nicht mehr nur über einzelne Regelverstöße oder Boni diskutiert wird, sondern über die grundsätzliche Frage, wer in Deutschland Arzneimittel abgeben darf. Mit der erneuten Befassung des Oberlandesgerichts Düsseldorf steht zur Prüfung, ob die betroffenen Versender tatsächlich die Anforderungen erfüllen, die an eine Präsenzapotheke geknüpft sind. Für Vor-Ort-Apotheken geht es damit um weit mehr als um juristische Detailfragen, denn die Entscheidung berührt den Kern ihres Berufsbildes und ihrer Stellung im Versorgungssystem. Die Kammer Nordrhein ordnet die Versender als „Hochregallager“ ein, die zwar Arzneimittel bewegen, aber aus ihrer Sicht die entscheidenden Merkmale einer Apotheke verfehlen. Dieser Gegensatz zwischen kontrollierter Präsenzstruktur und ausgelagerter Logistik ist der Hintergrund, vor dem das Verfahren zu einem Gradmesser für künftige Wettbewerbsbedingungen wird.
Die Argumentation der Apothekerkammer Nordrhein zielt auf die Frage, welche Qualitäts- und Sicherheitsdimensionen mit dem Begriff „Apotheke“ verbunden sein sollen. Vor-Ort-Apotheken stehen unter regelmäßiger staatlicher Aufsicht, müssen räumliche, personelle und organisatorische Vorgaben der Apothekenbetriebsordnung einhalten und tragen erkennbar Verantwortung für Beratung, Dokumentation und Risikomanagement. Demgegenüber sieht die Kammer in grenznahen Versandmodellen Strukturen, die sich der unmittelbaren Kontrolle entziehen, indem sie unter einer ausländischen Aufsicht agieren und überwiegend Patientinnen und Patienten außerhalb ihres Sitzlandes beliefern. Aus der Perspektive der Kammer reicht es nicht aus, dass in solchen Betrieben approbierte Apothekerinnen und Apotheker beschäftigt werden, wenn die übrigen Elemente einer Präsenzapotheke – von der Prüfbarkeit bis zur gelebten Verantwortung vor Ort – nicht in gleicher Weise greifen. Der Begriff des „Hochregallagers“ soll genau diese Verschiebung vom verantwortlichen Heilberufsbetrieb hin zu einer primär logistisch geprägten Struktur verdeutlichen.
Für Vor-Ort-Apotheken hat diese Debatte unmittelbare Folgen, weil die Honorierung, die Investitionsentscheidungen und die Bereitschaft zur Übernahme von Standorten auch an die Erwartung geknüpft sind, nach vergleichbaren Regeln mit anderen Marktteilnehmern zu konkurrieren. Wenn Versandapotheken unter Bedingungen operieren, die weniger eng überwacht werden, entsteht der Eindruck einer asymmetrischen Regulierung: Apotheken in Deutschland müssen ihre Betriebsräume, Prozesse und Dokumentationen in regelmäßigen Abständen offenlegen, während ausländische Versandstrukturen in einem anderen Aufsichtssystem agieren. Die Klärung vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf betrifft deshalb nicht nur die Frage, ob Rückforderungen gegenüber einem einzelnen Unternehmen berechtigt sind, sondern auch, ob sich die Versorgungsordnung künftig stärker an präsent geprüften Apotheken orientiert oder ob logistisch getriebene Modelle mehr Raum erhalten. Für die öffentliche Wahrnehmung der Apotheken ist entscheidend, ob Gerichte und Politik das eigene System weiterhin als Referenz für Arzneimittelsicherheit sehen.
Gleichzeitig besitzt das Verfahren eine Signalwirkung für die Art und Weise, wie Politik und Aufsicht mit grenzüberschreitenden Versorgungsmodellen umgehen. Seit Jahren kritisieren Apothekenorganisationen, dass Versandapotheken aus dem Ausland wirtschaftlich von der deutschen Nachfrage profitieren, ohne in gleichem Umfang in die lokalen Strukturen eingebunden zu sein. Die Kammer Nordrhein greift diese Linie auf, indem sie betont, dass Apotheken in Deutschland sich an „hiesige Gesetze“ zu halten hätten, während ausländische Versender auf Distanz zu lokalen Kontrollen operieren. Sollte das Gericht zu dem Ergebnis kommen, dass die Anforderungen an eine Präsenzapotheke im konkreten Fall nicht erfüllt wurden, stünde die Diskussion um Rückzahlungen von Kassenleistungen im Raum und damit die Frage, ob Teile des Systems über Jahre auf einer rechtlich fragilen Basis gearbeitet haben. Für Vor-Ort-Apotheken wäre eine solche Entscheidung ein starkes Zeichen dafür, dass konsequente Regelbefolgung nicht als Wettbewerbsnachteil, sondern als Standard gilt.
Für die weitere Entwicklung des Apothekenmarktes wird entscheidend sein, wie die verschiedenen Akteure die Ergebnisse einordnen und ob daraus praktikable Konsequenzen für die alltägliche Versorgung gezogen werden. Apotheken vor Ort brauchen Planungssicherheit, wenn sie in Personal, Digitalisierung, Lagerhaltung und neue Dienstleistungen investieren sollen, während gleichzeitig Versender ihre Geschäftsmodelle anpassen werden, sobald Gerichte klare Grenzen ziehen. Das Verfahren um DocMorris ist in diesem Sinne mehr als ein Streit zwischen einer Kammer und einem Unternehmen; es fungiert als Brennglas für die Frage, ob das deutsche Apothekensystem weiterhin auf sichtbare Präsenz, überprüfbare Strukturen und regionale Verantwortung setzt oder ob sich eine stärker entortete, logistisch dominierte Versorgung etabliert. Die Stellungnahmen der Kammer Nordrhein zeigen, dass Apotheken dieses Verfahren als Chance sehen, den eigenen Wert im Zusammenspiel von Arzneimittelsicherheit, Beratung und staatlicher Aufsicht noch einmal deutlich zu machen.
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