Kaufland-Arztkabine im Alltag, telemedizinische Versorgungslücke, Rolle der Apotheke vor Ort
Die Arztkabine im Kaufland-Markt in Mosbach verbindet zwei Ebenen, die bislang streng getrennt waren: alltägliche Einkaufsroutinen und hausärztliche Versorgung. Zwischen Käsetheke, Backshop und Pfandautomat entsteht eine Anlaufstelle, die auf den massiven Hausärztemangel reagiert und Menschen ohne lange Anfahrt einen niedrigschwelligen Zugang eröffnen soll. Der „S Medical Room“ funktioniert dabei als technisch ausgestattete Außenstelle eines Medizinischen Versorgungszentrums, in dem der Erstkontakt über das Smartphone und eine Videoverbindung läuft. Für viele Patientinnen und Patienten kann dieser Ansatz Wartezeiten verkürzen, Wege ersparen und spontane Entscheidungen erleichtern, etwa den Einkauf mit einem kurzen medizinischen Check zu verbinden. Gleichzeitig verschiebt sich der Ort medizinischer Beratung aus der klassischen Praxis in die Vorkassenzone eines Handelsunternehmens – und damit in eine Umgebung, die primär vom Warenumschlag und von Kundenströmen geprägt ist.
Der Hausärztemangel im ländlich geprägten Umland macht deutlich, warum solche Modelle überhaupt entstehen. Wenn in einer Region Termine zur Mangelware werden, Praxen keine neuen Patienten mehr aufnehmen und zwei von drei Hausärzten kurz vor dem Ruhestand stehen, wächst der Druck, neue Strukturen zu erproben. Für Apotheken, die in den gleichen Regionen seit Jahren Versorgungslücken abfedern, sind solche Arztkabinen ambivalent: Einerseits können sie helfen, medizinische Entscheidungen schneller zu treffen und Verordnungen rechtssicher zu stellen, andererseits verschiebt sich ein Teil der Entscheidungswege aus der klassischen Kooperation Hausarzt–Apotheke in eine neue, vom Handel mitgetragene Infrastruktur. Aus der Sicht der Versorgung ist entscheidend, ob sich die Angebote in bestehende Netze einfügen oder neben ihnen herlaufen. Je besser der Daten- und Informationsfluss mit den Hausarztpraxen und den Apotheken vor Ort gelingt, desto eher kann die Arztkabine zur Ergänzung werden, statt zum isolierten Parallelangebot.
Die in Mosbach gelebte Telemedizin bleibt zudem bewusst begrenzt. Neupatientinnen und Neupatienten erhalten keine komplexe Dauertherapie, keine Blutdruckmedikamente oder Antibiotika bei schweren Infekten, sondern primär Empfehlungen und Rezepte in überschaubaren Fällen. Das schützt vor einer Überdehnung telemedizinischer Möglichkeiten, wirft aber eine andere Frage auf: Wie werden Anschlusswege organisiert, wenn in der Videokabine der Eindruck entsteht, dass weitere Diagnostik oder eine engere Überwachung notwendig sind? In der Praxis bedeutet dies, dass die Verantwortung für die Koordination nicht im Markt, sondern weiterhin in den umliegenden Praxen und Versorgungszentren liegen muss. Für Apothekenbetreiber ist wichtig, ob und wie sie in diese Kette eingebunden werden: Werden E-Rezepte automatisch zu einer bestimmten Apotheke geroutet, bleibt die Wahlfreiheit der Patientinnen und Patienten erhalten, oder entstehen schleichend bevorzugte Bahnen, die die neutrale Stellung der Apotheke aushöhlen könnten?
Besondere Aufmerksamkeit verdient die Tatsache, dass es bislang keine formale Kooperation mit der Apotheke im Center gibt. E-Rezepte können vor Ort eingelöst werden, aber das Modell verzichtet bewusst auf eine sichtbare vertragliche oder werbliche Verknüpfung. Für Apothekenbetreiber ist das zugleich Chance und Aufgabe. Es verhindert zwar eine exklusive Bindung zwischen Arztkabine und einzelner Apotheke, zwingt aber dazu, die eigene Rolle klar zu definieren: als niedrigschwellige, jederzeit erreichbare Beratungsinstanz für die Verordnung aus der Kabine, als Ansprechpartner für Wechselwirkungen, Dosierungsfragen und Folgeversorgung. Gerade weil ein Teil der Konsultationen in einem Umfeld stattfindet, das stark auf Konsum ausgerichtet ist, wächst die Bedeutung der Apotheke als Korrektiv, das medizinische Empfehlungen einordnet und grenzen zieht, etwa bei Selbstmedikation, Wiederholungsverordnungen oder der Interpretation von Lifestyle-Check-ups.
Für Apothekenbetreiber stellt sich daher weniger die Frage, ob solche Arztkabinen entstehen werden, sondern wie sie darauf reagieren. Wichtig ist, die Entwicklung aufmerksam zu begleiten, Kontakt zu den verantwortlichen Ärzten und Betreibern zu suchen und die eigenen Prozesse auf eine wachsende Zahl digital ausgestellter Verordnungen abzustimmen. Dazu gehört, E-Rezept-Workflows so zu gestalten, dass sie flexible Einlösungen ermöglichen, ohne ins Fahrwasser exklusiver Lenkungsmodelle zu geraten. Ebenso relevant ist die interne Sensibilisierung des Teams: Das pharmazeutische Personal sollte wissen, welche Leistungen in der Kabine erbracht werden, welche Grenzen telemedizinisch gezogen sind und in welchen Fällen eine Rückkopplung mit Hausarztpraxen ratsam ist. Apotheken, die ihre Rolle als unabhängige, patientennahe Instanz in diesem neuen Umfeld klar definieren und transparent machen, können aus der Arztkabine im Markt eine Ergänzung machen, die Versorgungslücken schließt, ohne die eigene Stellung zu schwächen.
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