Schmerzpunkte ordnen, Politik im Dialog, Apotheke als Praxislabor
Der Termin in Neukölln beginnt nicht mit großen Gesten, sondern mit nüchternen Beobachtungen aus einem Betrieb, der an sechs Tagen in der Woche und oft bis 20:00 Uhr zuverlässig offensteht. Schon beim Betreten fällt die Verdichtung des Alltags auf: Beratung im Minutentakt, parallel laufende Rezepturen, ein klingelndes Telefon, dazu Rückfragen von Ärztinnen und Kassen. Im Gespräch mit der Abgeordneten entsteht aus diesen Einzelbildern ein belastbares Lagebild, das über Anekdoten hinausreicht und Daten benennt, etwa Wartezeiten von durchschnittlich 8–12 Minuten zu Spitzenzeiten im Quartal Q3/2025. Wo Prozesse stocken, hat das Ursachen, die benannt werden können: unklare Prüfregeln, doppelte Dateneingaben, Schnittstellen, die auf dem Papier vorhanden sind, aber im System nicht reibungslos greifen. Der Anspruch des Inhabers ist messbar formuliert: Schmerzpunkte sind keine Stimmungen, sondern Abweichungen, die sich in Minuten, Fällen und Rückläufern zählen lassen.
Im Zentrum steht der Referentenentwurf, der seit September 2025 für viele Teams zum Prüfstein geworden ist. Die Abgeordnete erhält keine pauschalen Forderungen, sondern konkrete Rückmeldungen zu Passagen, die in der Praxis Reibung erzeugen, etwa bei § 129 SGB V und den Folgewirkungen auf Retaxrisiken in Grenzfällen. Ein Beispiel: Eine missverständliche Formulierung führt bei rund 15 % der Verordnungen mit Ergänzungsbedarf zu Rückfragen, die pro Fall 3–5 Minuten binden und damit an einem Tag schnell 60–90 Minuten ausmachen. Ein anderes Beispiel betrifft Softwarehinweise, die in 7 von 100 Fällen widersprüchliche Warnstufen auslösen und damit zusätzliche Dokumentation provozieren. Solche Kennzahlen sind keine Klagepunkte, sondern Navigationsmarken, an denen sich Nachschärfungen ausrichten können, damit die Versorgung nicht in Formalien stecken bleibt.
Die Perspektive des Kiezes verschiebt die Diskussion weg von abstrakten Durchschnittswerten hin zu Bedarfslagen mit hoher Taktung. In einem Umfeld, in dem an einzelnen Tagen mehr als 300 Kundinnen und Kunden versorgt werden, zählt jede Klarheit doppelt, insbesondere bei Mehrsprachigkeit und komplexer Medikation ab fünf Wirkstoffen. Die Gesprächspartner ordnen, welche Nachweise wirklich Qualität sichern und welche lediglich Akten füllen; dabei zeigt sich, dass eine einzige präzise Vorgabe zur Dokumentation Medikationsanalyse pro Fall 2–3 Minuten spart, ohne die Patientensicherheit zu schmälern. Gleichzeitig wird festgehalten, dass Sanktionen erst greifen sollten, wenn nachweislich Beratungsstandards unterschritten werden, nicht wenn Formularlogiken kurzzeitig kollidieren. Dieser Maßstab schafft Vertrauen, weil er Verhalten steuert statt lediglich Fehler zu zählen.
Digitalisierung bleibt ein roter Faden, aber nicht als Versprechen, sondern als belastbarer Prozess. Wenn E-Rezept, Abrechnungsmodul und Warenwirtschaft seit 2024 Schritt für Schritt zusammenwachsen, entscheidet die Qualität der Übergabefelder darüber, ob aus Technik Zeitgewinn oder Zeitverlust wird. Im Dialog wird eine Prioritätenliste greifbar: redundante Felder identifizieren, Pflichtangaben reduzieren, Prüfroutinen staffeln, damit nicht jede Warnung eine Vollbremsung auslöst. Eine Pilotphase von 90 Tagen mit klaren Messpunkten – Fehlermeldungsquote pro 1.000 Verordnungen, Rückläuferquote der Kassen, mittlere Bearbeitungszeit pro Sonderfall – ließe sich aus den bereits erhobenen Daten speisen. So wird Fortschritt überprüfbar, und der Entwurf kann vom Status einer Absicht zur spürbaren Entlastung werden.
Am Ende steht kein Foto mit übergroßem Symbolgehalt, sondern ein Arbeitsprotokoll mit Fristen, Ansprechpartnern und Rückkanälen. Bis zum 15. Dezember 2025 sollen die kritischsten Punkte mit Alternativformulierungen unterlegt sein, jeweils mit kurzer Wirkungsabschätzung in Minuten, Fällen und potenziellen Retaxbeträgen in Euro. Der Inhaber verpflichtet sich, bis dahin weitere 100 Einzelfälle strukturiert zu dokumentieren; die Abgeordnete sagt zu, die Funde zielgenau in die Ausschusskommunikation einzuspeisen. Diese Vereinbarung macht den Unterschied: Politik hört nicht nur zu, sondern verankert Evidenz in Texten, und die Apotheke bleibt nicht Bittsteller, sondern wird zur prüfenden Instanz der eigenen Realität. Was zählt, ist die messbare Wirkung im Januar 2026: weniger Unterbrechungen, klarere Regeln, stabilere Zeitfenster für das, worum es allen geht – sichere, zugewandte Versorgung im Takt eines vollen Tages.