Apothekenhonorar und Fixum, Verhandlungslösung und Glaubwürdigkeit, Niedersachsen setzt Druck
Die Debatte um das Apothekenfixum ist zur Systemfrage geworden, weil ein seit 13 Jahren unverändertes Honorar bei gleichzeitig steigenden Kosten die Liquidität vor Ort austrocknet. Wenn im Koalitionsvertrag ein Ziel von 9,50 Euro genannt war und nun ohne Anpassung reformiert werden soll, kollidieren politische Ankündigungen mit betrieblicher Realität. Niedersachsen sendet mit der LAV-Spitze ein klares Signal und verknüpft Erwartung und Frist, denn jede weitere Nullrunde vergrößert die Lücke zwischen Aufwand und Vergütung. Der Vorwurf, die „Zerstörung des Apothekensystems“ werde in Kauf genommen, ist hart, zielt aber auf die Summe aus Inflation, Bürokratie und Engpässen. Sichtbar wird das an Tagesposten: Energie und Personal verteuern den Betrieb zweistellig, während das Fixum seit 2013 faktisch stagniert.
Ökonomisch ist das Fixum nicht nur ein Preis, sondern ein Risikopuffer, der Beratung, Lagerhaltung und Qualitätsarbeit trägt. Fehlt dieser Puffer, müssen Apotheken mehr Umsatz über variable Posten generieren, obwohl genau dort die Margen durch Rabattverträge und Retaxationen schwanken. Eine Anpassung per Arzneimittelpreisverordnung wäre formal in wenigen Zeilen zu regeln, in der Praxis aber ein Kurswechsel mit Wirkung auf Millionen Abgaben pro Jahr. Wer Verhandlungslösungen mit dem GKV-Spitzenverband befürwortet, braucht eine faire Ausgangslage, sonst wird aus Tarifpolitik eine Dauer-Abwehrschlacht. Der Anker „9,50 Euro“ ist deshalb mehr als Symbolik, er ist Rechengröße für Personalplanung, Öffnungszeiten und Investitionen, die ohne Planungssicherheit auf Eis liegen.
Politisch verschiebt die Verhandlungsidee Verantwortung von der Gesetzesebene in ein bilaterales Feld mit asymmetrischer Marktmacht. Krankenkassen können auf Kostenpfade, Reserven und Beitragssätze verweisen, Apotheken dagegen nur auf Betriebskosten, Dienstpflichten und Versorgungsaufträge. Ohne Startlinie bleibt die eine Seite im Vorteil, denn sie verhandelt aus einem finanziellen Ist-Zustand heraus, die andere aus einem Soll, das seit 13 Jahren unter Druck steht. Ein verbindlicher Mechanismus – etwa Indexierung an einen Gesundheitskosten-Korb oder eine alle zwei Jahre greifende Anpassung – würde Streit in Regel überführen. Wo solche Indexe fehlen, ersetzen Ad-hoc-Pakete die Systematik, und jede Runde wird zur Vertrauensprobe.
Versorgungspolitisch hat das Fixum eine zweite Ebene: Es steuert, ob Leistungen in der Fläche verfügbar bleiben oder in Ballungsräume abwandern. Ländliche Standorte mit langen Wegen, mehr Nacht- und Notdiensten und kleinerer Frequenz leiden zuerst, wenn das Grundhonorar nicht trägt. Wird dort die Nacht- und Notdienstpauschale verdoppelt, hilft das Zielgenauigkeit, ersetzt aber keine tragfähige Basis am Tag. Gleichzeitig sollen Apotheken impfen, pDL erbringen, digital dokumentieren und Engpässe abfedern, was Zeit und qualifiziertes Personal bindet. Ein Fixum, das diese Last abbildet, ist weniger „Bonus“ als Betriebsmittel, mit dem die Versorgung im Takt bleibt.
Am Ende entscheidet Glaubwürdigkeit, ob Reformen tragen: Wird ein im Vertrag verabredeter Betrag umgesetzt, steigt die Bereitschaft, Verhandlungslösungen zu testen und zusätzliche Aufgaben zu schultern. Bleibt die Anpassung aus, wachsen Protest und Risikoaversion, und Investitionen in Technik, Kühlkette oder Kommissionierer werden verschoben. Das Fenster für eine einfache Korrektur ist offen, solange die Arzneimittelpreisverordnung mit wenigen Parametern nachjustiert werden kann. Mit jedem Quartal ohne Anpassung vergrößert sich jedoch der Korrekturbedarf, und aus 9,50 Euro wird eine neue Zielmarke, die den Abstand wieder nur aufholt statt vorausdenkt. Eine Politik, die Versorgungssicherheit will, braucht an dieser Stelle keinen großen Wurf, sondern ein klares, belastbares Ja.
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