Rollen in der Diagnostik, Verantwortung im Streit, Patientensicherheit im Blick
Die Debatte um die Apothekenreform hat eine neue Front eröffnet: Neben der Frage nach Honoraren und Strukturen rückt die diagnostische Rolle von Apotheken ins Zentrum. Die Akkreditierten Labore in der Medizin (ALM) warnen, patientennahe Tests und Antibiotikagaben in Apotheken könnten Qualität und ärztliche Verantwortung aushöhlen. Auch ärztliche Gremien sehen Risiken und pochen auf die Trennung zwischen Verordnung und Abgabe. Im Kern geht es um die Frage, wo Screening, Abklärung und Therapieentscheidung sauber getrennt bleiben – und wo wohnortnahe Angebote Versorgungslücken schließen dürfen. Der Konflikt berührt Grundprinzipien: Wer ordnet Befunde ein, wer trägt Haftung, und wie werden Entscheidungen dokumentiert, damit sie im Verlauf nachvollziehbar bleiben.
Der ALM betont, Labordiagnostik sei kein Schnelltest an der Ladentheke, sondern ein mehrstufiger Prozess mit präanalytischen, analytischen und postanalytischen Anforderungen. Für Früherkennungs-Checks oder bei Verdacht auf Harnwegsinfekt sieht der Verband die ärztliche Beurteilung als unverzichtbar, um Indikation, Auswahl und Dauer einer Therapie korrekt zu bestimmen. Besonders sensibel ist der Umgang mit Antibiotika, weil Fehlindikationen Resistenzentwicklungen begünstigen können und Antibiotic-Stewardship als übergreifendes Ziel gilt. Zugleich verweist der Verband auf die Gefahr von Parallelstrukturen: Wenn qualitätsgesicherte Laborwege umgangen werden, drohen inkonsistente Daten, die Verlaufskontrolle erschweren. Die Forderung lautet daher, wohnortnahe Versorgung auszubauen, ohne diagnostische Leistungen aus dem fachärztlichen Rahmen zu lösen, und zugleich den Zugang zu Labordiagnostik niedrigschwellig zu halten.
Ärztliche Körperschaften schließen sich dieser Linie an und verweisen auf das Zusammenspiel aus Anamnese, körperlicher Untersuchung und apparativer Diagnostik. Am Beispiel Impfung oder akuter Infekt zeigt sich, dass Kontraindikationen oft erst im Gespräch oder bei Untersuchung offensichtlich werden. Die Ärztekammer Westfalen-Lippe fasst dies zugespitzt als Schutz der „urärztlichen Befugnisse“: Apotheken seien kein Praxis-Ersatz, Apothekerinnen und Apotheker kein Arzt-Ersatz. Dahinter steht die Sorge, dass die Aufhebung von Trennlinien zu Doppelstrukturen führt, die Ressourcen binden, ohne Ergebnisqualität zu erhöhen. Patientensicherheit wird hier nicht als Gegensatz zur wohnortnahen Versorgung verstanden, sondern als Bedingung, die Strukturentscheidungen leitet. Entscheidend bleibt, wer letztverbindlich indiziert, dokumentiert und den Verlauf verantwortet.
Die Apothekerschaft wiederum verweist auf ihren Beitrag zur niedrigschwelligen Versorgung: triagierende Beratung, definierte Schnelltests mit Standardprozeduren, strukturierte Dokumentation und klare Rückverweisungen an Ärztinnen und Ärzte. In dieser Sicht können einfache, leitliniennah definierte Leistungen Wege verkürzen, Wartezeiten dämpfen und Folgekosten vermeiden, wenn ihr Einsatz sauber begrenzt und qualitativ abgesichert ist. Denkbar sind Modelle, in denen patientennahe Tests nur mit fixen Qualitätselementen stattfinden: validierte Verfahren, festgelegte Entscheidungsbäume, verpflichtende Dokumentation und abgestimmte Schnittstellen in die Versorgung. Für Antibiotika-Szenarien bliebe die Schwelle besonders hoch; hier lägen Indikation und Präparatewahl weiterhin primär in ärztlicher Hand, während die Apotheke bei Adhärenz, Interaktionen und Warnzeichen eng begleitet. So entsteht eine Linie, die Nähe ermöglicht, ohne Verantwortung zu verschieben.
Für die Reformpraxis folgt daraus ein Katalog technischer und organisatorischer Fragen: Welche Mindestanforderungen gelten für Qualifikation, Räumlichkeiten und Geräte, wie werden Ergebnisse in ePA-Strukturen rückführbar dokumentiert, und welche Audit-Mechanismen sichern die Einhaltung? Wie wird Antibiotic-Stewardship konkret abgebildet, etwa durch verpflichtende Konsultationspfade oder Feedback-Schleifen mit Praxen und Laboren? Und wie verhindern Systeme Fehlanreize, die aus Tempo oder Kostendruck resultieren könnten? Antwortfähig ist die Architektur, wenn sie klare Rollen beschreibt, Prüfwege sichtbar macht und Korrekturschleifen vorsieht, sobald Evidenz oder Variantenlage sich verändern. Nur dann halten wohnortnahe Angebote dem Alltag stand, ohne die Ergebnisqualität zu relativieren. Vor diesem Hintergrund rückt ein weiterer Faktor ins Blickfeld, der über Gelingen oder Scheitern entscheidet: die ausreichende, qualifizierte Personaldecke in Apotheken – und der Wettbewerb um Fachkräfte, der bereits heute die Handlungsspielräume vieler Standorte bestimmt.