KI verschiebt Beratung, Plattformen bündeln Kauf, Apotheken justieren Geschäftsmodell
Die aktuelle Debatte über künstliche Intelligenz in der Gesundheitsversorgung verschiebt den Fokus weg von Suchmaschinen hin zu dialogbasierten Systemen, die Beratung, Produktempfehlung und Beschaffung in einem Ablauf zusammenführen. In diesem Kontext skizziert Marcus Diekmann ein Szenario, in dem Apotheken nicht verschwinden, ihre Zahl jedoch deutlich sinken könnte, weil digitale Assistenten Routinefragen abfangen und Kaufprozesse automatisieren. Der Zeithorizont für spürbare Veränderungen wird auf die nächsten fünf Jahre gelegt, mit der Annahme, dass sich Nachfragepfade und Gewohnheiten beschleunigt verlagern. Grundlage der Einschätzung ist nicht eine einzelne Technologie, sondern das Zusammenwirken aus Large-Language-Modellen, angebundenen Diensten und zunehmend selbstständig agierenden Softwareagenten. Die Konsequenz wäre eine Verdichtung der Versorgungslandschaft bei gleichzeitiger Ausweitung digitaler Kontaktpunkte. Die Ausgangslage ist damit nicht die Ablösung der Apotheke, sondern ihre Neuverortung im Geflecht aus Beratung, Datenströmen und Lieferketten.
Als Treiber beschreibt Diekmann eine Verhaltensverschiebung: weniger „googeln“, mehr interaktive Abklärung über Systeme wie ChatGPT oder Gemini, die Rückfragen stellen, Eingaben strukturieren und Vorschläge kontextualisieren. Entscheidend ist die Qualität der Eingabeaufforderungen und die Fähigkeit, Antworten einzuordnen; beides lässt sich standardisieren und in Workflows gießen. Parallel entstehen Agenten, die verfügbare Angebote sichten, Optionen gewichten und bis zur Kasse führen. In Aussicht gestellt wird eine direkte Checkout-Einbindung, etwa über Wallet- oder Payment-Schnittstellen, wodurch Suchphase, Empfehlung, Preisvergleich und Bezahlung nahtlos verschmelzen. Für Anwender entstünde ein Reibungsverlust nahe Null, weil der Dialog nicht abreißt und Medienbrüche entfallen. Damit verschiebt sich die Wertschöpfung aus dem Schaufenster in den Chatverlauf.
Zur Veranschaulichung dient ein Alltagsbeispiel: Ein Erkältungssymptom wie laufende Nase wird im Dialog präzisiert, Zusatzangaben wie Druckgefühl in den Nasennebenhöhlen führen zu einer konkreteren Einordnung, und daraus werden geeignete Präparate vorgeschlagen. Ergänzende Hinweise zu unterstützenden Maßnahmen, etwa Flüssigkeitszufuhr oder mineralische Mikronährstoffe, werden als Optionen angeboten und mit einfachen Erklärungen versehen. Das System fragt nach, bietet Übersetzungen für abweichende Sprachprofile und verlinkt mögliche Bezugsquellen, wodurch Informationslücken im Ablauf reduziert werden. Aus Nutzersicht entsteht ein kontinuierlicher Pfad von der Frage zur Lösung, ohne dass externe Recherchen erforderlich sind. Wo früher die Suche, der Vergleich und der Kauf getrennte Schritte waren, bildet nun ein einziger Dialog den gesamten Vorgang ab.
Aus dieser Prozesslogik leitet Diekmann keine Abschaffung, sondern eine betriebliche Neuausrichtung ab: weniger Frequenz in Standardanliegen vor Ort, dafür mehr Spezialisierung und differenzierte Beratung dort, wo persönliche Interaktion Mehrwert stiftet. Genannt werden Felder wie Langlebigkeit, Hautgesundheit und Nahrungsergänzung, die strukturierte Beratung und kuratierte Sortimente erfordern. Gleichzeitig würde ein Teil der Nachfrage direkt aus dem Assistenten heraus in Bestellungen übergehen, was die Rolle der Apotheken stärker an Qualität, Kurationskompetenz und Service bindet. Die Schätzung, dass perspektivisch deutlich weniger Betriebe die Versorgung tragen könnten, versteht sich damit als Folge geänderter Pfade, nicht als normative Zielgröße. Entscheidend ist, welche Standorte den Wandel methodisch, technisch und organisatorisch abbilden.
Strategisch verweist die Skizze auf eine brancheneigene Lösung: eine datenschutzstarke KI-App, die Beratung „AI-first“ abbildet, Logistik anbindet und das Wahlrecht für persönliche Beratung bewahrt. Eine solche Anwendung müsste Interoperabilität mit E-Rezept-, Kassen- und Lieferprozessen sichern, Datenschutzanforderungen erfüllen und klinische Guardrails verankern, um Fehlinformationen zu begrenzen. Zugleich stellen sich Fragen nach Haftung, Bias-Kontrolle, Kennzeichnung automatischer Empfehlungen und abgestuften Eskalationspfaden zur menschlichen Fachberatung. Für Verbünde und Verbände ergibt sich daraus ein Koordinationsproblem: Standards definieren, Schnittstellen vereinheitlichen, Investitionen bündeln und Governance klären, um Skaleneffekte gegen große Plattformen zu heben. In der politischen und verbandlichen Diskussion rücken damit jene Orte in den Blick, an denen Versorgungsmodelle konkret umgesetzt werden und Stakeholder Erwartungen abgleichen – ein Übergang, der im nächsten Thema anhand eines Vor-Ort-Gesprächs in einem Blisterzentrum sichtbar wird.