Hitzetage erhöhen Ausfälle, Apotheken stabilisieren Versorgung, Führung richtet Arbeitsschutz neu aus
Wer in diesem Sommer öfter fröstelnd zum Schirm griff, könnte meinen, die Debatte über Hitze sei überzogen; die Daten zur Gesundheit am Arbeitsplatz erzählen eine andere Geschichte. Hitzetage werden über die Jahre messbar häufiger, und unmittelbar nach solchen Tagen steigen die Krankmeldungen – nicht nur draußen auf der Baustelle, sondern spürbar auch drinnen, an HV-Tischen und in Rezepturen. Kreislaufbeschwerden, Sonnenbrand, Insektenstiche und hitzegetriggerte Infekte wirken selten spektakulär, summieren sich aber zu Ausfallmustern, die Dienstpläne zerreißen, Botendienste verzögern und die Konzentration in Beratungen drücken. Wer das als Apotheke nicht antizipiert, gerät in einen Rhythmus aus spontanen Umplanungen, verschobenen Übergaben und Mehrarbeit der Verbliebenen – ein Muster, das die nächsten heißen Episoden jeweils noch anfälliger macht.
Gerade Apotheken liegen in einer belastbaren Schnittmenge: Sie sind Teil des Gesundheits- und Sozialwesens, wo hitzenahe Arbeitsunfähigkeiten überdurchschnittlich auffallen, und sie vereinen Kundenkontakt, stehende Tätigkeit und regellastige Prozesse. Schon kleine physiologische Verschiebungen – dehydrierte Mitarbeitende, Kreislaufunterforderung nach schlafarmen Tropennächten, irritierte Hautstellen unter Kittelstoffen – reichen aus, um die Leistungsfähigkeit in Beratung und Herstellung zu senken. Das wiederum begleitet eine zweite, stille Kurve: Nicht jede Belastung wird zur Krankschreibung. Viele halten durch, nehmen Symptome hin, machen Fehler nicht sichtbar. Für die Offizin ist genau diese Zone gefährlich, weil sie Qualität frisst, ohne im System als „Fehltag“ aufzutauchen.
Die gute Nachricht: Hitzebelastungen sind organisatorisch beherrschbar, wenn Führung das Thema nicht als Wetterlaune, sondern als wiederkehrende Betriebssituation behandelt. Der erste Hebel ist die Zeit. Dienstpläne, die lange Mittelschichten fixieren und die heißesten Stunden mit maximaler Frequenz koppeln, erzeugen vermeidbare Spitzen. Wer die Arbeit auf kühlere Tagesränder verlagert, Zustellungen und Botendienste konsequent früh oder spät organisiert und Übergaben aus der Mittaghitze herausnimmt, zerlegt die Problemzone. Dazu gehört, Übergabelisten und Rezepturfenster so zu ordnen, dass körperlich fordernde Schritte nicht in Perioden schlechter Raumluft fallen. Führung bedeutet hier, vorauszudenken, nicht zu vertrösten.
Der zweite Hebel ist die Umgebung. Viele Offizinen leben von Licht, Glas und Sichtachsen, die den Arbeitsplatz in der Sonne gut aussehen lassen – und ihn zugleich aufheizen. Hitzeschutz beginnt banal: Sonnenschutzfolien und Verschattungen, die nicht erst angebracht werden, wenn es schon 30 Grad hatte; Ventilationsführung, die nicht allein auf kühle Inseln bläst, sondern Strömungen setzt; Trinkpunkte, die als Teamstandard funktionieren, nicht als private Glaubensfrage. In der Rezeptur und im Labor gilt das doppelt, weil hier neben der Physiologie die Produktqualität mitschwingt: Wer bei hoher Temperatur und niedriger Luftfeuchte mit hygroskopischen Stoffen arbeitet, verschiebt Parameter, die sich in Stabilität und Haltbarkeit wiederfinden. Das betrifft auch den Botendienst: Jeder Zustellweg in der Mittagshitze beeinflusst die Kühlkette – nicht nur bei eindeutig kühlpflichtigen Arzneimitteln, sondern auch bei sensiblen Zubereitungen, deren Qualitätsspanne in warmen Fahrzeugen schneller ausgeschöpft ist.
Der dritte Hebel ist die Regelkultur. Kleiderordnungen sind Identitätsträger, in Hitzewellen aber oft Reibungsquelle. Führung zeigt sich darin, wie flexibel Regeln für den Kittel oder für geschlossene Schuhe ausgestaltet werden, ohne die Hygiene zu gefährden. Ein „Sommerfenster“ mit klaren, sicheren Alternativen – atmungsaktive Unterkleidung, leichte Kittelvarianten, definierte Freiräume am HV – schafft Akzeptanz und Konzentration. Dazu kommt die Ansprache: Teams erwarten, dass Belastungen benannt werden. Wer Hitzetage in den Morgenrunden ausdrücklich thematisiert, Warnzeichen durchdekliniert, Abkürzungen erlaubt und die Schichtführung entlastet, erzeugt Orientierung und senkt die Hemmschwelle, Symptome rechtzeitig zu melden. Das ist kein „Weichzeichnen“, sondern Risikosteuerung.
Ein vierter Hebel liegt in den Mikroprozessen. Viele Fehler entstehen nicht, weil jemand „zu heiß“ arbeitet, sondern weil Hitzestress mit anderen Faktoren koinzidiert: Lärm vor der Tür, Lieferverzug, neue Mitarbeitende in Einarbeitung, Parallelbelastung durch Technik (Drucker, Kartenterminals) und Kundendruck. Wer diese Koinzidenzen ernst nimmt, baut Entzerrungen ein: Spitzenzeiten werden mit erfahrener Besetzung gefahren; Doppelkontrollen in der Rezeptur werden in kühlere Phasen gelegt; Beratung zu phototoxischen Wirkstoffen, zu Sonnenschutz bei Kindern und zu Elektrolytmanagement wird proaktiv an heißen Tagen prominent gespielt. Das ist auch Kundenkommunikation: Eine Offizin, die sichtbar kompetent durch die Wärme führt, bindet Vertrauen – bei Laufkundschaft und bei chronisch Kranken, die gerade dann kommen, wenn es ihnen schlechter geht.
Schließlich lohnt eine nüchterne Sicht auf Daten und Erwartungen. Beschäftigte wünschen sich nicht nur Klimageräte, sondern vor allem, dass der Betrieb hitzeadäquates Verhalten legitimiert: Pausen, Trinken, flexible Wege. Wer das in verbindliche, kurze Standards gießt – von der Wasserflasche am Platz bis zur freiwilligen Kurzpause nach Hitzeanlieferungen – gewinnt mehr als Kühle: Er gewinnt Berechenbarkeit. Und er verhindert, dass das Team ausweicht, schweigt oder die eigene Leistungsgrenze romantisiert. Hitzemanagement ist kein Kostentreiber, sondern ein Qualitätsvertrag mit sich selbst: Ein halbe Stunde weniger Mittagsfrequenz, zwei sauber vorgezogene Touren, eine konsequent verschattete Sichtachse, eine angepasste Kleiderregel – das sind kleine Entscheidungen, die Ausfälle seltener und Unfälle unwahrscheinlicher machen.
Apotheken sind systemisch darauf gebaut, unter widrigen Umständen verlässlich zu bleiben. Hitzetage sind heute Teil dieser widrigen Umstände. Wer sie als Regel und nicht als Ausnahme behandelt, schützt nicht nur Mitarbeitende und Patienten, sondern auch die eigene Handlungsfähigkeit. Die Vorstellung, ein paar Grad mehr seien ein Randthema, verkennt die Realität der Offizin: Wo Präzision, Aufmerksamkeit und Dialog das Produkt sind, ist jede Form von schleichender Belastung ein Qualitätsrisiko. Führung heißt, das zu sehen, bevor es wehtut – und die kleinen, klugen Schritte zu gehen, die die nächste Hitzewelle schon heute erträglich machen.