
Für Sie gelesen
Sehr geehrte Apothekerin, sehr geehrter Apotheker,
hier ist der vollständige Text für Sie:
APOTHEKE | Systemblick |
Apotheken-News: Kommentar von heute
Kommentar von Seyfettin Günder zur heutigen Lage im digitalen Gesundheitswesen – zwischen Rezeptverflachung, Plattformlogik, Kontrollverlust und ethischer Implosion.
Im Rückspiegel der Gegenwart verschwimmen die Linien der Verantwortung. Wer heute verstehen will, was Apotheken ertragen, verteidigen und ausgleichen müssen, darf nicht länger in Kategorien von Einzelfällen denken. Was hier geschieht, ist ein orchestrierter Systemwandel – nicht in Strategie, sondern in Struktur. Und dieser Strukturbruch dringt jetzt in alle Ebenen der Versorgung vor. Er zeigt sich in der Werbung, im Betrug, in der Technik, im Verhalten. Und er entlarvt eine Wahrheit, die unbequem ist: Die Verantwortung für Gesundheitsversorgung wurde ausgelagert – an Plattformen, Algorithmen, Versandmodelle. Und niemand schützt mehr die, die täglich gegen diesen Verlust an Realität anarbeiten: die Apotheken vor Ort.
Was als Werbegag beginnt, wird zur Systemfrage. Günther Jauch wirbt für Shop Apotheke – und viele Patient:innen merken: Diese Werbung ist nicht neutral. Sie ist nicht Service, sondern Umsteuerung. Sie nutzt Vertrauen, um Versorgung umzulenken. Dass ein langjähriger Notarzt wie Dr. Heinz Giering dagegen aufsteht, ist mehr als Protest – es ist ein medizinischer Hilferuf. Denn wer heute erlebt, wie Stammapotheken wegbrechen, Rezeptflüsse ins Callcenter verschwinden und Medikationsanalysen durch Beipackzettel ersetzt werden, erkennt: Hier wird nicht digitalisiert – hier wird entwertet.
Rezeptfälschungen bei GLP-1-Rezeptoragonisten wie Ozempic, Wegovy oder Mounjaro sind nicht mehr bloße Einzelfälle. Sie sind das Symptom eines Systems, das Authentizität durch Formalität ersetzt hat. Sobald Rezepte technisch korrekt wirken, fragt niemand mehr nach Herkunft, Indikation oder Sinn. Apotheken werden in die Rolle gedrängt, fehlerfreie Abarbeitung zu liefern, ohne Einblick in die Voraussetzungen. Dass dabei immer wieder Patientenschäden entstehen, ist keine Folge von Versagen – sondern von Strukturblindheit. Und diese beginnt viel früher: bei Plattformen, die Rezepte generieren, ohne echte ärztliche Führung.
Gleichzeitig etabliert sich ein Geschäftsmodell, das mit ärztlicher Leistung nur noch semantisch verbunden ist. Callcenter-Cannabis mit Online-Fragebogen ist kein ärztlicher Prozess. Es ist die Simulation eines medizinischen Akts zur Erzeugung eines formellen Dokuments. Wenn die Ärztekammer Nordrhein feststellt, dass solche Praktiken „keine Versorgung mehr“ darstellen, ist das keine Eskalation, sondern Notwehr. Und doch: Der Markt ignoriert es. Die Plattformlogik bleibt. Und die Apotheken – sie müssen liefern. Und haften.
Hinzu kommt der Einbruch ethischer Bewertungsmaßstäbe. Muscimol-Gummis aus Fliegenpilzextrakt, als Lifestyle-Nahrungsergänzung verkauft, sind keine harmlosen Produkte. Sie sind Teil eines strukturellen Problems: Grauzonenprodukte, die durch unklare Regulierungslücken schlüpfen, zerstören das Prinzip der pharmazeutischen Integrität. Sie schwächen die Beratungsfähigkeit, untergraben die Glaubwürdigkeit und gefährden die Differenzierung zwischen Arznei und Risiko.
Wenn gleichzeitig Künstliche Intelligenz die Notdienstverteilung übernehmen soll, stellt sich nicht die Frage, wie effizient das geht. Sondern: ob es überhaupt noch einen Notdienst gibt, der verteilt werden kann. Apotheken schließen im Wochenrhythmus. Und die Verteilung von Mangel durch Technik bleibt ein Etikettenschwindel. Die Realität ist: Wer keinen Dienst mehr leistet, kann nicht koordiniert werden. Was also bleibt, ist Simulation. Digitale Organisation ersetzt reale Versorgung. Und das wird als Fortschritt verkauft.
Die KKH meldet unterdessen Betrugsschäden von über fünf Millionen Euro – allein im Arzneimittelbereich. Und obwohl es Einzelfälle sind, verändert dieser Schaden das Klima: Vertrauen wird zurückgebaut, Kontrolle wird verschärft. Doch wer kontrolliert eigentlich die Plattformen? Wer haftet für falsche Indikation, wenn die ärztliche Leistung durch ein Formular simuliert wurde? Wieder trifft es die Apotheken. Sie stehen am Ende der Kette – und tragen die Verantwortung für ein System, das sie nicht beeinflussen dürfen.
In dieser Gemengelage wirkt der Protest des Notarztes Giering wie ein letztes Aufbäumen gegen die Aushöhlung der öffentlichen Ordnung. Wenn Beratung, Rezeptur, Versorgung und Aufklärung nicht mehr als Gesamtheit gedacht werden, sondern in Logistikketten zersplittert werden, dann ist nicht nur der Beruf in Gefahr – sondern die Gesundheitskultur. Apotheken sind keine Transaktionsstationen. Sie sind soziale Infrastruktur. Und genau diese wird gerade in Echtzeit dekonstruiert.
Was bleibt? Der Ruf nach Regulierungsautorität. Aber was tut die Politik? Sie diskutiert über KI-Piloten, E-Rezept-Bugs und Honorarmodellvarianten. Sie ignoriert, dass das Fundament bröckelt. Versorgung braucht nicht nur technische Plattformen – sie braucht ethische Stabilität. Apotheken dürfen nicht länger die letzten sein, die den Schaden tragen, wenn alle anderen längst Rendite erzielt haben. Es geht nicht um Fortschritt oder Nostalgie. Es geht um Gerechtigkeit, Schutz und Realitätssinn.
Wir haben kein Erkenntnisproblem. Wir haben ein Handlungsversagen. Und dieses Versagen ist kein Fehler – es ist eine Entscheidung.
Denn die Frage ist nicht mehr, wie viel Digitalisierung wir verkraften, sondern wie viel Entkopplung wir noch ertragen. Wenn ärztliche Verantwortung zur durchklickbaren Abfrage verkommt, wenn Apotheken nur noch ausliefern, was ihnen fremde Systeme vorsetzen, und wenn die letzte Kontrolle durch Algorithmen ersetzt wird, dann ist Versorgung kein System mehr – sondern eine Aneinanderreihung von Risiken. Wer dann noch glaubt, mit regulatorischer Kosmetik ließe sich Vertrauen erzeugen, verwechselt Verantwortung mit Verwaltung. Doch was fehlt, ist keine Regel – sondern ein Maß. Und dieses Maß heißt: Haltung.
Ein Kommentar ist keine Meinung. Er ist Verpflichtung zur Deutung – dort, wo Systeme entgleiten und Strukturen entkoppeln. Ich schreibe nicht, um zu erklären, was gesagt wurde. Ich schreibe, weil gesagt werden muss, was sonst nur wirkt, wenn es zu spät ist. Denn wenn das Recht nur noch erlaubt, aber nicht mehr schützt, darf der Text nicht schweigen.
SG
Prokurist | Publizist | Verantwortungsträger im Versorgungsdiskurs
Kontakt: sg@aporisk.de
Wer das für Formalie hält, unterschätzt die Verantwortung, die Sprache heute tragen muss.
Ein Kommentar ist keine Meinung. Er ist Verpflichtung zur Deutung – dort, wo Systeme entgleiten und Strukturen entkoppeln.
Ich schreibe nicht, um zu erklären, was gesagt wurde. Ich schreibe, weil gesagt werden muss, was sonst nur wirkt, wenn es zu spät ist.
Denn wenn das Recht nur noch erlaubt, aber nicht mehr schützt, darf der Text nicht schweigen.
Sie haben einen Beruf gewählt, der weit mehr als reine Erwerbstätigkeit ist. Sie verfolgen im Dienste der Bevölkerung hohe ethische Ziele mit Energie, fachlicher Kompetenz und einem hohen Maß an Verantwortung. Um sich voll auf Ihre Aufgabe konzentrieren zu können, erwarten Sie die optimale Absicherung für die Risiken Ihrer Berufsgruppe.
Sie suchen nach Möglichkeiten, Ihre hohen Investitionen zu schützen und streben für sich und Ihre Angehörigen nach einem angemessenen Lebensstandard, auch für die Zukunft.
Unter der kostenfreien Telefonnummer 0800. 919 0000 oder Sie faxen uns unter 0800. 919 6666, besonders dann, wenn Sie weitere Informationen zu alternativen Versicherern wünschen.
Mit der ApoRisk® FirmenGruppe steht Ihnen ein Partner zur Seite, der bereits viele Apothekerinnen und Apotheker in Deutschland zu seinen Kunden zählen darf. Vergleichen Sie unser Angebot und Sie werden sehen, es lohnt sich, Ihr Vertrauen dem Versicherungsspezialisten für Ihren Berufsstand zu schenken.