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  • 24.07.2025 – Apotheken unter Druck, Politik ohne Richtung, Marktlogik im Wandel
    24.07.2025 – Apotheken unter Druck, Politik ohne Richtung, Marktlogik im Wandel
    APOTHEKE | Medienspiegel & Presse | Apotheken unter Druck: Rx-Boni legalisiert, Paxlovid-Missbrauch, Ozempic-Fälschungen, Retax-Risiken, Beratungsüberlastung. Die Apotheken...

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ApoRisk® Nachrichten - APOTHEKE:


APOTHEKE | Medienspiegel & Presse |

Apotheken unter Druck, Politik ohne Richtung, Marktlogik im Wandel

 

Wie Versenderstrategien Preisbindung unterwandern, rechtliche Grauzonen neue Risiken schaffen und Apothekenteams zwischen Regress, Migration und Medienmacht bestehen

Apotheken-News: Bericht von heute

Wenn der Bundesgerichtshof Rx-Boni erlaubt, aber die Politik weiter schweigt, wenn Apotheken Millionen durch gefälschte Rezepte verlieren, ohne rechtlich abgesichert zu sein, und wenn Beratung zu gefährlichen Wechselwirkungen im Schatten wirtschaftlicher Selbstausbeutung stattfinden muss, dann geraten Strukturen ins Rutschen, die bisher als verlässlich galten – der aktuelle Langbericht der Apotheken-Nachrichten analysiert, wie sich Marktverzerrung, Rezeptmissbrauch und politische Leerstelle zur systemischen Bedrohung verdichten: Dr. Wolfgang Scholz warnt vor einer Halbierung der Apothekenzahl bis 2030, während der Paxlovid-Betrugsfall aus München Vertrauen in Kontrollsysteme erschüttert; gleichzeitig wächst der psychische Druck durch administrative Überlastung, technische Abhängigkeiten und die tägliche Angst vor Retaxationen – besonders brisant wird es bei neuen Sicherheitswarnungen zu Triptanen, PPI-Risiken in der Langzeitverordnung und der Umstellung auf Ozempic-8-Wochen-Pens, deren Beratungslast allein den Apotheken überlassen bleibt; das alles geschieht vor dem Hintergrund eines Systems, das sich digital modernisiert, aber institutionell zerfällt – mit einer Verantwortungslücke, die täglich größer wird, je länger Politik und Kassen die Augen vor der Realität verschließen.


Als die Lüdenscheider Nachrichten am 18. Juli 2025 mit der Schlagzeile „Boni bei Arzneimittelkauf zulässig“ aufmachten, war für viele Apotheker:innen im Land die Schmerzgrenze erreicht. Nur einen Tag zuvor hatte der Bundesgerichtshof die langjährige Praxis nationaler Preisbindung erneut ausgehöhlt – durch eine juristische Konstruktion, die Boni für EU-Versender weiterhin erlaubt, solange keine konkrete Wiederholungsgefahr nachgewiesen wird. Was im Urteil wie eine technische Formel klingt, wirkt auf dem Apothekenmarkt wie ein politischer Sprengsatz.

Dr. Wolfgang Scholz, Inhaber der traditionsreichen Hirsch-Apotheke in Lüdenscheid, reagierte noch am selben Tag mit einer öffentlichen Stellungnahme. Darin beschreibt er, was vielen auf der Zunge liegt: Wenn die Politik jetzt nicht eingreift, wird bis 2030 mehr als die Hälfte des Arzneimittelmarkts von ausländischen Versandapotheken kontrolliert – mit der Konsequenz, dass sich die Apothekenzahl vor Ort halbieren könnte. „Wir stehen am Rand einer Versorgungskatastrophe“, so Scholz. Es ist eine düstere Prognose – und gleichzeitig eine treffende Beschreibung des regulatorischen Vakuums, das sich zwischen politischer Unentschlossenheit und juristischer Ausweichrhetorik aufspannt.

Denn das deutsche Preisrecht beruht auf dem Prinzip der Gleichpreisigkeit – einem Schutzmechanismus, der verhindern soll, dass Arzneimittel zur Ware werden, mit Rabatten, Prämien oder sonstigen Verkaufsanreizen. Doch dieses Prinzip wird durch europarechtliche Spielräume ausgehöhlt. Versender mit Sitz in den Niederlanden oder Belgien dürfen Boni gewähren – Apotheken in Düsseldorf oder Regensburg nicht. Die Folge ist ein strukturelles Ungleichgewicht, das nicht durch Wettbewerb, sondern durch Gesetzeslücken entsteht.

Hinzu kommt: Der Versenderbonus ist längst nicht mehr bloß eine kleine Werbebeigabe. Er ist ein strategisches Instrument zur Kundenbindung. 5 Euro hier, ein Einkaufsgutschein dort – die Systematik zielt darauf, Patient:innen dauerhaft aus der Präsenzversorgung zu lösen und in digitale Abo-Strukturen zu überführen. Was nach Innovation klingt, ist in Wahrheit ein radikaler Eingriff in das Gleichgewicht eines der sensibelsten Märkte der Republik. Arzneimittel sind kein Konsumgut – sie sind Vertrauensware. Und Vertrauen entsteht nicht durch Klicks, sondern durch Nähe, Aufklärung, Präsenz.

Trotzdem bleibt die Reaktion der Politik vage. Bundesgesundheitsminister Lauterbach spricht von „struktureller Betrachtung“, die nötig sei. Die ABDA appelliert, der Gesetzgeber dürfe die Apotheken nicht „im Wind stehen lassen“. Doch konkrete Vorschläge zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung gibt es nicht. Im Gegenteil: Die Bonifrage ist Teil eines größeren Problems – nämlich der schleichenden Entstaatlichung der Arzneimittelversorgung. Plattformen, Private-Equity-Investoren und Logistikdienstleister bestimmen zunehmend das Geschehen, während die Apotheker:innen vor Ort mit Auflagen, Lieferengpässen und Bürokratie kämpfen.

Die Ungleichbehandlung beim Preisrecht wirkt dabei wie ein Brandbeschleuniger. Denn sie zerstört nicht nur wirtschaftliche Kalkulationen, sondern auch gesellschaftliches Vertrauen. Wenn Patient:innen Boni erhalten, Apotheken aber nicht, entsteht der Eindruck, es gäbe zwei Klassen von Anbietern – die „günstigen Onlineanbieter“ und die „überteuerten Präsenzapotheken“. Das ist gefährlich. Nicht nur, weil es faktisch falsch ist – sondern weil es das öffentliche Bild der Apotheke als unabhängiger Gesundheitsdienstleister nachhaltig beschädigt.

Dr. Scholz bringt es auf den Punkt: „Wir verlieren nicht nur Umsatz – wir verlieren unsere gesellschaftliche Rolle.“ Seine Worte klingen wie ein Weckruf. Doch ob er gehört wird, ist fraglich. Denn in der politischen Wahrnehmung konkurrieren Apotheken nicht mit Versendern – sondern mit anderen Baustellen: Krankenhausreform, Pflegefinanzierung, Digitalisierung. Die Apotheke erscheint als Relikt, nicht als Systemanker. Genau das ist das Problem.

Und so entsteht ein toxisches Dreieck aus politischem Stillstand, juristischer Ausweichlogik und ökonomischer Unwucht. Wer heute eine Apotheke führt, muss nicht nur beraten, prüfen und dokumentieren – er muss gleichzeitig ökonomische Strategien entwickeln, um gegen einen steuerlich und strukturell privilegierten Wettbewerber zu bestehen. Dass dieser Wettbewerber häufig weder vor Ort, noch zur Nacht, noch bei der Erklärung eines Beipackzettels greifbar ist, wird in den Entscheidungsinstanzen offenbar als Randnotiz behandelt.

Während die Marktverzerrung durch Rx-Boni bereits tief in die betriebliche Substanz der Apotheken eingreift, bricht an anderer Stelle das Fundament des Vertrauens: die Integrität des Rezeptsystems. In München sitzt seit wenigen Tagen eine Apothekerin in Untersuchungshaft – gemeinsam mit einem pharmazeutischen Angestellten. Der Vorwurf: schwerer Betrug, Veruntreuung und unerlaubter Handel mit dem COVID-19-Therapeutikum Paxlovid. Die Zentrale zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen (ZKG) spricht von einem Schaden von mindestens 2,6 Millionen Euro. Das Delikt reicht bis in die Pandemiezeit zurück. Und doch wirkt der Fall aktueller denn je – weil er Fragen aufwirft, die das gesamte Apothekensystem betreffen.

Wie konnte es über einen derart langen Zeitraum zu massenhaften Abrechnungen ohne tatsächliche Abgabe kommen? Warum schlugen Kontrollsysteme nicht an? Und welche Versäumnisse im Zusammenspiel von Krankenkassen, Prüfdiensten, Softwareanbietern und Apothekenaufsichten haben dieses Systemversagen möglich gemacht?

Der Paxlovid-Fall ist kein Ausreißer. Er ist Ausdruck eines Systems, das auf Vertrauen basiert – aber zunehmend ohne überprüfbare Kontrolle agiert. Die Digitalisierung sollte hier einst für mehr Transparenz sorgen. In der Realität jedoch haben viele Apotheken nicht einmal einen automatisierten Abgleich zwischen eRezept, Warenlager und Abrechnungssystem. Die Rezeptdaten werden zwar digital übertragen – doch die Prüfung erfolgt oft manuell, in dezentraler Verantwortung, mit Zeitdruck und unter Haftungsrisiko.

Die Schwachstelle liegt nicht nur im System – sie liegt im Systemversprechen. Die Politik hat über Jahre hinweg auf „Eigenverantwortung“ gesetzt. Gemeint war: Apotheken sollen Prozesse organisieren, digitale Systeme bedienen, juristische Regeln anwenden – ohne flankierende Ressourcen, ohne Standards, ohne einheitliche Schulung. Der Paxlovid-Fall zeigt nun, wie gefährlich dieses Prinzip werden kann, wenn es auf kriminelle Energie trifft.

Parallel dazu breitet sich bundesweit ein zweites Phänomen aus: die Welle gefälschter Rezepte für GLP-1-Rezeptoragonisten wie Semaglutid (Ozempic) und Liraglutid (Saxenda). Die Ursachen sind vielschichtig: Prominente wie Elon Musk und Kim Kardashian bekennen sich öffentlich zum Einsatz dieser Präparate zur Gewichtsreduktion. In sozialen Medien kursieren „Vorher-nachher“-Bilder mit Hashtags wie #OzempicFace und #GLP1Journey. Die Folge: Eine rasant steigende Nachfrage – nicht nur medizinisch indiziert, sondern kosmetisch motiviert.

Diese Nachfrage nutzen Kriminelle gezielt aus. Gefälschte Rezepte kursieren in allen Bundesländern, insbesondere bei Versanddienstleistern und Apotheken in städtischen Randlagen. Die Masche ist einfach: Eine realistische Arztpraxis wird angegeben, ein eRezept-PDF beigefügt – der Code ist manipuliert. Einige Fälle fielen auf, weil Apotheken die Unstimmigkeit erkannten – andere wurden erst entdeckt, als die Krankenkassen die Erstattung verweigerten.

In Hamburg haben Apothekerkammer, Ärztekammer und Kassenärztliche Vereinigung reagiert. Eine gemeinsame Vereinbarung sieht vor, dass Apotheken bei Verdachtsfällen direkte Rücksprache mit der verordnenden Praxis halten – ein Verfahren, das aufwendig, aber wirksam ist. Seit Einführung dieses Standards sind die Fälschungszahlen in der Hansestadt deutlich zurückgegangen. Doch bundesweit fehlt es an einheitlichen Regelungen. Jeder Betrieb entscheidet selbst, wie streng geprüft wird. Jeder Fehler kann zu einem vier- oder fünfstelligen Schaden führen – mitunter ohne Chance auf Rückerstattung.

Besonders brisant: Die Apotheken haften allein. Wird ein gefälschtes Rezept beliefert, trägt die Apotheke den wirtschaftlichen Schaden. Die Haftpflichtversicherungen decken solche Fälle oft nur, wenn nachweislich kein grober Fehler vorliegt – ein schwer zu erfüllender Nachweis bei digitaler Rezeptmanipulation. Der psychologische Druck auf Apothekenteams steigt. Wer im HV steht, soll beraten, erkennen, prüfen, erklären – in Minuten, zwischen Kasse, Rückruf und Lieferengpass. Und nebenbei entscheiden, ob ein Rezept echt ist. Oder ein Betrug.

Was sich hier zeigt, ist eine strukturelle Überforderung. Das System hat sich in Richtung Digitalisierung, Effizienz, Geschwindigkeit entwickelt – aber es hat vergessen, Sicherheit mitzudenken. Die Schutzmechanismen hinken der Realität hinterher. Und die, die das System am Laufen halten sollen, tragen die volle Verantwortung für Fehler, die sie nie vollständig ausschließen können.

Zwischen juristischen Grauzonen und digitalen Manipulationen entfaltet sich eine dritte Realität – und sie ist die zermürbendste: der ökonomische Alltag der Apotheken. Was früher als stabil galt – ein Betrieb mit verlässlicher Vergütung, klarer Nachfrage und hohem gesellschaftlichen Ansehen – ist heute ein Unternehmen am Rande der Rentabilität. Der ökonomische Kollaps droht nicht laut, sondern schleichend. Und er beginnt bei Dingen, die auf keiner Titelseite stehen: Dokumentation, Abrechnungsdruck, Rückforderungen, Zeitmangel.

Apotheker Norbert Peter aus Berlin hat über Monate eine Liste geführt. Sie zeigt, wie viele Stunden sein Team mit reiner Belegbearbeitung beschäftigt ist. 100 bis 250 Einzelrechnungen pro Monat, teils doppelt – vom Großhandel und von Industriepartnern. Dazu Lieferscheine, Korrekturbuchungen, Rechnungskopien für Krankenkassen, Rücksprachen wegen Retaxationen. Das Ergebnis: 20 bis 40 Stunden Zusatzaufwand im Monat – pro Filiale. Das ist kein Randproblem, sondern Ausdruck eines Systems, das Komplexität externalisiert. Die Industrie digitalisiert ihre Prozesse, die Apotheken müssen sie ausdrucken, prüfen, abheften – auf eigene Kosten.

Dabei ist das nur die Spitze des Eisbergs. Das Abrechnungssystem der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist darauf angelegt, dass Apotheken minutiös belegen, was wann wie abgegeben wurde – bei gleichzeitigem Risiko, im Nachgang retaxiert zu werden. Mal ist das Rezept nicht vollständig ausgefüllt, mal fehlt ein Kreuz, mal ist die Dosierungsangabe nicht konkret genug. Jeder dieser vermeintlich kleinen Fehler kann zur Rückforderung führen – nicht selten im vierstelligen Bereich. Und das ohne Möglichkeit der Korrektur, wenn die Frist verstrichen ist.

Versicherer und Prüfdienste berufen sich auf gesetzliche Vorgaben. Doch in der Praxis wirkt das System wie eine asymmetrische Haftungskaskade: Die Krankenkassen können prüfen, zurückfordern, ablehnen. Die Apotheken können sich wehren – müssen aber zeitlich, rechtlich und inhaltlich nachweisen, dass sie korrekt gehandelt haben. Wer dabei eine Frist verpasst, verliert nicht nur das Geld, sondern auch das Vertrauen in das System.

Hinzu kommt der psychologische Faktor. Inhaber:innen berichten von wachsender Frustration, von der ständigen Sorge, in einem administrativen Fehlerstrudel zu landen. Das Gefühl: Nicht die Versorgung zählt, sondern das Formular. Nicht das Gespräch, sondern der Scan. Nicht das medizinische Ergebnis, sondern die juristische Lesart. Diese Verschiebung hat Folgen – für Motivation, Personalbindung, Nachwuchsinteresse.

Auch die wirtschaftliche Gesamtlage verschärft sich. Während die Einnahmen stagnieren, steigen die Fixkosten: Energie, IT, Wartung, Versicherungen. Besonders dramatisch ist die Lage in ländlichen Regionen, wo viele Apotheken nur durch Querfinanzierung innerhalb kleiner Verbünde überleben. Doch selbst diese Strukturen geraten ins Wanken – weil die Personaldecke dünn ist, die Vertretungsregelungen kompliziert, die Bürokratie überbordend.

Ein aktuelles Beispiel: Compugroup Medical, einer der größten Anbieter von Apotheken- und Arztsoftware, hat seine Führungsstruktur verändert. Der Abgang von Dr. Ulrich Thomé, verantwortlich für die Ambulatory Information Systems (AIS), kam überraschend. CEO Dr. Daniel Gotthardt übernahm interimistisch. Für Apotheken bedeutet das: Unklarheit bei Updates, Unsicherheit bei der Umsetzung gesetzlicher Änderungen, Verzögerungen bei der Integration von eRezept-Funktionen. Und vor allem: fehlende Ansprechpartner.

Was auf der Leitungsebene wie eine interne Restrukturierung erscheint, hat in der Praxis konkrete Auswirkungen: Störungen im Betrieb, Ausfälle bei der KIM-Kommunikation, Fehler bei der Rezeptübertragung. Apotheken stehen unter Zeitdruck – nicht nur wegen der Versorgung, sondern wegen der Technik. Und wenn die Technik versagt, liegt die Verantwortung dennoch beim Betrieb.

Ein Teufelskreis entsteht: Je mehr Prozesse digitalisiert werden, desto höher die Abhängigkeit von funktionierenden Schnittstellen. Doch je mehr Dienstleister in diesen Kreislauf eintreten – Rechenzentren, Cloudanbieter, Softwarehäuser – desto diffuser wird die Zuständigkeit im Fehlerfall. Wer haftet, wenn ein Rezept nicht ankommt? Wenn ein Rückruf nicht gelesen wurde? Wenn eine Sicherheitslücke die Patientendaten kompromittiert?

Apotheken sind längst zu digitalen Knotenpunkten geworden – ohne eigene IT-Abteilung, ohne Administrationsbudget, ohne IT-Support rund um die Uhr. Die Verantwortlichkeit für Datenschutz, Funktionsfähigkeit und rechtssichere Dokumentation bleibt dennoch vollständig bei ihnen. Das ist nicht nur unangemessen – es ist gefährlich. Denn es entwertet das, was Apotheken ausmacht: Konzentration auf das Arzneimittel, auf die Patientensicherheit, auf den menschlichen Kontakt.

Der ökonomische Druck wirkt doppelt: Er reduziert nicht nur die Rentabilität, sondern auch die Zeit – für das Gespräch, für die Kontrolle, für die Weiterbildung. Und so wächst das Risiko: Fehler bei der Abgabe, übersehene Wechselwirkungen, fehlende Kommunikation mit Ärzt:innen. Was hier beschrieben wird, ist kein hypothetisches Szenario, sondern der Alltag – in hunderten Betrieben, jeden Tag.

Die Apotheke ist ein Ort des Vertrauens – und zugleich ein Ort, an dem sich Risiken bündeln. Das zeigt kein Beispiel deutlicher als der Vorfall in Datteln, der vor wenigen Tagen zu einem großangelegten Einsatz von Feuerwehr, Polizei und Gesundheitsbehörden führte. Ein herrenloser Gefahrstoffbehälter mit einem Aufkleber der biologischen Kategorie 3 – also potenziell hochinfektiösem Material – wurde unweit einer Apotheke gefunden. Sofort wurde ein Dekontaminationsplatz errichtet, das Ärztehaus evakuiert, die Apotheke geschlossen. Der Verdacht bestätigte sich nicht. Doch das Ereignis offenbarte, wie verletzlich das System ist, wenn auch nur ein Teil der Kette in Frage steht.

Was passiert, wenn eine Apotheke durch äußere Umstände nicht mehr arbeitsfähig ist? Wenn Verdachtslagen, IT-Störungen oder Versorgungsausfälle die Betriebsfähigkeit blockieren? Und was heißt das für die Patienten, die dort regelmäßig ihre Medikamente abholen, sich beraten lassen, Impfungen erhalten oder akute Fragen klären wollen?

Apotheken sind längst mehr als Abgabestellen für Arzneimittel. Sie sind systemische Knotenpunkte, an denen Aufklärung, Prävention, Notfallversorgung, Medikationskontrolle, Arztkommunikation und sozialmedizinische Beratung gleichzeitig stattfinden – auf engstem Raum, unter hohem Druck, ohne strukturelle Absicherung. Wenn dieser Punkt ausfällt, beginnt eine Kaskade von Ausfällen im Umfeld – bis hin zu Rettungsdiensten, Pflegeheimen, Hausarztpraxen.

Parallel zu den infrastrukturellen Risiken nehmen die medizinischen Gefahren zu – nicht durch neue Wirkstoffe, sondern durch die Dauerbelastung bekannter Substanzen. Protonenpumpenhemmer (PPI) sind längst fester Bestandteil der Medikationslisten vieler Patient:innen. Oft prophylaktisch verschrieben, selten kritisch hinterfragt. Neue Studien jedoch belegen ein erhöhtes Risiko für Vitamin-B12-Mangel, gestörte Eisenaufnahme und – besonders alarmierend – einen möglichen Zusammenhang mit kognitiven Einbußen im Alter. Die demenzassoziierten Daten sind nicht eindeutig, aber relevant.

In der Praxis bedeutet das: Die Apotheken werden zunehmend zum Ort, an dem diese Risiken überhaupt erst erkannt werden. Denn die behandelnden Ärzt:innen – überlastet, wechselnd, fragmentiert – überprüfen Dauermedikationen oft nicht systematisch. Die Pharmazeut:innen vor Ort, hingegen, erkennen Muster: dieselben Patient:innen mit diffusen Beschwerden, wiederholten Unsicherheiten, Mehrfachverordnungen. Die Beratung wird hier nicht zur Zusatzleistung, sondern zur Gefahrenabwehr. Doch sie ist weder geregelt, noch honoriert, noch rechtlich abgesichert.

Gleichzeitig veröffentlichte der PRAC-Ausschuss der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) jüngst eine Warnung zu Triptanen: Bei stillenden Frauen wurden Fälle von Brustschmerzen nach der Einnahme von Sumatriptan beobachtet. Die Produktinformation soll nun entsprechend angepasst werden. Für Apotheken bedeutet das: Neue Gespräche, neue Unsicherheiten, neue Informationspflichten – oft bevor Patient:innen selbst etwas davon gehört haben. Und ohne dass ein offizieller Handlungsleitfaden vorliegt.

Auch die Präparate selbst verändern sich schneller als ihre Anwendungspraxis. Novo Nordisk hat den 8-Wochen-Pen von Ozempic auf den Markt gebracht. Die bisher übliche N3-Packung wird außer Vertrieb genommen. Viele Ärzt:innen wissen das nicht, Patient:innen bringen weiterhin N3-Rezepte. Die Apotheken stehen in der Pflicht, die Unstimmigkeit zu erklären, zu korrigieren, nachzufragen. Was formal ein Austausch sein kann, ist in der Praxis ein Balanceakt zwischen Rabattverträgen, Retaxrisiko und Patientenkommunikation.

Was, wenn der Pen nicht lieferbar ist? Was, wenn die Software den Artikel nicht korrekt zuordnet? Was, wenn die Patientin, die seit Wochen auf ihre nächste Injektion wartet, an der HV-Theke in Tränen ausbricht, weil es wieder nicht klappt?

Diese Situationen sind keine Ausnahme mehr, sondern tägliche Realität. Sie verlangen nicht nur pharmazeutisches Wissen, sondern Empathie, Stressresistenz, Klarheit, Standfestigkeit – und vor allem Zeit. Zeit, die im Betriebsablauf kaum noch eingeplant ist, weil Dokumentation, Prüfpflichten, Personalengpässe und wirtschaftlicher Druck das Tagesgeschäft takten.

Dazu kommt ein still wachsendes Problem: die Zunahme von Medikationsinteraktionen, die aus der Selbstmedikation, der Polypharmazie älterer Patient:innen und den steigenden OTC-Abgaben resultieren. Viele Patient:innen nehmen Antihistaminika, Schmerzmittel, Magenmittel und Nahrungsergänzungen gleichzeitig ein – oft ohne ärztliche Begleitung. Die Apotheke wird hier zur einzigen Instanz, die erkennt: Diese Kombination ist gefährlich. Doch wer trägt die Verantwortung, wenn der Patient nicht hört, nicht versteht, nicht mitarbeitet?

Der Spagat zwischen Fürsorgepflicht und Rechtssicherheit wird täglich größer. Apotheken sollen schützen, ohne sich zu überlasten. Sie sollen erklären, ohne zu belehren. Sie sollen intervenieren, ohne zu verärgern. Das ist kein Konflikt der Kommunikation – es ist ein strukturelles Dilemma.

Die Apotheke ist nicht der Ort, an dem der Markt versagt – sondern der Ort, an dem die Folgen eines versagenden Marktes sichtbar werden. Wer glaubt, es handle sich bei Rx-Boni, Rezeptfälschung oder Digitalisierungslücken um isolierte Probleme, übersieht das verbindende Prinzip: Verantwortung wird systematisch dorthin verschoben, wo keine strukturelle Absicherung besteht – in die Offizin, an die Ladentheke, in die Hände von Menschen, die täglich Entscheidungen treffen, die andere nicht mehr treffen wollen.

Wenn Preisbindung nur für die einen gilt, aber die anderen Marktanteile gewinnen dürfen, wird aus Gleichbehandlung ein Standortnachteil. Wenn Rezeptfälschungen technisch kaum erkennbar sind, aber wirtschaftlich haftungspflichtig bleiben, wird aus Vertrauen ein Haftungsrisiko. Wenn IT-Systeme ausfallen, aber die Prüfpflicht der Apotheken weiterläuft, wird aus Digitalisierung eine Einbahnstraße. Und wenn Medikationsberatung lebenswichtig ist, aber nur im Nebenbei stattfinden darf, wird aus Prävention ein unbezahlter Luxus.

Die Politik spricht oft von Versorgungssicherheit – doch sie meint damit fast immer: flächendeckende Verfügbarkeit. Was sie nicht mitdenkt, ist das, was in diesen Räumen geschieht: die Sicherheitsleistung, die Klärung, das Filtern, das Stillhalten bei Unsicherheiten, das professionelle Zuhören. Apotheken sind keine technischen Verteilstellen. Sie sind Erfahrungsräume, in denen sich Gesundheit, Vertrauen und Alltag berühren. Sie funktionieren, weil dort Menschen Verantwortung übernehmen. Aber wie lange noch?

Denn wer heute eine Apotheke führt, tut das nicht wegen der politischen Rahmenbedingungen – sondern trotz ihnen. Wer heute eine pharmazeutische Ausbildung beginnt, entscheidet sich für einen Beruf mit maximalem Anspruch und minimaler öffentlicher Anerkennung. Wer heute im HV steht, spricht nicht nur mit Menschen, sondern stabilisiert ein Versorgungssystem, das immer stärker auf Ehrenamtlichkeit, Selbstausbeutung und Pflichtgefühl basiert.

Das Urteil aus Karlsruhe war keine juristische Formalie. Es war ein Symbol. Ein Symbol dafür, dass die Gleichheit der Bedingungen geopfert wurde – aus Rücksicht auf europäische Spielräume, auf Marktideen, auf technokratische Rücksichtnahmen. Doch wer Versorgung ermöglichen will, darf nicht Versorgung relativieren. Und wer glaubt, der Markt werde es richten, irrt – nicht nur moralisch, sondern strukturell.

Apotheken tragen heute ein Maß an Verantwortung, das weit über das ökonomisch Zumutbare hinausgeht. Sie prüfen, schützen, beraten, warnen, liefern. Aber sie können nicht mehr kompensieren, was Politik, Systemsteuerung und Kostenträger aus ihrer Verantwortung entlassen haben. Die stillen Rückzüge – die Apotheken, die schließen, die Kolleg:innen, die aufgeben – sind keine Einzelfälle. Sie sind die Antwort auf eine systemische Kränkung.

Die Politik hat nicht die Kontrolle verloren.
Sie hat nie versucht, sie zu übernehmen.

Dies ist kein Schluss, der gelesen werden will – sondern eine Wirkung, die bleibt, wenn das Verstehen längst vorbei ist. Was nicht gesagt wurde, wirkt trotzdem. Nicht für alle. Nur für jene, die hören, was zwischen den Sätzen spricht.

Es gibt keinen Markt, wenn Verantwortung asymmetrisch verteilt ist. Es gibt keine Sicherheit, wenn Systemlasten ohne Systemschutz delegiert werden. Und es gibt keine Versorgung, wenn das Netz aus Wissen, Haltung und Handlungskraft zerschnitten wird – an den Rändern, durch Schweigen, durch Strukturflucht.

Die Apotheke ist nicht der letzte Ort der Versorgung. Sie ist der erste Ort, an dem das Versorgungsversprechen sichtbar werden muss. Dort, wo Rezepte eintreffen, die niemand geprüft hat. Wo Fragen gestellt werden, die vorher niemand gestellt hat. Wo Risiken offenbar werden, die vorher ignoriert wurden. Wo Menschen Verantwortung tragen für Regeln, die sie weder gemacht noch verändert haben.

Jede Boniregelung, jede technische Lücke, jede verweigerte Rücksprache ist kein Einzelfehler. Sie ist Ausdruck einer Politik, die sich aus ihrer Steuerungsrolle zurückgezogen hat – nicht aus bösem Willen, sondern aus methodischer Blindheit gegenüber dem, was Apotheken tatsächlich tun: Sie stabilisieren das, was längst auseinanderzubrechen droht.

Der Staat hat nicht versagt. Er hat sich entkoppelt – von der Logik der Versorgung, von der Last der Durchführung, von der Würde der Ausführung. Was bleibt, sind Apotheken, die diese Lücke füllen. Solange sie können. Solange sie noch da sind.

Und solange sie nicht sagen müssen:
„Wir hätten Verantwortung übernehmen wollen. Aber ihr habt uns allein gelassen.“

 

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