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APOTHEKE | Medienspiegel & Presse |
Apotheken-News: Bericht von heute
Wenn in Delmenhorst eine Apotheke wegen der Versorgung einer Patientin mit Kompressionsstrümpfen retaxiert wird, obwohl die Maßnahme fachlich geboten war, wenn der Bundesgerichtshof in seiner Urteilsbegründung zur Zulässigkeit von Rx-Boni ausländischer Versender erklärt, dass das Apothekensterben keine belegte Gefahr für die Versorgung darstelle, obwohl er zugleich das Fehlen belastbarer Daten einräumt, und wenn niederländische Versandapotheken erneut mit Rabatten auf rezeptpflichtige Arzneimittel werben, während die Apothekerkammer Nordrhein zum juristischen Gegenschlag ansetzt und eine Abmahnung verschickt, dann zeigt sich, wie tief das Fundament der wohnortnahen Arzneimittelversorgung erschüttert ist – und das nicht nur durch äußere Entscheidungen, sondern auch durch innere Verwerfungen: In immer mehr Apotheken wird Beratung am HV-Tisch nicht mehr als berufliche Selbstverständlichkeit, sondern als psychischer Risikoraum empfunden, Mitarbeitende ziehen sich zurück, Gespräche werden verkürzt oder ganz vermieden, weil Zeit, Struktur und Schutz fehlen, während sich auf Leitungsebene die Frage verdichtet, wie ein belastbarer Versorgungsauftrag unter Bedingungen rechtlicher Entwertung, politischer Sprachlosigkeit und ökonomischer Unsicherheit überhaupt noch aufrechterhalten werden kann; die Bereitschaft der Barmer zur Mehrkostenübernahme für Salbutamol-Dosieraerosole – der sich nun auch DAK und KKH angeschlossen haben – zeigt zwar punktuell, wie einzelne Kassen reagieren können, aber sie ändert nichts am Systemkonflikt, der sich hinter solchen Fällen aufspannt: Die Beratung vor Ort wird strukturell benachteiligt, rechtlich entkoppelt und kommunikativ überlastet, während digitale Anbieter Spielräume nutzen, Gerichtsurteile Legitimationslücken erzeugen und Retaxationen Vertrauen zerstören – und all das trifft auf ein Apothekenpersonal, das keine Rückendeckung mehr spürt, sondern zwischen dokumentationspflichtiger Verantwortung und operativer Überforderung zerrieben wird; was sich in diesen Apotheken-Nachrichten verdichtet, ist keine Parallelität zufälliger Vorkommnisse, sondern ein systemischer Alarmruf: Wenn Beratung weiter unter Druck gerät, die Rechtsprechung Versorgung relativiert und Versender ungehindert Grenzbereiche austesten, dann wird der HV-Tisch nicht nur zum Ort der Erschöpfung, sondern zum Prüfstein für die Zukunft der Präsenzapotheke – als Versorgungsinstanz, Vertrauensraum und kulturelle Konstante im Gesundheitswesen.
Wenn eine Apotheke in Delmenhorst für die Versorgung einer Patientin mit Kompressionsstrümpfen retaxiert wird, obwohl die Leistung fachgerecht erbracht wurde, und wenn der Bundesgerichtshof wenige Tage später ein Urteil fällt, das ausländischen Versandapotheken Rabatte auf rezeptpflichtige Arzneimittel erneut gestattet, dann entsteht ein Resonanzraum, der weit über juristische Feinheiten hinausgeht: Es ist das Echo eines Systems, das die Belastungsgrenzen des Apothekenwesens nicht nur erreicht, sondern zunehmend übergeht – und dabei Verantwortlichkeiten verschiebt, ohne die strukturellen Folgen zu reflektieren. Während Apotheker:innen in ihren Betrieben mit wachsender Unsicherheit, ökonomischem Druck und kultureller Erosion zu kämpfen haben, werden in Gerichtssälen Realitäten verhandelt, die mit der alltäglichen Versorgungspraxis oft kaum noch etwas zu tun haben.
Das Urteil des Bundesgerichtshofs zur Zulässigkeit von Rx-Boni bei ausländischen Versendern basiert nicht nur auf einer formalen Auslegung älterer Entscheidungen – es enthält, wie nun die Urteilsbegründung zeigt, eine fatale Unterschätzung der realen Versorgungslandschaft. Die Richter bemängeln selbst die mangelnde Datengrundlage zur Situation inhabergeführter Apotheken, ziehen daraus jedoch nicht etwa die Konsequenz einer faktischen Zurückhaltung, sondern relativieren in ihrer Abwägung sogar das Apothekensterben: Es sei nicht erwiesen, dass die Schließung zahlreicher Betriebe eine flächendeckende Versorgung gefährde. Eine solche Argumentation ignoriert nicht nur die Versorgungslast der bestehenden Apotheken, sondern auch die psychosozialen, strukturellen und ökonomischen Verwerfungen, die mit jeder Standortaufgabe einhergehen – besonders im ländlichen Raum, wo Apotheken zunehmend Versorgungsinseln darstellen.
Gleichzeitig nutzen ausländische Anbieter, die nicht an die Preisbindung gebunden sind, die rechtliche Grauzone weiter aus. Jüngstes Beispiel: Ein niederländischer Versender bewirbt erneut Rabatte auf rezeptpflichtige Medikamente – eine klare Provokation, die von der Apothekerkammer Nordrhein nun juristisch beantwortet wurde: mit einer formellen Abmahnung. Doch diese Maßnahmen wirken oft verzögert, juristisch mühsam und in der Öffentlichkeit kaum sichtbar. Währenddessen setzen solche Rabattaktionen in der Bevölkerung ein Signal: dass Arzneimittel eben doch nicht überall gleich teuer sein müssen – ein gefährlicher Eindruck, der das Fundament der Preisbindung und die Legitimation der Apothekenpflicht unterminiert.
In diesem Klima wächst auch der Druck innerhalb der Betriebe. Die Retaxation in Delmenhorst ist kein Ausreißer, sondern Symptom: Apotheken werden nicht nur ökonomisch geschwächt, sondern auch in ihrer professionellen Autonomie infrage gestellt. Die Entscheidung, eine Patientin mit Hilfsmitteln zu versorgen, wird nachträglich sanktioniert – eine Logik, die sich mit dem Anspruch auf pharmazeutische Verantwortung kaum vereinbaren lässt. Und doch ist sie Realität: Die Kassenlogik trifft auf Versorgungsrealität – und die Apotheke steht zwischen beiden Systemen, ohne Schutz, ohne Rückendeckung.
Parallel verschieben sich innerhalb der Apotheken selbst die Kräfteverhältnisse. Der HV-Tisch, lange Zeit als Zentrum der Interaktion und Beratung verstanden, wird zunehmend zum Ort des Rückzugs. Mitarbeitende halten sich zurück, Beratungsgespräche werden verkürzt oder gar vermieden. Der Begriff „HV-Drückebergerei“ macht die Runde – ein zynischer, aber symptomatischer Ausdruck für eine tiefgreifende Verunsicherung. Denn nicht Desinteresse, sondern Überforderung ist der Grund: hohe Arbeitsdichte, gestiegene Anforderungen, digitale Komplexität und ein gesellschaftlicher Erwartungsdruck, der Beratung zur Hochrisikosituation macht.
Diese Entwicklungen sind kein Zufall, sondern Ergebnis eines jahrelangen Reformstaus, in dem die politischen Entscheidungen versäumt haben, die Realität in den Apothekenbetrieben mitzudenken. Das Beratungsgespräch am HV-Tisch ist längst keine Selbstverständlichkeit mehr – es ist eine prekäre Leistung unter struktureller Spannung, personeller Knappheit und psychologischer Last. Der HV-Tisch ist das letzte verbliebene Symbol der persönlichen Versorgung – doch er steht auf wackeligem Fundament, das täglich untergraben wird: durch Retaxationen, durch rechtliche Entkopplung, durch ökonomische Ungleichgewichte und durch einen Führungsvakuum im System.
Die Apotheke als Ort individueller Gesundheitsberatung, als betrieblicher Mikrokosmos mit klarer Verantwortungsteilung und multiprofessioneller Struktur, steht vor einem inneren Auseinanderdriften. Was sich am HV-Tisch zeigt, ist nur die sichtbare Spitze eines Prozesses, der das gesamte Gefüge betrifft: Die Teamarchitektur leidet unter Zielkonflikten, Kommunikationslücken und wachsender Erschöpfung. Dabei ist es gerade der Beratungsbereich, der zum neuralgischen Punkt wird – nicht weil das Wissen fehlt, sondern weil das System keine Räume mehr lässt, dieses Wissen wirksam einzusetzen.
Das Beratungsgespräch – einst Kernleistung pharmazeutischer Präsenzversorgung – steht in Konkurrenz zu einer zunehmend auf Effizienz getrimmten Betriebslogik. Tägliche Routinen, Abrechnungsdruck, Dokumentationspflichten und IT-Komplexität nehmen so viel Raum ein, dass echte Gesprächszeit zur Ausnahme wird. Das erzeugt eine paradoxe Situation: Die Kunden erwarten hohe pharmazeutische Kompetenz, aber die Apothekenmitarbeitenden können sie oft nicht im gewünschten Umfang einbringen – nicht aus Mangel an Willen, sondern weil die Umstände es nicht zulassen.
Hierbei entsteht ein folgenschwerer kultureller Bruch: Wenn Beratung nicht mehr aktiv gelebt, sondern als Risiko wahrgenommen wird, verliert sie ihre integrative Kraft. Apotheken, die ihre Beratungsleistung nur noch reaktiv und defizitgetrieben organisieren, verfehlen nicht nur ihr Potenzial – sie verlieren ihr Alleinstellungsmerkmal. Dass Mitarbeitende Beratungsgespräche meiden, ist kein Ausdruck von Faulheit, sondern ein stiller Notruf: Der Arbeitsplatz Apotheke ist strukturell nicht mehr in der Lage, das Ideal der pharmazeutischen Nähe zu erfüllen.
Führungskräfte erkennen diesen Rückzug häufig zu spät oder werten ihn als individuelle Schwäche – ein fataler Irrtum. Wer die „HV-Drückebergerei“ disziplinarisch statt systemisch betrachtet, verschärft die innerbetriebliche Distanz. Denn Mitarbeitende, die sich zurückziehen, tun dies selten grundlos: Sie erleben ein Missverhältnis zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen der Komplexität des Gesprächs und der Erwartung, dieses in drei Minuten zwischen Abverkauf, Verfügbarkeitsprüfung und Rezeptkontrolle zu leisten – ohne Fehler, mit Empathie und im gesetzlich abgesicherten Rahmen.
Dazu kommt: Die psychische Belastung in Apotheken steigt kontinuierlich. Studien zeigen, dass Apothekenpersonal mit vergleichbaren Stressfaktoren konfrontiert ist wie Pflegekräfte – nur ohne gesellschaftliche Wahrnehmung oder strukturelle Entlastung. Die Beratung am HV-Tisch, so persönlich sie auch ist, bedeutet für viele Mitarbeitende eine permanente Konfrontation mit Unsicherheit: Was, wenn ein Kunde aggressiv reagiert? Was, wenn die IT versagt? Was, wenn ein kleiner Fehler zu einem Retax wird, der den Tag dominiert?
Gleichzeitig ist der Stellenwert dieser Tätigkeit betriebsintern oft unterbewertet. Während Logistik, Einkauf oder Rezeptabrechnung als „harte Fakten“ zählen, gilt die Gesprächsqualität als weich, subjektiv, schwer messbar – und damit verzichtbar. Dabei ist gerade sie der Schlüssel zur Kundenbindung, zur therapeutischen Sicherheit und zur Differenzierung gegenüber digitalen Angeboten. Doch ohne strukturelle Anerkennung bleibt dieser Schlüssel symbolisch – und wird immer seltener benutzt.
Führungskräfte, die das erkennen, beginnen umzudenken. Sie schaffen Rückzugsräume, bauen Gesprächszeiten ein, installieren Mentoringprogramme für neue Mitarbeitende und führen Feedbackformate ein, die das Beratungserlebnis ernst nehmen. Denn nur, wenn Beratung auch intern als Leistung gilt – mit Fehlerfreundlichkeit, emotionaler Absicherung und Teamresonanz –, kann sie extern als Qualität erlebt werden. Das Gespräch am HV-Tisch beginnt nicht mit dem Kundenkontakt, sondern mit der Haltung im Team.
Besonders problematisch ist die Diskrepanz zwischen wachsender fachlicher Verantwortung und stagnierenden strukturellen Ressourcen. Die Beratung wird anspruchsvoller – durch neue Wirkstoffe, komplexe Medikationsregime, steigende Patientenerwartungen. Doch die Infrastruktur dafür ist vielerorts noch auf dem Stand der 2000er-Jahre. Technisch, personell, atmosphärisch. Während in anderen Bereichen der Gesundheitsversorgung Hightech, Zeitmanagement und psychosoziale Kompetenz längst zusammengedacht werden, bleibt die Apotheke häufig im Spagat zwischen manuellem Tagesgeschäft und digitaler Beschleunigung.
Diese Überlastung spiegelt sich nicht zuletzt in der Personalfluktuation. Immer mehr junge Kräfte meiden den HV-Bereich, orientieren sich in andere pharmazeutische Berufsfelder oder steigen nach wenigen Jahren aus. Der „Drop-out“ im Apothekensektor ist real – und er beginnt oft mit einem inneren Ausstieg: dem Rückzug vom HV-Tisch. Was folgt, ist eine Kettenreaktion. Kolleg:innen übernehmen unfreiwillig mehr Last, die Atmosphäre kippt, das Betriebsklima leidet – und das gesamte Versorgungserlebnis wird diffus.
Es wäre ein Trugschluss, diesen Rückzug nur als Generationenfrage zu deuten. Er ist eine Systemantwort auf strukturelle Missachtung. Wer Beratung leisten will, braucht nicht nur Wissen – er braucht Luft. Und Respekt. Und eine Organisation, die den persönlichen Kontakt nicht als störenden Aufwand betrachtet, sondern als Zentrum der eigenen Daseinsberechtigung.
Das Urteil des Bundesgerichtshofs zur Zulässigkeit von Boni bei ausländischen Versendern ist kein rein juristisches Ereignis – es ist eine politische Wegmarke, die Signalwirkung entfaltet. Denn wenn das höchste deutsche Zivilgericht in seiner Begründung betont, dass das Apothekensterben keine nachweisbare Gefährdung für die flächendeckende Versorgung darstellt, dann ist das mehr als ein faktisches Urteil: Es ist eine kulturpolitische Degradierung des Systems Präsenzapotheke – und zugleich eine Öffnung für neue Marktverhältnisse, die auf digitalen, rabattgestützten Modellen basieren. Was auf den ersten Blick als formalistische Anwendung europäischen Rechts erscheint, wirkt bei näherer Betrachtung wie eine Entkoppelung von der realen Versorgungserfahrung in Deutschland.
Denn die Richter räumen selbst ein, dass belastbare Daten fehlen. Doch statt diese Leerstelle als Problem anzuerkennen und mit gebotener Zurückhaltung zu urteilen, werten sie sie in Richtung der wirtschaftsliberalen Argumentation der Versender: Was nicht eindeutig als Gefahr belegt sei, dürfe auch nicht präventiv verboten werden. Diese Logik ignoriert, dass Versorgungssicherheit nicht nur in absoluten Zahlen, sondern in Strukturen, Dynamiken und Vertrauensverhältnissen entsteht – und dass der Rückzug von Apotheken insbesondere in strukturschwachen Regionen weitreichende Folgen hat, die sich nicht in einer Excel-Tabelle abbilden lassen.
In der politischen Arena blieb eine koordinierte Reaktion bislang aus. Zwar äußern Kammern, Verbände und einzelne Abgeordnete Unmut über das Urteil – doch konkrete regulatorische Vorschläge, um die daraus entstehenden Risiken für das deutsche Apothekenwesen abzufedern, sind nicht erkennbar. Es fehlt eine Linie, ein politischer Wille, die Präsenzversorgung nicht nur als nostalgischen Wert, sondern als strukturrelevante Institution zu begreifen. Und so bleibt das Urteil nicht nur unkommentiert, sondern entfaltet seine Wirkung ungebremst: Ausländische Anbieter verstehen es als Ermutigung, ihre Rabattstrategien offensiv zu platzieren – wie die jüngste Abmahnung der Apothekerkammer Nordrhein zeigt, die auf eine erneut gestartete Kampagne eines niederländischen Versenders reagierte.
Diese strategische Dynamik ist gefährlich: Versandapotheken operieren längst nicht mehr nur in Konkurrenz zur klassischen Apotheke – sie testen systematisch die juristischen, politischen und gesellschaftlichen Grenzen aus. Dabei profitieren sie von einer kulturellen Verschiebung, in der Bequemlichkeit, Preisvorteile und digitale Nutzererfahrung wichtiger erscheinen als persönliche Beratung, Arzneimittelsicherheit und lokale Verantwortung. Der juristische Freiraum, den der BGH nun nochmals bestätigt hat, wirkt wie ein Multiplikator für diese Entwicklung – ohne Rücksicht auf die psychosozialen, ökonomischen und versorgungspolitischen Verwerfungen, die er erzeugt.
Gleichzeitig geraten Präsenzapotheken in eine strukturelle Unterlegenheit. Sie dürfen keine Boni geben, stehen unter Dokumentations- und Beratungspflicht, tragen Lager- und Personalkosten – und erleben gleichzeitig eine Erosion ihrer rechtlichen Absicherung. Die Retaxation der Delmenhorster Apotheke, bei der eine fachlich sinnvolle Hilfsmittelversorgung nachträglich sanktioniert wurde, passt in dieses Bild: Die Verantwortung bleibt bei der Apotheke, der Schutz nicht. Wer entscheidet, ob eine Leistung korrekt erbracht wurde, ist nicht mehr primär der Heilberufler vor Ort, sondern der Sachbearbeiter mit Kostenvorbehalt.
Politisch gesehen ist dies ein gefährlicher Befund. Denn Rechtsprechung ersetzt kein Steuerungskonzept. Wenn Gerichte Realitäten relativieren, braucht es eine Legislative, die strukturell eingreift – nicht mit Flickwerk, sondern mit Klarheit. Dass dies bislang ausbleibt, zeigt die politische Entkopplung von der Apothekenpraxis. Weder im Bundesgesundheitsministerium noch in den Fraktionen der Regierungsparteien ist erkennbar, dass die langfristigen Folgen des BGH-Urteils strategisch adressiert würden. Es fehlt nicht nur an Vision, sondern auch an Handlungsbereitschaft.
Dabei ist die Ausgangslage brisant: Die Bevölkerung altert, der Medikamentenbedarf steigt, die Nachfrage nach niedrigschwelliger Versorgung wächst. Präsenzapotheken wären prädestiniert, diese Herausforderungen aufzufangen – mit Kompetenz, Nähe und Resilienz. Doch sie geraten in einen Rechtsschatten, der ihre Legitimation erodiert. Und während ihre Mitarbeitenden am HV-Tisch kämpfen, zweifeln, ausweichen, wird ihre gesellschaftliche Rolle von oben in Frage gestellt – durch ein Urteil, das mehr auslöst, als es zu regeln vorgibt.
Diese Rechtsentwicklung ist nicht isoliert zu betrachten, sondern als Teil eines gesamtgesellschaftlichen Trends, in dem Regulierung immer stärker der Marktlogik untergeordnet wird. Gesundheit wird zur Ware, Beratung zur Option, Verantwortung zur Einzelfrage. Genau dagegen müsste die Politik Haltung zeigen. Doch bislang bleibt sie sprachlos – und überlässt das Feld jenen, die aus jeder rechtlichen Grauzone ein Geschäftsmodell machen.
Die strukturelle und kulturelle Krise der Apothekenberatung lässt sich nicht mit punktuellen Appellen oder kurzfristigen Maßnahmen lösen – sie verlangt ein grundlegendes Umdenken in der Führungs- und Betriebskultur der Präsenzapotheke. Wer glaubt, dass sich das Problem „HV-Drückebergerei“ durch Motivationstrainings oder disziplinarische Interventionen entschärfen lässt, verkennt die Tiefe der Ursachen: Es handelt sich nicht um ein Haltungsproblem der Mitarbeitenden, sondern um ein Versäumnis auf Leitungsebene, den zentralen Ort der Kundenbindung – den HV-Tisch – gegen Überlastung, Bedeutungslosigkeit und psychische Erosion abzusichern.
Führung in Apotheken muss heute mehr sein als Personalverwaltung, Warenmanagement und Rezeptfreigabe. Sie ist Kulturarbeit, Strukturarchitektur und psychosoziale Navigation zugleich. Nur wenn Apothekenleitungen erkennen, dass der persönliche Kontakt zum Patienten kein Luxus, sondern Kern ihrer gesellschaftlichen Daseinsberechtigung ist, werden sie beginnen, die Beratungsarbeit als strategische Ressource zu betrachten – und nicht als zufälliges Nebenprodukt des Betriebsalltags.
Das beginnt bei Zeit. Wer keine Zeit für Beratung einplant, darf sich nicht wundern, wenn sie ausbleibt. Es braucht realistische Taktungen, Gesprächszonen ohne Unterbrechung, Schichtsysteme mit Pufferzeiten. Der HV-Tisch darf nicht länger Engpass und Sammelstelle aller Aufgaben sein, sondern muss als fokussierter Raum für Interaktion entlastet und geschützt werden. Das ist keine Frage der Ideologie, sondern der Planung.
Dazu gehört auch eine bewusste Entkopplung von ökonomischer Kennzahlenfixierung. Beratung ist keine Maßnahme zur kurzfristigen Umsatzsteigerung – sie wirkt in Kundenbindung, Therapietreue, Versorgungsvertrauen. Wer sie auf den Minutenumsatz reduziert, untergräbt ihre Wirksamkeit. Das bedeutet nicht, ökonomisches Denken aufzugeben – im Gegenteil: Wer in Beratung investiert, schützt sein Geschäftsmodell nachhaltig. Doch dafür muss die Apotheke intern einen Wandel vollziehen – von der Reiz-Reaktions-Logik zur Reflexionsstruktur, von der Tagessteuerung zur Konzeptführung.
Eine zentrale Rolle spielt dabei auch die Frage der Anerkennung. Beratung muss als Leistung sichtbar und besprechbar werden. Es braucht Feedbackkultur, kollegiale Fallbesprechungen, Erfolgskommunikation. Nur wenn das Gespräch nicht nur stattfindet, sondern auch reflektiert und gewürdigt wird, entwickelt sich ein Verständnis dafür, dass es sich um mehr als nur eine Pflicht handelt – sondern um eine professionelle Kompetenz, die geübt, unterstützt und gefeiert werden darf.
Besonders in Krisenzeiten zeigt sich: Apotheken, die ihre Beratungskultur strukturell verankert haben, sind resilienter. Sie erleben weniger Fluktuation, höhere Kundentreue, besseres Betriebsklima. Nicht weil sie mehr Personal oder bessere Software haben – sondern weil sie Haltung zeigen. Eine Haltung, die sich nicht im Verhalten Einzelner erschöpft, sondern in der Architektur des Ganzen sichtbar wird. Räume, Zeiten, Worte, Regeln – sie alle senden Botschaften. Wer hier präzise führt, wirkt. Wer stattdessen nur regelt, verliert.
Es wird Zeit, dass Apotheken sich wieder als Versorgungsorte verstehen, nicht als Abverkaufsstellen. Die Differenz beginnt am HV-Tisch. Dort entscheidet sich, ob die Apotheke als medizinischer Anker wahrgenommen wird oder als Durchgangsstation für Rabattinformationen. Die Versender mögen schneller liefern – aber sie hören nicht zu, erklären nicht, warnen nicht. Dieses „Mehr“, das nur die Präsenzapotheke bieten kann, ist ihr Kapital – doch es muss gepflegt, strukturell gestützt und kulturell verteidigt werden.
Dazu zählt auch die Bereitschaft, mit Unschärfe umzugehen. Beratung ist nie perfekt. Sie ist dialogisch, emotional, riskant. Wer von Mitarbeitenden verlangt, jedes Gespräch müsse juristisch unangreifbar, sprachlich fehlerfrei und zugleich empathisch sein, erzeugt Angst. Wer hingegen einen geschützten Rahmen bietet, in dem auch Unsicherheit Platz hat, stärkt Vertrauen – nach innen wie nach außen. Die Fehlerkultur der Apotheke ist der Schutzraum der Beratung. Wird sie zerstört, verstummen die Stimmen am HV-Tisch.
Der nächste Schritt ist die Integration interdisziplinärer Kompetenzen. Kommunikation, Stressregulation, psychologische Dynamik – all das gehört heute zum Werkzeugkasten einer beratenden Apotheke. Es reicht nicht, auf Schulungen für Arzneimittelinteraktionen zu setzen. Wer berät, muss sprechen können. Zuhören. Irritation aushalten. Das ist keine Gabe, sondern eine lernbare, trainierbare Fähigkeit. Doch sie braucht Förderung – Zeit, Training, Anerkennung.
Schließlich muss auch die politische Ebene diesen Wandel mittragen. Wer pharmazeutische Dienstleistungen fördert, ohne den Beratungsalltag zu verstehen, zielt vorbei. Wer Versender stärkt, aber Präsenzapotheken mit Auflagen überzieht, schwächt die Versorgung. Wer Retaxationen zulässt, ohne die Folgen für das Berufsverständnis zu sehen, gefährdet nicht nur Betriebswirtschaft – sondern Berufsidentität. Es ist Zeit für eine Kulturwende – von der Erschöpfung zur Ermächtigung, vom Rückzug zur Präsenz.
Was sich in der Retaxation einer Kompressionsstrumpf-Versorgung, im Urteil des Bundesgerichtshofs zu Rx-Boni, in Rabattaktionen niederländischer Versender und in der schwindenden Beratungsbereitschaft am HV-Tisch gleichzeitig manifestiert, ist kein bloßer Gleichzeitigkeitseffekt – es ist ein systemischer Zusammenhang, der das gesamte Fundament des Apothekenwesens erschüttert. Hier greifen juristische Erosion, wirtschaftlicher Wettbewerbsdruck, politische Unschärfe und innerbetriebliche Überforderung ineinander – und erzeugen ein Klima der Entkopplung. Entkopplung von Anspruch und Praxis, von Versorgungsideal und Alltagslogik, von Recht und Realität.
Die Apotheke steht an einem Punkt, an dem sie nicht nur um ihre Vergütung, sondern um ihre Rolle kämpfen muss. Wenn Beratung als zentrales Element der pharmazeutischen Identität nicht mehr abgesichert, strukturell geschützt und gesellschaftlich anerkannt ist, dann droht ein kultureller Substanzverlust, der nicht mit Förderprogrammen oder Imagekampagnen zu heilen ist. Wer Apotheken auf das reduziert, was lieferbar, abrechenbar oder digital replizierbar ist, missversteht ihren Versorgungsauftrag. Die Apotheke ist mehr als Arzneimittelabgabe – sie ist soziale Infrastruktur, Vertrauensträger, Versorgungsanker.
Und dieses Vertrauen entsteht am HV-Tisch – oder es geht dort verloren. Es entsteht nicht durch Gesetzestexte, sondern durch Begegnung. Nicht durch Algorithmen, sondern durch Haltung. Doch Haltung kostet Kraft. Und diese Kraft wird im Moment von einem System systematisch geschwächt: durch Unsicherheiten, die durch Retaxationen entstehen, durch Urteile, die die Realität ignorieren, durch Märkte, die auf Preis setzen und nicht auf Verantwortung. Das ist nicht nur betriebswirtschaftlich gefährlich – es ist gesellschaftlich fahrlässig.
Denn wer Präsenzapotheken schwächt, untergräbt Versorgungsgerechtigkeit. Der Rückzug aus der Fläche, das Verdrängen qualifizierter Beratung, das Abwälzen rechtlicher Risiken auf Einzelbetriebe – all das erzeugt Unsicherheit. Bei Patient:innen, bei Mitarbeitenden, in der Öffentlichkeit. Wer eine Kompressionsstrumpfversorgung retaxiert, aber gleichzeitig von wohnortnaher Versorgung spricht, sendet widersprüchliche Signale. Wer Boni erlaubt, aber das Apothekensterben leugnet, verliert Glaubwürdigkeit. Wer Beratung fordert, aber sie betrieblich nicht ermöglicht, betreibt Symbolpolitik.
Gleichzeitig aber zeigt sich in vielen Apotheken auch eine Gegenbewegung – leise, aber konsequent. Teams, die Beratung als Kompetenz neu definieren. Leitungen, die Schutzräume schaffen. Betriebe, die sich nicht durch Systemdruck lähmen lassen, sondern sich durch Haltung unterscheiden. Sie sind die Resonanzräume einer neuen Apotheke – einer, die nicht auf Rabatte antwortet, sondern auf Vertrauen setzt. Einer, die nicht jeden Fehler mit Angst, sondern mit Reflexion beantwortet. Einer, die aus ihrer Beratungskultur keine Pflicht, sondern eine Perspektive macht.
Diese Betriebe sind nicht die Ausnahme – sie sind der Anfang. Der Anfang einer Apotheke, die sich ihrer Wurzeln erinnert, ohne sich den Herausforderungen der Gegenwart zu verweigern. Der Anfang einer Haltung, die Beratung nicht durch Erschöpfung relativieren lässt. Der Anfang einer Kultur, in der Versorgung nicht bedeutet: liefern können, sondern verstehen wollen. Die Apotheke als Resonanzraum – nicht als Transaktionspunkt. Als Ort, an dem Versorgung wieder spürbar wird – für die Gesellschaft, für das System, für die Menschen.
Dies ist kein Schluss, der gelesen werden will – sondern eine Wirkung, die bleibt, wenn das Verstehen längst vorbei ist. Was nicht gesagt wurde, wirkt trotzdem. Nicht für alle. Nur für jene, die hören, was zwischen den Sätzen spricht.
Die Apotheke verliert nicht, weil sie schwächer wird. Sie verliert, wenn sie vergessen wird. Vergessen von Gerichten, die Wirklichkeit durch Logik ersetzen. Vergessen von Politik, die Struktur nicht schützt. Und vergessen von sich selbst, wenn Beratung zum Risiko wird. Doch wer erinnert, was der HV-Tisch bedeutet – als Raum der Nähe, des Wissens, der Verantwortung –, beginnt den Wiederaufbau nicht mit Technik, sondern mit Haltung. Die Rückeroberung beginnt nicht mit Argumenten, sondern mit dem ersten Satz an der Tara: „Wie kann ich Ihnen helfen?“
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