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APOTHEKE | Medienspiegel & Presse |
Apotheken-News von heute
Pilzinfektionen gelten im Apothekenalltag auch am 23. Juni 2025 als häufig, aber harmlos – eine fatale Fehleinschätzung, die nicht nur die Versorgungssicherheit gefährdet, sondern auch Apotheken rechtlich angreifbar macht, wenn Beratungspflichten übersehen, Warnzeichen ignoriert oder ärztliche Mitbehandlungen zu spät empfohlen werden, während gleichzeitig das gesellschaftliche Verständnis von Absicherung dramatisch erodiert: ETF-Sparpläne verdrängen BU-Versicherungen, vermeintliche Selbstverantwortung ersetzt strukturelle Sicherung, und wer sich auf Kapital statt Verträge verlässt, bleibt im Ernstfall ohne Schutz – ein Trend, der nicht nur ideologisch brisant ist, sondern auch das Sozialversicherungssystem schwächt, wie die aktuelle Debatte über GKV-Beitragsgrenzen zeigt, in der SPD-Politiker eine stärkere Belastung von Gutverdienern fordern, um Solidarität neu zu definieren, während auf operativer Ebene Krankenkassen wie die IKK classic Apotheken systematisch aus der Hilfsmittelversorgung drängen, Patienten mit unlösbaren Aufgaben konfrontieren und unter dem Deckmantel der Vertragsautonomie ein Machtinstrument etablieren, das wohnortnahe Versorgung sabotiert, während zugleich neue Wirkstoffe wie Deutetrabenazin bei Spätdyskinesien Hoffnung geben, deren Umsetzung jedoch erneut koordinierte Beratung, verlässliche Absicherung und vertrauenswürdige Versorgungsstrukturen voraussetzt – drei Pfeiler, die ohne politisches Rückgrat, wirtschaftliche Nachhaltigkeit und fachliche Integrität nicht zu stabilisieren sind.
Therapie verstehen, Risiken begrenzen, Apotheken stärken
Wie Pilzinfektionen gezielt behandelt werden, Prävention oft unterschätzt bleibt und Apotheken ihr Beratungsprofil schärfen müssen
Pilzinfektionen gehören zu den häufigsten, zugleich aber am meisten unterschätzten Erkrankungen in der ambulanten Versorgung. Von Fuß- und Nagelpilz über Hautmykosen bis hin zu vaginalen Candida-Infektionen reicht das Spektrum, das Apotheken tagtäglich begegnet. Die scheinbare Banalität der Symptome – Juckreiz, Rötung, Schuppung – führt oft dazu, dass Patientinnen und Patienten zu spät reagieren oder ihre Beschwerden bagatellisieren. Dabei ist der Übergang von einer harmlosen lokalen Infektion zu einer therapieresistenten, chronifizierten oder gar systemischen Mykose fließend. Gerade bei immungeschwächten Personen oder in Pflegekontexten steigt das Risiko für Komplikationen rapide. Apotheken sind in dieser Gemengelage zentrale Anlaufstellen, aber auch Mitverantwortliche in der Therapieführung. Wer in der Offizin nicht nur Arzneimittel abgibt, sondern differenziert berät, klinisch relevante Warnzeichen erkennt und zur ärztlichen Mitbehandlung motiviert, trägt wesentlich zur Versorgungsqualität bei – nicht zuletzt, weil viele Kundinnen und Kunden zuerst die Apotheke aufsuchen, lange bevor ein Arzttermin geplant wird. Doch Apotheken müssen sich zugleich gegen rechtliche, wirtschaftliche und haftungsbezogene Fallstricke wappnen, die sich im Grenzbereich zwischen Beratung, Selbstmedikation und ärztlicher Therapieempfehlung auftun.
Die Therapielandschaft bei Mykosen ist in den letzten Jahren differenzierter und zugleich anspruchsvoller geworden. Während klassische topische Antimykotika wie Clotrimazol, Bifonazol oder Terbinafin nach wie vor erste Wahl bei oberflächlichen Pilzinfektionen sind, wächst das Angebot systemischer Therapieoptionen – etwa bei Onychomykosen oder rezidivierenden Vaginalmykosen. Besonders bei Nagelpilz stellt sich regelmäßig die Frage nach der Abgrenzung zwischen Selbstbehandlung und notwendiger ärztlicher Kontrolle. Apotheken, die entsprechende Kombinationspräparate abgeben, müssen gleichzeitig auf die lange Therapiedauer, die häufig mangelnde Adhärenz und die Bedeutung begleitender Maßnahmen – etwa Hygiene, Schuhdesinfektion, Fußpflege – hinweisen. Wo das unterbleibt, drohen nicht nur Rückfälle, sondern auch ärgerliche Regressansprüche durch Krankenkassen oder Versicherer. Gerade in der Beratung zu vaginalen Mykosen ist zusätzliches Fingerspitzengefühl gefragt: Der Wunsch vieler Frauen nach diskreter, schneller Hilfe trifft auf ein komplexes Wirkgefüge, das zwischen Flora-Stabilisierung, antimykotischer Behandlung und möglicher Resistenzentwicklung vermittelt werden muss. Apotheken sind gut beraten, Beratungsteams regelmäßig zu schulen, spezifische Beratungskarten oder elektronische Entscheidungsbäume einzusetzen und dokumentierte Beratungskaskaden zu pflegen – auch, um sich selbst abzusichern.
Doch die betriebliche Realität hinkt oft hinterher: Viele Apotheken vernachlässigen strukturierte Beratungsleitlinien zu Mykosen, obwohl gerade hier regelmäßig OTC- und Rx-Kompetenz zusammentreffen. Dabei stellt sich nicht nur die Frage nach der richtigen Arzneimittelauswahl, sondern auch nach der Abgrenzung zu beratungsintensiven Differentialdiagnosen wie Psoriasis, Neurodermitis oder bakteriellen Infektionen. Wer hier falschliegt, riskiert nicht nur die therapeutische Wirksamkeit, sondern auch rechtliche Konsequenzen – etwa bei falsch abgerechneter Selbstmedikation im Rahmen von §34-Ausschlüssen oder fehlerhafter Abgabe bei Kinderwunsch, Schwangerschaft oder stillenden Müttern. Zudem zeigt sich eine zunehmend kritische Haltung mancher Aufsichtsbehörden gegenüber Apotheken, die bei Mykoseberatungen den Eindruck einer „verschleierten Verschreibung“ erwecken – etwa bei wiederholter Abgabe verschreibungspflichtiger Präparate über Drittverordnungen. Umso wichtiger ist es, dass Apotheken durch eigene Leitfäden, klar strukturierte Dokumentation und kollegiale Supervisionen intern eine Sicherheitskultur aufbauen, die zwischen Service, Heilberuf und wirtschaftlicher Realität vermittelt.
Zugleich wächst die Bedeutung präventiver Maßnahmen. Pilzinfektionen entstehen nicht im luftleeren Raum, sondern sind Ausdruck von Hygienedefiziten, Umweltbelastungen, schlechter Schuhwahl oder gestörtem Immunsystem. Apotheken können hier ansetzen – mit Präventionskampagnen zu Barfußbereichen, Pilzschutz im Schwimmbad, Hygiene bei Diabetes oder Tipps zur Intimpflege. Aber auch das betriebswirtschaftliche Argument spricht dafür: Wer rechtzeitig vorbeugt, erspart sich nicht nur Folgekosten, sondern kann im Rahmen pharmazeutischer Dienstleistungen gezielte Präventionsgespräche abrechnen – sofern entsprechende Strukturen aufgebaut sind. Insbesondere im Rahmen der erweiterten AMTS-Beratung oder Medikationsanalyse können wiederkehrende Pilzinfektionen ein Warnsignal sein – für schlecht eingestellte Antidiabetika, zu lange Steroidbehandlungen oder auch für immunsuppressive Therapien. Eine gut geschulte Apotheke erkennt diese Zusammenhänge, dokumentiert sie sorgfältig und zieht im Zweifel den behandelnden Arzt hinzu – ohne sich in ärztliche Entscheidungskompetenz einzumischen.
Damit wird deutlich: Die Behandlung von Mykosen ist mehr als bloße Abgabe antifungaler Cremes oder Vaginaltabletten. Sie ist ein Prüfstein für pharmazeutische Verantwortung, betriebliche Weitsicht und gesundheitspolitische Glaubwürdigkeit. Wer hier punktgenau berät, Risiken kennt, Patientensicherheit ernst nimmt und Prävention nicht nur als Plakat, sondern als gelebten Auftrag begreift, positioniert sich zukunftsfähig. Apotheken, die Mykoseberatung als Profilierungschance und nicht als lästige Pflicht verstehen, schaffen nicht nur Vertrauen, sondern binden Kundinnen und Kunden dauerhaft – fachlich, emotional und wirtschaftlich. Und das ist im Wettbewerb um Sichtbarkeit, Relevanz und Existenzsicherung wichtiger denn je.
ETF ist Hoffnung, BU ist Wirklichkeit, Sicherheit braucht Struktur
Warum Finanzlogik keinen Ernstfall trägt, Kapitalmärkte keinen Schutz versprechen und Eigenverantwortung oft in die Falle führt
Sie nennen es Eigenverantwortung. Sie zeigen Excel-Tabellen, Zinseszinskurven, Depotübersichten. Und sie versprechen Unabhängigkeit – vor Versicherern, vor Systemen, vor Altlasten. Der ETF-Sparplan ist zum Symbol einer neuen Finanzkultur geworden, die Sicherheit nicht mehr durch Verträge, sondern durch Kapital ersetzt glaubt. In dieser Logik erscheint die Berufsunfähigkeitsversicherung als Relikt, als teures Misstrauensinstrument, als Ausdruck einer Angstgesellschaft. Doch dieser Trend verkennt die Realität: Wer die BU spart, spart nicht – er riskiert.
Denn Berufsunfähigkeit ist kein abstraktes Schreckensszenario, sondern eine sehr konkrete Systemkrise im persönlichen Lebenslauf. Sie tritt nicht selten ein, sondern häufiger als die meisten glauben – und wenn sie kommt, dann kommt sie radikal. Einkommen fällt weg. Erwerbsperspektiven brechen ab. Rentenbiografien werden unterbrochen, Vorsorgestrukturen kollabieren. Ein ETF-Sparplan mag sich in guten Zeiten aufbauen, aber er ist kein Systemanker. Er zahlt nicht monatlich, er springt nicht ein, er fragt nicht nach den Ursachen. Er ist Spekulation mit Hoffnung. Die BU ist Absicherung mit Anspruch.
Das Kernproblem liegt in der sprachlichen Verschiebung. Wenn Influencer, Finanzcoaches oder selbsternannte Geldmentoren in sozialen Medien erzählen, man könne mit einem ETF-Sparplan eine BU ersetzen, sprechen sie nicht von Sicherheit – sie sprechen von Potenzial. Sie bieten keine Leistung, sondern Projektionen. Und sie verschweigen das Entscheidende: dass Sicherheit nicht aus Zukunft, sondern aus Verbindlichkeit besteht. Wer glaubt, ein Vermögenswert könne systemische Erwerbsausfälle auffangen, verwechselt Bilanz mit Funktion.
Noch gravierender ist das Zeitparadox. Die BU wirkt sofort – ab dem Moment, in dem Erwerbsfähigkeit nachweislich verloren geht. Der ETF hingegen entfaltet seine Stärke über Jahrzehnte. Doch Berufsunfähigkeit fragt nicht nach Laufzeit. Sie tritt mit 27 auf wie mit 52. Sie zerstört keine Statistik – sie zerstört Pläne. Und während der ETF sich vom Markt abhängig macht, ist die BU dem Bedarf verpflichtet. Sie leistet nicht bei Gewinn, sondern bei Verlust. Genau das macht ihren Wert aus.
Auch sozialstrukturell ist der Verzicht auf BU ein Irrweg. Er privilegiert die ohnehin Starken. Wer ohnehin Kapital hat, kann Rücklagen bilden. Wer ohnehin verdient, kann spekulieren. Aber wer prekär lebt, selbstständig arbeitet, alleinstehend ist oder Kinder versorgt, braucht mehr als eine Sparstrategie – er braucht Schutz. Die BU ist in diesem Sinne kein Luxus, sondern ein sozialer Rettungsmechanismus. Sie verteilt Lasten auf viele, sichert durch Solidarität. Der ETF kennt dieses Prinzip nicht.
Und dann ist da noch der psychologische Faktor. Wer berufsunfähig wird, verliert nicht nur Geld, sondern Identität. Die BU ersetzt kein Selbstbild – aber sie verhindert, dass das Leben auch finanziell zerbricht. Sie stabilisiert den Alltag, wenn alles andere schwankt. Ein ETF kann das nicht. Er ist ein Marktinstrument, kein Sozialpartner.
Die Verharmlosung der BU durch ETF-Romantik ist daher mehr als ein Irrtum – sie ist eine gefährliche Ideologie. Sie tut so, als sei jede Absicherung selbst machbar, jede Katastrophe vorhersehbar, jeder Schicksalsschlag kapitalisierbar. Das ist zynisch. Und es ist falsch. Denn wer ausfällt, braucht Leistung – nicht Rendite. Wer nicht mehr arbeiten kann, braucht Struktur – nicht Hoffnung. Und wer verantwortlich handelt, tut das nicht nur für sich, sondern auch für die, die auf ihn angewiesen sind.
Sparen ist wichtig. Kapitalaufbau ist klug. Aber er ersetzt keinen Schutz. Die BU ist nicht der Feind des ETF, sondern sein Fundament. Erst wer abgesichert ist, kann frei investieren. Erst wer Leistung im Notfall garantiert hat, kann langfristig planen. Erst wer weiß, dass sein Leben nicht von Charts abhängt, sondern von Verträgen, lebt finanziell wirklich selbstbestimmt.
Der Verzicht auf BU ist kein Zeichen von Unabhängigkeit – er ist ein Systemfehler in der eigenen Lebensplanung. Wer ihn begeht, riskiert nicht nur sich selbst, sondern unter Umständen auch seine Familie, sein Umfeld, seine Zukunft. Und wer ihn propagiert, handelt nicht beratend – sondern verantwortungslos.
Verantwortung im Versicherungsalltag, Nachhaltigkeit im Kapitalmarkt, Transparenz in der Berufsunfähigkeitsvorsorge
Wie grüne BU-Versicherungen um Glaubwürdigkeit ringen, was nachhaltige Produkte leisten müssen und warum die Branche keine Ausreden mehr hat
Die Frage, ob es so etwas wie eine nachhaltige Berufsunfähigkeitsversicherung gibt, ist weder naiv noch nebensächlich – sie ist im Gegenteil ein Prüfstein für die Ernsthaftigkeit der gesamten Branche, wenn es um verantwortungsvolles Wirtschaften geht. Während sich Banken, Fondsgesellschaften und selbst Pensionskassen längst auf ESG-Ziele eingeschworen haben und Verbraucher grüne Ratings in Depots und Girokonten erwarten dürfen, bleibt die Welt der biometrischen Absicherungsprodukte erschreckend zögerlich. Die Berufsunfähigkeitsversicherung – von vielen Versicherern zu Recht als Königsdisziplin des Vorsorgemarkts bezeichnet – scheint in puncto Nachhaltigkeit auf der Stelle zu treten. Dabei wäre das Potenzial immens: eine systemrelevante Police, verbunden mit langlaufenden Rückstellungen, stabilen Überschüssen und institutionellen Kapitalanlagen – genau der Ort, an dem ESG-Investments Wirkung entfalten könnten. Doch wie sieht es tatsächlich aus?
Zunächst einmal: Berufsunfähigkeitsversicherungen per se sind weder nachhaltig noch nicht nachhaltig. Es sind Verträge, deren Nachhaltigkeit sich ausschließlich über zwei Ebenen bewerten lässt – erstens über die Kapitalanlage der Rückstellungen und zweitens über die ethisch-nachhaltige Gestaltung des Produkts selbst, einschließlich Risikoprüfung, Leistungsversprechen, Inklusionsregeln und Servicepraxis. Und auf beiden Ebenen zeigt sich: Die Branche ist bestenfalls halbherzig unterwegs, zuweilen sogar bewusst ausweichend. Die meisten Versicherer investieren ihre BU-Kapitalstöcke nach internen Strategien, die zwar oft ESG-Kriterien beinhalten, aber in der Kommunikation zum Kunden weitgehend intransparent bleiben. Kaum eine Police wird offen mit einem expliziten Nachhaltigkeitsprofil beworben. Noch seltener findet man BU-Produkte, die in der Zeichnungs- oder Leistungsphase besondere soziale Kriterien berücksichtigen – etwa im Umgang mit psychischen Erkrankungen, bei Ausschlüssen oder in der Gesundheitsprüfung.
Das ist umso erstaunlicher, als gerade Berufsunfähigkeit ein gesellschaftliches Risiko ist, das mit wachsender psychosozialer Belastung, Digitalisierung der Arbeitswelt, Schichtarbeit und prekären Berufsbildern immer stärker auch eine sozialpolitische Dimension bekommt. Wer Nachhaltigkeit ernst meint, kann hier nicht beim Kapitalmarkt aufhören, sondern müsste auch die Produktethik hinterfragen: Wie zugänglich sind BU-Verträge für chronisch Kranke? Welche Berufsgruppen werden ausgeschlossen? Wie risikogerecht ist die Prämiengestaltung für Menschen in Pflegeberufen oder mit Migrationsgeschichte? Genau an diesen Punkten entscheidet sich die soziale Nachhaltigkeit eines Versicherers – und genau hier wird es oft sehr dünn.
Einige wenige Anbieter versuchen immerhin, erste Signale zu setzen. Marktteilnehmer wie die Stuttgarter, die Nürnberger oder die Barmenia haben ESG-Komponenten in ihre Anlagestrategien integriert und nennen dies auch beim Namen. Doch selbst dort bleibt die BU ein Nischenprodukt in der Nachhaltigkeitsstrategie. Einige Versicherer experimentieren mit grünen Fonds im Rahmen fondsgebundener BU-Tarife, was allerdings meist nur die Kapitalanlagekomponente betrifft und nicht das eigentliche BU-Risiko selbst. Die Entwicklung hinkt der Nachfrage hinterher. Laut einer Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) würden rund 48 Prozent der Versicherten ein nachhaltiges Vorsorgeprodukt bevorzugen, wenn es die gleiche Leistung biete – doch in der BU haben sie oft gar keine Auswahl.
Die Versicherungswirtschaft verweist auf komplexe Sachzwänge. Die Risikoprüfung sei nun mal hochstandardisiert, man könne nicht ohne medizinische Kriterien arbeiten. Nachhaltige Anlagestrategien stünden unter Renditedruck. Und sozial differenzierte Produkte könnten zu juristisch problematischen Ungleichbehandlungen führen. Alles nachvollziehbar – aber in Summe ein Zeugnis dafür, dass Nachhaltigkeit als Querschnittsaufgabe eben doch nicht in allen Ecken des Unternehmens angekommen ist. Während sich einige Marktteilnehmer auf freiwillige ESG-Berichterstattung und eigene Ethikkomitees verlassen, fehlt es an verbindlichen Vorgaben. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat bislang keine spezifischen Richtlinien für die Nachhaltigkeit von BU-Policen formuliert, obwohl sie das Thema ESG bei Lebensversicherern insgesamt prüft.
Dabei wäre eine nachhaltige BU durchaus denkbar – sogar in mehreren Stufen. Erstens in Form transparenter Kapitalanlageversprechen, etwa durch Investment in grüne Anleihen, soziale Infrastruktur oder CO2-neutrale Unternehmensbeteiligungen. Zweitens über eine ethisch differenzierte Risikoprüfung, bei der beispielsweise Menschen mit psychischen Vorerkrankungen nicht pauschal ausgeschlossen werden. Drittens durch sozial integrative Prämienmodelle, bei denen bestimmte Berufsgruppen nicht überproportional belastet werden. Viertens durch eine transparente Kommunikation über Nachhaltigkeitsziele, inklusive Reporting auf Policenebene.
Dass dies bislang kaum geschieht, liegt auch an einem strukturellen Dilemma: BU-Versicherungen werden fast ausschließlich über Makler und Vermittler verkauft – und dort zählt nach wie vor die harte Rendite, nicht das weiche Image. Nachhaltige Policen, die erklärungsbedürftig sind, geringfügig höhere Kosten haben oder im Detail abweichen, werden im Vertrieb schnell aussortiert. Der Druck, „verkaufsfähige“ Produkte zu gestalten, steht der Innovationskraft im Weg. Nachhaltigkeit droht so zum Lippenbekenntnis zu verkommen – außer man schafft regulatorische Anreize oder Mindeststandards.
Zugleich gibt es einen Lichtblick: Die EU-Offenlegungsverordnung zwingt Lebensversicherer seit 2021 zur Klassifizierung ihrer Produkte nach Nachhaltigkeitskategorien (Artikel 6, 8 oder 9). Auch wenn klassische BU-Policen als Risikoabsicherungsprodukte hier bislang formal außen vor bleiben, wirkt sich der Druck auf die Gesamtstrategie der Anbieter aus. Wer glaubwürdig grün auftreten will, wird früher oder später auch seine BU-Produkte anpassen müssen. Erste Pilotprodukte sind in Arbeit, etwa Kombipolicen mit ESG-geprägten Kapitalanlagebausteinen oder modulare Ansätze mit „grünem Upgrade“. Noch handelt es sich um Marketingansätze, nicht um echte Nachhaltigkeit im Kern – aber die Entwicklung beginnt.
Für Verbraucher bleibt die Orientierung dennoch schwierig. Wer heute eine nachhaltige BU will, muss sich mühsam durch Produktbroschüren, Anlagegrundsätze und Nachhaltigkeitsberichte kämpfen – oder auf spezialisierte Vermittler hoffen. Transparente Labels, wie sie im Investmentbereich längst etabliert sind, fehlen. Der Gesetzgeber hat das Thema BU bislang aus allen ESG-Strategien ausgenommen – ein Fehler, den man in Brüssel und Berlin dringend korrigieren sollte, wenn das Nachhaltigkeitsziel der Finanzwirtschaft glaubhaft bleiben soll. Denn nachhaltige Absicherung ist kein Widerspruch – sie ist ein Prüfstein der Zukunftsfähigkeit.
Dass diese Zukunftsfähigkeit nicht nur eine Frage der Kapitalanlage ist, zeigt auch ein Blick auf die Versichertenstruktur. Immer mehr Menschen scheitern nicht an Rücken oder Rheuma, sondern an Erschöpfung, Dauerstress und psychischen Erkrankungen – gerade junge Berufseinsteiger und Akademiker, die eigentlich als attraktivste Zielgruppe für BU-Policen gelten. Wer diesen Menschen nachhaltigen Schutz versprechen will, muss ihnen auch mit einem nachhaltigen Versicherungsmodell begegnen – eines, das transparent, inklusiv, ethisch tragfähig und finanziell fair gestaltet ist. Der Markt hätte das Potenzial. Die Frage ist, ob er den Mut dazu hat.
Luxus ist kein Rechtsanspruch, Komfort ist kein Schaden, Prestige ist kein Kriterium
Wie Gerichte Nutzungsausfall begrenzen, wann fühlbare Entbehrung wirklich zählt und warum ein 3er-BMW für das Recht genügt
Ein Steuerberater, ein Supersportwagen, ein Unfall – und ein juristisches Lehrstück über die Grenzen des Nutzungsausfalls: Das Landgericht Hamburg hat entschieden, dass der Verlust eines hochpreisigen Luxusautos keinen finanziellen Ausgleich rechtfertigt, wenn ein alltagstauglicher Firmenwagen bereitsteht. Der Kläger, ein selbstständiger Steuerberater, fuhr privat und gelegentlich beruflich einen Donkervoort GTO mit über 400 PS – ein Auto im Wert von rund einer Viertelmillion Euro, das in der Automobilwelt zwischen Rennsport und Statussymbol rangiert. Als dieses Fahrzeug durch einen unverschuldeten Verkehrsunfall beschädigt wurde und für über 80 Tage ausfiel, forderte der Mann nicht nur Reparaturkosten und Wertminderung, sondern auch Nutzungsausfallentschädigung – mit der Begründung, dass das ihm zur Verfügung stehende Ersatzfahrzeug, ein BMW der 3er-Reihe, kein gleichwertiger Ersatz sei.
Die Versicherung verweigerte eine Zahlung über die klassischen Schadenspositionen hinaus. Für die Entbehrung des Donkervoort bestehe kein relevanter Anspruch, da ein vollwertiges Fahrzeug für alltägliche Mobilitätsbedürfnisse bereitgestanden habe. Der Fall landete vor Gericht – und führte zu einem Urteil, das eine klare Linie zieht zwischen emotionaler Wertschätzung und juristisch anerkannter Nutzung. Die Richter in Hamburg urteilten am 20. Mai 2025 (Az. 308 O 98/24), dass kein Nutzungsausfall im Sinne der gefestigten Rechtsprechung vorliegt. Entscheidend sei, ob dem Geschädigten während der Reparaturzeit ein fühlbarer Nachteil durch den Verlust seines Fahrzeugs entsteht – und nicht, ob das Ersatzfahrzeug subjektiv als unzureichend empfunden wird. Der Maßstab sei nicht Status, sondern Zumutbarkeit.
Für den Donkervoort spreche zwar ein außergewöhnlicher Fahrzeugwert, eine besondere Fahrleistung und ein herausgehobenes Prestige – das reiche jedoch nicht aus, um Nutzungsausfall geltend zu machen. Die Entbehrung müsse spürbar und alltagsrelevant sein. Das war hier nach Überzeugung des Gerichts nicht der Fall: Der Kläger nutzte den Donkervoort vorrangig für private Zwecke – Ausflüge, Besuche, Freizeitfahrten. Für berufliche Wege war der vorhandene Firmen-BMW ohnehin das primäre Mittel der Wahl. Die Tatsache, dass der BMW keine Flügeltüren, keine Rennsportgene oder kein extrem reduziertes Leergewicht aufweist, sei juristisch ohne Belang. Ein Schadenersatzanspruch erfordere keine emotionale Lücke, sondern eine konkrete Einschränkung im Nutzungskontext.
Diese Differenzierung ist für das Versicherungsrecht ebenso bedeutsam wie für juristische Laien irritierend: Nutzungsausfall ist kein Ausgleich für gefühlten Wertverlust, sondern ein materiell fassbarer Vermögensnachteil – bemessen an Mobilitätsbedürfnissen, nicht an Fahrspaß oder Imagegewinn. Das Urteil macht damit deutlich, dass Prestigeobjekte im Straßenverkehr rechtlich keine Sonderrolle genießen. Wer ein Luxusfahrzeug fährt, trägt das Risiko, dass der Nutzungsausfall nur dann kompensiert wird, wenn keine gleichwertige Mobilität anderweitig möglich ist – unabhängig von der emotionalen Bindung oder der repräsentativen Bedeutung des Fahrzeugs.
Der Kläger hatte argumentiert, dass der Donkervoort regelmäßig auch beruflich genutzt werde – etwa für Kundenbesuche, bei denen Eindruck und Außendarstellung eine Rolle spielten. Auch das überzeugte das Gericht nicht: Selbst wenn gelegentlich ein Mandant mitgenommen werde, sei der 3er-BMW ein zumutbares Ersatzfahrzeug. Weder Platzbedarf noch Professionalität litten in spürbarer Weise. Zudem sei nicht ersichtlich, dass das Luxusauto für die Erledigung von beruflichen Kernaufgaben unentbehrlich gewesen sei. Es bestehe keine Verpflichtung, Imagepflege über praktische Mobilität zu stellen – erst recht nicht auf Kosten des Schadenersatzsystems.
Die Entscheidung ist juristisch folgerichtig, aber gesellschaftlich aufschlussreich: Sie offenbart eine klaffende Lücke zwischen der ökonomischen Realität hochpreisiger Fahrzeughalter und der versicherungsrechtlichen Bewertung von Schadensersatzpositionen. Während Hersteller, Leasinggesellschaften und exklusive Clubs den Mythos rund um luxuriöse Mobilität pflegen, bleibt das Recht bei seinen nüchternen Kriterien: Verfügbarkeit, Zumutbarkeit, Bedürfnislage. Die Versicherungswirtschaft kann sich auf dieses Urteil stützen, um exzessive Forderungen nach Nutzungsausfall zu begrenzen – gerade in Zeiten, in denen Luxus und Alltagsmobilität immer weiter auseinanderdriften.
Gleichzeitig mahnt das Urteil zur Differenzierung bei der Schadensermittlung: Wenn etwa ein Geschädigter tatsächlich auf ein Spezialfahrzeug angewiesen ist – sei es für berufliche Präsentationspflichten, Produkttransporte oder spezifische Außendienste –, kann ein Nutzungsausfall auch bei hochpreisigen Modellen begründet sein. Doch der Nachweis muss konkret und lückenlos sein. Subjektives Empfinden, Komfortgewohnheiten oder Prestigeaspekte reichen nicht aus. Die Versicherbarkeit eines Nutzungsausfalls bleibt damit systemisch gebunden an klar objektivierbare Mobilitätsnachteile – ein Prinzip, das vor Überdehnung schützt und zugleich für Gerechtigkeit in der Breite sorgen soll. Denn Mobilität ist ein Grundbedürfnis – aber kein Freibrief für Luxusentschädigung.
Beitragsgrenzen auf dem Prüfstand, GKV-Finanzen unter Druck, politische Debatte über Umverteilung
Wie SPD-Politiker höhere Kassenbeiträge für Gutverdiener fordern, das Solidarprinzip neu verhandeln und die Union Gegenkurs fährt
In der Diskussion um die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung rückt ein altes, aber ungelöstes Thema wieder in den Mittelpunkt: die Beitragsbemessungsgrenze. Tim Klüssendorf, kommissarischer SPD-Generalsekretär, hat am Wochenende eine klare Position bezogen: Gutverdiener wie er selbst sollen künftig mehr zur Kasse gebeten werden. Angesichts der anhaltenden Finanzierungslücken der gesetzlichen Kassen und drohender Beitragserhöhungen ab Juli sei es an der Zeit, über ein gerechteres Belastungssystem zu sprechen. Die Reaktionen sind erwartungsgemäß gespalten – zwischen innerparteilichem Rückenwind und unionspolitischer Abwehrfront entfaltet sich eine neue Umverteilungsdebatte auf dem Spielfeld der Sozialversicherung.
Klüssendorfs Aussage, er selbst zahle derzeit den Maximalbeitrag zur Krankenversicherung und könne durchaus mehr leisten, ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Sie ist nicht nur ein rhetorischer Schritt in Richtung glaubwürdiger Sozialpolitik, sondern auch ein taktisches Bekenntnis zur Umverteilung innerhalb des Solidarsystems. Dass die monatliche Beitragsbemessungsgrenze aktuell bei 5.512,50 Euro liegt, bedeutet faktisch: Alle Einkünfte oberhalb dieser Schwelle bleiben beitragsfrei. Die Belastung ist damit prozentual regressiv – je höher das Einkommen, desto geringer die relative Beitragshöhe. Klüssendorf hält diese Grenze für überholungsbedürftig und stößt damit in der SPD auf Zustimmung, etwa bei Gesundheitspolitiker Christos Pantazis. Dieser hatte sich bereits zuvor für eine Anhebung der Grenze um rund 2.500 Euro ausgesprochen – auf das Niveau der Rentenversicherung, wo derzeit bei 8.050 Euro gedeckelt wird.
Die Stoßrichtung ist klar: Wer mehr verdient, soll auch prozentual stärker zur Finanzierung der gemeinsamen Gesundheitsversorgung beitragen – ein Prinzip, das in der gesetzlichen Rente bereits in Teilen durchbrochen wurde, in der Krankenversicherung aber nach wie vor strikt gilt. Gleichzeitig versucht Klüssendorf, eine drohende Ungleichgewichtung der Debatte zu entschärfen. Von konkreten Zahlen will er sich „nicht festnageln“ lassen, spricht aber von einem „Orientierungspunkt“ ohne „großes Ungerechtigkeitsproblem“. Leistungskürzungen zur Konsolidierung der GKV-Finanzen lehnt er dezidiert ab. Diese Linie dürfte vor allem auf die Sorgen der SPD-Basis zielen, wo die Balance zwischen Beitragsgerechtigkeit und Leistungssicherheit traditionell besonders sensibel betrachtet wird.
Doch während sich innerhalb der SPD ein Narrativ der sozialen Verantwortung verfestigt, setzt die Union auf fiskalische Vorsicht und politische Kontinuität. CDU und CSU lehnen eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze kategorisch ab – nicht nur aus haushaltspolitischen Erwägungen, sondern auch aus prinzipiellen Gründen. Aus ihrer Sicht ist die aktuelle Struktur ein bewährter Kompromiss aus Beitragsstabilität und Leistungszuschnitt. Der schwarz-rote Koalitionsvertrag, unter dem diese Debatte noch geführt wurde, hatte sich ebenfalls klar gegen weitere Belastungen ausgesprochen. Die Realität jedoch ist dynamischer: Zu Jahresbeginn haben viele Krankenkassen ihre Zusatzbeiträge erhöht – teils drastisch. Und bereits zum 1. Juli wollen weitere Kassen nachziehen. Die Finanzlücke bleibt – ebenso wie die Unsicherheit über die langfristige Beitragsentwicklung.
Der Vorstoß aus der SPD kommt daher nicht überraschend, sondern als Reaktion auf die wachsende strukturelle Schieflage. Es geht um mehr als einen symbolischen Beitrag wohlhabender Abgeordneter. Es geht um die Systemfrage: Soll die GKV als Solidargemeinschaft stärker auf Spitzenverdiener zurückgreifen, um Leistungssicherheit für alle zu gewährleisten? Oder wird ein solcher Kurs zur Demontage individueller Leistungsanreize und zur Flucht in private Alternativen führen? Die Antwort darauf wird auch die künftige Stabilität der Versorgungslandschaft prägen.
Die persönliche Betroffenheit Klüssendorfs – aktuell bei rund 11.227 Euro Monatsbezügen, demnächst mit einer Diätenerhöhung auf etwa 11.834 Euro – verleiht seiner Position Schubkraft. Denn der Appell aus der privilegierten Perspektive wirkt weniger ideologisch als praktizierte Solidarität. Entscheidend wird jedoch sein, ob seine Partei daraus eine kohärente Reformstrategie entwickelt, die nicht nur Mehrheiten auf Parteitagen, sondern auch gesellschaftliche Akzeptanz findet. Denn die Grenze zwischen notwendiger Solidarität und gefühlter Belastung verläuft oft entlang individueller Zumutbarkeit – und nicht entlang der Statistik. Die GKV steht damit nicht nur vor einer finanziellen, sondern auch vor einer politischen Bewährungsprobe.
Hilfsmittelversorgung wird zur Zumutung, Patientenschutz zur Farce, Vertragsautonomie zur Drohkulisse
Wie die IKK classic Apotheken verdrängt, Versicherte vor unlösbare Aufgaben stellt und das Vergaberecht als Machtinstrument missbraucht
Ab dem 1. Juli 2025 müssen rund drei Millionen Versicherte der IKK classic damit rechnen, dass sie von ihrer vertrauten Vor-Ort-Apotheke keine Hilfsmittel mehr erhalten – es sei denn, die Apotheke schließt individuell einen neuen Vertrag mit der Krankenkasse ab. Das wäre nicht weiter erwähnenswert, wenn es sich um eine fein abgestimmte Vertragsumstellung handeln würde. Tatsächlich aber lässt die IKK keinen Zweifel daran, wohin die Reise geht: In Briefen an ihre Versicherten empfiehlt die Kasse ganz offen, einen neuen Versorger zu suchen. Die Verantwortung wird also nicht in den Verhandlungen mit Leistungserbringern geklärt, sondern auf die Schultern der Patienten abgewälzt. Wer sich nach einem Beinbruch um seine Mobilität sorgt, soll ab sofort auch die Marktordnung der Hilfsmittelversorgung durchschauen. Wer täglich Katheter, Pflegehilfen oder Einlagen benötigt, soll Vertragsstrukturen studieren und Anbieter evaluieren. Was hier unter dem Deckmantel der Vertragsfreiheit vollzogen wird, ist de facto ein einseitiger Systembruch mit kalkulierter Wirkung: Die IKK entzieht Apotheken über Nacht ihre Rolle als wohnortnahe Hilfsmittelversorger – und instrumentalisiert dabei das Vertragsrecht als strategisches Machtmittel. Statt sektorübergreifender Versorgung entsteht ein brüchiges Provisorium, das weder sozial noch medizinisch tragfähig ist.
Das Schreiben der Kasse ist von einer Klarheit, die keine Interpretationsspielräume lässt: Wer keine Apotheke mit Einzelvertrag findet, erhält keine Versorgung. Die vorgelagerte Entscheidung der IKK, auf eine Rahmenvereinbarung mit Apotheken zu verzichten, wird mit keinem Wort erklärt. Die eigentliche Botschaft lautet: Apotheken sollen sich unterordnen – oder weichen. Die Verantwortung für die Versorgungssicherheit aber wird in einem riskanten juristischen Manöver auf die Patienten abgewälzt. Aus Sicht der Krankenkasse mag das rational sein: Je weniger Vertragspartner, desto geringer die Verwaltungslast. Je mehr Steuerungsspielraum, desto größer die Einkaufsmacht. Doch wer den Überblick über das eigene Versorgungsgebiet verliert, riskiert mehr als nur Systemeffizienz – er riskiert das Vertrauen. Vertrauen der Patienten in ihre Apotheke, Vertrauen der Apotheker in faire Vertragsbedingungen und Vertrauen des gesamten Gesundheitssystems in partnerschaftliche Kooperation. Die IKK classic aber scheint sich gerade von dieser Form der Kooperation zu verabschieden.
Dabei sind Apotheken längst nicht mehr nur Lieferanten. Sie sind Ankerpunkte in einem zunehmend fragmentierten Versorgungsraum. Wenn heute eine Apotheke mit kurzer Frist entscheiden muss, ob sie zu Einzelvertragskonditionen weiter Hilfsmittel abgeben will – ohne Einfluss auf die Vertragsinhalte –, dann steht am Ende keine Wahlfreiheit, sondern eine Ultimatumssituation. Wer sich beugt, akzeptiert einseitige Bedingungen. Wer standhaft bleibt, verliert Patientenkontakt und Einkommen. Und wer Patient ist, verliert möglicherweise beides – Versorgung und Vertrauen. Die Frage, ob die Vertragsgestaltung der IKK classic rechtlich angreifbar ist, dürfte Juristen noch länger beschäftigen. Doch schon heute ist klar: Die gesundheitspolitische Verantwortung wird systematisch verschoben. Nicht auf andere Träger, sondern auf die Einzelnen.
Auch die Standesvertretungen reagieren mit zunehmender Irritation. Die Apothekerkammern sehen in der Strategie der IKK classic eine klare Schwächung der Vor-Ort-Strukturen. Einige sprechen gar von einer verdeckten Marktverdrängung zugunsten spezialisierter Versender oder Kettenstrukturen. Die ABDA hält sich noch bedeckt, doch intern ist die Kritik deutlich: Der Vorstoß der IKK sei ein Tiefschlag für die wohnortnahe Versorgung und eine Provokation gegenüber der pharmazeutischen Selbstverwaltung. Besonders brisant wird der Vorgang vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um Hilfsmittelpauschalen, Margenkürzungen und Abrechnungsstreitigkeiten. Denn dort, wo Leistungserbringer ohnehin unter Druck stehen, entfalten neue Vertragsmodelle eine zusätzliche Sprengkraft.
Versicherungsrechtlich wirft die Strategie der Kasse gravierende Fragen auf. Wie weit darf Vertragsfreiheit gehen, wenn sie faktisch eine Versorgungspflicht unterläuft? Wo beginnt die Pflicht zur Gleichbehandlung, wenn einzelne Apotheken ausgeschlossen werden? Und wie steht es um die Fürsorgepflicht gegenüber chronisch Kranken, wenn diese von heute auf morgen ihren vertrauten Hilfsmittelversorger verlieren? Die IKK classic liefert auf all diese Fragen keine Antworten – dafür aber einen klaren Handlungsaufruf an ihre Versicherten: Suchen Sie sich jemanden anderen. Das ist keine Patientenorientierung, das ist ein Abschiebeverfahren. Und es ist nicht die erste Eskalation dieser Art. Bereits in anderen Regionen hatten Kassen versucht, über selektive Verträge die Machtasymmetrie zu ihren Gunsten auszubauen. Doch was in Einzelfällen als Sonderweg galt, wird nun zur systematischen Strategie. Die Folge: Apotheken müssen um ihren Platz im Versorgungssystem kämpfen – nicht durch Qualität, sondern durch juristische Anpassungsfähigkeit.
Dabei ist unübersehbar, dass der Konflikt nicht nur vertraglich, sondern auch sozialmedizinisch wirkt. Denn viele Hilfsmittelverordnungen sind in der Apotheke eingebettet in komplexe Betreuungsbeziehungen – etwa bei Inkontinenz, Stomapflege oder Beatmungshilfen. Wer diese Kette unterbricht, gefährdet nicht nur Prozesse, sondern konkrete Versorgungsergebnisse. Die IKK mag sich auf Vergaberecht und Wirtschaftlichkeitsprinzipien berufen – doch der Preis dieser Strategie wird an anderer Stelle gezahlt: bei den Patienten, die keine Lobby haben. Bei jenen, die ihre Apotheke nicht wechseln können, weil sie immobil sind. Bei den Pflegeeinrichtungen, die mit neuen Versorgern keine eingespielten Abläufe mehr haben. Und bei den Apotheken, die ihre soziale Verantwortung ernst nehmen, aber keine Chance mehr bekommen, diese zu leben.
Was bleibt, ist ein bitterer Eindruck: Die IKK classic nutzt ihr Vertragsrecht nicht zur Verbesserung der Versorgung, sondern zur strategischen Bereinigung ihrer Vertragslandschaft. Sie ersetzt Koordination durch Steuerung, Partnerschaft durch Anweisung, Vertrauen durch Vorgabe. Dass sie dabei ausgerechnet die Patienten zum Akteur machen will, ist nicht nur absurd, sondern ein Beleg für die entkernte Philosophie hinter dieser Politik. Statt die Apotheken zu Partnern zu machen, macht man sie zu Bittstellern. Und statt Versicherten zu helfen, stellt man sie vor strukturelle Entscheidungen, die sie weder überblicken noch lösen können.
Was wir erleben, ist ein Paradigmenwechsel in der Hilfsmittelversorgung – nicht zugunsten der Patienten, sondern zugunsten institutioneller Macht. Und dieser Wechsel wird nicht offen diskutiert, sondern als scheinbar logische Konsequenz interner Effizienzvorgaben kaschiert. Die Leidtragenden sind bekannt. Neu ist nur die Dreistigkeit, mit der man sie ignoriert.
Wissen wird blockiert, Karrieren scheitern, Forschung verliert Vertrauen
Wie der »Gollum-Effekt« junge Wissenschaftler ausbremst, systemische Ungleichheit verstärkt und Ideen in der Isolation vergehen
In der Wissenschaft herrscht offiziell das Prinzip des freien Austauschs: Daten, Ideen und Ressourcen sollen geteilt, Erkenntnisse gemeinsam weiterentwickelt und Fortschritt durch Zusammenarbeit ermöglicht werden. Doch die Realität sieht häufig anders aus – und zwar nicht nur vereinzelt. Ein Phänomen, das unter dem Begriff »Gollum-Effekt« zunehmend Aufmerksamkeit erhält, zeigt, wie tief Besitzdenken, Abschottung und blockierendes Verhalten im Wissenschaftsbetrieb verankert sind.
Die Figur Gollum aus Tolkiens »Der Herr der Ringe« steht dabei symbolisch für die gefährliche Obsession mit dem Eigenen – ein Ring, der nicht geteilt wird, sondern zerstört, was ihn umgibt. In der akademischen Welt äußert sich diese Haltung durch das Horten von Daten, den Ausschluss potenzieller Kooperationspartner und das aktive Behindern von Forschung Dritter. Besonders betroffen sind junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Forschende aus marginalisierten Gruppen. Für viele endet der Einstieg in die Wissenschaft nicht in einer Laufbahn, sondern in Frustration, Rückzug oder gar im vollständigen Ausstieg.
Eine neue internationale Studie unter Leitung von Dr. Jose Valdez von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und dem Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) liefert nun erstmals belastbare Daten zur Verbreitung des Gollum-Effekts. Befragt wurden 563 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 64 Ländern – mit einem ernüchternden Ergebnis: Fast die Hälfte hat blockierendes Verhalten selbst erlebt, mehr als zwei Drittel sogar mehrfach im Lauf ihrer Karriere. Die Spannweite reicht von der Verweigerung von Datenzugang über gezielten Ausschluss aus Publikationen bis hin zum offenen Ideenklau.
Besonders alarmierend: Die Täter sitzen häufig in Positionen mit struktureller Macht. Professoren, Betreuer, Gruppenleiter und etablierte Kollegen agieren aus einer Position der Sicherheit – oft ohne Konsequenzen. Das erschwert nicht nur die Gegenwehr, sondern zementiert ein System, das Einzelinteressen über den kollektiven Fortschritt stellt. Die Folgen für Betroffene sind drastisch: abgebrochene Dissertationen, verlorene Drittmittel, Blockierung von Publikationen, Isolation im Forschungskontext. Manche wechseln das Thema, andere das Institut – viele verlassen das System ganz.
Doch der Schaden ist nicht nur individuell. Der Gollum-Effekt trifft die Wissenschaft als Ganzes – durch Innovationsverlust, Misstrauen und das Zerreißen kooperativer Netzwerke. Was geteilt werden könnte, wird bewacht. Was gemeinsam entstehen sollte, versandet im Grabenkampf. Dabei sind die strukturellen Ursachen klar benennbar: Die Akademie belohnt Wettbewerb, nicht Kooperation. Wer erfolgreich sein will, muss sich durchsetzen – nicht teilen. Wer Fördermittel gewinnen will, braucht Exklusivität, nicht Transparenz.
In der Studie berichten zahlreiche Betroffene auch von psychischen Folgen: Angst, Demotivation, Burnout. Einige suchten professionelle Hilfe, andere beschrieben den Vertrauensverlust als irreparabel. Nur ein Drittel der Geschädigten hat sich zur Wehr gesetzt. Und ein Fünftel gab an, selbst – oft unabsichtlich – Gollum-artiges Verhalten entwickelt zu haben. Die Angst, übergangen oder ausgenutzt zu werden, führt zu einer Spirale der Isolation. Die Kultur der Offenheit droht zu kippen.
Doch die Studie bleibt nicht bei der Analyse stehen. Die Forschenden sammelten auch Lösungsvorschläge – viele davon direkt von den Teilnehmenden: Belohnungssysteme für faires Verhalten, klare institutionelle Regeln für Autorenschaft und Datenweitergabe, stärkere Förderung von Teamarbeit, mehr Mentoring für Nachwuchs. Und vor allem: eine Kultur, in der Kooperation nicht als Schwäche, sondern als Stärke gilt.
Co-Autor Dr. Sandeep Sharma bringt es auf den Punkt: Wenn Wissenschaft zu einem feindlichen Ort werde, gehe es nicht nur um verlorene Karrieren, sondern um nicht verwirklichte Ideen, zerstörtes Selbstvertrauen und verlorenes Potenzial. Es geht um die Frage, ob die Forschung Orte schafft, in denen Neues gedeihen kann – oder ob sie selbst zur Barriere wird.
Wer also heute den Gollum-Effekt benennt, greift nicht nur ein individuelles Problem auf, sondern benennt einen systemischen Kulturfehler. Der erste Schritt zur Heilung ist die Sichtbarkeit. Der zweite ist die institutionelle Konsequenz. Und der dritte – noch weit entfernt – wäre eine Wissenschaft, in der der »mein Schatz«-Reflex endgültig der Vergangenheit angehört.
Neue Therapieoption für Spätdyskinesien, gezielte VMAT2-Hemmung, EMA-Zulassung auf dem Weg
Wie Deutetrabenazin unwillkürliche Bewegungen reduziert, pharmakologisch punktet und psychiatrische Versorgung neu definiert
Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) hat ein positives Votum zur Zulassung von Deutetrabenazin (Austedo® Retardtabletten) abgegeben, einem Wirkstoff zur Behandlung moderater bis schwerer tardiver Dyskinesien bei Erwachsenen. Diese Spätfolgen antipsychotischer Therapien äußern sich in wiederholten, unwillkürlichen Bewegungen – insbesondere im Gesicht, Mund- und Kieferbereich – und sind oft irreversibel. Die neue Option zielt auf Patienten, die bisher nur unzureichend behandelbar waren. Der Wirkstoff adressiert die chronisch dysregulierte dopaminerge Reizweiterleitung, wie sie insbesondere bei langfristiger Gabe von Dopaminrezeptor-Antagonisten auftritt.
Deutetrabenazin ist ein VMAT2-Inhibitor und modifiziertes Tetrabenazin-Molekül, bei dem ein Wasserstoffatom durch Deuterium ersetzt wurde. Diese Veränderung verbessert nachweislich die Pharmakokinetik und erhöht die Verträglichkeit. Der Wirkmechanismus basiert auf einer reduzierten Verpackung von Monoaminen – wie Dopamin, Noradrenalin oder Serotonin – in synaptische Vesikel, wodurch deren Signalaktivität im zentralen Nervensystem gedämpft wird. Die Symptome der Dyskinesie, deren Ursache auf eine postsynaptische Hypersensitivität bei chronischer Dopamin-Blockade zurückgeht, sollen dadurch kontrollierbar werden.
Klinisch basiert die EMA-Empfehlung auf zwei placebokontrollierten Studien, ARM-TD und AIM-TD, die 2017 veröffentlicht wurden. In beiden Studien konnte unter Deutetrabenazin eine signifikante Reduktion der Bewegungsstörung nach zwölf Wochen Therapie nachgewiesen werden. Die Dosierung begann bei 12 mg täglich und wurde schrittweise auf bis zu 48 mg/d hochtitriert (bzw. 36 mg/d bei gleichzeitiger Einnahme starker CYP2D6-Hemmer). Nebenwirkungen wie Somnolenz, Fatigue oder Mundtrockenheit traten auf, blieben jedoch im Vergleich zu Placebo auf moderatem Niveau. Eine Sicherheitsanalyse von 2024, die auch Chorea-Huntington-Patienten einbezog, bestätigte die Langzeitverträglichkeit des Wirkstoffs.
Besonders relevant wird Deutetrabenazin für eine Zielgruppe, die überproportional von TD betroffen ist: ältere Patienten mit psychiatrischer Dauertherapie. Angesichts der alternden Bevölkerung und der wachsenden Zahl antipsychotisch behandelter Menschen rückt die Versorgung dieser Patientengruppe zunehmend in den Fokus. Die Empfehlung der EMA könnte einen Wechsel in der therapeutischen Praxis auslösen – hin zu frühzeitiger Erkennung und gezielter medikamentöser Intervention, bevor die Bewegungsstörungen zu irreversiblen psychosozialen Schäden führen.
Zugleich rückt die Diskussion um die Langzeitfolgen antipsychotischer Medikation erneut in den Fokus. Das neue Präparat dokumentiert, dass es pharmakologisch durchaus möglich ist, einen Ausgleich für iatrogen verursachte Langzeitschäden zu schaffen. Es verdeutlicht aber auch, dass Pharmakovigilanz, Differenzialindikation und Patientenaufklärung dringend aufgewertet werden müssen – nicht nur in der stationären, sondern auch in der ambulanten psychiatrischen Versorgung. Der Zugang zu VMAT2-Inhibitoren sollte im Lichte der gesundheitspolitischen Zielsetzungen zur Lebensqualitätsverbesserung systematisch ermöglicht werden.
Glosse: Apotheken atmen anders, Pflegekassen zittern still, Pflaster sprechen mit Nebenwirkung
Warum Cannabisräume zur Oase werden, Milliardenforderungen Politik provozieren und ein Werbedruck im Probemäppchen für Irritation sorgt
Henrik Falkenberg-Zumsand war nie ein Freund halber Sachen. Schon gar nicht, wenn es um seine Apotheke geht. Und erst recht nicht, wenn das Bundesgesundheitsministerium die Spielregeln für Medizinalcannabis neu schreibt. Als die Gesundheitsministerkonferenz beschloss, dass künftig nur noch nach persönlichem Erstkontakt mit einem Arzt Cannabis verordnet werden darf, gab es zwei Sorten Apotheker: die einen stöhnten, die anderen strickten neue Konzepte. Falkenberg-Zumsand gehörte zu Letzteren.
Innerhalb weniger Wochen verwandelte er seine "Zumsand-Apotheke" in eine Art grüne Oase mit therapeutischem Chillfaktor. Statt Flurmusik dudelt nun Vinyl aus den 1970ern, Lavendel mischt sich mit Terpenen in der Raumluft, und der Beratungstresen erinnert mehr an eine Mischung aus Altar und Teeküche als an einen Ort pharmazeutischer Aufklärung. Die übliche Zweiteilung von Verkauf und Backoffice wich einer Dreifaltigkeit: Kasse, Kompressionsware, Kontemplation.
Der Star der neuen Aufstellung ist die sogenannte "Philosophenschlange". Sie beginnt morgens noch gemächlich mit einzelnen Gestalten, die sich schulterklopfend begrüßen. Doch gegen Mittag entwickelt sie eine Dynamik, die irgendwo zwischen Pilgerweg und Street-Festival liegt. Man wartet, man spricht, man tauscht: Sortenempfehlungen, Podcasts, Hanfbutterrezepte. Zwischen Platz 4 und 9 gibt es einen inoffiziellen Tauschkosmos für vegane Riegel, kleine Notizhefte, Halbedelsteine. Bei Platz 10 sitzt ein Mann mit Didgeridoo. Kein Scherz.
"Die Leute wollen nicht einfach nur Medizin – sie wollen ein Ritual", sagt Falkenberg-Zumsand, während er seinen Hanfblütentee umrührt. Im umgestalteten Beratungsraum, hinter einem Fadenvorhang in Regenbogenfarben, empfängt die PTA mit sanfter Stimme, dampfender Teetasse und einer bedächtigen Frage: "Wie fühlen Sie sich heute mit Ihrer Dosis?" Die Patienten danken es ihr. Mit Geduld. Mit Fragen. Mit einer nie gekannten Entspannung. Man bleibt länger, man spricht mehr. Man konsumiert achtsamer.
Der Umbau hat sich gelohnt. Nicht nur wirtschaftlich. "Wir arbeiten ganz anders. Wir reden über Sinn und Wirkung, über Lebensweise, über Achtsamkeit. Und wir haben endlich Zeit dafür." Inzwischen kooperiert die Apotheke mit dem Bio-Bäcker, der auf Kassenbons Croissants ausgibt, mit dem Yogastudio, das Rabatt für Patienten gewährt, und mit der Tankstelle, die an die Nebenwirkung Appetit glaubt. "Da geht richtig was."
Doch der regulatorische Hintergrund ist alles andere als romantisch. Grund für die Neuerung ist der florierende Missbrauch über Online-Plattformen. Schnellrezepte ohne jede Beratung, Algorithmen statt Anamnese. Die Bundesapothekerkammer warnte, die Politik reagierte. Selbst Dr. Cannova, einst Vorreiter im digitalen Verschreibungswesen, zieht inzwischen gegen dubiose Mitbewerber vor Gericht. Aus Wildwest wird Rechtsstaat. Aus Fernversorgung wird Nahbetreuung. Und aus Cannabis wird eine Art Prüfstein für die Rolle der Vor-Ort-Apotheke.
Parallel fliegen die Fetzen an anderer Stelle: Die DAK fordert Corona-Zuschüsse zurück – ganze 5,2 Milliarden Euro, die aus der Pflegekasse abgeflossen sein sollen. Rechtswidrig, so die Kasse. Rückzahlung jetzt oder Beitragserhöhung bald. Und da stellt sich die Frage: Wo bleibt eigentlich die Achtsamkeit beim Haushaltsvollzug? Während die Apotheke auf Atmung setzt, atmet die Finanzlage der Pflegeversicherung schwer. Ob da ein bisschen Hanftee helfen würde?
Derweil bemüht sich ein MS-Patient aus München um seine eigene Form der Selbstoptimierung: Er reichte laut Gericht Quittungen für nie abgeholte Privatrezepte ein – 25-mal. Schaden: 150.000 Euro. Strafmaß: Bewährung. Und eine Pflastermarke aus Niederbayern hat ihren eigenen Aufreger zu verdauen: Die Proben enthielten einen diskreten, aber gut sichtbaren Werbeslogan: "Jetzt bei Dropla". Nicht in einem Beipackzettel, sondern direkt im Pflastermäppchen. Die Sonnenwinkel-Apotheke reagierte mit Humor, der Hersteller Medisano Labs mit Erklärung: Verwechslung.
Wer bei all dem auf Bodenhaftung hofft, muss nach Nordhafen blicken. Die Prisma-Apotheke zeigt Flagge. Im Pride Month gibt es hier nicht nur Regenbogen-Aufsteller, sondern auch Beratung für alle Lebenslagen – queerfreundlich, offen, unaufgeregt. Doch nicht jeder teilt die Freude: Im Netz hagelt es Kritik. Sichtbarkeit ist keine Einbahnstraße. Auch das ist Teil des Alltags, den eine Apotheke heute mitverhandelt. Zwischen Kompressionsstrumpf und Cannabiskeks, zwischen Impfstoff und Identität.
Und irgendwo in diesem Kaleidoskop aus Vorschrift und Vertrauen, Missbrauch und Musik, Pflaster und Positionierung zeigt sich, was Apotheke eben auch sein kann: Ein Ort, der Veränderung zulässt, weil er sich selbst verändert. Nicht als Pose, sondern als Haltung. Nicht nur bei Nebel aus Hanfdampf, sondern auch in klarer Luft.
Und sollte man glauben, das sei ein rein urbanes Phänomen, irrt man gewaltig. Denn längst sind auch kleinere Orte auf den Geschmack gekommen. In Bad Bergfeld etwa wurde das Konzept der Cannabis-Lounge-Apotheke mit regionaler Prägung kombiniert: Hier trifft Schwarzwälder Kirsch auf Cannabis-Kirschblüte, und die Beratung erfolgt mit Blick auf Streuobstwiesen. Mancherorts gibt es inzwischen Wartelisten für Gesprächssitzungen mit der "grünen Theke".
Selbst Fortbildungen tragen inzwischen Titel wie "Terpene & Temperamente" oder "Patientengespräche im Aroma-Flow". Die Berufsverbände reagieren verhalten optimistisch. "Die Entwicklungen sind interessant und zeigen, wie wandelbar unsere Branche ist", sagt eine Sprecherin des Bundesverbandes der Beratenden Pharmazeutinnen. Auch die Nachfrage nach Zusatzqualifikationen im Bereich Phytotherapie und Cannabinoid-Kompetenz hat sprunghaft zugenommen.
Und ganz leise, aber deutlich, meldet sich ein neuer Typ Apotheke zu Wort: einer, der nicht nur ausliefert, sondern einlädt. Der nicht abschottet, sondern aufmacht. Der nicht vorgibt, sondern zuhört. Der Hanf nicht als Ausrede sieht, sondern als Anstoß. Zu Gesprächen, zu Beratung, zur Selbstvergewisserung. Vielleicht ist diese grüne Welle mehr als ein Trend. Vielleicht ist sie der Anfang einer neuen Beratungskultur. Mit oder ohne Didgeridoo.
Von Engin Günder, Fachjournalist
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