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  • 20.05.2025 – Apotheken-Nachrichten von heute: Versorgung bricht regional weg, Haftung wächst durch Beratungspflicht, GLP1 verändert die Therapiedebatte
    20.05.2025 – Apotheken-Nachrichten von heute: Versorgung bricht regional weg, Haftung wächst durch Beratungspflicht, GLP1 verändert die Therapiedebatte
    APOTHEKE | Medienspiegel & Presse | Weite Wege, juristische Risiken, neue Therapieverständnisse: IKK, Haftung und GLP1 stellen Apotheken vor grundsätzliche Herausforderunge...

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ApoRisk® Nachrichten - APOTHEKE:


APOTHEKE | Medienspiegel & Presse |

Apotheken-Nachrichten von heute: Versorgung bricht regional weg, Haftung wächst durch Beratungspflicht, GLP1 verändert die Therapiedebatte

 

Warum IKK-Versicherte künftig massive Wege zurücklegen müssen, Apotheken ohne Spezialabsicherung gefährdet sind und Semaglutid den Blick auf Psyche und Stoffwechsel verändert

Während Apotheken durch selektivvertragliche Umstellungen wie bei der IKK classic gezwungen werden, Patient:innen mit bis zu 50 Kilometern Entfernung zur nächsten Vertragsapotheke allein zu lassen, wächst parallel der juristische Druck auf pharmazeutische Beratung und Dokumentation – jede fehlerhafte Handlung, jeder unvollständige Hinweis kann zur Haftung führen, insbesondere wenn keine branchenspezifischen Versicherungen greifen; gleichzeitig verschiebt die neue Studienlage zu GLP1-Rezeptoragonisten wie Semaglutid die Wahrnehmung dieser Wirkstoffe grundlegend: Es geht längst nicht mehr nur um Gewicht oder Blutzucker, sondern auch um neuropsychologische Stabilisierung, Belohnungssysteme und Lebensqualität – mit Folgen für Therapiestrategien, Beratungsbedarfe und die zukünftige Einbindung der Apotheke in interdisziplinäre Versorgungsteams.

 

Beratung schafft Haftung, Daten schaffen Angriffsfläche, Störungen schaffen Ausfälle

Warum Apotheken ohne branchenspezifisches Risikomanagement angreifbar bleiben, welche Gefahren realistisch sind und wie spezialisierte Versicherungen betriebliche Resilienz sichern

Im täglichen Betrieb einer Apotheke liegen medizinische Verantwortung, wirtschaftlicher Druck und regulatorische Präzision eng beieinander – ein sensibler Raum, der mehr als nur Standardabsicherungen verlangt. Die Realität vieler Apothekenbetriebe zeigt, dass ein klassischer Versicherungsschutz oft nicht ausreicht, um den vielschichtigen Gefahren standzuhalten, denen sich pharmazeutische Einrichtungen heute ausgesetzt sehen. Ein spezialisierter, exakt zugeschnittener Risikomanagementansatz wird damit zur betriebswirtschaftlichen Notwendigkeit – und nicht selten zur Überlebensfrage.

Apotheken sind keine gewöhnlichen Einzelhandelsgeschäfte. Sie übernehmen hoheitliche Aufgaben, beraten in sensiblen Gesundheitsfragen und sind zentraler Bestandteil der lokalen medizinischen Grundversorgung. Doch diese exponierte Position bringt eine Vielzahl branchenspezifischer Risiken mit sich: beratungsbedingte Haftungsfälle, Datenschutzvorfälle, technische Systemausfälle, Lieferkettenprobleme, Naturereignisse, Einbruch oder Vandalismus. Jeder dieser Fälle kann nicht nur den Ruf einer Apotheke schädigen, sondern auch zu empfindlichen wirtschaftlichen Verlusten führen – bis hin zur Insolvenz.

Ein klassisches Beispiel: Die Ausgabe eines Medikaments unterliegt einem Beratungsfehler. Kommt es daraufhin zu gesundheitlichen Schäden bei einem Patienten, kann die Apotheke in Haftung genommen werden. Ohne Berufshaftpflicht, die auf pharmazeutische Risiken ausgelegt ist, drohen massive Regressforderungen. Ebenso riskant: Datenschutzverletzungen, etwa durch einen Cyberangriff auf das Warenwirtschaftssystem oder das eRezept-Terminal. Apotheken speichern personenbezogene Gesundheitsdaten in erheblichem Umfang – das macht sie zu einem Ziel für Cyberkriminelle. Wer sich hier auf einfache Betriebshaftpflicht oder Sachversicherungen verlässt, riskiert im Ernstfall rechtliche, regulatorische und finanzielle Eskalationen.

Immer häufiger geraten auch Betriebsunterbrechungen ins Blickfeld des Risikomanagements. Ein Stromausfall, ein Wasserschaden, ein technisches Versagen in der Rezeptverarbeitung oder eine coronabedingte Quarantäne – all das kann den Apothekenbetrieb tage- oder wochenlang lahmlegen. Die wirtschaftlichen Folgen reichen von Umsatzverlusten über unzufriedene Kunden bis hin zu finanziellen Engpässen bei Gehaltszahlungen und Lieferantenverpflichtungen. Hier greifen spezialisierte Policen, die nicht nur den unmittelbaren Schaden, sondern auch Folgekosten wie Mietverpflichtungen, laufende Personalkosten und Wiederanlauf decken.

Cyberversicherungen gewinnen dabei rasant an Bedeutung. Inzwischen sind es nicht nur große Ketten, die ins Visier geraten. Auch kleine Einzelapotheken wurden in jüngster Zeit von Phishing-Angriffen, Ransomware-Attacken oder Systemmanipulationen betroffen. Die Wiederherstellung der Daten, die Sicherung der Systeme und die Abwehr von Schadenersatzansprüchen kosten oft ein Vielfaches des versicherten Sachwerts. Zudem kann ein bekannt gewordener Datenklau das Vertrauen der Kundschaft nachhaltig untergraben – mit kaum zu bezifferndem Reputationsschaden.

Auch Schadensszenarien wie etwa durch Sprinklerlecks, Einbrüche oder ausgelöste Brandmeldeanlagen führen zu Versorgungsunterbrechungen, Kühlkettenbrüchen und Vernichtung empfindlicher Arzneimittelbestände. Spezialversicherer bieten in solchen Fällen Module, die explizit auf Apothekenbedürfnisse zugeschnitten sind: von der Inhaltsversicherung mit Arzneiwertdeckung über die Transportversicherung für Botendienste bis hin zu Modellen der Ertragsausfallversicherung, die auch behördlich angeordnete Schließungen berücksichtigt.

Ein weiteres Feld ist der steigende Dokumentations- und Nachweisdruck gegenüber Krankenkassen, Aufsichtsbehörden und Kammern. Wer beispielsweise fehlerhafte Retaxationen oder Einspruchsverfahren absichern will, braucht Lösungen jenseits pauschaler Rechtsschutzmodule. Branchenspezifische Rechtsschutzpakete mit Fokus auf GKV-Streitigkeiten, Abgabeverfahren und Retaxmanagement helfen hier, personelle wie finanzielle Ressourcen zu entlasten.

Doch nicht nur Policen, sondern auch der Beratungsweg dorthin entscheidet über die Wirksamkeit. Apothekenbetreiber sollten zwingend mit Versicherungsmaklern zusammenarbeiten, die das apothekenspezifische Umfeld detailliert kennen. Die pauschale Anwendung von Gewerbeversicherungsbausteinen verfehlt regelmäßig den Bedarf, ignoriert branchenspezifische Dynamiken – und führt im Schadensfall zu gefährlichen Deckungslücken. Eine strukturierte Risikoanalyse, gepaart mit regelmäßiger Aktualisierung der Police, ist unverzichtbar. Neue gesetzliche Anforderungen wie die verpflichtende Anbindung an die Telematik-Infrastruktur, neue pharmazeutische Dienstleistungen oder Änderungen im Infektionsschutzgesetz machen es erforderlich, dass auch der Versicherungsschutz regelmäßig angepasst wird.

Zudem gilt: Die Größe oder Form einer Apotheke – ob Einzelbetrieb, Filialverbund oder integrierte Ärztehausstruktur – hat entscheidenden Einfluss auf die Risikolandschaft. So unterscheiden sich die Anforderungen für ländliche Apotheken mit Botendienstschwerpunkt massiv von innerstädtischen Apotheken mit hoher Kundenfrequenz und Personaleinsatz. Wer hier auf Maßarbeit statt Standardlösungen setzt, verschafft sich im Schadensfall nicht nur finanzielle Handlungsfähigkeit, sondern wahrt auch seine unternehmerische Stabilität.

Der wachsende Druck auf Apotheken – durch Bürokratie, wirtschaftliche Engpässe und veränderte Patientenerwartungen – lässt Risikomanagement heute nicht mehr als Option, sondern als Führungsaufgabe erscheinen. Die gezielte Integration spezialisierter Versicherungen wird zum Bestandteil nachhaltiger Betriebsführung. Wer Risiken erkennt, bewertet und durch kluge Absicherung beherrschbar macht, schützt nicht nur den Betrieb, sondern stärkt auch das Vertrauen seiner Kunden in die apothekerliche Sorgfalt – ein immaterieller Wert, der im Wettbewerb zunehmend entscheidend wird.

 

Versorgung gesperrt, Vertrauen erschüttert, Wechsel empfohlen

Warum IKK-Versicherte ab Juli vor unzumutbaren Wegen stehen, Apotheken auf Distanz gehen und ein Kassenwechsel zur Versorgungsoption wird

Ab dem 1. Juli 2025 tritt für rund drei Millionen Versicherte der IKK classic eine Versorgungslücke in Kraft, die weit über bürokratische Details hinausgeht. Hintergrund ist die Umstellung des bisherigen Hilfsmittelbezugs über Apotheken auf eine neue, selektivvertraglich organisierte Lösung. Doch statt flächendeckender Verfügbarkeit droht eine faktische Versorgungssperre: Apotheken, die dem vorgeschlagenen Einzelvertrag der IKK nicht zustimmen, dürfen keine Hilfsmittel mehr zu Lasten der Krankenkasse abgeben. Und das sind nach heutigem Stand offenbar sehr viele. Der Grund: Die vertraglichen Konditionen gelten unter Apotheker:innen als wirtschaftlich inakzeptabel, operativ problematisch und in der Verantwortungshaftung untragbar. Das führt zu einem beispiellosen Engpass, der vor allem auf dem Land oder in strukturschwachen Regionen für Versicherte massive Konsequenzen nach sich zieht – mit Entfernungen von über 50 Kilometern bis zur nächsten „zugelassenen“ Abgabestelle. Die Versorgungsgleichheit, die in § 12 SGB V als Ziel der Gesetzlichen Krankenversicherung festgeschrieben ist, wird damit praktisch ausgehebelt.

Dabei geht es nicht um exotische Nischenprodukte, sondern um grundlegende Hilfsmittel wie Inkontinenzeinlagen, Kompressionsstrümpfe oder Verbandmaterialien – Dinge, die in Apotheken seit Jahrzehnten zur wohnortnahen Versorgung gehören. Apotheken sind nicht nur durch ihre Lage prädestiniert für diese Rolle, sondern auch durch Beratungskompetenz, Schulungsfähigkeit und gesetzlich definierte Abgaberechte. Dass sie nun pauschal ausgeschlossen werden, sofern sie keinen Einzelvertrag mit wirtschaftlichen Zumutungen unterschreiben, empfinden viele Inhaber:innen als Affront. Im Gespräch verweisen sie auf die sachfremde Logik der Ausschreibungsmodelle und die mangelnde Bereitschaft der IKK classic, mit dem Berufsstand strukturelle Lösungen auszuhandeln. Die Standesvertretungen hatten bereits im Vorfeld gewarnt, dass die geplanten Vertragsstrukturen in der Praxis kaum tragfähig seien – dennoch wurde das Modell eingeführt.

Für Versicherte bedeutet das einen realen Kontrollverlust über ihre Versorgungssituation. Im Beratungsgespräch mit einer Apothekerin oder einem Apotheker können sie plötzlich mit der Aussage konfrontiert werden: „Wir dürfen Sie nicht mehr beliefern.“ Noch gravierender wird es, wenn die nächste Vertragsapotheke 50 oder mehr Kilometer entfernt ist – eine Distanz, die für viele ältere, chronisch kranke oder mobilitätseingeschränkte Menschen faktisch nicht überbrückbar ist. Nicht wenige Apotheken berichten bereits, dass sie von der Möglichkeit Gebrauch machen, betroffenen Versicherten offen den Kassenwechsel zu empfehlen. Ein Inhaber aus Baden-Württemberg sagte gegenüber der Redaktion, er habe bereits mehreren Patienten „ausdrücklich zur Kündigung der IKK geraten, weil ich ihnen keine Versorgungslücke zumuten will“. Diese drastische Praxis ist rechtlich nicht ohne Tücken, zeigt aber das Ausmaß der Frustration im Berufsstand.

Dabei geht es auch um Grundsatzfragen: Wer trägt Verantwortung für die wohnortnahe Grundversorgung – die Kassen, die Politik, die Leistungserbringer? Und was bedeutet „wirtschaftlich zumutbar“ in einem System, das auf Gleichbehandlung und flächendeckende Absicherung setzt? Die IKK classic verteidigt ihr Vorgehen mit Verweis auf Wirtschaftlichkeit und Vertragsfreiheit. Apotheken hingegen sehen sich durch das Vertragskonstrukt in eine Zwangslage manövriert, in der sie entweder ihre betriebswirtschaftliche Substanz aufs Spiel setzen oder Patient:innen im Stich lassen müssen. Die Unsicherheit wird zusätzlich durch die unklare Rechtslage verschärft: Ob eine Krankenkasse tatsächlich das Apothekenwahlrecht beschneiden darf, ohne ein tragfähiges Alternativmodell anzubieten, ist juristisch nicht abschließend geklärt.

Ein zentrales Problem ist die Nichtverfügbarkeit von Listenvertragsinformationen in Echtzeit. Versicherte wissen oft nicht, welche Apotheken als IKK-Partner agieren – Apotheken selbst können dies nur durch aufwendige Recherchen ermitteln. Die Transparenzpflicht bleibt auf der Strecke. In einem durchorganisierten Gesundheitssystem mit digitaler Infrastruktur wirkt dieser Zustand wie ein Anachronismus. Zusätzlich offenbart der Fall IKK classic eine strukturelle Schwäche in der Konzeption von Hilfsmittelverträgen: Statt kooperativer Lösungen mit Berufsgruppen wie den Apotheken wird auf selektive Exklusivität gesetzt – ein Ansatz, der am Ende nicht nur wirtschaftlich riskant, sondern gesundheitspolitisch auch unklug ist. Denn wer flächendeckende Leistungserbringung will, muss lokale Strukturen einbinden statt sie auszugrenzen.

Die Apothekerschaft stellt derweil ihre eigenen Weichen: Manche planen Klagen gegen den Ausschluss, andere prüfen, ob sie Patienten auf Basis individueller Kostenerstattung weiterhin versorgen können. Doch all diese Wege sind aufwendig, rechtlich unsicher und für Patienten oft zu komplex. Es bleibt der Eindruck zurück, dass eine Krankenkasse mit rund drei Millionen Mitgliedern ein zentral organisiertes Versorgungssystem destabilisiert, um kurzfristige Einsparziele zu erreichen – und dafür in Kauf nimmt, dass Vertrauen, Bindung und Versorgungskontinuität zerbrechen. In einer Zeit, in der das Gesundheitswesen ohnehin durch Umstrukturierungen, Digitalisierung und Fachkräftemangel unter Druck steht, wirkt diese Strategie riskant. Die Konsequenzen tragen nicht nur Apotheken, sondern vor allem jene, die sich eigentlich auf Versorgungssicherheit verlassen können sollten: die Patient:innen selbst.

 

Geschwärzt, verwahrt, verteidigt

Wie Nina Warken den Maskenbericht offenlegt, Transparenz begrenzt und Jens Spahn ins Leere laufen lässt

Die politische Aufarbeitung der Corona-Maskenbeschaffung erhält eine neue Wendung: Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) hat angekündigt, den bisher geheim gehaltenen Sonderbericht zur umstrittenen Maskenvergabe nun doch dem Haushaltsausschuss des Bundestages zugänglich zu machen – allerdings nur in geschwärzter Form und unter dem Siegel der Verschlusssache. Der Schritt kommt spät, aber nicht überraschend: Der politische Druck hatte in den vergangenen Wochen kontinuierlich zugenommen, zumal Oppositionspolitiker – allen voran aus den Reihen der Grünen und Linken – auf vollständige Offenlegung drängten. Der Bericht der Sonderermittlerin Margaretha Sudhof soll zentrale Fragen zur Transparenz, zu politischer Einflussnahme und zu mutmaßlich überteuerten Beschaffungsvorgängen in der Frühphase der Pandemie beantworten. Er betrifft damit nicht zuletzt den damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der sich mittlerweile in doppelter Weise brüskiert zeigt: Weder sei er über den Bericht informiert worden, noch habe man ihm Gelegenheit gegeben, zu kritischen Passagen Stellung zu beziehen. Dass er das Dokument nach eigenen Angaben selbst nicht kennt, während es im Bundestag kursiert, birgt politischen Zündstoff – nicht nur für den früheren Minister, sondern auch für Warken selbst, deren Umgang mit dem Bericht zwischen Pflicht zur Transparenz und rechtsstaatlicher Absicherung laviert.

In einem Interview mit der „Rheinischen Post“ verteidigte die Ministerin das Vorgehen mit Verweis auf datenschutzrechtliche Vorgaben und Betriebsgeheimnisse der beteiligten Firmen. „Ich würde den Bericht lieber heute als morgen komplett veröffentlichen, darf es aber schlicht nicht“, so Warken. Die Aussage wirkt wie eine Entlastungsformel, die zugleich juristische Rechtfertigung und politische Beschwichtigung sein will. Die Offenlegung „unter Schwärzung“ bedeutet de facto: Der Bericht bleibt nur einem eng begrenzten Adressatenkreis zugänglich, wichtige Details werden unkenntlich gemacht, die Öffentlichkeit muss sich mit selektiver Information zufriedengeben. Dass die Ministerin zugleich betont, „noch mehr Transparenz geht leider nicht“, unterstreicht, wie eng das gesetzliche Korsett geschnürt ist – oder zumindest wie eng es in ihrer Lesart interpretiert wird.

Die Vorgeschichte des Berichts ist dabei nicht weniger brisant als sein Inhalt: Medienberichten zufolge soll der damalige Minister Spahn eine Firma aus seiner westfälischen Heimat bei der Maskenlogistik bevorzugt haben. Der Verdacht: mangelnde Ausschreibung, bevorzugte Vergabe, politisches Netzwerk. Der Verdacht ist alt – doch ein offiziell eingeholter Bericht, der diese Vorwürfe bestätigt oder entkräftet, hätte erhebliche Bedeutung. Dass genau dieser Bericht über zwei Jahre unter Verschluss blieb, hat dem politischen Vertrauen schwer geschadet. Dass nun ausgerechnet Warken, Parteifreundin Spahns, über das Maß der Transparenz entscheiden muss, verschärft die Wahrnehmung parteipolitischer Selbstkontrolle – statt überparteilicher Aufklärung.

Die Situation wird dadurch zugespitzt, dass Warken selbst einräumt, das Bedürfnis nach vollständiger Aufklärung sei legitim. Doch der politische Drahtseilakt besteht darin, Offenlegung zu inszenieren, ohne rechtlich angreifbar zu werden. Die Ministerin verweist daher auf den Bundestag als Adressat des Berichts, nicht auf die Öffentlichkeit. Die Formulierung „das Papier wird dem Ausschusssekretariat zugeleitet“ ist dabei kein Zufall – sie deutet auf ein Verfahren hin, das zwischen Formalität und Signalpolitik pendelt. Das Ergebnis ist eine Veröffentlichung ohne Öffentlichkeit, ein Bericht ohne Lesbarkeit, eine Kontrolle ohne Kontrolleure.

Jens Spahn wiederum nimmt in diesem Vorgang eine paradoxe Rolle ein: Obwohl der Bericht offenbar zentrale Handlungen seiner Amtszeit behandelt, wurde er nach eigenen Angaben weder befragt noch involviert. Der Verzicht auf eine Stellungnahmemöglichkeit sei politisch und rechtlich fragwürdig – so die Argumentation nicht nur Spahns, sondern auch mehrerer Parlamentarier. In der Tat stellt sich die Frage, ob ein Untersuchungsbericht ohne Anhörung der betroffenen Hauptperson überhaupt als vollständig gelten kann. Dass Warken in ihrer jüngsten Stellungnahme nun einräumt, Spahns Einbindung wäre nachvollziehbar gewesen, wirkt wie ein verspätetes Eingeständnis politischer Unwucht.

Auch in der Bundestagsopposition gärt der Unmut: Grüne und Linke fordern eine vollständige Veröffentlichung – nicht nur für das Parlament, sondern auch für die Öffentlichkeit. Ihr Argument: Gerade bei der Verwendung öffentlicher Mittel in einer Gesundheitskrise müsse höchste Transparenz gelten. Die jetzige Lösung sei unzureichend, sie wirke wie ein Versuch, politischen Flurschaden zu begrenzen, statt ihn aufzuklären. Die Befürchtung: Der Bericht enthält nicht nur sensible Namen, sondern strukturelle Fehler. Und die könnten politische Verantwortung auf einer Ebene offenlegen, die über die damalige Ministerverantwortung hinausreicht – etwa in Richtung Kanzleramt, Ministerialbürokratie oder Koalitionsabstimmung.

Formal betrachtet bleibt das Dokument eine Verschlusssache. Materiell jedoch ist es längst ein Politikum ersten Ranges. Die kommenden Sitzungswochen werden zeigen, ob sich der Druck weiter erhöht – und ob es nicht doch noch zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung über den Charakter des Berichts kommt. Für Nina Warken jedenfalls beginnt mit der begrenzten Offenlegung keine Entlastung, sondern ein neuer Zyklus der Verantwortung: Jede Zeile, die geschwärzt bleibt, wird politisch interpretiert. Und jeder Vorwurf, der ohne Anhörung dokumentiert wurde, trifft sie nun mit – aus juristischer Vorsicht wird politische Brisanz.

 

Variable Vergütung braucht Zielklarheit, Teamführung braucht Vertrauen, Tarifspielraum braucht Struktur

Wie Bonusmodelle Apotheken modernisieren, Arbeitgeberattraktivität steigern und betriebswirtschaftliche Grenzen neu justieren

Variable Vergütungssysteme gelten in vielen Wirtschaftssektoren längst als bewährtes Mittel zur Leistungssteigerung, Mitarbeiterbindung und Motivation – doch im Apothekenwesen tun sich diese Modelle bislang schwer. Wer als Inhaber ein Bonusmodell einführt, sendet ein starkes Signal: Die Apotheke versteht sich nicht nur als Versorgungsinstanz, sondern als moderner, attraktiver Arbeitgeber mit klarem Leistungsverständnis. Gerade in einem von Routinen, Fachwissen und gesetzlich normierten Abläufen geprägten Berufsfeld wirkt eine solche Haltung progressiv – und kann ein entscheidender Baustein im vielbeschworenen Employer Branding sein.

Dass Leistungen gesehen und vergütet werden, ist im pharmazeutischen Berufsalltag keine Selbstverständlichkeit. Noch immer herrscht in vielen Betrieben ein traditionelles Entlohnungsmodell vor, das sich strikt an tariflichen Mindestwerten oder leicht darüber liegenden Pauschalen orientiert. Besonders in Westdeutschland, wo häufig übertariflich gezahlt wird, fällt es vielen Inhaberinnen und Inhabern schwer, zusätzlich variable Boni zu gewähren – nicht aus Prinzip, sondern aus betriebswirtschaftlicher Notwendigkeit. Die Personalkostenbelastung ist hoch, die Margen schrumpfen, der Leistungsdruck wächst. Gerade hier könnte das variable Gehalt jedoch zur strukturellen Lösung werden: Statt flächendeckend übertariflich zu zahlen, ließe sich ein Teil der Entlohnung gezielt an Zielvereinbarungen oder messbare Beiträge zur Teamleistung koppeln.

In der Praxis bedeutet das: Eine klar definierte Basisvergütung wird ergänzt durch einen variablen Anteil, der sich an Kriterien wie Umsatzentwicklung, Kundenservicequalität, Rezeptabrechnung, digitale Beratung oder Mitarbeit an pharmazeutischen Dienstleistungen orientiert. Wer diese Ziele erreicht, kann über das Bonussystem in Summe mehr verdienen als im klassischen Modell – aber auch nur dann. Ein Instrument, das nicht nur ökonomisch greift, sondern auch kulturell wirkt: Leistung wird nicht als Automatismus erwartet, sondern als Beitrag anerkannt. Gleichzeitig entsteht für die Inhaberseite die Möglichkeit, hohe Personalkosten differenzierter zu steuern und Personalentwicklung gezielter zu gestalten.

Voraussetzung für ein funktionierendes Bonusmodell ist jedoch Transparenz. Nur wenn Mitarbeitende die Kriterien nachvollziehen können, die zu einer Bonusauszahlung führen, entfaltet das System seine motivierende Wirkung. Ungenauigkeiten oder Unklarheiten hingegen führen zu Misstrauen und Frust. Zielvereinbarungen müssen deshalb gemeinsam entwickelt, regelmäßig überprüft und nachvollziehbar evaluiert werden. Auch die Führungskultur spielt eine zentrale Rolle: Wer auf variable Vergütung setzt, muss führen, kommunizieren und Feedback geben – sonst droht aus einem attraktiven Modell ein destruktives Missverständnis zu werden.

Wichtig ist auch die juristische Absicherung. Variable Gehaltsanteile dürfen nicht zur Umgehung tariflicher Mindestbedingungen missbraucht oder als reines Druckmittel eingesetzt werden. Als „freiwillige Sonderleistung“ kann der Bonus rechtlich zwar flexibel gestaltet werden, doch spätestens bei wiederholter Zahlung über mehrere Jahre hinweg entsteht ein Gewohnheitsanspruch, den das Arbeitsrecht schützt. Klare schriftliche Regelungen, etwa in Form einer Bonusvereinbarung oder Betriebsvereinbarung, sind deshalb unerlässlich – nicht zuletzt im Hinblick auf spätere Streitigkeiten oder Betriebsprüfungen.

Doch lohnt sich der Aufwand? Aus Perspektive der Personalgewinnung: ja. In einem Bewerbermarkt, der von Nachwuchsmangel, Fachkräftekonkurrenz und Standortunterschieden geprägt ist, kann das Bonusmodell ein entscheidender Differenzierungsfaktor sein. Nicht nur das Gehalt zählt, sondern die Perspektive: Wer zeigt, dass sich Engagement lohnt, wird nicht nur als Arbeitgeber geschätzt, sondern zieht auch Mitarbeitende an, die etwas bewegen wollen. Gerade junge Approbierte und PTA mit digitalem Mindset reagieren sensibel auf Anreizstrukturen – und erwarten zunehmend das, was in anderen Branchen längst Standard ist.

Gleichzeitig birgt das Modell auch kulturelle Risiken. In kleineren Teams können individuelle Bonussysteme zu Neid, Spannungen oder Missverständnissen führen. Wer entscheidet über Zielerreichung? Was geschieht bei Krankheit, Urlaub oder Mutterschutz? Und wie wird vermieden, dass reine Verkaufskennzahlen den Vorrang vor qualitativen Kriterien wie Beratung, Teamgeist oder Weiterbildung bekommen? Hier ist Fingerspitzengefühl gefragt – und die Bereitschaft, auch weiche Faktoren in die Zieldefinition einzubeziehen. Ein Mix aus quantitativen und qualitativen Zielen kann helfen, das Gleichgewicht zu wahren.

Schließlich bleibt die betriebswirtschaftliche Perspektive. Ein Bonusmodell kann Kosten reduzieren, wenn es anstelle pauschaler Gehaltserhöhungen tritt – es kann aber auch teuer werden, wenn es zu großzügig oder unkontrolliert ausgestaltet wird. Deshalb gilt: Planung schlägt Improvisation. Wer ein solches System einführt, sollte nicht nur Zielkataloge definieren, sondern auch Budgetgrenzen, Rücklagen für Bonuszahlungen und Szenarien für verschiedene Jahresverläufe berechnen. Ein Bonusmodell ist kein Selbstläufer – aber ein potentes Führungsinstrument, wenn es richtig eingesetzt wird.

Apothekenbetriebe, die sich für diesen Weg entscheiden, betreten kein Neuland – wohl aber ein Terrain, das bislang selten betreten wird. Die Kombination aus tariflicher Sicherheit und unternehmerischer Flexibilität mag anfangs widersprüchlich wirken, eröffnet aber eine Perspektive: für mehr Eigenverantwortung, Motivation und betriebliche Steuerbarkeit. In einer Zeit, in der viele Inhaber mit Überlastung, Fachkräftelücke und wirtschaftlichem Druck kämpfen, ist das variable Gehalt keine riskante Spielerei – sondern ein strategisches Werkzeug zur Zukunftssicherung.

 

Umsatz wird zur Existenzschwelle, Struktur schwankt am Limit, Apotheken verlieren das betriebliche Fundament

Wie 2,5 Millionen Euro zur neuen Untergrenze für Stabilität werden, welche ökonomische Dynamik Apotheken gefährlich nah an den Rand treibt und warum Kleinbetriebe im System keine Luft mehr bekommen

Der ökonomische Druck auf Vor-Ort-Apotheken hat längst jede Schwelle zur bloßen Herausforderung hinter sich gelassen – was bleibt, ist eine Frage des Überlebens. Inmitten eines Systems, das immer komplexer, unübersichtlicher und kostenintensiver wird, geraten insbesondere kleinere Apotheken unter die Räder. Eine neue betriebswirtschaftliche Analyse, die erstmals Theorie und empirische Umsatzdaten systematisch verknüpft, bringt die dramatische Wahrheit in eine Zahl: Mindestens 2,5 Millionen Euro Umsatz im Jahr sind notwendig, damit ein Apothekenbetrieb heute wirtschaftlich tragfähig aufgestellt ist. Alles darunter bedeutet: dauerhafte Unsicherheit, strukturelle Schwäche und das Risiko, bei der nächsten Marktverwerfung nicht mehr mithalten zu können. Die Studie zeigt nicht nur einen betriebswirtschaftlichen Grenzwert – sie legt offen, dass die Apothekenlandschaft längst in eine stille Erosion geraten ist, bei der zu viele Betriebe wirtschaftlich am Limit arbeiten, während das System die Auszehrung weiter beschleunigt.

Die Analyse stützt sich auf die realistische Betrachtung der Fixkostenentwicklung, die in Apotheken keine statische Größe mehr ist, sondern sich dynamisch verschärft: Tarifsteigerungen, Energiepreise, technische Infrastruktur, Softwarepflichten, regulatorische Updates, Dienstleistungsangebote mit Vorleistungspflicht – all das frisst Ressourcen, lange bevor auch nur ein Rezept bedient wurde. Ein rentabler Betrieb beginnt damit nicht bei der ersten verkauften Packung, sondern bei einem Rohertrag, der nach Abzug aller Kosten noch Raum für Investitionen, Rücklagen und ein angemessenes Unternehmerhonorar lässt. Und dieser Rohertrag ist realistisch nur mit einem Umsatzvolumen ab etwa 2,5 Millionen Euro zu erzielen – das ergibt sich nicht aus einer politisch gesetzten Größe, sondern aus der unbestechlichen Logik betrieblicher Deckungsbeiträge.

Gleichzeitig zeigt die Auswertung von Umsatzverteilungen im Markt eine beunruhigende Korrelation: Apotheken mit weniger als zwei Millionen Euro Umsatz haben eine deutlich erhöhte Schließungsquote, eine unterdurchschnittliche Investitionskraft und sind besonders anfällig für externe Schocks wie Lieferengpässe, Personalabgänge oder unvorhergesehene Kosten. In dieser Gruppe finden sich auch überproportional viele Apotheken ohne inhaberunabhängige Leitungsstrukturen, mit geringer technologischer Durchdringung und ohne Zugang zu Synergieeffekten aus Verbundmodellen. Kurzum: Die ökonomisch Schwächsten sind strukturell die Verwundbarsten – und dies in einem Umfeld, das keinerlei Rücksicht mehr auf Schwächen nimmt.

Dabei ist der Markt nicht nur ungerecht verteilt, sondern auch betriebswirtschaftlich verformt. Wer es heute schafft, eine Apotheke auf über 2,5 Millionen Euro Jahresumsatz zu skalieren, profitiert nicht nur von besseren Einkaufskonditionen, sondern kann auch Beratung, Dienstleistungen und technische Systeme effizienter einsetzen. Die Skalenvorteile sind real – und sie wachsen exponentiell mit jeder weiteren Umsatzstufe. Gleichzeitig bleiben kleinere Apotheken im zermürbenden Mittelmaß gefangen: zu groß, um einfach aufzugeben, zu klein, um nachhaltige Gewinne zu erzielen. Viele halten sich mit Improvisation, übermenschlichem Einsatz oder betriebsfremden Einkünften über Wasser – doch all das ersetzt kein tragfähiges Geschäftsmodell.

Die betriebliche Realität steht damit in scharfem Kontrast zu politischen Lippenbekenntnissen, die seit Jahren von „Versorgungsvielfalt“, „ortsnaher Präsenz“ und „kleinen Einheiten mit großem Vertrauen“ sprechen. Die wirtschaftliche Basis dieser Apotheken erodiert jedoch unaufhaltsam – und mit ihr verschwindet auch die Möglichkeit, echte Zukunftssicherheit herzustellen. Wer unterhalb der Umsatzmarke bleibt, kann weder in moderne Dienstleistungsangebote investieren noch wettbewerbsfähig bleiben. Die Anforderungen steigen, doch die Mittel fehlen – ein betriebswirtschaftliches Paradox, das in vielen Apotheken zum täglichen Normalzustand geworden ist.

Diese Entwicklung ist nicht zufällig, sondern systemisch erzeugt. Die Kombination aus gedeckeltem Fixum, wachsender Dienstleistungsverpflichtung und nicht kompensierten Zusatzbelastungen treibt einen Keil zwischen Anspruch und Machbarkeit. Der wirtschaftliche Tod der Kleinapotheke ist kein Schicksal – er ist Folge einer Politik, die strukturelle Unterfinanzierung durch Einzelmaßnahmen kaschiert. Auch die angekündigte Apothekenreform, so unkonkret sie bleibt, geht an diesem Punkt vorbei: Eine Honoraranpassung im Promillebereich reicht nicht aus, um den strukturellen Druck zu mildern. Was fehlt, ist ein klares ökonomisches Bekenntnis zur notwendigen Betriebsgröße – und eine Förderpolitik, die genau hier ansetzt.

Denn es gibt Alternativen – aber sie sind unbequem. Kooperationsmodelle, Filialverbünde, spezialisierte Versorgungseinheiten oder Gesundheitszentren mit Apothekenbeteiligung könnten ökonomisch tragfähiger sein als der Versuch, jede einzelne Apotheke isoliert am Leben zu halten. Die Politik muss sich entscheiden, ob sie wirtschaftliche Realität anerkennen oder weiter an der Illusion einer universalen Einzelstruktur festhalten will. Auch die Apotheken selbst stehen vor einer strategischen Weichenstellung: Wachstum durch Leistung, Vernetzung oder Differenzierung – oder freiwilliger Rückzug aus einem System, das kein ökonomisches Rückgrat mehr bietet.

Wer heute eine Apotheke unterhalb der Umsatzmarke von 2,5 Millionen Euro betreibt, ist nicht automatisch schlecht aufgestellt – aber hochgradig gefährdet. Jeder zusätzliche Euro Umsatz bedeutet ein Stück mehr Stabilität, ein wenig mehr Zukunft und etwas mehr Bewegungsfreiheit. Es geht längst nicht mehr um betriebswirtschaftliche Optimierung, sondern um das ökonomische Existenzrecht im System. Und das hat jetzt eine feste Zahl: 2.500.000.

 

Kapitalreserven sichern, Apothekenrückbindung festigen, Beteiligungsmodelle differenzieren

Wie die Versorgungswerke 2024 ihre Risikopositionen neu ordnen, systemische Stabilität durch Eigenmittelausbau sichern und Apotheken als Strukturanker im Versorgungssystem strategisch verankern

Die Versorgungswerke der Apothekerschaft stehen vor einer Neuausrichtung, die nicht durch ein einzelnes Ereignis ausgelöst wurde, sondern durch eine kumulierte Entwicklung: wirtschaftliche Turbulenzen, regulatorische Neuordnungen und gesellschaftliche Erwartungen zwingen diese Systeme dazu, sich nicht nur finanziell resilient, sondern auch strukturell responsiv aufzustellen. Bei der diesjährigen Frühjahrskonferenz in Bremen, organisiert vom Versorgungswerk Westfalen-Lippe, wurde diese strategische Wende greifbar. Nicht die Rückschau prägte die Tagesordnung, sondern die Frage, wie Versorgungseinrichtungen unter Bedingungen störungsanfälliger Kapitalmärkte, wachsender Sozialbelastung und erodierender Apothekenlandschaft zukunftsfest gehalten werden können.

Die wirtschaftliche Bewertung für das Jahr 2024 fiel dabei stabil aus: Die meisten Versorgungswerke konnten ihr Vermögen nicht nur konsolidieren, sondern über gezielte Dynamisierungselemente punktuell aufwerten. Die Aufstockung von Verlustrücklagen und Zinsschwankungsreserven bildete ein zentrales Element dieser Sicherungspolitik – nicht aus Angst vor Verwerfungen, sondern aus Verantwortung gegenüber einem Leistungsversprechen, das nicht durch politische Instabilität unterlaufen werden darf. Doch der eigentliche Fokus lag nicht auf der Bestätigung des Erreichten, sondern auf dem Umbau des Systems. Investitionspolitisch gerieten Beteiligungsmodelle wie Private Equity in den Mittelpunkt – nicht aus modischer Opportunität, sondern als strategische Antwort auf stagnierende Zinsrenditen, zunehmende ESG-Regulatorik und die Notwendigkeit, renditeschwache Klassiker wie Anleihen durch strukturell stabilere Alternativen zu ergänzen.

Der Fachimpuls von Ulrike Hinrichs, Vorstandssprecherin des Bundesverbands Beteiligungskapital, lenkte den Blick auf kontrollierbare Beteiligungsstrukturen, die nicht kurzfristige Maximalrenditen versprechen, sondern langfristige Stabilität in wirtschaftlich tragenden Branchen erzeugen. Für Versorgungswerke mit regulatorisch verankerter Langfristperspektive sind solche Engagements keine Risikoausweitung, sondern Risikosteuerung – sofern sie auf fundierter Governance, belastbaren Partnerschaften und verlässlicher Kommunikation beruhen.

Gleichzeitig wurde die Fragilität der Apothekenbasis zum systemischen Risikofaktor erklärt. Denn die Finanzarchitektur der Versorgungswerke beruht nicht nur auf Anlagerenditen, sondern auf einer stabilen Beitragsbasis. Wenn Apotheken schließen, Selbstständigkeit schwindet und Niederlassungen scheitern, erodiert nicht nur das Betriebsmodell, sondern auch die finanzielle Plattform der Versorgungseinrichtungen. In Bremen wurde deutlich gemacht: Wer Versorgung erhalten will, muss Apotheken stützen. Die Versorgungswerke selbst sind darauf nicht direkt angewiesen – aber mittelbar vollständig davon abhängig.

Für Apothekeninhaberinnen und -inhaber folgt daraus eine erweiterte Verantwortung: Sie sind nicht nur Beitragende, sondern integrale Elemente der strukturellen Leistungsfähigkeit. Ihre Führungsentscheidungen – etwa ob Altersvorsorgeangebote zur Mitarbeiterbindung eingesetzt werden, ob wirtschaftliche Resilienz in Nachfolgeplanungen einfließt oder ob digitale Steuerungssysteme eingeführt werden – wirken sich unmittelbar auf die Finanzstabilität des Versorgungskollektivs aus. Wer seine Apotheke ökonomisch sicher führt, schützt nicht nur sich selbst, sondern stützt ein System, das auf Kontinuität, nicht auf kurzfristigen Erfolg angewiesen ist.

Die Konferenz ließ auch keinen Zweifel daran: Kommunikation ist kein Nebenprodukt mehr. Die Versorgungswerke professionalisieren ihre Beratungsarchitektur, digitalisieren den Mitgliederdialog, stärken die Transparenz bei Kapitalentscheidungen und bauen Schnittstellen zu Kammern, Verbänden und Arbeitgeberstrukturen gezielt aus. Die neue strategische Linie lautet: wirtschaftliche Führung und Versorgungssicherheit dürfen nicht länger getrennt betrachtet werden. Wer Beiträge zahlt, soll verstehen, wie Versorgung entsteht – und wie sie gefährdet wird.

In diesem Zusammenhang werden auch neue Prioritäten in der politischen Kommunikation gesetzt. Die Versorgungswerke formulieren zunehmend klar, was sie leisten – aber auch, was sie benötigen. Rechtssicherheit bei Investitionen, kalkulierbare Rahmenbedingungen bei Mindestlohnentwicklungen und Planungssicherheit bei ESG-Anforderungen sind keine Sonderwünsche, sondern systemische Notwendigkeiten. Die professionelle Altersvorsorge einer Berufsgruppe hängt davon ab, ob Politik bereit ist, Stabilität nicht nur als Ziel, sondern als Aufgabe zu begreifen.

Bremen war kein Wendepunkt – aber ein Positionslicht. Es wurde nicht laut getagt, sondern gezielt. Die Versorgungswerke sehen sich nicht mehr nur als verlässlicher Auszahler, sondern als steuernde Akteure im Gesundheitswesen. Sie handeln strategisch, investieren verantwortungsvoll und fordern berechtigt. Für die Apothekenlandschaft bedeutet das: Wer sich selbst als Teil des Versorgungssystems versteht, wird von diesem System getragen. Wer sich entkoppelt, riskiert, dass es brüchig wird.

 

Ungleich getroffen, schlecht geschützt, politisch vernachlässigt

Wie soziale Benachteiligung das Covid-Risiko erhöhte, der Öffentliche Gesundheitsdienst überfordert blieb und neue Präventionswege gefordert sind

Die soziale Spaltung im Gesundheitsrisiko während der Corona-Pandemie war deutlich ausgeprägter als bislang angenommen – das zeigt eine neue großangelegte Studie des Robert Koch-Instituts (RKI), die die sozioökonomische Dimension der Pandemie erstmals systematisch mit Infektions- und Sterbedaten aus allen 401 deutschen Landkreisen verknüpft. Das Ergebnis ist ebenso eindeutig wie alarmierend: Wer ärmer war, wer in risikobehafteten Berufen arbeitete oder in beengten Wohnverhältnissen lebte, trug ein deutlich höheres Risiko, an Covid-19 zu erkranken oder zu sterben. Die Forschenden schlagen daher einen Paradigmenwechsel in der Vorbereitung auf künftige Gesundheitskrisen vor – mit mehr sozial differenzierten Schutzmaßnahmen, verbesserten Datengrundlagen und einer strukturellen Aufwertung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes.

Im Zentrum der Auswertung stand der sogenannte German Index of Socioeconomic Deprivation (GISD), der bundesweit soziale Benachteiligung auf Landkreisebene erfasst. Während sich das Virus zu Beginn der Pandemie über internationale Geschäftsreisen in wirtschaftsstarke Regionen ausbreitete, waren ab Herbst 2020 die ärmeren Gegenden überproportional betroffen. Dort lag die Sterblichkeit laut RKI bis zu 50 Prozent höher als in reicheren Regionen. Dieser Befund steht exemplarisch für das, was die Autorinnen und Autoren als „soziale Pandemieasymmetrie“ beschreiben – eine systematische Benachteiligung, die nicht zufällig, sondern strukturell bedingt war. Besonders betroffen waren Berufsgruppen mit wenig Homeoffice-Möglichkeit, geringem Einkommen und hohem Kontaktaufkommen: Reinigungspersonal, Logistikmitarbeitende und Pflegekräfte. Letztere hatten während der ersten beiden Wellen ein doppelt so hohes Infektionsrisiko wie die Gesamtbevölkerung – trotz ihrer systemrelevanten Rolle und trotz massiver Arbeitsbelastung.

Parallel dazu profitierten andere Bevölkerungsgruppen von ihrer besseren Ausgangsposition: Wer in gut isolierten Wohnungen lebte, Homeoffice machen konnte und über ausreichende Gesundheitskompetenz verfügte, hatte deutlich bessere Chancen, unbeschadet durch die Krise zu kommen. Auch regional setzte sich dieses Muster fort: Gegenden mit hoher Industriedichte und geringem Dienstleistungsanteil zeigten deutlich höhere Infektionsraten als wirtschaftlich diversifizierte Regionen. Das ist kein rein deutsches Phänomen – internationale Studien bestätigen die soziale Polarisierung pandemischer Krankheitsverläufe. Dennoch fehle es laut RKI an politischer Konsequenz: Soziale Determinanten des Gesundheitsschutzes würden bislang in Notfallplänen kaum berücksichtigt.

Die Studienautoren fordern deshalb eine radikale Kurskorrektur – sowohl auf der operativen als auch auf der strukturellen Ebene. Erstens müsse die Datenverfügbarkeit verbessert werden. Gerade die Analyse von Routinedaten der Krankenkassen hätte in Echtzeit auf soziale Ungleichheiten im Infektionsgeschehen hinweisen können, wurde aber pandemiebedingt nur verzögert herangezogen. Zweitens brauche es spezifische Präventionsangebote, die die Lebenswirklichkeit besonders verletzlicher Gruppen berücksichtigen – darunter gezielte, mehrsprachige Impf- und Testangebote für Menschen mit Migrationshintergrund oder mobile Maßnahmen in prekären Wohnverhältnissen.

Drittens plädiert das RKI für eine funktionale und personelle Aufwertung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes. Der ÖGD sei prädestiniert für lokal angepasste, niedrigschwellige Angebote, verfüge aber derzeit weder über ausreichend Ressourcen noch über genügend politisches Gewicht. Die Forscherinnen und Forscher fordern, dass gesundheitliche Chancengleichheit explizit als Ziel der Pandemievorbereitung und Krisenbewältigung anerkannt wird. Nur so lasse sich eine resilientere Gesundheitsinfrastruktur aufbauen, die auch unter Druck gerechter und effektiver funktioniert.

Zugleich geht es laut RKI nicht nur um die Lehren aus der Covid-19-Pandemie. Die bestehende gesundheitliche Ungleichheit betrifft das gesamte System – von Vorsorge bis Versorgung, von Ernährung über Bildung bis zur Umweltbelastung. Wer arm ist, stirbt früher – und lebt kränker. Deshalb müsse soziale Gerechtigkeit zu einem festen Bestandteil jeder gesundheitspolitischen Planung werden. Die Corona-Pandemie hat mit dramatischer Deutlichkeit offengelegt, was die Statistik schon lange zeigt: Gesundheit ist keine individuelle Leistung, sondern ein soziales Gut – und damit auch eine gesellschaftliche Verpflichtung.

 

GLP1-Wirkstoffe stabilisieren die Psyche, modulieren das Essverhalten, stärken das Wohlbefinden

Warum Semaglutid & Co keine psychiatrischen Nebenwirkungen erhöhen, wie sich neurobiologische Prozesse auf Lebensqualität auswirken und was für künftige Therapieansätze entscheidend wird

Der zunehmende Einsatz von GLP1-Rezeptoragonisten wie Semaglutid oder Tirzepatid bei Adipositas und Typ-2-Diabetes hat nicht nur die therapeutischen Möglichkeiten der Stoffwechselmedizin verändert, sondern rückt zunehmend auch psychische Begleitphänomene in den Fokus der Forschung. Eine neue systematische Metaanalyse mit mehr als 107.000 Patientinnen und Patienten liefert nun robuste Hinweise darauf, dass diese Substanzklasse keine Zunahme psychiatrischer Nebenwirkungen verursacht – zugleich jedoch das Essverhalten sowie die gesundheitsbezogene Lebensqualität messbar verbessert. Damit gewinnt ein bisher wenig beachteter Wirkungsbereich an Relevanz: der neuropsychiatrische Einfluss von GLP1-RAs, möglicherweise vermittelt über zentrale Botenstoffsysteme, das Belohnungszentrum oder neuroplastische Prozesse im Gehirn.

Im Zentrum der Untersuchung, die von der University of Edinburgh gemeinsam mit dem King’s College London durchgeführt und in Jama Psychiatry publiziert wurde, stand die Frage, ob GLP1-Analoga, die ursprünglich zur Blutzuckerregulation und Gewichtsreduktion entwickelt wurden, mit vermehrten psychischen Nebenwirkungen wie Suizidalität, Schlafstörungen oder depressiven Symptomen einhergehen. Zudem sollte geklärt werden, inwieweit kognitive Funktionen, Essverhalten und mentale Lebensqualität unter dem Einfluss dieser Medikamente verändert werden.

Die Analyse basiert auf 80 randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Studien mit einer durchschnittlichen Interventionsdauer von 28 Wochen. Eingeschlossen waren Erwachsene mit Adipositas und/oder Typ-2-Diabetes, wobei viele Studien Personen mit bereits bestehenden psychischen Erkrankungen ausschlossen – ein methodischer Umstand, der die Generalisierbarkeit auf psychiatrische Risikogruppen limitiert, aber die Aussagekraft zur Sicherheit im allgemeinen Patientenkollektiv stärkt.

Das Ergebnis: Es zeigten sich keinerlei Hinweise auf eine Zunahme psychiatrischer Nebenwirkungen. Weder Suizidalität noch depressive Verstimmungen, Angststörungen oder kognitive Einschränkungen traten unter GLP1-RAs häufiger auf als unter Placebo. Hinsichtlich kognitiver Leistungen war die Datenlage allerdings nicht stark genug, um eine vollständige metaanalytische Auswertung vorzunehmen. Deutlicher wurden dagegen die positiven Effekte: Bei zahlreichen Teilnehmenden verbesserten sich sowohl das restriktive als auch das emotionale Essverhalten, ein bekanntes Korrelat bei Essstörungen und Adipositasassoziierten Lebensstilverhaltensmustern. Auch die allgemeine gesundheitsbezogene Lebensqualität nahm zu – physisch wie mental.

Diese Verbesserungen traten unabhängig vom Ausmaß der Gewichtsabnahme oder metabolischen Parametern wie dem HbA1c-Wert auf. Das legt nahe, dass nicht allein die körperliche Transformation, sondern möglicherweise spezifische zentrale Effekte auf das neurobiologische Gleichgewicht eine Rolle spielen. Diskutiert werden in der Fachwelt insbesondere eine Modulation des dopaminergen Belohnungssystems, serotonerge Effekte oder die vermehrte Ausschüttung von BDNF (Brain-Derived Neurotrophic Factor) – einem Protein, das für neuronale Plastizität, Stimmungslage und kognitive Anpassung bedeutsam ist.

Die Autorinnen und Autoren weisen jedoch darauf hin, dass sich aus der aktuellen Evidenz keine Aussagen über Wirkung oder Sicherheit in klar psychiatrisch vorerkrankten Gruppen ableiten lassen. Vielmehr bedürfen künftige Studien einer gezielten Untersuchung potenzieller Indikationen im neuropsychiatrischen Bereich – etwa bei Essstörungen wie Binge-Eating oder komorbiden Depressionen, die bei Adipositas-Patient:innen besonders häufig auftreten.

Von klinischer Relevanz ist dabei nicht nur die psychische Sicherheit, sondern auch die Möglichkeit, durch GLP1-RAs psychische Belastungen sekundär zu mildern – etwa durch die Reduktion von Scham, Esskontrollverlust oder sozialer Stigmatisierung. Dies eröffnet neue Diskussionen um den Einsatzbereich dieser Wirkstoffe, auch jenseits klassischer Stoffwechselindikationen.

Die Studienverantwortlichen rufen daher zu einem Perspektivwechsel auf: Statt GLP1-RAs nur unter kardiometabolischem Blickwinkel zu bewerten, sollten auch deren neuropsychologische Potenziale weiter erforscht und berücksichtigt werden. Dies betrifft nicht nur die Pharmakodynamik, sondern auch Aspekte der Versorgungsforschung, etwa im Hinblick auf den psychischen Gesundheitsstatus von Patienten in der Langzeitbehandlung oder die Gestaltung ganzheitlicher Therapieangebote.

Im regulatorischen Kontext könnten diese Erkenntnisse auch für die Bewertung von Sicherheitsprofilen bedeutsam werden – gerade angesichts vereinzelter Warnmeldungen über potenziell depressive Symptome im Zusammenhang mit GLP1-Therapien. Die neue Metaanalyse kontert solche Vermutungen mit einer breiten, methodisch validen Datenbasis und liefert erstmals robuste Argumente für die psychische Verträglichkeit dieser Substanzklasse.

Insgesamt ergibt sich ein differenziertes Bild: GLP1-Rezeptoragonisten sind aus metabolischer Sicht etabliert und aus psychiatrischer Sicht bislang unauffällig. Gleichzeitig zeigen sich systematisch positive Effekte auf das Essverhalten und die Lebensqualität, die über reine Stoffwechseleffekte hinausgehen könnten. Damit rücken sie auch für interdisziplinäre Therapieansätze stärker in den Fokus – etwa in der Schnittstelle zwischen Endokrinologie, Psychiatrie und Ernährungsmedizin. Die künftige Forschung wird zeigen müssen, ob und wie diese Potenziale therapeutisch erschlossen werden können.

 

Persönliche Nähe wirkt stärker, Apothekenberatung wird geschätzt, Internet verliert Vertrauen

Gesundheitsinformationen bei Demenz: Warum der Mensch entscheidender ist als die Maschine, wie Apotheken zu vertrauenswürdigen Anlaufstellen werden und was Angehörige brauchen

In einer zunehmend digitalisierten Informationslandschaft zeigt sich ein überraschend klares Bild: Für Menschen mit kognitiven Einschränkungen wie milder Demenz oder beginnendem Gedächtnisverlust bleibt der persönliche Kontakt zu Familie, Ärzten – und auch Apotheken – die wichtigste Quelle für vertrauenswürdige Gesundheitsinformationen. Das zeigt eine aktuelle Erhebung des Digitalen Demenzregisters Bayern (digiDEM Bayern), in der 924 Betroffene im Alter von 54 bis 102 Jahren befragt wurden. Die Ergebnisse belegen nicht nur die hohe Relevanz menschlicher Nähe in der Gesundheitskommunikation, sondern rücken auch die Rolle der öffentlichen Apotheke als Informationspartner deutlich ins Licht.

Rund 40 Prozent der Befragten stuften Apotheken als „wichtig“ oder „sehr wichtig“ ein, wenn es darum geht, sich über Gesundheit und Demenz zu informieren. Weitere 20 Prozent hielten sie für „teilweise wichtig“. Das ist bemerkenswert, da Apotheken nicht primär als Informationsinstitutionen wahrgenommen werden, sondern meist als Versorgungsort für Arzneimittel. Der Vertrauensvorsprung liegt dabei in der kontinuierlichen, ortsnahen und niedrigschwelligen Präsenz – kombiniert mit dem Wissen, dass man dort regelmäßig auf bekannte Gesichter trifft. Gerade diese wiederkehrende persönliche Ansprache sei laut Studienautor Florian Weidinger entscheidend für die Wahrnehmung von Glaubwürdigkeit, insbesondere bei Menschen mit nachlassender Kognition.

Am höchsten bewerteten die Befragten jedoch die Informationsgespräche mit ihren Ärztinnen und Ärzten sowie den Austausch mit Familienmitgliedern und engen Freunden. Es ist ein klares Indiz für die Stärke emotionaler Bindung in der Verarbeitung und Bewertung von Gesundheitsinformationen. Weniger Gewicht hatten dagegen abstraktere Formate wie Vorträge, Schulungen oder Broschüren, und besonders kritisch beurteilten viele das Internet. Trotz der potenziellen Informationsfülle wurde es aufgrund fehlender Einordnung und unklarer Herkunft vielfach als „nicht vertrauenswürdig“ oder „überfordernd“ eingeschätzt. Hier zeigt sich: Nicht der Zugriff auf Information ist entscheidend, sondern deren Verstehbarkeit, Zugänglichkeit und emotionale Sicherheit.

Die Bedeutung von Apotheken als vertrauensbildende Brückeninstanzen wächst damit weiter – auch jenseits der klassischen Medikamentenabgabe. Denn Apothekerinnen und Apotheker sind für viele Menschen mit beginnender Demenz nicht nur medizinisch geschult, sondern auch in einer einzigartigen Position: Sie erleben die Betroffenen regelmäßig, können Veränderungen wahrnehmen, Auffälligkeiten im Gespräch oder Verhalten erkennen und im besten Fall – diskret und empathisch – Angehörige mit einbeziehen. Dieser kontinuierliche, sensible Kontakt ermöglicht eine Art Frühwarnsystem, das die hausärztliche Betreuung sinnvoll ergänzen kann.

Hinzu kommt: Frauen bewerteten sowohl Apotheken als auch das Internet signifikant positiver als Männer. Das könnte auf ein geschlechterabhängiges Informationsverhalten hinweisen, bei dem Frauen aktiver nach Gesundheitswissen suchen und niedrigschwellige Orte der Beratung bewusster aufsuchen. Auch das Ausmaß der kognitiven Einschränkung beeinflusste die Gewichtung der Quellen: Menschen mit leichter Beeinträchtigung nutzten eine breitere Palette an Informationskanälen, während Menschen mit fortgeschrittener Demenz sich stärker auf vertraute Bezugspersonen und lineare Medien wie Fernsehen und Radio konzentrierten.

Für Apotheken ergibt sich daraus ein klarer Handlungsauftrag – und eine Chance: Wenn sie gezielt Mitarbeitende für den Umgang mit demenziell veränderten Menschen sensibilisieren, klare interne Abläufe für diskrete Beratung etablieren und vor allem auch Angehörige systematisch ansprechen, können sie ihre Rolle als Gesundheitslotse deutlich ausbauen. Es geht nicht darum, medizinische Diagnosen zu stellen oder therapeutische Bewertungen vorzunehmen – sondern darum, Sicherheit zu vermitteln, Alltagswissen bereitzustellen und frühzeitig Fragen aufzufangen, die in der Arztpraxis nicht immer zur Sprache kommen.

Dabei sollten Apotheken auch stärker mit lokalen Netzwerken kooperieren – etwa mit Selbsthilfegruppen, Pflegeberatungsstellen oder regionalen Demenzdiensten –, um als Vermittlungsinstanz zu fungieren. Viele Angehörige stehen anfangs hilflos da, wenn erste Veränderungen auftreten. Ein gut informierter, empathisch reagierender Apotheker oder eine geschulte PTA kann in dieser Phase entscheidende Impulse setzen. Auch kurze Schulungsvideos für das Team, Hinweise auf verständliche Materialien oder die Gestaltung eines kleinen Infobereichs in der Offizin können dazu beitragen, Unsicherheiten abzubauen und Vertrauen zu stärken.

Der Bedarf ist da – die Daten aus Bayern zeigen dies mit aller Deutlichkeit. Doch um das Potenzial wirklich zu heben, braucht es neben Engagement auch strukturelle Verankerung. Denkbar wäre etwa, in pharmazeutischen Weiterbildungen den Fokus auf Kommunikation mit kognitiv eingeschränkten Menschen stärker zu gewichten. Auch die Förderung von pharmazeutischen Dienstleistungen mit Beratungscharakter – etwa zur Arzneimittelanpassung bei Demenz – würde dem Bedarf der Zielgruppe gerecht.

Letztlich zeigt die Studie vor allem eines: Die Digitalisierung mag viele Wege zur Information eröffnet haben, doch für Menschen mit Demenz bleibt der direkte Draht zum Menschen unschlagbar. Apotheken, die das verstehen, sich darauf einlassen und ihre Rolle aktiv gestalten, können nicht nur helfen, sondern auch ihre gesellschaftliche Relevanz unter Beweis stellen. Vertrauen wächst nicht durch Technik – sondern durch Beziehung.

 

Trickreich mit Schnabel, ausdauernd in der Warteschlange, lernfähig durch Zuschauen

Wie Sydneys Kakadus das Zapfen am Trinkbrunnen perfektionieren, warum urbane Papageien soziale Regeln kennen und welche Spuren sie dabei hinterlassen

In den Vororten von Sydney spielt sich derzeit ein Schauspiel ab, das zoologisch fasziniert, städtisch amüsiert und verhaltensbiologisch erstaunt. An öffentlichen Trinkbrunnen im Westen der australischen Metropole reihen sich nicht mehr nur durstige Menschen – auch Gelbhauben-Kakadus, bekannt für ihre Intelligenz und sozialen Fähigkeiten, zapfen sich ihr Wasser in Eigenregie. Was zunächst wie ein drolliger Schnappschuss wirkt, entpuppt sich bei genauer Betrachtung als verblüffendes Beispiel für adaptives Lernen, Werkzeuggebrauch und soziale Dynamik im urbanen Tierverhalten.

Das auffällige Verhalten der schneeweißen Papageien mit leuchtend zitronengelbem Kopfschmuck wurde von einem australisch-deutschen Forschungsteam systematisch untersucht. Insgesamt 14 Stunden Videomaterial aus dem Westen Sydneys, kombiniert mit 525 dokumentierten Trinkaktionen, zeichnen das Bild einer Tierart, die sich nicht nur an menschliche Infrastruktur anpasst, sondern diese aktiv in ihr Repertoire integriert – und dabei sogar individuelles Können und soziale Strategien zeigt. Die Kakadus lernen, wie man einen Trinkbrunnen bedient – mit dem Schnabel, mit den Füßen, und, wie sich zeigt, mit dem Blick auf Artgenossen.

Das Prinzip ist dabei alles andere als simpel: Ein Kakadu platziert sich gezielt auf dem Wasserspender, setzt einen oder beide Füße auf den runden Drehgriff, balanciert sein Körpergewicht so aus, dass der Hebel im Uhrzeigersinn in Bewegung gerät, und hält gleichzeitig mit dem Schnabel den Griff in Position. Jeder der beobachteten Vögel hatte eine leicht andere Technik – mal mit mehr Körpereinsatz, mal mit präziserem Schnabeleinsatz. Die Forscherinnen und Forscher sprechen von kulturellem Lernen: Wer zuschaut, kann imitieren, weiterentwickeln, verbessern.

Dabei ist der Weg zur Erfrischung nicht immer frei. Der urbane Trinkbrunnen ist nicht nur eine Wasserquelle, sondern ein sozialer Hotspot mit eigenen Regeln. Vor dem Zapfen kommt das Rangeln. Oft dauert es eine ganze Weile, bis sich die Kakadus darüber einig sind, wer als Erster ans Rad darf. Laut Studie endet weniger als die Hälfte aller Zapfversuche erfolgreich – nicht nur, weil die Technik komplex ist, sondern auch, weil soziale Konflikte den Zugang blockieren. Wer dominiert, wer weicht zurück, wer darf den Schnabel zuerst ins kühle Nass halten – das sind Fragen, die im Schwarm nicht durch Zufall geklärt werden.

Das Verhalten zeigt zudem eine neue Qualität städtischer Tieranpassung. Gelbhauben-Kakadus leben längst nicht mehr nur in natürlichen Habitaten. Sie haben die Vorzüge urbaner Landschaften erkannt: weniger Fressfeinde, mehr Nistmöglichkeiten – und eben auch Wasser, das nicht vom Himmel fallen muss. Ihre Neugier und Hartnäckigkeit machen sie zu idealen Kulturfolgern, ähnlich wie Raben oder Krähen. Während viele Vögel auf Regen oder Pfützen angewiesen bleiben, suchen Kakadus gezielt Trinkbrunnen auf, deren Bedienmechanismus sie aktiv entschlüsselt haben.

Dabei hinterlassen sie sichtbare Spuren. Der städtische Wasserspender wird zur Werkbank – und zum Tatort. Die Gummihalterungen der Auslassventile tragen nach intensiver Kakadu-Nutzung feine Bissspuren. Die Vögel dokumentieren ihren Durst nicht nur mit feuchten Federn, sondern mit ihren Schnäbeln. Selbst wenn sie nicht gefilmt würden, wäre ihre Präsenz erkennbar. Und das ist auch gut so, denn die Stadtverwaltung wird künftig nicht nur für Menschen planen müssen, wenn es um öffentliche Wasserversorgung in Hitzeperioden geht.

Denn Hitzeschutz ist in Australien keine rhetorische Floskel, sondern ein Überlebensfaktor – auch für Wildtiere. Temperaturen von über 40 Grad sind im Sommer keine Ausnahme. Für die Kakadus bedeutet das: Wer frühzeitig lernt, wie man sich Zugang zu Wasser verschafft, erhöht seine Überlebenswahrscheinlichkeit. Was in Sydney beginnt, könnte in anderen Regionen Nachahmer finden – tierischerseits wie planerisch. Trinkbrunnen mit tiergerechter Gestaltung, separate Zapfmöglichkeiten für Wildtiere oder verstärkte Materialprüfung gegen Schnabelattacken – all das sind Fragen, die künftig zum urbanen Raumkonzept gehören könnten.

Dabei wird deutlich: Kakadus sind nicht nur verspielte Vögel mit Showtalent. Sie sind soziale Lerner, kreative Problemlöser – und stille Kommentatoren unserer Stadtplanung. Ihre Fähigkeit, menschliche Technik zweckzuentfremden, erinnert an andere tierische Erfolgsgeschichten im urbanen Raum. Sie reiht sich ein in eine globale Liste von Verhaltensinnovationen, die zeigen, wie eng tierisches Lernen, kulturelle Weitergabe und urbane Anpassung verwoben sind. Und wie viel Potenzial in scheinbar kleinen Beobachtungen steckt, wenn man sie systematisch analysiert.

Dass dabei nicht jede Aktion glückt, ist Teil der Geschichte. Die Erfolgsquote liegt laut Studie bei 41 Prozent. Aber das reicht: Lernen braucht Wiederholung, Kultur braucht Nachahmung, Überleben braucht Ideen. Und manchmal beginnt all das mit einem durstigen Schnabel an einem Drehgriff mitten in Sydney.

Von Engin Günder, Fachjournalist

 

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