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  • 20.05.2025 – Apotheken-Nachrichten von heute: Digitale Allianzen fördern Versorgung, Apotheken übernehmen Lotsenfunktion, Netzwerkvision fordert Branchenstrategie
    20.05.2025 – Apotheken-Nachrichten von heute: Digitale Allianzen fördern Versorgung, Apotheken übernehmen Lotsenfunktion, Netzwerkvision fordert Branchenstrategie
    APOTHEKE | Medienspiegel & Presse | Wie das Projekt X-Creation Apotheken digital vernetzt, Warken neue Finanzstrukturen fordert, die Pandemie politisch aufgearbeitet wird und...

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ApoRisk® Nachrichten - APOTHEKE:


APOTHEKE | Medienspiegel & Presse |

Apotheken-Nachrichten von heute: Digitale Allianzen fördern Versorgung, Apotheken übernehmen Lotsenfunktion, Netzwerkvision fordert Branchenstrategie

 

Wie das Projekt X-Creation ein gemeinsames System für alle Apotheken entwirft, Kriesten digitale Führungsverantwortung reklamiert und die Patientenorientierung neu definiert wird

Mit der Vorstellung eines gemeinsamen digitalen Netzwerks für Apotheken hat Marc Kriesten beim Telekom-Format X-Creation ein strategisches Führungsmodell formuliert, das Apotheken nicht nur vernetzt, sondern als systemisch relevante Lotsen im Gesundheitswesen neu positioniert, während gleichzeitig auf bundespolitischer Ebene Gesundheitsministerin Nina Warken mit Verweis auf Finanzierungslücken und Pflegezuschüsse steuerliche Bundesmittel zur Stabilisierung der GKV fordert, flankiert von CDU und SPD, die sich gegen Leistungskürzungen und für strukturelle Systempflege aussprechen, parallel dazu im Bundestag die Einsetzung einer Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen beschlossen wird, die Vertrauen zurückgewinnen und Krisenlehren ermöglichen soll, während europapolitisch beim EPSCO-Rat ein industriepolitischer Schwenk eingeleitet wird, um Lieferketten, Produktionsstandorte und regulatorische Verfahren neu auszurichten, begleitet von Versorgungsinnovationen wie der EMA-Zulassung von Resmetirom bei MASH, der US-Zulassung von Lenacapavir zur HIV-Prävention mit zwei Injektionen pro Jahr, wegweisender Adjuvanzforschung am MIT und alarmierenden Ozonwerten in Europa, die verdeutlichen, wie eng Prävention, Umwelt und Versorgung künftig gedacht werden müssen.

 

Digitale Allianzen fördern Versorgung, Apotheken übernehmen Lotsenfunktion, Netzwerkvision fordert Branchenstrategie

Wie das Projekt X-Creation ein gemeinsames System für alle Apotheken entwirft, Kriesten digitale Führungsverantwortung reklamiert und die Patientenorientierung neu definiert wird

Mit der Vorstellung eines einheitlichen digitalen Netzwerks für Apotheken hat Marc Kriesten, Vorstand der Apothekerkammer Nordrhein und Vorsitzender des Ausschusses für Digitalisierung und Telepharmazie, beim Innovationsformat »X-Creation« der Telekom einen bemerkenswerten Impuls für die Neugestaltung der pharmazeutischen Versorgung gesetzt. Unter dem Leitmotiv »Caring, Sharing und Daring« wurde ein Konzept präsentiert, das nicht weniger als die strategische Neupositionierung der Vor-Ort-Apotheken im digitalen Gesundheitswesen anstrebt – mit dem Ziel, ihre Rolle vom rezeptausführenden Betrieb hin zum systemrelevanten Versorgungslotse auszuweiten.

Kriesten stellte offen die strukturellen Schwächen des Systems dar. Weder die digitalen Schnittstellen noch die Kommunikationsarchitektur genügten dem Anspruch, die Beratungsqualität aus den Offizinen in eine zeitgemäße Onlinepräsenz zu übertragen. Der Versandhandel sei dabei nur ein Teil des Problems – gravierender sei, dass Patienten ihre erste Orientierung längst bei Google, ChatGPT oder gesundheitsfremden Plattformen suchten. Damit gingen Vertrauen, Sichtbarkeit und Steuerungspotenzial für die öffentlichen Apotheken verloren.

Vor diesem Hintergrund entstand im Rahmen des Programms ein Vorschlag für ein gemeinsames Gesundheitsökosystem, das sämtliche Apotheken bundesweit digital vernetzen könnte – mit dem Ziel, Patienten niedrigschwellig, vertrauensbasiert und fachlich fundiert durch die wachsende Komplexität der Versorgung zu navigieren. Ein solches Modell würde eine integrierte Plattform vorsehen, auf der Patienten qualitätsgesicherte Informationen abrufen, Serviceangebote nutzen und gezielt in regionale Versorgungsstrukturen überführt werden könnten. Die Apotheke vor Ort fungierte dabei als digital unterstützter First Contact Point, ergänzt durch ärztliche oder weitere therapeutische Anbindung.

»Wir müssen das, was wir können, in digitale Relevanz überführen – denn Kompetenz nützt nichts, wenn sie nicht sichtbar ist«, erklärte Kriesten. Zugleich betonte er, dass keine Einzelapotheke diese Herausforderung allein meistern könne. Die Stärke liege in der Einheit. Allein durch die Zahl der über 16.500 Apotheken in Deutschland ließe sich ein nie dagewesenes Versorgungsnetz realisieren – vorausgesetzt, es werde gemeinsam gedacht und aufgebaut.

Kriestens Team schlägt vor, dieses Netzwerk nicht als Plattform kommerzieller Anbieter, sondern unter Aufsicht der Apothekerschaft zu etablieren. Ziel sei es, Vertrauen, Datenschutz, medizinische Verlässlichkeit und pharmazeutische Qualität auf höchstem Niveau zu garantieren – und dabei zugleich moderne Nutzererwartungen zu erfüllen. Eine solche Infrastruktur könnte patientenbezogene Apps, Chatfunktionen, Datenverfügbarkeit, Medikationsprofile, Telepharmazie und Notdienstfunktionen integrieren und direkt mit den Apotheken vor Ort koppeln.

Branchenübergreifend angedacht sei eine Einbindung weiterer Leistungserbringer – von Ärzten über Pflegeeinrichtungen bis zu digitalen Selbsthilfeangeboten –, sofern die patientenzentrierte Steuerung klar bei der Apotheke verbleibe. Damit stelle sich Kriestens Vision gegen den Trend zur bloßen Appifizierung von Versorgungsleistungen durch branchenfremde Start-ups. Der entscheidende Unterschied: Die Apotheke sei kein Interface, sondern ein heilberuflich fundierter Koordinator.

Der Vorschlag setzt auf Synergien, die bislang in der föderalen Apothekenstruktur ungenutzt blieben: »Wir haben kein Sichtbarkeitsproblem, sondern ein Strukturproblem. Niemand kennt die Menschen besser als ihre Apotheke vor Ort – aber niemand nutzt dieses Wissen systemisch«, so Kriesten. Damit spricht er indirekt auch eine Kritik an der eigenen Standespolitik aus, die zu oft in nationaler Zersplitterung und lokalem Rückzug verharrt, anstatt visionäre Führungsprojekte mit strategischer Entschlossenheit zu entwickeln und umzusetzen.

Die Resonanz auf das Konzept war in Berlin verhalten optimistisch. Während viele Teilnehmende das Potenzial einer solchen Lösung anerkannten, wurde zugleich deutlich, wie groß die Herausforderungen sind: Datenschutzfragen, Finanzierungslogik, föderale Haftungsverantwortung und die technische Kompatibilität zwischen Systemen gelten als Hürden, die strukturell und politisch gelöst werden müssten.

Nicht zuletzt stellt das Projekt auch eine kulturelle Herausforderung dar: Viele Apotheken sehen sich noch nicht als digitale Dienstleister, sondern primär als pharmazeutische Erfüllungseinheiten. Dies gilt es laut Kriesten zu verändern – durch Fortbildung, Strukturhilfe und einen neuen beruflichen Selbstbegriff. »Digitale Exzellenz ist keine Zusatzleistung, sondern ein Teil unserer Berufsethik«, sagte er. Die Zukunft liege nicht im Rückzug, sondern im digitalen Schulterschluss.

Ob das ambitionierte Projekt tatsächlich zur Umsetzung kommt, hängt nun entscheidend davon ab, ob es gelingt, politische Rückendeckung, rechtliche Rahmenbedingungen und finanzielle Startimpulse zu vereinen. Klar ist jedoch: Der Vorstoß aus Nordrhein setzt ein deutliches Signal, dass sich die Apothekerschaft nicht auf die Zuschauerrolle im digitalen Wandel festlegen lassen will.

 

Steuerzuschüsse als Schlüssel, Reformpaket als Ziel, Verteilungskonflikte als Risiko

Warum Gesundheitsministerin Nina Warken auf Bundesmittel setzt, Pflegezuschläge verteidigt und Beitragserhöhungen vermeiden will

Inmitten wachsender Finanzierungssorgen der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung hat Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) mit Nachdruck auf die Bedeutung steuerlicher Zuschüsse hingewiesen. Ein stabiles Beitragsniveau sei auf Dauer nur zu halten, wenn die Finanzierungslücken nicht allein durch Versicherte geschlossen werden müssten. In einem Interview mit der Rheinischen Post unterstrich Warken, dass ohne Mittel aus dem Bundeshaushalt keine dauerhafte Lösung möglich sei. Bereits in der kommenden Woche soll das Kabinett über die konkreten Haushaltsvorschläge beraten. Warken habe dazu nach eigener Aussage Gespräche mit Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) geführt. Sie ließ offen, ob eine Beitragserhöhung im Jahr 2026 ausgeschlossen werden kann, appellierte aber an die Verantwortung der Regierungsfraktionen, den Menschen und der Wirtschaft keine weiteren Belastungssprünge zuzumuten.

Besondere Brisanz entfaltet derzeit die Debatte um den Leistungszuschlag für vermögende Pflegebedürftige. Vorschläge, diesen zu streichen, lehnt Warken strikt ab. Dies sei der Einstieg in eine „gesellschaftlich gefährliche Neiddebatte“, die mehr spalte als löse. Stattdessen forderte sie eine effizientere Nutzung bestehender Mittel sowie eine Stärkung der häuslichen Versorgung. Sie warnte vor vorschnellen Bewertungen und verwies auf eine gemeinsame Arbeitsgruppe von Bund und Ländern, die ab dem 7. Juli an einer langfristig tragfähigen Pflegereform arbeiten solle. Die Zusammenlegung von Pflegegraden nannte sie dabei als mögliches Diskussionsfeld, hielt sich aber mit Vorfestlegungen zurück.

Auch für die gesetzliche Krankenversicherung zeichnete Warken ein differenziertes Bild. Zwar hätten die Kassen im ersten Quartal 2025 einen Überschuss erzielt, dieser diene jedoch primär dem Wiederaufbau vorgeschriebener Rücklagen. Für die kommenden Jahre erwartet die Ministerin ein strukturelles Defizit. Um dieses abzufedern, sei ein ausgewogenes Zusammenspiel von zusätzlichen Bundesmitteln und einer strukturellen Reform zwingend notwendig. Im Zentrum stehe dabei ein Strukturpaket, das auf der Grundlage klarer Wirkungsanalysen zielgerichtete Maßnahmen enthalten soll.

In Bezug auf die beitragsfreie Familienversicherung und andere solidarische Elemente des GKV-Systems zeigte sich Warken vorsichtig. Man müsse das System ganzheitlich betrachten. Ein Aspekt dabei sei die unzureichende Finanzierung der Behandlungskosten von Bürgergeldempfängern durch den Bundeshaushalt. Diese Ausgaben trügen derzeit die Versichertengemeinschaft, was ihrer Ansicht nach nicht länger gerechtfertigt sei. Sie forderte eine vollständige staatliche Übernahme dieser Kosten, um die Verteilungslast gerechter zu gestalten und das Solidarsystem zu entlasten.

Ein zentrales Ziel bleibe laut Warken die Stabilisierung der Beitragssätze – auch aus wirtschaftspolitischer Verantwortung heraus. Die von der Arbeitsgruppe Gesundheit und Pflege ursprünglich kalkulierten Finanzbedarfe von bis zu zehn Milliarden Euro seien ernst zu nehmen, auch wenn konkrete Maßnahmen daraus nicht in den Koalitionsvertrag aufgenommen wurden. Eine erneute Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge würde aus Sicht der Ministerin den Wirtschaftsstandort gefährden und das Vertrauen in die Reformfähigkeit der Regierung untergraben. Deshalb erteilte sie auch einer Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze eine klare Absage.

Die Position der Koalition sei eindeutig: weitere Beitragserhöhungen – auch für Besserverdienende – seien derzeit nicht geplant. Auch den Vorschlag des GKV-Spitzenverbands für ein temporäres Ausgabenmoratorium wies Warken als symbolischen Warnruf zurück, betonte jedoch die Dringlichkeit, das Gesamtsystem neu auszurichten. Der notwendige finanzpolitische Handlungsspielraum müsse durch Prioritätensetzung im Haushalt geschaffen werden – nicht durch strukturelle Belastung der Versichertengemeinschaft.

Warken bewegt sich mit diesen Aussagen auf einem schmalen Grat zwischen fiskalischer Vernunft und sozialpolitischer Sensibilität. Ihre Linie: Verlässlichkeit statt Panik, Haushaltsverantwortung statt Schnellschüsse. Gleichzeitig setzt sie auf eine gestufte Reformarchitektur, bei der nicht isolierte Einzelmaßnahmen, sondern ein langfristiges Systemverständnis im Zentrum steht. Dass diese Strategie gelingt, hängt nun maßgeblich von den bevorstehenden Haushaltsverhandlungen ab – und davon, ob ihre Partei, die CDU, in der Lage ist, die Position im Kabinett auch mit konkreten Zahlen zu unterfüttern. Der Spagat zwischen Stabilität und Gerechtigkeit ist riskant, aber notwendig – gerade in einem System, dessen Tragfähigkeit zunehmend unter Druck steht.

 

Politik sucht Lehren, Gesellschaft braucht Heilung, Kommission soll Klarheit schaffen

Wie SPD und Union die Corona-Zeit aufarbeiten, Vertrauen wiederherstellen und Krisenvorsorge neu denken wollen

Fünf Jahre nach Ausbruch der Corona-Pandemie und einem politischen Ausnahmezustand, der nicht nur das Land spaltete, sondern auch die institutionelle Belastbarkeit herausforderte, wagt das Parlament einen überfälligen Schritt: SPD und Union haben sich auf die Einsetzung einer Enquete-Kommission geeinigt, die die Corona-Zeit umfassend aufarbeiten soll. Der Beschluss markiert einen Wendepunkt im politischen Umgang mit der pandemischen Vergangenheit – und könnte, wenn er ernst gemeint ist, auch für künftige Krisenprävention ein Fundament bilden.

Dabei ist der Anspruch hoch: Es geht um mehr als retrospektive Analyse, vielmehr um eine politische und gesellschaftliche Heilung. SPD-Fraktionsvize Dagmar Schmidt betont, die Kommission solle nicht nur Fehlentwicklungen und Versäumnisse benennen, sondern auch zeigen, was funktionierte. Für sie ist die Pandemie ein „tiefer Einschnitt“, der Kinder, Familien, Pflegekräfte, Selbstständige und viele andere an ihre Grenzen brachte. Die Einsetzung des Gremiums sei deshalb mehr als eine politische Pflichtübung – sie sei ein Zeichen, dass man bereit sei zuzuhören, zu verstehen und zu lernen. Gleichzeitig sei dies Teil eines langfristigen Verständigungsprozesses innerhalb der Gesellschaft.

Auch die Union betont den überparteilichen Charakter des Vorhabens. Fraktionsvize Albert Stegemann verweist auf die Notwendigkeit einer Aufarbeitung ohne Schuldzuweisungen. Nur in einem konsensorientierten Verfahren könne Vertrauen zurückgewonnen und Resilienz für künftige Krisen gestärkt werden. Die Arbeit der Kommission werde darum von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Sachverständigen, Interessenvertretungen und Betroffenen gleichermaßen getragen. Die breite Einbindung soll verhindern, dass parteipolitisches Taktieren die Deutungshoheit über die Pandemie dominiert.

Die Idee einer solchen Kommission war bereits Teil des Koalitionsvertrags von CDU, CSU und SPD. Doch erst jetzt kommt das Projekt in Gang. Enquete-Kommissionen gelten als beratende Gremien, die über Legislaturperioden hinaus wirken und am Ende einen Abschlussbericht samt Handlungsempfehlungen vorlegen. Anders als ein Untersuchungsausschuss geht es hier nicht um politische Verfehlungen im juristischen Sinn, sondern um systemische Schwächen und strukturelle Fehlentwicklungen – etwa im Krisenmanagement, der Kommunikation, im Föderalismus oder in der Versorgungssicherheit.

Gerade das unterscheidet die Initiative von anderen Rückblicken. Denn sie verspricht, die Corona-Krise nicht allein unter dem Brennglas politischer Verantwortungsträger zu betrachten, sondern auch psychosoziale und gesellschaftliche Langzeitfolgen sichtbar zu machen. Der Blick richtet sich damit auf Pflegekräfte im Ausnahmezustand, überforderte Eltern im Homeoffice-Dauerstress, junge Menschen mit Bildungsdefiziten und psychischen Belastungen, aber auch auf eine ältere Generation, die sich monatelang isolieren musste – oft mit fatalen Folgen.

Es steht viel auf dem Spiel. Denn der gesellschaftliche Riss, den die Pandemie verursacht hat, ist keineswegs geschlossen. Viele Menschen zweifeln bis heute an staatlicher Kompetenz und Legitimität, manche fühlen sich übersehen oder bevormundet. Der Vertrauensverlust reicht tief – auch weil politische Kommunikation häufig widersprüchlich, paternalistisch oder schlicht unverständlich war. Hinzu kamen Pannen bei Impfstoffbeschaffung, Maskenskandale, föderale Alleingänge, uneinheitliche Regeln und chaotische Schulpolitik.

Dass sich nun beide großen Volksparteien gemeinsam an eine sachorientierte Aufarbeitung wagen, ist ein seltener Akt der politischen Selbstvergewisserung. Er könnte – wenn ernsthaft betrieben – auch jenseits der Corona-Pandemie Wirkung entfalten. Denn die strukturellen Defizite im föderalen Krisenmanagement, in der digitalen Verwaltung oder im öffentlichen Gesundheitsdienst sind keine Ausnahmen der Pandemiezeit, sondern systemische Schwächen, die auch beim nächsten Ereignis – sei es Klima, Krieg oder Krankheit – wieder auftreten könnten.

Die Kommission wird nun in den kommenden Wochen formal durch den Bundestag eingesetzt. Ihre genaue Zusammensetzung, Arbeitsweise und thematische Priorisierung stehen noch aus. Erwartet wird aber ein interdisziplinäres Gremium mit Sachverstand aus Medizin, Ethik, Verfassungsrecht, Soziologie, Psychologie und Kommunikationswissenschaft. Auch die Rolle sozialer Medien, Verschwörungsnarrative und gesellschaftlicher Polarisierung dürften Teil der Aufarbeitung werden.

Inmitten wachsender Unzufriedenheit mit politischer Entscheidungsfindung und den Nachwirkungen eines globalen Ausnahmezustands könnte dieser Prozess mehr sein als parlamentarische Symbolpolitik. Er wäre ein Testfall für die Bereitschaft, aus Fehlern tatsächlich zu lernen – und eine Chance, gesellschaftliche Resilienz mit demokratischer Glaubwürdigkeit zu verbinden. Was daraus folgt, wird sich nicht nur an Berichten und Empfehlungen zeigen, sondern an der politischen Konsequenz, mit der sie in Gesetzgebung, Verwaltung und politischer Kultur übersetzt werden.

 

Strukturreformen statt Kürzungslogik, Vertrauen statt Verunsicherung, Finanzierung statt Verschiebung

Warum Union und SPD bei der GKV auf Systempflege setzen, Leistungskürzungen ablehnen und die Einnahmeseite in den Fokus rücken

Trotz wachsender finanzieller Schieflage in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) wollen weder Union noch SPD den Weg über pauschale Leistungskürzungen gehen. Dies machten Simone Borchardt (CDU) und Christos Pantazis (SPD) in Stellungnahmen gegenüber dem AOK-Magazin »G+G« deutlich. Hintergrund ist eine zunehmende Sorge um die Tragfähigkeit des solidarischen Systems: Allein im vergangenen Jahr fehlten den Krankenkassen über sechs Milliarden Euro, und selbst die kräftige Anhebung der Zusatzbeiträge zum Jahreswechsel konnte die strukturellen Finanzprobleme nicht nachhaltig lösen. Mit dem demografischen Wandel, medizinischem Fortschritt, Fachkräftemangel und bürokratischen Ineffizienzen steigen die Ausgaben in der GKV schneller als die Einnahmen – eine Entwicklung, die nicht länger kosmetisch kaschiert werden kann.

Die politische Reaktion auf diese Diagnose fällt jedoch unterschiedlich aus. Während Stimmen aus Teilen der CDU zuletzt laut über die Rolle von Eigenverantwortung, mögliche Selbstbeteiligungen oder die Einschränkung von Leistungen nachdachten, zeigen sich Union und SPD in ihren offiziellen Positionierungen entschlossen, eine andere Richtung einzuschlagen. CDU-Gesundheitspolitikerin Borchardt lehnt Leistungskürzungen dezidiert ab – nicht nur aus sozialer, sondern auch aus systemischer Überlegung heraus: Wer die sozialen Pflegeleistungen begrenze oder ganze Leistungsbereiche zur Disposition stelle, gefährde das Vertrauen in ein System, das auf solidarischer Absicherung basiert. Stattdessen verlangt sie konkrete Maßnahmen gegen Fehlsteuerungen, ineffiziente Strukturen und überbordende Bürokratie, die aus ihrer Sicht erheblich zu den Kostenexplosionen beitragen.

Christos Pantazis, gesundheitspolitischer Sprecher der SPD, argumentiert ähnlich, aber ergänzt die strukturelle Kritik um eine strategische Komponente. Leistungskürzungen seien Ausdruck von Mutlosigkeit und Symptompolitik, die die Ursachen unangetastet lasse und das Vertrauen in den Sozialstaat erodiere. Eine stabile GKV müsse nicht kleiner, sondern klüger werden. Für Pantazis gehören dazu eine konsequente Digitalisierung, neue Modelle der Versorgungssteuerung, eine Entlastung von Verwaltungsvorgängen – aber auch eine gerechtere Verteilung der Finanzierungsverantwortung. Der SPD-Politiker bringt daher einmal mehr eine Reform der Beitragsbemessungsgrenzen ins Spiel. Wer höhere Einkommen bislang nur teilweise zur GKV beiträgt, soll künftig stärker herangezogen werden. Auch die Versicherungspflichtgrenze, die darüber entscheidet, ob jemand überhaupt gesetzlich versichert sein muss, hält Pantazis für reformbedürftig.

Damit steht erneut das Spannungsfeld zwischen Beitragserhöhung und Leistungserhalt im Zentrum der politischen Auseinandersetzung. Während das Bundesgesundheitsministerium unter Karl Lauterbach (SPD) derzeit noch an der Vollumsetzung der Strukturreformen aus dem Koalitionsvertrag arbeitet, scheint sich bei Union und SPD ein wachsender Konsens herauszubilden: Nicht der Leistungskatalog der GKV ist das Problem, sondern die Art, wie Leistungen organisiert, abgerechnet und finanziert werden. Beide Parteien betonen in ihren Aussagen, dass der Versorgungsauftrag nicht unter kurzfristige Sparlogiken gestellt werden dürfe – eine klare Absage an alle Versuche, die GKV über Kürzungen zu sanieren, ohne die Einnahmeseite neu zu denken.

Im politischen Berlin wird damit ein diskursiver Akzent verschoben: Nicht mehr die Frage, wo gespart werden kann, steht im Vordergrund, sondern wie das System effizienter und gerechter finanziert werden soll. Der Verweis auf vermeintliche Effizienzreserven birgt dabei Risiken wie Chancen. Denn so sehr überbordende Bürokratie, ungenutzte Digitalpotenziale und teure Doppellogiken in der Versorgung als Einsparpotenzial dienen können, so wenig lösen sie das Grundproblem: die strukturelle Schieflage eines Systems, das auf Erwerbsarbeit als Finanzierungsgrundlage setzt, während sich Alterung, chronische Erkrankungen und medizinische Komplexität rapide ausweiten. Borchardt und Pantazis eint in ihrer Kritik an pauschalen Kürzungen die Einsicht, dass Vertrauen in die GKV auch heißt, politische Verantwortung nicht auf die Versicherten abzuwälzen.

Noch offen bleibt allerdings, ob diese Haltung im Bundeshaushalt Bestand haben kann. Angesichts wachsender Ausgaben im Gesundheits- wie Pflegebereich und begrenzter Spielräume auf der Finanzierungsseite dürften die Debatten an Schärfe zunehmen. Eine strukturelle Reform der GKV-Finanzierung wird daher nicht nur zur Frage fiskalischer Nachhaltigkeit, sondern auch zur Nagelprobe für die Zukunftsfähigkeit des Sozialstaatsmodells. Union und SPD liefern dazu ein Bekenntnis – aber auch eine Einladung zur Debatte über alternative Finanzierungswege, die über das gewohnte Denken hinausgehen. Eine Reform der Parität, eine Einbindung weiterer Einkommensarten oder gar ein Einstieg in eine Bürgerversicherung bleiben bislang unausgesprochen, stehen aber implizit im Raum.

Für das Gesundheitswesen gilt dabei: Eine Reform, die an Vertrauen, Struktur und Finanzierung zugleich ansetzt, braucht mehr als Symbolpolitik. Sie braucht Mut zu klaren Korrekturen – ohne Kürzungsideologie, aber auch ohne Scheu vor unbequemen Wahrheiten. Die nächste Etappe der GKV-Debatte wird entscheiden, ob das solidarische Modell neu stabilisiert oder scheibchenweise ausgehöhlt wird. Union und SPD geben mit ihren Aussagen ein wichtiges Signal – doch der Handlungsdruck bleibt.

 

Produktionsstandort sichern, Arzneimittelversorgung stärken, EU-Vorgaben entschlacken

Warken fordert industriepolitischen Kurswechsel beim EPSCO-Rat in Luxemburg

Beim heutigen Treffen des EPSCO-Rats in Luxemburg bringt Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) eine industriepolitisch geprägte Agenda mit: Die Bedingungen für forschende und produzierende Unternehmen in der Pharma- und Medizintechnikbranche sollen verbessert, Standortverlagerungen zurückgeholt und überbordende Regulierung kritisch hinterfragt werden. Deutschland gehe mit großen Erwartungen in diesen Rat, sagte Warken am Morgen vor Beginn der Sitzung – und machte dabei unmissverständlich klar, dass aus ihrer Sicht Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit in Europa nur dann gewährleistet seien, wenn Produktionsketten gesichert, Zulassungsverfahren beschleunigt und Auflagen praxistauglich gestaltet werden.

Im Zentrum der EPSCO-Beratungen stehen zwei Schlüsselthemen: Zum einen das EU-Pharmapaket, das als umfassendes Reformvorhaben die europäische Arzneimittelstrategie auf neue Beine stellen soll. Zum anderen der sogenannte Critical Medicines Act, mit dem die EU ihre Resilienz gegenüber Versorgungsrisiken erhöhen will. Letzteres betrifft besonders die Herstellung kritischer Wirkstoffe, bei denen Europa in den vergangenen Jahren dramatisch an Eigenständigkeit verloren hat – gerade bei Antibiotika, wie Warken betonte: „Wir sind bei zentralen Antibiotika zu 80 Prozent auf außereuropäische Lieferanten angewiesen – viele davon in Indien. Das wollen wir ändern.“

Ein Kernanliegen der Ministerin ist es daher, pharmazeutische Produktionsstätten nach Europa zurückzuholen. Damit dies gelingt, müsse die EU nicht nur in Förderprogramme investieren, sondern auch regulatorische Hürden abbauen. „Wir müssen die Bedingungen für unsere Industrie verbessern“, forderte Warken. Die Politik müsse sich bewusst machen, dass zu hohe Auflagen sowohl für Arzneimittel als auch für Medizinprodukte zu einer dauerhaften Verlagerung ins Ausland führen können. Als Beispiel nannte sie Produkte von elementarer Relevanz für die medizinische Versorgung – „vom Pflaster bis zum Herzschrittmacher“.

In dieselbe Richtung zielt auch die laufende Überarbeitung der EU-Verordnungen im Bereich Medizinprodukte. Diese hätten laut Warken zwar durchaus ihre Berechtigung, müssten jedoch regelmäßig auf Aktualität und Praxistauglichkeit geprüft werden. Besonders kleinere Hersteller, aber auch Apotheken und Gesundheitsdienstleister seien durch die aktuelle Regulierungslage häufig überlastet. „Es geht nicht nur um Versorgung, sondern auch um Erhalt wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit innerhalb Europas“, so die Ministerin.

Ein drittes Thema, das heute im EPSCO beraten wird, betrifft die sogenannte Kommunalabwasserrichtlinie KARL – und deren potenzielle Auswirkungen auf die Industrie. Auch hier warnte Warken vor einer Überregulierung: Zwar unterstütze man ausdrücklich den Umweltschutz, doch müssten die ökologischen Zielsetzungen mit den industriellen Realitäten abgeglichen werden. „Wir müssen genau schauen, welche Auswirkungen das auf unsere Industrie hat – sonst riskieren wir Investitionsentscheidungen, die Europa auf Jahre hinaus schwächen“, so Warken.

Insgesamt stellt sich Deutschland beim EPSCO-Rat als Akteur dar, der europäische Solidarität und gemeinsame Strategien unterstützt, zugleich aber auf Standortattraktivität, Praxisnähe und wirtschaftliche Handlungsfähigkeit pocht. Warken hob in diesem Zusammenhang hervor, dass es nicht genüge, neue Regeln zu erlassen – vielmehr müsse die EU auch evaluieren, ob bestehende Regelwerke noch wirksam und zielführend seien. Sie kündigte an, sich dafür einzusetzen, dass die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Pharmaindustrie als integraler Bestandteil der Gesundheitspolitik verstanden werde. Ziel müsse es sein, ein Gleichgewicht zu schaffen zwischen Versorgungssicherheit, Umweltverantwortung und Innovationsfähigkeit.

Neben den industriepolitischen Impulsen betonte Warken auch die geostrategische Bedeutung der heutigen Beratungen. Angesichts globaler Krisen, internationaler Abhängigkeiten und gestörter Lieferketten sei die Zeit reif für ein robustes europäisches Rahmenwerk. Der Critical Medicines Act sei ein Schritt in die richtige Richtung – aber nur ein Anfang. „Gerade in Krisenzeiten ist es wichtig, dass Europa unabhängig und resilient ist“, sagte sie – und formulierte damit ein Leitmotiv, das sowohl industriepolitische Maßnahmen als auch gesundheitspolitische Zielsetzungen miteinander verknüpft.

Der EPSCO-Rat könnte nach Einschätzung aus Delegationskreisen bereits heute Eckpunkte für ein künftiges europäisches Pharmamodell skizzieren. Ob daraus konkrete Maßnahmen folgen, hängt jedoch wesentlich von der Einigkeit der Mitgliedstaaten ab. Deutschland will in jedem Fall eine treibende Rolle spielen – nicht nur als Mahnerin, sondern als Mitgestalterin eines Europas, das in der Lage ist, seine Bürgerinnen und Bürger verlässlich, innovativ und souverän mit Arzneimitteln und Medizinprodukten zu versorgen.

 

Persönliche Nähe schafft Vertrauen, Apotheke gewinnt an Bedeutung, digitale Quellen bleiben zurück

Warum Menschen mit kognitiven Einschränkungen vor allem auf Gespräche setzen, wie Apotheken Vertrauen aufbauen können und was Angehörige wissen müssen

Menschen mit kognitiven Einschränkungen informieren sich über Gesundheitsthemen bevorzugt im direkten Austausch – sei es mit Ärzten, Angehörigen oder dem pharmazeutischen Personal. Das zeigt eine neue Auswertung des Digitalen Demenzregisters Bayern (digiDEM), die unter 924 Betroffenen durchgeführt wurde. Besonders auffällig: Die Apotheke ist für viele eine wichtige Informationsquelle – doch digitale Kanäle wie Internet oder Online-Kurse bleiben abgeschlagen zurück. Entscheidend für die Bewertung einer Quelle ist demnach nicht ihre Reichweite, sondern ihr Vertrauenswert – und hier kann die Apotheke punkten, wenn sie die Bedürfnisse dieser sensiblen Zielgruppe erkennt, ernst nimmt und in den Mittelpunkt ihrer Beratung stellt.

Die Studie, geleitet von Florian Weidinger, untersuchte, welche Informationsquellen von Menschen mit leichten kognitiven Einschränkungen (MCI) sowie mit Demenz genutzt werden – und welche sie für vertrauenswürdig halten. Das Ergebnis bestätigt die hohe Relevanz persönlicher Kommunikation. Arztpraxen und das familiäre Umfeld stehen ganz oben, gefolgt von klassischen Medien wie Radio und Fernsehen. Die Apotheke wird von rund 40 Prozent der Befragten als „wichtig“ oder „sehr wichtig“ eingeschätzt. Fast jeder Fünfte bewertete sie immerhin als „teilweise wichtig“. Im Vergleich dazu fallen Kurse, Vorträge und Internetangebote deutlich ab. Nur ein kleiner Teil der Befragten hält diese Quellen für relevant – vor allem Menschen mit stärker fortgeschrittener Demenz meiden digitale Informationen weitgehend.

Dabei zeigt sich auch eine geschlechterspezifische Differenz: Frauen bewerten sowohl Internet als auch Apotheken deutlich positiver als Männer. Zudem zeigt die Studie, dass Menschen mit leichten kognitiven Einschränkungen tendenziell ein breiteres Informationsverhalten aufweisen als Menschen mit manifestierter Demenz. Letztere verlassen sich stärker auf die ihnen vertrauten Medienformate und Gesprächspartner – insbesondere Familie, Freunde sowie die klassische Radioberichterstattung.

Für Apotheken ergibt sich aus diesen Ergebnissen eine doppelte Aufgabe: Einerseits sind sie bereits ein relevanter Ankerpunkt für Information und Begleitung. Andererseits ist das Potenzial bei Weitem nicht ausgeschöpft. Der Kontaktpunkt Apotheke bietet sich insbesondere für niederschwellige Gespräche an – sowohl mit Betroffenen selbst als auch mit ihren Angehörigen. Entscheidend ist dabei das Erkennen typischer Anzeichen kognitiver Veränderungen, ohne zu stigmatisieren. Vergesslichkeit, Wiederholungen bei einfachen Anliegen, Schwierigkeiten bei der Orientierung im Verkaufsraum oder auch das Nachfragen zu bereits erklärten Einnahmemodi können Hinweise sein. Hier braucht es ein sensibles, nicht bevormundendes Ansprechen und gezielte Fortbildung des Apothekenpersonals.

Zugleich betont das Forschungsteam, dass viele Betroffene auch von einem gezielten Informationsangebot profitieren können – sofern es dialogisch und vertrauensbasiert ist. Der klassische Beratungsansatz über die Theke hinaus wird so zum sozialen Faktor der Gesundheitsversorgung. Denn Apotheken sind für viele ein niedrigschwelliger Ort, den sie regelmäßig aufsuchen – anders als Arztpraxen, bei denen Termine oft mit Barrieren verbunden sind. Gerade diese Regelmäßigkeit ist für Menschen mit nachlassenden kognitiven Fähigkeiten ein stabilisierender Faktor. Apothekerinnen und Apotheker können das Gespräch zur Medikation nutzen, um frühzeitig Belastungen zu erkennen, auf professionelle Hilfsangebote hinzuweisen oder pflegende Angehörige zu unterstützen.

Besonders hilfreich sind kurze Informationsmaterialien in leicht verständlicher Sprache, idealerweise ergänzt durch visuelle Hilfen. Auch eine ruhige Gesprächsatmosphäre, ein einladender Beratungsraum und ausreichend Zeit machen den Unterschied. Demenzgerechte Kommunikation bedeutet nicht nur fachlich korrekt zu informieren, sondern auch Empathie, Wiederholung und Struktur zu bieten. Dazu gehört auch, dass Apotheken ihre Rolle offensiv als Ansprechpartner sichtbar machen – etwa durch Hinweise im Schaufenster oder Informationskarten auf dem HV-Tisch.

Ein häufig unterschätzter Aspekt ist die Einbindung von Angehörigen, die häufig als erste Veränderungen bei ihren Familienmitgliedern wahrnehmen. Sie suchen oft selbst nach Orientierung, ohne dabei auf medizinisch-diagnostische Unterstützung angewiesen zu sein. Gerade hier können Apotheken durch gezielte Angebote, etwa kurze Schulungen oder Informationen zu lokalen Demenznetzwerken, einen Beitrag leisten. Wichtig ist dabei: Die Apotheke ist kein Ersatz für eine ärztliche Diagnose – sie kann aber ein wertvoller Wegweiser sein.

Nicht zuletzt belegt die Studie auch, dass die Akzeptanz und Bewertung einzelner Informationsquellen stark vom persönlichen Erleben geprägt sind. Die Einschätzung, ob eine Quelle hilfreich ist, hängt weniger von ihrer theoretischen Reichweite ab als von der erlebten Beziehung und Kommunikationskultur. Die Apotheke profitiert hier von ihrer Alltagsnähe – doch sie muss diese Beziehung auch aktiv gestalten und pflegen.

Insgesamt zeigt die Untersuchung: Der Zugang zu Gesundheitswissen ist für Menschen mit kognitiven Einschränkungen nur dann möglich, wenn er verständlich, persönlich und vertrauensvoll gestaltet ist. Die Apotheke spielt dabei eine Rolle, die weit über den klassischen Arzneimittelverkauf hinausgeht. Sie ist Gesprächsort, Entlastungspunkt, Orientierungshilfe – und im besten Fall ein aktiver Teil eines demenzsensiblen Versorgungsnetzwerks. Die Zukunft liegt nicht im digitalen Push, sondern im menschlichen Pull. Wer gesehen, gehört und ernst genommen wird, bleibt besser versorgt – und das beginnt oft an einem vertrauten Ort: der Apotheke um die Ecke.

 

Gezielte Depotwirkung, kombinierte Immunanreizung, Perspektiven für Einmalimpfstoffe

Wie ein duales Adjuvanzsystem mit pSer-Alum und SMNP die Keimzentrumsreaktion stärkt, langlebige Immunität fördert und die Impfstoffentwicklung neu definiert

Modifikationen im Adjuvanzdesign gelten als einer der vielversprechendsten Hebel zur Optimierung von proteinbasierten Impfstoffen. Während klassische Totimpfstoffe in der Regel auf Einzeladjuvanzien wie Alum setzen, verfolgt ein Forschungsteam um Dr. Kristen A. Rodrigues am Massachusetts Institute of Technology (MIT) nun einen innovativen Kombinationsansatz: Durch die intelligente Verknüpfung von Alum mit phosphorylierten Serinresten (pSer) und gleichzeitiger Beimischung eines saponinbasierten Nanopartikelsystems (SMNP) gelang es, die Effektivität der Immunantwort im präklinischen Modell deutlich zu steigern – insbesondere im Hinblick auf Keimzentrumsreaktion, B-Zellaktivierung und Langzeitgedächtnis. Der Proof-of-Concept erfolgte anhand des HIV-Envelope-Trimers MD39, doch die Autoren sehen breite Anschlussmöglichkeiten für pandemierelevante Targets wie SARS-CoV-2 oder Influenza. Auch die Vision einer einzigen Impfstoffgabe wird im Licht der langlebigen Immunantwort denkbar – ein Paradigmenwechsel mit klinischem Potenzial.

Ausgangspunkt des Konzepts war das MD39-Trimer, ein stabilisiertes, rekombinant erzeugtes HIV-Antigen, das bereits in vorangegangenen Studien eine hohe Immunogenität zeigte. Um die Präsentation dieses Antigens im lymphatischen System gezielter zu steuern, koppelten die Forschenden es an phosphorylierte Serinreste, die durch ihre Affinität zu Aluminiumhydroxid (Alum) eine partikuläre Bindung ermöglichen. Diese Alum-pSer-Plattform wurde anschließend um das SMNP-System ergänzt – ein nanoskaliges, saponinbasiertes Adjuvans, das bereits für seine immunstimulierenden Eigenschaften bekannt ist und auf die Aktivierung follikulärer dendritischer Zellen (FDC) abzielt. Der kombinierte Einsatz beider Adjuvanzien verfolgt dabei eine doppelte Strategie: einerseits eine Depotbildung mit verzögerter Freisetzung, andererseits eine fokussierte Antigenpräsentation in den drainierenden Lymphknoten zur Förderung der B-Zell-Selektion und Affinitätsreifung.

Die immunologische Wirkung dieser Komposition konnte im Mausmodell eindrucksvoll belegt werden. So zeigte sich bereits 14 Tage nach Immunisierung eine signifikante Zunahme der Keimzentrums-B-Zellen (GC-B) in den Lymphknoten. Die Kombinationsgruppe wies dabei einen um den Faktor 1,9 höheren GC-B-Zell-Anteil als die SMNP-Gruppe und sogar eine 5,6-fache Steigerung gegenüber der Alum-pSer-Gruppe auf. Parallel dazu wurden höhere Serum-IgG-Titer und eine größere Frequenz an Antigen-spezifischen B-Zellen gemessen. In der Langzeitbeobachtung bestätigte sich zudem eine erhöhte Persistenz von Knochenmarks-Plasmazellen sowie Gedächtnis-B-Zellen – Indikatoren für eine potenziell langanhaltende humorale Immunität.

Die mechanistische Erklärung für diese Immunverstärkung liegt in der synergistischen Wirkung der beiden Adjuvanzien: Während pSer-Alum für eine verlagerte und stabilisierte Präsentation des Antigens sorgt, begünstigt SMNP gezielt die Maturation in den Keimzentren. Hierdurch wird nicht nur die Breite der Antikörperantwort gesteigert, sondern auch deren Qualität – etwa im Hinblick auf Affinität und Neutralisierungskapazität. Besonders relevant ist dieser Effekt für schwer immunisierbare Pathogene wie HIV, bei denen frühere Impfstoffkandidaten häufig an mangelnder Immunpersistenz oder zu schwacher Reaktion gescheitert sind.

Ein weiterer Vorteil des Ansatzes ist seine breite Adaptierbarkeit. Da sowohl Alum als auch Saponine in zahlreichen zugelassenen Impfstoffen bereits verwendet werden und ihre toxikologischen Profile gut bekannt sind, ist eine Übertragbarkeit auf andere Indikationen denkbar. Seniorautor Prof. Dr. J. Christopher Love betont, dass sich die Formulierung ohne großen Anpassungsaufwand auf andere proteinbasierte Impfstoffe übertragen lasse – etwa im Kontext von Influenza, RSV oder neuen SARS-CoV-2-Varianten. Zudem eigne sich der duale Adjuvansansatz besonders für Impfstoffkandidaten, bei denen mit nur einer Injektion eine langanhaltende Schutzwirkung erreicht werden soll. Dies könnte insbesondere in Pandemie- und Krisensituationen ein entscheidender Vorteil sein – sowohl im Hinblick auf logistische Versorgung als auch auf Impfbereitschaft.

Derzeit befindet sich ein erster SMNP-adjuvantierter Impfstoff in der klinischen Prüfung beim Menschen. Die nun vorgestellte Kombination mit pSer-Alum wurde zwar bislang nur im Tiermodell untersucht, doch die Daten sprechen für eine hohe Translationstauglichkeit. Entscheidend wird sein, ob sich die Effekte auf die Immunantwort auch in der heterogenen Immunhistorie des Menschen reproduzieren lassen. Sollte dies der Fall sein, könnte der Ansatz den Weg für eine neue Generation von Impfstoffen ebnen, die durch gezielte Adjuvanzwahl nicht nur effektiver, sondern auch anwendungsfreundlicher sind.

Mit Blick auf die globalen Herausforderungen bei Infektionskrankheiten kommt der Arbeit zusätzliche Relevanz zu. Insbesondere in Regionen mit schwacher Infrastruktur wäre ein robust formulierter, einmal zu verabreichender Impfstoff mit langanhaltendem Schutz ein Meilenstein. Auch die Entwicklung von Impfstoffen gegen komplexe Erreger wie Plasmodien oder Tuberkuloseerreger könnte von der gezielten Lenkung der Immunantwort profitieren. Dass sich die Wirkmechanismen auf zellulärer Ebene so präzise kombinieren lassen, eröffnet zudem neue Perspektiven in der Impfstoffforschung – insbesondere dort, wo klassische Immunisierungsmethoden an ihre Grenzen stoßen.

Insgesamt verdeutlicht die Studie, wie Adjuvanzkombinationen als modulare Werkzeuge fungieren können, um Impfstoffantworten gezielt zu verbessern. Dabei rückt die Feinsteuerung der Immunantwort zunehmend in den Mittelpunkt: Nicht mehr allein die Antigenwahl, sondern das immunologische Design entscheidet darüber, wie effektiv ein Impfstoff in verschiedenen Populationen, Altersgruppen und Risikokollektiven wirkt. Die Arbeit aus dem MIT markiert daher nicht nur einen methodischen Fortschritt, sondern auch einen strategischen Paradigmenwechsel – weg von generischen Formulierungen, hin zu immunologisch maßgeschneiderten Impfstoffen mit maximaler Wirksamkeit bei minimalem logistischem Aufwand.

 

Hoffnung für MASH-Patienten, Fortschritt in der Fibrose-Therapie, Warnung vor Risiken

Resmetirom steht vor EU-Zulassung, wirkt gezielt am THR-β-Rezeptor und verbessert histologische Lebermarker

Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) hat erstmals grünes Licht für ein Medikament zur Behandlung von Patienten mit Fettleber und Leberfibrose gegeben – ein medizinischer Meilenstein mit weitreichender Bedeutung für Hunderttausende Betroffene in der EU. Der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) empfiehlt die bedingte Zulassung von Resmetirom (Handelsname: Rezdiffra™) zur Therapie der sogenannten Metabolic Dysfunction-associated Steatohepatitis (MASH), einer chronisch fortschreitenden Lebererkrankung, die aus einer metabolisch bedingten Fettleber hervorgeht. Die Substanz adressiert gezielt Patienten mit mäßiger bis fortgeschrittener Fibrose (Stadium F2/F3) – eine bislang therapiearme Zielgruppe mit hohem Risiko für Leberzirrhose, Leberzellkarzinom und Organausfall.

Konkret soll Resmetirom in Kombination mit diätetischen Maßnahmen und körperlicher Aktivität eingesetzt werden. Der Wirkstoff gehört zur Klasse der Thyroid-Hormonrezeptor-β (THR-β)-Agonisten. Er entfaltet seine Wirkung selektiv in der Leber, wo er den Stoffwechsel lipotoxischer Fette moduliert, Entzündungen dämpft und fibrotische Umbauprozesse hemmt. Diese multimodale Wirkweise macht Resmetirom zu einer neuartigen pharmakologischen Option, mit der nicht nur symptomatische, sondern auch strukturelle Verbesserungen des Lebergewebes erzielt werden sollen.

Zulassungsrelevant war die Phase-III-Studie MAESTRO-NASH, die Madrigal Pharmaceuticals mit 917 Patienten durchführte. Die Teilnehmer litten an MASH mit bestätigter Fibrose, aber noch ohne terminale Organschädigung. In dem randomisierten Design erhielten die Probanden entweder 80 mg, 100 mg Resmetirom oder Placebo. Nach zwölf Monaten konnten bei 30 Prozent der Patienten unter 100 mg Resmetirom histologische Heilungsprozesse beobachtet werden: Die MASH-Hepatitis ging zurück, ohne dass sich die Fibrose verschlechterte. Eine Verbesserung der Fibrosestufe ohne gleichzeitige Verschlechterung der Entzündung erreichten 29 Prozent (100 mg) bzw. 27 Prozent (80 mg) der Resmetirom-Gruppe – gegenüber 17 Prozent unter Placebo.

Diese Ergebnisse gelten als klinisch bedeutsam, auch wenn sie keine vollständige Krankheitsremission versprechen. Der CHMP würdigt insbesondere das Potenzial, den natürlichen Verlauf der Krankheit zu verlangsamen und das Fortschreiten zur Zirrhose zu verhindern. Die Zulassungsempfehlung erfolgt auf „bedingter“ Basis – ein regulatorisches Format, das bei hohem medizinischem Bedarf auch dann greifen kann, wenn noch nicht alle Langzeitdaten vorliegen, sofern ein positiver Nutzen-Risiko-Kompromiss vorliegt.

Resmetirom wird als Filmtablette in den Stärken 60, 80 und 100 mg eingeführt. Die Tabletten sind einmal täglich einzunehmen. Der Hersteller weist darauf hin, dass die Substanz bereits in die europäischen Leitlinien zur Behandlung metabolischer Lebererkrankungen aufgenommen wurde. In den USA hatte die FDA das Präparat bereits im März 2024 zugelassen, was den Weg für den europäischen Markteintritt ebnete.

Die klinischen Erfahrungen zeigen jedoch auch Grenzen und Risiken der Therapie. Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählten Durchfall, Übelkeit und Pruritus. Schwerwiegender sind die potenziellen Leber- und Gallenblasenkomplikationen: In der US-Zulassung wurde ausdrücklich vor arzneimittelinduzierter Lebertoxizität, Gallenerkrankungen sowie Wechselwirkungen, insbesondere mit Statinen, gewarnt. Besonders kritisch: Patienten mit dekompensierter Leberzirrhose sind von der Anwendung ausgeschlossen. Sollte sich die Leberfunktion unter Therapie verschlechtern, ist ein Absetzen indiziert. Die langfristige Sicherheit muss weiter beobachtet werden – dies ist Teil der Verpflichtung zur Durchführung ergänzender Studien im Rahmen der bedingten EMA-Zulassung.

Der therapeutische Durchbruch kommt zur rechten Zeit: Experten schätzen, dass allein in der EU rund 5–8 Prozent der erwachsenen Bevölkerung an MASH leiden – mit steigender Tendenz. Die Erkrankung ist häufig mit Adipositas, Typ-2-Diabetes und kardiovaskulären Komorbiditäten assoziiert. Für viele Patienten bedeutet die Diagnose eine stille, über Jahre hinweg fortschreitende Verschlechterung der Lebergesundheit – oft symptomlos, bis irreversible Schäden auftreten. Bislang standen für diese Patientengruppe ausschließlich Lebensstiländerungen im Vordergrund. Eine medikamentöse Option, die gezielt auf den Krankheitsmechanismus einwirkt, fehlte.

Auch gesundheitsökonomisch eröffnet die neue Substanz Perspektiven: Frühzeitige Interventionen können langfristige Folgekosten durch Zirrhose, Leberkrebs und Transplantation senken. Gleichzeitig werden Diskussionen über Preisgestaltung, Erstattungsfähigkeit und Priorisierung innerhalb der Versorgung erwartet, da sich Resmetirom in einem hochdynamischen Markt bewegt, der zunehmend durch metabolisch bedingte Systemerkrankungen geprägt ist.

Die finale Entscheidung der EU-Kommission zur Marktzulassung wird für August erwartet. Sie folgt in der Regel der Empfehlung des CHMP, kann jedoch weitere Auflagen und Bedingungen enthalten. Sollte Resmetirom zugelassen werden, stünde erstmals eine gezielte medikamentöse Intervention gegen MASH mit Leberfibrose zur Verfügung – und damit ein strategisch bedeutsamer erster Schritt auf dem bislang kaum beschrittenen Pfad der Fibrose-Therapie. Der Druck auf Forschung, Versorgung und Gesundheitssysteme dürfte damit eher steigen als sinken.

 

Revolution der HIV-Prävention, Signal für globale Gesundheitswende, Druck auf europäische Zulassung

Wie Lenacapavir mit zwei Injektionen pro Jahr die PrEP verändert, WHO und Gilead den Durchbruch feiern und die EMA nun unter Zugzwang steht

Die Zulassung von Lenacapavir (Yeztugo®) zur HIV-Präexpositionsprophylaxe (PrEP) durch die US-Arzneimittelbehörde FDA markiert einen Wendepunkt in der HIV-Prävention, wie ihn die globale Gesundheitsgemeinschaft seit Jahrzehnten nicht erlebt hat. Mit der Entscheidung, den langwirksamen Kapsid-Inhibitor zur Vorbeugung einer HIV-Infektion freizugeben, rückt erstmals ein Präventionsmodell in den Vordergrund, das mit nur zwei Injektionen pro Jahr nahezu vollständigen Schutz verspricht und gleichzeitig die Hürden der täglichen Adhärenz umgeht. Die wissenschaftliche Welt reagiert mit Superlativen: Die FDA-Bewertung basiert auf zwei groß angelegten Phase-III-Studien – PURPOSE 1 und PURPOSE 2 –, die unabhängig voneinander eine Schutzwirkung von über 99 Prozent belegten. Die WHO, Fachgesellschaften und auch Gilead selbst sprechen von einem historischen Meilenstein. Doch in Europa bleibt die Lage unklar. Obwohl Lenacapavir in der Indikation HIV-Therapie (unter dem Namen Sunlenca®) bereits zugelassen ist, wartet die EU weiter auf grünes Licht für die PrEP-Zulassung – ein Umstand, der angesichts der Datenlage zunehmend als Verzögerung kritisiert wird.

Im Zentrum der Entscheidung steht eine therapeutische Innovation: Lenacapavir gehört zur neuen Wirkstoffklasse der Kapsid-Inhibitoren und hemmt gezielt den Zusammenbau der Virusproteine, was den HIV-Erreger an zentralen Stellen seines Replikationszyklus blockiert. Das Prinzip ist dabei nicht nur antiviral, sondern präventiv wirksam – und das mit außergewöhnlich langer Halbwertszeit. Während bisherige PrEP-Schemata wie die tägliche orale Einnahme von Truvada (Emtricitabin/Tenofovirdisoproxilfumarat) oder Descovy (Emtricitabin/Tenofoviralafenamid) bei inkonsequenter Einnahme rasch ihre Schutzwirkung verlieren, bietet Lenacapavir mit nur zwei subkutanen Injektionen im Jahr einen Schutz von fast 100 Prozent – unabhängig von der täglichen Compliance.

Diese Überlegenheit zeigte sich in der PURPOSE-1-Studie besonders eindrücklich: Keine der jungen Frauen aus Südafrika und Uganda, die Lenacapavir erhielten, infizierte sich mit HIV – im Gegensatz zu den Kontrollgruppen unter oraler PrEP, wo die Infektionsrate bei bis zu zwei Fällen pro 100 Personenjahre lag. Auch in PURPOSE 2, an der MSM-Personen (Männer, die Sex mit Männern haben) teilnahmen, zeigte sich die neue PrEP mit einer Inzidenz von 0,10 HIV-Fällen pro 100 Personenjahre der Truvada-Gruppe (0,93 Fälle) deutlich überlegen. Diese Ergebnisse überzeugten nicht nur die FDA, sondern veranlassten auch Fachmagazine wie Science, Lenacapavir als »Durchbruch des Jahres 2024« auszuzeichnen.

Der Zulassungsprozess für die HIV-PrEP mit Lenacapavir umfasst dabei ein genau definiertes Protokoll. Vor Beginn muss eine HIV-negativ-Testung vorliegen, um das Risiko einer Resistenzbildung im Falle einer unbemerkten Infektion auszuschließen. Die Initialtherapie sieht eine Aufsättigungsphase mit einer Dosis von 927 mg subkutan (zwei Spritzen à 463,5 mg) und zusätzlich 600 mg Lenacapavir oral in zwei Tagesdosen à 300 mg vor. Am Folgetag wird die orale Dosis erneut gegeben. Danach reicht eine s.c.-Injektion alle sechs Monate aus. Dieses klar strukturierte, ärztlich kontrollierte Schema gewährleistet hohe Sicherheit und minimiert den Spielraum für Anwendungsfehler.

Auch die WHO begrüßte die Entscheidung mit Nachdruck: Dr. Meg Doherty, Direktorin des globalen HIV-Programms, nannte die FDA-Zulassung ein »Signal des Fortschritts« und betonte die Bedeutung langwirksamer Präventionslösungen besonders für Regionen mit hoher Infektionsdichte und schwacher Versorgungsinfrastruktur. Für Gilead-CEO Daniel O’Day ist Lenacapavir sogar eine realistische Grundlage, die globale HIV-Epidemie endlich beenden zu können. Neben der therapeutischen Innovation verweist der Hersteller auf die strategischen Vorteile eines zweimal jährlich applizierten Präparats: geringere Gesundheitskosten durch reduzierte Folgeinfektionen, höhere Reichweite im öffentlichen Gesundheitsdienst und vor allem bessere Schutzraten in gefährdeten Bevölkerungsgruppen, bei denen orale PrEP nicht zuverlässig wirkt.

In Europa allerdings herrscht weiterhin Zurückhaltung. Zwar ist Lenacapavir in der Indikation HIV-Therapie seit Ende 2022 unter dem Handelsnamen Sunlenca® für mehrfach vorbehandelte Patienten zugelassen. Der Einsatz als PrEP ist jedoch weiterhin nicht erlaubt. Die EMA prüft derzeit den Antrag auf Indikationserweiterung, doch ein genaues Zeitfenster wurde bislang nicht genannt. Beobachter vermuten, dass Gilead den Marktstart in der EU bewusst zurückhält, bis auch die PrEP-Zulassung vorliegt – strategisch nachvollziehbar, aber aus Sicht der Präventionspolitik riskant. Denn durch die Verzögerung könnten vulnerable Gruppen in Europa weiterhin mit suboptimalem Schutz leben müssen, obwohl ein wirksameres Präparat längst existiert.

Auch gesundheitspolitisch gewinnt das Thema damit an Brisanz. Während in den USA bereits mit der breiten Implementierung begonnen wird, etwa im Rahmen öffentlicher HIV-Präventionsprogramme in Schulen, LGBT-Zentren und kommunalen Gesundheitsdiensten, steckt Europa noch in der regulatorischen Warteschleife. Vor diesem Hintergrund mehren sich Forderungen aus Fachkreisen, den Zulassungsprozess zu beschleunigen. Gerade Deutschland, wo PrEP-Nutzung stark auf urbane Räume konzentriert ist und vulnerable Gruppen auf konstant verfügbare Präventionsangebote angewiesen sind, könnte durch einen frühen Einsatz von Lenacapavir neue Präventionslücken schließen.

Unabhängig vom regulatorischen Tempo in Europa steht fest: Die Einführung von Lenacapavir als zweimal jährlich applizierte PrEP markiert einen Paradigmenwechsel in der globalen HIV-Prävention. Sie bricht mit den bisherigen Mustern täglicher Medikation, stärkt die Prävention in Risikogruppen und bietet neue Versorgungsansätze gerade in Ländern mit schlechter Infrastruktur. Was nun folgt, ist nicht nur die medizinische Implementierung, sondern auch ein politischer Wettlauf um Reaktionsgeschwindigkeit, Gesundheitsschutz und pharmazeutische Innovationskraft. In diesem Rennen steht Europa derzeit auf der Reservebank.

 

Ungewöhnliche Ozonspitzen, steigende Gesundheitsrisiken, frühsommerliche Extremwerte

Warum Europas Atemluft unter Druck gerät, wer jetzt besonders gefährdet ist und wie sich Politik und Bevölkerung wappnen müssen

Die Ozonbelastung in Europa hat in den ersten Junitagen eine Intensität erreicht, wie sie sonst eher für die heißen Wochen im Hochsommer typisch ist. Das EU-Erdbeobachtungsprogramm Copernicus schlägt Alarm: Fast flächendeckend über dem europäischen Festland – mit Ausnahme Skandinaviens – wurden signifikant erhöhte Konzentrationen bodennahen Ozons gemessen. In mehreren Regionen, insbesondere im Mittelmeerraum, aber auch in Teilen Deutschlands, wurden bereits gesundheitsrelevante Schwellen überschritten. Für das kommende Wochenende prognostiziert der Atmosphärenüberwachungsdienst Cams Werte oberhalb von 120 Mikrogramm pro Kubikmeter. Das Überschreiten dieser Schwelle – gemittelt über acht Stunden – ist nach geltender EU-Richtlinie nur an maximal 18 Tagen pro Jahr zulässig, um die Gesundheit der Bevölkerung nicht zu gefährden. In Deutschland und vielen Teilen Südeuropas könnte dieses Limit bereits vor dem offiziellen Sommerbeginn erreicht oder überschritten werden.

Dabei ist das frühe Auftreten derartiger Spitzenwerte keineswegs nur ein meteorologisches Randphänomen. Vielmehr deutet sich hier eine systemische Verschiebung an, die die meteorologisch-atmosphärische Dynamik Europas nachhaltig beeinflussen könnte. Cams-Direktorin Laurence Rouil verweist auf den klaren Zusammenhang zwischen dem frühen Temperaturanstieg und der beschleunigten Bildung von bodennahem Ozon – einem Reaktionsprodukt aus Stickstoffoxiden und flüchtigen organischen Verbindungen unter UV-Einstrahlung. »Dank unserer Vorhersagemodelle kann Europa rechtzeitig gewarnt werden, was wichtig für den Schutz der Bevölkerung und der Umwelt ist«, so Rouil. Doch Warnung allein reicht nicht: Bereits jetzt zeigen die Karten des Überwachungsprogramms eine deutliche Zunahme an Episoden mit Überschreitungen der Informationsschwelle von 180 µg/m³ im Stundenmittel. Diese Marke verpflichtet die Behörden zur unmittelbaren Öffentlichkeitsinformation – insbesondere zum Schutz vulnerabler Gruppen wie Kinder, Ältere, Asthmatiker und Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Dass die Ozonbelastung derart früh im Jahr kritisch wird, überrascht viele Expertinnen und Experten. Zwar ist bekannt, dass Ozonkonzentrationen in heißen Sommern steigen, doch die heurige Frühverlagerung des Peaks bringt auch neue Herausforderungen mit sich. Einerseits verlängert sich die Expositionszeit der Bevölkerung, andererseits treffen hohe Ozonwerte nun auf noch höhere Pollenkonzentrationen – eine Kombination, die das Atemwegssystem zusätzlich strapaziert. Beschwerden wie Husten, tränende Augen, Kopfschmerzen oder Atemnot nehmen zu, insbesondere in Ballungszentren mit hohem Verkehrsaufkommen. Wer zusätzlich körperliche Anstrengung im Freien unternimmt, riskiert eine erhöhte Aufnahme des Reizgases über die Lunge. Cams rät deshalb zu gezielten Verhaltensmaßnahmen: Innenräume bevorzugen, Belastungsspitzen am Nachmittag meiden und bei gesundheitlichen Beschwerden ärztliche Beratung suchen.

Die Situation erinnert an Extremjahre wie 2003 oder 2018, in denen langanhaltende Hitzephasen bereits im Frühling zu auffälligen Ozonlagen führten. Damals reagierten einige Bundesländer mit lokal begrenzten Verkehrsbeschränkungen oder dem Appell zu Fahrgemeinschaften. Ähnliche Maßnahmen werden aktuell zumindest intern diskutiert. In Frankreich beispielsweise hat die Regierung bereits Notfallpläne aktiviert, um bei Bedarf zügig in hochbelasteten Regionen eingreifen zu können. In Deutschland bleibt es bislang bei öffentlichen Empfehlungen. Die Gesundheitsministerien der Länder setzen vor allem auf Informationspolitik und Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger – eine Strategie, die angesichts der Geschwindigkeit des Temperatur- und damit auch des Ozonanstiegs zunehmend auf den Prüfstand gehört.

Dass die EU bereits 2002 eine Luftqualitätsrichtlinie verabschiedet hat, in der die Ozonbelastung klar geregelt wird, zeigt, dass das Problem lange bekannt ist. Doch die Umsetzung ist komplex: In urbanen Räumen konkurrieren Emissionssenkungen mit wirtschaftlichen Interessen, in ländlichen Gebieten fehlen oft die Echtzeit-Messnetze zur präzisen Steuerung. Auch der Klimawandel wirkt als Verstärker. Höhere Temperaturen und mehr Sonnenstunden begünstigen die photochemischen Reaktionen, die Ozon entstehen lassen – selbst wenn die Ausgangsemissionen nicht zunehmen. Das bedeutet: Selbst bei sinkenden NOx-Emissionen kann es künftig häufiger zu gesundheitsschädlichen Ozonwerten kommen.

Für das Wochenende stellt sich die Lage in Deutschland besonders kritisch dar: Neben der prognostizierten Hitze – mit Temperaturen über 30 Grad – kommt eine ausgeprägte Schwüle hinzu. Meteorologen warnen bereits vor einer Mischung aus Hitzestress, hoher UV-Belastung und instabilen Wetterlagen, die Unwetter mit sich bringen können. In dieser Kombination droht nicht nur eine akute Gesundheitsgefahr, sondern auch eine Herausforderung für Rettungskräfte, Notaufnahmen und Gesundheitsämter, die auf eine Häufung hitzebedingter Beschwerden vorbereitet sein müssen.

Insgesamt verdeutlicht der aktuelle Fall: Europa steht atmosphärisch unter Spannung. Frühzeitig einsetzende Hochozonphasen verlangen nicht nur nach technischer Modellierung und Warninfrastruktur, sondern auch nach politischer Konsequenz, gesundheitspolitischer Prävention und langfristiger Luftreinhaltepolitik. Wenn Episoden wie diese zur neuen Normalität werden, sind strukturelle Anpassungen unausweichlich – vom Verkehrswesen über die Stadtplanung bis zur Notfallmedizin.

Von Engin Günder, Fachjournalist

 

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