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APOTHEKE | Medienspiegel & Presse |
Verluste durch abgelaufene Medikamente, interne Fehlerquellen oder gezielte Entwendungen sind für viele Apotheken kein Ausnahmefall mehr, sondern alltäglicher Kostenfaktor – doch selten werden die Ursachen ganzheitlich erfasst. Wie wirtschaftliche Substanz untergraben wird, beginnt im Kleinen: bei übersehenen Retouren, unkontrollierten Bestellprozessen, falsch verstandenen Zuständigkeiten oder dem Fehlen interner Kontrollroutinen. Noch gravierender sind die digitalen Gefahren, die über ungeschützte Systeme, mangelhaft gewartete IT-Infrastrukturen und fehlende Cyberversicherungspolicen in sensible Betriebsabläufe eindringen können – mit potenziell existenzbedrohlichen Folgen für Daten, Finanzen und Reputation. Dass Sicherheitsverantwortung längst nicht mehr bei der Türschwelle endet, zeigt auch ein Grundsatzurteil des Bundessozialgerichts, das räumliche Verantwortung neu definiert und die Betriebshaftung auch in Randbereichen ausweitet. Wer diese Risiken unterschätzt, riskiert nicht nur Geld, sondern Vertrauen, Handlungsfähigkeit und Standortsicherheit. Der entscheidende Unterschied liegt im strategischen Handeln: Wer frühzeitig Risiken bewertet, interne Transparenz schafft und Policen passgenau einsetzt, verwandelt diffuse Unsicherheit in robuste Betriebssicherheit – und sichert das wirtschaftliche Rückgrat seiner Apotheke nachhaltig.
Warenverlust durch Verfall, Schwund durch Diebstahl, Schutz durch Versicherung
Wie Apotheken ihre wirtschaftlichen Risiken erkennen, digitale und analoge Sicherheitslücken schließen und mit gezieltem Versicherungsschutz Vorsorge treffen
Warenverluste in Apotheken haben viele Gesichter – und alle führen zu demselben Ergebnis: einem geschwächten wirtschaftlichen Fundament. Ob es sich um abgelaufene Medikamente, versehentlich nicht dokumentierte Retouren, Schwund durch fehlerhafte Prozesse oder gezielten Diebstahl handelt – jeder dieser stillen Kassenräuber nagt am Ertrag, ohne dass er sofort sichtbar wird. Doch genau darin liegt die Gefahr: Die finanziellen Lecks sind schleichend, oft systemisch verankert und werden erst spät erkannt – dann jedoch mit oft drastischen Folgen. Wer den Überblick behält, Risiken strukturiert bewertet und eine Kultur der Verantwortung etabliert, kann Verluste nicht nur reduzieren, sondern das wirtschaftliche Gesamtprofil der Apotheke entscheidend verbessern.
Am offensichtlichsten – und doch häufig unterschätzt – sind Verluste durch Verfall. Besonders betroffen sind Arzneimittel mit geringer Umschlagshäufigkeit, wie etwa selten verordnete Präparate, Impfvorräte außerhalb der Saison oder Lagerbestände von Aktionsware, die keine unmittelbare Platzierung im Handverkauf finden. Das Problem entsteht häufig schon bei der Bestellung: Unangepasste Mengen in Relation zur Nachfrage, fehlende Rückmeldung aus den Filialen, mangelnde Sicht auf Lagerumschlagsgeschwindigkeiten. Wer nicht mit intelligenter Warenwirtschaft arbeitet, verpasst die Möglichkeit, Risiken in Echtzeit zu erkennen. Und wer den Überblick über Restlaufzeiten verliert, zahlt schnell drauf – mit doppeltem Effekt: Vernichtungskosten plus entgangener Umsatz.
Dabei ist Prävention keine Raketenwissenschaft. Ein softwaregestütztes Verfallmonitoring mit automatischer Frühwarnfunktion, ergänzt durch interne Verfalllisten, gezielte Umverteilung zwischen Filialen und Aktionsplatzierungen für Ware mit kurzer Laufzeit, kann Verluste signifikant senken. Zentral ist zudem das konsequente Umsetzen des „First In, First Out“-Prinzips: Nur wer systematisch die ältesten Artikel zuerst abverkauft, verhindert schleichenden Wertverlust im Lager. Auch im Handverkauf kann eine gezielte HV-Kommunikation helfen, abverkaufsgefährdete Produkte sichtbar zu machen – etwa durch integrierte Beratungsschwerpunkte oder spezifische Kundenaktionen.
Noch sensibler, weil mit direkter Vertrauensdimension behaftet, ist das Thema Diebstahl. Was früher als Einzelfall in der Offizin galt, ist inzwischen vielerorts ein kalkulierbares Risiko. Diebstahl erfolgt heute nicht nur durch fremde Dritte im Kundenbereich, sondern gelegentlich auch durch internes Personal – etwa durch das gezielte Abschreiben von Ware, durch unberechtigte Umbuchungen oder durch manipulierte Retourenprozesse. Wer glaubt, eine kleine Apotheke sei davor gefeit, irrt. Die Präventionsarbeit beginnt hier mit Architektur und Kommunikation – nicht mit Generalverdacht.
Effektive Maßnahmen reichen von der Platzierung teurer Präparate in gut einsehbaren Bereichen über physische Sicherung durch Verpackungsschutz, Entnahme der Originale für die Lagerung im Backoffice bis hin zur Installation gekennzeichneter Kameras oder Attrappen. Noch wirkungsvoller sind aber prozessorientierte Maßnahmen: Zugangsbeschränkungen zum Lager, Rechtevergabe in der Warenwirtschaft, das Vier-Augen-Prinzip bei sensiblen Buchungen und eine strikte Differenzierung der Verantwortlichkeiten – insbesondere in Übergabe- und Inventurprozessen.
Inventuren spielen dabei eine doppelte Rolle: Sie sind Kontrollinstrument und Präventionssignal zugleich. Wer regelmäßig prüft, zeigt, dass er aufmerksam führt – und schafft damit einen Rahmen, in dem Unregelmäßigkeiten seltener gedeihen. Doch Inventur allein genügt nicht, wenn das Team nicht aktiv eingebunden wird. Der offene, respektvolle Umgang mit dem Thema – ohne Generalverdacht, aber mit klarer Haltung – ist entscheidend. Verdachtsmomente müssen ernst genommen, aber mit Sorgfalt und Vertraulichkeit behandelt werden. Nur so entsteht eine Sicherheitskultur, die nicht nur technisch, sondern menschlich funktioniert.
Doch neben aller Prävention braucht es eine weitere Sicherheitskomponente – und das ist der richtige Versicherungsschutz. Wer etwa glaubt, dass eine klassische Inhaltsversicherung oder eine Grunddeckung gegen Einbruchdiebstahl ausreichend sei, irrt. Besonders die intern begangenen Vertrauensschäden – also Veruntreuung durch Mitarbeitende – werden in Standardpolicen oft nur unzureichend oder gar nicht erfasst. Hier setzt die Vertrauensschadenversicherung an, die auf Apotheken zugeschnittene Risiken wie Lagerbuchungsmanipulation, Kassenabschöpfung oder Rückerstattungsbetrug gezielt abdeckt. Ohne diesen Schutz drohen im Ernstfall sechsstellige Schadenssummen – ohne Haftungsausgleich.
Daneben sind branchenspezifische Deckungserweiterungen heute unverzichtbar: etwa für Cyberangriffe auf die digitale Warenwirtschaft, Fehler bei Rezeptabrechnungen oder Schäden bei Medikamentenlieferungen durch externe Dienstleister. Auch Betriebsunterbrechungen nach Einbruch, Vandalismus oder Sprinklerleckagen sind keine Randphänomene mehr – sondern Realität. Ein moderner Versicherungsmix muss also nicht nur rechtlich sauber, sondern praktisch belastbar sein – mit schneller Regulierung, klaren Prozessen und einer fortlaufenden Risikoanalyse.
Der Schlüssel liegt in der Präzision: Pauschalversicherungen aus dem Gewerbesegment greifen zu kurz. Was Apotheken brauchen, ist eine Strategie, die Online- und Offline-Risiken gleichermaßen abdeckt, systemische Schwächen im Warenfluss berücksichtigt und die oft unterschätzte menschliche Komponente aktiv einbezieht. Es ist kein Zeichen von Misstrauen, sich gegen eigene Mitarbeitende abzusichern – sondern ein Ausdruck von Führungsverantwortung.
In Zeiten von Personalmangel, Digitalisierungsschüben und zunehmender Kriminalität ist der umfassende Schutz vor Warenverlust kein Nebenschauplatz mehr. Er ist Teil des wirtschaftlichen Überlebensprinzips – und der entscheidende Hebel für Nachhaltigkeit, Stabilität und Vertrauen in das eigene Unternehmen.
Versicherungspflicht beginnt bei der Klinkette, endet aber nicht an der Tür
Wie ein BSG-Urteil Apotheken für Toilettenunfälle sensibilisiert, welche Relevanz der Versicherungsschutz bei Invalidität hat und warum Betriebsverantwortung neu gedacht werden muss
Ein vermeintlich alltäglicher Vorfall in einem Berliner Krankenhaus hat das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel dazu veranlasst, über die Reichweite des gesetzlichen Unfallschutzes neu nachzudenken – und damit eine Diskussion angestoßen, die weit über die Grenzen der stationären Versorgung hinausreicht. Eine Patientin war 2019 nach einer Hirnblutung zur neurologischen Reha auf der Schlaganfallstation untergebracht, als sie bei einem Toilettengang schwer stürzte. Obwohl der Toilettengang an sich als privat galt, hat das BSG nun klargestellt: Der Unfall kann sehr wohl unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung fallen – wenn nämlich typische Risiken des Stationsalltags oder Versäumnisse bei der baulich-räumlichen Absicherung ursächlich sind. Damit rückt ein Bereich ins Zentrum der Rechtsdebatte, der auch Apothekeninhaber direkt betrifft.
Denn Apotheken sind nicht nur Verkaufsstellen für Medikamente, sondern zunehmend auch medizinisch-pharmazeutische Versorgungsorte – mit Impfangeboten, pDL-Leistungen und erhöhtem Personenaufkommen. Patientensicherheit endet nicht an der Sichtwahl, sondern umfasst alle Räume, in denen sich Patientinnen und Kunden aufhalten können – insbesondere bei eingeschränkter Mobilität, etwa nach orthopädischen Eingriffen, bei altersbedingten Einschränkungen oder neurologischen Störungen. Wer diesen Kontext unterschätzt, öffnet nicht nur dem Haftungsrisiko die Tür, sondern riskiert auch die Nichtanerkennung von Versicherungsschutz bei Personenschäden.
Das BSG-Urteil zeigt exemplarisch, wie eng die Auslegung der gesetzlichen Unfallversicherung an die räumlich-funktionale Gestaltung von Einrichtungen gekoppelt ist. Im Klartext: Sanitärräume müssen so ausgestattet sein, dass sie sicher und ohne zusätzliche Gefährdung genutzt werden können. In der Apotheke bedeutet das konkret: Sind Kundentoiletten vorhanden, müssen Haltegriffe, rutschfeste Böden, Notrufsysteme und barrierearme Zugänge Standard sein – unabhängig davon, ob es sich um ein öffentlich zugängliches WC oder eine Mitarbeitertoilette handelt. Auch Notfallmaßnahmen und Dokumentationspflichten bei Unfällen müssen geregelt sein, da bei fehlender Vorsorge eine zivilrechtliche Haftung schnell auf den Apothekenbetrieb zurückfallen kann.
Versicherungstechnisch tritt die Frage nach der betrieblichen Unfallversicherung und einer ergänzenden Absicherung bei Invalidität ins Zentrum. Während angestellte Apothekenkräfte meist über die Berufsgenossenschaft pharmazeutische Produkte und Dienstleistungen (BGW) versichert sind, greift der Schutz bei Kunden, Besuchern oder Kooperationspartnern nicht automatisch. Hier empfiehlt sich dringend eine Betriebshaftpflichtversicherung mit erweitertem Personenschadenschutz – und idealerweise eine Unfallzusatzversicherung, die auch bei dauerhaften Schäden durch einfache Unfälle einspringt. Dies gilt insbesondere für selbstständige Inhaber, die nicht unter die gesetzliche Unfallversicherung fallen, sowie für familienangehörige Mitarbeiter, die nicht formell angestellt sind.
Der Fall der Berliner Patientin macht deutlich, dass sich Unfälle oft nicht an Organisationsgrenzen halten. Weder das Krankenhaus noch die Gerichte konnten den Vorfall zunächst eindeutig einordnen – zu unklar war die Abgrenzung zwischen privater Handlung und betrieblicher Verantwortung. Erst das BSG stellte klar: Wo krankenhaustypische Risiken durch bauliche oder organisatorische Defizite ursächlich sind, besteht Versicherungsschutz. Dieses Prinzip lässt sich nahtlos auf den Apothekenalltag übertragen. Wer beispielsweise pharmazeutische Dienstleistungen in der Nähe der Offizin-Toilette durchführt oder Patientinnen nach Impfungen zur Ruhe bittet, schafft Schnittstellen, an denen das Unfallrisiko steigt – und mit ihm die Relevanz von Vorsorge und Versicherung.
Darüber hinaus ist der Schutz vor langfristigen Konsequenzen wie Invalidität nicht nur eine betriebliche, sondern auch eine persönliche Verantwortung. Denn selbst wer gesetzlich versichert ist, erhält im Fall dauerhafter Erwerbsminderung meist nur eine Grundabsicherung – mit erheblichen finanziellen Lücken. Daher raten Experten Apothekeninhabern, ihr persönliches Risiko über private Unfallversicherungen mit hoher Gliedertaxe und Progression abzusichern – und zugleich für Angestellte betriebliche Gruppenunfallmodelle zu prüfen, etwa zur Mitarbeiterbindung oder als Präventionsinstrument.
Schließlich ist das BSG-Urteil auch ein Appell an den Apothekenstandort als solchen: Wenn Apotheken ihren Anspruch als wohnortnahe Gesundheitsdienstleister ernst nehmen, müssen sie auch infrastrukturell Sicherheit bieten. Die „Toilettenfrage“ ist kein Nebenschauplatz, sondern Teil eines umfassenden Sicherheitsverständnisses, das sich nicht im HV-Tisch erschöpfen darf. Gefragt ist eine betriebliche Haltung, die Risiken antizipiert, baulich abfängt und vertraglich absichert – für Kundinnen, für das Team, für die Zukunft der Apotheke.
Digitalisierung spart Milliarden, künstliche Intelligenz entlastet Personal, politische Reformen bleiben unverzichtbar
Wie gesetzliche Krankenkassen mit smarter Effizienz 13 Milliarden Euro heben könnten, warum Hilfsmittelanträge zur Ressourcenfalle werden und wo der Gesetzgeber nicht länger ausweichen darf
Die Finanzprobleme der gesetzlichen Krankenkassen sind real – und sie wachsen. Allein 2024 summieren sich die Ausgaben auf rund 327 Milliarden Euro, während sich der Spielraum für betriebliche Optimierungen laut Sozialgesetzbuch notorisch in engen Grenzen bewegt. Doch ein neuer Bericht der Unternehmensberatung Deloitte macht deutlich: Auch innerhalb dieses rigiden Rahmens gibt es Spielräume – wenn die Mittel stimmen. Bis zu vier Prozent Einsparpotenzial veranschlagt Deloitte bei konsequenter Digitalisierung und Prozessoptimierung, was einem Betrag zwischen 8 und 13 Milliarden Euro entspräche. Für Versicherte könnte das perspektivisch eine Senkung des Beitragssatzes um bis zu 0,7 Prozentpunkte bedeuten – ein ernstzunehmendes Gegengewicht zur derzeitigen Beitragsdynamik.
Im Zentrum der Analyse stehen vor allem interne Steuerungsdefizite. Die Prüfprozesse für Krankenhausabrechnungen gelten als verbesserungsbedürftig, ebenso die Abrechnungen für Arzneimittel, medizinische Hilfsmittel und Krankengeld. Gerade im Bereich der Hilfsmittel offenbart sich laut Deloitte ein massives Effizienzdefizit: In einer typischen Krankenkasse mittlerer Größe treffen jährlich etwa eine Million genehmigungspflichtiger HiMi-Anträge ein – 850.000 davon werden händisch bearbeitet. Dies bindet rund 200 Vollzeitstellen – ein betriebswirtschaftlich fragwürdiger Ressourceneinsatz, der durch den Einsatz digitaler Assistenzsysteme und KI-basierter Entscheidungsroutinen deutlich reduziert werden könnte.
Auch in der Verwaltung klaffen Einsparreserven: Rund 13 Milliarden Euro geben die Krankenkassen jährlich für eigene Betriebs- und Personalausgaben aus. Deloitte sieht hier bis zu einer Milliarde Euro Potenzial, das ohne gesetzgeberische Änderungen realisiert werden könnte – beispielsweise durch effizientere Raumkonzepte, konsolidierten Einkauf oder datengetriebene Ressourcennutzung.
Dr. Gregor-Konstantin Elbel, der bei Deloitte den Bereich der Kostenträger verantwortet, sieht in den Erkenntnissen keinen Aufruf zu reiner Selbstoptimierung. Vielmehr müsse die Politik erkennen, dass selbst bei umfassender interner Disziplin die großen Stellhebel in ihrer Hand lägen. Denn der überwiegende Teil der Kassenausgaben – von Klinikentgelten über Heilmittel bis hin zur Pflegeversicherung – ist gesetzlich vorgegeben und systemisch fixiert. Eine nachhaltige Entlastung könne es daher nur durch tiefgreifende Reformen geben, nicht durch Symbolpolitik oder isolierte Sparrunden.
Was bleibt, ist ein duales Bild: Ja, es gibt in der GKV ein bislang ungehobenes Rationalisierungspotenzial, das im Milliardenbereich liegt. Und ja, dieses Potenzial lässt sich aktivieren – mit Technologie, Strukturdisziplin und Führungswillen. Aber es ist eben nur ein Teil des Bildes. Wer den finanziellen Kollaps der GKV verhindern will, muss nicht nur digitalisieren, sondern auch systemisch reformieren. Die Einsicht, dass Effizienz kein Ersatz für Strukturpolitik ist, wird zur Bedingung für Stabilität.
Deloitte entdeckt Milliardenpotenzial, Kassen ächzen unter Pflichtleistungen, KI soll Personal entlasten
Wie digitale Effizienzreserven gehoben werden können, warum Sozialrecht als Bremse wirkt und wo künstliche Intelligenz echte Freisetzung verspricht
Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) steht finanziell unter Druck, die Spielräume sind begrenzt, und dennoch schlummert ungenutztes Sparpotenzial im Milliardenbereich – das jedenfalls legt eine aktuelle Analyse der Unternehmensberatung Deloitte offen. Bis zu 13 Milliarden Euro könnten den Krankenkassen zufolge eingespart werden, wenn Prozesse effizienter gestaltet, digitale Technologien umfassender genutzt und Verwaltungsaufwände intelligenter strukturiert würden. Konkret bedeutet das eine theoretische Reduktion der jährlichen GKV-Ausgaben um vier Prozent – ausgehend von einem Gesamtbudget von 327 Milliarden Euro im Jahr 2024. Allein durch gezielte Prüfmechanismen bei Krankenhausrechnungen und Arzneimittelabrechnungen, aber auch durch eine digitale Bewilligung von Krankengeld und Hilfsmitteln, ließen sich spürbare Dämpfungen der Beitragssätze erzielen. Deloitte schätzt das mögliche Entlastungspotenzial über einen mittelfristigen Zeitraum von zwei bis vier Jahren auf 0,4 bis 0,7 Beitragspunkte – ein Signal, das nicht nur in der Politik, sondern auch bei Versicherten aufhorchen lässt.
Die Berechnungen machen aber auch deutlich, dass strukturelle Veränderungen nicht allein aus den Kassen selbst heraus generiert werden können. Die zentralen Stellschrauben des Gesundheitssystems liegen weiterhin beim Gesetzgeber. Leistungen und Erstattungen sind im Sozialgesetzbuch weitgehend festgelegt, die Kassen haben nach wie vor nur marginale Spielräume, um eigene Ausgaben tatsächlich zu steuern. Das macht jede Effizienzsteigerung zu einer Operation am offenen Herzen: Sie kann kurzfristig entlasten, ersetzt aber keine Reform. „Entsprechendes Potenzial ist vorhanden“, erklärt Dr. Gregor-Konstantin Elbel, verantwortlicher Partner bei Deloitte. „Doch zur Wahrheit gehört auch: Für umfassende Einsparungen im Gesundheitswesen ist der Gesetzgeber mit weitreichenden Reformen gefragt.“ In der Praxis bedeutet das: Die Politik muss den regulatorischen Rahmen neu justieren, wenn die Beitragsspirale nachhaltig gestoppt werden soll.
Während also die großen Hebel weiterhin in Berlin stehen, richtet sich der Blick der Kassen zunehmend auf ihre internen Prozesse. Gerade die Verwaltungsausgaben – mit derzeit rund 13 Milliarden Euro jährlich ein fester Bestandteil des Kostenapparats – geraten verstärkt in den Fokus. Hier sieht Deloitte kurzfristige Optimierungsmöglichkeiten, etwa durch neue Büro- und Beschaffungskonzepte sowie gezielte Digitalisierung. Beispiel Hilfsmittelversorgung: Bei einer mittelgroßen Kasse werden jährlich etwa eine Million Anträge bearbeitet, davon rund 850.000 manuell – ein Aufwand, der 200 Vollzeitstellen bindet. „Das ist weder zeitgemäß noch effizient“, betont Elbel. Die Einführung von KI-gestützten Genehmigungssystemen könnte diese Zahl deutlich senken, ohne Einbußen bei Qualität oder Prüftiefe zu verursachen.
Doch die Vorstellung, dass Digitalisierung ein reiner Selbstläufer sei, wäre trügerisch. Die Systeme müssen eingeführt, gewartet und mit Rechtsklarheit flankiert werden – sonst droht eine technische Aufrüstung ohne Wirkung. Die Grenzen zwischen Automatisierung und Entscheidungskompetenz sind im Sozialrecht schmal, etwa wenn es um komplexe Einzelfälle oder sensible Patientendaten geht. Deshalb braucht es nicht nur Technologie, sondern auch Qualifikation und Transparenz, um die Effizienzziele zu erreichen. Deloitte spricht sich explizit für „intelligente Automatisierung“ aus – also Systeme, die lernfähig sind, Prozesse abbilden und dabei keine juristischen Grauzonen produzieren. Genau darin liegt die Chance: Während die GKV von gesetzlichen Vorgaben gefesselt ist, bietet die Verwaltungsebene echte Handlungsspielräume.
Aus Sicht der Versicherten bleibt dennoch Skepsis angebracht. Denn der erhoffte Spareffekt darf nicht mit einer Verschlechterung der Versorgung einhergehen – sei es durch längere Bearbeitungszeiten, automatisierte Ablehnungen oder durch Einschnitte bei Leistungen. Die Herausforderung besteht also darin, Effizienz zu gewinnen, ohne den Leistungsanspruch zu verwässern. Gerade in einem solidarisch finanzierten System ist Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der Kassen eine Grundbedingung – nicht nur für die Beitragstreue, sondern auch für die Akzeptanz zukünftiger Reformen. In dieser Hinsicht wirkt das Deloitte-Papier wie ein Weckruf: Es zeigt auf, dass Einsparungen möglich sind – aber eben nicht zum Nulltarif und nicht ohne politischen Willen.
Zudem offenbart die Analyse ein strukturelles Dilemma, das über den Einzelfall hinausweist: Die Krankenversicherung ist als Pflichtsystem konzipiert, wird aber zunehmend wie ein marktwirtschaftlicher Akteur behandelt. Während Wettbewerb propagiert wird, fehlt den Kassen oft die reale Möglichkeit, ihn auch auszuüben. Beiträge steigen, Leistungen sind gesetzlich festgeschrieben, Rücklagen werden abgebaut. Der Verweis auf interne Effizienz kann da schnell als Ablenkung empfunden werden – wenn nicht gleichzeitig eine ehrliche Debatte über den politischen Handlungsrahmen geführt wird. Nur wer beides zusammendenkt – digitale Selbstoptimierung und gesetzgeberische Klarheit – wird die GKV langfristig stabilisieren können. Deloitte hat den Finger auf die richtige Wunde gelegt. Die eigentliche Therapie aber muss in der Politik beginnen.
Talente stärken die Offizin, Betriebe investieren in Vertrauen, der Beruf gewinnt durch Praxisnähe
Wie PTA-Schülerinnen Apotheken frühzeitig entlasten, Bindung aufbauen und Verantwortung übernehmen
Dass viele PTA-Schülerinnen und -Schüler der Fachschule in Münster bereits vor der offiziellen Famulatur fest in Apotheken mitarbeiten, ist längst mehr als ein Nebenaspekt pädagogischer Praxis – es ist ein strategischer Baustein gegen Personalengpässe und ein Gegengewicht zur Abwanderung in fachfremde Nebenjobs. „Lieber Ware verbuchen als Netto-Regale einräumen“, lautet ein typischer Satz unter den Beteiligten. Und er beschreibt einen Trend: Die frühzeitige Einbindung der PTA-Schülerinnen in den Apothekenalltag führt nicht nur zu mehr Sicherheit in der Berufswahl, sondern schafft auch betriebliche Bindung, Routine und Loyalität. Schulleiterin Nicole Budny sieht darin klare Vorteile für beide Seiten: „Wer die Abläufe kennt, bleibt meist auch im Beruf – und nicht wenige sichern sich so langfristig ihren Arbeitsplatz.“
Dabei geht es keineswegs nur um Packerlupen oder das Nachsortieren von Sichtwahlprodukten. Viele Auszubildende übernehmen schon vor der Famulatur Aufgaben wie das Verbuchen von Wareneingängen, das Organisieren von Retax-Widersprüchen oder die Unterstützung bei pharmazeutischen Dienstleistungen. Inhaberinnen und Inhaber schätzen diese Verlässlichkeit – gerade in Zeiten, in denen ausgebildete Kräfte rar sind und jede Entlastung zählt. Einige Apotheken berichten, dass die frühen Helferinnen aus den Schulen teilweise stabiler verfügbar seien als Aushilfen aus anderen Bereichen. Zugleich entwickelt sich ein Netzwerk zwischen Ausbildung und Betrieb, das über lose Praktikumsbeziehungen hinausgeht.
Was in Münster gelingt, ist ein mögliches Vorbild für andere Regionen. Denn vielerorts fehlt es nicht nur an PTA-Nachwuchs, sondern an betrieblich integrierten Strukturen. Die frühe Beteiligung an betrieblichen Abläufen erlaubt es den angehenden PTA, Verantwortung zu übernehmen, ihren künftigen Beruf mit realen Herausforderungen zu verbinden und zugleich eine emotionale Bindung zu Apotheken vor Ort aufzubauen. Das stärkt das Berufsethos, senkt die Schwelle für den Berufseinstieg – und wirkt dem Trend entgegen, dass PTA-Ausbildung häufig zwar begonnen, aber nicht zu Ende geführt oder beruflich nicht umgesetzt wird.
Zugleich sendet das Modell ein wichtiges Signal: Der PTA-Beruf ist mehr als reiner Theorielast. Durch die Verbindung aus schulischer Qualifikation und gelebter Praxis entsteht ein Lernfeld, das Orientierung, Wertschätzung und langfristige Perspektiven bietet. Wer sich früh einbringt, erfährt unmittelbare Rückkopplung – und wächst in ein Berufsumfeld hinein, das Stabilität und Eigenverantwortung ermöglicht. Für viele Schülerinnen ist das attraktiver als ein Nebenjob im Einzelhandel, der weder Qualifikation noch Kontinuität bietet. Die Berufstreue beginnt somit nicht erst mit dem Examen, sondern mit dem ersten Griff ins Kommissionierfach.
Die Erfahrungen aus Münster belegen: Ausbildungsbindung funktioniert nicht durch Werbekampagnen, sondern durch Zutrauen, Praxis und frühzeitige Einbindung. Während andere Branchen auf anonyme Nebenjobs setzen, entsteht hier ein konkretes System gegenseitiger Verantwortung. Die PTA-Fachschule schafft damit nicht nur eine Verbindung zwischen Theorie und Alltag, sondern auch ein Bündnis zwischen Nachwuchs und Apothekerschaft, das trägt – und bleibt.
Pflanzenwissen feiern, Risiken erklären, Heilwirkung vermitteln
Wie der Apothekergarten Hannover seit 25 Jahren fasziniert, aufklärt und den verantwortungsvollen Umgang mit Arzneipflanzen lehrt
Der Apothekergarten in Hannover ist kein stilles Refugium, sondern ein lebendiger Ort der Vermittlung, der Warnung und der Faszination. Wer hier durch die sorgsam beschrifteten Beete geht, entdeckt nicht nur Thymian, Fenchel, Salbei oder Schafgarbe, sondern auch ein Konzept: Der Mensch steht im Zentrum – im Wortsinn, aber auch im Anspruch der Einrichtung. Ein Mosaik-Mensch bildet das Herzstück der Anlage und markiert jene organischen Zielpunkte, für deren Beschwerden oder Prävention die umgebenden Heilpflanzen eingesetzt werden können. Dass der Garten 2025 sein 25-jähriges Jubiläum feiert, ist dabei weit mehr als eine Feier der Kontinuität – es ist ein sichtbares Zeichen dafür, wie eng pharmazeutische Ausbildung, öffentliche Gesundheitsbildung und schulische Integration miteinander verwoben sein können, wenn die richtigen Akteure zusammenspielen. Mit der Apothekerkammer Niedersachsen, dem Landesapothekerverband (LAV) und dem Schulbiologiezentrum Hannover tragen drei Institutionen Verantwortung für das Projekt – und nutzen es als Brücke zwischen Theorie und Praxis, Tradition und Gegenwart, Wissensvermittlung und Präventionsauftrag.
Das Gelände selbst misst rund 1.000 Quadratmeter und beherbergt über 100 Arzneipflanzen, die allesamt unter mitteleuropäischen Bedingungen gedeihen und deren Wirkungen wissenschaftlich anerkannt sind. Doch nicht die bloße Anhäufung macht den Garten so wertvoll, sondern seine Struktur: Die Pflanzen sind nach Organwirkungen sortiert, Lehrpfade erschließen ihre Verwendung, und pädagogisch aufgearbeitete Informationen ermöglichen es Besuchern aller Altersklassen, das Wissen direkt zu übertragen – sei es im Biologieunterricht, in PTA- und Pharmazieausbildung oder in der Apothekerfortbildung. Diese didaktische Offenheit ist kein Nebeneffekt, sondern zentraler Bestandteil des Konzepts. Gerade in einer Zeit, in der pflanzliche Heilmittel wieder zunehmende Nachfrage erfahren und dabei teils unkritisch als „harmlos“ wahrgenommen werden, erfüllt der Garten auch eine wichtige Schutzfunktion: Er macht deutlich, dass Pflanzenmedizin keine Spielwiese ist, sondern pharmakologisch wirksam – mit allen Chancen und Risiken.
So informiert die Einrichtung explizit auch über potenzielle Nebenwirkungen, Wechselwirkungen oder Anwendungsfehler. „Pflanzlich heißt nicht automatisch sicher“, betont die Apothekerkammer – und rückt damit eine zentrale Botschaft in den Fokus, die im Trend der Selbstmedikation leicht übersehen wird. Pflanzen wie Fingerhut, Eisenhut oder Bilsenkraut, die aufgrund ihrer starken Wirkstoffe medizinisch bedeutsam, aber toxisch sind, finden sich ebenfalls im Garten – nicht als Verharmlosung, sondern als Warnung und Lernanlass. Diese duale Ausrichtung – sowohl Faszination als auch Aufklärung – macht die Einrichtung einzigartig im deutschsprachigen Raum. In einer Zeit, in der Gesundheitsinformationen im Netz inflationär, aber oft unzuverlässig zirkulieren, bietet der Apothekergarten eine verlässliche, anschauliche und niedrigschwellige Alternative.
Dabei hat das Projekt seit seiner Gründung zur Expo 2000 nicht an Relevanz verloren – im Gegenteil. Die Themen Pflanzenheilkunde, Naturarzneien und Phytotherapie erleben gerade ein starkes Comeback, getrieben von einem neuen Nachhaltigkeitsbewusstsein, dem Wunsch nach sanfteren Therapieformen und dem Vertrauen in traditionelles Wissen. Dass der Apothekergarten nun seit einem Vierteljahrhundert besteht, ist nicht nur ein Beweis seiner Beständigkeit, sondern auch ein Indikator dafür, dass wissenschaftlich fundierte Naturheilkunde dann Wirkung entfaltet, wenn sie greifbar, sichtbar und verständlich wird – genau das leistet der Garten seit 25 Jahren. Zugleich fungiert er als Entlastungspunkt im Gesundheitssystem: Durch präventive Wissensvermittlung kann er langfristig Fehlanwendungen reduzieren, Interaktionen verhindern und die Selbstverantwortung stärken. All das macht ihn zu einem Leuchtturmprojekt gelungener Gesundheitsbildung.
Dass er frei zugänglich ist – während der Schulzeiten können Interessierte das Gelände kostenlos besuchen –, verstärkt seinen integrativen Charakter. Vor allem für Kinder und Jugendliche öffnet sich hier eine Welt, in der Biologie, Geschichte, Chemie und Ethik ineinandergreifen. Der Schulkontext ist dabei mehr als ein organisatorisches Beiwerk: Viele Lehrerinnen und Lehrer nutzen die Anlage als außerschulischen Lernort, der es erlaubt, Stoffwechselwege, Arzneistoffwirkungen oder die Geschichte der Pharmazie am lebenden Objekt zu erleben. Für PTA-Schülerinnen und angehende Apotheker wird der Garten damit auch zu einem Ort der Erinnerung – denn wer einmal an einem lauen Frühsommertag den Duft von Lavendel, die Bitterkeit des Wermuts oder das honigsüße Aroma von Kamillenblüten live erlebt hat, wird das Wissen um ihre Wirkung nicht so leicht vergessen.
Auch der pharmazeutische Nutzen vieler Pflanzen geht über die klassische Teeanwendung hinaus: Kartoffelstärke wird für Tablettenpressung genutzt, Mandelöl für Salben, und aus Salbei lassen sich antiseptische Tinkturen gewinnen. Dabei wird die Komplexität pflanzlicher Rohstoffe deutlich – und ebenso der Aufwand, der nötig ist, um aus ihnen standardisierte, sichere Arzneimittel herzustellen. Genau das ist ebenfalls Teil des Bildungskonzepts: Laien sollen verstehen, warum die Phytotherapie ein hochprofessionelles Feld ist, das nicht mit Küchenkräutern verwechselt werden darf. Apothekerinnen und Apotheker wiederum erhalten hier einen geschützten Lernraum, in dem sie ihre pflanzenkundliche Kompetenz auf- oder ausbauen können – ein Aspekt, der im modernen Berufsbild zunehmend gefragt ist.
In Zeiten knapper werdender Arzneimittel und wachsender Nachfrage nach pflanzlicher Medizin wird der Apothekergarten so auch zu einem Zukunftsort: Er zeigt, dass Arzneipflanzen nicht aus der Mode gekommen sind, sondern neue Bedeutung gewinnen – vorausgesetzt, ihre Anwendung erfolgt informiert, verantwortungsvoll und qualitätsgesichert. Genau diese Brücke zwischen Anspruch und Alltag, Wissen und Wirksamkeit, Prävention und Verantwortung schlägt der Garten – seit nunmehr 25 Jahren.
EU will Verursacher zahlen lassen, Pharmalobby schürt Panik, Metformin wird politisch instrumentalisiert
Wie die neue Abwasserrichtlinie für mehr Umweltgerechtigkeit sorgen soll, Brüssel zur Projektionsfläche industriegetriebener Ängste wird und Generikaversorgung zum rhetorischen Faustpfand gerät
Dass die Europäische Kommission mit ihren 32.000 Angestellten gelegentlich ein Übermaß an Regulierungsfantasie an den Tag legt, wird quer durch Branchen und politische Lager selten bestritten. Die Brüsseler Bürokratie ist oft Projektionsfläche für alles, was sich an Papierform, Verwaltungslast und Umsetzungslücke stauen kann – und damit nicht selten Symbol einer entfremdeten politischen Klasse. Doch auch wenn die Regelungsdichte europäischer Gesetzgebung berechtigte Kritik hervorrufen mag, bedeutet das nicht, dass jede Initiative aus Brüssel per se überschießend oder wirtschaftsfeindlich wäre. Ein Paradebeispiel hierfür ist die Kommunalabwasserrichtlinie (KARL), die im Herbst vergangenen Jahres verabschiedet wurde – und die, völlig zu Unrecht, in Teilen der pharmazeutischen Industrie für Aufruhr sorgt.
Die Richtlinie zielt auf ein wachsendes Umweltproblem: Rückstände von Arzneimitteln, Hormonen und Kosmetikinhaltsstoffen, die bislang nicht ausreichend aus dem Abwasser entfernt werden. KARL sieht daher vor, europaweit eine vierte Reinigungsstufe in Kläranlagen einzuführen – und dabei die Hersteller jener Substanzen finanziell in die Pflicht zu nehmen, die als sogenannte „Mikroschadstoffe“ das ökologische Gleichgewicht gefährden. Konkret: Mindestens 80 Prozent der Kosten sollen künftig von der Verursacherseite getragen werden, also Pharma- und Kosmetikkonzerne. Das Verursacherprinzip, so alt wie die Umweltpolitik selbst, wird damit erstmals auf EU-Ebene systematisch in die Praxis übertragen.
Was in der Sache sinnvoll, differenziert abgestuft und mit langen Übergangsfristen unterlegt ist, wurde jedoch binnen weniger Wochen von Teilen der Industrie in eine narrative Überlebensfrage uminterpretiert. Die Reaktion der europäischen Pharmaindustrie auf KARL folgte einem bekannten Muster: Zunächst leiser Protest hinter verschlossenen Türen, dann berechnete Zahlen ohne Kontext, schließlich Alarmismus in Leitmedien. So machte ein Szenario die Runde, laut dem sich die Herstellungskosten für das antidiabetische Generikum Metformin vervierfachen könnten – ein Signal, das prompt aufgegriffen wurde. Der „Spiegel“ titelte alarmistisch: „Produktion für wichtigstes Diabetesmedikament droht das Aus“ – und ließ dabei wesentliche Fakten außer Acht.
Dass KARL zunächst in nationales Recht überführt werden muss, dabei Fristen von bis zu 20 Jahren vorsieht, wurde kaum erwähnt. Ebenso wenig, dass die Auswirkungen auf Arzneimittelpreise in einem politischen Kontext geregelt werden, in dem niemand – weder auf europäischer noch auf nationaler Ebene – eine massive Belastung der Grundversorgung riskieren will. Dass eine flächendeckende Versorgung mit bewährten Generika wie Metformin zur Systemstabilität gehört, dürfte in allen Gesundheitsministerien Europas Common Sense sein. Und dass der Preis pro Packung selbst bei einer Vervierfachung der Produktionskosten nur um wenige Cent steigen müsste, lässt sich mit wenigen Rechenschritten darlegen – wird aber bewusst ausgeblendet, um politisch Druck zu erzeugen.
Hinter der künstlich aufgeblasenen Aufregung steckt eine strategische Platzierung von Widerstand – keine echte ökonomische Bedrohung. Denn selbst wenn die Kostensteigerungen im Promillebereich liegen und über den Arzneimittelgroßhandel, Krankenkassen oder Rabattsysteme abgefedert werden könnten, geht es in Wahrheit um das Prinzip: Industrieverbände sehen in KARL einen Präzedenzfall, der sie künftig stärker in die ökologische Verantwortung nehmen könnte. Mit allen rhetorischen Mitteln wird daher versucht, aus einem sinnvollen Umweltgesetz ein Bedrohungsszenario für die Gesundheitsversorgung zu machen – und die Politik mit Bildern leerer Apothekenregale unter Druck zu setzen.
Doch die Strategie läuft zunehmend ins Leere. In Berlin ist man sich der politischen Dimension bewusst – und wird keine Lösung akzeptieren, die die Arzneimittelversorgung gefährdet. Wahrscheinlicher ist ein Finanzierungsmodell mit gemeinsamer Lastenteilung, in dem alle Beteiligten – von Industrie über Kassen bis zu öffentlichen Haushalten – anteilig zahlen. Die Apotheken könnten dadurch allenfalls im Beratungskontext gefragt sein, etwa um Kundinnen und Kunden zu beruhigen, wenn wieder einmal mediale Panikmache Einzug in den Verkaufsraum hält.
Diese Debatte zeigt exemplarisch, wie Brüssel zugleich Sündenbock und Handlungszentrum europäischer Politik geworden ist – und wie schnell wohlklingende Begriffe wie „Versorgungsgefahr“ oder „Arzneimittelkrise“ instrumentalisiert werden können, wenn ökonomische Interessen in Gefahr sind. Dabei hätte die Umsetzung von KARL auch positive Impulse: Sie könnte zu mehr Umweltgerechtigkeit führen, neue technische Innovationen im Abwasserbereich anstoßen und das Vertrauen der Bevölkerung in die Regulierungsfähigkeit der EU stärken – sofern sie sachlich kommuniziert und politisch klug umgesetzt wird.
Bis es soweit ist, dürfen Apothekenteams noch viele Jahre beruhigend erklären, dass Metformin nicht vom Markt verschwindet, sondern vielleicht in Zukunft ein paar Mikrogramm weniger Umweltbelastung verursacht. Und dass es – bei aller berechtigten Kritik an EU-Regulierungsflut – manchmal gar nicht so schlecht ist, wenn Verursacher auch zahlen müssen. Das verstehen nicht nur Patientinnen und Patienten – sondern langfristig auch jene Industrievertreter, die heute noch reflexhaft Alarm schlagen.
Haltung zeigt Wirkung, Reaktionen provozieren Debatte, Sichtbarkeit wird politisch
Wie die Nautilus-Apotheke mit Regenbogenfahne Flagge zeigt, auf queerfeindliche Kommentare reagiert und gesellschaftliche Verantwortung übernimmt
Die Nautilus-Apotheke im Kieler Jacobsenhaus hat eine Entscheidung getroffen, die weit über das Alltagsgeschäft hinausreicht – sie hat sich öffentlich als queerfreundlich positioniert und dies mit einer gut sichtbaren Regenbogenfahne an ihrer Fassade unterstrichen. In einer Zeit, in der Apothekerinnen und Apotheker vielerorts um Anerkennung, Schutz und politische Rückendeckung kämpfen, ist diese Haltung kein dekoratives Detail, sondern eine bewusste Entscheidung für Vielfalt, Solidarität und gesellschaftliche Teilhabe. Dass ein solcher Schritt nicht nur Zustimmung, sondern auch heftige Ablehnung provoziert, zeigte sich unmittelbar: Auf Social Media, in Google-Bewertungen und sogar vor Ort hagelte es abfällige Kommentare, persönliche Beleidigungen und polemische Bewertungen, die sich weniger auf pharmazeutische Leistungen als auf die bloße Existenz der Pride-Symbolik bezogen. Aussagen wie „Sie sollten sich schämen“ oder „Was hat Politik in einer Apotheke zu suchen?“ zielen dabei nicht nur auf das sichtbare Bekenntnis zur LGBTQIA+-Community, sondern auf das Selbstverständnis von Apotheken als öffentliche Orte mit Haltung. Die Antwort des Teams fiel eindeutig aus: Man habe mit der Fahne „nicht provoziert, sondern einfach ein Zeichen gesetzt“, erklärte das Team auf Instagram und Facebook. Der Beitrag schlug Wellen – und bekam umgehend Hunderte Likes, zustimmende Kommentare und Unterstützungsbekundungen, auch von Kundinnen und Kunden, die bewusst in der Apotheke einkauften, „weil Haltung zählt“.
Gerade in einem Berufsstand, der oft auf Neutralität, Zurückhaltung und Dienstleistungsroutine reduziert wird, ist diese Form der Sichtbarkeit nicht selbstverständlich. Doch Neutralität bedeutet nicht Gleichgültigkeit – und Schweigen ist keine Option, wenn Kund:innen aus queeren Kontexten häufig Diskriminierung erleben oder sich in Gesundheitsfragen doppelt erklären müssen. Queerfeindliche Reaktionen auf ein schlichtes Symbol wie eine Regenbogenfahne sind in diesem Zusammenhang mehr als ein Ausdruck persönlicher Abneigung – sie zeigen, wie stark politische Zuschreibungen auch den Gesundheitsbereich durchdringen. Apotheker:innen geraten zunehmend in ein Spannungsfeld zwischen fachlicher Expertise und gesellschaftlicher Verantwortung, zwischen Kundenservice und Wertekonflikt. Die Entscheidung der Nautilus-Apotheke, sich diesem Konflikt nicht zu entziehen, sondern ihn sichtbar zu machen, kann als Vorbild gelesen werden – nicht nur für queere Menschen, sondern auch für Kolleginnen und Kollegen, die mit ähnlichen Fragen ringen, aber bislang keine sichtbare Position beziehen. Denn Sichtbarkeit schafft Schutzräume – und sie kann, wie hier, auch Diskussionen ermöglichen, die sonst hinter Ladentheken oder im Stillen geführt würden.
Gleichzeitig ist die Debatte ein Lackmustest für den Zustand gesellschaftlicher Diskurse im Gesundheitswesen. Wenn eine Apotheke wegen eines bunten Tuchs unter Druck gerät, dann steht nicht nur die Regenbogenfahne zur Disposition, sondern auch das Selbstverständnis eines Berufs, der auf Nähe, Vertrauen und Diversitätskompetenz angewiesen ist. Dass sich die Nautilus-Apotheke diesem Druck nicht beugt, sondern ihn aktiv aufgreift, stärkt den Berufsstand in einer Zeit, in der Haltung keine Nebensache mehr ist, sondern Teil der täglichen Arbeit. Apotheker:innen sind mehr als Medikamentenverwalter – sie sind Teil einer pluralen Gesellschaft, in der Vielfalt sichtbar, schützbar und verteidigbar sein muss. Die Rückmeldungen auf den Social-Media-Post zeigen, dass diese Botschaft ankommt – nicht bei allen, aber bei vielen. Und genau das macht den Unterschied.
Spahn unter Druck, Milliardenrisiko für den Bund, SPD fordert lückenlose Aufklärung
Wie Maskenverträge aus der Pandemie zur Belastung werden, was Pantazis zur Offenlegung verlangt und warum die Enquete-Kommission zum Prüfstein wird
Spätestens seit der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dr. Christos Pantazis, eine „vollständige Offenlegung“ aller Informationen zur Maskenbeschaffung in der Pandemie forderte, ist klar: Die Maskenaffäre rund um die Corona-Einkaufspolitik des Bundes entwickelt sich zum hochbrisanten politischen Konfliktthema mit tiefgreifenden juristischen, haushaltspolitischen und strukturellen Folgen. Im Zentrum steht das Bundesgesundheitsministerium unter Jens Spahn (CDU), dessen damaliges Verfahren zur Beschaffung von Schutzmasken nun nicht nur Gerichte, sondern auch den Bundestag und die Koalitionsbeziehungen beschäftigt. Dass die amtierende Ministerin Nina Warken (CDU) dem Haushaltsausschuss zwar ausgewählte Passagen des Sonderberichts der früheren Staatssekretärin Margarethe Sudhof vorlegen will, jedoch keine vollständige Veröffentlichung vorsieht, stößt auf entschiedenen Widerspruch seitens der SPD-Fraktion. Pantazis warnt: Jede selektive Interpretation gefährde den Lernprozess und das Vertrauen in staatliches Handeln.
Der politische Kontext ist dabei ebenso delikat wie das finanzielle Risiko enorm: Mehr als hundert Lieferanten klagen wegen nicht bezahlter Schutzmasken-Lieferungen auf Grundlage sogenannter Open-House-Verträge, die ohne Verhandlung zu festen Preisen abgeschlossen wurden. Im Frühjahr 2020 – unter dem Eindruck der sich überschlagenden Pandemie – setzte Spahn auf ein Beschaffungsverfahren, das einer Notmaßnahme glich, rechtlich jedoch an klare Bedingungen gebunden war. Diese wurden später von Seiten des Ministeriums als nicht erfüllt erklärt, etwa wegen mangelhafter Produktqualität. Doch genau hier liegt die juristische Sprengkraft: Zahlreiche Gerichte sehen das Ministerium in der Bringschuld – und könnten dem Bund Rückzahlungen in Milliardenhöhe auferlegen.
Was als Beschaffungsnotwehr begann, droht zum haushaltspolitischen Bumerang zu werden. Die Sudhof-Ermittlungen, 2024 von Spahns Nachfolger Karl Lauterbach in Auftrag gegeben, sollen angeblich erhebliche interne Missstände und Defizite im Projekt- und Qualitätsmanagement des Hauses dokumentieren. Dass ausgerechnet Spahn heute als Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion einen Teil der Aufarbeitung mitbestimmt, sorgt für Irritation. „Die Pandemie darf nicht zur parteipolitischen Abrechnung verkommen“, warnt Pantazis, doch seine Wortwahl verrät: Die politische Verantwortung liegt aus Sicht der SPD eindeutig bei der Union. Deshalb will die SPD nun den Druck erhöhen und mit der Einsetzung der Enquete-Kommission zur Pandemiebewältigung vor der Sommerpause Nägel mit Köpfen machen.
Im Koalitionsvertrag hatten SPD und Union ein solches Gremium vereinbart – doch die politische Dynamik war bislang von Zurückhaltung geprägt. Die laufenden Klageverfahren, die Haushaltsrisiken und das zunehmende Misstrauen gegenüber selektiven Informationen erzeugen nun Handlungszwang. Für Pantazis ist klar: Es braucht volle Transparenz, lückenlose Akteneinsicht und eine öffentliche Debatte darüber, wie Krisenmanagement künftig strukturiert werden muss. Die Affäre ist kein technischer Fehltritt, sondern ein systemisches Versagen mit Signalwirkung. Wer Vertrauen zurückgewinnen will, müsse sich der Gesamtheit der Verantwortung stellen – auch wenn dies parteipolitisch schmerzhaft ist. Der Streit um die Masken ist längst zur Frage geworden, wie lernfähig Demokratie in der Krise tatsächlich
Gesundheitsversprechen auf dem Prüfstand, Botanicals vor dem Werbe-Aus, EuGH mit Signalwirkung
Wie der Europäische Gerichtshof die Health-Claims-Verordnung durchsetzt, pflanzliche Nahrungsergänzungsmittel ins rechtliche Vakuum stellt und der BGH nun klären muss, was überhaupt noch erlaubt ist
Die Grenze zwischen gesunder Ernährung und unzulässigem Heilsversprechen ist in Deutschland und Europa exakt vermessen – zumindest in der Theorie. In der Praxis jedoch klafft eine regulatorische Lücke, vor allem dort, wo pflanzliche Inhaltsstoffe – sogenannte Botanicals – in Nahrungsergänzungsmitteln zum Einsatz kommen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit seinem Urteil vom 30. April 2025 in der Rechtssache C‑386/23 nun eine juristische Markierung gesetzt, die weit über den Einzelfall hinausweist: Gesundheitsbezogene Aussagen für Botanicals sind unzulässig, solange sie nicht ausdrücklich von der EU-Kommission zugelassen und gelistet sind. Die Entscheidung zwingt Hersteller, Händler und Werbetreibende zu einem radikalen Strategiewechsel – und sie zwingt auch den Bundesgerichtshof (BGH) zu einem Präzedenzurteil mit Signalwirkung.
Auslöser des Verfahrens war ein Produkt des deutschen Unternehmens Novel Nutriology. Unter dem Namen „Anti-Stress-Komplex“ hatte das Unternehmen ein Nahrungsergänzungsmittel mit Safran- und Melonensaftextrakten vermarktet – und dabei nicht mit Versprechungen gespart: Safran als stimmungsaufhellend, Melone zur Reduktion von Erschöpfung und Stress. Für den Verband Sozialer Wettbewerb (VSW) war diese Werbung ein klarer Verstoß gegen die Health-Claims-Verordnung (EG Nr. 1924/2006), die gesundheitsbezogene Aussagen für Lebensmittel nur unter streng geregelten Bedingungen erlaubt. Der Fall landete vor dem Landgericht München, wurde vom BGH aufgegriffen – und schließlich dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Die Luxemburger Richter bekräftigten nun, was aus juristischer Sicht bereits als gefestigte Linie gilt: Gesundheitsbezogene Werbung für Lebensmittel und Nahrungsergänzungsmittel darf nur dann erfolgen, wenn die behauptete Wirkung zuvor in einem wissenschaftlichen Verfahren geprüft, von der Europäischen Kommission freigegeben und in die offizielle Liste der zugelassenen Health Claims aufgenommen wurde. Für synthetische Vitamine oder Mineralstoffe existiert eine solche Liste – für Botanicals jedoch nicht. Und genau hier liegt das Problem.
Denn obwohl tausende Anträge auf Zulassung gesundheitsbezogener Angaben für pflanzliche Inhaltsstoffe bei der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) bereits seit mehr als einem Jahrzehnt vorliegen, hat die EU-Kommission deren Prüfung im Jahr 2012 faktisch eingefroren. Aus der Sicht der Industrie war dies eine faktische Duldung: In der Werbung verwendete man Formulierungen wie „trägt zur emotionalen Balance bei“ oder „unterstützt die Konzentrationsfähigkeit“ – oft in Graubereichen formuliert, aber formal gestützt durch laufende Antragsverfahren.
Mit dem aktuellen Urteil zerstört der EuGH diese Auslegung. Der Verweis auf noch ausstehende Prüfverfahren könne die Anwendung des geltenden Rechts nicht aussetzen, so das Gericht. Weder die Dauer der Kommissionsprüfung noch die politische Brisanz der Botanicals-Ausnahme schaffen ein rechtsfreies Interregnum. Gesundheitsbezogene Aussagen zu Pflanzenstoffen, so die Luxemburger Richter, sind schlicht nicht erlaubt – Punkt.
Die Folgen für den deutschen Markt sind gravierend. Allein im Jahr 2024 wurden hierzulande rund 1,5 Milliarden Euro mit Nahrungsergänzungsmitteln umgesetzt, ein Großteil davon auf Basis pflanzlicher Extrakte. Für viele Unternehmen ist das werbliche Spiel mit emotionalen oder psychovegetativen Versprechen – von „Entspannung“ über „innere Ruhe“ bis „mentale Balance“ – ein zentrales Verkaufsargument. Diese Geschäftsmodelle stehen nun auf juristisch tönernen Füßen.
Für den Bundesgerichtshof, der nun das Verfahren zu Ende führen muss, ergibt sich daraus ein enger Entscheidungskorridor. Wenn selbst die offen formulierte Übergangsstrategie der Kommission nicht ausreicht, um Botanicals aus der Verbotszone zu holen, bleibt nur die Rückkehr zur Dogmatik des Wortlauts: Keine zugelassene Aussage, keine Werbung – auch nicht mit indirekten Formulierungen.
Betroffen sind nicht nur Hersteller, sondern auch Apotheken, Reformhäuser und Online-Shops, die solche Produkte vertreiben. Für sie bedeutet das Urteil eine konkrete Haftungsgefahr – nicht nur zivilrechtlich, sondern auch im Hinblick auf Abmahnungen und wettbewerbsrechtliche Klagen. Auch Krankenkassen, die teilweise Nahrungsergänzungsmittel in Bonusprogrammen berücksichtigen, müssen umdenken.
Die Hoffnung der Branche liegt nun auf einem politischen Impuls. Die Blockadehaltung der Kommission, so die Kritik aus Industriekreisen, sei dem wissenschaftlichen Fortschritt nicht angemessen und schade dem Innovationsstandort Europa. Der EuGH hat in seinem Urteil jedoch deutlich gemacht, dass politisches Zögern keine juristische Ausnahme rechtfertigt. Die Rechtslage ist eindeutig – und sie gilt, bis sie geändert wird.
Was bleibt, ist ein regulatorisches Vakuum, das sich nicht durch kreative Werbesprache füllen lässt. Die Entscheidung ist ein Paradigmenwechsel für alle, die im Bereich pflanzlicher Nahrungsergänzungsmittel tätig sind. Sie zwingt zu mehr wissenschaftlicher Validierung, klareren Anträgen – und einem Abschied vom allzu blumigen Werbeversprechen. Der BGH muss diesen Wandel nun rechtskräftig vollziehen.
Glosse: Wenn Gesundheitsfürsorge zur Streckenfrage wird, wenn Apotheken zu Landmarken mutieren, wenn Verwaltung sich selbst beklatscht
Wie die Auflösung des Hilfsmittelvertrags zum Paradefall deutscher Planungskultur wird, Patientinnen zwischen Ortsschild und Ortsfremdheit zirkulieren und die Nähe zum Versorgungsgut mit Wegbeschreibung beantwortet wird
Gesundheit ist machbar, Frau Nachbar – jedenfalls, wenn Frau Nachbar zufällig in München wohnt. Oder Hamburg. Oder Berlin. Oder Düsseldorf. Denn wer sich ab Juli auf die Suche nach Inhalierhilfen, Kompressionsstrümpfen oder einem diskreten Gespräch über Blasenschwäche macht, sollte lieber kein Navigationsgerät mit Tunnelangst besitzen. Die wohnortnahe Apotheke war gestern – heute winkt das System aus der Ferne.
Der Startschuss für dieses neue Kapitel der Versorgungsliteratur fiel unauffällig: Die IKK classic beendete den bundesweiten Rahmenvertrag mit dem Deutschen Apothekerverband – aus Effizienzgründen, versteht sich. Das Ergebnis ist so klar wie die neue Verantwortungslage diffus: Apotheken sollen künftig einzeln mit der Kasse verhandeln, Patientinnen dürfen sich dabei schon mal eine Thermoskanne einpacken.
Denn die neue Idee heißt „Leuchtturm-Apotheke“. Das klingt zwar nach Orientierung, entpuppt sich aber bei näherem Hinsehen als strukturelle Dunkelkammer. Vier Apotheken, vier Städte, viermal Großstadt. Die Fläche? Ein Zwischenraum. Der Weg dorthin? Teil der Gesundheitsreise. Und wer nicht mobil ist, bekommt immerhin ein Infoblatt mit dem Satz: „Ihr Hilfsmittel ist unsere Mission – auch wenn Sie etwas weiter gehen müssen.“
Damit niemand denkt, die Verwaltung lasse ihre Versicherten ganz allein, gibt es das Format „emotionale Entfernungsbegleitung“. Was das ist? Motivationssprüche auf Umweltpapier. „Nächster Halt: Akutversorgung.“ Oder „Jeder Schritt zählt – besonders der in Richtung Ihrer Gesundheit.“ Wer sich da nicht bewegt, hat den Sinn der Sache wohl nicht verstanden.
Doch das System denkt weiter. Für besonders eilige Fälle wurde der „ExLeuNaBo“ geschaffen – der Express-Leuchtturm-Nacht-Bedarfs-Organisationsantrag. Ein Formular, das dreifach ausgedruckt und per Fax übermittelt werden muss – werktags bis 16 Uhr. Für Notfälle außerhalb dieser Zeitspanne empfiehlt die Broschüre: „In Ausnahmesituationen können Sie sich an Ihre Kasse wenden.“ Das ist natürlich nur symbolisch gemeint.
Die Apotheken? Sie stehen am Verhandlungstisch – oder eben nicht. Einzelverträge sollen Versorgung sichern, aber viele Kolleginnen lehnen ab. Die Gründe sind vielfältig, aber am Ende läuft es immer auf eines hinaus: Bürokratie ist kein Heilmittel. Wer für jede Windelhose eine Sondervereinbarung braucht, verabschiedet sich früher oder später aus der Fläche.
Was dann bleibt, ist Eigenverantwortung in Reinform. Familie Diehl aus der Altmark plant bereits den Sommerurlaub entlang der Versorgungsachsen. In Düsseldorf gibt’s neue Strümpfe für Oma, in Berlin dann die Einweisung für den Inhalator. Nur das Familienfoto wird schwierig – schließlich darf pro Leuchtturm nur ein Versicherter versorgt werden.
Und während draußen Menschen kilometerweit reisen, sitzen drinnen Gremien zusammen und diskutieren über Versorgungsgerechtigkeit. Dass Versorgung im Wortsinne einmal mit „vor Ort“ zu tun hatte, scheint niemanden mehr zu stören. Stattdessen wird strukturell entkernt, was jahrzehntelang funktionierte – mit freundlichen Grüßen aus dem Planungsdezernat.
Die Glosse ist kein Spott, sondern eine Notiz am Rand der Gesundheitslandschaft. Sie dokumentiert, wie Nähe durch Metaphern ersetzt, Versorgung durch Laufleistung erklärt und Patientinnen zur beweglichen Variable in einem bürokratischen Planspiel gemacht werden. Wer Hilfe braucht, muss reisen. Wer nicht reisen kann, bekommt Verständnis. Und einen Folder.
Von Engin Günder, Fachjournalist
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