
Für Sie gelesen
Sehr geehrte Apothekerin, sehr geehrter Apotheker,
hier ist der vollständige Text für Sie:
APOTHEKE | Medienspiegel & Presse |
Wenn Apotheken auf Forderungen sitzen bleiben, weil Rezeptabrechner Insolvenz anmelden, offenbart sich eine tiefgreifende Systemlücke, die nicht nur finanzielle Existenzen bedroht, sondern auch das Vertrauen in vertragliche Sicherungsstrukturen erschüttert – eine Entwicklung, die angesichts des zunehmenden Hausärztemangels doppelt brisant ist, weil Apotheken gleichzeitig mehr Verantwortung im Primärversorgungssystem übernehmen müssen. Während immer mehr Arztpraxen schließen und Apotheken zur einzigen niedrigschwelligen Anlaufstelle werden, verschärft sich der Strukturwandel: Die Zahl der Apotheken sinkt rapide, politische Gegenstrategien bleiben fragmentarisch, und zentrale Leistungsfelder wie Prävention, Impfen oder pharmazeutische Dienstleistungen werden zwar ausgeweitet, aber nicht konsequent abgesichert. Auch regulatorisch stehen Apotheken unter Druck – etwa durch das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, das digitale Dienstleistungen barrierefrei erzwingt, ohne technische oder finanzielle Unterstützung sicherzustellen. Parallel dazu rückt die Gendermedizin als politische Forderung ins Zentrum, während die Fachkräftesicherung durch symbolische Allianzen wie die AVWL-Mitgliedschaft im BVpta neue Impulse erhält. Die Diskussion um faire Beitragsgestaltung für Gutverdiener in der GKV zeigt zudem, dass soziale Verantwortung und Finanzierung längst neu austariert werden müssen – ebenso wie der pharmakologische Fortschritt, etwa bei der mRNA-HIV-Therapie oder neuen Schmerz- und Krebstherapien mit AM404 und Repotrectinib. Die jüngsten Erkenntnisse zur Wirkung von GLP-1-Präparaten in der Praxis, zur entzündungsfördernden Wirkung bakterieller Metabolite im Gefäßsystem oder zur postnatalen Bewegungsempfehlung in Kanada verdeutlichen: Das System verändert sich in allen Bereichen – wer als Apotheke überleben will, braucht mehr als Vertrauen und Fachwissen. Es braucht Verträge, Versicherungen, Führung – und klare politische Rückendeckung.
Vertrauen allein genügt nicht, Verträge schützen doppelt, Versicherungen sichern existenziell
Wie Apotheken finanzielle Risiken bei Abrechnungsinsolvenzen minimieren, rechtzeitig reagieren und regulatorische Schutzlücken kompensieren
Die Abrechnung von Rezepten ist ein zentraler Vorgang in der wirtschaftlichen Existenzsicherung jeder Apotheke. In Deutschland sind Apotheken gesetzlich verpflichtet, die von ihnen ausgestellten Rezepte zur Abrechnung an spezialisierte Rechenzentren zu übermitteln, die die Erstattungsbeträge bei den Krankenkassen einfordern. Dieser Vorgang basiert auf einem hohen Maß an Vertrauen. Doch was geschieht, wenn dieses Vertrauen erschüttert wird? Wenn ein Rezeptabrechnungsunternehmen Insolvenz anmeldet oder zahlungsunfähig wird? Die wirtschaftlichen Folgen für die betroffenen Apotheken können verheerend sein. Nicht selten bleibt die Apotheke auf Forderungen sitzen, die mehrere Monatsumsätze umfassen. Die Insolvenzen von Abrechnungsstellen in der Vergangenheit zeigen: Die Gefahr ist real und keineswegs theoretisch. Umso dringlicher stellt sich die Frage nach wirksamen Schutzmechanismen.
Im Zentrum steht die Auswahl des richtigen Dienstleisters. Eine solide Bonitätsprüfung sollte für jede Apotheke zur Selbstverständlichkeit werden. Informationen über Geschäftsentwicklung, Liquidität, Gesellschafterstruktur und Referenzkunden sind dabei ebenso wichtig wie der Ruf innerhalb der Branche. Die Zusammenarbeit mit kleinen, wenig bekannten Dienstleistern ohne belastbare Historie erhöht das Risiko erheblich. Doch auch etablierte Rechenzentren können unter Druck geraten, etwa durch Managementfehler, technologische Umbrüche oder Marktverdrängung. Hier hilft nur eine fortlaufende Überwachung: Die wirtschaftliche Gesundheit des Abrechners darf kein einmalig geprüftes Kriterium bleiben, sondern muss Teil eines kontinuierlichen Risikomanagements sein.
Ein weiteres Element der Absicherung ist die vertragliche Gestaltung. Apotheken haben das Recht, im Rahmen ihrer Vereinbarungen mit dem Abrechner Schutzklauseln zu verankern. Dazu gehören beispielsweise die Einrichtung eines Treuhandkontos, auf dem die eingehenden Erstattungsbeträge zwischengeparkt werden, bevor sie der Apotheke zugeleitet werden. Alternativ kann eine Bankbürgschaft gefordert werden, die im Schadensfall greift. Auch Regelungen zu Fristen, Haftung, Auskunftspflichten und Exit-Strategien im Fall einer Kündigung sollten Bestandteil der Vertragsgestaltung sein. Es gilt: Je klarer die Konditionen, desto stärker die Absicherung.
Flankierend empfiehlt sich der Abschluss einer Vermögensschadenhaftpflichtversicherung, die explizit auch Ausfälle durch Drittinsolvenzen abdeckt. Nicht jede Police bietet diesen Schutz, und oft ist die Höhe der versicherten Summe begrenzt. Deshalb ist es wichtig, den eigenen Versicherungsbedarf regelmäßig mit dem Versicherungsmakler zu besprechen und anzupassen. Die Versicherung allein ersetzt kein Risikomanagement, kann aber im Ernstfall die Überlebensfähigkeit der Apotheke sichern.
Ein strategischer Ansatz liegt in der Diversifikation. Wer seine Abrechnung auf mehrere Dienstleister verteilt, reduziert seine Abhängigkeit von einem einzelnen Unternehmen. Zwar ist die parallele Nutzung mehrerer Abrechnungszentren mit erhöhtem administrativen Aufwand verbunden, doch das Sicherheitsplus rechtfertigt diesen Mehraufwand in vielen Fällen. Insbesondere bei wachsendem Rezeptvolumen oder Filialverbünden kann eine dezentrale Abrechnungslösung einen entscheidenden Unterschied machen.
Relevanz gewinnt zudem die Beobachtung der politischen und regulatorischen Rahmenbedingungen. Der Gesetzgeber hat bislang keine expliziten Schutzvorkehrungen für Apotheken im Falle einer Insolvenz von Abrechnungsdienstleistern geschaffen. Die ABDA und andere Berufsvertretungen fordern seit Jahren eine bessere Regulierung dieses sensiblen Sektors, etwa durch Lizenzierungsverfahren oder verpflichtende Einlagensicherungen. Bislang bleibt die Verantwortung für den Schutz allerdings bei den Apotheken selbst. Das bedeutet: Jede Apotheke muss ihr Risikoprofil regelmäßig überprüfen und die getroffenen Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit hin evaluieren.
Die Problematik ist nicht zuletzt auch eine Frage der Transparenz. Viele Apotheken verlassen sich auf die Aussagen der Abrechnungsdienstleister, ohne die reale finanzielle Lage wirklich zu kennen. Ein früher Warnindikator können Zahlungszielverzögerungen, mangelnde Kommunikation oder plötzliche Strukturveränderungen sein. Wer frühzeitig Signale erkennt, kann rechtzeitig reagieren. Hier ist ein starker Informationsfluss zwischen Apotheke, Berufsverband und Marktbeobachtung entscheidend.
Im Ergebnis ist die Absicherung gegen Vermögensschäden durch insolvente Rezeptabrechner kein statischer Prozess, sondern ein permanentes strategisches Thema. In wirtschaftlich angespannten Zeiten steigen die Insolvenzrisiken auf allen Ebenen. Apotheken müssen daher ihre Risikovorsorge systematisch, vielschichtig und vorausschauend aufstellen. Nur wer Frühwarnzeichen ernst nimmt, Verträge vorausschauend gestaltet, Versicherungslösungen professionell nutzt und seine Dienstleister kontinuierlich auf den Prüfstand stellt, wird in der Lage sein, die eigene wirtschaftliche Substanz zu bewahren. Die Zukunftssicherheit der Apotheke beginnt nicht erst bei der Rezeptabgabe, sondern bei der Prüfung, wem man sie überhaupt anvertraut.
Versorgung bricht weg, Verantwortung wächst, Apotheke rückt vor
Hausarztmangel verschärft sich – Delegation, Steuerung und Primärsystem im Streit der Konzepte
Die hausärztliche Versorgung in Deutschland steht an einem kritischen Wendepunkt, an dem Alterung, Arbeitszeitverkürzung und strukturelle Überlastung in eine bedrohliche Schieflage kippen. Eine aktuelle Umfrage der Bertelsmann Stiftung in Zusammenarbeit mit der Universität Marburg zeigt, dass ein Viertel der Hausärztinnen und Hausärzte ihre Praxis in den kommenden fünf Jahren schließen will, wenn sich an den Rahmenbedingungen nichts ändert. Besonders alarmierend: Mehr als 5000 Hausarztsitze sind bereits unbesetzt – Tendenz steigend. Das Problem ist keineswegs neu, aber in seiner Dynamik inzwischen systemrelevant. Während rund zehn Prozent der Befragten ihren Rückzug bereits beschlossen haben, machen 15 Prozent ihren Verbleib von Entlastung abhängig – insbesondere von einer Reduktion der Bürokratie und flexibleren Arbeitszeiten. Damit sind die Ursachen nicht rein demografisch, sondern strukturell – und potenziell steuerbar.
Die Perspektive der Bertelsmann Stiftung auf ein Primärärztesystem knüpft genau daran an: Wenn künftig Hausärztinnen und Hausärzte stärker in die Steuerung der Patientinnen und Patienten eingebunden werden sollen, müssen ihnen gleichzeitig Tätigkeiten abgenommen werden, die nicht zwingend ärztliche Kernkompetenz erfordern. Das Spektrum reicht dabei von Befundberichten über Impfungen bis hin zu Hausbesuchen, Patientenschulungen und Medikationsbetreuung. In dieser potenziellen Delegationslogik sieht auch die Apothekerschaft eine neue Rolle – nicht als Substitut, sondern als Kooperationspartner. So schlug ABDA-Präsident Thomas Preis mit dem Konzept »Pharmacy first« ein Modell vor, das die Apotheke als erste Versorgungsebene vor dem Hausarztbesuch verankern soll. Der Vorschlag, die Praxisgebühr zu erlassen, wenn Versicherte zuvor eine Apotheke konsultiert haben, ist dabei weniger finanzpolitisches Feintuning als strukturpolitischer Paradigmenwechsel: Es geht um eine funktionale Neuanordnung der Versorgungsebenen.
Die Umfrage bestätigt die Offenheit vieler Hausärzte gegenüber solchen Delegationsmodellen. Rund 70 Prozent der Befragten sehen in nicht-ärztlichen Berufsgruppen ein hohes bis sehr hohes Entlastungspotenzial – insbesondere in jenen Aufgabenfeldern, die repetitiv, standardisiert oder beratungsbasiert sind. Dazu zählen medizinische Routineuntersuchungen, Impfungen, Patientenmanagement und Hilfsmittelverordnungen ebenso wie koordinierende Tätigkeiten zwischen Behandlern. Die Akzeptanz solcher Modelle hängt jedoch maßgeblich davon ab, dass sie nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung etabliert werden – und dabei auf Qualität, Haftung und Qualifikation geachtet wird. Die Apothekerschaft steht hier nicht allein im Raum: Auch Medizinische Fachangestellte, Pflegekräfte und andere Gesundheitsberufe rücken in den Fokus einer möglichen Aufgabenteilung. Dass dabei gesetzgeberischer Rahmen, Vergütungssysteme und Versorgungskultur zusammenspielen müssen, ist ebenso klar wie bislang ungelöst.
Besonders kritisch wirkt sich die sinkende Wochenarbeitszeit in der Hausärzteschaft aus. Während 2012 noch durchschnittlich 57,6 Stunden pro Woche gearbeitet wurde, liegt der Wert heute bei etwa 44 Stunden – ein Rückgang um fast ein Viertel. Das allein erklärt nicht den Versorgungsdruck, verschärft ihn jedoch erheblich, da die Zahl der Patienten nicht gleichermaßen sinkt. Zudem sind 18 Prozent der aktiven Hausärztinnen und Hausärzte über 65 Jahre alt, weitere neun Prozent über 70. Nachwuchs ist rar, ländliche Regionen besonders betroffen. In dieser Gemengelage entsteht ein Reformdruck, der über Finanzierungsfragen hinausgeht. Es braucht neue Versorgungslogiken, die nicht nur auf Ärztezahlen und Landarztquoten reagieren, sondern Aufgaben neu verteilen und Versorgung neu denken.
Ob das Primärärztesystem am Ende ein dirigistisches Steuerungsinstrument oder eine freiheitliche Koordinationsplattform wird, entscheidet sich nicht allein im Bundesgesundheitsministerium, sondern in der Umsetzungsrealität der Versorgung. Die Apotheke kann hier eine tragende Rolle einnehmen – wenn die strukturellen Bedingungen, rechtlichen Zuständigkeiten und interprofessionellen Schnittstellen klar geregelt sind. Dass Thomas Preis dafür Anreizsysteme und Verantwortungslogik ins Spiel bringt, deutet auf eine strategisch durchdachte Öffnung hin. Gleichwohl bleibt der Wandel nur dann stabil, wenn er auf Akzeptanz in allen Berufsgruppen trifft. Der Hausarztmangel mag statistisch messbar sein – seine Lösung ist kulturell, politisch und professionell zugleich. Genau diese Verbindung zu schaffen, ist jetzt Aufgabe aller Beteiligten im Gesundheitswesen.
Apotheken verlieren Standorte, Politik verliert Zeit, Vertrauen verliert Substanz
Wie Überversorgung in Zentren und Unterversorgung auf dem Land eine Systemkrise erzeugen, welche Therapie die Koalition verspricht und warum Berufsethos jetzt gefragt ist
Die Apotheke als Institution ist krank. Und sie ist nicht bloß verschnupft, sondern fiebrig, überhitzt, erschöpft – mit hohem Risiko einer chronischen Entzündung des gesamten Versorgungskörpers. In dieser Lage präsentierte die Präsidentin der Apothekerkammer Westfalen-Lippe, Gabriele Regina Overwiening, bei der Kammerversammlung in Münster nicht nur Symptome, sondern lieferte auch einen Therapieplan, der auf politischer, struktureller und ethischer Ebene ansetzt. Im Zentrum steht die dramatische Schrumpfung der Apothekenlandschaft: Mehr als 500 Betriebe verschwanden 2024 bundesweit. Ende März waren es noch 16.908 Apotheken – ein Wert, wie er zuletzt in den 1970er-Jahren verzeichnet wurde. In Westfalen-Lippe rechnet man bis Ende 2025 mit einem Rückgang auf unter 1.615 Apotheken, wobei die Zahl der Hauptapotheken auf 1.200 gefallen ist – fast eine Halbierung seit 2005. Overwiening lässt keinen Zweifel: Die Filialisierung sei ein Irrweg gewesen, weil sie Verantwortung von vielen auf wenige Schultern verlagere – mit spürbaren Konsequenzen für die Versorgung, das Personal und die regionale Stabilität.
Denn auch wenn die Apotheken weniger werden, bleibt die Arbeit dieselbe – oder nimmt sogar zu, etwa durch die Zunahme multimorbider, älterer Patient:innen. Das Personal kann diese Last nicht mehr auffangen. In Westfalen-Lippe gibt es 800 unbesetzte Stellen, besonders PTA fehlen: Auf eine suchende Person kommen 15 offene Stellen, bei Approbierten liegt das Verhältnis bei eins zu vier. Die Arbeitsbelastung steigt, die wirtschaftliche Basis bröckelt. Bundesweit schreibt jede vierte Apotheke rote Zahlen oder arbeitet an der Grenze zur Wirtschaftlichkeit. Overwiening verwendet ein prägnantes Bild: „Nur Fieber zu messen reicht nicht – man braucht eine Therapie.“
Diese Therapie hat aus ihrer Sicht drei Komponenten: Erstens strukturelle Maßnahmen gegen das Apothekensterben, zweitens eine Rückbesinnung auf die heilberufliche Funktion der Apotheken, drittens Vertrauen in die Berufspolitik. Letzteres zeigt sich in ihrer Bewertung des aktuellen Koalitionsvertrags. Die Bundesregierung habe erkannt, dass Apotheken systemrelevant sind, gerade in ländlichen Regionen. Der Vertrag enthalte substanzielle Verpflichtungen: etwa die Abschaffung formaler Nullretaxationen, Sonderzuschläge für Landapotheken, die Erhöhung des Fixums auf 9,50 Euro sowie künftig bis zu 11 Euro. Auch das Skonti-Verbot soll fallen, Kühlkettenvorgaben vereinheitlicht, die heilberufliche Rolle gestärkt werden. Besonders wichtig sei, dass die Apothekerschaft regelmäßig mit dem GKV-Spitzenverband über die Anpassung der Vergütung verhandeln können soll. Diese politische Grundlage sei ein Signal – aber noch keine Wirkung.
Overwiening betont, dass allein der politische Wille nicht ausreiche, solange er nicht in schnelles Handeln überführt werde. Das Sterben der Apotheken sei kein Zukunftsszenario, sondern vollendete Gegenwart. Die Kammer sehe sich als Mahnerin, aber auch als Anbieterin konstruktiver Perspektiven. Sie präsentiert Daten, analysiert Entwicklungen, entwirft strukturelle Strategien. Ihr Appell gilt nicht nur den Parlamentarier:innen, sondern auch der eigenen Profession. Denn Vertrauen, sagt sie, sei keine Einbahnstraße. Auch Apotheker:innen müssten sich modernisieren, digitalisieren, präsent sein. Die Patientenperspektive müsse wieder stärker in den Mittelpunkt rücken. Die Apotheke vor Ort bleibe unverzichtbar, wenn sie sich als gestaltende Kraft verstehe, nicht als passive Bittstellerin.
So trifft in Overwienings Rede das Politische auf das Berufsethische, das Strukturelle auf das Soziale. Es geht nicht um eine nostalgische Verteidigung alter Apothekenstrukturen, sondern um eine aktive Zukunftsvision: mit stabilen Betrieben, sicheren Arbeitsplätzen, gerechter Vergütung und einer Verantwortungsgemeinschaft zwischen Politik, Apothekerschaft und Gesellschaft. Wenn Apotheken das Fieberthermometer nicht nur bedienen, sondern auch ihre eigene Therapie einfordern, wird aus der Diagnose vielleicht doch noch eine Heilung.
Beiträge für Besserverdiener, Verantwortung der Politik, Krisen in der GKV
Warum SPD-Ideen für eine Reform des Kassensystems Streit entfachen, was Pantazis konkret fordert und wie Koalitionspläne hinter der Realität zurückbleiben
Die Krise der Gesetzlichen Krankenversicherung ist längst keine Frage isolierter Haushaltsjahre mehr, sondern Ausdruck eines strukturellen Systemversagens, das sich durch demografischen Wandel, medizinischen Fortschritt und politische Halbherzigkeit potenziert. Während der finanzielle Kollaps in den kommenden Jahren realistisch bevorsteht, ringt die Politik noch immer um Symbolik statt Substanz. Der jüngste Vorstoß von SPD-Gesundheitspolitiker Christos Pantazis, die Beitragsbemessungsgrenze sowie die Versicherungspflichtgrenze moderat anzuheben, bringt die dringend benötigte Debatte wieder in Bewegung – allerdings nicht ohne Widerstand. Innerhalb der Ampelkoalition sorgt die Forderung für Reibung, außerhalb regt sie wirtschaftsliberale Reflexe. Pantazis plädiert für einen realitätsnäheren Umgang mit der ökonomischen Verantwortung von Gutverdienern. Wenn das Solidarsystem dauerhaft tragfähig bleiben soll, müssten jene, die überproportional profitieren, auch entsprechend beitragen, so sein Argument. In seinem Maßnahmenkatalog ruft er dazu auf, Denkverbote aufzugeben und auch die Steuerfinanzierung versicherungsfremder Leistungen neu zu strukturieren – etwa bei familienpolitischen Aufgaben, die bisher zulasten der GKV gehen.
Die Lage ist akut. Zwar weisen die Kassen für das erste Quartal 2025 wieder Überschüsse aus, doch das dürfte mehr kosmetische Erholung als nachhaltige Stabilität bedeuten. Denn die Erträge beruhen nicht auf struktureller Gesundung, sondern auf einer generellen Erhöhung der Zusatzbeiträge – ein einmaliger Hebel, der bereits erschöpft ist. Der Druck auf die Beitragssätze wächst mit jeder Krankenhausabrechnung, mit jedem demografischen Schritt in Richtung Rentenlastigkeit. Pantazis verweist explizit auf die Krankenhausreform, die sein Parteifreund Karl Lauterbach angestoßen hat – als Hoffnung auf mittelfristige Effizienzgewinne. Doch diese allein können das System nicht retten. Die strukturelle Lücke zwischen Ausgaben und Einnahmen, allein 2024 mehr als sechs Milliarden Euro, lässt sich nicht durch Reformsymbole schließen. Der SPD-Vorschlag, hochverdienende Arbeitnehmer stärker an den GKV-Finanzen zu beteiligen, trifft einen wunden Punkt – ökonomisch logisch, politisch explosiv.
Dass dieser Vorstoß nicht von den Koalitionspartnern getragen wird, war absehbar. CDU und CSU kontern mit altbekannten Argumenten: Mehrbelastung hemme Leistung, schade dem Standort, sei kontraproduktiv. Albert Stegemann, gesundheitspolitischer Sprecher der Unionsfraktion, wirft der SPD vor, durch die vorgeschlagenen Maßnahmen den Arbeitsanreiz zu untergraben. Diese Kritik blendet aus, dass die Beitragsbemessungsgrenze ohnehin bei knapp 62.000 Euro liegt – ein Niveau, das weit oberhalb des Durchschnittsverdienstes angesiedelt ist. Der SPD-Vorschlag würde also keine Mittelschicht belasten, sondern jene, die seit Jahren von wachsender Einkommensungleichheit profitieren. Zudem ist unklar, wie CDU und CSU ohne zusätzliche Einnahmen die drohende Finanzkatastrophe in der GKV abwenden wollen. Im Koalitionsvertrag wurden lediglich vage Absichtserklärungen verankert: mehr Beschäftigung, Expertenkommission, Vorschläge im Jahr 2027. Dass diese Strategie keine Lösung bietet, räumte sogar Bundeskanzler Friedrich Merz auf einem kleinen Parteitag im April ein. Er bezeichnete die Sozialsystemreform als „vielleicht größte gesellschaftspolitische Aufgabe unserer Zeit“ – doch politische Taten folgten dieser Einsicht bisher nicht.
Die Uneinigkeit innerhalb der Regierungskoalition ist dabei nicht nur eine Frage parteipolitischer Profilierung, sondern ein Indikator für die grundsätzliche Handlungsunfähigkeit der Exekutive in einer der zentralsten sozialen Zukunftsfragen. Die SPD kämpft, zumindest in Teilen, für eine strukturelle Lösung, die FDP und CDU setzen auf wirtschaftsliberale Selbstheilungskräfte, obwohl der Markt seit Jahren versagt. Die Hoffnung auf Wirtschaftswachstum als Einnahmequelle der GKV erscheint angesichts globaler Krisen, Fachkräftemangel und Produktivitätseinbruch illusorisch. Die geplante Expertenkommission, die erst im Frühjahr 2027 Ergebnisse liefern soll, wirkt wie eine Flucht in die Zeit – in der Hoffnung, dass die Problemwahrnehmung verblasst oder sich durch äußere Faktoren entspannt. Doch weder der demografische Wandel noch die Kostensteigerungen im Gesundheitswesen lassen sich vertagen.
Gleichzeitig fehlt es an konkreten Berechnungen. Pantazis nennt keine Zielwerte für neue Bemessungsgrenzen, keine Simulationen zu Einnahmeeffekten, keine sozialpolitischen Abfederungsmodelle. Auch wenn seine Vorschläge inhaltlich schlüssig sind, fehlt die operative Tiefe, die sie für eine unmittelbare Umsetzung qualifizieren würde. Die GKV braucht keine programmatischen Debattenbeiträge, sondern klare Maßnahmen, einen Finanzfahrplan, präzise gesetzgeberische Schritte. Die Debatte um die steuerfinanzierte Entlastung versicherungsfremder Leistungen ist zwar berechtigt, doch sie läuft Gefahr, in der Praxis zur Verschiebung der Zuständigkeiten ohne klare Gegenfinanzierung zu führen. Denn der Staat – das zeigt die Haushaltslage – hat selbst keine Reserven, sondern spart bereits im Gesundheitsbereich.
Am Ende steht die Frage, wie lange ein System funktionieren kann, das bei wachsendem Versorgungsbedarf, sinkender Beitragsbasis und politischen Blockaden operieren muss. Die SPD bringt mit Pantazis einen notwendigen Impuls ein – doch ohne klare Unterstützung der Koalition, belastbare Zahlen und den Mut zur radikalen Strukturreform wird dieser Vorstoß ebenso verpuffen wie viele seiner Vorgänger. Die GKV braucht keine weiteren Pilotprojekte der Rhetorik, sondern politische Ernsthaftigkeit. Die Zeit für Taktieren ist vorbei. Die Zeit für strukturelle Entscheidungen ist gekommen.
Barrierefreiheit verlangt keine Schonfrist, Digitalisierung keine Ausreden, Verantwortung keinen Aufschub
Wie das BFSG Apotheken zum Umdenken zwingt, digitale Schwellen abbaut und regulatorische Schärfe entfaltet
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) steht nicht als optionaler Appell im Gesetzesblatt, sondern als verbindliche Verpflichtung, die der privatwirtschaftlichen Gesundheitsversorgung ein neues Fundament auferlegt. Was bislang vielfach unter ethischer Perspektive diskutiert wurde, wird ab dem 28. Juni 2025 zur rechtsverbindlichen Realität: Apotheken, die Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr anbieten, stehen fortan unter der Pflicht, diese barrierefrei zu gestalten – unabhängig davon, ob der tatsächliche Kaufabschluss erfolgt oder lediglich ein Angebot abrufbar ist. Damit entfaltet sich ein tiefer Eingriff in Struktur, Strategie und Selbstverständnis der Apothekenbetriebe, deren digitale Sichtbarkeit bislang selten unter Inklusionsaspekten betrachtet wurde. Wer künftig mit Telemedizindiensten, Terminbuchungen oder Botendiensten digital interagiert, steht unter Zugzwang: digitale Barrierefreiheit ist nicht länger Kür, sondern Pflicht. Die ABDA verweist darauf, dass bereits das Angebot einer Impfung auf einer Webseite ausreiche, um in den Anwendungsbereich zu fallen.
Der Maßstab, den das BFSG setzt, ist europäisch kalibriert – seine Grundlage liegt in der EU-Richtlinie 2019/882, seine Umsetzung auf nationaler Ebene ist alles andere als abstrakt. Vielmehr rückt sie das Handeln jeder einzelnen Apotheke in den Fokus der Marktüberwachung, die zentral in Sachsen-Anhalt angesiedelt ist. Einfache Buttons, gut kontrastierte Oberflächen und klar nachvollziehbare Nutzerführung sind keine technischen Nice-to-haves, sondern regulatorische Sollanforderungen. Sie gelten insbesondere für alle Apotheken, die über Internetangebote, Apps oder andere Telekommunikationsmittel Verträge anbieten oder ermöglichen – unabhängig davon, ob diese kommerziell abgeschlossen werden. Auch reine Informationsangebote sind betroffen, sofern sie mit konkreten Dienstleistungen oder Produkten verbunden sind. Apotheken, die ihre Arzneimittel per Botendienst auf Basis von Online-Anfragen liefern, fallen somit klar unter das Gesetz.
Was zunächst nach technischer Feinjustierung klingt, ist in Wirklichkeit eine strukturelle Herausforderung: Der Pflichtenkatalog des BFSG bleibt an manchen Stellen vage, lässt Umsetzungsspielräume offen, zwingt jedoch gleichzeitig zu rechtssicherer Ausgestaltung. Die ABDA kritisiert diese normative Unschärfe und verweist auf ein erhöhtes Haftungsrisiko: nicht nur für Betreiber der Onlineangebote, sondern auch für Apothekenleitungen, die ihre Infrastruktur in fremde Hände legen. Die rechtliche Verantwortung bleibt in jedem Fall beim Betreiber – und der ist in der Regel die Apotheke selbst. Eine länderübergreifende Marktaufsicht prüft im Verdachtsfall oder stichprobenartig, ob digitale Angebote gesetzeskonform sind. Bei Verstößen können Bußgelder bis zu 100.000 Euro verhängt werden – ein wirtschaftliches Risiko, das insbesondere für kleinere Apotheken ohne eigene IT-Ressourcen kaum kalkulierbar ist.
Diese strukturelle Asymmetrie trifft auf eine Branche, die ohnehin unter Druck steht: Apothekenschließungen, Nachwuchsmangel und Digitalisierungsdefizite lassen wenig Raum für technische Umrüstungen, die nicht unmittelbar vergütungsrelevant sind. Dennoch lautet die Empfehlung der Bundesfachstelle Barrierefreiheit und des Bundesarbeitsministeriums klar: Auch wer formal nicht betroffen ist – etwa weil er keine E-Commerce-Funktionalitäten anbietet –, sollte sich strategisch in Richtung Barrierefreiheit orientieren. Warum? Weil der demographische Wandel, das Diversitätspotenzial von Kundengruppen und die wachsende Bedeutung digitaler Gesundheitskommunikation mittelfristig auch ökonomische Anreize setzen. Barrierefreiheit bedeutet nicht nur Inklusion, sondern Marktzugang – und zwar in mehrfacher Hinsicht: technisch, rechtlich und gesellschaftlich.
Der konkrete Handlungsdruck lässt sich an mehreren Ebenen festmachen. Erstens: Apotheken müssen ihre Dienstleister einbinden, um zu prüfen, ob Internetauftritte, Buchungsportale, Apps und Botendienstformulare den gesetzlichen Anforderungen genügen. Zweitens: Die technische Umsetzung – etwa die Anpassung für Screenreader, der Einbau von Textalternativen oder die Optimierung für kognitive Einschränkungen – bedarf professioneller Unterstützung. Drittens: Es braucht eine interne Verantwortlichkeitsstruktur, die nicht nur IT-Themen abdeckt, sondern auch juristische, marketingbezogene und ethische Aspekte integriert. Wer dies als Belastung empfindet, verkennt die Chance: Die digitale Barrierefreiheit macht Apotheken zukunftsfest – nicht weil sie es müssen, sondern weil sie es können. In einer zunehmend fragmentierten Gesellschaft sind niedrigschwellige digitale Angebote ein Zeichen von Professionalität.
Dabei mangelt es nicht an Unterstützung. Das Bundesarbeitsministerium stellt Leitlinien zur Verfügung, die auch Praxisbeispiele enthalten. Die Bundesfachstelle Barrierefreiheit bietet Webinare, Einzelfallberatung und Anleitungen für Kleinstunternehmen. Dienstleister wie Gesund.de haben die Umsetzung barrierefreier Apothekenportale bereits abgeschlossen und zeigen: Wo Inklusion digital gedacht wird, verbessert sich nicht nur die Erreichbarkeit für Menschen mit Einschränkungen, sondern auch die Gesamtperformance im digitalen Raum. Apotheken gewinnen an Sichtbarkeit, an Vertrauen und an Anschlussfähigkeit – in einem Markt, der zunehmend durch digitale Bewertungslogiken, Patientenentscheidungen auf Basis von Nutzererfahrung und rechtliche Normerwartung geprägt ist.
Digitalisierung ist nicht neutral. Sie bevorzugt die Informierten, die Geübten, die Gesunden. Barrierefreiheit kontert diese Schieflage nicht nur technisch, sondern strukturell. Apotheken, die sich dieser Verantwortung aktiv stellen, stehen nicht unter einem Zwang, sondern an der Spitze eines Fortschritts, der Gesundheit nicht exklusiv, sondern inklusiv versteht. Und das ist mehr als Pflicht: Es ist ein strategischer Imperativ.
mRNA erzwingt Sichtbarkeit, Lipidpartikel überwinden Zellbarrieren, Heilungsperspektiven wachsen
Wie LNP-X ruhende HIV-Zellen reaktiviert, Immunantworten auslöst und präklinische Therapien in Reichweite rücken
Die Hoffnung auf eine funktionelle Heilung von HIV rückt in greifbare Nähe: Ein Team australischer Forschender hat einen Ansatz entwickelt, mit dem sich latente HIV-Reservoire gezielt aufspüren und immunologisch beseitigen lassen. Herzstück der Innovation ist ein modifiziertes mRNA-Lipidnanopartikel, das unter dem Namen LNP-X entwickelt wurde und in der Lage ist, in ruhende T-Zellen einzudringen und dort die Transkription des viralen Genoms zu initiieren. Diese gezielte Reaktivierung der bislang therapieresistenten, versteckten HI-Viren markiert einen konzeptionellen Durchbruch, denn sie überwindet erstmals gleich zwei bisherige Haupthindernisse: die immunologische Unsichtbarkeit latenter Viren sowie die technische Barriere der Zellinfiltration bei ruhenden CD4+-T-Zellen.
HIV besitzt die Fähigkeit, sich in das Erbgut von Immunzellen einzuschreiben und dort inaktiv zu verharren. Antiretrovirale Therapien können zwar die Replikation stoppen, aber nicht die verborgenen viralen Genomabschnitte eliminieren. Genau hier setzt die Methode an, die Dr. Paula Cevaal und ihr Team am Doherty Institute in Melbourne entwickelt haben. Das Konzept kombiniert zwei mRNA-Konstrukte: eines codiert ein virales Transkriptionsaktivator-Exon, das andere eine CRISPRa-Komponente, die gezielt die Expression der ruhenden Virus-DNA auslöst. Eingebettet in eine verbesserte Lipidformulierung, die ursprünglich aus dem zugelassenen Arzneimittel Patisiran (Onpattro®) hervorging, dringt LNP-X sogar in nicht-stimulierte, ruhende T-Zellen ein.
Dieser Punkt ist entscheidend: Bisherige "latency reversing agents" verfehlten ihre Wirkung nicht zuletzt, weil sie an der Biologie ruhender Immunzellen scheiterten. Die nun präsentierten Daten aus Zellkulturen von HIV-Patient:innen zeigen, dass LNP-X rund 76 Prozent der ruhenden CD4+-T-Zellen effektiv transfiziert und sowohl naive als auch Gedächtniszelltypen erreicht. Damit gelingt nicht nur das Aufheben der Latenz, sondern auch die Sichtbarmachung infizierter Zellen für das Immunsystem – ein notwendiger Schritt, um sie immunvermittelt zu eliminieren.
Für die HIV-Forschung ist dieser Mechanismus eine strategische Wegmarke. Statt das Virus dauerhaft zu unterdrücken, soll es gezielt aus seinem Versteck gelockt und unschädlich gemacht werden. Die molekulare Eleganz liegt darin, dass die CRISPRa-Komponente keine Genschere darstellt, sondern ein epigenetischer Schalter, der gezielt Transkription auslöst, ohne das Genom zu schneiden. Diese Feinsteuerung mindert unerwünschte Nebeneffekte und könnte langfristig auch für andere virale Latenzmodelle oder onkologische Anwendungen relevant werden.
Dr. Cevaal betont in einer Institutsmitteilung, dass erstmals gezeigt werden konnte, wie ein modifiziertes Nanopartikel mRNA in latente HIV-Zellen einschleusen und dort die Virusproduktion starten kann. Die präklinischen Daten liefern damit nicht nur einen Wirkmechanismus, sondern auch ein Plattformprinzip für künftige Therapielinien. In der Perspektive könnten solche Technologien die Strategie von "shock and kill" neu definieren: Das gezielte Erwecken der Virusproduktion, um sie anschließend durch Immunantworten oder therapeutische Add-ons zu eliminieren.
Vor einer klinischen Anwendung steht nun eine Reihe weiterer Validierungen in Tiermodellen, die sowohl die Effizienz der Transfektion als auch die immunologischen Konsequenzen abbilden sollen. Entscheidend wird auch sein, ob die Methode bei gleichzeitig laufender antiretroviraler Therapie funktioniert, ohne resistente Escape-Varianten zu erzeugen. Doch die bisherigen Ergebnisse markieren bereits jetzt eine konzeptionelle Neusortierung der HIV-Heilungsforschung: Die Kombination aus mRNA-Transkription, CRISPR-Steuerung und LNP-Optimierung verlagert das Paradigma von passiver Virusunterdrückung hin zu aktiver Eradikation latenter Zellreservoire.
Verantwortung bündeln, Hierarchien abbauen, Perspektiven verzahnen
AVWL wird Fördermitglied im BVpta – ein Signal für Zusammenarbeit, Berufspolitik und Fachkräftesicherung
Es ist ein symbolischer Schritt mit konkreter Wirkung: Der Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL) hat sich entschieden, Fördermitglied des Bundesverbandes PTA (BVpta) zu werden – und verbindet damit ein deutliches Bekenntnis zur Teamarbeit in der Vor-Ort-Apotheke, zu berufspolitischer Kohärenz sowie zu neuen Wegen der Fachkräftebindung. Dass der Entschluss unmittelbar auf die im Januar erfolgte Kündigung der Fördermitgliedschaften durch die Versandhändler DocMorris und Shop Apotheke folgt, unterstreicht die strategische Ausrichtung: Wer sich von jenen trennt, die auf Systemferne setzen, wird für jene attraktiv, die Systemtreue stärken wollen. Für AVWL-Vorstandsmitglied Manuela Schier war dies keine PR-Geste, sondern Ausdruck der Wertschätzung: Wer die PTA stärke, stärke die Apotheke.
Die Aussage, eine Apotheke sei ohne Personal wertlos, wirkt in Zeiten zunehmender Personalknappheit wie eine Selbstverständlichkeit – und ist doch ein politisches Statement. Gerade weil die PTA-Strukturen häufig als nachgeordnet und nicht gestaltungswirksam wahrgenommen werden, rückt der AVWL mit seiner Fördermitgliedschaft eine alte Schieflage ins Licht: Der Arbeitsplatz Apotheke wird nicht durch Technik, sondern durch Menschen getragen. Dazu gehöre es, so Schier, den BVpta als Vertretung dieser Berufsgruppe explizit zu unterstützen – nicht nur wegen der Fortbildungslandschaft, die dem Berufsstand zugutekommt, sondern auch, weil sich deren Qualität letztlich in den Inhaberinteressen spiegelt. Die Rechnung lautet: Investition in Kompetenz = Stabilisierung der Versorgung.
Diese neue Allianz will jedoch mehr sein als ein Finanzierungsbündnis. Im Zentrum steht das Ziel, den PTA-Beruf durch strukturelle Modernisierung und kollektive Organisationsentwicklung attraktiver zu gestalten. Anja Zierath, Vorsitzende des BVpta, formulierte dies mit einem Bild, das über Kooperationsrhetorik hinausgeht: »Wir sitzen alle im selben Boot, und dieses Boot ist die Apotheke vor Ort«. Gemeinsames Rudern bedeute gemeinsames Handeln – insbesondere im politischen Gegenwind, der nicht zuletzt durch provokante Ideen wie die »apothekerlose Apotheke« aus dem Bundesgesundheitsministerium befeuert werde. Dass der BVpta sich gegen diese Vorstellungen positionierte, etwa durch eine interne Mitgliederbefragung, stärkte wiederum das Vertrauen des AVWL in die Standhaftigkeit der PTA-Vertretung.
Doch Vertrauen allein genügt nicht. Was folgt, ist ein konkretes Arbeitsbündnis mit regelmäßigen Austauschen, strategischen Perspektivwechseln und einer klaren Rollenverteilung: Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite begegnen sich nicht als Gegenspieler, sondern als Dialogpartner auf Augenhöhe. Ziel ist es, den Arbeitsplatz Apotheke so auszurichten, dass er mehr ist als ein Ort der Abgabe – nämlich ein Ort der Entwicklung, der Bindung und des professionellen Miteinanders. Dabei gehe es, wie Schier betonte, explizit nicht nur um monetäre Aspekte, sondern um Entwicklungsperspektiven, gegenseitiges Vertrauen und die gelebte Wertschätzung im Alltag. In einer Branche, die unter massivem Druck steht, wird Kooperation zum Standortfaktor.
Die Fördermitgliedschaft des AVWL im BVpta steht damit exemplarisch für einen Paradigmenwechsel: weg von hierarchischen Versorgungsbildern, hin zu kooperativen Berufsrollen. Die
Gesundheit ist Auftrag, Gleichstellung ist Pflicht, Wissen ist Macht
Die Gendermedizin ringt um Sichtbarkeit, Versorgungsrealität und politische Verankerung
Gesundheit ist eine gesamtgesellschaftliche Querschnittsaufgabe – mit dieser Feststellung schloss SPD-Politiker Serdar Yüksel eine der zentralen Debatten auf dem 5. Bundeskongress Gender-Gesundheit in Berlin, die eindrücklich verdeutlichte, wie weit die gesundheitliche Versorgung der Geschlechter von Gerechtigkeit, Datentiefe und struktureller Verankerung entfernt ist. Zwischen strukturellem Rückstand, gesetzlichem Auftrag und kulturellem Widerstand kamen Perspektiven aus Politik, Versorgungspraxis, Krankenkassen und Wissenschaft zusammen, um ein fragmentiertes Bild in den Fokus zu rücken: die Realität genderspezifischer Versorgungslücken, die oft nicht nur durch fehlende Finanzierung, sondern auch durch stereotype Erwartungen, defizitäre Ausbildung und gesetzliche Lücken reproduziert werden. Andrea Galle, Vorständin der Krankenkasse mkk, brachte es zu Beginn der Veranstaltung pointiert auf den Punkt – aus persönlicher wie gesetzlicher Perspektive: "Ich bin eine Frau, ich sage es mal so." Der gesetzliche Auftrag zu genderspezifischen Versorgungsverträgen sei eindeutig, werde jedoch in der Praxis zu oft ignoriert. Noch drastischer fiel die Diagnose bei Christiane Wessel von der KV Berlin aus, die im kollegialen Umfeld mit Abwehr und Augenrollen auf ihre genderpolitischen Impulse stieß – ein Muster, das sie als systemische Barriere benennt und mit der Forderung nach diverseren Teams im Versorgungssystem verknüpft.
Dabei reichen die Hindernisse weit über die Organisationsebene hinaus. Der strukturelle Mangel an Daten etwa verhindert Forschungsvorhaben, die genderspezifische Fragestellungen operationalisieren könnten – trotz Datenschutzkompatibilität. Galle schilderte den Abbruch eines Vorhabens aufgrund des geltenden Gesundheitsdatennutzungsgesetzes, das selbst anonymisierte Informationen blockiert. Die politische Antwort auf diese Blockade blieb auf dem Kongress vage, doch die Dringlichkeit wurde durch eine Vielzahl weiterer Stimmen bekräftigt. So wies Nicola Buhlinger-Göpfarth darauf hin, dass die Verantwortung für familiäre Gesundheit trotz aller gesellschaftlichen Wandlungsrhetorik weiterhin weiblich konnotiert sei – und als Ansatzpunkt für Versorgung gedacht werden müsse, nicht als bloßes Symbol sozialer Überlastung. Die Rolle von Frauen als "Gesundheitsministerinnen der Familie" könne Chance und Risiko zugleich sein.
Diese doppelte Rolle wurde insbesondere bei kardiologischen Erkrankungen deutlich, wie Serdar Yüksel anhand konkreter Fallbeispiele ausführte: Viele Patientinnen verzichteten auf dringend notwendige Anschlussheilbehandlungen, da sie familiäre und berufliche Verpflichtungen nicht ruhen lassen könnten. Die Folge ist eine verfestigte strukturelle Unterversorgung, die nicht durch ärztliche Aufklärung, sondern nur durch gesellschaftliche und gesundheitspolitische Umsteuerung zu beheben sei. Ute Teichert, Abteilungsleiterin im Bundesgesundheitsministerium, weitete diesen Befund auf vulnerable Gruppen aus und forderte geschlechtersensible Versorgung insbesondere für wohnungslose und psychisch belastete Menschen – eine Perspektive, die Gendergerechtigkeit nicht auf die Kategorien Frau und Mann reduziert, sondern mit Sozialpolitik verknüpft.
Neben sozialer Diagnostik war der Kongress auch ein Ort für Bildungs- und Strukturkritik. Einigkeit herrschte in der Analyse, dass gendersensible Aspekte bislang kaum strukturell in Aus- und Weiterbildung verankert seien. Serdar Yüksel kritisierte die geringen Stundenkontingente in der universitären Lehre, Nicola Buhlinger-Göpfarth ergänzte, dass staatliche Hochschulen gegenüber privaten oft hinterherhinkten, und Christiane Wessel machte auf den Widerstand etablierter Gremien bei der Weiterbildung aufmerksam. Thomas Preis, Präsident der ABDA, brachte schließlich die Apothekerschaft in Stellung: Zwar sei die Bundesapothekerkammer zuständig, doch die Umsetzung gendersensibler Fortbildung bleibe bislang aus. Preis kündigte an, hier deutlich nachzusteuern.
Wie groß die Lücke zwischen Anspruch und Realität ist, zeigte sich am Beispiel der Notfallverhütung: Der Zugang zur Pille danach dürfe nicht vom Geldbeutel abhängen, so Preis – und benannte damit einen zentralen Punkt geschlechterbezogener Gesundheitsgerechtigkeit. Denn ökonomische Determinanten treffen im Gesundheitswesen nie neutral: Wer sich Versorgung nicht leisten kann, wird in gesundheitlicher Hinsicht systematisch benachteiligt. Das Publikum brachte ergänzende Perspektiven ein: Tanja Menting forderte mehr arbeitsmedizinische Einbindung, Hildegard Seidl pochte auf verpflichtende Forschung und Lehre – und beide plädierten für gezielte Fördermechanismen, um die strukturelle Schwäche der Gendermedizin zu überwinden.
Insgesamt zeichnete der Kongress ein Bild, das weder nur alarmiert noch lediglich appelliert, sondern ein systemisch unterfüttertes Plädoyer formuliert: Gendergesundheit ist kein Add-on, sondern systemisches Muss. Der politische Wille, diese Realität in Recht, Ausbildung, Finanzierung und Versorgung zu übersetzen, entscheidet darüber, ob die Gendermedizin den ihr zustehenden Platz in der Versorgung erhält – oder weiterhin als Nischenthema behandelt wird. Was derzeit fehlt, ist nicht der Appell, sondern die administrative Entschlossenheit.
Metabolit greift peripher an, Kanäle blockieren Schmerz, Struktur bestimmt Wirkung
Wie AM404 als Paracetamol-Abbauprodukt schmerzspezifische Natriumkanäle hemmt
Der Schmerzmittelklassiker Paracetamol zählt zu den weltweit meistverwendeten Analgetika, doch seine Wirkweise blieb über Jahrzehnte nur bruchstückhaft verstanden. Jetzt zeigt eine neue Studie unter Leitung von Yossef Maatuf an der Hebrew University in Jerusalem erstmals: Der zentrale Paracetamol-Metabolit AM404 wirkt nicht nur im zentralen Nervensystem, sondern auch peripher – und dort mit der Präzision eines selektiven Lokalanästhetikums. AM404 hemmt direkt zwei schmerzspezifische spannungsabhängige Natriumkanäle – NaV1.7 und NaV1.8 – mit hoher Affinität und zeigt damit eine bislang unterschätzte systemische Wirkarchitektur.
Die Studie, erschienen in »PNAS«, verfolgt die Spur des Paracetamols bis in die Leber, wo es zunächst zu 4-Aminophenol umgewandelt wird. Dieser Metabolit gelangt über den Blutweg in periphere sensorische Ganglien. Dort katalysiert das Enzym Fettsäureamid-Hydrolase (FAAH) die Bildung von AM404, wie die Forscher über LC-MS/MS in isolierten Trigeminusganglien belegen konnten. Funktionell aktiviert AM404 dort TRPV1-Kanäle, ohne Aktionspotenziale auszulösen – ein Phänomen, das auf eine dämpfende Wirkung hindeutet. Gleichzeitig senkt es die neuronale Erregbarkeit in trigeminalen und spinalen Ganglienzellen konzentrationsabhängig mit einer IC₅₀ im einstelligen Nanomolarbereich.
Dieser Effekt ließ sich auch behavioristisch zeigen: Eine lokale AM404-Injektion in die Rattenpfote reduzierte spürbar die Reaktion auf mechanische und thermische Schmerzreize, wobei der Effekt nach einer Stunde kulminierte und lokal begrenzt blieb. Elektrophysiologisch konnten die Forscher eine selektive Hemmung von NaV1.7- und NaV1.8-Kanälen dokumentieren – zwei essenzielle Komponenten nozizeptiver Schmerzverarbeitung. In ND7/23- und HEK293T-Zellsystemen lag die Hemmschwelle (IC₅₀) bei 22 nM (NaV1.7) bzw. 55 nM (NaV1.8). Entscheidend: Eine Mutation an der Lokalanästhetikabindungsstelle (F1759A) im NaV1.8-Kanal hob die Wirkung vollständig auf – ein klarer Beleg für die strukturvermittelte Kanalbindung.
Bemerkenswert ist, dass andere Paracetamol-Metaboliten – etwa NAPQI oder 4-Aminophenol – keine vergleichbare Wirkung an den schmerzspezifischen NaV-Kanälen zeigen, auch nicht bei höheren Konzentrationen. AM404 ist damit der einzige bekannte Paracetamol-Metabolit mit nanomolarer Selektivität auf diese Zielkanäle. Die Studie deutet damit auf ein neues pharmakodynamisches Profil: AM404 wirkt peripher, selektiv, lokal – und könnte sich als eigenständiges, minimal zentral wirksames Analgetikum etablieren. Die Entdeckung eröffnet zugleich neue Perspektiven auf die künftige Entwicklung gezielter peripherer Schmerzmedikamente mit geringem Nebenwirkungsprofil.
Neue Kinase hemmt gezielt, Genfusion treibt Tumoren, Altersgrenzen sinken
Neue Option bei ROS1- und NTRK-positiven Tumoren, breite Indikation bei soliden Krebsformen, erste Zulassung ab zwölf Jahren
Die Zulassung von Repotrectinib signalisiert einen paradigmatischen Fortschritt in der personalisierten Onkologie – und markiert zugleich eine strategisch relevante Erweiterung der therapeutischen Landschaft bei bestimmten Lungen- und Weichteiltumoren. Im Zentrum steht das ROS1-Protoonkogen, das in etwa zwei Prozent der nicht kleinzelligen Lungenkarzinome (NSCLC) mutiert vorliegt und dort das Zellwachstum pathologisch antreibt. Für diese kleine, aber klinisch herausgeforderte Subgruppe steht mit dem neuen Tyrosinkinase-Inhibitor (TKI) Repotrectinib (Augtyro®, Bristol Myers Squibb) nun eine neue Option zur Verfügung. Anders als viele herkömmliche zielgerichtete Therapien beschränkt sich der Einsatz von Repotrectinib jedoch nicht auf eine organspezifische Tumorform, sondern erstreckt sich tumorübergreifend auf alle soliden Tumoren mit nachgewiesener NTRK-Genfusion, sofern bereits andere Therapien ausgeschöpft oder kontraindiziert sind. Diese gewebeunabhängige Zulassung folgt einem wachsenden Trend in der Onkologie, der sich an genetischen Treibern statt an histologischen Ursprüngen orientiert. In dieser Indikation ist Repotrectinib ab einem Alter von zwölf Jahren zugelassen, was die Perspektiven auch für jüngere Patientengruppen verbessert.
Der Wirkstoff zeichnet sich durch eine hochselektive Hemmung der Kinaseaktivierung aus: Neben ROS1 blockiert Repotrectinib die Tropomyosin-Rezeptorkinasen TRK A, B und C sowie die anaplastische Lymphomkinase (ALK). Diese multiplen Targets spielen in verschiedenen Tumorentstehungen eine treibende Rolle. Pathologisch bedeutsam ist insbesondere die Konstitution daueraktiver Fusionsproteine infolge von Genfusionen, bei denen sich etwa ein NTRK-Gen mit einem anderen Gen zu einem permanent aktiven Signalgeber verbindet. Die daraus resultierende Kinaseaktivierung führt zu einer unkontrollierten Proliferation. Repotrectinib adressiert diesen Mechanismus direkt, was es in seiner Klasse zu einem besonders vielseitigen Vertreter macht.
Die orale Applikation erfolgt in einem sequenziellen Dosierungsschema: Initial werden für 14 Tage 160 mg einmal täglich eingenommen, anschließend wird die Dosis auf 160 mg zweimal täglich gesteigert. Die Einnahme erfolgt unabhängig von Mahlzeiten, jedoch stets zur gleichen Tageszeit. Grapefruit, Bitterorangen und entsprechende Säfte sind während der Therapie kontraindiziert, da sie zu pharmakokinetischen Wechselwirkungen führen können. Bei Auftreten von Nebenwirkungen gilt die gängige Regel der Dosisreduktion oder Therapieunterbrechung. Die Nebenwirkungsrate, insbesondere hinsichtlich zentralnervöser Symptome oder kardiovaskulärer Ereignisse, wird in der Praxis genau zu monitoren sein.
Repotrectinib steht dabei nicht isoliert, sondern reiht sich ein in ein wachsendes Portfolio vergleichbarer Wirkstoffe, darunter Entrectinib (Rozlytrek®) und Larotrectinib (Vitrakvi®), die ebenfalls gegen NTRK-Fusionstumoren eingesetzt werden. Anders als Entrectinib, das bereits ab dem ersten Lebensmonat zugelassen ist, setzt Repotrectinib die Altersgrenze bei zwölf Jahren. Das ähnlich positionierte Crizotinib (Xalkori®) ist dagegen ausschließlich bei Erwachsenen mit ROS1- oder ALK-positivem NSCLC indiziert und nicht gegen NTRK wirksam. Die Zulassung von Repotrectinib erweitert somit nicht nur das therapeutische Spektrum bei ROS1-positivem Lungenkrebs, sondern unterstreicht auch die Relevanz tumorgenealogischer Diagnostik als Grundlage gezielter Therapieentscheidungen.
In der Praxis bedeutet die neue Option eine klare therapeutische Aufwertung für genetisch getestete Patienten, insbesondere bei fehlgeschlagener Erstlinientherapie. Zugleich stellt sich die Frage nach der Refinanzierung solcher Therapien, die aufgrund ihrer hochspezifischen Wirkmechanismen und begrenzten Zielgruppen in der Regel hohe Kosten verursachen. Gesundheitspolitisch relevant wird damit nicht nur die Indikationsausweitung selbst, sondern auch die Frage, wie innovationsfreundlich das System auf gewebeunabhängige, genetisch definierte Therapieansätze reagiert. Für die betroffenen Patienten bleibt die Aussicht jedoch klar: Wer über eine ROS1- oder NTRK-Fusion verfügt, hat mit Repotrectinib erstmals eine neue, gezielte Option in der Reserve.
Abnehmspritzen wirken schwächer, Dosierung bleibt zu niedrig,
Therapie wird oft abgebrochen Erfahrungsdaten aus der Praxis belegen geringere Wirksamkeit, Dosisdefizite und hohe Abbruchquoten bei GLP-1-Medikamenten zur Gewichtsreduktion
Eine neue Auswertung aus den USA wirft einen ernüchternden Blick auf die viel diskutierten Abnehmspritzen Semaglutid und Tirzepatid: Die realen Therapieergebnisse im Praxisalltag fallen deutlich schwächer aus als die Erfolge, die in klinischen Studien berichtet wurden. Als Ursache identifizieren die Forscher nicht nur die hohe Zahl an Therapieabbrüchen, sondern auch eine strukturelle Unterdosierung. Diese beiden Faktoren wirken sich sowohl auf den erhofften Gewichtsverlust als auch auf die Blutzuckerkontrolle signifikant negativ aus – ein Umstand, der die Versorgung adipöser oder prädiabetischer Patientinnen und Patienten in der Breite betrifft und eine differenzierte medizinische Bewertung notwendig macht.
Im Zentrum der Untersuchung steht die Analyse elektronischer Patientenakten von 7881 Personen mit einem durchschnittlichen Body-Mass-Index von 39 kg/m², die zwischen 2021 und 2023 eine medikamentöse Adipositastherapie begonnen hatten. Dabei erhielten 6109 Patienten Semaglutid (z. B. Wegovy®) und 1772 Tirzepatid (z. B. Mounjaro®). Die retrospektive Analyse unter Leitung von Dr. Hamlet Gasoyan an der Cleveland Clinic ergab: Nur etwa die Hälfte der Patienten setzte die Therapie über ein volles Jahr fort. Frühabbrüche innerhalb der ersten drei Monate lagen bei über 20 Prozent, weitere knapp 30 Prozent brachen im weiteren Jahresverlauf ab – eine erhebliche Belastung für die Bilanz der Mittel, deren Wirksamkeit unter idealisierten Bedingungen nachgewiesen ist, in der Realität aber an praktischen Hürden scheitert.
Hinzu kommt eine dramatische Dosislücke: Über 80 Prozent der Betroffenen erhielten weniger als die empfohlene Erhaltungsdosis – konkret 1 mg oder weniger Semaglutid bzw. 7,5 mg oder weniger Tirzepatid pro Woche. Gründe hierfür könnten individuelle Verträglichkeitsprobleme, Kostenüberlegungen oder Lieferengpässe sein. In der Folge blieb der durchschnittliche Gewichtsverlust mit 11,9 Prozent auch bei kontinuierlicher Anwendung unter den Werten kontrollierter Studien zurück. Besonders deutlich fällt die Abweichung bei den Abbruchgruppen aus: Wer die Therapie in den ersten drei Monaten beendete, verlor lediglich 3,6 Prozent des Körpergewichts, zwischen dem vierten und zwölften Monat immerhin 6,8 Prozent – im Vergleich zu 13,7 Prozent unter optimaler Semaglutid-Dosierung und 18,0 Prozent unter Tirzepatid bei durchgängiger Therapie ein ernüchterndes Bild.
Auch bei der Blutzuckerkontrolle, hier gemessen über die HbA1c-Werte, zeigt sich ein ähnlicher Effekt: Während unter durchgehender Anwendung knapp 68 Prozent der Patienten mit initialem Prädiabetes (HbA1c 5,7–6,4 Prozent) wieder Normwerte erreichten, gelang dies nur 41 Prozent der Spätabbrecher und lediglich einem Drittel der Frühabbrecher. Der Zusammenhang zwischen Therapietreue, Dosierung und metabolischem Erfolg zeigt sich somit als robust und klinisch relevant – insbesondere vor dem Hintergrund einer langfristigen Adipositasstrategie, die nicht nur auf Gewichtsreduktion, sondern auch auf Diabetesprävention zielt.
Besonders auffällig: Frauen scheinen stärker vom Einsatz der GLP-1-Agonisten zu profitieren als Männer. Ebenso zeigte sich Tirzepatid in der Real-World-Beobachtung wirksamer als Semaglutid – ein Trend, der bereits aus den kontrollierten Studien bekannt war, sich aber nun auch unter Alltagsbedingungen bestätigt. Dennoch reicht auch diese Überlegenheit nicht aus, um die hohe Quote ineffektiver oder abgebrochener Therapien zu kompensieren. Das zentrale Problem bleibt: Zu viele Patientinnen und Patienten erhalten nicht die empfohlene Dosis, zu viele steigen zu früh aus der Behandlung aus – und der medizinische Nutzen bleibt hinter dem technisch Möglichen zurück.
Was sich daraus ableitet, ist keine grundsätzliche Absage an GLP-1-basierte Therapien, sondern ein differenziertes Risikoprofil: Die medikamentöse Adipositasbehandlung erfordert eine engmaschige Betreuung, eine konsequente Dosisanpassung und gegebenenfalls auch eine Schulung der Patient:innen hinsichtlich der langfristigen Zielsetzung. Die Wirkung entfaltet sich nicht automatisch, sondern ist an ein komplexes Zusammenspiel aus pharmakologischer, verhaltensmedizinischer und systemischer Komponente gebunden – mit der Folge, dass Therapieabbrüche nicht nur individuelle Rückschritte darstellen, sondern auch strukturelle Versorgungsprobleme offenlegen. Umso wichtiger ist es, die Erkenntnisse aus der US-Auswertung in den europäischen Versorgungsalltag zu übertragen – mit dem Ziel, die tatsächliche Wirksamkeit dieser Medikamente nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Praxis zu erreichen.
Mücken meiden gezielt, Stiche lösen Reaktionen aus, Präparate lindern effektiv
Was bei Insektenstichen hilft, warum Repellentien vorbeugen und welche Mittel die Haut beruhigen
Stiche durch Mücken gehören zu den alltäglichen Begleiterscheinungen warmer Monate und wirken harmlos, solange sie sich nicht entzünden oder durch übertragene Krankheitserreger problematisch werden. Dennoch belasten sie Schlaf, Konzentration und Wohlbefinden, vor allem wenn sich Reaktionen wie Juckreiz oder Entzündungen hartnäckig halten. Besonders in Schlafräumen oder Zelten reicht oft eine einzelne Gemeine Stechmücke, um die Nachtruhe empfindlich zu stören. Dass nur weibliche Tiere stechen, liegt an ihrem reproduktiven Proteinbedarf, der sie dazu zwingt, wiederholt nach einer Blutquelle zu suchen, wenn sie bei der ersten Mahlzeit gestört werden.
Was beim Stich in die Haut gelangt, ist weniger der eigentliche Schaden als vielmehr der Auslöser der Reaktion: Der Speichel der Mücke enthält Enzyme und Proteine, die das Blut flüssig halten, damit der Saugvorgang ungehindert verläuft. Diese Substanzen provozieren eine Immunantwort, bei der Histamin freigesetzt wird – die Ursache für den juckenden Ausschlag. Die Mehrheit der Betroffenen reagiert moderat, doch auch übermäßige Reaktionen mit ausgedehnter Rötung, Schwellung und Hitzeentwicklung sind nicht ungewöhnlich und können eine ärztliche Abklärung erforderlich machen. Die Selbstbehandlung bleibt jedoch in den meisten Fällen die Regel und konzentriert sich auf die Linderung akuter Symptome.
Zuerst sollte die Einstichstelle gereinigt und gegebenenfalls desinfiziert werden, um Infektionen vorzubeugen. Danach stehen mehrere Therapieoptionen zur Verfügung. Stichheiler wie "Bite away" nutzen lokal angewendete Hitze von rund 50 Grad Celsius, um die Bestandteile des Mückenspeichels zu denaturieren. Diese Methode ist effektiv, wenn sie kurz nach dem Stich angewandt wird. Gegen den Juckreiz eignen sich topische Antihistaminika wie Bamipin, Dimetinden oder Tripelennamin, die in verschiedenen Gelen und Stiften verfügbar sind. Auch Zubereitungen mit niedrig dosiertem Hydrocortison bieten Linderung, indem sie die Entzündungsreaktion eindämmen. Besonders bei Kindern, Schwangeren oder Stillenden kommen kühlende, wirkstofffreie Präparate infrage, etwa Roll-ons mit Menthol oder Ethanol. Diese präferieren können auch Pflaster sein, die juckreizlindernd wirken und zugleich mechanisch vor unbewusstem Kratzen schützen.
Noch besser als die Behandlung ist die Prävention. Repellentien wie DEET, Icaridin oder Citriodiol verfälschen den menschlichen Geruchssignatur, der Mücken anlockt. Dabei ist es entscheidend, dass sie vollständig und flächendeckend aufgetragen werden, da Mücken selbst kleinste ungeschützte Hautareale nutzen. Die Schutzdauer variiert je nach Wirkstoff und Konzentration. DEET ist hochwirksam, allerdings mit der Einschränkung, dass es Kunststoffe angreift, was für die Wahl der Kleidung – bevorzugt Naturfasern – relevant ist. Icaridin ist meist hautverträglicher und für Kinder geeignet, Citriodiol gilt als natürliche Alternative, ist aber schwächer wirksam. Neben der Haut kann auch Kleidung durch Imprägnierung zusätzlichen Schutz bieten. In Innenräumen sind Mücken- und Fliegennetze ein bewährtes Mittel – ob als Betthimmel oder als Schutz an Fenstern und Türen.
In der Summe zeigt sich: Auch wenn ein Mückenstich im Normalfall keine medizinische Herausforderung ist, stellt er im Alltag eine ernstzunehmende Belastung dar. Die Kombination aus effektiver Selbstmedikation und vorausschauender Prävention kann helfen, den Sommer mückenarm und weitgehend juckfrei zu erleben.
Bewegung stabilisiert Psyche, stärkt den Beckenboden, schützt die Zukunft
Kanadische Empfehlung rückt Frühsport ins Zentrum der Wochenbettmedizin
Lange galt das Wochenbett als Schonzeit – körperlich, psychisch, gesellschaftlich. Doch eine neue kanadische Leitlinie zur postnatalen Bewegungspraxis zeichnet ein gänzlich anderes Bild: Frühzeitige, moderate bis intensive Bewegung ist nicht nur unbedenklich, sondern medizinisch dringend angeraten. Die Canadian Society for Exercise Physiology hat nach Sichtung von über 570 Studien und ergänzender Mütterbefragung klare Empfehlungen für die ersten zwölf Wochen nach der Geburt formuliert: mindestens 120 Minuten körperliche Aktivität pro Woche, am besten auf vier oder mehr Einheiten verteilt, ergänzt durch tägliche Beckenbodenübungen. Diese Einschätzung ist nicht nur sportwissenschaftlich fundiert, sondern gesundheitspolitisch brisant – sie stellt veraltete Vorstellungen von postnataler Zurückhaltung ebenso infrage wie bestehende Versorgungsstandards in der Nachsorge.
Im Zentrum steht ein paradigmatischer Wandel im Verständnis postnataler Regeneration. Bewegung wird dabei nicht als Risiko, sondern als Schutzfaktor gegen Erschöpfung, Rückenschmerzen, depressive Verstimmungen und kardiometabolische Dysregulationen bewertet. Der Nutzen ist nicht nur individuell, sondern systemisch: Wer schneller zu funktionaler Kraft zurückfindet, entlastet Pflege- und Gesundheitssystem, reduziert Medikamentenbedarf und stabilisiert langfristig die psychische Gesundheit. Besondere Betonung erfährt der Beckenboden, dessen tägliches Training als essentielle Präventionsmaßnahme gegen Harninkontinenz positioniert wird. Auch schlaffördernde Routinen gehören zum empfohlenen Repertoire – inklusive Medienverzicht vor dem Schlafengehen und Gestaltung schlaffreundlicher Umgebung.
Dabei wird explizit auf Sicherheitsaspekte eingegangen: Weder Verletzungsrisiken noch negative Effekte auf die Stillfähigkeit oder Milchqualität ließen sich in der Evidenz identifizieren. Die neue Empfehlung ist daher nicht als vorsichtige Orientierung zu verstehen, sondern als klare Handlungsanweisung. Frauen, die unter ärztlich diagnostizierten Beschwerden oder Risikokonstellationen leiden, sollen individuelle medizinische Beratung einholen – doch auch ihnen wird geraten, zumindest sanfte Bewegung wie Gehen nicht auszuklammern. Das Wochenbett wird damit zur Aktivierungszeit – dosiert, evidenzbasiert, schutzorientiert.
Der kulturelle Shift, den die Leitlinie einfordert, ist nicht trivial: Noch immer dominiert vielerorts die Vorstellung, dass körperliche Aktivität nach der Geburt einem potenziellen Rückfall oder sogar Verletzungsrisiko gleichkomme. Dass diese Vorsicht oft auf veralteten Lehrmeinungen, nicht aber auf wissenschaftlicher Evidenz beruht, belegen die ausgewerteten Studien deutlich. Die kanadische Arbeitsgruppe hat darüber hinaus die subjektiven Einschätzungen von Betroffenen einbezogen und so ein praxisnahes, umsetzbares und zugleich medizinisch validiertes Handlungskonzept geschaffen.
Die Empfehlungen berühren nicht nur den Alltag junger Mütter, sondern auch gesundheitspolitische Grundfragen. Wenn frühe Bewegung nach der Geburt sowohl Depressionen als auch kardiovaskulären Risiken vorbeugt, entsteht daraus eine Pflicht zur strukturellen Implementierung: in Hebammenprogramme, in die Primärversorgung, in die Elternberatung. Rückbildung wird zur Prävention, Bewegung zur Basismedizin. Die kanadische Leitlinie fordert damit nicht nur Frauen heraus, sondern auch Versorgungslogiken und institutionelle Routinen. Der stärkste Satz der Studie lautet nicht umsonst: Jede Bewegung zählt. Und sie zählt ab Tag eins.
Bakterien treiben Zellalterung, Metabolite stören Gefäße, Acetat schützt
Wie das Darmmikrobiom über PAA und PAGln das vaskuläre Altern beeinflusst
Das Altern des Gefäßsystems ist kein autonomer Prozess, sondern wird zunehmend als Resultat systemischer Wechselwirkungen verstanden – nicht zuletzt mit dem Darmmikrobiom. Eine neue Studie des Universitätsspitals Zürich unter Leitung von Dr. Seyed Soheil Saeedi Saravi zeigt nun, dass bakterielle Metabolite wie Phenylessigsäure (PAA) und Phenylacetylglutamin (PAGln) gezielt die Seneszenz von Endothelzellen forcieren können. Die Forscher identifizierten das Darmbakterium Clostridium sp. ASF356 als Quelle dieser Metabolite, die in hohem Maße mit dem vaskulären Alterungsprozess assoziiert sind. Vor allem PAA führt zu mitochondrialem Stress, Wasserstoffperoxidbildung und endothelialer Dysfunktion. Damit wird das Darmmikrobiom erstmals als zentraler Treiber eines alterungsassoziierten Phänotyps auf zellulärer Ebene ausgewiesen – mit konkreten Angriffspunkten für therapeutische Modulationen.
In Plasmaproben von über 7000 Teilnehmern der TwinsUK-Kohorte sowie in Modellversuchen mit Mäusen zeigte sich: Mit zunehmendem Alter steigen die Konzentrationen von PAA und PAGln im Blut signifikant. Diese Entwicklung korreliert mit einer Aktivierung spezifischer mikrobieller Stoffwechselpfade – insbesondere der Phenylpyruvat:Ferredoxin-Oxidoreduktase (PPFOR) und α-Ketoisovalerat:Ferredoxin-Oxidoreduktase (VOR). Clostridium sp. ASF356 konvertiert dabei die Aminosäure Phenylalanin in die proseneszenten Signalstoffe. Die Wirkung ist direkt messbar: In mit ASF356 besiedelten Mäusen stieg nicht nur die Plasmakonzentration der Metabolite, sondern es kam auch zu einer nachweisbaren Steifheit der Aorta und erhöhter Expression von Biomarkern für extrazelluläre Matrixumbauprozesse.
Gleichzeitig zeigt die Studie auch Gegenmechanismen auf: Kurzkettige Fettsäuren wie Acetat, die beim mikrobiellen Abbau von Ballaststoffen entstehen, entfalten eine protektive Wirkung. Ihre Konzentration ist bei alternden Individuen tendenziell reduziert, was auf eine veränderte Zusammensetzung der Mikrobiota hindeutet. In vitro führte die Gabe von Natriumacetat über 72 Stunden zur Reduktion von PAA, zu einem Rückgang seneszenzassoziierter Marker und zu einer Minderung des inflammatorischen Profils seneszenter Endothelzellen. Daraus ergibt sich ein potenzielles Interventionsszenario: die gezielte Beeinflussung der Mikrobiota durch diätetische, probiotische oder pharmakologische Strategien.
Die Zürcher Studie etabliert PAA erstmals als mikrobiell erzeugten, proseneszenten Metaboliten mit vaskulärer Relevanz und identifiziert zugleich Acetat als funktionalen Antagonisten. Dies ermöglicht nicht nur neue diagnostische Marker für das vaskuläre Altern, sondern eröffnet auch therapeutische Optionen. Im Fokus stehen nun zwei Handlungsachsen: Zum einen die Vermeidung phenylalaninreicher Ernährung zur Reduktion der Substratbasis für PAA, zum anderen der gezielte Aufbau einer acetatproduzierenden Mikrobiota durch ballaststoffreiche Kost. Der vaskuläre Alterungsprozess wird damit nicht nur als passiver Verfall, sondern als aktiv steuerbare Dynamik verstehbar – mit dem Darm als systemischem Hebel.
Glosse: Symptome abgeben, Meinung behalten, Zugang verweigert
Wie Apotheken zu Praxispforten werden, Patient:innen in Kategorien zerfallen und Diagnosekompetenz durch Dialogverweigerung ersetzt wird
Manchmal genügt ein einziger Vorschlag, um das ganze Ausmaß einer Systemverzweiflung sichtbar zu machen: Apotheker:innen sollen künftig vor Arztpraxen stehen und entscheiden, wer das Wartezimmer überhaupt noch von innen sehen darf. Kein Scherz, kein Konzeptpapier aus dem Kabarett, sondern die satirische Konsequenz einer Politik, die Steuerung mit Abschottung verwechselt und Gesundheit durch Vorauswahl ersetzen will.
„Sie haben Halsschmerzen, aber keine App benutzt? Das tut mir leid, aber ohne digitale Selbsteinordnung ist Ihr Anliegen heute leider nicht einlasswürdig.“ – So könnte die Zukunft klingen, wenn das, was derzeit als „Verschlankung der Versorgungswege“ etikettiert wird, Realität wird.
Die Szene ist schnell erzählt: Vor der Arztpraxis steht ein Pavillon. Darunter: ein Apothekenlogo, zwei Menschen in weißen Kitteln mit Warnwesten darüber. Davor: Menschen, die sich nicht sicher sind, ob sie krank sind, oder einfach nur auf Nummer sicher gehen wollten. Wer Symptome hat, muss sie in eine App eintragen. Wer keine hat, gilt als unauffällig und wird weggeschickt. Wer widerspricht, bekommt ein Formblatt mit dem Hinweis, es lieber später noch einmal zu versuchen – in besserer Verfassung oder mit anderen Beschwerden.
Die Apotheke, einst als Ort der heilkundlichen Nähe verstanden, verwandelt sich in ein Frontbüro der Versorgung. Sie misst nicht mehr nur Blutdruck, sondern Wartezeitwürdigkeit. Sie bewertet nicht Therapietreue, sondern Wartezimmererlaubnis. Und sie händigt keine Medikamente mehr aus, sondern Zutrittsberechtigungen – kodiert in Farben, abgestuft in Fristen, versehen mit sozialer Belehrung: „Sie sind heute nicht schwer genug krank, um unser System zu belasten.“
Gleichzeitig wachsen die Versorgungsplattformen in die Lücken: Teleclinic übernimmt, DocMorris übernimmt, Amazon Health übernimmt – aber bitte alles digital, datenbasiert und maximal distanziert. Wer dort nachfragt, bekommt keine Diagnose, sondern eine Richtwertempfehlung: „Ihre Symptome entsprechen einem Belastungsmuster mit potenzieller psychosomatischer Komponente. Bitte trinken Sie mehr Wasser.“
Derweil arbeiten sich die Apotheker:innen am Bürgersteig in ihren neuen Rollen ab: Kälte, Konfrontation, Kategorisierung. Freundliche Menschen, die mal Arzneimittel erklärten, werden zu Verwaltungskräften mit Verantwortung und ohne Befugnisse. Wer ein falsches Bändchen vergibt, haftet vielleicht nicht rechtlich – aber definitiv moralisch.
In internen Schulungen wird bereits geübt, wie man „Nein“ sagt, ohne „Nein“ zu sagen. Vorschläge lauten: „Heute ist leider nicht Ihr Tag“ oder „Ihre Gesundheit liegt uns am Herzen – bitte zeigen Sie sie woanders.“ Für komplexere Fälle wird über ein eigenes Triage-Vokabular nachgedacht: „Ihre Symptome sind heterogen und systemisch unzuordenbar – bitte wenden Sie sich an eine andere Anlaufstelle mit erweiterter Kontextkompetenz.“
Die ABDA schweigt höflich, aber unzufrieden. Die Ärzteschaft zeigt sich erfreut: Endlich müssen sie sich nicht mehr um die Abgrenzung zwischen ernst und eingebildet kümmern – das machen jetzt die Apotheker:innen.
Und die Politik? Die erklärt das Ganze zur Revolution. „Wir schaffen ein mehrstufiges Modell integrierter Gesundheitsentscheidungen mit Fokus auf Ressourcenschonung.“ Was sie meint: Es gibt keinen Platz mehr, also sortieren wir vorher.
Was bleibt? Ein Gesundheitssystem, das sich nach außen schließt, weil es innen nicht mehr atmen kann. Eine Apotheke, die in ihrem Versuch, zu helfen, zur Kontrollstation wird. Und eine Gesellschaft, die sich daran gewöhnt, dass man krank genug sein muss, um überhaupt krank sein zu dürfen.
Von Engin Günder, Fachjournalist
Sie haben einen Beruf gewählt, der weit mehr als reine Erwerbstätigkeit ist. Sie verfolgen im Dienste der Bevölkerung hohe ethische Ziele mit Energie, fachlicher Kompetenz und einem hohen Maß an Verantwortung. Um sich voll auf Ihre Aufgabe konzentrieren zu können, erwarten Sie die optimale Absicherung für die Risiken Ihrer Berufsgruppe.
Sie suchen nach Möglichkeiten, Ihre hohen Investitionen zu schützen und streben für sich und Ihre Angehörigen nach einem angemessenen Lebensstandard, auch für die Zukunft.
Unter der kostenfreien Telefonnummer 0800. 919 0000 oder Sie faxen uns unter 0800. 919 6666, besonders dann, wenn Sie weitere Informationen zu alternativen Versicherern wünschen.
Mit der ApoRisk® FirmenGruppe steht Ihnen ein Partner zur Seite, der bereits viele Apothekerinnen und Apotheker in Deutschland zu seinen Kunden zählen darf. Vergleichen Sie unser Angebot und Sie werden sehen, es lohnt sich, Ihr Vertrauen dem Versicherungsspezialisten für Ihren Berufsstand zu schenken.