
Für Sie gelesen
Sehr geehrte Apothekerin, sehr geehrter Apotheker,
hier ist der vollständige Text für Sie:
APOTHEKE | Medienspiegel & Presse |
Digitale Plattformen für Medizinalcannabis, die Diagnostik, Verordnung und Versand in einem geschlossenen Prozess abbilden, werden zunehmend zum Prüfstein rechtlicher, pharmazeutischer und ethischer Grenzen, da sie traditionelle Rezeptlogik unterlaufen und pharmazeutische Verantwortung auslagern. Während Gerichte erste Werbeverbote gegen diese Geschäftsmodelle aussprechen, bleibt die strukturelle Umgehung des Apothekenwesens bestehen. Parallel fordert ABDA-Präsident Thomas Preis ein generelles Verbot des Rx-Versandhandels, um die stationäre Arzneimittelversorgung zu stabilisieren und den Systemschutz wiederherzustellen. Die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen verkompliziert das Bild durch eine verdeckte Kooperation mit einer DocMorris-Tochter, die im Notdienst zentrale Hotlines statt direkter Apothekenkontakte installiert – ein Schritt, der Patientensicherheit, Beratungskompetenz und Systemverantwortung gefährlich entkoppelt. Inmitten dieser Verschiebungen stellt der Vorschlag zu Jahresrezepten durch Minister Karl Laumann eine systemische Gegenbewegung dar, indem er Apotheken in die Primärversorgung einbindet und bürokratische Hürden für chronisch kranke Menschen abbaut. Die gleichzeitige Debatte um Kommunikationsstrategien in der Offizin, die zunehmende Technisierung des Kartentauschs in der Telematik und mikrobiologisch bedingte Krankheitsrisiken verschränken sich zu einem Panorama, das die Frage aufwirft, wie viel Verantwortung, Vertrauen und Regulierung eine Gesellschaft ihrer Arzneimittelversorgung zutraut – oder entzieht.
Gerichte stoppen Cannabiswerbung, Plattformen umgehen Rezeptlogik, Apotheken fordern klare Regeln
Rechtsprechung greift gegen Online-Marketing durch, juristische Grauzonen bleiben, pharmazeutische Versorgung gerät unter Druck
Digitale Rezeptplattformen für Medizinalcannabis, die gleichzeitig Diagnosestellung, Verordnung und Arzneimittelabgabe abdecken, stehen zunehmend im Zentrum rechtlicher, ethischer und pharmazeutischer Debatten. Was auf den ersten Blick wie ein niedrigschwelliges Angebot für Patient:innen wirkt, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als komplexes Konstrukt zwischen ärztlicher Fernbehandlung, wirtschaftlicher Interessenlage und regulatorischer Grauzone. Die Apothekerkammer Nordrhein hat jüngst einen weiteren juristischen Etappensieg errungen: In mehreren Verfahren wurden Online-Plattformen untersagt, mit bestimmten Aussagen für ihre Dienstleistungen zu werben – darunter auch die gleichzeitige Bewerbung der Verordnung und Lieferung von Cannabisarzneimitteln. Die Gerichte folgten damit der Argumentation, dass diese werbliche Koppelung nicht nur standesrechtlich, sondern auch heilmittelwerberechtlich problematisch sei und eine Umgehung traditioneller Rezeptlogik darstelle.
Diese Entwicklung ist jedoch nicht das Ende der Auseinandersetzung, sondern vielmehr der Auftakt zu einer verschärften Prüfung bestehender Geschäftsmodelle. Viele Plattformanbieter agieren weiterhin an der Grenze des rechtlich Zulässigen – etwa indem sie ärztliche Partnerpraxen ausweisen, deren Sitz formal außerhalb Deutschlands liegt, oder durch Konstruktionen, bei denen das Rezept in einem rein digitalen Interaktionsprozess erzeugt wird, ohne dass eine konsiliarische Prüfung oder persönliche Untersuchung erfolgt. Für Apotheken, insbesondere im Vor-Ort-Bereich, bedeutet diese Praxis einen tiefgreifenden Eingriff in die pharmazeutische Versorgungskette – nicht nur aus wirtschaftlicher, sondern auch aus professioneller Perspektive. Denn wenn Arzneimittelabgabe und ärztliche Diagnose in einer technisch gestützten Plattform verschmelzen, wird die klassische Rolle der Apotheke als unabhängige Kontrollinstanz unterminiert.
Hinzu kommt, dass in vielen Fällen der Abgabeprozess nicht in einer Apotheke im klassischen Sinn erfolgt, sondern über eine der Plattform angegliederte Versandapotheke, deren Betriebsgenehmigung oft in einem anderen EU-Staat liegt. Dies führt nicht nur zu Fragen der Rechtsaufsicht, sondern auch zu versorgungspraktischen Problemen, etwa bei Rückfragen zur Dosierung, Wechselwirkungen oder zu Rezeptunregelmäßigkeiten. Die betroffenen Apothekerkammern, allen voran Nordrhein, aber auch weitere Kammern und Verbände, fordern daher eine klare politische und regulatorische Klärung der Frage, ob diese Plattformkonstruktionen noch mit dem heilberuflichen Anspruch der Arzneimittelversorgung vereinbar sind oder ob sie vielmehr ein kommerzielles Geschäftsmodell unter medizinischer Fassade darstellen. Die Abgrenzung wird dabei erschwert durch die Tatsache, dass Cannabisarzneimittel in Deutschland weiterhin einer medizinischen Indikationsprüfung unterliegen und nicht frei verkäuflich sind – was den Online-Zugang zwar technisch möglich, aber juristisch und fachlich hoch problematisch macht.
Besonders brisant wird die Debatte durch die zunehmende Zahl an Patienten, die sich über soziale Medien oder Onlineforen über solche Plattformen austauschen und dort über eine schnelle, unkomplizierte Ausstellung von Rezepten berichten. Während einige dies als Fortschritt im Sinne von Patientenautonomie und Barrierefreiheit sehen, warnen medizinische Fachgesellschaften, dass gerade bei Cannabisarzneimitteln eine genaue Indikationsstellung, Verlaufskontrolle und Dokumentation erforderlich seien. Auch in der Praxis zeige sich, dass nicht selten problematische oder gar unzulässige Rezeptausstellungen erfolgen, die Apotheken dann in ein Dilemma bringen: Geben sie das Arzneimittel trotz Zweifeln an der Verordnung ab, riskieren sie Retaxationen oder aufsichtsrechtliche Konsequenzen – verweigern sie die Abgabe, stehen sie im Konflikt mit dem Patientenrecht auf Versorgung. Dieses Spannungsfeld verlangt nach einer klaren Regulierung, die den digitalen Fortschritt nicht ausbremst, aber heilberufliche Standards bewahrt.
Parallel zu den rechtlichen Schritten gegen Werbeauftritte wächst auch das öffentliche Interesse an der Frage, wie es um die ärztliche Verantwortung in digitalen Rezeptsystemen bestellt ist. Die Kammern der Heilberufe sehen mit Sorge, dass mit wenigen Klicks Verordnungen generiert werden können, die in einer regulären Praxis mit umfassender Anamnese, Diagnostik und Dokumentation nicht oder nur mit erheblichem Aufwand erstellt würden. Besonders deutlich zeigt sich dies bei Indikationen wie chronischen Schmerzen oder ADHS, wo die Abgrenzung zu missbräuchlicher Verwendung ohnehin schwierig ist. Dass sich manche Plattformen zudem bewusst auf diese Graubereiche konzentrieren, nährt den Verdacht, dass hier nicht medizinische Notwendigkeit, sondern Marktpotenzial die zentrale Triebfeder ist.
Auch auf europäischer Ebene beginnen sich Regulierer für diese neue Versorgungsform zu interessieren. Die Frage, wie Plattformen kontrolliert, grenzüberschreitende Apotheken beaufsichtigt und digitale Rezeptausstellungen validiert werden können, wird zunehmend als Teil einer künftigen EU-Gesundheitsstrategie diskutiert. Bis dahin bleibt es jedoch an den nationalen Behörden und Gerichten, Einzelfallprüfungen vorzunehmen und präzedenzbildende Entscheidungen zu treffen. Der jüngste Erfolg der Apothekerkammer Nordrhein ist dabei mehr als ein juristisches Zwischenergebnis – er ist ein Signal, dass sich das Selbstverständnis heilberuflicher Versorgung auch im digitalen Raum durchsetzen muss. Ob dies gelingt, hängt nicht zuletzt von der politischen Entschlossenheit ab, klare Rahmenbedingungen zu schaffen und diese auch durchzusetzen – ohne Rücksicht auf vermeintliche Innovationskraft, die letztlich nur als Deckmantel wirtschaftlicher Interessen dient.
Arzneimittelversand braucht Verbot, Apotheken brauchen Schutz, System braucht Klarheit
Thomas Preis fordert ein Verbot von Rx-Versandhandel, um das Gesundheitssystem zu retten und die Apotheker zu schützen
In einer bedeutenden Rede, die Thomas Preis, der Präsident der ABDA, bei der Delegiertenversammlung der Apothekerkammer Nordrhein hielt, brachte er eine lang diskutierte, aber oft verworfene Forderung erneut auf den Tisch: „Warum soll man kein Versandhandelsverbot fordern?“ Diese Worte stießen auf Zustimmung und regen zur Diskussion an, denn Preis stellte sich entschieden gegen den Arzneimittelversandhandel mit verschreibungspflichtigen Medikamenten und bezeichnete diesen als „Systemzerstörer“. In seiner Argumentation führte er aus, dass der Versandhandel die Apothekenversorgung systematisch gefährde und daher zwingend reguliert oder sogar verboten werden müsse.
Der Apothekerpräsident machte deutlich, dass die bestehenden Regelungen und Forderungen, wie sie im Koalitionsvertrag verankert sind – zum Beispiel die gleichen Anforderungen für den Versandhandel in Bezug auf Temperaturkontrollen wie für die Apotheken – nicht ausreichten. „Wir brauchen nicht gleich lange Spieße, wir brauchen längere Spieße!“, erklärte Preis. Damit zielte er auf die ungleichen Wettbewerbsbedingungen zwischen den Apotheken und den Versandhändlern ab. Die Apotheken müssten nicht nur mit den gleichen rechtlichen Rahmenbedingungen konkurrieren, sondern mit einem Marktteilnehmer, der von Risikokapitalgesellschaften unterstützt werde und Arzneimittel zu Preisen unterhalb der Einkaufskosten verkaufen könne. Preis bezog sich dabei auf die Praxis vieler Versandhändler, die aufgrund des Zugangs zu internationalen Finanzmitteln eine Wettbewerbsverzerrung im Gesundheitsmarkt herbeiführen.
Der Vorstoß, den Versandhandel zu verbieten, ist nicht nur ein Appell an die Politik, sondern auch an die öffentliche Wahrnehmung des Gesundheitsmarktes. Preis setzte sich für eine faire Marktordnung ein und verglich die aktuelle Situation mit den Regelungen im internationalen Fußball, wo „Financial Fair Play“ eingesetzt wird, um Wettbewerbsverzerrungen durch Kapitalgesellschaften zu verhindern. „Wenn das im Fußball funktioniert, warum nicht auch im Gesundheitswesen?“ fragte er rhetorisch.
In seiner Rede hob Preis hervor, dass das Gesundheitswesen zunehmend von kapitalgetriebenen Unternehmen dominiert werde – ein Trend, den er als Gefahr für die nachhaltige und faire Versorgung der Bevölkerung ansah. „Es gibt schon fast keine Augenarztpraxis mehr, die nicht Fremdkapital-gesteuert ist“, kritisierte er und unterstrich die Notwendigkeit, das Apothekersystem als einen der letzten unabhängigen Sektoren im Gesundheitswesen zu bewahren. Dabei müsse insbesondere der Einfluss von Risikokapital auf Apotheken und Gesundheitsdienste eingedämmt werden, um die integrative Rolle der Apotheken als unabhängige Dienstleister zu sichern.
Der ABDA-Präsident appellierte an die Politik, den Versandhandel durch strengere Regulierungen zu kontrollieren und die apothekennahe Versorgung zu stärken. „Wir Apotheker sind die einzigen, die noch sauber als einzelverantwortlicher Heilberuf aufgestellt sind, und das müssen wir auch bleiben“, so Preis.
Doch während Preis und andere Apothekenvertreter weiterhin für eine strikte Regulierung des Versandhandels plädieren, bleibt die politische Umsetzung dieser Forderungen unklar. Die Diskussion wird von verschiedenen Seiten geführt – vor allem im Hinblick auf die Möglichkeiten und Grenzen von Marktregulierungen in einem zunehmend globalisierten und digitalisierten Gesundheitswesen.
KV Niedersachsen kooperiert mit DocMorris-Tochter, verlagert Notdiensterreichbarkeit, gefährdet lokale Apothekenstrukturen
Wie die Kassenärztliche Vereinigung den Apothekennotdienst umgestaltet, die Patientenversorgung verändert und den Wettbewerb beeinflusst
Die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen hat ohne öffentliche Diskussion eine Kooperationsstruktur mit einer Tochtergesellschaft des Versandapothekenunternehmens DocMorris eingeführt, die die Erreichbarkeit der Apotheken im Notdienst fundamental verändert. Statt Patientinnen und Patienten bei nächtlichen oder wochenendlichen pharmazeutischen Versorgungsanliegen an die diensthabende Apotheke weiterzuleiten, werden sie auf eine zentrale Hotline umgelenkt, die von einem privatwirtschaftlich organisierten Akteur betrieben wird.
Dieser Schritt bedeutet nicht nur eine technische Umstellung, sondern einen Paradigmenwechsel: Die direkte Verbindung zwischen regionalem Versorgungsbedarf und lokalem apothekerlichen Handeln wird systematisch durch eine zentralisierte Kommunikationsstruktur ersetzt, die weder auf die regionalen Gegebenheiten noch auf die beratende Kernkompetenz des pharmazeutischen Berufsstands ausgerichtet ist. Die Entscheidung der KVN hat unmittelbare Auswirkungen auf das Berufsbild der Apotheke im Nacht- und Notdienst, auf die patientennahe Versorgung in kritischen Situationen und auf die politische Glaubwürdigkeit jener Institutionen, die gesetzlich zur Gewährleistung flächendeckender Erreichbarkeit verpflichtet sind.
In einem Schritt, der formell als Entlastungsmaßnahme ausgegeben wird, öffnet sich ein Versorgungssystem für die strukturelle Umleitung von Verantwortung an ein wirtschaftlich motiviertes Unternehmen, das sein Geschäftsmodell auf wachstumsorientierten Marktverdrängungsstrategien aufgebaut hat. Dass diese Entwicklung nicht in einem offenen gesundheitspolitischen Diskurs stattfindet, sondern durch Verwaltungsentscheidung der KVN initiiert wurde, verstärkt den Eindruck institutioneller Parteinahme.
Die Apothekerschaft, die seit Jahren unter dem Druck stagnierender Honorare, ausufernder Bürokratie, regulatorischer Zwangsbelastung und wachsender Personalknappheit steht, wird nicht entlastet, sondern entmachtet. Während Apothekerinnen und Apotheker weiterhin persönlich haften, direkt beraten, pharmazeutisch intervenieren und in Notdiensten physisch präsent sein müssen, wird das öffentliche System ihrer Rolle beraubt und überlässt zentrale Aufgaben einer anonymen Callcenterstruktur. Patientinnen und Patienten, die nachts Hilfe benötigen, sprechen künftig mit einem Serviceprovider, nicht mit einer Apotheke.
Die Hotline kann keinen Medikationskonflikt lösen, keine kritische Entscheidung begleiten, keine pharmazeutische Verantwortung übernehmen. Dennoch tritt sie im öffentlichen Rahmen an die Stelle eines bewährten Versorgungsmodells, das gerade im ländlichen Raum systemrelevant ist. Es ist keine technische Frage, ob ein Telefonsystem Apotheken ersetzen kann. Es ist eine politische Aussage, dass die KVN es offenbar für verzichtbar hält, dass ein Apotheker in Notfallsituationen unmittelbar erreichbar ist.
Die Erreichbarkeit der Apotheken im Notdienst war bislang nicht bloß eine logistische Funktion, sondern Ausdruck eines gesellschaftlichen Konsenses über die Gleichwertigkeit der Versorgung. Dieser Konsens wird mit der Einführung der DocMorris-Hotline aufgekündigt. Der öffentlich-rechtliche Auftrag wird durch ein marktgetriebenes Modell ersetzt, das seine eigenen Interessen verfolgt und dabei strukturelle Lücken ausnutzt, die durch politische Passivität entstehen.
Die Entscheidung der KVN markiert damit nicht nur einen Einzelfall, sondern eine Wegmarke für eine stille Privatisierung grundlegender Versorgungsfunktionen. In der öffentlichen Darstellung wird argumentiert, dass Patienten durch die Hotline schneller Hilfe erhalten sollen. In Wirklichkeit werden sie in eine strukturierte Erreichbarkeitsumlenkung gedrängt, in der sie zu Kunden eines privatwirtschaftlichen Systems werden, das mit apothekerlicher Verantwortung nichts mehr gemein hat.
Die Hotline ist kein Notdienst, sondern ein Ersatzkontakt, der vorgibt, Beratung zu leisten, wo keine pharmazeutische Verantwortung besteht. Die Apothekerschaft erkennt in diesem Vorgang eine systematische Entwertung ihres Berufsbilds. Die Organisation eines Notdienstes ist keine lästige Pflicht, sondern ein professioneller Dienst an der Gesellschaft.
Wenn dieser Dienst übergangen, ersetzt oder an Dritte ausgelagert wird, steht nicht nur ein Kommunikationsweg zur Disposition, sondern die ethische Grundlage der flächendeckenden Arzneimittelversorgung. Die KVN signalisiert mit ihrer Entscheidung eine Priorisierung von Organisationsentlastung gegenüber Versorgungsqualität. Das Argument der Erreichbarkeit wird missbraucht, um einen funktionalen Rückbau zu rechtfertigen, der weder die Notdienststruktur stärkt noch die Versorgungssicherheit verbessert, sondern beides untergräbt.
Für die Apotheken vor Ort bedeutet dies einen strategischen Verlust an Sichtbarkeit, Relevanz und Vertrauen. Für die Patienten ist es eine schleichende Entfremdung von wohnortnaher Versorgung, Beratungssicherheit und verantwortungsvoller Arzneimittelkultur. Für das System insgesamt ist es ein Indikator dafür, dass Versorgungspolitik zunehmend durch Effizienz- und Outsourcinglogik ersetzt wird, ohne den Konsequenzen ins Auge zu blicken.
Die KVN hat eine Grenze überschritten, die bislang auch in Zeiten massiver Belastung unberührt geblieben war: die freiwillige Aufgabe öffentlich organisierter pharmazeutischer Notdienste zugunsten eines privaten Hotline-Modells. Was als organisatorische Hilfestellung begann, entwickelt sich zum institutionellen Rückzug aus Verantwortung, zur Erosion eines bewährten Systems und zur Einladung an privatwirtschaftliche Strukturen, zentrale Versorgungsräume zu übernehmen.
Diese Entwicklung muss benannt, öffentlich gemacht und politisch gestoppt werden, bevor ein ganzer Berufsstand in seiner Notdienstfunktion marginalisiert wird und Patienten in kritischen Situationen nur noch bei einer Hotline landen, die nichts anderes ist als ein struktureller Kurzschluss zwischen Scheinlösung und Systemversagen.
Jahresrezepte entlasten Patienten, stärken Apotheken, provozieren Ärztelobby
Wie Karl Laumann mit seinem Vorstoß zur Entbürokratisierung der Dauermedikation, zum Ausbau pharmazeutischer Erstversorgung und zur Systemkritik am hausärztlichen Routineritual eine Debatte auslöst, die das Primärarztsystem herausfordert
Der Vorschlag des nordrhein-westfälischen Gesundheitsministers Karl Laumann, chronisch kranken Menschen künftig den Gang zum Arzt für jedes einzelne Folgerezept zu ersparen, wirkt auf den ersten Blick pragmatisch. Doch in seinem scheinbar simplen Kern liegt eine doppelte Provokation: Er zielt auf das Selbstverständnis der ärztlichen Berufsgruppen ebenso wie auf die strukturellen Festlegungen eines Versorgungssystems, das bislang jeden Quartalsbeginn zur Pflichtkür medizinischer Wiederholungen erklärt. Laumanns Idee, sogenannte Jahresrezepte auszustellen, die eine kontinuierliche Versorgung mit identischen Arzneimitteln über zwölf Monate sichern, wird dabei nicht als bloße Vereinfachung gedacht, sondern als Weichenstellung für ein Primärversorgungskonzept, das Apotheken systematisch einbezieht.
Genau das macht den Vorschlag für viele Akteure zu einem Angriff auf die bisherige Ordnung. Während Patientinnen und Patienten von der Möglichkeit einer unbürokratischen Arzneimittelversorgung profitieren würden, eröffnen sich Apotheken neue Räume professioneller Verantwortung, insbesondere wenn einfache Kontroll- oder Folgeprozesse in der Offizin erfolgen könnten. Die Apothekerin Silke Stütz, die sich im TV-Beitrag von SAT.1 klar hinter Laumanns Initiative stellt, beschreibt das treffend mit dem Begriff „Pharmacy First“. Gemeint ist damit nicht weniger als eine Neudefinition der Rolle der Apotheke als erster Ansprechpartner bei gesundheitlichen Basisanliegen, insbesondere dort, wo eine ärztliche Untersuchung nicht zwingend erforderlich ist. Stütz, zugleich Vorstandsmitglied des Apothekerverbands Nordrhein, bringt in wenigen Worten das auf den Punkt, was Laumann indirekt forciert: ein System, in dem Apotheken nicht nachgeordnet handeln, sondern an zentraler Stelle Verantwortung übernehmen, zum Beispiel bei der kontrollierten Weitergabe von Dauermedikamenten.
Dass ein Patient, wie im SAT.1-Beitrag dargestellt, die Arztpraxis für das bloße Abholen eines Standardrezepts als Zeitverschwendung empfindet, ist kein Einzelfall, sondern Ausdruck eines strukturellen Ungleichgewichts zwischen medizinischer Kontrolle und patientennaher Realität. Laumann greift diese Diskrepanz auf und kanalisiert sie in eine politische Forderung, die sowohl zeitgemäß als auch anschlussfähig an internationale Versorgungsmodelle ist. Dass der Hausärzteverband Nordrhein sich skeptisch zeigt, ist ebenso wenig überraschend wie die Argumentation, wonach viele Arzneimittel eine ärztliche Begleitung wegen potenzieller Nebenwirkungen benötigen. Doch Laumanns Vorschlag zielt gerade nicht auf eine Abschaffung ärztlicher Kontrolle, sondern auf eine Differenzierung: Wo Überwachung nötig ist, bleibt der Arzt zuständig, wo Routine dominiert, kann die Apotheke entlasten.
Damit stellt sich nicht die Frage, ob Apotheke oder Arzt, sondern wann, wie oft und in welcher Konstellation eine Versorgung effizient und sicher gestaltet werden kann. Die politischen Dimensionen dieses Vorschlags reichen über Nordrhein-Westfalen hinaus. Denn wenn das von Bundesgesundheitsministerin Nina Warken angestrebte Primärarztsystem tatsächlich aufgebaut werden soll, dann ist die Frage, wer welche Aufgaben übernimmt, keine Randfrage, sondern systembestimmend. Dass Laumann in diesem Kontext die Apotheke als Ort aktiver Primärversorgung denkt, stellt eine bewusste Abweichung von der ärztlich dominierten Primärlogik dar – und genau das macht den Vorstoß relevant.
Der SAT.1-Beitrag bringt diese Dynamik auf den Punkt, nicht durch eine tiefgreifende Analyse, sondern durch die Konfrontation einfacher Stimmen: der Patient, der sagt, dass er den Weg zum Arzt für überflüssig hält; die Apothekerin, die sagt, dass sie längst bereit ist, mehr Verantwortung zu tragen; der Verband, der abwiegelt. In dieser Dreiteilung spiegelt sich eine politische Verschiebung. Pharmacy First ist keine Marketingidee, sondern ein Versorgungskonzept, das politische Flächenwirkung entfaltet, weil es sich direkt an den Bedürfnissen der Patienten orientiert. Dass die Medien diesen Impuls aufnehmen, zeigt nicht nur die Anschlussfähigkeit des Themas, sondern auch die Diskrepanz zwischen politischen Impulsen und institutioneller Trägheit.
Während Ärzteorganisationen um Kompetenzfelder kämpfen, Apotheken um Anerkennung ringen und Patientinnen und Patienten um Alltagserleichterung bitten, steht die Gesundheitspolitik an einem Scheideweg. Der Vorschlag Laumanns ist nicht radikal, sondern überfällig. Er benennt einen Missstand – die übermäßige Wiederholungsbürokratie –, bietet eine Lösung – das Jahresrezept – und verweist auf eine Struktur – die Apotheke –, die längst bereit ist, mehr zu leisten, wenn man sie lässt. Was fehlt, ist nicht die Idee, sondern der politische Wille zur Umsetzung.
Sollte das Primärarztsystem kommen, ohne die Apotheken gleichberechtigt einzubinden, wäre das eine verpasste Chance mit systemischer Tragweite. Sollte es aber gelingen, Konzepte wie „Pharmacy First“ in die konkrete Versorgung zu integrieren, könnten Patientinnen und Patienten, Apothekerinnen und Apotheker, aber auch entlastete Arztpraxen gleichermaßen profitieren – vorausgesetzt, man erkennt die Apotheke nicht nur als Vertriebsstelle für Medikamente, sondern als unverzichtbare Instanz in der gesundheitlichen Grundversorgung.
Im Beratungsgespräch: Kommunikation mit Evidenz, Steuerung von Erwartung, Wirkung durch Sprache
Wie Apotheken gezielt über Erwartungshaltung Wirkung beeinflussen, wie Wissenschaft Kommunikation operationalisiert und wie Beratungspraxis neue Maßstäbe erhält
Dass Worte Arzneimittelwirkungen verändern können, ist längst mehr als ein Placebo-Mythos. Was Patientinnen und Patienten über Medikamente hören, beeinflusst, ob sie eine Wirkung erwarten, mit Nebenwirkungen rechnen oder ein Arzneimittel als nutzlos empfinden – und genau diese Erwartung kann über therapeutischen Erfolg oder Misserfolg mitentscheiden. Eine interdisziplinäre Forschergruppe aus Potsdam, Marburg und Hamburg hat nun vier evidenzbasierte Kommunikationsstrategien vorgestellt, mit denen Apothekerinnen und Apotheker gezielt auf das Erwartungsmanagement ihrer Patientinnen und Patienten einwirken können. Die Strategien wurden in einer aktuellen Publikation zusammengeführt und stehen nicht nur für theoretisch fundierte Empfehlungen, sondern für einen Paradigmenwechsel im pharmazeutischen Beratungsgespräch: Kommunikation wird hier nicht als Nebenaspekt, sondern als aktives Instrument pharmakologischer Wirksamkeit verstanden – mit direkter Umsetzbarkeit in der Offizin. Die Forschung belegt, dass das Gespräch über Wirkung, Nichtwirkung oder unerwünschte Wirkung Teil der therapeutischen Intervention wird, wenn es systematisch geführt wird.
In einer Zeit, in der multimorbide Patienten zunehmend komplexe Medikationspläne bewältigen müssen und viele Arzneimitteltherapien auf Langfristwirkung setzen, ist der Umgang mit patientenseitiger Erwartung kein Nebenschauplatz, sondern ein integraler Bestandteil der Versorgung. Die Publikation benennt explizit vier Strategien: die Kontextualisierung positiver Wirkung, die realistische Darstellung von Nebenwirkungen, die aktive Rückmeldung therapeutischer Zusammenhänge sowie das gezielte Nutzen von Routinen, um Vertrauen in den Therapieplan zu erzeugen. Diese Strategien beruhen auf randomisiert kontrollierten Studien zu Placebo- und Nocebo-Effekten sowie auf Erkenntnissen der kognitiven Verhaltenstherapie. Ihr Ziel ist nicht, Patienten zu manipulieren, sondern die innere Haltung so zu gestalten, dass die erwünschte Wirkung wahrscheinlicher wird, ohne die informierte Zustimmung oder den realistischen Blick auf Risiken zu unterminieren.
Für Apotheken ergibt sich daraus eine neue Verantwortung, aber auch eine neue Souveränität. Sie werden nicht nur als Vermittler von Therapien, sondern als Mitgestalter von Therapieerfolg positioniert – mit einem Instrumentarium, das bislang vor allem im psychotherapeutischen Kontext Anwendung fand. Die Beratung am HV-Tisch wird so zum Wirkraum, in dem Sprache eine direkte physiologische Dimension bekommt. Ein konkretes Beispiel: Wird einem Patienten mit akuten Rückenschmerzen der Wirkmechanismus eines Analgetikums so erklärt, dass die körpereigene Schmerzhemmung als unterstützende Kraft dargestellt wird, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass das Präparat als wirksam erlebt wird – bei gleichbleibender Dosis und Pharmakodynamik. Umgekehrt können vage Warnungen vor Nebenwirkungen oder der Hinweis auf häufige Unwirksamkeit die Erfahrung von Symptomen triggern oder Wirkungen blockieren – selbst wenn das Medikament objektiv wirksam ist. Genau hier setzt die evidenzgestützte Kommunikationsstrategie an: durch strukturierte Gespräche, durch kontrollierte Wortwahl, durch bewusstes Erwartungsdesign.
Die Forschung zeigt auch, dass diese Wirkung nicht auf die Arztpraxis beschränkt ist. Gerade Apotheken, als erste Anlaufstelle und wiederholter Beratungsort, sind besonders geeignet, Erwartungshaltungen zu prägen. Das Beratungsgespräch ist dabei nicht der kleine Bruder der Verordnung, sondern ein eigenständiger Ort der medizinischen Interaktion. In einer Versorgungsrealität, in der Patienten immer mehr Eigenverantwortung übernehmen und gleichzeitig durch Informationsflut und medizinische Unklarheit verunsichert werden, wird Kommunikation zur stabilisierenden Kraft – vorausgesetzt, sie folgt evidenzbasierten Prinzipien.
Dass dieser Ansatz nicht akademisch bleibt, sondern explizit auf die Praxis der öffentlichen Apotheke zielt, zeigt auch die begleitende Handlungsempfehlung der Forschungsgruppe, die im Open-Access-Verfahren veröffentlicht wurde. Dort finden sich Formulierungsbeispiele, Gesprächsstrukturmodelle und konkrete Tipps für die Schulung von Apothekenteams. Diese Empfehlungen sind anschlussfähig an bestehende pharmazeutische Dienstleistungen und ergänzen ideal die Beratung bei Selbstmedikation, Medikationsanalyse und Interaktionsprüfung. Auch die Bundesapothekerkammer hat bereits Interesse signalisiert, die Ergebnisse in Fortbildungsangebote zu integrieren.
Der Gedanke, dass Sprache im Beratungsgespräch eine Wirkung erzeugt, ist dabei keineswegs neu. Doch erstmals liegt eine systematische, empirisch validierte Grundlage vor, die den Transfer in den Alltag nicht nur erlaubt, sondern fordert. Das verändert die Perspektive auf Beratung grundlegend. Was bislang oft intuitiv, situativ oder mit Erfahrung geführt wurde, erhält nun ein Gerüst, das Wirkung messbar macht und Beratung professionalisiert – nicht durch Formalisierung, sondern durch Bewusstmachung. Der Apotheker als Gesprächspartner wird damit nicht zum Ersatztherapeuten, sondern zur Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Wahrnehmung und Versorgung. Genau in dieser Funktion liegt das ungenutzte Potenzial der öffentlichen Apotheke, das durch die evidenzbasierte Kommunikationsstrategie erstmals systematisch zugänglich wird. Wer Beratung nicht nur als Service, sondern als Instrument therapeutischer Steuerung versteht, kann Patienten nicht nur begleiten, sondern aktiv beeinflussen – im besten Sinne. Die Forschung liefert dafür jetzt den Handlauf, die Apotheke muss nur den ersten Schritt machen.
Grüne drängen auf Aufklärung, Warken blockiert Bericht, Milliardenrisiken für Steuerzahler
Wie politische Transparenz im Maskenstreit unterdrückt, parlamentarische Kontrollrechte verletzt und die Aufarbeitung des Corona-Beschaffungsskandals verschleppt wird
Die Aufarbeitung der milliardenschweren Maskenbeschaffungen zu Beginn der Corona-Pandemie droht in einem politischen Schattenbereich zu versanden, der das parlamentarische Aufklärungsrecht und das Vertrauen in staatliche Rechenschaftspflicht gleichermaßen erschüttert. Im Zentrum steht der Streit um den Bericht der Sonderbeauftragten Margaretha Sudhof, der die umstrittenen Vertragsabschlüsse des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) unter Jens Spahn im Frühjahr 2020 untersuchte. Während die Grünen, unterstützt von Teilen der SPD, eine vollständige Offenlegung des Berichts fordern, weigert sich die aktuelle Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU), das Dokument in seiner Gesamtheit dem Parlament zu übermitteln. Stattdessen soll ein neuer, "politisch justierter" Bericht entstehen – ein Schritt, der Kritik von Verfassungsjuristen, Haushaltspolitikern und zivilgesellschaftlichen Akteuren hervorruft.
Warken hatte angekündigt, dem Haushaltsausschuss lediglich eine Zusammenfassung vorzulegen und sich dabei auf eigene Bewertungen sowie ausgewählte Teile der Sudhof-Untersuchung zu stützen. Die Grünen werfen ihr vor, den Bericht aus parteipolitischen Motiven zurückzuhalten und damit das Aufklärungsrecht des Bundestags aktiv zu untergraben. Janosch Dahmen, gesundheitspolitischer Sprecher der Grünen, forderte daher Sondersitzungen des Haushalts- und des Gesundheitsausschusses: "Statt Transparenz erleben wir den Versuch, einen neuen Bericht zu schreiben – politisch gefiltert, mit unklarer Zielsetzung." Die Vorwürfe wiegen schwer: Warken missachte das Recht des Parlaments auf vollständige Akteneinsicht und versuche, mit einem politisch kaschierten Ersatzdokument unliebsame Erkenntnisse zu neutralisieren.
Dabei ist die Brisanz der Angelegenheit nicht theoretischer Natur. Die Maskenkäufe aus den Frühmonaten der Pandemie sind Gegenstand zahlreicher Rechtsstreitigkeiten, in denen dem Bund Forderungen in Milliardenhöhe drohen. Hintergrund ist das sogenannte Open-House-Verfahren, mit dem das BMG damals Lieferverträge mit Anbietern ohne Einzelfallprüfung zu Festpreisen schloss. Viele dieser Lieferanten erhielten jedoch keine Zahlung, weil das Ministerium später auf angebliche Qualitätsmängel verwies. Es folgten hunderte Klagen. Der Bericht der Sonderbeauftragten analysiert, in welchem rechtlichen Rahmen diese Entscheidungen getroffen wurden, welche Personen Einfluss auf die Verfahren nahmen und welche systemischen Defizite das BMG in der Phase der Notbeschaffung aufwies.
Die Tatsache, dass dieser Bericht nun unter Verschluss gehalten wird, während zugleich neue Milliardenrisiken aus den anhängigen Gerichtsverfahren für den Bundeshaushalt entstehen, wirft ein grelles Licht auf das politische Krisenmanagement im Nachgang der Pandemie. Für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler steht nicht nur die Frage im Raum, wer damals politische Verantwortung trug, sondern auch, ob Vertuschung heute teurer wird als der ursprüngliche Fehler. Die Opposition sieht in der Blockadehaltung des BMG unter Warken eine gezielte Verweigerung demokratischer Kontrollmechanismen. Verfassungsrechtlich ist der Fall sensibel: Das Parlament hat das Recht, vollständige Informationen über den Einsatz von Steuergeld zu erhalten – besonders, wenn milliardenschwere Risiken aus Regierungsentscheidungen entstehen.
Der Streit um den Sudhof-Bericht ist längst auch ein Indikator für die generelle Frage, wie transparent Bundesregierung und Ministerien mit interner Aufarbeitung umgehen. Der Umgang mit der Beschaffungspolitik von 2020 wird zum Lackmustest politischer Glaubwürdigkeit in der Post-Pandemie-Phase. Die Diskussion rührt an das Fundament demokratischer Kontrolle: Wenn ein Sonderbericht mit dem expliziten Ziel der Aufklärung von Missständen erstellt wird, dieser dann aber aus politischen Gründen nicht vorgelegt wird, verliert das Instrument selbst an Legitimität. Es entsteht der Eindruck, dass Transparenz nur gewährt wird, solange sie bequem ist – ein fatales Signal für die parlamentarische Kultur.
Warken selbst begründet ihr Vorgehen mit dem Hinweis, dass der Bericht nicht abschließend belastbar sei und in Teilen juristisch nachgearbeitet werden müsse. Diese Argumentation überzeugt jedoch weder die Opposition noch die eigenen Koalitionspartner. Die SPD verlangt ebenfalls Einsicht in den Originalbericht. Es gehe nicht um politische Stimmungsmache, sondern um haushalts- und rechtspolitische Verantwortung, heißt es aus Kreisen der Fraktion. Der finanzielle Schaden, der aus dem Open-House-Verfahren entstehen könnte, sei so erheblich, dass keine formale Ausrede mehr ausreiche, um Transparenz zu verweigern. Der Steuerzahlerbund spricht von einem "Testfall demokratischer Rechenschaftspflicht".
Dass es überhaupt eines Sonderberichts bedurfte, zeigt die Tiefe der strukturellen Probleme, mit denen das BMG unter Spahn arbeitete. Interne Kommunikation, Dokumentation, Verantwortungszuordnung und juristische Einschätzungen der Risiken wurden offenbar in einer Geschwindigkeit und Komplexität abgewickelt, die im Nachgang kaum rekonstruierbar ist. Genau darin lag die Aufgabe Sudhofs: Licht in ein System aus hektischer Beschaffung, überforderten Strukturen und politischer Übersteuerung zu bringen. Dass diese Aufarbeitung nun ausgerechnet in einem Ministerium ausgebremst wird, das im Namen von Transparenz und Effizienz angetreten war, ist ein politischer Widerspruch von erheblicher Tragweite.
Der Konflikt um die Maskenaufklärung geht daher weit über die Corona-Krise hinaus. Es geht um die demokratische Selbstvergewisserung, ob Macht in Deutschland kontrolliert, Rechenschaft eingefordert und Missmanagement sichtbar gemacht werden kann. Die Weigerung, einen zentralen Aufklärungsbericht vorzulegen, ist in diesem Kontext nicht bloß Verwaltungspraxis, sondern ein Signal. Die Grünen haben mit ihrer Forderung nach Sondersitzungen deshalb nicht nur haushaltspolitische, sondern grundsätzlich demokratische Motive. Das Parlament muss entscheiden, ob es bereit ist, sich mit einer gefilterten Darstellung abspeisen zu lassen, oder ob es das ihm zustehende Kontrollrecht in voller Konsequenz einfordert. Die kommende Sitzungswoche wird zeigen, ob politische Hygiene mehr ist als eine Metapher aus Pandemiezeiten.
Apotheken tauschen Karten, Versicherer bremsen Prozesse, Sicherheit bleibt auf der Strecke
Warum der Kartentausch in Apotheken IT-Systeme herausfordert, Versicherungsverträge unter Druck setzt und die Telematik-Infrastruktur Schwächen zeigt
Tausende Apotheken in Deutschland stehen in den kommenden Monaten vor einem unsichtbaren, aber gravierenden Einschnitt in ihre digitale Infrastruktur: Die bisherigen SMC-B-Karten und elektronischen Heilberufsausweise (eHBA) werden bis Ende 2025 ungültig und müssen durch neue Generationen ersetzt werden. Hintergrund ist die Einführung eines neuen kryptographischen Verfahrens, das in der Telematikinfrastruktur (TI) für mehr Sicherheit sorgen soll. Doch hinter der technisch klingenden Maßnahme verbirgt sich für die Apotheken ein erheblicher Aufwand: Wer nicht rechtzeitig tauscht, verliert die Zugangsberechtigung zur TI und damit die Grundlage für zentrale digitale Prozesse wie E-Rezepte, Notfalldatenmanagement oder Versichertenstammdatenabgleich.
Die Gematik als zentrale Organisation für die TI hat bereits mehrfach auf den notwendigen Kartentausch hingewiesen und mitgeteilt, dass keine Fristverlängerung geplant sei. Besonders problematisch ist dabei die Vielzahl der betroffenen Einrichtungen: Nach aktuellen Schätzungen müssen allein rund 18.000 Apotheken ihre SMC-B-Karte tauschen, hinzu kommen die persönlichen eHBA der Inhaber:innen und angestellten Apotheker:innen. Die Karten sind jeweils vier Jahre gültig, viele laufen 2025 parallel aus. Hinzu kommt ein technischer Wandel: Der bisher verwendete Algorithmus RSA wird durch elliptische Kurvenkryptographie (ECC) abgelöst. Dies betrifft nicht nur die Hardware der Karten, sondern auch die Zertifikate, Serveranbindungen und Kartenleser.
Für viele Apotheken stellt dieser Umstieg nicht nur eine technische, sondern vor allem eine organisatorische Herausforderung dar. Die neuen Karten müssen rechtzeitig bei den jeweiligen Anbietern wie Medisign oder D-Trust beantragt werden, wobei für eHBA ein Identifizierungsverfahren durchlaufen werden muss. Insbesondere Inhaberwechsel, Filialumstrukturierungen oder unvollständige Betriebsstättennummern können den Prozess verzögern oder zum Scheitern bringen. Eine weitere Hürde ist die potenzielle Unterbrechung der Betriebsabläufe: Karten können nicht einfach von heute auf morgen ausgetauscht werden, ohne dass die TI-Anbindung kurzzeitig ausfällt. Die Bundesapothekerkammer rät deshalb zu einem frühzeitigen Austausch, spätestens jedoch im ersten Quartal 2025.
Gleichzeitig ergeben sich rechtliche und versicherungstechnische Implikationen: Apotheker:innen sind verpflichtet, dauerhaft Zugriff auf die TI zu gewährleisten, da sie sonst bestimmte Dokumentations- und Übermittlungsverpflichtungen nicht erfüllen können. Das kann bei Prüfungen durch Kassen oder Aufsichtsbehörden zu Beanstandungen führen und schlimmstenfalls Regressforderungen auslösen. Auch Versicherungen könnten sich im Schadenfall auf eine mangelhafte digitale Betriebsbereitschaft berufen, wenn sich zeigt, dass der Kartentausch verschleppt oder organisatorisch fehlerhaft ablief. In dieser Gemengelage wird der technische Vorgang zum juristischen Risiko. Die Standesvertretungen fordern daher von der Gematik nicht nur transparente Informationen, sondern auch eine frühzeitige Schnittstellenplanung und engere Einbindung der Vor-Ort-Apotheken in die Zeitabläufe.
Hinzu kommt eine dritte Dimension: Die Frage, wie krisenfeste Digitalisierung in einem Gesundheitssystem aussehen kann, das immer stärker von technischen Schnittstellen abhängt. Wenn ein einziger Kartenwechsel eine Kaskade organisatorischer und rechtlicher Komplikationen auslöst, stellt sich die Frage nach der Resilienz der TI-Infrastruktur insgesamt. Besonders brisant: Bereits jetzt klagen viele Apotheken über fehlerhafte Lesegeräte, nicht aktualisierte Connectoren oder unzureichende Rückmeldeschleifen bei der Kartenerneuerung. Wenn in den kommenden Monaten hunderttausende neue Karten ausgeliefert, aktiviert und in Live-Systeme integriert werden müssen, ist mit erheblichen Störungen zu rechnen. Die Politik hält sich bislang mit Aussagen zur Unterstützung zurück, während gleichzeitig neue Digitalisierungspflichten vorbereitet werden.
Damit verdichtet sich der Handlungsdruck auf allen Ebenen: Die Apotheken müssen sich frühzeitig um den Tausch kümmern, die Kartenanbieter müssen für Kapazität und Stabilität sorgen, die Aufsichtsbehörden müssen prüffeste und realistische Fristen kommunizieren, und die Gematik muss sicherstellen, dass der Umstieg auf ECC nicht zu einem digitalen Kollaps führt. Für die Apothekenleitung bedeutet das eine Führungsaufgabe mit hoher Dringlichkeit: Wer sich jetzt nicht um die strategische IT-Zukunft seiner Betriebsstätte kümmert, könnte später nicht nur technische Probleme, sondern auch haftungsrechtliche Konsequenzen tragen.
Bakterien treiben Gefäßalterung an, Stoffwechselverbindungen eskalieren Risiken, Prävention rückt ins Zentrum
Wie mikrobielles Altern das Herz gefährdet, bakterielle Metaboliten Prozesse beschleunigen und die Früherkennung chronischer Risiken neu gedacht wird
Ob die Gesundheit des Herzens durch Ernährung, genetische Disposition oder Lebensstil belastet wird, ist seit Jahrzehnten Gegenstand der Forschung. Doch eine neue Untersuchung der Universität Zürich lässt aufhorchen: Die Alterung der Blutgefäße ist nicht allein ein Ergebnis zellulärer Degeneration, sondern wird aktiv von Darmbakterien und ihren Metaboliten beeinflusst. Damit verschiebt sich die Perspektive von der klassischen Kardiologie zur mikrobiellen Systemmedizin. Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind laut WHO nach wie vor Todesursache Nummer eins, doch ihre Wurzeln reichen tiefer als angenommen. In der nun präsentierten Studie konnten die Forschenden um Sabine Stebegg präzise nachzeichnen, wie bestimmte mikrobielle Stoffwechselprodukte eine vorzeitige Verkalkung und Elastizitätsminderung der Arterien induzieren. Besonders Trimethylamin-N-oxid (TMAO), das aus cholinreichen Lebensmitteln über bakterielle Prozesse gebildet wird, steht im Zentrum. Bereits frühere Studien hatten TMAO mit Atherosklerose in Verbindung gebracht, doch die aktuelle Arbeit legt dar, dass es nicht nur passiv korreliert, sondern kausal in Alterungsmechanismen eingreift.
Dabei sind es nicht die Bakterien selbst, die pathologisch wirken, sondern ihre Kommunikation mit den Gefäßzellen: Entzündungsbotenstoffe, oxidativer Stress und epigenetische Veränderungen bilden eine Art mikrobielles Drehbuch für frühzeitige vaskuläre Degeneration. Die Studie stellt darüber hinaus heraus, dass es individuell starke Unterschiede in der Metabolitenproduktion gibt. Ernährung, Antibiotikagebrauch, Alter und genetische Polymorphismen beeinflussen die Zusammensetzung des Mikrobioms erheblich. Das bedeutet: Die biologische Alterung unserer Gefäße ist nicht allein ein passiver Prozess, sondern Ausdruck einer dynamischen Wechselwirkung zwischen mikrobieller Prägung und kardiovaskulärem Zustand.
In diesem Kontext ist die Rolle der Apotheken neu zu definieren. Wer bisher primär auf Bluthochdruck, Cholesterin oder Antikoagulanzien fokussierte, muss nun verstärkt mikrobiombezogene Risikofaktoren in die patientenindividuelle Beratung einbeziehen. Die Gabe von Probiotika oder die Empfehlung zur Aufnahme ballaststoffreicher Nahrung sind dabei keine Lifestyle-Ratschläge mehr, sondern therapeutisch begründete Interventionspunkte. Gleichzeitig wirft die Studie ein Schlaglicht auf regulatorische und gesundheitsökonomische Konsequenzen: Wenn Mikrobiomanalysen künftig zum Standard der Primärdiagnostik werden, stellt sich die Frage nach Kostentragung, Standardisierung und Qualitätskontrolle. Der bislang wenig regulierte Markt für Mikrobiomtests, der zwischen Lifestyle-Angebot und Diagnostik pendelt, bedarf einer klaren Abgrenzung.
Auch die Kommunikation über diese neuen Erkenntnisse ist kein Selbstläufer. In Beratungsgesprächen muss das pharmazeutische Personal nicht nur informieren, sondern gleichzeitig Erwartungshaltungen steuern. Wenn Patienten davon ausgehen, dass Bakterien eliminierbare Schädlinge sind, die durch Desinfektion oder Antibiotika zu kontrollieren seien, verfehlt die Aufklärung ihr Ziel. Stattdessen muss das Mikrobiom als Mitspieler im Körpergeschehen verstanden werden, dessen Balance über Krankheitsverlauf und Therapieeffektivität mitentscheidet. Die Studie liefert damit nicht nur biomedizinische Evidenz, sondern auch eine kommunikative Herausforderung, die von evidenzbasierter Beratung getragen sein muss. In einer Zeit, in der kardiovaskuläre Erkrankungen immer früher diagnostiziert und behandelt werden, bietet die Perspektive auf das Mikrobiom eine Möglichkeit, neue therapeutische Fenster zu öffnen – nicht pharmakologisch, sondern systemisch. Gerade darin liegt ihr Potenzial für die Zukunft der Herzmedizin und für die erweiterte Gesundheitsberatung in Apotheken.
Träume hinterlassen Spuren, Erinnerungen weichen mit dem Alter, Umweltbedingungen prägen das Bewusstsein
Wie Schlafphasen und persönliche Einstellungen die Traumerinnerung beeinflussen, warum das Gedächtnis im Alter versagt und welche Rolle Licht und Jahreszeiten spielen
Tausende Apotheken in Deutschland stehen vor einer unsichtbaren, aber folgenschweren Frist: Bis zum Ende des Jahres 2025 müssen sie ihre Sicherheitsinfrastruktur auf digitaler Ebene erneuern – konkret geht es um den Austausch von SMC-B-Karten und elektronischen Heilberufsausweisen. Der Hintergrund dieser technischen Umstellung ist eine kryptografische Revolution, die im Gesundheitswesen fast unbemerkt voranschreitet. Die bisherigen Karten beruhen auf einem älteren Verschlüsselungsverfahren, das in wenigen Jahren auslaufen wird. Was zunächst wie eine rein technische Notwendigkeit klingt, hat weitreichende Konsequenzen für die tägliche Arbeit in den Apotheken, für deren IT-Betreiber, die Gematik, aber auch für die Krankenkassen und letztlich für Millionen gesetzlich Versicherte.
Die Gematik hat den Tausch auf sogenannte elliptische Kurvenkryptografie (ECC) verpflichtend gemacht. Diese bietet ein höheres Maß an Sicherheit bei gleichzeitig geringerer Rechenlast – ein Fortschritt, der angesichts steigender Angriffe auf medizinische Infrastrukturen und wachsender Anforderungen an Datenschutz und Ausfallsicherheit dringend geboten scheint. Doch die Umsetzung gestaltet sich komplex. Apotheken benötigen neue Kartenterminals, Software-Updates, teilweise sogar Hardwareanpassungen. Hinzu kommen Unsicherheiten bei Lieferzeiten, begrenzte Personalkapazitäten bei IT-Dienstleistern und unklare Erstattungsregelungen durch die Kostenträger. Wer nicht rechtzeitig umstellt, riskiert die digitale Handlungsfähigkeit seiner Apotheke – vom Einlösen elektronischer Rezepte über das Medikationsmanagement bis hin zur Abrechnung.
Parallel zur technischen Umstellung entfaltet sich eine juristisch-politische Debatte über die Zumutbarkeit, die Fristen und die Finanzierung der neuen Karten. Die Apothekerschaft fordert in mehreren Bundesländern eine Verlängerung der Frist und eine vollständige Kostenübernahme – bislang ohne Erfolg. Die Argumentation: Die Karten seien nicht freiwillig gewählt, sondern gesetzlich vorgeschrieben. Somit müsse auch der Gesetzgeber für die Umstellungskosten aufkommen. Die Politik verweist jedoch auf die Pflicht zur IT-Sicherheit im Gesundheitswesen – ein Grundprinzip, das nicht unter Finanzierungsvorbehalt gestellt werden dürfe. Diese unaufgelöste Kontroverse droht nun die Umstellung zusätzlich zu verzögern.
Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie viele Apotheken in der Praxis überhaupt betroffen sind. Schätzungen zufolge benötigen über 18.000 Betriebsstätten neue SMC-B-Karten. Hinzu kommen rund 50.000 individuelle Heilberufsausweise für die in Apotheken tätigen approbierten Pharmazeutinnen und Pharmazeuten. Die Kassenärztlichen Vereinigungen haben mit eigenen Umstellungsprogrammen begonnen, doch Apotheken stehen bislang ohne vergleichbare Unterstützungsstruktur da. Dies wirft ein Licht auf die ungleiche Digitalisierung im Gesundheitswesen – eine strukturelle Asymmetrie, die sich auch in anderen Bereichen wie dem E-Rezept, der ePA oder dem TI-Messenger zeigt.
Die Versenderbranche wiederum sieht in der Umstellung eine Chance zur weiteren Automatisierung und Zentralisierung. Große Versorgereinheiten können die neuen Karten frühzeitig und gebündelt beantragen, ihre Infrastruktur anpassen und so Skaleneffekte nutzen. Vor-Ort-Apotheken hingegen kämpfen oft mit Einzelfalllösungen, finanziellen Engpässen und personellen Überlastungen. Die Gefahr besteht, dass diese digitale Sollbruchstelle eine ohnehin fragile Versorgungsstruktur weiter destabilisiert. Ausgerechnet jene Apotheken, die im Notdienst, in der Rezeptur und in der wohnortnahen Betreuung unersetzlich sind, werden durch technische Auflagen an den Rand gedrängt.
Die rechtliche Dimension dieser Entwicklung reicht weiter als gedacht. Da die Karten für den Zugriff auf die Telematik-Infrastruktur (TI) zwingend erforderlich sind, stellt ein Versäumnis beim Austausch de facto einen Haftungsgrund dar. Ohne gültige Karte kann weder ein E-Rezept beliefert noch eine pharmazeutische Dienstleistung korrekt dokumentiert werden. Versicherungen könnten im Schadensfall Zahlungen verweigern, wenn der technische Standard nicht eingehalten wurde. Auch für die Berufsaufsicht ergeben sich neue Prüfmaßstäbe. Wer ohne gültige Karte arbeitet, könnte formal gegen Berufspflichten verstoßen.
Angesichts dieser Gemengelage stellt sich die grundsätzliche Frage, wie zukunftsfähig die derzeitige Kartentechnologie überhaupt noch ist. Während international längst auf cloudbasierte Identitätslösungen und mobile Zwei-Faktor-Authentifizierung gesetzt wird, hält Deutschland an einem physischen Kartenmodell fest. Die Diskussion um den Umtausch der Heilberufsausweise könnte also nur ein Symptom einer viel tiefer liegenden Strukturfrage sein: Wie wollen wir digitale Sicherheit im Gesundheitswesen künftig organisieren – zentral oder dezentral, hardwarebasiert oder flexibel, sicher oder zugänglich?
Ein weiterer Aspekt ist der zeitliche Druck. Die Kartenanbieter warnen bereits vor Engpässen, sollten sich die Bestellungen in den letzten Monaten des Jahres 2025 ballen. Gleichzeitig werden neue Gesetze und Funktionalitäten in der TI eingeführt, etwa die Einbindung digitaler Medikationspläne oder das Notfalldatenmanagement. Die Apotheken stehen also unter doppeltem Druck: Sie müssen nicht nur das bestehende System stabil halten, sondern gleichzeitig mit einer sich wandelnden TI Schritt halten – technisch, organisatorisch und rechtlich.
Inmitten dieser Umbruchsituation rückt die Rolle der Standesvertretungen in den Fokus. Während Ärztekammern, Kassenärztliche Vereinigungen und Zahnärzteverbände proaktiv informieren und koordinieren, wirken viele Apothekerkammern und -verbände zurückhaltend. Die ABDA hat zwar Hinweise zur Umstellung veröffentlicht, doch ein flächendeckendes Unterstützungsprogramm fehlt bislang. Dies nährt die Kritik, dass die Apothekenschaft in zentralen Digitalisierungsfragen zu wenig abgestimmt, zu zögerlich und zu stark auf politische Rückendeckung fixiert agiert.
Ein Kommentar dazu lässt sich kaum zurückhalten: Der verpflichtende Kartentausch zeigt in aller Härte, wie sehr die Apotheke heute als technische Infrastrukturakteurin gefordert ist – ohne dafür die notwendigen Ressourcen oder Entscheidungsfreiheiten zu besitzen. Wenn es nicht gelingt, diesen Wechsel rechtzeitig und flächendeckend zu organisieren, droht nicht nur eine IT-Krise auf Apothekenebene, sondern ein Strukturbruch im gesamten Versorgungsnetz. Es geht um digitale Souveränität, rechtliche Sicherheit und ökonomische Zukunftsfähigkeit – also um weit mehr als nur um eine neue Plastikkarte.
Symbolik bestimmt Macht, Mitleid bestimmt Nutzen, Kunst bestimmt Wahrnehmung
Wie Tierbilder Herrschaftsverhältnisse festigen, ethische Ambivalenzen zeigen und emotionale Zuschreibungen durchbrechen
Tiere sprechen nicht, aber sie werden verstanden, interpretiert, gedeutet und – in Szene gesetzt. Die visuelle Darstellung des Tieres durch den Menschen reicht bis in prähistorische Zeiten zurück, überlebt religiöse Umdeutungen, ideologische Codierungen und popkulturelle Klischees, ohne ihre Wirkung zu verlieren. Die Ausstellung »Das Tier und wir« in Flensburg zieht daraus eine konzeptuelle Linie: Die Repräsentation des Tieres ist immer auch ein Spiegel der gesellschaftlichen Machtverhältnisse, der moralischen Kompromisse und der psychischen Projektionsbedürfnisse.
Ein friedlicher Lammkopf in einer sakralen Szene, ein triumphierender Jagdhund im Adelsgemälde, ein explodierendes Kaninchen auf Acryl. Was als Tierbild erscheint, ist nie unschuldig. Es transportiert das Selbstbild einer Epoche, befragt implizit die Rolle des Menschen als Ordnungsinstanz, als Göttin, als Herr oder Versorger, als Qualtäter oder Verdränger. Die Ausstellung zwingt zur Selbstbefragung: Warum erscheinen Tiere auf Bildern würdig, niedlich, nutzbar oder ekelerregend? Was entscheidet darüber, ob ein Tier als zu schützen oder zu vernichten gilt?
Die Szenografie konfrontiert historische Ikonografie mit gegenwärtiger Konzeptkunst. Ein überzüchteter Schoßhund im goldenen Rahmen steht einem digitalen Loop gegenüber, in dem ein Tier in industrieller Tötungssequenz in Endlosschleife zersetzt wird. Kunst wird hier nicht als emotionales Dekor verwendet, sondern als analytisches Werkzeug. Die gesellschaftliche Einteilung von Tierarten in Nutztiere, Versuchstiere, Streicheltiere und Schädlinge wird sichtbar als willkürliche, kulturell geformte Struktur, die ethisch nicht stabil ist. Ein Kaninchen wird geliebt, ein Kaninchen wird zermust. Der Unterschied liegt nicht im Tier, sondern im Blick.
Dabei ist die Ausstellung kein moralisches Manifest, sondern ein Prisma: Sie zeigt, wie sehr sich die symbolische Tiernutzung mit gesellschaftlichem Wandel verschiebt. Die Taube ist in der Bibel ein Zeichen des Friedens, in der Stadt ein hygienisches Problem. Der Wolf war einst eine Bedrohung, dann ein Mythos, jetzt ein Politikum. Das Lamm war Erlöser, Grillgut, Kinderspielzeug und Instagram-Motiv. Jeder Bildausschnitt bezeugt eine historische Phase der Zuschreibung, jede Kunstform bringt ein neues Inventar der Öffentlichkeit hervor.
Zugleich wird auch deutlich, wie stark der ästhetische Appell an das Mitleid die Hierarchie der Tierwahrnehmung prägt. Niedlichkeit erzeugt Schutzinstinkte, Fremdheit löst Abwehr aus. Der moralische Unterschied zwischen Tierliebe und Fleischverzehr wird nicht ethisch begründet, sondern ästhetisch gesteuert. Wer ein Tier als schön empfindet, isst es seltener. Das ist kein Zufall, sondern ein kulturgeschichtlicher Mechanismus, den die Ausstellung mit feiner, aber beißender Ironie zerlegt.
Besonders stark gelingt das in jenen Arbeiten, die die Trennung zwischen Haustier und Nutztier aufheben, ohne plakativ zu werden. Ein Werk zeigt ein Kind, das eine Katze streichelt, während im Hintergrund ein Kälbertransporter vorbeifährt. Ein anderes Überblendet Dackelporträts mit Schlachtplanzeichnungen. Die Kunstwerke argumentieren nicht, sie fragen. Und sie fragen vor allem nach dem menschlichen Blick: Warum diese Katze, warum jenes Kalb, warum dieses Tier im Bild und jenes im Regal?
Diese bildkulturelle Reflexion erreicht ihren Höhepunkt in einer Arbeit, die ein Tierporträt in Echtzeit an das mimische Feedback der Betrachtenden koppelt: Lächelt das Publikum, verändert sich das Bild zum Positiven, wendet man sich ab, verliert es Farbe und Form. Die Bildhoheit verschiebt sich damit vollends: Nicht mehr das Tier steht im Zentrum, sondern der Mechanismus der Rezeption. Der Mensch sieht sich selbst beim Zuschreiben zu. Was hier zu Tage tritt, ist nicht nur Tierbildkritik, sondern Anthropologie der Gegenwart.
Die Ausstellung endet nicht mit einer Lösung, sondern mit einem Bruch. Sie lässt die Besucher in einem Raum zurück, in dem keinerlei Tiere zu sehen sind, nur deren Spuren: Haare, Federn, Schatten, ein leerer Fressnapf. Es ist ein Raum des Nachhalls, in dem sich die Bilder aus den vorherigen Räumen verdichten, verformen, verweigern. Was bleibt, ist die unbequeme Erkenntnis, dass jede Darstellung eines Tieres immer auch eine Selbstvergewisserung des Menschen ist. Und dass diese Vergewisserung nicht unschuldig ist, sondern voller Risse, Projektionen und Vermeidungen. Wer »Das Tier und wir« verlässt, hat keine Antworten bekommen, aber die richtigen Fragen gesehen.
Von Engin Günder, Fachjournalist
Sie haben einen Beruf gewählt, der weit mehr als reine Erwerbstätigkeit ist. Sie verfolgen im Dienste der Bevölkerung hohe ethische Ziele mit Energie, fachlicher Kompetenz und einem hohen Maß an Verantwortung. Um sich voll auf Ihre Aufgabe konzentrieren zu können, erwarten Sie die optimale Absicherung für die Risiken Ihrer Berufsgruppe.
Sie suchen nach Möglichkeiten, Ihre hohen Investitionen zu schützen und streben für sich und Ihre Angehörigen nach einem angemessenen Lebensstandard, auch für die Zukunft.
Unter der kostenfreien Telefonnummer 0800. 919 0000 oder Sie faxen uns unter 0800. 919 6666, besonders dann, wenn Sie weitere Informationen zu alternativen Versicherern wünschen.
Mit der ApoRisk® FirmenGruppe steht Ihnen ein Partner zur Seite, der bereits viele Apothekerinnen und Apotheker in Deutschland zu seinen Kunden zählen darf. Vergleichen Sie unser Angebot und Sie werden sehen, es lohnt sich, Ihr Vertrauen dem Versicherungsspezialisten für Ihren Berufsstand zu schenken.