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APOTHEKE | Medienspiegel & Presse |
Zwischen wirtschaftlicher Substanznot, juristischer Regulierung, digitaler Fragilität und politischer Erwartungslast gerät das Apothekensystem an einen Kipppunkt, an dem sich Versorgungsstabilität nicht mehr aus Packungszahlen oder Scheinumsätzen ableiten lässt, sondern allein aus dem Rohertrag, der als betriebswirtschaftlicher Kernfaktor über Personalbindung, Standorthaltbarkeit und Innovationskraft entscheidet, während gleichzeitig fragwürdige Geschäftsmodelle – etwa bei Online-Rezeptvergabe für Abnehmspritzen – durch Gerichtsurteile wie das des LG München I eingehegt werden müssen, um den Patientenschutz nicht vollends zu unterlaufen, und reale Systemausfälle – wie beim E-Rezept – die Verwundbarkeit digitaler Versorgungsinfrastrukturen offenlegen, ohne dass Haftung, Rückfallebene oder Absicherung klar definiert wären; hinzu kommen strukturelle Ungleichgewichte zwischen städtischen und ländlichen Apotheken, die wirtschaftlich unterschiedlich kalkulieren müssen, sowie die Forderung nach politischer Führungsverantwortung in einem Herbst, der vom Personalengpass bis zur Bürokratielast eine strategische Neuausrichtung verlangt – flankiert von sozialpolitischen Impulsen wie dem Vorstoß zur Anhebung der GKV-Beitragsbemessungsgrenze durch SPD-Gesundheitsexperte Pantazis, von juristisch kontroversen Eingriffen in die Mobilitätsfreiheit alkoholisierter Verkehrsteilnehmer durch Fahrradverbote nach OVG-Urteil, und von der veränderten Rechtsprechung zur Haftung bei Spurwechseln auf Autobahnen, bei der das OLG Frankfurt die klassische Schuldvermutung infrage stellt – mit unmittelbaren Folgen für Versicherungen, Apotheken als Halter oder Geschädigte und die rechtliche Bewertung alltäglicher Risikoereignisse im Betriebsumfeld.
Systematisch absichern, gezielt reagieren, Vertrauen stärken
Wie Apotheken mit moderner Cyberabwehr Ransomware trotzen, Resilienz aufbauen und Sicherheit strategisch organisieren
Cyberangriffe auf Apotheken sind längst keine Einzelfälle mehr, sondern Ausdruck einer strategischen Zielwahl krimineller Gruppen, die dort angreifen, wo Gesundheitsdaten, Betriebsabläufe und digitale Infrastruktur maximal verwundbar zusammenlaufen. Mit dem Vormarsch von Ransomware, die ganze Betriebe in Minuten lahmlegt, rückt die Notwendigkeit einer strukturierten Cyberabwehr in den Mittelpunkt pharmazeutischer Sicherheitskultur. Die digitale Selbstverteidigung wird zur betriebswirtschaftlichen Überlebensfrage.
Der erste und kompromisslose Grundsatz: kein Lösegeld. Apotheken, die Erpressungen nachgeben, begeben sich in eine gefährliche Abhängigkeit – moralisch, finanziell und operativ. Doch wer sich dieser Entscheidung stellt, muss vorbereitet sein. Cybersecurity ist keine passive Verteidigung, sondern aktives Risikomanagement auf mehreren Ebenen – von technischer Härtung über Mitarbeitersensibilisierung bis hin zur resilienten Wiederherstellungsstrategie. Genau hier beginnen die zentralen Handlungsfelder.
Technisch bedeutet das: Die Infrastruktur muss auf einem Stand sein, der Angriffsvektoren erkennt, blockiert und isoliert. Firewall-Architekturen der neuesten Generation, segmentierte Netzwerke, E-Mail-Gateways mit Anomalieerkennung und Endpoint-Protection sind nicht optional, sondern elementar. Ebenso unverzichtbar ist das regelmäßige Einspielen von Sicherheitsupdates und Patches – nicht nur für das Betriebssystem, sondern für jede Software, die im Apothekenalltag eingesetzt wird. Die gängige Praxis, Updates aufzuschieben, um Betriebsabläufe nicht zu stören, ist längst selbst zum Risiko geworden.
Gleichzeitig muss die menschliche Firewall gestärkt werden. Apothekenpersonal, das Phishing-Mails erkennt, ungewöhnliche Login-Versuche meldet und sich sicher in der digitalen Umgebung bewegt, ist eine der wirksamsten Verteidigungslinien überhaupt. Schulungen sind nicht nur Pflicht, sondern müssen regelmäßig und praxisnah durchgeführt werden – mit Testszenarien, Drill-Situationen und Feedbackschleifen. Entscheidend ist, dass auch Aushilfen, neue Mitarbeitende und nicht-IT-affine Kräfte erreicht werden. Cyberabwehr ist nur dann robust, wenn sie kollektiv getragen wird.
Mindestens ebenso wichtig wie Prävention ist die Fähigkeit zur schnellen Erholung. Wer kein Lösegeld zahlt, muss aus eigenen Mitteln wieder handlungsfähig werden. Das gelingt nur mit einem dreifach gesicherten, redundanten Backup-System, das sowohl offline als auch verschlüsselt extern lagert. Cloud-Lösungen mit End-to-End-Verschlüsselung bieten zusätzliche Sicherheit, müssen aber konsequent datenschutzkonform betrieben werden. Notfallpläne, die klar definieren, wer was wann im Angriffsfall tut, gehören heute zur Grundausstattung einer krisensicheren Apotheke. Diese Pläne müssen regelmäßig geübt, dokumentiert und an neue Bedrohungslagen angepasst werden.
Ein strategischer Baustein, der häufig unterschätzt wird, ist die Cyberversicherung. Wer glaubt, klassische Betriebshaftpflicht decke bereits alles ab, irrt gefährlich. Eine spezialisierte Police für Apotheken sollte nicht nur die Kosten der Wiederherstellung übernehmen, sondern auch externe Forensik, Rechtsberatung, Kundenkommunikation und gegebenenfalls PR-Maßnahmen beinhalten. Ebenso wichtig ist die rechtliche Komponente: Bei DSGVO-relevanten Datenlecks drohen hohe Bußgelder – auch hier kann eine kluge Versicherungslösung haften, wo sonst existenzielle Kosten entstehen.
Die Realität ist: Ransomware-Angriffe werden nicht verschwinden. Doch Apotheken haben die Möglichkeit, ihre digitale Abwehr so zu organisieren, dass aus einem potenziellen Totalschaden lediglich eine gut gemeisterte Ausnahmesituation wird. Es geht um nicht weniger als das Vertrauen der Patienten – und um das Überleben in einem zunehmend digitalisierten Gesundheitssystem. Wer heute nicht investiert, riskiert morgen die Existenz. Wer heute vorbereitet ist, kann morgen mit Sicherheit führen.
Rohertrag sichert Struktur, Standort prägt Grenze, Versorgung verlangt Mindestmaß
Wie Apotheken wirtschaftlich überleben, warum städtische und ländliche Betriebe unterschiedlich kalkulieren müssen und welches Rohertragsniveau unverzichtbar ist
Die wirtschaftliche Tragfähigkeit einer Apotheke bemisst sich nicht an Umsätzen oder Packungszahlen, sondern maßgeblich am Rohertrag – jener Differenz zwischen Warenverkauf und Einkaufspreis, aus der alle Betriebskosten gedeckt werden müssen. Er ist nicht nur eine betriebswirtschaftliche Messgröße, sondern der zentrale Hebel für Personalführung, Investitionen und strukturelle Versorgungssicherheit. Während Umsatzsteigerungen medial für Aufmerksamkeit sorgen, entscheidet der tatsächlich verfügbare Rohertrag darüber, ob eine Apotheke überlebensfähig ist. Dieser Befund ist keine akademische Binsenweisheit, sondern hat dramatische praktische Relevanz – vor allem in Zeiten wachsender Kosten, stagnierender Honorierung und zunehmender Aufgabenlast.
Modellrechnungen legen offen: Eine durchschnittliche Einzelapotheke in Deutschland benötigt einen jährlichen Rohertrag von mindestens 450.000 Euro, um wirtschaftlich auf sicheren Füßen zu stehen. Diese Schwelle bildet den finanziellen Unterbau für Personalgehälter, Mieten, Energie, IT, Pflichtbeiträge, Rücklagen und betriebliche Investitionen. Dabei ist dieser Betrag nicht statisch, sondern unterliegt inflationsbedingten Anpassungen und standortspezifischen Gegebenheiten. Während sich in den vergangenen Jahren viele Fixkosten um mehr als 20 Prozent verteuert haben, ist die Apothekenvergütung nahezu eingefroren – ein Missverhältnis, das den nötigen Rohertrag faktisch weiter anhebt.
Je nach Standort verschieben sich die Grenzwerte erheblich. In städtischen Lagen mit hoher Kundenfrequenz, aber auch überdurchschnittlich hohen Mieten, Personalkosten und Wettbewerbsdruck, ist ein tragfähiger Betrieb kaum unterhalb von 550.000 bis 600.000 Euro Rohertrag denkbar. Hier greifen zusätzliche Aufwendungen für moderne Infrastruktur, Lagerkapazitäten und Digitalisierungsmaßnahmen. Mittelgroße Städte mit solider Frequenz, aber geringeren Mietbelastungen, bewegen sich mit 480.000 bis 520.000 Euro in einem mittleren Korridor. Ländliche Apotheken, die häufig geringere Fixkosten haben, aber unter einem eingeschränkten Patientenzugang leiden, benötigen je nach Struktur zwischen 350.000 und 400.000 Euro – vorausgesetzt, es bestehen keine zusätzlichen Belastungen durch Mehrfachstandorte, Heimversorgung oder hohe Notdienstfrequenz.
Unterschreitet eine Apotheke dauerhaft die kritische Schwelle von etwa 320.000 Euro Jahresrohertrag, gilt sie betriebswirtschaftlich als gefährdet. In dieser Situation reichen die Einnahmen nicht mehr aus, um den Betrieb tragfähig aufrechtzuerhalten. Investitionen unterbleiben, das Personal wird ausgedünnt, Fortbildungen gekürzt, Modernisierungen vertagt. Der Betrieb gerät in eine Substanzverzehrspirale, die letztlich zur Geschäftsaufgabe führen kann. Diese Schwelle trifft besonders Apotheken in schrumpfenden Regionen, in denen die Infrastruktur bröckelt, junge Ärztinnen und Ärzte fehlen und die Versorgungslast zunehmend ungleich verteilt ist.
Zentral bleibt die Bindung qualifizierten Personals. Eine Apotheke, die ihr Team erhalten oder ausbauen will, muss laut Modellberechnung rund 250.000 bis 300.000 Euro Rohertrag pro zehn Vollzeitkräfte einplanen, um Gehälter, Sozialbeiträge, Fortbildungsbudgets und Ausfallrisiken abzudecken. Insbesondere neue Aufgabenfelder wie pharmazeutische Dienstleistungen, Impfangebote oder Medikationsanalysen erhöhen diesen Bedarf. Wer solche Leistungen dauerhaft anbieten will, muss bereits ab einem Rohertrag von mindestens 650.000 Euro kalkulieren. Hierbei sind Sonderleistungen wie Pflegeheimversorgung, Medikationsmanagement oder Rezepturarbeit noch nicht eingepreist.
Hinzu tritt der strukturelle Druck durch die veränderte Marktdynamik. E-Rezepte, digitale Plattformen, Rezeptumleitungen und sinkende Frequenzen treffen kleine Apotheken ungleich härter. Die Rohertragsmarge schrumpft, während gleichzeitig neue Anforderungen wie IT-Sicherheit, Datenschutz, Lieferfähigkeit und Notdienstorganisation immer höhere Fixkosten erzeugen. Der Rohertrag ist deshalb keine stille Reserve, sondern betriebswirtschaftliche Notwendigkeit. Unterhalb des erforderlichen Minimums ist keine stabile Zukunftsplanung mehr möglich.
Rohertrag ist damit auch ein Gradmesser gesundheitspolitischer Realität. Wo er ausbleibt, fehlt Spielraum für Investitionen, Personalentwicklung und Innovation. Er ist Voraussetzung für Substanzsicherung, Rücklagenbildung und Krisenresistenz. Ohne ausreichenden Rohertrag bricht die betriebliche Tragfähigkeit – und damit auch das Versorgungsversprechen der öffentlichen Apotheke. Dies betrifft nicht nur unternehmerische Freiheit, sondern die Grundstruktur der wohnortnahen Arzneimittelversorgung.
Vor allem für die Politik ergibt sich daraus eine Handlungsverpflichtung. Wer Apotheken als Versorgungsanker erhalten will, muss wirtschaftliche Mindestschwellen anerkennen, Standortunterschiede berücksichtigen und die reale Betriebslage zur Grundlage von Förder- und Honorarentscheidungen machen. Versorgungssicherheit beginnt beim betriebswirtschaftlichen Fundament – und das ist ohne ausreichend Rohertrag nicht gegeben. Die öffentliche Apotheke ist kein Dienstleister ohne Preis, sondern eine Institution mit betrieblicher Realität. Deren Mindestgröße lässt sich berechnen. Ihre Unterschreitung kostet nicht nur Marge, sondern Versorgung.
Unzulässige Rezeptvergabe, irreführende Werbung, rechtlicher Dämpfer
Wie das LG München I Online-Rezepte für Abnehmspritzen einschränkt, den Patientenschutz stärkt und digitale Geschäftsmodelle neu bewerten lässt
Ein Urteil mit Signalwirkung erschüttert den digitalen Gesundheitsmarkt: Das Landgericht München I hat am 3. März 2025 entschieden, dass eine Versandapotheke keine Werbung für sogenannte „Abnehmspritzen“ schalten darf, wenn die zugrundeliegenden Verschreibungen lediglich durch eine Online-Befragung ohne realen Patientenkontakt zustande gekommen sind. Damit setzt das Gericht klare Grenzen für telemedizinisch unterstützte Geschäftsmodelle, die verschreibungspflichtige Arzneimittel bewerben und gleichzeitig rein digitale Rezeptprozesse nutzen – insbesondere bei Präparaten zur Gewichtsreduktion, die in den vergangenen Monaten eine mediale und wirtschaftliche Sonderstellung eingenommen haben.
Das Urteil (Az. 4 HK O 15458/24) greift tief in ein Geflecht aus Werbung, ärztlicher Verantwortung und Arzneimittelsicherheit ein. Geklagt hatte eine Wettbewerbszentrale, die in der Bewerbung der semaglutidbasierten „Abnehmspritzen“ durch eine große Versandapotheke einen Verstoß gegen das Heilmittelwerbegesetz (HWG) sah. Die Richter folgten dieser Einschätzung mit Nachdruck: Öffentliche Werbemaßnahmen für verschreibungspflichtige Arzneimittel mit Gewichtsreduktionsversprechen seien nicht nur wegen des Werbeverbots unzulässig – sie seien auch deswegen problematisch, weil die zugrunde liegenden digitalen Verordnungen auf einem ungenügenden ärztlichen Prüfprozess basierten.
Das LG München I stellt damit explizit fest: Eine ärztliche Online-Befragung ohne physischen oder synchronen Kontakt erfüllt nicht die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Verschreibung im Sinne des § 13 Abs. 1 S. 2 Apothekengesetzes in Verbindung mit § 7 Abs. 2 Heilmittelwerbegesetz. Die Verwendung pauschaler Fragebögen reiche für eine verantwortungsvolle Arzneimittelverordnung nicht aus – insbesondere dann nicht, wenn es sich um potenziell risiko- und nebenwirkungsreiche Medikamente mit hoher Nachfrage handele. Die zugrunde liegende Konstellation sei nicht nur werberechtlich fragwürdig, sondern berühre auch die patientenbezogene Fürsorgepflicht und könne zu einem strukturellen Missbrauch der Rezeptpflicht führen.
Hintergrund des Urteils ist die Popularität von GLP-1-Rezeptoragonisten wie Semaglutid oder Tirzepatid, die ursprünglich für die Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 entwickelt wurden, inzwischen aber millionenfach off-label als Gewichtsreduktionsmittel verschrieben werden. Die zunehmende Kommerzialisierung dieser Präparate, vor allem über Online-Plattformen, hatte in der Vergangenheit zu Lieferengpässen, Fälschungsskandalen und Unsicherheiten in Apotheken geführt. Das aktuelle Urteil adressiert diesen Wildwuchs auf regulatorischer Ebene – und nimmt zugleich die ärztliche Sorgfaltspflicht ins Visier.
Besonders brisant: Das Gericht erkennt an, dass digitale Gesundheitsdienstleistungen prinzipiell sinnvoll sein können – aber nur dann, wenn sie in ein regelkonformes ärztliches Behandlungskonzept eingebettet sind. Die untersuchte Praxis, in der per Multiple-Choice-Fragebogen Symptome abgefragt, pauschale Risikohinweise eingeblendet und das Rezept innerhalb weniger Minuten ausgestellt wurde, widerspreche diesen Standards eklatant. Die Werbung auf Basis dieser Rezeptprozesse verstoße somit gegen das HWG – und zwar unabhängig davon, ob die angebotene Behandlung tatsächlich medizinisch indiziert wäre.
Für Apothekerinnen und Apotheker bedeutet dieses Urteil mehr Rechtssicherheit – aber auch eine neue Verantwortung: Rezepturen, die auf fragwürdigen digitalen Befragungen beruhen, müssen künftig besonders sorgfältig geprüft werden. Gleichzeitig wirft das Urteil grundsätzliche Fragen für Plattformanbieter und Telemedizin-Anbieter auf, die auf hochautomatisierte ärztliche Prozesse setzen. Die Grenze zwischen digitaler Effizienz und ärztlicher Verantwortung ist enger gezogen worden – mit direkten Auswirkungen auf Marketingstrategien, Rezeptvalidität und Haftungsfragen.
Das Urteil reiht sich ein in eine Serie juristischer und regulatorischer Schritte, mit denen die Überkommerzialisierung rezeptpflichtiger Arzneimittel über digitale Kanäle eingedämmt werden soll. Es verweist auf eine Grundsatzfrage: Wie weit darf Telemedizin gehen, wenn sie an die Substanz der persönlichen Arzt-Patient-Beziehung rührt – und wie lässt sich die Integrität der Verschreibungspflicht im digitalen Zeitalter verteidigen, ohne technologische Innovation zu ersticken?
Führerschein weg, Fahrradverbot bleibt, Grundrechtsfragen offen
Warum das OVG Saarlouis Trunkenheitsradlern die Teilnahme am Straßenverkehr untersagen darf, andere Gerichte aber zweifeln – und was die Revision entscheiden muss
Wer wiederholt betrunken am Straßenverkehr teilnimmt, verliert nicht nur die Fahrerlaubnis – sondern riskiert unter Umständen auch, dass ihm das Fahrradfahren und E-Scooter-Fahren verboten wird. Dies hat das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes mit Urteil vom 23. Mai 2025 entschieden (Az. 1 A 176/23). Der Fall betrifft einen Mann, der bereits mehrfach alkoholisiert am Straßenverkehr teilgenommen hatte, zuletzt mit einem Mofa. Bei einem Unfall im Jahr 2019 war er mit 1,83 Promille gestürzt – seither wird ihm jegliches Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge untersagt. Der Betroffene wehrte sich gerichtlich, unterlag aber nun in zweiter Instanz.
Im Kern steht damit eine umstrittene Auslegung des § 3 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV). Diese Regelung erlaubt es Behörden, die Fahreignung einer Person generell zu prüfen und Maßnahmen zu ergreifen – auch jenseits klassischer Kfz-Fahrten. Weil der Mann sich einer medizinisch-psychologischen Untersuchung verweigerte, folgerte die Fahrerlaubnisbehörde, dass er zum Führen auch fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge ungeeignet sei. Die Folge: Ein pauschales Verkehrsverbot auch für das Fahrrad.
Die Richter in Saarlouis bestätigten diese Maßnahme nun als verhältnismäßig. Zwar greife die Untersagung tief in die grundrechtlich geschützte Mobilität ein – sie sei jedoch in diesem Fall angesichts der konkreten Vorgeschichte gerechtfertigt. Die Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer sei zu hoch, wenn eine Person mit einem derart auffälligen Vorgängerverhalten ohne Kontrolle weiterhin am Straßenverkehr teilnehmen dürfe – gleichgültig, ob mit Mofa, E-Bike oder Roller. Maßgeblich sei nicht allein die Masse oder Höchstgeschwindigkeit des Fahrzeugs, sondern die Gesamtprognose zur Fahreignung.
Rechtlich besonders brisant ist der Fall, weil andere Gerichte eine gegenteilige Bewertung vornehmen. So entschied das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz am 20. März 2024 (Az. 10 A 10971/23), dass § 3 FeV keine tragfähige Grundlage für ein Fahrradverbot sei. In jenem Fall ging es um eine Frau, die mehrfach unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln mit dem Fahrrad gefahren war. Das Gericht hielt das Gesetz für zu unbestimmt und damit verfassungsrechtlich bedenklich. Das Bestimmtheitsgebot verlange, dass eine Norm so klar sei, dass der Bürger sein Verhalten danach ausrichten könne – das sei hier nicht gegeben. Auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz werde verletzt, wenn jemand ohne richterliche Prüfung aus dem öffentlichen Verkehrsraum verbannt werde.
Demgegenüber argumentiert das OVG Saarlouis nun, dass gerade die Verweigerung der MPU durch den Kläger einen behördlichen Rückschluss auf die fehlende Eignung erlaube. § 11 Abs. 8 FeV greife in solchen Fällen ergänzend: Die Behörde dürfe bei ausbleibender Mitwirkung von einer Nichteignung ausgehen. In der juristischen Begründung klingt eine klare Priorisierung der Verkehrssicherheit an – der Schutz Dritter überwiege die individuelle Mobilitätsfreiheit, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine erhebliche Gefährdung vorliegen.
Das Urteil verschärft damit die Maßstäbe, unter denen Behörden handeln dürfen – und könnte Vorbild für künftige Verkehrsmaßnahmen gegen sogenannte „Nicht-MPUler“ werden. Rechtssicherheit schafft das allerdings nicht. Denn die divergierende Rechtsprechung anderer OVGs – vor allem im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot – zwingt dazu, die Frage der Zulässigkeit eines Totalverbots bis zum Bundesverwaltungsgericht zu bringen.
Der betroffene Mann kann binnen eines Monats Revision einlegen. Es wäre nicht das erste Mal, dass das Bundesverwaltungsgericht über die Reichweite von § 3 FeV urteilt – doch diesmal könnte es grundlegend werden: Es geht um das Spannungsfeld zwischen Gefahrenprävention, individueller Freiheit und gesetzgeberischer Klarheit. Ob eine Norm genügt, die keine eindeutige Unterscheidung zwischen erlaubnispflichtigen und erlaubnisfreien Fahrzeugen trifft, ist eine offene Rechtsfrage mit erheblicher gesellschaftlicher Tragweite. Die Entscheidung aus Saarlouis wird zur juristischen Messlatte – und zum Testfall für das Verkehrsrecht der Zukunft.
Spurwechsel bringt Bremschaos, Anscheinsbeweis verliert Kraft, Haftung wird geteilt
Wie ein abgebrochener Fahrstreifenwechsel vor Gericht bewertet wurde, warum der Auffahrende nicht automatisch schuld ist und was das OLG zur Teilschuld sagt
Ein Autobahnabschnitt im Baustellenmodus, eine abrupt abgebrochene Richtungsänderung, ein unvermittelter Stillstand – und ein klassischer Auffahrunfall, der keiner ist. In einem aktuellen Urteil hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main die gewohnte Zuordnung von Schuld bei einem Crash nach einem Spurwechsel infrage gestellt und dabei die gängige Praxis des Anscheinsbeweises durchbrochen. Ergebnis: Nicht der Auffahrende trägt automatisch die volle Verantwortung, sondern beide beteiligten Fahrer haften in gleichem Maß. Das Urteil zeigt, dass die juristische Bewertung bei mehrschichtigen Verkehrssituationen neu justiert wird – mit weitreichenden Folgen für Versicherer, Fahrzeughalter und die rechtliche Bewertung von Auffahrunfällen auf Autobahnen mit Engstellen oder Stauverhalten.
Der Fall, der das OLG beschäftigte, spielte sich auf der A45 im Sommer 2021 ab. Ein Ford Ranger, unterwegs auf der linken Fahrspur, wollte wegen einer baustellenbedingten Fahrbahnverengung auf die mittlere Spur wechseln. Doch wie das vor ihm fahrende Fahrzeug kehrte der Fahrer in einem kurzfristigen Manöver wieder auf die linke Spur zurück – und musste unmittelbar danach bis zum Stillstand abbremsen. Der hinter ihm fahrende Wohnmobilist konnte nicht mehr reagieren, fuhr auf den Ford auf, der wiederum auf sein Vordermannfahrzeug geschoben wurde. Der Sachschaden allein am Ford: rund 60.000 Euro. Der Unfall wurde zum Fall für die Gerichte – mit juristisch hochbrisanter Ausgangslage.
Das Landgericht ging zunächst vom klassischen Fall eines Auffahrunfalls aus und legte dem Wohnmobilfahrer 80 Prozent der Schuld zur Last. Doch das OLG Frankfurt widersprach – und änderte die Haftungsverteilung auf 50 zu 50. Grund für die Korrektur: Der sogenannte Anscheinsbeweis, der bei Auffahrunfällen üblicherweise eine grobe Fahrlässigkeit des Auffahrenden nahelegt, sei in diesem Fall nicht haltbar. Der Ablauf sei nicht typisch, sondern ein atypisches Fahrverhalten mit abruptem Spurwechselabbruch, unvorhersehbarem Bremsmanöver und fehlender Kommunikation mit dem rückwärtigen Verkehr. Der Fahrer des Ford habe nicht geblinkt, keinen Sichtkontakt gehabt und laut eigener Aussage den rückwärtigen Verkehr gar nicht wahrgenommen. Dies führe zu einer erheblichen Mithaftung.
Zwar gelte weiterhin, dass Auffahrunfälle regelmäßig mit zu geringem Abstand und fehlender Aufmerksamkeit des Hintermannes zu tun hätten, doch gelte dies nicht pauschal. Laut OLG sei die Verkehrslage im vorliegenden Fall unklar gewesen, sodass eine anteilige Haftung sachgerecht erscheine. Auch der Auffahrende habe sich dem dichten Verkehr und der Baustellenstruktur entsprechend anpassen müssen – und damit eine Teilverantwortung für den entstandenen Schaden. Das Gericht argumentierte ausdrücklich, dass plötzliche Bremsmanöver und unlogische Spurwechsel auch auf Autobahnen mit dynamischem Verkehrsfluss einkalkuliert werden müssten.
Versicherungsrechtlich entfaltet das Urteil Sprengkraft. Es legt fest, dass bei ungewöhnlichen Konstellationen die klassische Beweislastverteilung zugunsten des Vorausfahrenden kippen kann – mit direkten Folgen für die Regulierung durch Haftpflicht- und Kaskoversicherer. Gerade bei Unfällen in Baustellenbereichen oder bei abgebrochenen Spurwechseln ist die pauschale Schuldzuweisung an den Auffahrenden nicht mehr haltbar, solange die Unklarheit des Verkehrsgeschehens glaubhaft gemacht werden kann. Die Entscheidung ist bislang nicht rechtskräftig. Eine Beschwerde beim Bundesgerichtshof ist möglich – und könnte zur Klärung führen, ob sich der Anscheinsbeweis bei Auffahrunfällen künftig häufiger relativieren lässt.
Mehr Beitrag von oben, mehr Stabilität von innen, mehr Gerechtigkeit im System
Warum Pantazis eine höhere Beitragsbemessungsgrenze fordert, wie Grüne und Sozialverband reagieren und was das für Gutverdiener und Krankenkassen bedeutet
Die Frage, wer wie viel in das gesetzliche Krankenversicherungssystem einzahlt, wird erneut zum Prüfstein sozialpolitischer Balance. Der SPD-Gesundheitsexperte Dr. Christos Pantazis bringt mit seinem Vorstoß zur Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze eine Diskussion in Gang, die sowohl finanzielle Realitäten der Krankenkassen als auch das Gerechtigkeitsgefühl vieler Beitragszahler betrifft. Aktuell liegt die Grenze, bis zu der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) auf Einkommen erhoben werden, bei 5.512,50 Euro brutto im Monat. Einkommen darüber bleiben beitragsfrei. Pantazis fordert nun, diese Obergrenze auf etwa 8.050 Euro anzuheben – also auf das Niveau der gesetzlichen Rentenversicherung. Die Logik: Wer mehr verdient, soll mehr beitragen, auch über die bisherige Obergrenze hinaus.
Die Finanzlage der gesetzlichen Krankenkassen ist angespannt, viele Experten sehen akuten Reformbedarf. Doch während strukturelle Maßnahmen oft Jahre in der Umsetzung brauchen, könnte eine schlichte Anpassung der Beitragsbemessungsgrenze sofort Wirkung zeigen. „Ohne die Versicherten über Gebühr zu belasten“, wie Pantazis betont, solle ein solches Instrument gezielt die Einnahmeseite der Kassen stärken – ohne zusätzliche Beitragssätze oder Sonderabgaben.
Unterstützung kommt von der Bundestagsfraktion der Grünen. Janosch Dahmen, gesundheitspolitischer Sprecher, plädiert ebenfalls für eine stufenweise Angleichung an das Rentenversicherungsniveau – ergänzt um strukturelle Reformschritte, etwa zur Digitalisierung, Entbürokratisierung und Leistungsmodernisierung im GKV-System. Auch der Sozialverband Deutschland (SoVD) sieht im Vorschlag einen längst überfälligen Schritt in Richtung Beitragsgerechtigkeit. Die Vorsitzende Michaela Engelmeier verweist auf die langjährige Forderung ihres Verbands, sowohl die Versicherungspflichtgrenze als auch die Beitragsbemessungsgrenze anzuheben – nicht zuletzt, um das Solidarsystem widerstandsfähiger gegenüber ökonomischen Schwankungen zu machen.
Hinter dem Vorstoß verbirgt sich nicht nur finanzpolitisches Kalkül, sondern auch ein gesellschaftspolitisches Signal. Die Finanzierungslücke der GKV wächst seit Jahren, und mit Blick auf eine alternde Bevölkerung, steigende Gesundheitsausgaben und sich verschiebende Einkommensverhältnisse gewinnt die Frage nach gerechter Lastenverteilung an Brisanz. Während Beitragszahler mit mittleren Einkommen bereits heute an der Grenze der Belastbarkeit wirtschaften, bleiben hohe Einkommen überproportional entlastet. Die Erhöhung der Bemessungsgrenze würde diese Schieflage zumindest partiell korrigieren.
Der Vorschlag zielt nicht auf eine generelle Beitragserhöhung, sondern auf eine Ausweitung der beitragspflichtigen Einkommensbasis – ein Unterschied, der politisch wie ökonomisch relevant ist. Damit wäre auch die Debatte um die sogenannte „Bürgerversicherung“ neu befeuert. Die Angleichung der Beitragssystematik an die Rentenversicherung könnte eine technische Brücke für künftige Reformen schlagen, etwa für eine einheitliche Krankenversicherung aller Erwerbstätigen. Aktuell bleiben gutverdienende Arbeitnehmer oberhalb der Versicherungspflichtgrenze von der GKV ausgeschlossen – eine Sonderstellung, die in der Bevölkerung zunehmend kritisch gesehen wird.
Die unionsgeführte Opposition reagiert bislang zurückhaltend. Sie warnt vor wachsender Belastung leistungsstarker Gruppen und verweist auf Standortnachteile für gut bezahlte Fachkräfte. Auch in Wirtschaftskreisen regt sich Skepsis: Die Signalwirkung einer höheren Beitragsbelastung sei potenziell wachstumshemmend, heißt es aus Arbeitgeberverbänden. Doch das Argument trifft nicht jeden Nerv – gerade in sozialen Berufen oder im öffentlichen Dienst, wo viele Beschäftigte an der Schwelle der Versicherungspflichtgrenze stehen, stößt der Vorstoß auf Zustimmung.
Die Debatte um Beitragshöhen ist damit nicht länger eine Frage technischer Regelung, sondern eine Grundsatzentscheidung über die Architektur des Solidarsystems. Pantazis hat mit seinem Vorstoß nicht nur eine Rechengröße ins Spiel gebracht, sondern ein Gerechtigkeitsthema geöffnet, das seit Jahren unter der Oberfläche gärte. Wie sich Regierung, Opposition und Interessensverbände nun positionieren, wird entscheidend dafür sein, ob die GKV stabilisiert oder lediglich weiterverwaltet wird.
Heißer Herbst voraus, Versorgungsdruck steigt, Führung muss vorausgehen
Sommerpause in der Apotheke bringt kaum Entlastung, doch der Herbst wartet mit strukturellem Reformstau, politischem Erwartungsdruck und steigender Führungsverantwortung
Die Sommermonate gelten traditionell als Phase der Entspannung. Doch in vielen Apotheken herrscht das Gegenteil von Entlastung. Die Personaldecke ist ausgedünnt, Krankheitswellen und Urlaubsvertretungen kollidieren mit einer ungebrochenen Nachfrage. Das führt nicht nur zu organisatorischem Druck, sondern vor allem zu einem wachsenden Spannungsfeld zwischen Erwartung und Realität – mit unmittelbaren Auswirkungen auf Führung, Verantwortung und politische Handlungsfähigkeit.
Denn parallel zur betrieblichen Sommerpause spitzt sich die politische Lage zu. Der Apothekenprotest hat zwar medial gewirkt, aber strukturelle Konsequenzen fehlen. Die Debatte um ein neues Honorarmodell steht im Raum, doch klare Signale aus dem Bundesgesundheitsministerium bleiben aus. Stattdessen wächst der Reformstau: Das ALBVVG ist in der Praxis kaum wirksam, die Arzneimittelversorgung bröckelt an vielen Stellen, und das E-Rezept hat seine Versorgungsstabilität nicht bewiesen – im Gegenteil, technische Ausfälle und Systemabbrüche häufen sich. Die daraus resultierende Dokumentationslast und ständige Rückfragen führen zu massiven Reibungsverlusten im Alltag.
Hinzu kommt, dass die politischen Entscheidungsträger den Sommer offenbar zur Neujustierung ihrer Strategien nutzen, ohne mit den Betroffenen zu sprechen. Apotheken sehen sich daher einem Herbst gegenüber, in dem neue Regelungen, Kürzungen oder Anforderungen einfach „über Nacht“ in Kraft treten könnten. Der Druck auf Verbände steigt – aber auch auf die Führungskräfte vor Ort, die diesen Systemstress abfedern müssen.
Genau hier liegt das Problem: Viele Apothekenleitungen operieren im Reaktionsmodus. Statt den Sommer zu nutzen, um strategische Klarheit zu schaffen, wird er zur Durchhalteübung. Das ist nachvollziehbar, aber riskant. Denn spätestens im September wird sich zeigen, welche Betriebe vorbereitet sind – und welche nicht.
Die strukturellen Risiken nehmen dabei weiter zu: Versicherer melden steigende Schäden durch technische Ausfälle und Rezeptfälschungen, die Inflation frisst Rücklagen, die politische Lage rund um die Bundestagswahl 2025 erzeugt Unsicherheit. Wer in dieser Lage Führung nicht nur verwaltet, sondern gestaltet, wird Vorteile haben: durch vorausschauendes Risikomanagement, durch Schulungen im Team, durch präventive Finanzplanung, durch klare Kommunikation gegenüber Patienten und Kostenträgern.
Auch die Erwartungen der Öffentlichkeit steigen. Wer pharmazeutische Dienstleistungen anbietet, muss diese auch vertreten – und erklären. Wer auf neue Kooperationsmodelle hofft, muss sie aktiv suchen. Wer sich auf den Kassensturz im Herbst vorbereiten will, muss wissen, wie lange das Team durchhält – und wann externe Hilfe nötig wird. Und wer politisch Einfluss nehmen will, muss dafür sorgen, dass seine Apotheke im eigenen Umfeld als unverzichtbar wahrgenommen wird.
All das verlangt etwas, das im Sommer selten verfügbar ist: Ruhe zur Planung. Doch genau diese Ruhe muss jetzt erzwungen werden – nicht als Rückzug, sondern als strategische Verdichtung. Die Sommerpause in der Apotheke ist keine Auszeit, sondern ein Prüfstein für Führungsstärke. Wer ihn besteht, wird im Herbst nicht überrascht, sondern vorbereitet sein.
Muster-16 funktioniert, das E-Rezept nicht, der Betrieb leidet
Wenn Digitalisierung hakt, Haftungsfragen offenbleiben und Apotheken allein gelassen werden
Die Idee war so schön wie naheliegend: Rezepte digitalisieren, Abläufe beschleunigen, Patientensicherheit verbessern. Doch wenn das System hakt – und zwar nicht nur für Minuten, sondern tagelang – zeigt sich, wie wenig robust die Infrastruktur des digitalen Gesundheitswesens bislang ist. Ein Fall aus Witzenhausen steht exemplarisch für die reale Schwäche eines Systems, das bislang zu selten in der Breite getestet wurde – und im Ernstfall keine echte Rückfallebene kennt.
Carla und Michael Schäfer betreiben die Rübezahl-Apotheke in der nordhessischen Kleinstadt mit großem persönlichen Einsatz. Ihre Erfahrungen mit dem E-Rezept waren bislang solide, wenn auch nicht störungsfrei. Doch in dieser Woche kam es zu einem Komplettausfall: An gleich drei Tagen hintereinander, jeweils über mehrere Stunden, konnte das Apothekensystem keine E-Rezepte einlösen. Patienten standen mit ihren Codes in der Offizin – und die Schäfers standen ratlos vor einer schwarzen Datenbankmaske. Softwarehaus und Gematik wurden informiert, doch Hilfe blieb aus. Eine konkrete Fehlerursache wurde nicht genannt. Die Störung sei „systemseitig nicht nachvollziehbar“ gewesen, so der dürre Kommentar.
Dass dieser Satz zur bitteren Realität werden kann, erleben aktuell viele Apotheken. Besonders prekär ist: Ohne funktionierendes E-Rezept gibt es in der Regel auch keinen Zugriff auf das Verordnungsdokument. Ein automatisierter Ersatzprozess, etwa eine Rückfallebene mit Not-PIN oder einem standardisierten Ausdruck, existiert nicht. „Wir haben dann mit dem Muster-16 gearbeitet“, berichten die Schäfers. „Das hat funktioniert. Nicht elegant, aber verlässlich.“ Dabei bleibt unklar, wie solche Notlösungen rechtlich abzusichern sind – oder ob die Krankenkassen solche Übergangslösungen in der Abrechnung überhaupt anerkennen.
Im Zentrum der Kritik steht neben der mangelnden Systemstabilität vor allem die fehlende Verantwortungsstruktur. Wer haftet, wenn digitale Versorgung nicht funktioniert? Wer trägt den ökonomischen Schaden, wenn der Betrieb stillsteht? Wer kommuniziert mit den Apotheken, wenn das System ausfällt? Weder die Gematik noch viele Softwarehäuser liefern bislang zufriedenstellende Antworten. Dabei ist klar: Apotheken tragen das Risiko allein. Ohne funktionierende Technik bleiben sie auf Rezepten sitzen, während die Politik weiter auf Digitalisierung setzt – ohne entsprechende Redundanzen oder Krisenkommunikation.
Das Beispiel der Rübezahl-Apotheke wirft grundsätzliche Fragen zur Rollenzuteilung im digitalen Versorgungssystem auf. Wer technische Hoheit beansprucht, muss auch für Verfügbarkeit sorgen. Wer Prozessverantwortung übernimmt, muss auch Supportstrukturen aufbauen. Und wer von Apotheken verlangt, sich in Echtzeit auf digitale Infrastruktur zu verlassen, darf sie nicht im Ausfall allein lassen. Die Forderung der Schäfers ist so einfach wie elementar: „Wenn das E-Rezept verpflichtend ist, muss es auch funktionieren. Und wenn es nicht funktioniert, muss es ein Verfahren geben, das sofort greift.“
Während in Witzenhausen mittlerweile wieder Normalbetrieb herrscht, bleibt die Erfahrung haften. Es ist eine Erfahrung, die Vertrauen kostet. Nicht in die Idee des E-Rezepts – sondern in die Realität seiner Umsetzung. Ein System, das im Fehlerfall keine Erklärung liefern kann, schafft Unsicherheit. Und ein Prozess, der Apotheken zur digitalen Schnittstelle macht, ohne sie zugleich rechtlich und technisch abzusichern, schafft kein Fundament für Fortschritt.
Ziegen spenden Futter, zeigen Mitgefühl, fordern Forschung heraus
Was die soziale Intelligenz von Nutztieren über Empathie, Kooperation und evolutionäre Anpassung verrät
Ziegen sind in der landläufigen Vorstellung oft eigensinnige Wesen – neugierig, ruppig, manchmal launisch. Doch ein Forschungsprojekt des Instituts für Nutztierbiologie Dummerstorf in Zusammenarbeit mit der Veterinärmedizinischen Universität Wien bringt diese Einschätzung ins Wanken. Denn die Tiere zeigen in kontrollierten Tests ein Verhalten, das bei Menschen mit Begriffen wie Selbstlosigkeit, Empathie und Hilfsbereitschaft belegt würde. In einer eigens entwickelten Versuchsapparatur, dem sogenannten „Fake Apple Tree“, kletterten Ziegen auf ein Podest, um eine Futterausgabe zu aktivieren – allerdings nicht für sich selbst, sondern für eine andere Ziege im Nachbarbereich. Und sie taten das häufiger, länger und fokussierter, wenn das Futter ausschließlich dem anderen Tier zugutekam.
Diese Beobachtung widerlegt nicht nur alte Klischees, sie erweitert auch das Verständnis tierischer Sozialstrukturen auf empirisch belastbarer Grundlage. Die Wissenschaftler betonen, dass es sich nicht um konditionierte Dressur handelt, sondern um spontanes Verhalten, das auf kognitiven und sozialen Entscheidungsprozessen basiert. Bemerkenswert ist zudem, dass einige Tiere besonders häufig prosozial handelten, während andere sich zurückhielten – ein Hinweis auf individuelle Persönlichkeitsunterschiede unter den Nutztieren, die bisher kaum erforscht sind. Gerade diese interindividuellen Unterschiede lassen Rückschlüsse auf neuronale und hormonelle Grundlagen sozialer Kognition zu, wie sie bislang vor allem bei Primaten untersucht wurden.
Ein zentraler Kontext für diese Experimente ist die sogenannte Fission-Fusion-Dynamik, in der sich Ziegengruppen regelmäßig neu zusammensetzen – vergleichbar mit den flexiblen sozialen Gefügen mancher Affenarten oder Delfine. Diese Struktur stellt hohe Anforderungen an die soziale Intelligenz: Tiere müssen nicht nur erkennen, wer aktuell zur Gruppe gehört, sondern auch, welche sozialen Beziehungen förderlich oder riskant sind. Die Fähigkeit, anderen Nahrung zukommen zu lassen, ohne unmittelbar selbst zu profitieren, ist ein starker Hinweis auf innerartliches Vertrauen, gruppenbezogene Kooperation und ein Verständnis für die Bedürfnisse anderer.
In der Nutztierforschung stellt dies eine markante Verschiebung dar: Weg vom rein funktionalen Produktionswesen hin zur ethologisch fundierten Auseinandersetzung mit dem inneren Erleben von Tieren. Die Dummerstorfer Forschergruppe sieht in der Erkenntnis über prosoziales Ziegenverhalten keinen Kuriositätenbeitrag, sondern einen Paradigmenwechsel. Wer soziale Fähigkeiten erkennt, muss auch soziale Ansprüche anerkennen – etwa in der Haltung, im Umgang und in der Zucht. Auch in der Bildungsarbeit könnten diese Ergebnisse eine neue Erzählung von Nutztieren befördern, die nicht auf Verwertung, sondern auf Beziehung basiert.
Damit öffnet sich ein größeres Feld: Wenn Ziegen nicht nur nützlich, sondern sozial intelligent sind – was bedeutet das für ihre Rolle in der Landwirtschaft, in pädagogischen Projekten oder in therapeutischen Kontexten? Was können Kinder über Kooperation lernen, wenn sie erleben, dass auch Tiere helfen statt meckern? Und was sagt uns das über die anthropozentrische Sicht, dass Mitgefühl und altruistische Handlung nur dem Menschen vorbehalten seien? Die Ziegen von Dummerstorf haben nicht nur Futter gespendet – sie haben Denkprozesse ausgelöst.
Glosse: Rezeptfrei grün, verordnungspflichtig absurd, abrechnungsrelevant überambitioniert
Wie Apotheken zur Klimazentrale mutieren, Bürokratie zur Therapie wird und der CO₂-Wert bald über den Fortbestand entscheidet
Früher fragte man in der Apotheke: „Haben Sie etwas gegen Husten?“ Heute eher: „Wie steht’s mit Ihrer Stickstoffbilanz?“ Die Zeiten ändern sich. Die Krankenkassen nämlich fördern jetzt nicht nur Medikamente, sondern auch Moral. Und das Umweltbundesamt macht daraus einen Wettbewerb: Wer hat die grünste Offizin? Wer führt den CO₂-TÜV korrekt? Wer füttert seine Rezepturwaage mit Solarstrom aus der eigenen Dachbegrünung? Willkommen im neuen Versorgungskapitel: Apotheke 2.0 – jetzt mit Photosynthese und Abwasseranalyse.
Ab sofort reicht es nicht mehr, Patient:innen zu beraten. Jetzt müssen auch Fische umsorgt werden. Im Labor. In einem Becken. Mit eigenem Filtersystem, angeschlossen an ein Regenwasserkreislaufmodul. Der Kommissionierer? Wird von einem Fahrradgenerator betrieben. Die PTA? Muss sich fortbilden in „algenbasierter Reststoffverwertung in der kühlkettenfreien Rezepturpraxis“. Wer kein Zertifikat vorweist, fliegt aus dem Nachhaltigkeitsbonusprogramm. Und das bedeutet: keine zehn Cent extra – aber viel CO₂-Schamgefühl.
Denn Nachhaltigkeit ist keine Option mehr, sondern Grundpflicht. Wer keine Solarpaneele auf dem Dach hat, bekommt nicht mehr das Recht auf Nachtbereitschaft. Wer beim Lüften nicht mit Wärmerückgewinnung punktet, verliert das Förderlabel „Apotheke mit Umweltanschluss“. Klingt wie ein Scherz, ist aber Realität. Das neue Motto: Erst wenn dein Energieausweis emissionsärmer ist als dein Hustensaft, darfst du weitermachen. Für alle anderen gibt es ein Regressverfahren mit Bonusabbau, Biofeedback und einem verpflichtenden Weidenkorbworkshop zur Entlastung des Packmittelkontingents.
Patientenbesuche sollen künftig klimaneutral sein. Also nicht mehr einfach Bote schicken, sondern mindestens mit Lastenrad. Und das bitte mit kinetischer Rückspeisung. Oder mit Alpakakarawane im Flachland. Der E-Bote zählt nur, wenn der Strom aus Eigenproduktion stammt und der Akku von einem Apothekenmitglied beim Drehen des Empfangstresens geladen wurde. Weil Bewegung gesund ist. Und nachhaltig.
Auch im Beratungsgespräch tut sich etwas: Nicht nur Nebenwirkungen, auch ökologische Auswirkungen sind zu nennen. Beispiel Ibuprofen: „Kann helfen, führt aber bei unsachgemäßer Entsorgung zur Nitratbelastung der regionalen Ackerflora.“ Wer hier nicht sauber aufklärt, verliert den Anspruch auf grüne Sonderpunkte. Die Abrechnung erfolgt über das neue Kassenmodul eCO₂-Connect. Leider ist die Software noch in Entwicklung. Dafür gibt es eine Übergangslösung in Papierform: 14 Seiten pro Patientin, inklusive Anbauplan für Küchenkräuter im Apothekenvorgarten.
Natürlich ist das nicht alles: Apotheken sollen Rücknahmestellen für Mikroplastikreste werden, botanische Sprechstunden für Allergikerinnen anbieten und im Wochenrhythmus eine CO₂-Andacht mit Klangschale und Kundenfeedback durchführen. Als Orientierungshilfe dient das neue „Greenpharm-Praxisbuch“, ein 480-seitiges Kompendium mit Anleitungen zur kompostierbaren Salbenverpackung, CO₂-Ausleitung durch Räuchermischungen und Feng-Shui in der Sichtwahl.
Wer jetzt denkt, das sei nicht umsetzbar – falsch gedacht. Die Grünen sind begeistert, die Techniker Krankenkasse ebenfalls. Und das UBA hat bereits eine eigene App entwickelt: „PharmÖkoScan“. Einfach Foto vom HV-Tisch hochladen, und schon gibt’s die erste Einschätzung: eher grün, eher grau oder „überarbeitungsbedürftig mit Tendenz zur Ressourcenfeindlichkeit“. Noch in der Pilotphase, aber bald abrechnungsrelevant. Mit Farbskala und Wochenziel.
Was fehlt? Vielleicht noch ein Podcast – „Offizin im Aufwind“ –, gesponsert vom Bundesumweltministerium. Oder ein Gütesiegel: „Gute Beratung. Geringe Emission.“ Und irgendwann die Frage beim Bewerbungsgespräch: „Wie viele Liter Regenwasser haben Sie letzte Woche gesammelt?“ Wer hier nicht spontan eine Zahl nennen kann, ist raus aus dem grünen Game.
Die Zukunft der Apotheke? Ganz klar: mehr Chlorophyll, weniger Chlordioxid. Und möglichst viele Pflanzen, Fische, LED-Glühbirnen und aufladbare Dienstfahrräder. Alles andere ist nicht mehr tragfähig – weder ökologisch noch politisch. Und wer heute noch denkt, dass er mit pharmazeutischem Sachverstand allein durchs Berufsleben kommt, hat den Zeitgeist nicht verstanden. Der hat längst eine Biobrille auf – mit Panoramablick auf die nächste Förderbedingung.
Von Engin Günder, Fachjournalist
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