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APOTHEKE | Medienspiegel & Presse |
Chinas humanoide Roboterapotheker, politische Wortgefechte zwischen Versand- und Präsenzapotheken, kriselnde EU-Gesundheitsinstitutionen und eine globale Rezeptfälschungskrise: Inmitten eines technologischen und regulatorischen Umbruchs geraten gleich mehrere Grundpfeiler des Gesundheitswesens ins Wanken. Während „GalBot“ in Pekings Hightech-Viertel Medikamente auf Abruf ausgibt und der SANT-Ausschuss in Brüssel strukturelle Defizite beklagt, bricht die Arzneimittelsicherheit im Internet unter der Last gefälschter Präparate zusammen – allen voran bei GLP-1-Wirkstoffen wie Ozempic. Gleichzeitig eskaliert der Streit um die kulturelle Identität der Apotheke, als ABDA-Vize Ina Lucas dem Redcare-CEO Olaf Heinrich auf offener Bühne widerspricht. Parallel dazu setzt ein Gericht in Saarbrücken mit einem Urteil zur Deckungszusage bei Kaskoschäden ein Signal: Vertrauen ersetzt keine Vertragsgrundlage – ein Leitsatz mit Folgen für Versicherte. In der klinischen Forschung markiert Lorundrostat einen Wendepunkt bei der Behandlung resistenter Hypertonie, Obicetrapib punktet als CETP-Inhibitor bei schwer kontrollierbaren Lipidwerten. Zwei Studien aus Kanada entzaubern die Debatte um die „richtige“ Einnahmezeit von Blutdrucksenkern – der Mensch zählt, nicht die Uhr. Und mit dem ersten erfolgreichen Einsatz von Prime Editing beim Menschen schreibt die Gentherapie ein neues Kapitel, das medizinische Präzision mit ethischen Fragen verknüpft. Jenseits der Labore hinterfragt eine Studie zur Wikingerzeit die Unsichtbarkeit schwangerer Körper in der Geschichtsschreibung – und fordert neue Begriffe für alte Machtverhältnisse. Und im Alltag zeigt sich: Wer gedanklich nicht loslässt, bleibt im beruflichen Hamsterrad – und verpasst, worauf es jenseits der Arbeit ankommt.
Roboter greifen nach Apotheken, Daten und Dominanz
Wie China mit GalBot die Medikamentenabgabe automatisiert, Arbeitsplätze hinterfragt und Zukunftstechnologie politisiert
Pekings Technologieviertel Yizhuang präsentiert der Welt einen pharmazeutischen Zukunftsentwurf, der mehr ist als eine Spielerei für Hightech-Messen. Hier steht »GalBot« – ein humanoider Roboter mit Greifarmen, Touchscreen-Interface und Medikamentenregal – bereit, um Arzneimittel auf Abruf auszugeben. Die Maschine ist Teil einer Ausstellung zur verkörperten Künstlichen Intelligenz, in der China nicht nur eine technologische Machtdemonstration, sondern auch ein gesellschaftliches Versprechen inszeniert: Apotheken, die niemals schließen. Für die einen eine logistische Revolution, für andere ein potenzieller Arbeitsplatzkiller.
Inmitten von Roboterhunden, autonomen Taxis und Lieferdrohnen zeigt sich, was Pekings Regierung will: eine neue Arbeitswelt, in der Menschen von Routinen befreit und Maschinen auf Effizienz getrimmt werden. Liang Liang, Vizedirektor des Verwaltungsausschusses für wirtschaftliche Entwicklung in Peking, beschwichtigt: Roboter sollen nicht verdrängen, sondern entlasten. Doch wer die Entwicklung genau betrachtet, erkennt: Humanoide Roboter sind für China keine Spielerei – sie sind geopolitisches Programm. Während Tesla an »Optimus« schraubt, setzt China auf eigene Systeme, ausgebildet mit Daten aus realen Labor- und Apothekenumgebungen.
Bislang laufen Projekte wie GalBot noch im Testbetrieb. Doch der politische Wille, Roboter in Alltagssituationen zu integrieren, ist ungebrochen. Marathonläufe mit humanoiden Teilnehmern und Roboterballett im Staatsfernsehen sind Teil einer umfassenden Kampagne, um Öffentlichkeit und Industrie auf Linie zu bringen. Dass Apotheken als Pilotfeld dienen, ist kein Zufall: Sie bieten ein ideales Szenario aus standardisierten Abläufen, engen Regulierungen und hoher personeller Belastung. Der Maschinenapotheker wird damit zur symbolischen Figur eines Systemwandels, bei dem Effizienz vor Empathie treten könnte – oder auch nicht, wenn der Mensch als Entscheider das letzte Wort behält.
Die Debatte um humanoide Roboter in chinesischen Apotheken ist weit mehr als eine technologische Machbarkeitsstudie. Sie berührt fundamentale Fragen der Berufsidentität, der gesundheitspolitischen Versorgungssouveränität und der Zukunft eines Berufsstandes, der bislang auf Vertrauen, Kommunikation und fachlicher Beratung beruhte. Dass China ausgerechnet Apotheken als Vorreiter einer humanoiden Revolution wählt, ist doppelt aufschlussreich: Es geht um Kontrollräume, um Daten – und um politische Machtdemonstration.
Was auf den ersten Blick wie ein PR-Stunt wirkt – Roboter tanzen, laufen Marathon, reichen Medikamente – entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Feldversuch mit sozialer Sprengkraft. Wenn Liang Liang von »Effizienz« spricht, meint er vor allem: planbare Verfügbarkeit, auswertbare Standardprozesse, betriebswirtschaftlich optimierte Versorgung. Die Apothekerin als empathische Begleiterin? Der PTA als kluger Lotse im Medikationsdschungel? In diesem Szenario nur noch schwer vorstellbar. Zumindest dann, wenn das Ziel nicht Komplementarität, sondern vollständige Automatisierung ist.
Doch gerade das macht das Projekt auch gefährlich: Wo Maschinen in vormals menschlich geprägte Räume eindringen, wird schnell sichtbar, wie fragil soziale Rollenbilder sind – und wie austauschbar jene Tätigkeiten, die man jahrzehntelang für unersetzlich hielt. China betreibt keine Verdrängung durch Maschinen – es inszeniert sie. Und dabei geht es nicht nur um Apotheken. Es geht um nichts Geringeres als den Umbau der Arbeitsgesellschaft unter technokratischem Vorzeichen. Wer nicht frühzeitig die politische, ethische und arbeitsrechtliche Dimension solcher Entwicklungen reflektiert, wird in der Euphorie über humanoide Helfer eines Tages feststellen, dass die Hilfe zur Herrschaft wurde.
Agent sagt Deckung zu, Gericht winkt ab, Kunde bleibt auf Schaden sitzen
Warum die Aussage eines Versicherungsvertreters keine rechtliche Bindung entfaltet, das Vertrauen enttäuscht wird und das Urteil Schule machen könnte
Der Nürburgring ist für viele Autofans eine Bühne für Fahrspaß – doch im Fall eines BMW-Fahrers wurde er zum Schauplatz eines komplexen juristischen Verfahrens. Nach einem Totalschaden bei einer sogenannten Touristenfahrt berief sich der Versicherungsnehmer auf eine Zusage seines Vertreters, die nach Auffassung des Oberlandesgerichts Saarbrücken jedoch nicht bindend war. Die zentrale Frage lautete: Wann wird aus einer Auskunft ein rechtlich relevantes Schuldanerkenntnis?
Im Juni 2019 verlor ein Mann bei einer privaten Fahrt auf der Nordschleife die Kontrolle über seinen geleasten BMW M2. Das Fahrzeug überschlug sich, es entstand Totalschaden. Obwohl die Strecke gegen Entgelt und unter Anwendung der StVO geöffnet war – kein Rennen, keine Sonderbedingungen – verweigerte der Vollkaskoversicherer des Vaters die Zahlung. Begründung: Ausschluss in den AVB für Fahrten auf Motorsportanlagen.
Dabei hatte der betreuende Versicherungsvertreter noch am Unfalltag auf Nachfrage geantwortet, die Fahrt sei „versichert“. Später folgte eine weitere E-Mail mit der Mitteilung, dass die Bearbeitung angestoßen sei. Dennoch verweigerte der Versicherer die Leistung – und bekam nun recht.
Das OLG Saarbrücken stellte klar: Eine Deckungszusage liegt nur vor, wenn der Vertreter erkennbar rechtsverbindlich erklärt, dass der Versicherer leisten wird – insbesondere zur Streitbeilegung. Davon konnte im konkreten Fall keine Rede sein. Zum Zeitpunkt der ersten Aussage sei dem Agenten der Schaden noch gar nicht bekannt gewesen. Eine Auskunft „im luftleeren Raum“ sei nicht gleichbedeutend mit einem deklaratorischen Schuldanerkenntnis. Auch die spätere Nachricht zum Bearbeitungsstand sei als bloße Prozessinformation zu verstehen – nicht als rechtlich bindende Zusage.
Zudem verwies das Gericht darauf, dass der Vertreter keinen Entscheidungsrahmen für endgültige Leistungszusagen hatte. Auch das subjektive Vertrauen des Kunden reiche nicht aus, um eine rechtliche Bindung herzustellen. Entscheidend sei allein, ob ein erkennbarer Regelungswille zur Beendigung eines Streits vorgelegen habe. Weil aber zum Zeitpunkt der Kommunikation weder ein Konflikt bestand noch der Wille zur Einigung erkennbar war, fehle die Grundlage für ein verbindliches Anerkenntnis. Die Klage wurde daher abgewiesen – endgültig und ohne Revisionsmöglichkeit.
Der Fall wirft ein grelles Licht auf die Grenzen zwischen Versicherungspraxis und rechtlicher Verbindlichkeit. Es ist nachvollziehbar, dass der Geschädigte sich auf die schriftlichen Aussagen seines langjährigen Agenten verlassen wollte. Wer in einem Schadensfall umgehend eine klare Antwort erhält, dass der Schutz greife, fühlt sich nicht nur menschlich, sondern auch rechtlich sicher. Doch diese Erwartung wurde durch die Entscheidung des Oberlandesgerichts Saarbrücken jäh konterkariert – und zwar mit juristischer Präzision, die zugleich ernüchtert und aufklärt.
Denn was wie eine Zusage klingt, ist im juristischen Sinne oft nur ein sprachliches Geleit – solange es nicht dem Willen entspringt, einen bestehenden Streit zu beenden. Und genau das war hier nicht der Fall. Der Agent wusste nichts vom Unfall, formulierte pauschal und verwies später sogar auf die Zuständigkeit anderer. Das Gericht erkannte darin konsequent keine erkennbare Rechtsverbindlichkeit.
Der Richterspruch sendet ein klares Signal an Versicherte: Eine E-Mail des Vertreters ist keine Polizeiakte. Wer sich auf Versicherungsleistungen beruft, muss sich am Vertrag und an dessen klarer Auslegung messen lassen. Ein freundliches „Das ist versichert“ kann, so bitter es klingt, rechtlich folgenlos sein. In Zeiten zunehmender Kommunikation auf informellen Kanälen – WhatsApp, Mail, mündlich – markiert das Urteil eine Rückkehr zur harten Textform: bindend ist nur, was erklärtermaßen bindend gemeint ist.
Auch für Vermittler birgt das Urteil Sprengkraft. Sie stehen nun noch deutlicher in der Pflicht, ihre Aussagen zu relativieren, Zuständigkeiten zu benennen und keine Erwartungen zu wecken, die sich später nicht einlösen lassen. Wer nicht autorisiert ist, kann auch nichts versprechen. Kundenorientierung endet dort, wo sie zur Rechtsfalle wird.
Das Urteil ist hart, aber lehrreich: Es zeigt, dass das Versicherungsvertragsrecht seine eigene Sprache spricht – und dass Vertrauen in der Kommunikation nicht mit rechtlicher Verbindlichkeit verwechselt werden darf.
Wer nicht abschaltet, bleibt im Hamsterrad
Wie Rituale den Dienstschluss markieren, Gedanken zur Ruhe kommen und der Abend wieder einem selbst gehört
Wer tagsüber alles gibt, darf am Abend auch alles lassen. Doch die Realität sieht anders aus: Immer mehr Menschen tragen ihre beruflichen Gedanken über die Türschwelle hinaus – und lassen damit der Erschöpfung freien Lauf. Der Feierabend verkommt zur verlängerten Denkzeit, das Wohnzimmer zum Nebenbüro, die Familie zum Statisten. Dabei ist der tägliche Schlussstrich so wichtig wie die Pause zwischen zwei Atemzügen. Nur wer den Tag innerlich beendet, kann auch neu beginnen.
Die Kunst des bewussten Abschaltens beginnt mit Ritualen, die dem Körper und dem Geist signalisieren: Jetzt ist Schluss. Ein notiertes To-do für morgen, ein aufgeräumter Schreibtisch, ein hörbares „Das war’s“ – all das sind mentale Türschlösser zur beruflichen Welt. Der Wechsel ins Private wird greifbar, wenn er sichtbar und hörbar wird. Auch ein fester Nachhauseweg mit Podcast oder Stille hilft, die innere Haltung zu verändern. Wer nach Hause kommt und joggt, gärtnert, sich umsorgt oder ganz einfach nur genießt, schafft ein spürbares Dazwischen.
Doch auch im schönsten Garten können Gedanken an offene Aufgaben wuchern. Das Entscheidende ist dann nicht der Kampf gegen sie – sondern der Umgang mit ihnen. Wer Gedanken zulässt, sie aufschreibt oder gezielt ausspricht, nimmt ihnen die Macht. Ein inneres „Stopp“ statt „Warum schon wieder?“ schützt vor Selbstkritik und Dauergrübeln. Ebenso wirksam: eine klare Abmachung mit dem Partner, dass der Job nicht ins Abendgespräch gehört.
Und dann ist da noch der stille Dauerbrenner: das Dienst-Handy. Immer bereit, immer in Griffweite, immer mit einem Rest Beruf im Display. Wer wirklich abschalten will, muss abschalten – auch das Gerät. Spätestens abends sollte das Mobiltelefon verschwinden, und zwar nicht nur akustisch. Nur so entsteht ein Raum für das, was im Leben oft untergeht: ein ungestörter Filmabend, ein Frühstück in Ruhe oder das schlichte Gefühl, wirklich zu Hause zu sein.
Es ist nicht die Arbeit, die erschöpft. Es ist die Unfähigkeit, sie zu beenden. Der Mensch braucht Zwischenräume, sonst verliert er sich im Dauerlauf zwischen Projekten, Meetings und Erwartungen. Die Verklärung des Immer-erreichbar-Seins als Zeichen von Engagement ist ein Irrtum mit Folgen – gesundheitlich, familiär, gesellschaftlich. Denn wer am Abend nicht mehr in der Lage ist, im Jetzt zu leben, hat seine Gegenwart verschenkt.
Dabei ist das mentale Abschalten keine Kunst für Gurus, sondern eine Disziplin für Realisten. Es geht nicht um weltfremde Achtsamkeit, sondern um bewusste Grenzziehung. Um Rituale, die wirken. Um Klarheit, die schützt. Der Dienstschluss braucht ein Zeichen, das lauter ist als die Push-Nachricht, stärker als der Griff zum Firmenhandy. Denn die Realität ist: Wer sich nicht selbst schützt, wird vom System zerrieben.
Wir brauchen eine neue Kultur des Feierabends – nicht als Flucht, sondern als Pflege. Für uns selbst und für andere. Denn wer innerlich nicht präsent ist, kann auch äußerlich kein Gegenüber sein. Familien leiden, Beziehungen verkümmern, Freundschaften verarmen, wenn der Mensch als Mensch fehlt. Abschalten ist keine Schwäche. Es ist die Bedingung dafür, wieder anzuschalten.
SANT warnt vor Versorgungslücken, EMA fordert Neuausrichtung, HERA gerät in Erklärungsnot
Wie Europas Gesundheitsstrategie unter Druck gerät, Arzneimittellogistik scheitert und neue Krisenstrukturen jetzt greifen müssen
Die europäische Gesundheitspolitik steht vor einer Bewährungsprobe, deren Tragweite weit über epidemiologische Herausforderungen hinausreicht. Der SANT-Ausschuss des Europäischen Parlaments, zuständig für Fragen der öffentlichen Gesundheit, analysierte in seiner letzten Sitzung nicht nur neue Infektionsbedrohungen, sondern auch strukturelle Defizite bei der Arzneimittelversorgung und der Krisenvorsorge der Europäischen Union. Im Zentrum der Debatte standen die Berichte dreier Schlüsselakteure: Pamela Rendi-Wagner vom ECDC, Emer Cooke von der EMA sowie Hadja Lahbib, EU-Kommissarin für humanitäre Hilfe und Krisenschutz.
Rendi-Wagner, Direktorin des Europäischen Zentrums für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten, warnte eindringlich vor der wachsenden Komplexität gesundheitlicher Bedrohungen. Als Treiber nannte sie die Klimakrise, die demografische Alterung und den Vertrauensverlust in Impfprogramme. Allein 2024 habe das ECDC auf 15 bedrohliche Krankheitsausbrüche reagieren müssen – darunter M-Pox, das Marburg-Virus und Polio. Die Forderung der Epidemiologin: Mehr Investitionen in Prävention, besser vernetzte Frühwarnsysteme und eine Stärkung der grenzüberschreitenden Reaktionsmechanismen.
Mit Spannung erwartet wurde der erste Auftritt von EMA-Chefin Emer Cooke vor dem SANT-Ausschuss. Ihre Botschaft: Die Europäische Arzneimittelagentur will in der strategischen Neuausrichtung Europas eine tragende Rolle spielen – sowohl bei der Arzneimittelverfügbarkeit als auch im Bereich Krisenfestigkeit. Die Digitalisierung, der Aufbau künstlicher Intelligenz und die Rückverlagerung pharmazeutischer Produktionsketten in die EU sind für Cooke zentrale Handlungsfelder. Besonders bei kritischen Arzneimitteln habe man bereits Fortschritte erzielt, etwa durch eine Produktionssteigerung von Antibiotika um 15 Prozent. Auch neue Verpflichtungen für Unternehmen zur Standortverlagerung zeigen laut EMA Wirkung. Dennoch bleibt die Abhängigkeit von außereuropäischen Lieferländern – insbesondere den USA – ein ungelöstes Risiko, das durch Brexit-Erfahrungen und neu geschaffene Strategien entschärft werden soll.
Ein weiteres zentrales Thema war die Bewertung der Krisenbehörde HERA. Der Bericht zur Zwischenbilanz zeigt Licht und Schatten. William Sleath von der Kommission lobte HERA für ihren Beitrag zur Stärkung der europäischen Gesundheitsarchitektur, räumte aber Koordinierungslücken ein. HERA-Vertreterin Daphne von Buxhoven verwies auf laufende ABC-Schutzmaßnahmen – also gegen atomare, biologische und chemische Gefahren – sowie auf internationale Kooperationsprojekte mit Japan, Korea, Singapur, Kanada, Norwegen und Island. Die Abgeordneten reagierten jedoch kritisch auf die vagen Angaben zur konkreten Wirksamkeit und forderten belastbare Beispiele.
Laut Buxhoven wurden mit dem 110 Milliarden Euro umfassenden HERA-Portfolio erste Projekte zur Lagerhaltung krisenrelevanter Produkte angeschoben. Details zur geplanten EU-weiten Bevorratungsstrategie sollen noch vor der Sommerpause folgen – inklusive Kriterien, Finanzierung und logistischer Umsetzung.
Auch Kommissarin Hadja Lahbib unterstrich die Notwendigkeit eines neuen EU-Krisenkoordinierungsrahmens, der Ad-hoc-Reaktionen ablösen und Gefahren früher erkennen soll. Neben der Einrichtung eines zentralisierten Frühwarnsystems soll bis Ende Juni eine länderübergreifende Bedarfserhebung für Arzneimittel und medizinische Gegenmaßnahmen abgeschlossen werden. Das Ziel: eine gemeinsame, robuste Vorsorgestrategie, die sowohl auf präventive als auch auf reaktive Kapazitäten setzt.
Zudem betonte Lahbib die Rolle des EU-FAB-Produktionsnetzwerks, das bei Bedarf bis zu 325 Millionen Impfstoffdosen bereitstellen könne – ein Element, das im Fall neuer Pandemien überlebenswichtig werden könnte. Die SANT-Abgeordneten machten dabei deutlich: Der Wille zur Strategie ist vorhanden, doch es braucht Struktur, Tempo und Durchgriff – nicht nur Absichtserklärungen.
Gesundheitssicherheit ist kein statischer Zustand, sondern ein bewegliches Ziel – und genau das demonstriert der jüngste Austausch im SANT-Ausschuss mit beklemmender Klarheit. Die europäische Gesundheitsarchitektur kämpft an mehreren Fronten: gegen neue Infektionsherde, gegen die Erosion öffentlicher Vorsorgekapazitäten und gegen systemische Schwächen in der Koordination. Die Debattenbeiträge der Sitzung offenbaren ein Europa, das seine Defizite kennt, aber oft zu zögerlich ist, um sie zu beheben.
Besonders die Aussagen von Pamela Rendi-Wagner werfen ein Schlaglicht auf das Versagen europäischer Impf- und Präventionspolitik. In einem Kontinent mit allen Mitteln der Wissenschaft ist es beunruhigend, dass sinkende Impfquoten zu einem Risiko werden, das sonst nur Schwellenländer betrifft. Auch die Zahlen aus 2024, mit 15 Ausbrüchen schwerer Krankheiten, sprechen für sich: Die Zeiten der vermeintlichen Sicherheit sind vorbei.
Emer Cookes EMA-Strategie wirkt hingegen wie ein realistischer Plan zur Resilienzbildung. Doch selbst 15 Prozent mehr Antibiotika aus europäischer Produktion sind wenig, solange grundlegende Lieferketten transatlantisch abhängig bleiben. Dass hier offenbar erst nach Brexit und Pandemie ernsthaft reagiert wurde, ist symptomatisch für ein strukturell defensives System.
HERA wiederum bleibt trotz aller Milliarden schwer greifbar. Die Spannweite zwischen ambitionierten Zielen und konkreter Wirksamkeit ist zu groß, um von einem strategischen Durchbruch zu sprechen. Dass zentrale Fragen zur Lagerhaltung oder zum Echtzeit-Monitoring noch nicht beantwortet sind, zeigt: Planung ist nicht gleich Vorbereitung.
Der angekündigte Krisenkoordinierungsrahmen könnte zum Wendepunkt werden – sofern er nicht in einem weiteren Flickenteppich endet. Die EU muss verstehen, dass Gesundheitsvorsorge eine Frage politischer Priorität ist. Wer erst reagiert, wenn die Disruption kommt, hat bereits verloren.
Fälscher umgehen Rezepte, Shops täuschen Kunden, Medikamente verlieren Sicherheit
Wie Ozempic zum Handelsgut wird, Online-Shops Vertrauen zerstören und die Arzneisicherheit kollabiert
Während Verbraucher glauben, legal Medikamente zu erwerben, blüht im Schatten globaler Lieferketten ein Milliardengeschäft mit gefälschten Präparaten. Die neue ARD-Dokumentation „Billig bis tödlich – den Fälschern auf der Spur“ zeigt, wie tief der illegale Arzneimittelmarkt bereits in die Alltagswelt eingedrungen ist. Zwischen täuschend echten Versandportalen, Chatgruppen auf Telegram und scheinbar seriösen Verkaufsprofilen wird das angeboten, was Aufmerksamkeit erzeugt und hohe Preise verspricht: Schlankheitsmittel, Botox, Wachstumshormone – allen voran die GLP-1-Analoga wie Ozempic.
Das Geschäftsmodell ist perfide, die psychologische Raffinesse hinter den digitalen Auftritten erschreckend: Hinter glatt designten Oberflächen verbergen sich kriminelle Netzwerke, die nicht nur den ärztlichen Schutzmechanismus aushebeln, sondern auch das Vertrauen in Arzneimittelsicherheit gefährden. Die Bochumer Ärztin Michaela Montanari wird täglich mit dubiosen Angeboten konfrontiert – vielfach professionell aufgezogen, sprachlich versiert, mit Liefergarantie oder gar medizinischer Beratung. Was bleibt, ist der Eindruck von Seriosität, obwohl im Hintergrund gefährliche Parallelmärkte arbeiten.
Ein Schlüsselindikator für Illegalität sei laut Professor Wolfgang Sinn das Fehlen einer Rezeptpflicht. Wer verschreibungspflichtige Medikamente frei kaufen kann, befindet sich fast sicher in einer Grauzone oder darüber hinaus. Hinzu kommen auffällige Abweichungen: Statt Fertigpens werden Pulverampullen versendet, statt gesicherter Kühlketten liefern Händler ohne Temperaturkontrolle. Solche Unterschiede sind nicht nur kosmetischer Natur – sie entscheiden über Wirksamkeit und Sicherheit.
Auch die ärztliche Beschaffung medizinischer Hilfsmittel sei betroffen, warnt Montanari. Die Empfehlung, ausschließlich über autorisierte Vertriebsmitarbeiter der Hersteller zu bestellen, ist Teil einer neuen Verteidigungsstrategie, die sich gegen ein System von professioneller Täuschung richtet. Sogar die Verpackung, so banal es klingt, müsse geprüft werden – Rechtschreibfehler, fehlerhafte Hologramme oder veränderte Logos liefern erste Hinweise. Wo Zweifel bestehen, helfen spezialisierte Analyselabore wie das von Christopher Hopkins, um Inhaltsstoffe zu testen und Sicherheitsmerkmale abzugleichen.
Für den Endverbraucher sei das Versandhandelslogo ein wichtiges Orientierungskriterium. Dieses verweist auf das offizielle Register erlaubter Online-Apotheken. Der Umweg über ein solches Portal sei zwar umständlicher als ein Klick auf ein Instagram-Profil – doch genau das unterscheidet die legale Arzneimittelversorgung von einem riskanten Einkauf auf dem Schwarzmarkt. Dass der illegale Handel inzwischen digital, global und im Gewand der Seriosität auftritt, macht ihn besonders gefährlich – und die konsequente Aufklärung, wie sie die ARD-Doku nun betreibt, umso notwendiger.
Man möchte fast erleichtert sein, dass in den Kartons mit Ozempic-Aufkleber kein Gift steckt – sondern nur ein Placebo. Doch die eigentliche Tragik ist subtiler: Es geht längst nicht mehr nur um Fälschung, sondern um das Verschwinden von Regeln. Wer rezeptpflichtige Präparate wie Bonbons verteilt, spielt nicht nur mit der Gesundheit anderer, sondern bricht stillschweigend ein zentrales Versprechen des Gesundheitssystems: dass Arzneimittelsicherheit keine Glückssache ist.
In diesem neuen Graumarkt des digitalen Handels lösen sich Zuständigkeiten auf. Was früher Zoll, Polizei oder Apotheken kontrollierten, verlagert sich nun in private Messenger, anonyme Plattformen und Sprachassistenten. Die Grenze zwischen legalem Verkauf und organisierten Verbrechen ist nicht nur schwer zu erkennen – sie wird von vielen nicht einmal mehr gesucht. Das Vertrauen in Verpackung, Etikett, Bestellmaske – es ist zur Illusion geworden.
Wer heute noch bewusst in die Herstellung solcher Produkte einsteigt, sei verrückt, sagt ein Experte in der Doku. Doch was ist mit den Hunderttausenden, die kaufen, ohne zu wissen, worauf sie sich einlassen? Es reicht nicht, bei Amazon oder eBay ein paar Logos zu prüfen oder auf ein PDF-Zertifikat zu klicken. Die Infrastruktur für sicheren Arzneimittelvertrieb ist da – sie wird nur zunehmend ignoriert. Die größte Gefahr ist nicht die Fälschung, sondern die Normalisierung ihrer Existenz.
Versorgung als Haltung, Gleichheit als Forderung, Beratung als Versprechen
Wie Ina Lucas den Versandhandel herausfordert, Kultur verteidigt und für die Apotheke punktet
Es war ein Auftritt mit Ansage, ein rhetorisches Duell im Bühnenlicht Berlins – und am Ende ein symbolischer Punktsieg für die Vor-Ort-Apotheke: Beim AByou-Future Lab traf ABDA-Vizepräsidentin Ina Lucas auf Olaf Heinrich, CEO des Versandhändlers Redcare. Der Rahmen: eine als Schlagabtausch inszenierte Debatte über den Status und die Zukunft der Arzneimittelversorgung. Der Inhalt: ein offenes Kräftemessen über Systemvorteile, gesetzliche Ungleichgewichte und das Menschenbild hinter der Versorgung.
Schon mit dem ersten Satz markierte Lucas die Frontlinie. Was Versender besser könnten als Apotheken? „Nichts.“ Der Saal applaudierte. Heinrich blieb gelassen, betonte die Koexistenz beider Modelle, versuchte diplomatisch, die Frage nach besser oder schlechter zu entkräften. Doch der Schlagabtausch nahm Fahrt auf. Lucas erklärte die Versorgung zur Kulturfrage – nicht bloß als Funktion, sondern als Ausdruck gesellschaftlicher Werte. Beratung sei nicht additiv, sondern konstitutiv. Und: „Das Gesundheitssystem braucht Werte.“
Heinrich hielt dagegen: Wahlfreiheit sei ebenso ein kulturelles Gut. Die Menschen entschieden sich bereits bewusst – auch für den Versandhandel. 86 Prozent Repeat-Kunden sprächen für sich. Doch Lucas schlug zurück, mit Blick auf den jahrelangen finanziellen Aderlass bei Redcare und dem Verweis, dass Beratung eben nicht im digitalen Warenkorb stattfinde. „Die Leute wissen oft gar nicht, was ein Medikament mit ihnen macht“, so Lucas. „Das kann der Versand nicht abfangen.“
Der verbale Clinch wurde zum Grundsatzstreit. Lucas warf den Versendern vor, Kundinnen und Kunden teuer einzukaufen, während die Vor-Ort-Apotheken mit gesetzlich auferlegten Pflichten und wirtschaftlichen Einbußen operieren müssten. Heinrich wiederum berief sich auf europäische Gerichtsurteile und die doppelte Schutzfunktion der Preisbindung – die er zugleich als Wettbewerbsnachteil zu entkräften versuchte.
Brisant wurde es bei der Frage nach der Kühlkette. Lucas erinnerte an die geplanten politischen Gleichstellungen, die auch Versandhändler zu mehr Verpflichtungen zwingen würden. Heinrich wich aus, beteuerte aber, man halte sich längst an die Vorgaben. Der Einstieg von dm ins OTC-Geschäft? Für Redcare „ohne Relevanz“, so Heinrich. Lucas konterte mit dem Hinweis auf Leistungen wie Notdienste, die Versender nicht erbringen könnten – nicht aus Unwillen, sondern weil ihnen der Fremdbesitz untersagt sei.
Was bleibt, ist eine doppelte Erkenntnis: Der Versandhandel sieht sich als regulärer Teil der Versorgungsstruktur, auf Dauer effizient, digital und hybrid. Die ABDA dagegen reklamiert einen kulturellen Wert der persönlichen Begegnung, der sich nicht durch Algorithmen ersetzen lasse. Lucas versprach zum Schluss, das ABDA-Zukunftskonzept sei nur ein Anfang. „Wir haben Riesenangebote und können Enormes leisten.“
Das Publikum folgte dieser Vision – mit klarer Mehrheit. Punktsieg für Lucas.
Manchmal braucht es nicht viele Worte, um die Fronten zu klären. Ina Lucas tat das mit einem einzigen: „Nichts.“ Kein Bereich, kein Argument, kein Spielraum für ein „Aber“ – zumindest nicht in ihrer Sicht auf die vermeintliche Überlegenheit des Versandhandels. Was wie eine zugespitzte Replik wirkte, entfaltete im Laufe der Debatte seine politische Wucht: Hier ging es nicht um Logistik. Hier ging es um Haltung.
Lucas stellte eine der fundamentalsten Fragen, die derzeit auf dem Prüfstand stehen: Was ist uns persönliche Versorgung wert? Nicht in Euro, sondern im Menschenbild. Die Apotheke ist für sie kein stationärer Vertriebsort, sondern eine gesellschaftliche Instanz – und dieser Begriff ist bewusst gewählt. Sie sprach über Nähe, Verantwortung, Beratung als Schutz, nicht als Service. Es war eine kulturelle Re-Vermessung der Gesundheitsversorgung.
Heinrich dagegen gab sich ökonomisch kontrolliert. Kundenbindung, Wahlfreiheit, technologische Effizienz. Alles richtig – und doch blieb sein Modell unter der Prämisse von Lucas funktional reduziert. Denn es ersetzt nicht, was Lucas verteidigte: das Soziale in der Arzneimittelgabe.
Besonders deutlich wurde das im Moment der Kühlkettenfrage. Nicht weil Kühlung der Kern des Problems wäre, sondern weil sie symbolisiert, worum es geht: gleiche Bedingungen, gleiche Lasten, gleiche Verantwortung. Dass Heinrich hier auswich und gleichzeitig den rechtlichen Schutz der Apotheken gegen Fremdbesitz als Hemmschuh bezeichnete, offenbarte das strategische Dilemma des Versandhandels. Er will dazugehören, aber ohne die Pflichten der Präsenz.
Die Debatte zeigte, wie unterschiedlich Zukunft gelesen werden kann: als Skalierung digitaler Einheiten oder als Weiterentwicklung menschlicher Nähe. Es war nicht die Frage, wer besser ist – sondern wer mehr glaubt, Verantwortung tragen zu können.
Lorundrostat senkt Druck, stoppt Aldosteron, verändert Therapiepfade
Wie der neue ASI bei resistenter Hypertonie wirkt, die Synthese selektiv hemmt und den klinischen Standard infrage stellt
Die Zukunft der Blutdrucktherapie könnte einen neuen Weg einschlagen – über die gezielte Blockade der Aldosteronsynthese. Mit dem Wirkstoff Lorundrostat liegt nun ein vielversprechender Kandidat vor, der in einer Phase-IIb-Studie deutliche Senkungen des systolischen Blutdrucks bei therapieresistenter Hypertonie gezeigt hat. Die im New England Journal of Medicine publizierten Ergebnisse belegen: Eine tägliche Dosis von 50 mg Lorundrostat senkte den Blutdruck in einer standardisierten 24-Stunden-Messung im Mittel um 15,4 mmHg – signifikant mehr als Placebo, das auf einen Rückgang von 7,4 mmHg kam.
Der Wirkmechanismus von Lorundrostat greift tiefer als herkömmliche Antihypertensiva. Das Präparat hemmt selektiv das Enzym Aldosteronsynthase, ohne dabei die Cortisolsynthese zu stören – ein Fortschritt gegenüber bisherigen Ansätzen. Gerade bei Patienten, deren Blutdruck trotz Polytherapie nicht einstellbar ist, liegt oft eine überschießende Aldosteronproduktion vor. Klassische Aldosteron-Antagonisten wie Spironolacton zeigen jedoch Nebenwirkungen, die ihre Anwendung begrenzen, darunter antiandrogene Effekte und ein kompensatorischer Aldosteronanstieg.
Die Studie Advance-HTN umfasste 285 Patienten, die trotz Kombinationstherapie aus Olmesartan, Diuretikum und Amlodipin weiterhin unter einem systolischen 24-Stunden-Wert von ≥130 mmHg lagen. In zwei Gruppen erhielten sie entweder eine feste Tagesdosis von 50 mg Lorundrostat oder eine Dosiseskalation auf 100 mg nach vier Wochen – die sich jedoch als nicht überlegen erwies. Der Placeboeffekt fiel mit –7,4 mmHg unerwartet hoch aus, was die Autoren mit einer anhaltenden Wirkung der Basismedikation erklären.
Nebenwirkungen wie Hyperkaliämie, Hyponatriämie und reduzierte glomeruläre Filtration wurden beobachtet, blieben aber im erwartbaren Rahmen für eine Substanz, die das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System beeinflusst. Auffällige Kaliumwerte über 6,0 mmol/l traten bei fünf bis sieben Probanden der aktiven Behandlungsgruppen auf, jedoch bei keinem in der Placebogruppe. Auch wenn eine frühere Analyse auf eine stärkere Wirkung bei adipösen Patienten hingedeutet hatte, ließ sich dieser Befund in der aktuellen Studie nicht bestätigen.
Mit Blick auf die nächste Phase der Entwicklung könnte Lorundrostat einen Paradigmenwechsel bei der Behandlung der resistenten Hypertonie einläuten – vorausgesetzt, die nun folgende Phase-III-Studie bestätigt Wirksamkeit und Sicherheit des ASI. Die Entscheidung, die weitere Prüfung auf die 50-mg-Dosierung zu fokussieren, setzt ein klares Signal: Es braucht nicht mehr, sondern präzise.
Die gute Nachricht: Mit Lorundrostat scheint ein Mittel greifbar, das genau dort ansetzt, wo viele andere Antihypertensiva scheitern – bei der übermäßigen Aldosteronproduktion. Die schlechte Nachricht: Der Weg zur Zulassung ist noch lang, und die Nebenwirkungen sind nicht trivial. Dennoch offenbart die Advance-HTN-Studie einen klinischen Fortschritt, den man ernst nehmen muss.
Denn dass eine selektive Hemmung der Aldosteronsynthase möglich ist, ohne in die Cortisol-Homöostase einzugreifen, war lange unsicher. Frühere Substanzen hatten entweder zu wenig Spezifität oder zu viele Nebenwirkungen. Dass Lorundrostat diese Hürde nimmt, ist ein bemerkenswerter Schritt. Besonders interessant ist die Entscheidung, trotz der Dosiseskalation keinen zusätzlichen therapeutischen Vorteil zu erzielen – was einerseits für die Wirksamkeit der niedrigen Dosis spricht, andererseits aber auch Fragen zur Dosis-Wirkungs-Kurve aufwirft.
Kritisch bleibt das Risiko der Hyperkaliämie. Zwar ist es im Studienkontext kontrollierbar, doch in der breiten Anwendung braucht es klare Monitoringstrategien, um schwerwiegende Komplikationen zu vermeiden. Auch darf nicht unterschätzt werden, dass der Placeboeffekt mit mehr als 7 mmHg beträchtlich ausfällt – ein Hinweis darauf, wie sensitiv die Blutdruckregulation auf Therapieumstellungen reagiert. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, Studiendesigns noch genauer zu kalibrieren.
Unabhängig davon steht fest: Lorundrostat ist kein Placeboeffekt mit Molekülstruktur, sondern ein echter Kandidat für eine neue Wirkstoffklasse. Es bleibt zu hoffen, dass die Phase-III-Daten diesen Anspruch tragen – und vielleicht bald eine neue Ära der Hypertonietherapie einleiten.
Keine Stunde der Wahrheit, aber ein Moment der Erkenntnis
Was die BedMed-Studien über kardiovaskuläre Risiken, Medikationsfreiheit und Therapieindividualität zeigen
Bluthochdruck ist nicht nur eine der häufigsten chronischen Erkrankungen weltweit, sondern auch ein Paradebeispiel für die stille Gefahr im Alltag – symptomarm, aber kardiovaskulär bedrohlich. Die Frage, ob sich die Einnahmezeit blutdrucksenkender Medikamente auf das Risiko für Herzinfarkte, Schlaganfälle oder gar Todesfälle auswirkt, hat nun in zwei groß angelegten Studien aus Kanada eine wissenschaftlich fundierte Antwort erhalten – und die lautet: Der Zeitpunkt spielt keine Rolle für das Überleben, wohl aber für den Alltag.
In der Hauptstudie „BedMed“ wurden über 3300 Patientinnen und Patienten mit täglicher Antihypertensiva-Medikation über fast fünf Jahre hinweg beobachtet. Das Ergebnis ist ebenso deutlich wie ernüchternd für jene, die auf eine Revolution der Einnahmeempfehlung hofften: Weder Herzinfarkte noch Schlaganfälle noch Todesfälle traten signifikant seltener auf, wenn die Medikamente am Abend statt am Morgen eingenommen wurden. Mit 2,3 gegenüber 2,4 Ereignissen pro 100 Patientenjahren erwies sich der Unterschied als statistisch irrelevant. Die Erkenntnis: Die zirkadiane Dynamik des Blutdrucks bleibt klinisch bedeutungslos, wenn sie durch eine Verlagerung der Tabletteneinnahme manipuliert werden soll.
Wichtiger jedoch ist eine andere Botschaft dieser Studie: Die abendliche Einnahme ist sicher. Es gab keine Häufung von Stürzen, Sehverschlechterungen oder kognitiven Beeinträchtigungen. Ein häufig angeführter Verdacht, dass die nächtliche Hypotonie ältere Menschen anfälliger für Verletzungen oder glaukombedingte Komplikationen macht, bestätigte sich nicht. Im Gegenteil, auch bei geriatrischen Patientinnen und Patienten in Pflegeeinrichtungen, untersucht in der Parallelstudie „BedMed-Frail“, zeigte sich kein Vorteil, aber auch kein Risiko durch die abendliche Medikation.
Was sich hingegen abzeichnet, ist ein praktischer Nutzen in der Versorgungsorganisation: In Pflegeheimen verzeichnete die abendliche Gabe sogar leicht weniger ungeplante Krankenhausbesuche. Die Autoren sprechen deshalb von einem „freigestellten Einnahmezeitpunkt“ – das heißt: Die Einnahme kann und soll nach den Bedürfnissen und Tagesroutinen der Betroffenen organisiert werden.
Damit geht eine Ära der verallgemeinerten Empfehlungen zu Ende. Es zählt nicht mehr der „ideale Zeitpunkt“, sondern der individuell passende Moment – für die Pflege, für den Alltag, für die Sicherheit. Und so ist das Ergebnis dieser Studien kein therapeutisches Nullsummenspiel, sondern ein Plädoyer für eine praxisnahe, patientenzentrierte Arzneimitteltherapie.
Es gibt Studien, die mehr verändern als ihre nüchternen Zahlen vermuten lassen – die kanadischen „BedMed“-Studien gehören dazu. Denn was sie in aller Deutlichkeit zeigen, ist weniger ein pharmakologischer Durchbruch als ein mentaler Paradigmenwechsel: Das medizinische Korsett starrer Einnahmeregeln lockert sich – und macht Platz für therapeutische Selbstbestimmung. Der Patient wird nicht länger zum Vollstrecker eines medikamentösen Stundenplans, sondern zum Mitgestalter seiner Therapie.
Dass der Blutdruck einem zirkadianen Rhythmus folgt, war nie eine neue Erkenntnis. Doch jahrzehntelang wurde aus dieser physiologischen Tatsache eine behandlungsstrategische Vorschrift gestrickt, die nun entzaubert ist. Die vermeintliche Überlegenheit der abendlichen Einnahme hat sich ebenso wenig bestätigt wie eine etwaige Unterlegenheit – und gerade darin liegt die Stärke der neuen Datenlage. Es ist die Absenz des Effekts, die therapeutische Freiheit schafft.
Diese Freiheit wird jedoch nicht überall gleich empfunden. In Pflegeeinrichtungen etwa ist sie ein wertvolles Organisationsinstrument, das Medikation und Tagesstruktur harmonisieren kann. In der ambulanten Versorgung ist sie ein Instrument zur Steigerung der Adhärenz – wer Medikamente dann nimmt, wenn es ihm passt, nimmt sie eher zuverlässig.
Was hingegen bleibt, ist die Pflicht zur Aufklärung. Wer glaubt, der Einnahmezeitpunkt sei nun völlig belanglos, verkennt die subtile Wirkung psychologischer Faktoren – etwa der Erwartungshaltung oder der Tagesform. Auch wenn die Uhrzeit keine messbaren Unterschiede in der Mortalität macht, kann sie in der Wahrnehmung des Patienten dennoch Wirkung entfalten – und sei es als Symbol für Selbstkontrolle oder Routine.
Diese emotionale Dimension der Arzneitherapie wird oft unterschätzt, ist aber gerade bei chronischen Erkrankungen wie Hypertonie ein nicht zu vernachlässigender Faktor. Insofern ist das vermeintliche Nullergebnis dieser Studien in Wahrheit ein doppelter Fortschritt: wissenschaftlich solide und menschlich befreiend.
Obicetrapib senkt LDL, blockiert CETP, greift Lp(a) an
Wie ein niederländischer Wirkstoff Studien überzeugt, Kombitherapien verändert und auf harte Endpunkte zielt
Obicetrapib könnte ein Meilenstein in der Lipidsenkung sein. Der CETP-Inhibitor aus den Labors von New Amsterdam Pharma erzielte in zwei randomisierten Phase-III-Studien klinisch relevante Senkungen des LDL-Cholesterins und des schwer zu behandelnden Lipoprotein a – zwei zentrale Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Trotz vorangegangener Misserfolge anderer CETP-Hemmer zeigte sich das oral verfügbare Präparat sowohl als Monotherapie als auch in Kombination mit Ezetimib als überraschend wirksam – bei gleichbleibend niedriger Nebenwirkungsrate.
In der BROADWAY-Studie, veröffentlicht im „New England Journal of Medicine“, erhielten 1686 Hochrisikopatienten entweder Obicetrapib oder Placebo zusätzlich zur maximal verträglichen lipidsenkenden Therapie. Nach 84 Tagen hatte sich der LDL-Spiegel in der Verumgruppe um durchschnittlich 29,9 Prozent reduziert – ein relativer Unterschied von 32,6 Prozentpunkten gegenüber Placebo. Auffällig: Auch die Lp(a)-Werte sanken signifikant, um bis zu 45 Prozent gegenüber dem Ausgangswert – eine Senkung, wie sie bislang kein anderes Präparat erzielen konnte.
Die parallele TANDEM-Studie mit 407 Probanden prüfte eine Fixkombination aus Obicetrapib und Ezetimib. Ergebnis: Die Kombination war der Monotherapie deutlich überlegen, erreichte eine LDL-Reduktion von knapp 49 Prozent und blieb auch in Bezug auf die Nebenwirkungsrate unauffällig. Zusätzlich präsentierte das Unternehmen auf dem EAS-Kongress in Lissabon eine gepoolte Auswertung, laut der sich durch Obicetrapib das relative Risiko für harte kardiovaskuläre Endpunkte um 21 Prozent senken ließ – ein erster, noch explorativer Hinweis auf den klinischen Nutzen jenseits der Lipidparameter.
Entscheidend für die Zulassung dürfte nun der Ausgang der laufenden PREVAIL-Studie sein. Seit März 2022 werden mehr als 9500 Probanden beobachtet, um die langfristige Wirksamkeit auf klinische Ereignisse wie Herzinfarkt, Schlaganfall und koronaren Tod zu evaluieren. Sollte sich die Wirkung bestätigen, würde mit Obicetrapib erstmals ein CETP-Inhibitor die regulatorische Hürde nehmen – und eine neue Ära der kardiometabolischen Therapie einläuten.
Die Lipidsenkung erlebt derzeit eine Renaissance – nicht mehr über aggressive Dosissteigerungen klassischer Statine, sondern über neue, gezielte Zusatzstrategien. Obicetrapib steht exemplarisch für diesen Paradigmenwechsel: ein Präparat mit gezielter CETP-Inhibition, niedriger Dosierung und hohem Potenzial zur Senkung sowohl des LDL als auch von Lp(a), dem bislang nahezu unbehandelbaren Marker mit genetischer Last. Was dem Vorgänger Torcetrapib durch Off-Target-Effekte und Mortalitätsanstieg zum Verhängnis wurde, scheint Obicetrapib auf molekularer Ebene überwunden zu haben.
Spannend ist die Synergie mit Ezetimib, die nicht nur in biochemischen Zielgrößen, sondern auch in der Verträglichkeit überzeugt. Dass das Unternehmen die wichtigsten Studiendaten gleichzeitig in The Lancet und NEJM unterbringt, unterstreicht die klinische Relevanz und signalisiert, dass der Wirkstoff ernst genommen wird – von der Forschung, den Fachgesellschaften und zunehmend auch von Zulassungsbehörden.
Die eigentliche Bewährungsprobe steht indes noch aus: Der harte Nachweis eines echten Nutzens auf die kardiovaskuläre Ereignisrate. Die 21-Prozent-Reduktion in der explorativen BROADWAY-Auswertung macht Hoffnung, ersetzt aber keine prospektiv validierte Endpunktanalyse. Erst die PREVAIL-Daten werden zeigen, ob Obicetrapib bloß ein weiteres Lipidwerkzeug oder ein Gamechanger in der Sekundärprävention wird.
Bis dahin darf spekuliert werden – nicht jedoch vorschnell gefeiert. Zu viele CETP-Hemmer sind auf halber Strecke gescheitert. Doch dieses Mal, so scheint es, könnte die Geschichte anders enden.
Genetische Präzision, therapeutischer Fortschritt, ethische Debatte
Wie Prime Editing das Erbgut punktgenau korrigiert, Patienten neue Hoffnung bringt und medizinische Grenzen neu verhandelt werden
Ein Meilenstein der Genommedizin rückt die Grenzen genetischer Präzision neu ab: Erstmals ist es gelungen, die hochexakte »Prime Editing«-Technologie bei einem Menschen therapeutisch einzusetzen. Der 18-jährige Patient litt an einer chronischen Granulomatose, einer potenziell tödlichen Immunerkrankung. Der Eingriff markiert den bisher weitreichendsten Einsatz einer neuen Generation genetischer Werkzeuge, die über klassische CRISPR/Cas-Techniken hinausgeht.
Während mit Exagamglogen Autotemcel (Casgevy®) zu Jahresbeginn bereits ein CRISPR-basiertes Gentherapeutikum zugelassen wurde, erschien vergangene Woche ein Beitrag im »New England Journal of Medicine« über den erfolgreichen Einsatz eines CRISPR-Baseneditors. Jetzt folgt die nächste Innovation – dokumentiert durch einen »News«-Artikel im Fachmagazin »Nature« –, bei der Prime Editing in einem klinischen Kontext erstmals zur Anwendung kam.
Die chronische Granulomatose (CGD) ist eine seltene, genetisch bedingte Erkrankung, bei der neutrophile Granulozyten nicht in der Lage sind, Krankheitserreger wirksam zu eliminieren. Bei dem behandelten Patienten wurde eine gentherapeutische Korrektur außerhalb des Körpers vorgenommen: Aus dem Blut isolierte hämatopoetische Stammzellen wurden ex vivo mit einem speziell entwickelten Prime-Editing-Komplex verändert und anschließend nach einer vorbereitenden Chemotherapie reinfundiert.
Prime Editing unterscheidet sich radikal vom bekannten CRISPR/Cas9-Prinzip. Statt Doppelstrangbrüche zu provozieren, arbeitet die Methode mit einer »Nickase«, einer abgewandelten Cas-Endonuklease, die lediglich einen DNA-Strang schneidet. In Verbindung mit einer Reversen Transkriptase und einer programmierbaren pegRNA (prime editing guide RNA) wird die genetische Veränderung mit chirurgischer Präzision in das Genom eingefügt.
Entwickelt wurde die Methode 2019 am Broad Institute in Boston durch das Team um Professor David R. Liu. Das Unternehmen Prime Medicine hat daraus nun die Therapie PM359 abgeleitet. Bereits vier Wochen nach der Transplantation zeigten rund zwei Drittel der neutrophilen Zellen wieder funktionsfähige Enzyme – ein Wert, der prognostisch für eine klinische Verbesserung ausreichen dürfte. Endgültige Ergebnisse werden jedoch erst nach einer Beobachtungszeit von mindestens sechs Monaten erwartet.
Mit dem Einsatz von Prime Editing rückt eine Ära personalisierter und punktgenauer Genkorrekturen in greifbare Nähe – ein Technologiesprung, der nicht nur die therapeutischen Möglichkeiten bei seltenen Erkrankungen transformieren könnte, sondern das Selbstverständnis von Gentherapie grundsätzlich neu definiert.
Was sich auf den ersten Blick liest wie ein wissenschaftliches Update, ist in Wahrheit eine Zäsur: Prime Editing beim Menschen – das ist nicht weniger als die praktische Eröffnung einer neuen Ära in der Medizin. Es geht nicht mehr um hypothetische Potenziale, sondern um vollzogene genetische Eingriffe mit chirurgischer Eleganz. Die Technologie selbst ist atemberaubend: kein Schnitt mehr durch das Erbgut, sondern gezielte molekulare Umschrift, sauber, leise, effizient.
Doch mit jedem Fortschritt wächst auch die moralische Fallhöhe. Der Schritt vom Labor zur Klinik ist kein rein technischer, sondern ein ethischer. Wer bestimmt, wann und bei wem solche Eingriffe vertretbar sind? Wie reguliert man eine Technologie, die nicht nur Krankheiten heilt, sondern potenziell auch Veranlagungen, Eigenschaften, vielleicht sogar Identitäten verändert?
Die Tatsache, dass der erste Patient ein Jugendlicher war, zeigt die Dringlichkeit und zugleich die Verletzlichkeit des Feldes. Es geht um Kinder, um Menschen mit seltenen Erkrankungen, um Hoffnung auf Heilung, aber auch um neue Risiken. Das Narrativ der »Genchirurgie« ist verlockend, doch es braucht eine klare Sprache und transparente Debatten, bevor es zur Routine wird.
Diese Verantwortung liegt nicht nur bei Regulatoren und Unternehmen, sondern auch in der Wissenschaftskommunikation. Prime Editing darf nicht zur nächsten Glorifizierungswelle medizinischer Wunder mutieren. Es braucht kritische Distanz, langfristige Studien und eine politische Rahmung, die Präzision nicht nur technisch versteht – sondern auch sozial und rechtlich.
Gebärmütter als Schlachtfelder, Wikingerinnen als Kämpferinnen, Archäologie als Politik
Wie Schwangerschaft zur Machtfrage wurde, historische Körper verschwanden und eine neue Sprache entsteht
Schwangere Körper galten lange als unsichtbar – nicht nur im politischen Diskurs, sondern auch in der archäologischen Forschung. Eine neue Studie rückt diese Marginalisierung nun ins Zentrum und beleuchtet am Beispiel der Wikingerzeit, wie Schwangerschaft kulturell geformt, symbolisch aufgeladen und machtpolitisch eingebettet war. Die Forscherinnen und Forscher argumentieren, dass es sich bei Schwangerschaft nicht um ein bloß biologisches Ereignis handelt, sondern um ein gesellschaftlich durchdrungenes Konzept, das Rückschlüsse auf soziale Ordnung, Identität und Machtstrukturen erlaubt.
Der Blick auf wikingerzeitliche Darstellungen schwangerer Frauen mit Helmen oder Schwertern, die einst als mythologische Ausschmückung galten, wird dabei neu interpretiert. Die These: Auch schwangere Körper hatten politische Wirkkraft und waren keineswegs auf das Private reduziert. Das gängige Bild der Kriegergesellschaft als männlich geprägtes Monopol gerät damit ins Wanken.
Gleichzeitig wirft die Studie Fragen zur historischen Abwesenheit schwangerer Körper in Gräberfeldern auf. Mutter-Kind-Bestattungen sind selten – obwohl die Sterblichkeit bei Geburt in vorindustriellen Zeiten hoch war. Die Forschergruppe vermutet, dass diese Körper absichtlich aus dem öffentlichen Erinnerungskanon ausgeschlossen wurden. Schwangerschaft, so ihre These, wurde systematisch entpolitisiert und unsichtbar gemacht – trotz ihrer fundamentalen Bedeutung für jede Gesellschaft.
Stattdessen plädieren die Autorinnen und Autoren für eine neue archäologische Sprache, die Schwangerschaft nicht länger als Nebenschauplatz des Weiblichen behandelt, sondern als ontologische Zäsur begreift – als Moment, in dem sich Verwandtschaft, Staatsräson, Identität und Lebenserzählung neu formieren. Die Politik, so die Schlussfolgerung, fand nicht nur auf dem Schlachtfeld oder in der Herrscherhalle statt, sondern auch im Uterus.
Es ist ein erstaunliches Defizit: Die Archäologie – eine Disziplin, die Knochen zählt, Grabbeigaben katalogisiert und aus Bruchstücken ganze Weltbilder rekonstruiert – hat über Jahrzehnte hinweg die vielleicht bedeutendste Konstante jeder menschlichen Gesellschaft ignoriert: die Schwangerschaft. Was in dieser neuen Studie sichtbar wird, ist mehr als eine methodische Lücke. Es ist ein strukturelles Ausblenden eines existenziellen Zustands, der Gesellschaften formt, ohne je als eigenständiger Gegenstand betrachtet worden zu sein.
Der Blick auf Wikingerzeit und Schwangerschaft funktioniert dabei nicht als folkloristische Ergänzung zur männerdominierten Heldensaga. Vielmehr fordert die Studie eine radikale Umdeutung des archäologischen Denkens: Schwangerschaft wird zum Ort politischer Handlung, zum Brennpunkt symbolischer Ordnung, zur Arena von Macht – lange bevor das Kind geboren ist. Wenn schwangere Körper als kämpfende Subjekte dargestellt wurden, dann waren sie offenbar auch als Teil der sozialen Ordnung gedacht, nicht nur als Trägerinnen neuen Lebens.
Dass gleichzeitig kaum Spuren von Mutter-Kind-Bestattungen existieren, verweist auf einen zweiten blinden Fleck: das bewusste Unsichtbarmachen. Hier beginnt die Körperpolitik, von der die Autorinnen sprechen – und deren Tragweite weit über das Frühmittelalter hinausreicht. Denn was im 10. Jahrhundert ausgeblendet wurde, wirkt bis heute fort. Noch immer gilt Schwangerschaft in vielen politischen Debatten als private, weibliche Angelegenheit. Noch immer wird der Körper, der Gesellschaft ermöglicht, systematisch entpolitisiert.
Die Forderung nach einer neuen Sprache in der Archäologie ist daher mehr als akademischer Jargon. Sie ist ein Versuch, das Fundament der Gesellschaft sichtbar zu machen – nicht als Fußnote, sondern als Ursprung. Wer sich mit Macht auseinandersetzt, muss auch den Uterus ernst nehmen. Das ist keine Provokation, sondern wissenschaftliche Konsequenz.
Apotheken impfen Vertrauen, schließen Lücken, entlasten Strukturen
Wie die pharmazeutische Prävention neue Wege geht, Politik mitzieht und Ärzte Allianzen wagen müssen
»Wir helfen mit, wir ersetzen nicht« – mit dieser Formel brachte ABDA-Vize Ina Lucas die Rolle der Apotheken beim Impfen auf den Punkt. Beim AByou-Future Lab in Berlin wurde das Thema »Apotheke als Präventionsplattform« nicht nur diskutiert, sondern strategisch weitergedacht. Politik, Krankenkassen, Industrie und Apothekerschaft zeigten sich einig: Das Impfen in Apotheken ist kein Nebenkriegsschauplatz, sondern ein struktureller Beitrag zur gesamtgesellschaftlichen Gesundheitsvorsorge – und es muss deutlich ausgeweitet werden.
Georg Kippels, CDU-Gesundheitspolitiker und parlamentarischer Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, schlug in der Nachmittagssession einen versöhnlichen Ton an. In Nordrhein-Westfalen habe es vielversprechende Pilotprojekte gegeben, die belegten, wie erfolgreich Apotheken zur Erhöhung der Impfquote beitragen können. Für Kippels ist Prävention nicht länger eine rhetorische Pflichtübung, sondern eine reale Versorgungsetappe. Die Apotheken spielten dabei eine filternde und aufklärende Rolle im dreistufigen Versorgungspfad – nach seiner Vorstellung beginnend mit der Apotheke, übergehend in die ambulante Versorgung und abschließend in die stationäre Versorgung. Der Gesetzgeber, so Kippels, sei gut beraten, dieser Entwicklung nicht im Weg zu stehen.
Lucas wiederum plädierte für eine sachliche Perspektive: »Impflücken sind für alle da.« Die Apotheken wollten niemandem Kompetenzen abspenstig machen, sondern Lücken schließen – gemeinsam mit der Ärzteschaft, nicht gegen sie. Gerade wenn Deutschland bei den Impfquoten zu Ländern wie Irland oder Portugal aufschließen wolle, sei Bewegung nötig, nicht Blockade.
Doch noch sind die Zahlen überschaubar. Lediglich ein Prozent der Impfungen bei TK-Versicherten wurde laut Tim Steimle, Arzneimittelchef der Techniker Krankenkasse, in Apotheken durchgeführt – aber die Dynamik stimme. Die Techniker bleibe Partnerin bei allen qualitätsgesicherten Projekten.
Pfizer-Manager Ramin Heydarpour erinnerte daran, dass der internationale Vergleich klar sei: Sobald Apotheken ins Impfgeschehen eingebunden würden, stiegen auch die Impfquoten in den Praxen. In Irland sei dies um acht Prozent messbar gewesen. Für ihn ein klares Signal, dass mehr Impfpunkte die Gesamtversorgung stärken – und nicht segmentieren.
Einigkeit bestand schließlich darin, dass die Digitalisierung eine unterstützende Rolle spielen müsse, um Prävention niedrigschwellig, dokumentierbar und sicher zu machen. Noch gebe es »Anbahnungsschwierigkeiten«, so Kippels – aber daran dürfe das Projekt »Apotheke als Impfplattform« nicht scheitern.
Die Impfung in Apotheken ist längst kein Experiment mehr, sondern eine strukturpolitische Notwendigkeit. Was früher als Notlösung begann, entwickelt sich heute zur festen Säule einer pluralen Gesundheitsvorsorge. Dass dabei nach wie vor Vorbehalte existieren, insbesondere aus ärztlichen Reihen, ist verständlich – aber kein Argument gegen Kooperation, sondern für kluge Abstimmung. Die ABDA macht das inzwischen mit wohltuender Deutlichkeit klar: Die Apotheken wollen nicht ersetzen, sie wollen ergänzen. Gerade dieser Anspruch – Hilfe statt Verdrängung – kann das System befrieden und gleichzeitig modernisieren.
Staatssekretär Kippels hat recht, wenn er das Impfen in Apotheken nicht nur pragmatisch, sondern konzeptionell denkt. Die Versorgungskette beginnt nicht erst im Wartezimmer einer Arztpraxis, sondern bereits an der Apothekentheke. Hier entscheidet sich, ob Menschen informiert, motiviert und geschützt werden – oder eben nicht. Das Modell Irland zeigt eindrucksvoll: Mehr Impfpunkte erhöhen nicht nur die Reichweite, sondern auch die Gesamtbeteiligung aller Berufsgruppen.
Dass die Zahlen noch niedrig sind, sollte nicht entmutigen. Entscheidend ist die Richtung, nicht das Zwischenresultat. Und die Richtung stimmt. Die TK, Pfizer und auch das BMG erkennen das Potenzial – und wenn jetzt auch die Ärztekammern mutig genug sind, das Gemeinsame über das Besitzstanddenken zu stellen, dann kann das gelingen: ein multiprofessionelles Impfnetz, das Lücken schließt, statt neue Gräben aufzureißen.
Von Engin Günder, Fachjournalist
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