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APOTHEKE | Medienspiegel & Presse |
Verpasste Fristen, transatlantische Spannungen, zerbrechende Versorgungsmodelle: Die digitale Verschleppung des T-Rezepts reiht sich ein in eine Reihe systemischer Dysbalancen, die nicht nur nationale Gesundheitsziele, sondern auch globale Debatten zur Gerechtigkeit im Arzneimittelmarkt überlagern. Während die Bundesregierung die Einführung des E-T-Rezepts auf unbestimmte Zeit vertagt und sie mit dem verzögerten BtM-E-Rezept verknüpft, droht dem Digitalisierungspfad der Gesundheitsversorgung ein weiterer Reputationsverlust. Zeitgleich verschärft sich die internationale Preisdiskussion um Medikamente, befeuert durch Donald Trumps Angriffe auf europäische Regulierungspolitik – die Josef Hecken öffentlichkeitswirksam kontert. Hinter den scharfen Formulierungen steht ein tiefer Konflikt: Wieviel Staat verträgt der Markt? Und wieviel Markt verträgt das Patientenwohl? Derweil versucht Bundesfinanzminister Klingbeil, mit seinem neuen Haushaltsentwurf den Drahtseilakt zwischen Zukunftsinvestitionen und Sparzwang zu meistern, während sich Apotheken als letzte Vertrauensinstanz in einem kriselnden Gesundheitssystem behaupten müssen. Neue Spannungen entstehen auch im ärztlich-apothekerlichen Verhältnis: Das Abda-Zukunftskonzept provoziert Widerstand bei der KBV – und ein Berliner Apotheker geht mit einem Approbationsverzicht aus Gewissensgründen einen drastischen Weg. Parallel setzt Gesundheitsministerin Nina Warken erste Signale mit einem geplanten Lachgasverbot, während das Neugeborenen-Screening zum Hoffnungsträger präventiver Medizin wird.
Elektronisches T-Rezept erneut verschoben
Gematik bestätigt Zeitverzug – BMG koppelt Einführung an das BtM-E-Rezept
Die Einführung des elektronischen T-Rezepts wird verschoben – erneut. Eigentlich sollte die verpflichtende Nutzung dieses besonders sensiblen Verordnungstyps zum 1. Juli 2025 in Kraft treten. Doch das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hat nun eingeräumt, dass die technischen Voraussetzungen dafür nicht rechtzeitig gegeben sein werden. Stattdessen soll das E-T-Rezept nun gemeinsam mit dem ebenfalls verzögerten E-Rezept für Betäubungsmittel (BtM) eingeführt werden – ein neues Datum bleibt allerdings offen.
In einem internen Schreiben an die Gesellschafter der Gematik, das dem aktuellen Projektstand vorausging, hatte das BMG bereits durchblicken lassen, dass die vorgesehene Frist nicht zu halten sei. Zwar seien die Spezifikationen für das T-Rezept nahezu abgeschlossen und befinden sich in der finalen Kommentierungsphase, doch die vollständige technische Umsetzbarkeit bis Juli 2025 sei laut Einschätzung der Gematik „nicht realistisch“.
Diese Einschätzung kommt nicht überraschend. Bereits im August 2024 hatten sich Hinweise auf strukturelle Verzögerungen bei der parallelen Entwicklung des E-BtM-Rezepts verdichtet. Damals berichtete die „Pharmazeutische Zeitung“ über Engpässe beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Die damalige Aussage: Es fehle schlicht am Geld. Diese Information wurde im Oktober 2024 durch das BMG selbst bestätigt. So seien im Haushaltsjahr 2025 keine Mittel für die technische Umsetzung des BtM-E-Rezepts eingeplant.
Für die Apothekerschaft bedeutet das eine weitere Phase der Unsicherheit. Insbesondere die ABDA hatte bereits frühzeitig vor einem übereilten Start gewarnt. Die vorgesehenen Änderungen der Verordnungspraxis – etwa die elektronische Umsetzung verpflichtender Aufklärungshinweise bei Hochrisikostoffen – seien weder praktikabel noch retaxsicher. Divergierende Vorgaben hätten demnach eher neue Haftungsrisiken als Sicherheit erzeugt.
Hintergrund des elektronischen T-Rezepts ist die Verordnung besonders teratogener Wirkstoffe – insbesondere Thalidomid, Lenalidomid und Pomalidomid. Für diese Substanzen gelten strenge Auflagen zur Dokumentation von Aufklärung, Schwangerschaftsverhütung und Gültigkeitszeitraum. Bislang werden sie auf einem speziellen Musterformular ausgestellt. Die digitale Überführung dieses Systems erfordert deshalb nicht nur technische Präzision, sondern auch eine rechtssichere Einbindung der Kontrollmechanismen in bestehende TI-Strukturen.
Das BMG kündigte an, nach Abschluss der Spezifikationskommentierung gemeinsam mit der Gematik einen neuen Zeitplan vorzulegen. Einen konkreten Termin für die verpflichtende Einführung nannte das Ministerium nicht. Fest steht nur: Der Zeitplan aus § 360 Abs. 2 Satz 2 SGB V ist vorerst außer Kraft gesetzt.
Die Verschiebung des elektronischen T-Rezepts ist mehr als nur eine weitere technische Verzögerung. Sie steht exemplarisch für die tiefer liegenden Systemschwächen in der digitalen Gesundheitsverwaltung: Priorisierungsprobleme, unzureichend ausgestattete Bundesbehörden, fehlende Mittel – und ein Ministerium, das zunehmend auf Sicht fährt.
Dass das BMG den Startpunkt des E-T-Rezepts jetzt mit dem ohnehin verzögerten E-BtM-Rezept verknüpft, mag aus Projektsicht sinnvoll erscheinen. Politisch jedoch wirkt es wie ein Eingeständnis der Überforderung. Denn beide Verordnungstypen gehören zu den sensibelsten und haftungsintensivsten im System. Sie verlangen nach durchdachten, rechtssicheren Lösungen – keine Kompromisse unter Zeitdruck.
Erneut zeigt sich: Die Digitalisierung der Arzneimittelverordnung ist kein technischer Automatismus. Sie ist ein hochkomplexes Regelwerk, das nur dann funktionieren kann, wenn regulatorische, medizinische und technische Aspekte gleichzeitig gedacht und finanziell hinterlegt werden.
Ohne neue Ressourcen, klare Zuständigkeiten und politische Verbindlichkeit bleiben ambitionierte Zeitpläne leere Formulare.
Preis als Politikum, Markt als Bühne, Sozialismus als Vorwurf
Wie Hecken Trumps Angriffe entkräftet, Europa sich behauptet und Gesundheitsmodelle auf dem Prüfstand stehen
Josef Hecken, Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), hat in einem Interview mit dem Magazin „Capital“ ungewöhnlich offen und pointiert auf die jüngsten Pläne des damaligen US-Präsidenten Donald Trump zur radikalen Senkung von Arzneimittelpreisen reagiert. Dass Trump die Medikamentenkosten in den USA drastisch reduzieren will – um bis zu 90 Prozent –, findet Hecken in Teilen nachvollziehbar. Doch dass der Republikaner gleichzeitig Europa und insbesondere Deutschland sozialistischer Methoden bezichtigt, lässt Hecken nicht unwidersprochen: „Trump selbst will den Preis des billigsten Landes übernehmen. Das klingt für mich eher nach sozialistischer Planwirtschaft.“
Mit dieser Spitze setzt Hecken ein Kontrapunkt zur transatlantischen Verzerrung gesundheitspolitischer Realitäten. Während Trump europäische Preisstrukturen als Beleg für Staatsdirigismus brandmarkt, sieht Hecken darin einen Ausdruck solidarischer Gesundheitsfinanzierung. Die von Trump ins Spiel gebrachte „Most Favored Nation“-Strategie, bei der sich die USA an den Preisen von Ländern wie Deutschland oder Japan orientieren sollen, sei in ihrer Zielsetzung verständlich – aber in der Umsetzung sowohl juristisch fragwürdig als auch marktwirtschaftlich widersprüchlich.
Hecken hebt hervor, dass es in den USA viele Patienten gebe, die wegen hoher Eigenanteile ihr Vermögen aufbrauchen müssten, um etwa Krebsbehandlungen zu bezahlen. Eine Orientierung an realistischeren Preisstrukturen könne das System dort zwar kurzfristig stabilisieren, stelle aber keine strukturelle Gesundheitsreform dar. Vielmehr offenbare Trumps Ansatz, dass auch ein Land mit extrem marktwirtschaftlichem Gesundheitswesen nicht um staatliche Preisinterventionen herumkommt, wenn die Versorgungssicherheit gefährdet ist.
Vor allem wendet sich Hecken gegen die Behauptung, dass europäische Arzneimittelpreise infolge sinkender US-Preise explodieren würden. Das sei reine „Angstmache“, die bewusst mit ökonomischen Drohkulissen arbeite. In Deutschland etwa setze das AMNOG-System klare Rahmenbedingungen: Der Preis eines Medikaments orientiert sich an seinem tatsächlichen Nutzen. Selbst eine Rückzugsstrategie von Herstellern aus niedrigpreisigen Märkten, um globale Preisanker zu vermeiden, sieht Hecken gelassen.
Die Bundesrepublik, so der G-BA-Chef, bleibe für Pharmaunternehmen aus mehreren Gründen ein attraktiver Markt. Zum einen werde hier trotz Preisregulierung viel gezahlt – insbesondere bei Orphan Drugs und Onkologika. Zum anderen zeige die Marktdurchdringung nach EMA-Zulassung, wie schnell neue Arzneimittel in Deutschland verfügbar seien: 89 Prozent der Orphan Drugs und 96 Prozent der Krebsmedikamente seien binnen 45 Tagen nach Zulassung auf dem Markt.
Dieser Befund widerspricht auch der Vorstellung, ein reguliertes Preisumfeld sei innovationsfeindlich. Im Gegenteil: Die Industrie nutze Deutschland als frühen Markt mit hohem Ertragspotenzial – eine paradoxe Symbiose aus Regulierung und Rendite, die im US-Kontext kaum verstanden werde.
In der Debatte um Preisgerechtigkeit, Systemstruktur und Marktlogik zeichnet sich damit eine tiefer liegende Diskrepanz ab: Während Europa auf solidarisch geprägte Modelle mit Nutzenbewertungen und Preisverhandlungen setzt, hangelt sich die US-Politik zwischen Marktdogma und populistischer Interventionsrhetorik.
Heckens Aussagen machen deutlich: Nicht jedes Land, das Preise aushandelt, ist automatisch sozialistisch – und nicht jeder, der den billigsten Preis kopiert, handelt marktwirtschaftlich.
Trumps jüngste Tirade gegen europäische Arzneimittelpreise und deren „sozialistische“ Herkunftsmechanik ist nicht nur analytisch schwach, sondern politisch durchsichtig. Es geht nicht um Systemkritik – es geht um Schuldzuweisung.
Die US-Arzneimittelpreise sind ein globales Problem – nicht wegen Europas Rabattpolitik, sondern wegen der Markterlaubnis zur grenzenlosen Preisgestaltung. Wenn Patienten Häuser verkaufen müssen, um Therapien zu finanzieren, spricht das nicht gegen Europa, sondern gegen ein System, das Versorgung vom Einkommen entkoppelt.
Hecken bringt es auf den Punkt: Wer den Preis des günstigsten Landes kopieren will, kann schlecht gleichzeitig den moralischen Zeigefinger gegen staatliche Regulierung heben. Das ist widersprüchlich – und politisch nicht belastbar.
Der Versuch, mit der „Most Favored Nation“-Strategie externe Preisanker zu importieren, entlarvt nicht Europas Modell als problematisch, sondern das US-System als instabil. Es braucht dort nicht mehr Markt – es braucht mehr Struktur.
Und Europa? Sollte sich nicht in die Ecke drängen lassen. Der Preis eines Medikaments ist keine Handelsware wie jede andere – er ist eine Frage der Verteilungsgerechtigkeit. Wer Nutzen bewertet und Preise verhandelt, handelt nicht sozialistisch – er übernimmt Verantwortung.
Rotstift im Kern, Zukunft auf Kredit
Wie Klingbeil den Haushalt strafft und zugleich Milliarden investiert
Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) hat jedes Ressort dazu verpflichtet, für den Etat 2025 nachweisbare Einsparvorschläge vorzulegen. Er begründet das mit der Gefahr, dass die Lockerung der Schuldenbremse als „Ruhekissen“ missverstanden werden könne. Das Sondervermögen in Höhe von 500 Milliarden Euro bleibe strikt auf Zukunftsinvestitionen beschränkt und dürfe keine laufenden Haushaltslücken schließen.
Der Zeitplan ist knapp bemessen. Am 25. Juni will Klingbeil den Entwurf des Bundeshaushalts 2025 im Kabinett verabschieden lassen. Noch vor der Sommerpause soll der Bundestag in erster Lesung beraten; die Endabstimmung ist für September vorgesehen. Bis dahin gilt weiterhin eine vorläufige Haushaltsführung, die größere Ausgabenbindungen nur eingeschränkt erlaubt.
Zusätzlichen Druck erzeugt die Steuerschätzung vom Mai 2025. Für Bund, Länder und Kommunen werden bis 2029 insgesamt mehr als 80 Milliarden Euro weniger Einnahmen erwartet als noch in der Oktober-Prognose 2024. Für das Jahr 2025 rechnet der Bund mit rund 600 Millionen Euro Mindereinnahmen, für 2026 mit gut zehn Milliarden.
Trotz der Sparvorgaben kündigte Klingbeil an, die defizitäre gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung in diesem Jahr über eine einmalige Steuerzufuhr zu stabilisieren. Die Höhe bleibt offen; der Minister bezeichnet die Maßnahme als Überbrückung, bis Strukturreformen greifen.
Fachleute verweisen darauf, dass vor allem die großen Ausgabeblöcke – Arbeit, Verkehr und Familie – signifikante Kürzungen beisteuern müssten, um das Konsolidierungsziel zu erreichen. Oppositionsparteien warnen vor Einschnitten bei sozialen Leistungen, während Wirtschaftsverbände mangelnde Prioritätensetzung kritisieren.
Klingbeil verfolgt einen doppelten Kurs aus Disziplin und Investition. Er setzt auf die symbolische Kraft eines durchkalkulierten Kernhaushalts, während er parallel gigantische Zukunftsprojekte außerhalb der Schuldenregel finanziert. Dieses Spannungsfeld zwischen strenger Konsolidierung und kreditfinanziertem Gestaltungsanspruch verlangt politische Präzision: Gelingt es, klare Prioritäten offenzulegen und bei den Ressorts durchzusetzen, könnte der Haushalt 2025 zum Modell werden, wie man Investitionen trotz Schuldenbremse absichert. Scheitert die Umsetzung, drohen Nachtragsetats und Vertrauensverluste – vor allem an den Kapitalmärkten, die auf Fiskalstringenz pochen.
Klingbeil wagt den Spagat zwischen harter Ausgabendisziplin und kreditfinanzierter Zukunftssicherung. Sein Ansatz lebt davon, zwei scheinbar gegensätzliche Botschaften gleichzeitig glaubhaft zu vermitteln: Im Kernhaushalt wird jede überflüssige Ausgabe gestrichen, während parallel milliardenschwere Investitionen den Weg in die Transformation ebnen sollen.
Gelingen kann dieser Balanceakt nur, wenn die Regierung ihre Prioritäten radikal offenlegt und unbequeme Wahrheiten nicht verschweigt. Wo gekürzt wird, spüren Bürgerinnen und Bürger den Verzicht unmittelbar – das verlangt politische Ehrlichkeit statt beruhigender Formelkompromisse.
Das Sondervermögen gewinnt Legitimität ausschließlich durch Transparenz: Jedes Projekt muss klar benennen, welchen Nutzen es wann stiftet und warum es ohne Ausnahme aus der Schuldenbremse herausgelöst wird. Bleibt diese Gegenrechnung nebulös, nährt das den Verdacht, die Bremse werde über Nebenhaushalte unterlaufen.
Am Ende entscheidet sich Klingbeils Erfolg daran, ob er eine verständliche Erzählung liefert, warum temporärer Verzicht heute das bessere Morgen finanziert. Scheitert die Kommunikation oder bröckelt die Haushaltsdisziplin in den Ressorts, bleibt vom Sparappell nur der Eindruck doppelter Bücher – und eine Regierung, deren Glaubwürdigkeit auf offener Bühne erodiert.
Preise, Patente, Patientenwohl
Wie die Pharmaindustrie zwischen politischem Spardruck, ethischer Verantwortung und systemischer Schieflage balanciert
Wie die pharmazeutische Industrie zwischen Innovationsdruck, Systemkosten und Versorgungspflicht zerrieben wird, demonstriert das Doppelinterview mit Oliver Kirst und Kai Joachimsen auf erschreckend eindrückliche Weise. Die neue Bundesregierung will Pharma zum Leitindustriezweig adeln, während die Kassen Alarm schlagen und Sparprogramme fordern. Der Zielkonflikt ist offensichtlich – doch die Antworten der Industrie sind komplexer als der Reflex der Politik.
Kirst bringt es auf den Punkt: Exporte in die USA sind für viele Hersteller essenziell, doch Handelskonflikte bedrohen Produktionsketten und Arzneimittelverfügbarkeit. Die Sorge um Zölle ist nicht ideologisch, sondern pragmatisch begründet. Parallel droht auf nationaler Ebene ein Überdrehen der Sparschraube. Joachimsen warnt vor einem "pathologischen Reflex" der Politik, die Arzneimittelausgaben zum Sündenbock zu machen – obwohl sie nur elf Prozent der Gesundheitskosten ausmachen. Der strukturelle Fehler liegt tiefer.
Anstelle pauschaler Einschnitte fordern beide BPI-Vertreter systemische Reformen. Kirst verweist auf massive Ineffizienzen durch Schnittstellenprobleme zwischen stationärer und ambulanter Versorgung sowie den mangelnden Digitalisierungsgrad. Joachimsen ergänzt: Wer Forschung und Entwicklung fordert, muss auch die Bedingungen schaffen, unter denen sie sich lohnt. Statt überbürokratisierter Regulierungen braucht es funktionale Marktzugangsprozesse.
Zugleich bleibt die Hochpreisfrage brisant. Kirst verteidigt seltene, hochpreisige Arzneimittel mit dem Argument patientenethischer Gleichwertigkeit: Auch 150 Erkrankte haben Anspruch auf Versorgung. Zugleich plädiert er für Pay-for-Performance-Modelle: Der Nutzen müsse ökonomisch wie klinisch evaluiert werden. Joachimsen verweist auf Erkrankungen wie Mukoviszidose, bei denen neue Therapieansätze über Leben und Tod entscheiden – doch sie brauchen Investitionssicherheit.
Was dem Hochpreiser-Diskurs gegenübersteht, ist der ruinös regulierte Generikamarkt. Schmerzmittel, Diuretika, Antihypertensiva lassen sich in Deutschland kaum noch produzieren. Joachimsen nennt 30 Preismechanismen als Folge regulatorischer Übersteuerung. Die Folge: Lieferengpässe, die Versorgungssicherheit untergraben. Kirst bringt Reformvorschläge: Ausschreibungen nur bei ausreichendem Wettbewerb, mit Mehrfachvergabe und Standorteinbindung. Einfache Formel: Systemrelevante Medikamente dürfen nicht zur Disposition stehen.
Die Angriffe auf die Apothekenpflicht durch Handelsketten lehnt Kirst ab: Selbstmedikation brauche Beratung, die nur eine Apotheke leisten könne. Aufklärung gehöre in die Schule, nicht ins Google-Ergebnis. Der Apotheker bleibt der menschliche Filter gegen medizinisches Halb- und Fehlwissen. Auch das Thema Versandhandel wird nicht romantisiert, sondern realistisch betrachtet: Er wird bleiben, aber nicht zur tragenden Säule der Versorgung.
Insgesamt wird klar: Der Ruf nach einfachen Antworten führt ins Leere. Die pharmazeutische Industrie sucht nicht nach Entlastung, sondern nach einem funktionierenden Rahmen. Was sie fordert, ist ein Ende des reflexhaften Sparens und der Beginn einer durchdachten Industrie- und Gesundheitspolitik, die Versorgungssicherheit, Innovationskraft und Wirtschaftlichkeit in Einklang bringt.
Es ist ein fatales Missverständnis der politischen Debatte, Hochpreiser-Arzneimittel als Auslöser der Kostenkrise im Gesundheitswesen zu markieren. Was wie ein plausibler Erklärungsversuch erscheint – „weniger neue, teure Medikamente, mehr finanzielle Entlastung“ – ist in Wahrheit ein Symptom einer wesentlich tieferliegenden Dysfunktion: Die Preisfrage dient als rhetorischer Notausgang aus einer Systemdebatte, die niemand führen will. Denn dort, wo das Gesundheitswesen wirklich krank ist – bei der Verschränkung von Versorgungsebenen, bei der Vernachlässigung präventiver Strukturen, bei der völligen digitalen Rückständigkeit –, dort verlangt es politischen Mut statt Sparreflexe.
Die Aussagen von Kirst und Joachimsen sind deshalb nicht als Verteidigung hoher Preise zu lesen, sondern als Plädoyer für Rationalität. Niemand fordert ein Freihandelsabkommen für Pharma ohne Kontrollinstanz. Aber die Realität der personalisierten Medizin, der Orphan-Drug-Entwicklung oder der risikobehafteten F&E-Prozesse lässt sich nicht mit Bürokratiemechanik aus der Ära der Blocktherapie regulieren. Preis darf nicht länger mit Willkür und Mengenrabatt verwechselt werden.
Gleichzeitig wird sichtbar: Wo der Staat über Jahre den Generikamarkt auf Effizienz trimmt, produziert er Knappheit. Wo Apotheken durch Versandlogik ersetzt werden sollen, geht Beratung verloren. Wo Hersteller international auf Kosten kalkulieren, aber national reguliert werden, verlieren sie den Standort Deutschland. Die vermeintliche Antwort – noch mehr Rabattverträge, noch engere Ausschreibungszyklen – ist das genaue Gegenteil dessen, was jetzt gebraucht wird: Versorgungssicherheit, Investitionsbereitschaft und politische Verlässlichkeit.
Wenn die Ampelregierung tatsächlich meint, Pharma zur Leitindustrie erklären zu können, dann wird sie sich daran messen lassen müssen, ob sie nicht nur Förderpläne formuliert, sondern auch Bremsklötze entfernt. Die Zukunft der Arzneimittelversorgung wird nicht in Preisverhandlungen entschieden, sondern in der Fähigkeit, Innovation, Gerechtigkeit und Sicherheit in ein neues Gleichgewicht zu bringen. Der politische Diskurs steht erst ganz am Anfang. Aber er muss geführt werden – mit offenem Visier, differenzierter Sprache und einem klaren Ziel: ein nachhaltiges, menschliches, ökonomisch tragfähiges Gesundheitssystem.
Zwischen Nähe, Notdienst und Notwendigkeit
KBV-Vize warnt vor Fehldeutungen des Abda-Zukunftspapiers – und sieht Grenzen ärztlicher Delegation klar überschritten
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) betrachtet das kürzlich vorgestellte Zukunftskonzept der Abda mit einem differenzierten Blick: Während der Dialog zwischen Ärzteschaft und Apothekern als tragende Säule der ambulanten Versorgung betont wird, stößt die angestrebte Erweiterung apothekerlicher Kompetenzen auf deutliche Kritik. In einem ausführlichen Gespräch mit KBV-Vize Dr. Stephan Hofmeister wird klar: Die geplante Abgabe rezeptpflichtiger Arzneimittel ohne vorherige ärztliche Konsultation, etwa im Rahmen von Notdienstsituationen oder bei Bagatellerkrankungen, widerspricht aus Sicht der KBV zentralen Prinzipien ärztlicher Verantwortung.
Hofmeister verweist auf bestehende Regelungen bei Ausnahmesituationen – etwa zur Versorgung mit OTC-Präparaten bei Feiertagen oder zur Überbrückung laufender Dauermedikation –, mahnt jedoch eine konsequente Abgrenzung an. Der Vorstoß der Abda, Apotheken im Notdienst zu einem eigenständigen Interventionsakteur bei Harnwegsinfekten oder Augenentzündungen zu machen, greife nicht nur in ärztliche Entscheidungsprozesse ein, sondern ignoriere auch Leitlinien zur rationalen Arzneimitteltherapie.
Gleichzeitig kündigt Hofmeister an, die KBV werde der Bundesregierung ein Konzept zur verbesserten Patientensteuerung vorlegen. Über die bundesweite Notdienstnummer 116117 sollen Hilfesuchende künftig vorab einer geeigneten Versorgungsebene zugewiesen werden. Apotheken könnten darin eine unterstützende Rolle einnehmen – jedoch stets im Anschluss an ärztliche Indikationsstellungen. Eine digitale Integration sei über die bestehende Telematikinfrastruktur sowie den elektronischen Medikationsplan möglich.
Die Abda-Idee, Apotheken verstärkt mit Screening- und Präventionsaufgaben zu betrauen, hält Hofmeister für einen wenig nachhaltigen Versuch, sich vom Versandhandel abzuheben. Technische Möglichkeiten zur Selbstvermessung machten derartige Dienste zunehmend entbehrlich. Der Wert der Präsenzapotheke liege nicht in neuen Leistungspaketen, sondern im persönlichen Austausch mit dem Arzneimittelexperten – in enger Abstimmung mit der behandelnden Praxis. Nur diese Zusammenarbeit könne eine funktionierende ambulante Versorgung sichern.
Die Apotheke der Zukunft darf kein Projekt aus der Schublade einzelner Verbände sein. Wer Versorgungsfragen neu sortieren will, muss nicht nur berufsständische Grenzen anerkennen, sondern vor allem die Realität ärztlicher Verantwortung ernst nehmen. Der Vorstoß der Abda, Apotheken zu eigenverantwortlichen Leistungserbringern in Diagnostik und Therapie zu erklären, droht die Versorgungslandschaft nicht zu entlasten, sondern zu verkomplizieren.
Natürlich: Apotheken sind systemrelevant, sie sind nah am Patienten, sie kompensieren Lücken, wo andere Strukturen scheitern. Doch Nähe ersetzt keine Diagnose. Und Versorgungssicherheit entsteht nicht durch Zuständigkeitsverlagerung, sondern durch reibungslose Kooperation. Gerade in Notdienstsituationen ist Klarheit entscheidend – nicht das Experimentieren mit Kompetenzgrenzen.
Hofmeister trifft einen wunden Punkt, wenn er darauf hinweist, dass auch ein unkomplizierter Infekt komplexe Folgen haben kann – wenn er falsch eingeschätzt wird. Wer also Apotheken mit Bagatellindikationen ausstattet, überträgt eine Verantwortung, die nicht delegiert, sondern nur wahrgenommen werden kann: durch den Arzt. Dass die KBV eine intelligent gesteuerte Patientenlenkung über 116117 forciert, ist deshalb kein Rückschritt, sondern ein Gebot der Versorgungslogik.
Was Apotheken retten kann, sind keine neuen Programme, sondern das Vertrauen, das sie genießen – und erhalten, wenn sie sich nicht an der Grenze zur Verordnungsmedizin verausgaben, sondern an ihrer Stärke arbeiten: kompetente, niedrigschwellige Arzneimittelberatung. Ohne Allmachtsfantasien.
Berliner Apotheker gibt Approbation aus Gewissensgründen ab
Gericht bekräftigt Kontrahierungszwang – persönliche Moral reicht nicht aus
Ein Berliner Apotheker hat angekündigt, seine Approbation freiwillig zurückzugeben – aus Protest gegen ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg, das ihn zur Abgabe der »Pille danach« verpflichtet. Der Mann, der seine Offizin bereits 2018 geschlossen hatte, sieht in der Entscheidung einen unauflösbaren Widerspruch zu seinem persönlichen Gewissen – und vollzieht damit einen drastischen Schritt, der im Apothekenwesen Seltenheitswert hat.
Im Zentrum der Auseinandersetzung steht ein Grundsatzurteil vom Juni des Vorjahres. Das Gericht hatte damals klargestellt, dass der Gewissensvorbehalt im Apothekenrecht enge Grenzen hat – selbst bei nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Für den Berufsstand der Apotheker bestehe eine umfassende Pflicht zur flächendeckenden Arzneimittelversorgung. Das Prinzip der Berufsfreiheit gelte zwar, dürfe aber nicht gegen den gesetzlichen Versorgungsauftrag ausgespielt werden.
Konkret sah das Gericht ein klares berufsrechtliches Fehlverhalten des Apothekers, der sich wiederholt geweigert hatte, die »Pille danach« abzugeben. Diese sei ein zulassungsrechtlich geprüftes, apothekenpflichtiges Arzneimittel – die Abgabe dürfe daher nicht an persönlichen Überzeugungen scheitern. Durch das Apothekenmonopol und den Kontrahierungszwang gemäß § 43 Abs. 1 AMG sei ein Rückzug auf Gewissensgründe nicht mit dem Versorgungsauftrag vereinbar, hieß es in der Urteilsbegründung.
Das Oberverwaltungsgericht ließ jedoch eine theoretische Alternative zu: Ein Apothekeninhaber könne sich im Einzelfall auf Angestellte stützen, die das Präparat abgeben – müsse dies aber organisatorisch sicherstellen. Wer weder selbst noch durch Mitarbeitende zur Abgabe bereit sei, dürfe »in letzter Konsequenz nicht länger als selbstständiger Apotheker tätig sein«, so das Urteil.
Der betroffene Apotheker reagierte nun mit einem ungewöhnlichen Schritt: Er forderte die Rücknahme seiner Approbation – einem Akt gleichkommend, der über den bloßen Rückzug aus der Praxis hinausgeht. Formal liegt die Zuständigkeit dafür beim Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin (LAGeSo), das auf Antrag tätig wird. Für den Apotheker hat die Rückgabe vor allem symbolische Bedeutung. Da seine Apotheke längst geschlossen ist, entfällt nun lediglich die Pflicht zur Mitgliedschaft in der Apothekerkammer Berlin – inklusive Beitragszahlung.
Die Debatte um moralische Vorbehalte bei rezeptfreien Notfallkontrazeptiva ist nicht neu, erhält durch diesen Fall jedoch neuen juristischen Nachdruck. Das Urteil gilt als richtungsweisend für ähnliche Gewissenskonflikte im Apothekenwesen und unterstreicht die Grenzen individueller Moral im Spannungsfeld zur staatlich geregelten Arzneimittelversorgung.
Der Schritt des Berliner Apothekers ist bemerkenswert – nicht wegen seines Rücktritts, sondern wegen der juristischen Klarheit, die er provoziert hat. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg ist mehr als nur eine Entscheidung über die »Pille danach«. Es markiert eine Grenzziehung zwischen individueller Moral und staatlicher Versorgungsverantwortung – und diese Grenzziehung fällt eindeutig aus.
Dass Apotheker nicht einfach »nein« sagen können, wenn sie mit Arzneimitteln nicht einverstanden sind, mag für manche wie eine Zumutung wirken. Doch genau darin liegt die Essenz eines funktionierenden Gesundheitswesens: Es basiert auf Rechtsverbindlichkeit, nicht auf persönlicher Überzeugung. Die »Pille danach« ist legal, zugelassen, wirksam – also muss sie auch abgegeben werden. Wer das nicht will, darf diesen Beruf nicht ausüben. So hart, so klar.
Der Apotheker hat seine Konsequenz gezogen, indem er nicht nur seine Apotheke geschlossen, sondern auch die Approbation zurückgegeben hat. Damit unterstreicht er, wie tief der Konflikt für ihn reicht. Doch das Urteil bleibt davon unberührt. Denn in einem System mit Apothekenmonopol und staatlich garantierter Versorgung darf es keine moralischen Sonderzonen geben. Gewissen ist Privatsache – die Arzneimittelversorgung nicht.
Explosiver Einstieg ins Amt
Wie Nina Warken Lachgas verbieten, K.O.-Tropfen kriminalisieren und Jugendrisiken gesetzlich kontrollieren will
Kaum im Amt, kündigt Bundesgesundheitsministerin Nina Warken ein Gesetzespaket an, das nicht nur als medienwirksame Maßnahme, sondern auch als politische Positionsmarkierung verstanden werden kann: Ein Verbot des freien Verkaufs von Lachgas, das von Jugendlichen zunehmend als Partydroge missbraucht wird. Warken will damit eine Gesetzeslücke schließen, die bislang durch die fehlende Regulierung von Distickstoffmonoxid als Freizeitmittel bestand. Besonders der Versandhandel und Automatenverkauf sollen untersagt, die Abgabe an Minderjährige konsequent unterbunden werden.
Lachgas – medizinisch als Anästhetikum und in der Lebensmittelindustrie als Treibgas eingesetzt – hat sich in den letzten Jahren zu einer unterschätzten Substanz mit riskantem Freizeitgebrauch entwickelt. Die gesundheitlichen Gefahren reichen laut Warken von Kälteschäden an Lippen und Lungen über Bewusstlosigkeit bis zu neurologischen Spätschäden. Sie verweist auf die drastisch zunehmende Zahl jugendlicher Konsumenten, besonders in urbanen Gebieten, und kündigt die Vorlage eines Gesetzentwurfs im Bundeskabinett „so schnell wie möglich“ an. Inhaltlich lehnt sich Warkens Vorstoß eng an ein Konzept ihres Vorgängers Karl Lauterbach an – ungewöhnlich für eine CDU-Politikerin, die im Gegensatz zur Ampel eher für freiheitlich-konservative Regulierung steht.
Doch Warken geht noch weiter. Neben Lachgas will sie auch die Verfügbarkeit sogenannter K.O.-Tropfen einschränken. Der Missbrauch von GHB oder anderen bewusstseinsverändernden Substanzen in Getränken sei „ein eklatanter Angriff auf die körperliche Selbstbestimmung, den wir nicht weiter dulden“, so Warken. Ziel sei es, sowohl Produktion als auch Online-Handel gezielt zu überwachen und Verstöße strafrechtlich zu verfolgen. Die Industriechemikalien, deren Besitz bislang oft straffrei blieb, sollen künftig unter ein Kontrollregime ähnlich dem Betäubungsmittelgesetz gestellt werden.
Politisch stützt sich Warken dabei auf die Vereinbarung im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD, wonach insbesondere „Alltagssüchte“ bei Kindern und Jugendlichen durch neue Präventionsmaßnahmen bekämpft werden sollen. Ein Regelungspaket zu Lachgas und K.O.-Tropfen galt als Prüfauftrag – nun nutzt Warken ihren Amtsantritt zur Umsetzung. Während Prävention durch Aufklärung weiterhin eine Säule bleiben soll, signalisiert die Ministerin mit ihrem Gesetzesvorhaben einen sicherheitspolitischen Kurswechsel.
Ob das reicht, um den jugendlichen Konsum riskanter Substanzen zu stoppen, bleibt allerdings offen. Fachverbände und Suchtexperten warnen bereits vor Symbolpolitik, die keinen nachhaltigen Zugang zu jungen Risikogruppen findet. Kritiker befürchten zudem eine gefährliche Verlagerung der Substanzen in den Schwarzmarkt. Warken jedoch setzt auf schnelles Handeln – und will damit nicht nur die öffentliche Debatte dominieren, sondern auch staatliche Autorität zurückgewinnen.
Die Entschlossenheit, mit der Nina Warken ins Amt startet, überrascht – vor allem, weil sie auf einem Feld agiert, das unter Karl Lauterbach eher als Randthema behandelt wurde. Lachgas und K.O.-Tropfen – das klingt nach Tatkraft, nach Kinderschutz, nach Ordnung. Doch der Schein trügt. Warkens Vorstoß ist weniger Ausdruck struktureller Reformpolitik als ein symbolischer Beleg für einen politisch-medialen Aktionismus, der gefährliche Phänomene auf plakative Gesetzesinitiativen reduziert.
Natürlich ist der Konsum von Lachgas nicht harmlos. Und selbstverständlich gehört die Vergabe von K.O.-Tropfen – ob online oder im Nachtleben – unter Kontrolle. Doch beides löst man nicht durch Verbot und Strafandrohung allein. Wo Prävention vernachlässigt, Bildung unterfinanziert und Jugendsozialarbeit marginalisiert wird, da wachsen Rausch und Gewalt nicht trotz, sondern wegen der Verbote. Wer auf dem Schulhof lacht, weil er sich benebelt fühlt, wird nicht durch ein Verkaufsverbot zur Einsicht gebracht – sondern durch Aufklärung, durch Ansprache, durch Alternativen.
Dass Warken sich auf den Koalitionsvertrag beruft, mag formal korrekt sein, ersetzt aber keine Analyse der gesellschaftlichen Ursachen. Die CDU-Ministerin inszeniert einen Sicherheitsreflex – und übersieht dabei, dass jede Drogenpolitik mehr braucht als ein schnelles Gesetz. Sie braucht Geduld, Fachwissen, und vor allem: Vertrauen in junge Menschen, statt Misstrauen in ihre Entscheidungen.
Zufriedenheit sinkt, Vertrauen schwindet, Strukturen bröckeln
Civey-Umfrage offenbart kritischen Befund zur Lage der Gesundheitsversorgung – Apotheken als verbliebener Vertrauensanker
Das Vertrauen der Bevölkerung in das deutsche Gesundheitssystem hat laut einer neuen repräsentativen Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag von Pharma Deutschland einen historischen Tiefpunkt erreicht. Während einzelne Versorgungsbereiche bereits seit Jahren unter Druck stehen, zeigt sich nun in der Breite der Bevölkerung ein tiefgreifender Vertrauensverlust – mit gravierenden regionalen Unterschieden und differenzierten Sorgenbildern. Einzige nennenswerte Ausnahme: die Apotheken.
Die am Vorabend der neuen Bundesregierung erhobene Befragung unter mehr als 5000 Bürgerinnen und Bürgern verdeutlicht die Dringlichkeit struktureller Reformen. Seit 2020 hat sich das Bild der Versorgung in der öffentlichen Wahrnehmung drastisch gewandelt: Gaben Mitte 2020 noch rund 40 Prozent der Befragten an, eine Verschlechterung zu spüren, liegt dieser Anteil seit 2023 bei konstant über 70 Prozent – ein stabiler Ausdruck wachsender Skepsis gegenüber der Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems.
Im Zentrum der Besorgnis steht die hausärztliche Versorgung, die mit 45,8 Prozent der Nennungen als größtes Problemfeld wahrgenommen wird. Auch die fachärztliche Versorgung (33,8 Prozent), die psychische Gesundheitsversorgung (32,7 Prozent) und die Situation in den Krankenhäusern (31,6 Prozent) bereiten vielen Menschen große Sorgen. In fast allen Bundesländern kristallisieren sich zudem massive regionale Unterschiede heraus – ein Indikator für wachsende Ungleichheiten in der Versorgungsgerechtigkeit.
Ein Kontrastpunkt zur allgemeinen Unzufriedenheit bildet die öffentliche Wahrnehmung der Apotheken. Weniger als zehn Prozent der Befragten äußerten in den meisten Bundesländern Kritik an der Apothekenversorgung – mit Ausnahme Bremens, wo 18,7 Prozent Missstände sehen. Diese auffällige Diskrepanz stellt nicht nur ein Vertrauenssignal in Richtung der Vor-Ort-Apotheken dar, sondern unterstreicht ihre Rolle als verlässliche Konstante in einem instabilen System.
Dorothee Brakmann, Hauptgeschäftsführerin von Pharma Deutschland, ordnet die Ergebnisse in einem gesundheitspolitischen Appell ein: „Dass die Menschen in vielen Regionen Deutschlands die Versorgung mit Krankenhäusern und Praxen als Herausforderung ansehen, ist eine ernste Situation. Hausärzte, Fachpraxen und Kliniken sind die zentralen Säulen unseres Gesundheitssystems.“ Gleichzeitig hebt sie hervor, dass Apotheken bei aller Systemkritik positiv wahrgenommen werden – trotz rückläufiger Standortzahlen. Brakmann fordert daher eine Neubewertung der Rolle der Apotheken: „Sie sind keine Nebenrolle, sondern eine tragende Säule der Daseinsvorsorge – und gehören entsprechend in den Fokus gesundheitspolitischer Strategien.“
Wer heute nach ärztlicher Hilfe sucht, erlebt vielerorts Warteschleifen, Termindefizite und Fachkräftemangel. Die neue Umfrage bestätigt, was sich längst im Alltag zeigt: Die Gesundheitsversorgung verliert das Vertrauen der Bevölkerung. Und das nicht nur punktuell, sondern flächendeckend. Der Anstieg der Unzufriedenheit von 40 auf über 70 Prozent binnen weniger Jahre ist mehr als eine Stimmungslage – er ist eine politische Alarmstufe.
Doch während die großen Versorgungsachsen – Hausärzte, Fachärzte, Kliniken – als problematisch empfunden werden, wirken die Apotheken wie der letzte verlässliche Außenposten. Sie sichern wohnortnahen Zugang, bieten niedrigschwellige Beratung und kompensieren oft, was an anderer Stelle fehlt. Dass dies trotz Apothekenschwund gelingt, ist kein Selbstläufer, sondern Resultat harter Arbeit und struktureller Selbstbehauptung.
Diesen Befund müsste jede Regierung ernst nehmen. Eine Gesundheitspolitik, die nur Kosten zählt und Versorgungspfade verengt, wird den tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen nicht gerecht. Apotheken sind kein Luxus, sondern Teil der kritischen Infrastruktur. Wer sie schwächt, riskiert die Stabilität des ganzen Systems.
Wenn das Zuhören ermüdet
Was beginnende Hörschwäche bedeutet – und wie man rechtzeitig gegensteuert
Wer sich nach einem Restaurantbesuch erschöpft fühlt, obwohl es ein gemütlicher Abend war, sollte innehalten. Wenn sich Gespräche in einem Stimmengewirr auflösen, das Klirren von Geschirr lauter wirkt als Worte und das Zuhören zur Kraftprobe wird, dann sendet der Körper ein klares Signal. Es ist ein Anfang, kein Einzelereignis. Hörverlust beginnt meist nicht mit plötzlicher Stille, sondern mit stetigem Rückzug aus der akustischen Welt. Das Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit (BIÖG) warnt: Wer beim Zuhören geistig ermüdet, wer Gesprächsverläufe nicht mehr vollständig erfassen kann oder sich nach sozialen Kontakten ausgelaugt fühlt, sollte den Verdacht auf eine Hörminderung prüfen lassen.
Was viele verdrängen: Das selektive Hören – etwa auf Partys oder in vollen Räumen – ist besonders anfällig für erste Einschränkungen. Der sogenannte „Cocktailparty-Effekt“, also die Fähigkeit, einzelne Stimmen aus einem Geräuschteppich herauszufiltern, beruht auf einem präzisen Zusammenspiel beider Ohren und einer blitzschnellen Verarbeitung im Gehirn. Genau hier beginnt die Störung: Ist ein Ohr bereits geschwächt, fällt die Differenzierung schwer. Gesprochene Worte versickern in Hintergrundlärm, zentrale Inhalte werden verpasst, Reaktionen misslingen.
Dabei ist es keineswegs immer nur die subjektive Wahrnehmung, die Alarm schlägt. Oft sind es Hinweise aus dem Umfeld, die Gehördefizite entlarven – etwa wenn das Fernsehgerät regelmäßig zu laut ist oder Gesprächspartner sich wiederholt fühlen. In manchen Fällen manifestiert sich eine beginnende Hörstörung über körperliche Begleiterscheinungen: Tinnitus, Schwindel, Unsicherheiten beim Gehen oder diffuse Kopfschmerzen gehören zu den typischen Warnzeichen. Das BIÖG verweist auf die Relevanz einer frühen Intervention, um Folgeschäden zu vermeiden.
Denn das Verharmlosen einer Hörminderung ist nicht ohne Konsequenzen. Studien zeigen, dass unbehandelte Hörschwächen das Risiko für kognitive Abbauprozesse deutlich erhöhen. Die Verbindung zwischen Hörverlust und Demenz ist wissenschaftlich belegt. Auch das Sturzrisiko steigt – durch gestörte Gleichgewichtswahrnehmung. Der vielleicht subtilste, aber gefährlichste Effekt ist der soziale Rückzug: Menschen, die nicht mehr alles verstehen, meiden Gespräche – aus Scham, aus Erschöpfung, aus Frust.
Dabei ist der Weg zur Verbesserung vergleichsweise einfach. Moderne Hörakustik bietet viele Lösungen, bevor überhaupt ein Hörgerät notwendig wird. Schon ein einfacher Platzwechsel – etwa weiter vorne bei Vorträgen – kann das Sprachverstehen erleichtern. Wichtig sei, so betonen Akustiker, dass sich Betroffene rechtzeitig beraten lassen. Denn Hörsysteme benötigen eine Gewöhnungsphase: Das Gehirn muss die akustische Welt neu sortieren, technische Verstärkung als Unterstützung begreifen, nicht als Bedrohung. Wer sich darauf vorbereitet, meistert diese Umstellung in kleinen Schritten – etwa durch das Tragen in ruhigen Umgebungen oder das gezielte Üben mit Alltagsgeräuschen.
Die Vorstellung, dass ein Hörgerät den Alltag exakt wie früher wiedergibt, ist jedoch illusionär. Vielmehr geht es um eine neue Art des Hörens – gezielter, klarer, mit digitalem Rückhalt. Dabei können moderne Systeme Sprache erkennen und Hintergrundgeräusche absenken. Das ist keine Rückkehr in die Vergangenheit, sondern ein gezielter Neustart ins kommunikative Leben.
Schwerhörigkeit ist kein Makel, sondern ein unterschätzter medizinischer Risikofaktor. Doch die größte Gefahr liegt nicht im Nachlassen des Gehörs, sondern in der gesellschaftlichen Reaktion darauf. Wer schlecht hört, wird schnell als desinteressiert, verwirrt oder alt abgestempelt – ein fataler Kurzschluss, der viele Betroffene zur Verdrängung zwingt. Stattdessen müsste die Wahrnehmung radikal umgekehrt werden: Wer seine Hörschwäche erkennt, ist nicht schwach, sondern aufmerksam. Wer sie behandeln lässt, zeigt nicht Alter, sondern Weitsicht.
Dabei ist die medizinische Realität eindeutig: Unbehandelte Hörprobleme zählen zu den relevantesten Faktoren für Demenzrisiken. Doch statt dieser Erkenntnis einen Raum zu geben, überlassen wir die Hörakustik noch immer einer Mischung aus Technikverweigerung, Schamgefühl und modischer Eitelkeit. Dabei haben moderne Hörsysteme längst den Weg aus dem Stigma gefunden – technologisch wie ästhetisch.
Es wäre an der Zeit, dass wir den Begriff der „Hörhilfe“ umdenken. Nicht als Zeichen des Verfalls, sondern als Ausdruck von Teilhabe, von Respekt gegenüber dem eigenen Körper und der Umwelt. Wer sich selbst zuhört, hört besser – auch anderen.
Lebensrettung im Labor
G-BA erweitert Neugeborenen-Screening um vier gefährliche Frühstörungen
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat am 15. Mai 2025 eine weitreichende Entscheidung zur Erweiterung des Neugeborenen-Screenings getroffen. Ab Mai 2026 sollen alle Neugeborenen in Deutschland zusätzlich auf Vitamin-B12-Mangel sowie auf drei seltene, jedoch potenziell schwerwiegende Stoffwechselerkrankungen untersucht werden: Homocystinurie, Propionazidämie und Methylmalonazidurie. Diese Erweiterung des Screenings zielt auf eine frühzeitige Diagnose und damit verbundene präventive Therapien ab, um irreversible körperliche und geistige Entwicklungsstörungen zu vermeiden.
Das Verfahren bleibt in seiner Grundstruktur bestehen: Am zweiten oder dritten Lebenstag wird dem Neugeborenen eine kleine Blutprobe aus der Ferse entnommen, die auf einer Filterpapierkarte ins Labor gesendet wird. Dort erfolgt die Analyse auf eine wachsende Zahl behandelbarer Erkrankungen. Zeigt der Befund keine Auffälligkeiten, werden die Eltern nicht informiert. Bei einem positiven Testergebnis hingegen erfolgt innerhalb von 72 Stunden eine gezielte Rückmeldung durch das Labor – mit anschließender Überweisung in eine spezialisierte Einrichtung zur weiteren Abklärung und möglichen Einleitung einer Therapie.
Die Aufnahme des Vitamin-B12-Mangels in das Screening ist aus medizinischer Sicht ein besonders bedeutsamer Schritt. Ein Defizit kann genetisch bedingt oder erworben sein, etwa durch eine unzureichende Versorgung der Mutter während der Schwangerschaft. Häufig tritt dies bei vegetarischer oder veganer Ernährung auf, da Vitamin B12 fast ausschließlich in tierischen Produkten enthalten ist. Unbehandelt drohen Blutarmut, neurologische Störungen und schwere Entwicklungsverzögerungen. Frühzeitig erkannt, lässt sich der Mangel jedoch durch eine einfache Supplementation behandeln – kurzzeitig bei erworbenem Mangel, lebenslang bei genetischer Ursache.
Auch die drei neu aufgenommenen Stoffwechselstörungen zählen zu den sogenannten seltenen Erkrankungen, bergen jedoch enorme Risiken, wenn sie unentdeckt bleiben. Homocystinurie ist durch eine fehlerhafte Methioninverwertung im Körper gekennzeichnet und kann unbehandelt zu Augenproblemen, Krampfanfällen, geistiger Retardierung oder Thrombosen führen. Bei Propionazidämie und Methylmalonazidurie handelt es sich um komplexe Enzymdefekte, die zentrale Stoffwechselvorgänge betreffen und unter anderem schwere metabolische Entgleisungen, Herz- und Nierenschäden sowie Entwicklungsstörungen auslösen können. Mit speziellen Diäten und regelmäßiger ärztlicher Überwachung lassen sich die Verläufe der Erkrankungen heute jedoch häufig deutlich abmildern.
Die geplante Einführung im Mai 2026 hängt davon ab, dass in den Screening-Laboren neue Analyseverfahren etabliert und technische Anpassungen vorgenommen werden. Zunächst muss die Gendiagnostik-Kommission (GEKO) Stellung nehmen, bevor der Beschluss im Bundesanzeiger veröffentlicht und die Kinder-Richtlinie offiziell angepasst wird. Erst dann ist die regulatorische Grundlage für die flächendeckende Umsetzung gegeben. Das erweiterte Screening gilt als wichtiger Baustein für eine moderne, chancengerechte Kindergesundheit – und als Ausdruck präventiver Verantwortung innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung.
Der Schritt zur Erweiterung des Neugeborenen-Screenings ist mehr als eine medizinisch-technische Maßnahme – er ist ein gesellschaftliches Bekenntnis zur Prävention statt Reparatur. Während das Gesundheitssystem vielerorts unter Überlastung, Fachkräftemangel und Investitionsstau leidet, zeigt dieser Beschluss: Früherkennung rettet nicht nur Leben, sie spart auch langfristig immense Kosten. Denn ein unbehandelter Vitamin-B12-Mangel oder eine unerkannte Stoffwechselstörung kann nicht nur das Leben eines Kindes ruinieren, sondern auch ein Leben lang Kosten im sechsstelligen Bereich verursachen. Und das für etwas, das sich mit ein paar Tropfen Blut frühzeitig aufdecken und mit vergleichsweise einfachen Mitteln therapieren ließe.
Auffallend ist auch die besondere Relevanz des B12-Mangels im Kontext einer sich wandelnden Ernährungsrealität. Immer mehr Schwangere verzichten aus ethischen Gründen auf tierische Produkte – häufig ohne ausreichenden Ausgleich. Dass der Gesetzgeber hier ein Screening etabliert, bevor eine Welle betroffener Kinder das Versorgungssystem erreicht, zeigt ungewohnte Weitsicht. Diese proaktive Perspektive sollte Schule machen – auch in anderen Bereichen der Präventionsmedizin, etwa beim Screening auf genetisch bedingte Herzfehler oder immunologische Frühstörungen.
Was nun bleibt, ist die zügige Umsetzung. Wenn der Bundesanzeiger-Beschluss und die Stellungnahme der GEKO zu lange auf sich warten lassen, droht eine weitere Verzögerung – zulasten genau jener Kinder, denen dieses Screening potenziell das Leben retten könnte. Der G-BA hat geliefert. Nun muss die Bürokratie zeigen, dass sie Tempo kann.
Von Engin Günder, Fachjournalist
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