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  • 16.05.2025 – Apotheken-Nachrichten von heute: Apothekenkrise, Großhandelskollaps, Gentherapiehoffnung
    16.05.2025 – Apotheken-Nachrichten von heute: Apothekenkrise, Großhandelskollaps, Gentherapiehoffnung
    APOTHEKE | Medienspiegel & Presse | Versorgungslücken durch Apothekenschließungen, Milliardenbelastung im Großhandel und medizinische Innovationen wie Base-Editing gegen E...

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APOTHEKE | Medienspiegel & Presse |

Apotheken-Nachrichten von heute: Apothekenkrise, Großhandelskollaps, Gentherapiehoffnung

 

SPD schlägt Alarm, Phagro fordert Milliarden, Medizin setzt auf genetische Präzision

Immer mehr Apotheken schließen, der Großhandel klagt über milliardenschwere Vorfinanzierungen und neue Gentherapieverfahren verändern die Behandlung seltener Krankheiten. SPD-Fraktionschef Matthias Miersch warnt vor einer dramatischen Versorgungslücke, doch es fehlt an finanzieller Substanz. Gleichzeitig verlangt der Pharmagroßhandel angesichts wachsender Lasten eine Neuregelung seiner Vergütung. Redcare Pharmacy setzt auf unternehmerische Erfahrung, während Fachärzte und Apotheker über künftige Kompetenzverteilungen streiten. In der Praxis zeigen sich zudem erste Behandlungserfolge durch personalisierte Gentherapie bei genetischen Defekten. Während neue Dosierungsrichtlinien Aciclovir sicherer machen sollen, geraten Volkskrankheiten wie Bluthochdruck und Zöliakie weiterhin oft aus dem Blick.

 

Apothekenschließungen alarmieren die SPD

Matthias Miersch fordert Systemerhalt, doch es fehlt das Geld

Die wachsende Zahl von Apothekenschließungen bleibt nicht ohne Reaktion aus der Politik. Der neue Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Matthias Miersch, hat in einer Stellungnahme bekräftigt, dass der drohende Strukturverlust im Bereich der Arzneimittelversorgung ernst genommen werde. Man sei sich der dramatischen Entwicklung bewusst, die sich vielerorts in ausgedünnter Versorgung, langen Wegen für Patienten und sinkender Attraktivität des Apothekerberufs niederschlage. Die Apothekenlandschaft dürfe, so Miersch, nicht zum Kollateralschaden verfehlter Finanzpolitik im Gesundheitswesen werden.

Zwar verweist er auf den Koalitionsvertrag, der durchaus Maßnahmen zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken vorsieht, doch fügt er hinzu, dass sämtliche Vorhaben unter Finanzierungsvorbehalt stehen. Es sei politisch gewollt, die Apotheken zu stabilisieren, aber angesichts der angespannten Haushaltslage sei eine Priorisierung nötig. Damit spielt der Fraktionschef auf die bekannten Ressortstreitigkeiten um die Mittelverteilung im Bundeshaushalt an. Dass ausgerechnet in einem Bereich wie der flächendeckenden Arzneimittelversorgung gekürzt wird, sorgt nicht nur bei Berufsverbänden für Unmut, sondern auch bei zahlreichen Bürgermeistern und Landräten, die auf die infrastrukturelle Bedeutung der Apotheken hinweisen.

Miersch betont jedoch, dass Apotheken nicht nur Arzneimittel verkaufen, sondern ein tragender Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge seien. Die Pandemie habe deutlich gemacht, wie systemrelevant sie sind – nicht nur als Lieferanten, sondern auch als niedrigschwellige Anlaufstellen, als Impfzentren, Beratungsorte und Stabilisatoren in Gesundheitskrisen. Gerade deshalb sei es Aufgabe der Politik, ihre Rolle nicht nur anzuerkennen, sondern auch zu erhalten.

Die Reformvorschläge des Bundesgesundheitsministeriums, insbesondere das Apotheken-Reformgesetz (ApoRG), bleiben unterdessen umstritten. Miersch weicht einer klaren Positionierung zu Einzelmaßnahmen wie Telepharmazie, Apotheken ohne Approbierte oder niedrigeren Mindestöffnungszeiten aus. Doch zwischen den Zeilen wird deutlich: Die SPD will den Systemerhalt – aber ohne finanzielle Garantien wird das Ziel kaum zu erreichen sein. Die Warnung ist implizit, aber unüberhörbar.

Die Aussagen von Matthias Miersch klingen wie ein politischer Balanceakt – und sind es auch. Einerseits sendet er ein Signal des Verständnisses an eine Berufsgruppe, die seit Jahren zwischen wachsender Bürokratie, stagnierenden Honoraren und politischem Desinteresse zerrieben wird. Andererseits betont er gleich im nächsten Atemzug den Finanzierungsvorbehalt, der seit Jahren als bequemes Totschlagargument für unterlassene Reformen dient.

Es ist bemerkenswert, dass Miersch den Begriff „öffentliche Daseinsvorsorge“ bemüht – ein Begriff, der selten auf Apotheken angewendet wird, obwohl er den Kern trifft. Apotheken sind eben keine einfachen Handelsbetriebe. Wer das Gesundheitswesen ernst nimmt, muss diese Realität politisch abbilden – und zwar in Finanzierungsmodellen, in Strukturgesetzen und nicht zuletzt in verlässlichen Rahmenbedingungen für Nachwuchs und Personal.

Doch genau hier liegt die Gefahr: Wenn politische Anerkennung nur rhetorisch bleibt, verschärft sich die Krise weiter. Der Rückzug vieler Apothekerinnen und Apotheker aus der Fläche ist kein Naturgesetz, sondern Ergebnis politischer Entscheidungen. Wer heute sagt, man sehe den Ernst der Lage, darf morgen nicht wieder schweigen, wenn Haushaltsverhandlungen beginnen. Wer Apotheken retten will, braucht mehr als Verständnis – er braucht Mut zur politischen Prioritätensetzung. Andernfalls bleibt auch diese Ankündigung das, was viele in der Branche längst erwarten: ein weiteres Versprechen mit eingebauter Ausrede.

 

Großhandel zahlt die Zeche

Veraltete Vergütung, neue Lasten – Politik muss jetzt handeln

Der Bundesverband des pharmazeutischen Großhandels (Phagro) schlägt erneut Alarm: Die finanzielle Belastung durch wachsende Vorfinanzierungskosten hat 2024 einen historischen Höchststand erreicht. Während Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) ihr Programm für die neue Legislaturperiode vorstellte und sich die Regierungskoalition für die Wiederzulassung von Großhandelsskonti aussprach, fordert der Phagro eine umfassende Neuregelung seiner Vergütung. Als Argument führt der Verband die dramatisch angestiegene Vorfinanzierungssumme von mittlerweile 4,42 Milliarden Euro an – ein Zuwachs um mehr als eine Milliarde Euro seit 2014. Die Apotheker zahlten viele Rechnungen erst nach Erstattung durch die Krankenkassen, wodurch der Großhandel gezwungen sei, in finanzielle Vorleistung zu gehen.

Trotz gestiegener Umsätze, vor allem durch hochpreisige Medikamente, profitiere der Großhandel kaum. Die Marge sinke weiter – 2024 auf das bisherige Tief von 3,77 Prozent – und die Deckelung des variablen Zuschlags bei 37,80 Euro sorge für eine strukturelle Entkopplung zwischen Umsatzwachstum und wirtschaftlichem Ertrag. Besonders kritisch sei, dass die derzeitige Vergütungsregelung auf Daten aus dem Jahr 2009 basiere und damit die Realität im Logistik- und Finanzierungsalltag der Gegenwart verfehle. Der Phagro verweist zudem auf das Urteil des Bundesgerichtshofs, das 2019 die Zulässigkeit von Skonti verneint hatte, um eine Umgehung der Apothekenvergütung zu verhindern – und sieht nun politischen Korrekturbedarf. Die neue Regierung wolle Skonti dennoch wieder einführen, was für neue Wettbewerbsverzerrungen sorgen könnte, sofern nicht auch die strukturelle Basis der Großhandelsvergütung überarbeitet werde.

Phagro-Geschäftsführer Michael Dammann und Thomas Porstner betonen, dass die stabilisierende Rolle des pharmazeutischen Großhandels nur dann aufrechterhalten werden könne, wenn dieser ökonomisch tragfähig bleibe. Eine Überprüfung und Aktualisierung der Arzneimittelpreisverordnung sei deshalb „dringend notwendig“, um eine solide Arzneimittelversorgung in Deutschland auch künftig sicherzustellen. Während gleichzeitig über bessere Apothekenvergütungen diskutiert wird, dürfe die wirtschaftliche Tragfähigkeit des Großhandels nicht als gegeben vorausgesetzt werden.

Die wiederaufgeflammte Debatte um Skonti im Arzneimittelgroßhandel droht alte Systemfehler zu reaktivieren, anstatt strukturelle Verbesserungen einzuleiten. Dass die neue Koalition nun ausgerechnet auf ein Instrument zurückgreifen will, das 2019 aus gutem Grund untersagt wurde, wirft Fragen zur Kohärenz gesundheitspolitischer Maßnahmen auf. Der Phagro hat recht, wenn er auf die Verzerrung der ökonomischen Balance im Versorgungssystem hinweist. Der Fixierungsmechanismus in der Arzneimittelpreisverordnung ignoriert seit Jahren die realen Dynamiken der Finanzierungsverantwortung. Während die Politik bei Apotheken symbolische Nachjustierungen plant, wird der Großhandel als systemischer Puffer zwischen Industrie und Versorgungsträgern zunehmend überfordert.

Dass ausgerechnet hochpreisige Medikamente das Margenproblem verschärfen, illustriert die Absurdität einer Deckelungspolitik, die Wachstum bestraft. Die Tatsache, dass die Großhandelsvergütung auf veralteten Berechnungsgrundlagen fußt, ist kein Nebenschauplatz, sondern Ausdruck einer regulatorischen Trägheit mit systemgefährdendem Potenzial. Die Diskussion über Skonti darf nicht isoliert geführt werden – sie gehört in eine Gesamtbetrachtung, bei der Versorgungssicherheit, wirtschaftliche Fairness und Vergütungslogik gemeinsam gedacht werden. Andernfalls wird die logistische Infrastruktur der Arzneimittelversorgung zur nächsten systemischen Sollbruchstelle.

 

Redcare stärkt Aufsichtsrat mit Branchenpionieren

Köhler und Weber bringen Gründungsgeist und Versorgungsfokus zurück

Die Aktionäre des niederländischen Arzneimittelversenders Redcare Pharmacy haben auf der Hauptversammlung am 15. Mai 2025 ein deutliches Signal für unternehmerische Kontinuität gesetzt: Mit Michael Köhler und Stephan Weber kehren die beiden Mitgründer des Unternehmens in neuer Funktion zurück – nicht als Vorstände, sondern als Mitglieder des Aufsichtsrats. Wie Redcare unmittelbar nach der Versammlung bekannt gab, stimmte die Hauptversammlung allen Tagesordnungspunkten mit absoluter Mehrheit zu, einschließlich der Bestellung Köhlers und Webers in das fünfköpfige Kontrollgremium.

Köhler, der 2001 in Venlo die Europa Apotheek mitbegründete und bis 2016 als CEO leitete, hatte nach der Übernahme durch Shop Apotheke Europe im Jahr 2017 noch zwei Jahre lang als Vorstandsvorsitzender der Shop Apotheke Group agiert. Stephan Weber, langjähriger Vorstand für Marketing und Vertrieb, hatte gemeinsam mit Köhler und dem Industrieapotheker Robert Hess die Unternehmensgründung angestoßen. Vor rund einem Jahr war Weber gemeinsam mit IT-Vorstand Marc Fischer auf eigenen Wunsch aus dem Vorstand ausgeschieden. Mit dem jetzigen Wechsel in den Aufsichtsrat bleiben beide dem Unternehmen in überwachender und strategischer Funktion verbunden.

Für den Vorsitzenden des Aufsichtsrats, Björn Söder, steht fest: Die Berufung von Köhler und Weber in das Gremium stärke die Verbindung zwischen Gründungsidee und Zukunftsstrategie. Beide verkörperten „echten Unternehmergeist“ und verfügten über „umfassende Branchenkenntnisse“, erklärte Söder in einer Mitteilung. Damit setze Redcare ein Zeichen für nachhaltige Unternehmensführung, eingebettet in langjähriges pharmazeutisches Know-how.

Ebenfalls einstimmig wurde die Wiederbestellung von Jérôme Cochet beschlossen, der für eine weitere – allerdings letzte – Amtszeit im Aufsichtsrat verbleibt. Der Aufsichtsrat der Redcare Pharmacy setzt sich nun zusammen aus dem Vorsitzenden Björn Söder, der stellvertretenden Vorsitzenden Jaska de Bakker sowie Jérôme Cochet, Michael Köhler und Stephan Weber. Beobachter interpretieren die Besetzung als Signal für Stabilität und interne Strategietreue in einer zunehmend konsolidierten Versandapothekenlandschaft.

Mit der Wahl von Michael Köhler und Stephan Weber in den Aufsichtsrat sichert sich Redcare nicht nur wertvolle operative Erfahrung, sondern stellt auch eine symbolische Rückbindung an die Gründeridentität des Unternehmens her. Während viele börsennotierte Konzerne in der Digital-Health-Branche auf externe Kontrolleure mit Finanzhintergrund setzen, geht Redcare einen anderen Weg: Die Rückkehr zweier prägender Unternehmer in den strategischen Zirkel könnte sich langfristig als Vorteil erweisen – vor allem im Wettbewerb mit Plattformkonzernen, die oft stärker von Marktmechanismen als von Versorgungsidealen getrieben sind.

Köhler und Weber stehen für ein Verständnis des Arzneimittelversandhandels, das sich nicht nur an Skalierbarkeit und Logistik misst, sondern auch an Versorgungsfragen, Regulatorik und Kundenbeziehungen im pharmazeutischen Kontext. Mit ihrer Berufung erhält der Aufsichtsrat ein Gegengewicht zur oft technokratisch getriebenen Perspektive auf Marktexpansion. Zugleich könnte ihre Präsenz helfen, strategische Entscheidungen künftig wieder stärker an der Versorgungspraxis auszurichten – ein Aspekt, der im wachsenden regulatorischen Druckumfeld an Bedeutung gewinnt.

Die Wiederbestellung von Jérôme Cochet rundet das Bild einer kontrollierten Neupositionierung ab: Redcare bleibt sich treu, indem es Wandel als Fortführung seines Gründungsgeistes inszeniert. In Zeiten von Übernahmen, Marktkonzentrationen und E-Rezept-Dynamiken ist das mehr als eine Personalentscheidung – es ist ein Statement für pharmazeutisch geprägte Selbstständigkeit im digitalen Gesundheitsmarkt.

 

Ärztegrenzen oder Zusammenarbeit

Apotheken fordern mehr Verantwortung, KBV setzt auf klare Zuständigkeiten

Beim Wirtschaftsforum des Deutschen Apothekerverbands (DAV) trafen am Donnerstag zentrale Akteure der ambulanten Versorgung aufeinander – mit klaren Differenzen in der Bewertung des Zukunftskonzepts der Apothekerschaft. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), äußerte sich kritisch über die geplante Erweiterung pharmazeutischer Leistungen. Zwar wolle man mit den Apotheken zusammenarbeiten, betonte er, doch müsse dies innerhalb klarer Kompetenzgrenzen geschehen. „Ihre Kompetenz ist die Pharmazeutik, nicht die Behandlung“, sagte Gassen und sprach sich gegen eine Verschiebung ärztlicher Aufgaben in Richtung der Apotheken aus. Stattdessen plädierte er für eine bessere Vernetzung zwischen den Heilberufen, um Synergien in der Versorgung zu schaffen.

Anlass der Debatte war das im April vom Abda-Gesamtvorstand verabschiedete Positionspapier zur künftigen Rolle der Apotheken im Gesundheitssystem. Dieses schlägt vor, Apotheken stärker in präventive, beratende und unterstützende Aufgaben einzubinden, um eine flächendeckende Versorgung sicherzustellen – insbesondere angesichts des wachsenden Ärztemangels und der Überlastung ambulanter Strukturen.

Anke Rüdinger, stellvertretende DAV-Vorsitzende und Mitautorin des Zukunftskonzepts, verteidigte den Vorstoß. Apotheken seien bereits heute eine erste Anlaufstelle für viele Patientinnen und Patienten und damit faktisch Teil der Primärversorgung. Als Beispiel nannte sie Medikationsanalysen und die Arzneimittelinitiative Sachsen-Thüringen (ARMIN), bei der Apothekerinnen und Apotheker eng mit Ärztinnen und Ärzten kooperieren. Doch oft werde das Potenzial dieser Zusammenarbeit nicht ausgeschöpft.

Unterstützung erhielt die Apothekenseite ausgerechnet von Verbraucherschützer Thomas Moormann. Er begrüßte ausdrücklich, dass in Apotheken inzwischen bestimmte Standardimpfungen durch qualifiziertes Personal durchgeführt werden dürfen. Bei anlasslosen Screenings äußerte er sich hingegen zurückhaltend – hier fehle es an evidenzbasierter Grundlage. Dennoch befürwortete auch Moormann eine patientennahe Versorgung, bei der nicht jede medizinische Fragestellung zwangsläufig im Wartezimmer einer Arztpraxis enden müsse.

Gassen verwies auf die Möglichkeiten der telefonischen Beratung über die 116117, die künftig ausgebaut werden solle. Bereits heute könne damit ein Fünftel der Notdienstfälle gelöst werden. Effizienz durch richtige Steuerung sei der Schlüssel, nicht ein Übergriff auf ärztliche Zuständigkeiten. Rüdinger erwiderte, dass eine echte Zusammenarbeit nur funktioniere, wenn Apotheken nicht auf ihre Rolle als Medikamentenabgabestelle reduziert würden. „Wenn die Ärzteschaft sich öffnet, können wir Apothekerinnen und Apotheker bei unserer Kernkompetenz bleiben – und trotzdem einen erheblichen Beitrag zur Versorgung leisten.“

Die Auseinandersetzung zwischen KBV und Apothekerschaft offenbart ein strukturelles Dilemma: Das deutsche Gesundheitswesen ist in siloartige Zuständigkeiten zersplittert, während die Versorgungsrealität längst nach mehr Kooperation verlangt. Andreas Gassen verteidigt das ärztliche Primat, was aus berufsständischer Sicht nachvollziehbar ist, doch sein Beharren auf Kompetenzgrenzen ignoriert die dynamische Entwicklung im Apothekenwesen. Wer auf starren Zuständigkeiten beharrt, verkennt die Notlage vieler Patienten, die in strukturschwachen Regionen ohne Arztkontakt auskommen müssen.

Der Ruf nach „besserer Zusammenarbeit statt Kompetenzverlagerung“ klingt vernünftig, bleibt aber folgenlos, solange sich ärztliche Organisationen nicht an gemeinsamen Projekten wie ARMIN orientieren. Der Hinweis auf Telefonberatung mag statistisch korrekt sein, ersetzt aber nicht die wohnortnahe Beratung, die Apotheken längst leisten.

Rüdingers Hinweis auf ungenutzte Potenziale in der Medikationsanalyse trifft ins Schwarze: Hier geht es nicht um eine Grenzüberschreitung, sondern um fachlich fundierte Ergänzung ärztlicher Entscheidungen. Gerade in einer alternden Gesellschaft mit Multimorbidität braucht es diese Expertise dringend. Die Debatte ist symptomatisch für das deutsche Gesundheitswesen: Kooperation wird beschworen, aber im Zweifel blockiert. Wenn sich das nicht ändert, droht nicht nur Effizienzverlust, sondern ein reales Versorgungsdefizit.

 

pDL effizient starten und nachhaltig etablieren

So gelingt der Einstieg in pharmazeutische Dienstleistungen im Alltag

Die pharmazeutischen Dienstleistungen (pDL) sind mehr als eine politische Errungenschaft – sie bieten Apotheken eine konkrete Chance zur wirtschaftlichen Weiterentwicklung und zur Stärkung ihrer Versorgungsrolle. Das machte Apothekerin Dr. Katja Renner beim Bayerischen Apothekertag mit Nachdruck deutlich. Vor Fachpublikum appellierte sie an Kolleginnen und Kollegen, den Schritt aus der Komfortzone zu wagen: Wer pDL nicht anbietet, verschenkt nicht nur Honorar, sondern auch das Potenzial, Patientensicherheit und Berufszufriedenheit maßgeblich zu steigern. Renner betonte: „Wir sind dumm, wenn wir das Geld liegen lassen.“

Die Apotheke am MDZ in Heinsberg zeigt exemplarisch, wie sich pharmazeutische Dienstleistungen nicht nur patientenzentriert, sondern auch betriebswirtschaftlich sinnvoll umsetzen lassen. Blutdruckmessung und Inhalator-Schulung eigneten sich laut Renner besonders für den Einstieg. Medikationsanalysen bei Polymedikation, Transplantierten oder Patienten mit oraler Krebstherapie seien anspruchsvoller, aber lohnend – auch wirtschaftlich. Voraussetzung: strukturierte Vorbereitung, ein klar definierter Workflow und Teamverantwortung.

Wichtig sei es, den gesamten Prozess zu professionalisieren – vom Anlegen und Zugriffsmanagement der Materialien über die Kundenansprache bis hin zur Schulung des Teams. Ein pDL-Manager könne dabei entscheidende Koordinationsaufgaben übernehmen. Auf vorhandene ABDA-Materialien verwies Renner ausdrücklich: Der „pDL Campus“ biete praxisnahe Werkzeuge für eine reibungslose Integration. Die notwendige Unterschrift der Patientinnen und Patienten sei laut Renner kein Hindernis: In der Regel zeigten diese großes Verständnis, sobald der Zweck der Dokumentation erklärt werde.

Zugleich ging Renner detailliert auf die Medikationsberatung ein, die sie als einen der wertvollsten Beiträge zur Arzneimitteltherapiesicherheit bezeichnete. Gerade in der Kommunikation mit Ärztinnen und Ärzten sei jedoch Sorgfalt gefragt. „Wir dürfen die Therapiehoheit nicht angreifen, sondern müssen durch Qualität überzeugen.“ Die Erfahrung zeige, dass die aktive Einbindung ärztlicher Kolleginnen und Kollegen im Vorfeld Missverständnisse vermeide und die Akzeptanz erhöhe.

Auch in Pflegeeinrichtungen ließen sich pDL wirtschaftlich implementieren. Dort könnten Medikationsanalysen effizienter durchgeführt werden, da oftmals kein direkter Patientenkontakt nötig sei. Entscheidender Erfolgsfaktor sei die Zusammenarbeit mit dem Pflegepersonal, das entsprechend eingebunden und geschult werden müsse. Besonders bei neu aufgenommenen Bewohnerinnen und Bewohnern lasse sich so ein valider Beitrag zur Arzneimitteltherapiesicherheit leisten.

Der zentrale Appell von Renner bleibt klar: Pharmazeutische Dienstleistungen seien kein Zusatz, sondern ein strategischer Bestandteil zukunftsfähiger Apothekenführung – fachlich, betriebswirtschaftlich und gesellschaftlich.

Was Apotheken bislang unter wirtschaftlichem Druck kaum geschafft haben, gelingt nun durch einen klugen Paradigmenwechsel: pDL verknüpfen Versorgung, Honorierung und professionelle Selbstbestimmung. Die Aussagen von Dr. Katja Renner sind deshalb nicht bloß motivierend, sondern programmatisch – weil sie zeigen, wie viel Zukunft in der Apotheke steckt, wenn sie bereit ist, sich zu bewegen.

Die Apotheke als „verlängerter Arm eines Automaten“ ist ein Zerrbild, das sich nur dann bewahrheitet, wenn man neue Chancen ignoriert. Wer pDL einführt, professionalisiert nicht nur die Dienstleistungsebene, sondern stärkt den Teamzusammenhalt und positioniert sich neu im Gesundheitswesen. Entscheidend ist der Mut zum ersten Schritt – organisatorisch, kommunikativ und wirtschaftlich.

Dass Medikationsanalysen, Inhalationsschulungen oder Blutdruckmessungen keine rein altruistischen Zusatzdienste sind, sondern wirtschaftlich tragfähig umgesetzt werden können, ist die Botschaft, die viele Apotheken jetzt brauchen. Die Argumente sind da. Die Materialien auch. Was fehlt, ist oft nur die Entschlossenheit – aber auch die lässt sich trainieren.

 

Aciclovir-Dosierung bei Adipositas überarbeitet

EMA setzt neues Berechnungskonzept zum Schutz vulnerabler Patientengruppen durch

Die Dosierung von intravenösem Aciclovir bei adipösen Patienten wird angepasst – eine Entscheidung, die aus einem europaweit koordinierten Risikobewertungsverfahren hervorgegangen ist. Bisherige Empfehlungen zur Aciclovir-Gabe basierten auf Standardgewichtsklassen, ohne differenzierte Vorgaben für Patientengruppen mit starkem Übergewicht. In der klinischen Praxis führte dies teils zu subtherapeutischen Konzentrationen oder überdosierungsbedingten Nebenwirkungen wie Nephrotoxizität. Die nun veröffentlichten Änderungen sollen die therapeutische Sicherheit erhöhen und berücksichtigen erstmals das sogenannte Adjusted Body Weight (ABW) als Grundlage der Dosierung bei adipösen Erwachsenen.

Auslöser für die Neubewertung war die systematische Analyse pharmakokinetischer Daten aus mehreren Mitgliedstaaten der EU. Dabei zeigte sich, dass Aciclovir – ein Virostatikum, das unter anderem gegen Herpes-simplex- und Varizella-Zoster-Viren eingesetzt wird – bei stark adipösen Patienten deutlich variabler im Verteilungsvolumen und in der Clearance ist. Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) folgte daher den Empfehlungen der zuständigen Risikobewertungsgruppen und veranlasste eine Änderung der Fachinformation. Künftig soll bei intravenöser Anwendung die Dosis bei adipösen Erwachsenen auf Basis des ABW berechnet werden – einer Formel, die das Idealgewicht mit einem Korrekturfaktor in Relation zum realen Körpergewicht setzt.

Für Apothekerinnen und Apotheker sowie medizinisches Fachpersonal bedeutet dies eine Umstellung der Dosiskalkulation in der Praxis, insbesondere bei stationärer Anwendung. Auch die Dokumentation in elektronischen Verordnungssystemen muss entsprechend angepasst werden. Die neuen Dosierhinweise sind bindend und sollen die Arzneimittelsicherheit verbessern, indem sie Über- und Unterdosierungen bei vulnerablen Patientengruppen gezielt vermeiden. Klinische Einrichtungen werden angehalten, ihre Protokolle zeitnah zu aktualisieren, um Dosierungsfehler zu vermeiden, zumal Aciclovir bei schweren Virusinfektionen oft als Notfallmedikation eingesetzt wird.

Einheitlich wird nun empfohlen, bei Erwachsenen mit einem Body-Mass-Index (BMI) über 30 kg/m² eine Dosierung auf Basis des ABW vorzunehmen – das gilt sowohl für Standarddosen bei unkomplizierten Infektionen als auch für Hochdosis-Schemata bei Zoster oder Enzephalitis. Die Umstellung wird von medizinischen Fachverbänden überwiegend begrüßt, da sie eine lang bestehende therapeutische Grauzone endlich adressiert. Auch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) unterstützt die neuen Vorgaben und hat entsprechende Mitteilungen über das Rote-Hand-System veröffentlicht.

Die Neubewertung der Aciclovir-Dosierung bei adipösen Patienten markiert einen überfälligen Paradigmenwechsel. Jahrzehntelang wurde die intravenöse Gabe dieses essenziellen Virostatikums nach einem pauschalen Körpergewichtsschema vorgenommen – mit potenziell gefährlichen Folgen für eine wachsende Bevölkerungsgruppe. Denn Adipositas ist nicht nur ein Risikofaktor für viele Erkrankungen, sondern verändert auch die Pharmakokinetik grundlegend. Dass nun das Adjusted Body Weight als Berechnungsgrundlage anerkannt wird, ist nicht nur ein medizinischer Fortschritt, sondern ein Akt der Risikominimierung.

Gerade in der stationären Akutversorgung, wo Aciclovir häufig bei schweren Verläufen von Herpes- oder Zoster-Infektionen zum Einsatz kommt, entscheidet die korrekte Dosis über Behandlungserfolg oder toxische Komplikationen. Es ist daher unverständlich, warum diese Anpassung nicht schon früher systematisch umgesetzt wurde – zumal pharmakokinetische Daten zur Bedeutung des Verteilungsvolumens bei Adipositas längst verfügbar sind. Die pauschale Dosierung war Ausdruck eines „One-size-fits-all“-Denkens, das der Realität moderner, individualisierter Therapie nicht mehr gerecht wird.

Dass nun EMA und BfArM mit klaren Vorgaben reagieren, ist richtig und notwendig. Dennoch bleibt es Aufgabe der Kliniken, der Apotheken und des ärztlichen Personals, die neuen Empfehlungen auch praktisch umzusetzen. Veraltete Softwaremodule, ungeschulte Fachkräfte oder mangelnde Kommunikation dürfen nicht zum Nadelöhr der Arzneimittelsicherheit werden. Die Verantwortung liegt jetzt im System – nicht mehr in der Formel.

 

Gentherapie heilt Säugling mit Enzymdefekt

Ein Baby mit CPS1-Mangel zeigt nach Base-Editing-Behandlung erste Erfolge

In einem spektakulären Einzelfall ist es Wissenschaftlern gelungen, einem sieben Monate alten Säugling mit einem lebensbedrohlichen genetischen Defekt durch eine maßgeschneiderte Gentherapie erste Anzeichen einer Stabilisierung zu ermöglichen. Der Junge leidet an einem Carbamoylphosphat-Synthetase-1(CPS1)-Mangel – einer seltenen, früh manifestierenden Stoffwechselerkrankung, die zu schweren neurologischen Schädigungen und frühzeitigem Tod führen kann. Bereits kurz nach der Geburt wurde die Diagnose gestellt. Innerhalb von nur sieben Monaten entwickelten Forscher aus Philadelphia eine individuell zugeschnittene Gentherapie, die direkt in der Leber des Kindes eingesetzt wurde. Das Verfahren basiert auf dem sogenannten Base-Editing, einer Weiterentwicklung der CRISPR/Cas9-Technologie, die gezielt einzelne Basen im Genom verändert, ohne die DNA zu durchtrennen.

Ein entscheidender Fortschritt besteht in der Art der Verabreichung: Anstelle viraler Vektoren wurden Nanopartikel verwendet, was eine wiederholte Behandlung ermöglichte – eine Premiere in der Gentherapie bei Neugeborenen. Nach nur 208 Tagen erhielt der Säugling die erste Infusion, einige Wochen später folgte eine zweite, höher dosierte Gabe. Die Ergebnisse sind vielversprechend: Das Kind toleriert mehr Nahrungseiweiß, benötigt deutlich weniger Medikamente und blieb auch bei zwei viralen Infekten stabil – ein deutliches Zeichen für die funktionelle Wirkung der Therapie.

Fachleute werten diesen Fall als medizinischen und regulatorischen Meilenstein. Zum einen, weil es gelungen sei, eine auf eine einzelne Mutation zugeschnittene Therapie in Rekordzeit zu entwickeln – zum anderen, weil die US-Zulassungsbehörde FDA hierfür ein beschleunigtes Verfahren ermöglichte. Damit wird erstmals ein Szenario denkbar, in dem extrem seltene genetische Defekte mit individualisierten Gentherapien behandelt werden können. Für Professorin Maja Hempel (Universitätsklinikum Heidelberg) ist der Fall ein „Meilenstein für die Translation personalisierter Ansätze“.

Auch Professor Julian Grünewald (TU München) spricht von einem Durchbruch: In kürzester Zeit sei eine klinisch relevante, hochspezifische Gentherapie von der Zellkultur bis zum Patienten realisiert worden – mit einer Technologie, die nicht nur punktgenau editiert, sondern auch wiederholbar einsetzbar ist. Noch liegen keine Biopsie-Daten vor, doch die klinischen Verbesserungen deuten auf eine funktionelle Genkorrektur hin. Die nächste Herausforderung besteht darin, vergleichbare Verfahren auch in der Breite verfügbar zu machen – etwa an deutschen Universitätskliniken.

Weltweit sind etwa 300 Millionen Menschen von seltenen Erkrankungen betroffen, die Mehrzahl genetisch bedingt. Für die meisten dieser Erkrankungen existieren bislang keine kurativen Therapien. Der hier dokumentierte Einzelfall eröffnet nicht nur neue therapeutische Horizonte, sondern wirft auch ethische und strukturelle Fragen auf: Wer wird künftig Zugang zu solchen Hochpräzisionsbehandlungen erhalten – und wie schnell lässt sich das regulatorisch und klinisch skalieren?

Der Fall des sieben Monate alten Jungen mit CPS1-Mangel ist in jeder Hinsicht ein Meilenstein – wissenschaftlich, ethisch und gesundheitspolitisch. Er zeigt, dass personalisierte Gentherapie nicht länger nur eine ferne Vision ist, sondern mit wissenschaftlicher Präzision und regulatorischer Flexibilität zur klinischen Realität werden kann. Die Geschwindigkeit, mit der hier vom molekulargenetischen Befund zur Therapie übergegangen wurde, widerspricht allen bisherigen Maßstäben translationaler Forschung. Dass die FDA binnen weniger Tage eine individuelle Gentherapie genehmigt, demonstriert eine Offenheit, die in europäischen Behörden noch undenkbar scheint.

Zugleich ist dieser Fall ein Lehrstück über die Möglichkeiten der molekularen Medizin. Das Base-Editing als präzise, schnittfreie Methode markiert einen Fortschritt gegenüber bisherigen CRISPR-Verfahren – insbesondere im Hinblick auf Sicherheit, Wiederholbarkeit und Zielgenauigkeit. Die Entscheidung, auf Nanopartikel statt virale Vektoren zu setzen, zeigt, dass technische Innovationsfreude unmittelbare klinische Vorteile schaffen kann.

Aber der Fortschritt ist nicht nur ein Grund zum Staunen, sondern auch zur Sorge. Denn diese Form der Hochindividualisierung wirft enorme Gerechtigkeitsfragen auf. Wer entscheidet künftig, ob ein Kind eine solche personalisierte Therapie erhält? Wer trägt die Kosten? Und wie lässt sich ein Verfahren, das bislang auf Einzelfälle zugeschnitten ist, in ein solidarisch finanziertes System überführen?

Wenn es gelingt, solche Therapien auch in Deutschland zu etablieren, wird das nicht nur das Schicksal einzelner Patienten verändern, sondern die Vorstellung von medizinischer Versorgung insgesamt neu definieren. Der Fall ist also nicht nur ein Durchbruch für ein Kind – sondern ein Weckruf für das gesamte Gesundheitssystem.

 

Wenn der Druck im Körper steigt

Genetik, Ernährung, Infektionen – wie Hypertonie entsteht und was hilft.

Bluthochdruck ist eine stille Volkskrankheit mit dramatischen Spätfolgen – und einem oft unbemerkten Beginn. In Deutschland leiden laut Deutscher Hochdruckliga bis zu 30 Millionen Menschen an dauerhaft erhöhtem Blutdruck. Besonders perfide: Die Hypertonie bleibt in den meisten Fällen lange symptomlos. Der Druck im System steigt schleichend – mit fatalen Folgen für Herz, Gehirn, Nieren und Gefäße.

Als gesundheitlich unbedenklich gelten laut Deutscher Herzstiftung Blutdruckwerte unter 120 zu 70 mmHg. Liegt der Blutdruck dauerhaft bei oder über 140 zu 90 mmHg, sprechen Fachleute von Hypertonie. Bereits ein einzelner erhöhter Wert genügt, um das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse signifikant zu erhöhen. Zielwerte sollten bei Risikopatienten sogar unter 130 zu 80 mmHg liegen. Trotz dieser eindeutigen Leitlinien wird die Krankheit oft zu spät erkannt.

Eine aktuelle Auswertung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK zeigt: 2023 litten mehr als 29 Prozent der Deutschen ab 20 Jahren an diagnostizierter Hypertonie. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen. Viele Betroffene erfahren erst bei Folgekomplikationen von ihrem gefährlich hohen Blutdruck. Denn Hypertonie entwickelt sich oft über Jahre hinweg unbemerkt.

Die Ursachen sind vielfältig. Professor Markus van der Giet von der Deutschen Hochdruckliga erklärt, dass Bluthochdruck mit dem Alter zunehme – bedingt durch die fortschreitende Versteifung der Blutgefäße. Der Körper müsse gegen einen steigenden Widerstand pumpen, um Organe ausreichend zu versorgen. Der Druck im System steigt automatisch. Auch genetische Faktoren spielen eine entscheidende Rolle: Wer eine familiäre Vorbelastung hat, etwa eine Großmutter mit regelmäßiger Einnahme von Blutdrucksenkern, trägt ein signifikant höheres Risiko.

Doch nicht nur Alter und Erbanlage sind verantwortlich. Häufig beginnt die Hypertonie bereits im jungen und mittleren Erwachsenenalter – meist mit einem Anstieg des diastolischen Werts. Auslöser sind in vielen Fällen Übergewicht, Bewegungsmangel und chronischer Stress. Hinzu kommen Ernährungseinflüsse: Ein hoher Salz- und Alkoholkonsum, zu wenig Kalium, Rauchen sowie eine dauerhaft erhöhte Insulinresistenz begünstigen die Entwicklung deutlich.

Eine zentrale Rolle spielt die Niere als Druckregulator. Funktioniert sie nicht richtig, etwa durch chronische Belastung oder Entzündungen, gerät das Blutdrucksystem aus der Balance. Van der Giet vergleicht das mit einer verstopften Espressomaschine: »Dann produzieren wir höheren Druck.« Der Körper reagiert mit Gegensteuerung, die das Problem verstärkt – ein Teufelskreis beginnt.

Auch Infektionen können den Blutdruck beeinflussen. Beobachtungen zeigen, dass Virusinfektionen wie Covid-19, aber auch chronische Infektionen wie Borreliose, zu plötzlichen Schwankungen oder dauerhaft erhöhten Werten führen können. Zusätzlich beeinflussen Koffein, Teekonsum und Tagesrhythmus den Druckverlauf erheblich. Selbst ohne organische Vorerkrankung kann es durch Alltagsbelastung zu gefährlichen Spitzen kommen.

Umso wichtiger ist Früherkennung. Regelmäßige Blutdruckmessungen, auch im häuslichen Umfeld, und eine umfassende Anamnese sind entscheidend. Wer rechtzeitig gegensteuert – mit Bewegung, salzarmer Ernährung, Stressabbau und gegebenenfalls medikamentöser Therapie – kann das Risiko schwerwiegender Organschäden deutlich senken. Doch dafür braucht es mehr Bewusstsein – in der Medizin, in der Politik und bei jedem Einzelnen.

Hypertonie ist das Paradebeispiel einer systemisch unterschätzten Volkskrankheit. Obwohl ihre Spätfolgen – Schlaganfall, Herzinfarkt, Nierenschäden – unbestreitbar sind, fehlt es bis heute an der nötigen öffentlichen Wachsamkeit. Dass ein Drittel der erwachsenen Bevölkerung betroffen ist, wird zwar regelmäßig statistisch belegt, aber gesellschaftlich kaum verarbeitet. Die zentrale Problematik liegt in der Unsichtbarkeit: Solange Hypertonie nicht weh tut, wird sie verdrängt.

Besonders problematisch ist, dass die Ursachen bekannt und vermeidbar wären. Bewegungsmangel, Fehlernährung, Stress, Alkohol – alles Risikofaktoren, die sich theoretisch korrigieren ließen. Praktisch aber fehlt es an wirksamer gesundheitspolitischer Prävention. Statt struktureller Maßnahmen bleibt die Verantwortung beim Einzelnen – und wird so oft ignoriert. Die Folge ist eine stetige Verschärfung chronischer Erkrankungen in einer alternden Bevölkerung, deren Versorgungsstrukturen ohnehin bereits unter Druck stehen.

Dabei ist Bluthochdruck kein Schicksal, sondern eine systemische Warnmeldung. Er zeigt, wo das biologische Gleichgewicht kippt – oft Jahre, bevor es zu einem dramatischen Ereignis kommt. Das Problem: Diese Frühwarnfunktion wird nicht ernst genommen. Weder in der Primärversorgung, noch in der politischen Steuerung. Die Krankenkassen messen zwar die Verbreitung, aber kaum jemand zieht daraus Konsequenzen.

Was fehlt, ist ein Perspektivwechsel. Hypertonie muss nicht nur behandelt, sondern gesellschaftlich ernst genommen werden – als Indikator für Lebensstilversagen, Stressüberlastung und strukturelle Versorgungslücken. Solange sie jedoch als stille Nebendiagnose hingenommen wird, bleibt sie das, was sie medizinisch längst nicht mehr ist: ein Nebenbefund.

 

Zöliakie bleibt häufig unerkannt

Chronischer Eisenmangel und Wachstumsstörung als stille Warnzeichen

Zöliakie ist eine der am besten charakterisierten immunologischen Erkrankungen und dennoch ein Chamäleon in der klinischen Praxis. Bei einem Kleinkind, das kurz nach Einführung glutenhaltiger Beikost mit chronischem Durchfall, Bauchschmerzen und Gedeihstörungen auffällt, liegt der Verdacht auf Zöliakie nahe. Doch längst nicht alle Patientinnen und Patienten zeigen diese klassischen Symptome. Viele Betroffene bleiben lange unentdeckt – die Erkrankung versteckt sich oft hinter unspezifischen Beschwerden wie Eisenmangel, Osteopenie oder neurologischen Störungen. Umso wichtiger ist es, auch bei atypischer Symptomatik frühzeitig an Zöliakie zu denken.

Die Erkrankung beruht auf einer immunvermittelten Entzündung der Dünndarmschleimhaut, ausgelöst durch eine genetische Prädisposition in Kombination mit dem Umweltfaktor Gluten. Entscheidend sind bestimmte HLA-Moleküle, insbesondere HLA-DQ2 und HLA-DQ8, die bei nahezu allen Zöliakiepatienten nachweisbar sind. Dennoch entwickelt nur ein Teil der Träger tatsächlich eine Erkrankung – entscheidend ist das Zusammenspiel von genetischer Disposition, Immunaktivierung und Glutenexposition.

Im Zentrum der Pathophysiologie steht das Getreideprotein Gluten – eine Mischung aus hunderten Peptiden, darunter Gliadine und Glutenine. Diese werden im Magen-Darm-Trakt nur unvollständig gespalten. Die resultierenden Gliadin-Peptide werden in der Dünndarmschleimhaut durch das Enzym Gewebetransglutaminase (tTG) modifiziert. Bei genetisch prädisponierten Personen kommt es zu einer Präsentation dieser veränderten Peptide durch antigenpräsentierende Zellen, die eine T-Zell-vermittelte Immunreaktion auslösen. Daraus resultiert nicht nur eine Entzündung, sondern auch die Bildung spezifischer Autoantikörper gegen Gluten und tTG.

Diese pathognomonischen Antikörper, insbesondere tTG-IgA, sind diagnostisch von zentraler Bedeutung. Bei Kindern mit deutlich erhöhten tTG-IgA-Werten – das heißt mehr als zehnfach über dem Grenzwert – kann auf eine Bestätigung durch Biopsie verzichtet werden, sofern zusätzlich Endomysium-Antikörper nachgewiesen werden. Die aktuelle S2k-Leitlinie zur Zöliakie gibt dafür präzise diagnostische Algorithmen vor, um die belastende Biopsie in vielen Fällen zu vermeiden.

Trotz dieser Fortschritte in der Diagnostik bleibt Zöliakie ein Chamäleon: Nicht die klassischen gastrointestinalen Symptome dominieren die Szene, sondern ein weites Spektrum systemischer Beschwerden. Das macht eine frühzeitige Diagnose anspruchsvoll, aber umso notwendiger – denn eine strikt glutenfreie Diät kann die entzündlichen Veränderungen in der Dünndarmschleimhaut vollständig zurückbilden und Folgeschäden vermeiden.

Die Zöliakie ist ein Paradebeispiel für die Tücke stiller Entzündungen. Während viele chronische Erkrankungen mit einem klaren klinischen Bild einhergehen, bleibt die Zöliakie oft lange unsichtbar – ein Chamäleon unter den immunologischen Erkrankungen. Gerade bei Kindern ist die Gefahr groß, Symptome zu verharmlosen oder anderen Ursachen zuzuordnen. Doch der Blick muss geschärft werden: Jedes unklare Wachstumsmuster, jeder persistierende Eisenmangel ohne erkennbare Ursache und jede atypische neurologische Auffälligkeit kann ein Hinweis sein.

Die Prävalenz von Trägern der Risikogene HLA-DQ2 und DQ8 zeigt, dass genetische Prädispositionen weit verbreitet sind – allein sie machen jedoch keine Erkrankung. Vielmehr ist das Wechselspiel aus genetischer Grundlage, Umweltfaktoren und immunologischer Reaktion entscheidend. Der Umstand, dass Anti-tTG-Antikörper eine pathogene Rolle spielen und nicht bloß Marker sind, zeigt, wie komplex die Immunantwort bei Zöliakie ist. Der Körper greift sich selbst an – ausgelöst durch ein vermeintlich harmloses Nahrungsprotein.

Die Entlastung betroffener Familien durch nicht-invasive Diagnostik ist ein Fortschritt – doch er darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Dunkelziffer vermutlich hoch bleibt. Nur durch ein hohes Maß an klinischem Misstrauen gegenüber unspezifischen Symptomen kann Zöliakie frühzeitig erkannt werden. Die Pflicht zur Glutenfreiheit ist zwar herausfordernd, aber zugleich ein Weg zurück zur intestinalen Gesundheit. Insofern gilt: Wer nicht testet, übersieht.

Von Engin Günder, Fachjournalist

 

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