ApoRisk® auf Facebook ApoRisk® auf X
  • 26.05.2025 – Apotheken-Nachrichten von heute: Reale Gefahren, falsche Sicherheit, neue Schutzpflichten
    26.05.2025 – Apotheken-Nachrichten von heute: Reale Gefahren, falsche Sicherheit, neue Schutzpflichten
    APOTHEKE | Medienspiegel & Presse | Explosionen, Cyberattacken, Rechtsdruck: Apotheken sind gefährdeter denn je. Warum der Schutz nicht greift, Versorgungslücken entstehen ...

Für Sie gelesen

Sehr geehrte Apothekerin, sehr geehrter Apotheker,
hier ist der vollständige Text für Sie:

ApoRisk® Nachrichten - APOTHEKE:


APOTHEKE | Medienspiegel & Presse |

Apotheken-Nachrichten von heute: Reale Gefahren, falsche Sicherheit, neue Schutzpflichten

 

Warum Apotheken Gewalt, Cyberangriffen und unzureichendem Versicherungsschutz ausgesetzt sind – und wie sich das Risiko neu bewerten lässt

Sprengsätze in Einkaufszentren, digitale Angriffe auf Rezeptserver und Versicherungspolicen, die im Ernstfall nicht greifen – Apotheken geraten immer häufiger zwischen die Fronten eines sich verdichtenden Risikodrahts. Der Fall Plauen ist kein Einzelfall, sondern Ausdruck einer strukturellen Gefahrenlage: Gewalt, Cyberangriffe und fehlende Resilienz durch unzureichende Absicherung treffen Apothekenbetriebe direkt und tief. Gleichzeitig bröckelt das Vertrauen in digitale Plattformen, wie das juristische Vorgehen gegen die Cannabis-Vermarktung über Cura Medics zeigt. Bundesgesundheitsministerin Warken kündigt Maßnahmen an, auch weil die Akzeptanz des E-Rezepts trotz positiver Grundstimmung durch Alltagshürden ins Wanken gerät. Parallel fordert Bundesfinanzminister Klingbeil strukturelle Reformen der Sozialversicherung, während Merz auf mehr Eigenverantwortung pocht – eine Debatte, die erneut den Druck auf Apotheken und Versorgungsträger verschärft. Doch Apotheken liefern Gegenmodelle: mit pDLs, Aufklärungskampagnen, ATHINA und Beratung vor Ort. Auch in Sachen Klimaschutz in der Pflege, bei der Früherkennung von Gefäßerkrankungen und in der Kommunikation zu komplexen Schmerzsyndromen wie Fibromyalgie übernehmen sie Verantwortung. Und selbst beim Thema gesundes Altern – ob in der Forschung oder am Beispiel der Rolling Stones – werden Apotheken zu Mittlern zwischen Lebensstil und Wissenschaft.

 

Strukturelle Schwächen erkennen, reale Risiken versichern, Versorgungslücken verhindern

Wie Apotheken zwischen Gewalt, Cyberangriffen und Versicherungslücken geraten – und warum ein neues Sicherheitsverständnis nötig ist

Die Sprengung eines Geldautomaten in einem Einkaufszentrum in Plauen war nicht der erste Vorfall dieser Art, aber einer der eindrücklichsten, was die unmittelbaren Auswirkungen auf die benachbarte Gesundheitsinfrastruktur betrifft. Eine Apotheke, die räumlich mit dem Zentrum verbunden ist, wurde durch die nächtliche Detonation in ihren Grundfunktionen beschädigt. Die Druckwelle legte das Labor lahm, verbreitete feinsten Staub in den Apothekenräumen, blockierte den Notdienstbetrieb – und zwang das Team zu einer mehrtägigen Unterbrechung. Der Schaden war nicht nur baulich oder finanziell, sondern traf ins Zentrum der öffentlichen Versorgungssicherheit. Und doch war dieser Vorfall kein singuläres Ereignis, sondern Ausdruck eines Musters, das in Deutschland zunehmend bedrohlicher wird: Apotheken geraten in die Schnittmenge aus digitaler Verwundbarkeit, urbaner Gewalt und struktureller Unterschätzung ihrer Risikoexposition.

Cyberangriffe auf Apothekensysteme, Attacken auf Telematik- und Warenwirtschaftsstrukturen, physische Gefahren durch Einbruch, Vandalismus oder – wie in Plauen – externe Gewaltakte wie Sprengstoffdelikte: All diese Gefahrenlagen sind längst keine abstrakten Szenarien mehr. Sie sind Realität. Und sie zeigen, dass der Schutzrahmen, unter dem Apotheken heute operieren, nicht nur lückenhaft ist, sondern häufig aus einer anderen Zeit stammt. Klassische Versicherungen – Inventarschutz, Gebäudeversicherung, Standardbetriebsausfall – greifen nicht mehr in einem Umfeld, das sich in technischer, gesellschaftlicher und kriminologischer Hinsicht radikal verändert hat.

Diese Veränderung betrifft nicht nur die Apotheken selbst, sondern das Verständnis ihrer Stellung in der kritischen Infrastruktur. Wer glaubt, dass eine temporär geschlossene Apotheke schnell ersetzt oder ersetzt werden kann, verkennt die lokal gebundene, oft einzigartige Rolle solcher Betriebe in der Versorgungskette. Besonders in ländlichen Gebieten oder bei Nacht- und Notdiensten ist jede Stunde Ausfall eine reale Gefährdung für Patientinnen und Patienten. Der wirtschaftliche Schaden ist nur die Spitze des Eisbergs. Schwerer wiegt der Vertrauensverlust, der rechtliche Unsicherheiten bei der Rezeptverarbeitung oder der Ausfall notwendiger pharmazeutischer Dienstleistungen wie Rezeptur oder Medikationsanalyse.

Hinzu kommt eine regulatorische Leerstelle. Weder Standesrecht noch gesetzliche Vorgaben enthalten aktuell verbindliche Anforderungen an die Risikovorsorge von Apotheken. Auch der Gesetzgeber lässt strukturelle Antworten vermissen. Weder gibt es ein verpflichtendes Schutzkonzept für Apothekenbetriebe noch steuerlich geförderte Präventionsanreize oder Mindeststandards für die digitale Resilienz. Das derzeitige System überlässt das Risikomanagement vollständig der Eigenverantwortung – in einem Umfeld, in dem eine einzelne Schadenslage bereits existenzbedrohend sein kann.

Die Versicherungswirtschaft wiederum hat sich zwar in Teilen angepasst – es gibt inzwischen branchenspezifische Policen, die Sprengwirkungen, IT-Angriffe, Vandalismus, Zugangssperren und Datenverlust einbeziehen. Doch diese Produkte sind oft nur auf Initiative der Apotheke verfügbar, beratungsintensiv, kostenintensiv und in vielen Fällen nicht standardisiert. Hinzu kommt, dass viele Apothekenleitungen nicht oder nur unvollständig über die exakten Deckungsumfänge informiert sind. Ein missverständlicher Ausschlusstatbestand oder eine falsch deklarierte Betriebsart reicht, um den Versicherungsschutz im Schadensfall zu verlieren – obwohl die Bedrohung objektiv vorlag. Es entsteht eine doppelte Illusion: die der abgesicherten Betriebsführung und die der resilienzfähigen Gesundheitsstruktur.

Diese Schieflage erfordert ein Umdenken. Apotheken sind längst keine reinen Handelsbetriebe mehr, sondern hochregulierte, technisch vernetzte Versorgungsknotenpunkte. Ihre Verwundbarkeit ist systemisch. Der Staat muss diese Realität in seinen Sicherheits- und Infrastrukturüberlegungen abbilden. Denkbar wären Pflichtversicherungen mit gestaffeltem Risikokatalog, Steueranreize für investive Schutzmaßnahmen, zentralisierte Sicherheitsberatung durch Kammern und Landesbehörden oder Notfallfonds für versorgungsrelevante Betriebe nach externer Schädigung. Auch die Apotheken selbst müssen ihre Risikowahrnehmung schärfen: Digitale Backups, Zugriffsbeschränkungen, technische Redundanzen, Fluchtwegkonzepte, Zugangskontrollen – das Sicherheitsportfolio einer Apotheke muss im Jahr 2025 einem Rechenzentrum oder einem Finanzdienstleister in nichts nachstehen.

Der Vorfall in Plauen war ein Weckruf – aber er wurde kaum gehört. Weder wurde er politisch aufgegriffen noch strukturell ausgewertet. Dabei zeigt er exemplarisch, wie eng physische und digitale Verwundbarkeit in Apotheken inzwischen verwoben sind. Die Explosion eines Geldautomaten – ein Ereignis ohne jeden direkten Bezug zur Apotheke – genügte, um den Betrieb lahmzulegen. In anderen Fällen wären es vielleicht Hacker, ein Wasserschaden durch Vandalismus oder eine plötzliche Sperrung durch die Polizei bei Bombendrohungen in der Nachbarschaft. In jedem Fall gilt: Wer glaubt, Apotheken wären geschützt, weil sie Apotheken sind, irrt sich fundamental. Die Sicherheit muss hergestellt werden – juristisch, technisch, finanziell.

In der gesundheitspolitischen Debatte fehlt bislang eine klare Perspektive auf diesen Problemkomplex. Der Fokus liegt auf Reformen des Arzneimittelmarktes, der Digitalisierung oder der Apothekenhonorierung – doch was nützt das innovativste Modell, wenn die Betriebe nicht mehr handlungsfähig sind, weil sie realen Bedrohungen ausgesetzt sind, denen sie strukturell nichts entgegensetzen können? Wenn der Staat kritische Infrastrukturen wie Kliniken, Kraftwerke oder Rechenzentren mit Schutzstandards versieht, dann muss das auch für Apotheken gelten. Denn auch sie sind unverzichtbar für eine funktionierende Grundversorgung – und zugleich verletzlicher denn je.

 

Recht drängt zurück, Politik zieht nach, Plattformen geraten unter Druck

Warum ein Gericht die Cannabiswerbung stoppte, Warken Onlineangebote einschränken will und das Geschäftsmodell digitaler Rezeptportale ins Wanken gerät

Die Zeiten unregulierter Cannabisrezept-Portale im Netz könnten sich dem Ende zuneigen – zumindest wenn es nach der Apothekerkammer Nordrhein (AKNR) und Bundesgesundheitsministerin Nina Warken geht. Die AKNR hat jetzt vor dem Landgericht Köln einen juristischen Etappensieg gegen ein solches Modell errungen. Im Fokus: Die Plattform Cura Medics und ein Aachener Apotheker, der als Kooperationspartner firmierte und nun nicht nur juristisch belangt wurde, sondern sich auch öffentlich zu Unrecht verfolgt sieht. Die rechtlichen Vorwürfe drehen sich um mutmaßlich irreführende Werbung für medizinisches Cannabis, Fernbehandlungsvermittlungen ohne fachliche Standards und eine Grenzüberschreitung in der Außendarstellung verschreibungspflichtiger Arzneimittel.

Doch hinter diesem Fall steht mehr als ein einzelner Streit zwischen Kammer und Apotheker. Es offenbart sich eine Systemkrise im digitalen Arzneimittelvertrieb: Rezeptportale, die mit standardisierten Fragebögen und kooperierenden Ärzten Online-Verschreibungen ermöglichen, sind längst kein Randphänomen mehr. Die Argumentation der AKNR, gestützt auf das Heilmittelwerbegesetz (HWG), sieht in dieser Praxis einen Bruch geltender Standards. Insbesondere § 9 HWG lässt Werbung für Fernbehandlungen nur zu, wenn ein persönlicher Arztkontakt nicht erforderlich ist – eine Voraussetzung, die bei Medizinalcannabis nach Auffassung der Kammer nicht erfüllt ist. Der Fragebogen, den Cura Medics einsetzt, sei als Kommunikationsmittel ungeeignet. Außerdem werde bereits vor Ausstellen des Rezepts mit konkreten Produkten geworben, was als unerlaubte Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel bewertet wird.

Trotz gegenteiliger Darstellung – laut Impressum sei nicht der Apotheker selbst Betreiber der Seite, sondern eine Firma in den Niederlanden – sah das Gericht die Verbindung als ausreichend an. Der Name des Apothekers sei im Impressum genannt worden, seine Apotheke auf der Rechnung, das genüge, um eine Mitverantwortung anzunehmen. Dass er keine technischen Rechte an der Plattform habe, änderte daran laut Kammer und Landgericht wenig. Der Apotheker hatte die geforderte Unterlassungserklärung verweigert, wurde jedoch durch eine einstweilige Verfügung zur Unterlassung verpflichtet.

Während der juristische Rahmen klar zu werden scheint, fehlt es in der politischen Sphäre bislang an Durchgriffskraft. Zwar kündigte Gesundheitsministerin Warken in der FAZ an, gegen „zu leicht zugängliche“ Onlineverschreibungen vorgehen zu wollen, die mit simplen Checklisten arbeiteten und damit die Hürde für eine Cannabis-Verschreibung auf ein fragwürdiges Maß senkten. Doch so klar die Rhetorik, so schwierig die Umsetzung – vor allem bei Anbietern aus dem Ausland. Frühere Versuche, dem illegalen Rezeptvertrieb oder Onlinehandel mit Lifestyle-Arzneien Einhalt zu gebieten, blieben trotz regulatorischer Ansätze zumeist wirkungslos.

Die politische Dimension gewinnt durch die Parallelität zweier Entwicklungen an Brisanz: Erstens die Evaluierung der Teillegalisierung von Cannabis bis Ende 2025 durch die schwarz-rote Bundesregierung, zweitens der sprunghafte Anstieg medizinischer Cannabisverordnungen, der zunehmend als Umgehung des KCanG interpretiert wird. Für Warken ist diese Entwicklung „verstörend“ – für die Plattformbetreiber wirtschaftlich lukrativ. Zwischen medizinischem Anspruch und wirtschaftlicher Realität öffnet sich ein Graben, den die AKNR nun mit juristischen Mitteln zu überbrücken versucht – und das mit wachsendem Erfolg.

Bemerkenswert ist die Parallelität zu ähnlichen Verfahren: Bereits ein weiteres Verfahren der AKNR gegen eine ähnliche Cannabisplattform war in erster Instanz erfolgreich. Die Kammer sieht sich bestätigt, ihr regulatorischer Zugriff auf das Handeln der eigenen Mitglieder greift – auch wenn die Betreiberstruktur formal im Ausland liegt. Das wirft die Frage auf, wie eng Apotheken kooperieren dürfen, ohne selbst als Betreiber zu gelten, und ob sie durch bloße Beteiligung an einem Prozess haftungsrechtlich greifbar werden.

Damit geht es nicht nur um die Auslegung von Paragrafen, sondern um das Fundament ärztlicher Indikationsstellung, pharmazeutischer Verantwortung und digitaler Geschäftsmodelle. Es offenbart sich ein juristisch-politisches Spannungsfeld, in dem die Rechtsprechung die Norm setzt, während die Gesetzgebung im Nachgang agiert – und die Akteure im Markt zunehmend verunsichert.

 

Beiträge unter Druck, Vertrauen in der Zange, Reformideen im Leerlauf

Warum Klingbeil nicht länger der Zahlmeister sein will, Merz auf Eigenverantwortung pocht und die Sozialversicherungen zwischen Systemstress und Stillstand zerrieben werden

Die finanziellen Grundfesten der deutschen Sozialversicherungen geraten zunehmend ins Wanken. Nachdem im vergangenen Jahr allein der gesetzlichen Krankenversicherung ein Defizit von mehr als sechs Milliarden Euro entstand, gerät nun auch der Bundesfinanzminister unter Handlungsdruck. Lars Klingbeil, erst seit wenigen Monaten im Amt, stellt die Weichen in Richtung struktureller Sanierung – und distanziert sich öffentlich vom Bild des immer zahlungsbereiten Staates. Seine Worte, platziert in der „Bild am Sonntag“, sind bewusst pointiert gewählt: „Der Finanzminister kann nicht dauernd angerufen und nach mehr Geld gefragt werden.“ Die Botschaft ist klar – und sie markiert den Auftakt einer neuen Reformrhétorik, die den Druck auf Gesundheits- und Pflegekassen, aber auch auf die Rentenversicherung erhöhen dürfte.

Während in früheren Debatten zumeist über Beitragsanhebungen und punktuelle Bundeszuschüsse diskutiert wurde, sucht Klingbeil nun explizit nach Alternativen, die nicht unmittelbar auf dem Rücken der Arbeitnehmer oder Arbeitgeber ausgetragen werden. „Strukturreformen“ ist das Schlüsselwort – doch was genau damit gemeint ist, bleibt zunächst offen. Was Klingbeil allerdings klar signalisiert: Leistungskürzungen sind für ihn kein akzeptabler Weg. Und auch höhere Beiträge sieht er kritisch – sie würden nicht nur das verfügbare Einkommen der Versicherten belasten, sondern auch die Unternehmen über steigende Lohnnebenkosten zusätzlich unter Druck setzen. Damit macht Klingbeil deutlich, dass aus seiner Sicht vor allem organisatorische und systemische Umsteuerungen erforderlich sind, um die wachsende Schieflage in den Sozialkassen zu korrigieren.

Tatsächlich hat sich die Lage in den vergangenen Jahren dramatisch verschärft. Schon vor der Pandemie kämpften Krankenkassen mit strukturellen Defiziten, die durch demografischen Wandel, medizinischen Fortschritt und chronische Unterfinanzierung getrieben waren. Die Corona-Jahre brachten kurzfristige Entlastungen durch milliardenschwere Bundeszuschüsse – gleichzeitig wurden aber auch tiefere Löcher in die Finanzarchitektur gerissen. Mit dem Wegfall pandemiebedingter Sonderzahlungen und gleichzeitig wachsendem Versorgungsbedarf stehen die Kassen nun wieder dort, wo sie vorher waren – nur tiefer.

Parallel dazu drängt auch CDU-Chef und Bundeskanzler Friedrich Merz auf Reformen – allerdings mit einer deutlich anderen Akzentsetzung. Während Klingbeil den Erhalt des solidarischen Prinzips betont, setzt Merz auf Eigenverantwortung und betriebswirtschaftliche Effizienz. Das Gesundheitssystem, so Merz, müsse „durchlässiger, schlanker und belastbarer“ werden. Sein Credo: Mehr Selbstverantwortung des Einzelnen in der Vorsorge und Versorgung, weniger flächendeckende Absicherung auf Staatskosten. Damit zeichnet sich eine politische Konfrontation ab, die nicht nur um Finanzierungsmechanismen, sondern um das grundsätzliche Verständnis von Sozialstaatlichkeit kreist.

Brisant ist dabei, dass beide Akteure auf denselben Koalitionsvertrag verweisen, in dem für alle drei großen Zweige – Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung – Kommissionen als Instrument der Analyse und Vorbereitung angekündigt wurden. Doch bislang blieb es bei Ankündigungen. Zwar hat Gesundheitsministerin Nina Warken (SPD) angekündigt, für den Bereich Pflege zeitnah eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe zu installieren, um konkrete Vorschläge zu erarbeiten – doch ob dies reicht, um dem Beitragstsunami zu entkommen, bleibt fraglich.

Zumal auch die Rentenversicherung längst nicht mehr als Bollwerk der Stabilität gelten kann. Zwar soll das Rentenniveau laut Koalitionsvertrag bis 2031 bei 48 Prozent gehalten werden – doch die Kosten dieser Zusicherung explodieren. Allein durch die geburtenstarken Jahrgänge, die ab 2025 zunehmend in den Ruhestand eintreten, entsteht ein Druck, der mit Beitragszahlungen der jüngeren Generation kaum noch aufgefangen werden kann. Eine kapitalgedeckte Teilkomponente – wie etwa durch die sogenannte „Aktienrente“ oder Rentenfondsmodelle diskutiert – ist bislang nicht über symbolische Pilotansätze hinausgekommen.

Die Verhandlungsspielräume des Bundes werden dabei zusätzlich durch die Schuldenbremse limitiert, die für das kommende Haushaltsjahr keine nennenswerten Spielräume für zusätzliche Sozialzuschüsse zulässt. Klingbeil steht damit in einem klassischen Dilemma: Will er seine Rolle als Haushaltswächter ernst nehmen, muss er die Ausgaben deckeln. Doch will er gleichzeitig die Belastung der Bürger begrenzen, bleibt als Lösung nur eine strukturelle Neusortierung der Systeme – ein Mammutprojekt, das politische Führung verlangt und unpopuläre Entscheidungen einschließt.

In dieser Gemengelage ist auch der fließend eingebettete Kommentar zu lesen: Es reicht nicht mehr, nur die Symptome der Finanzkrise in den Sozialversicherungen zu behandeln – was fehlt, ist eine mutige Systemdebatte. Die Kontraste zwischen Klingbeil und Merz zeigen dabei exemplarisch, wie weit die Vorstellungen von Zukunftssicherung auseinanderliegen. Der eine warnt vor Kürzungen und fordert Reformen, ohne sie zu konkretisieren, der andere fordert mehr Eigenverantwortung, ohne dabei die sozialen Konsequenzen zu klären. Und während die Ministerien auf Kommissionen setzen, um Zeit zu gewinnen, wächst das Misstrauen in der Bevölkerung gegenüber einem System, das sich ständig in Krisenverwaltung verliert. Wenn die Stabilität der Sozialversicherungen als Rückgrat des gesellschaftlichen Zusammenhalts verstanden wird, dann ist deren Erosion kein technisches Problem – sondern eine politische Zeitbombe.

 

Digitale Prozesse eröffnen Chancen, strukturelle Defizite verschärfen Unsicherheit, Aufklärung entscheidet über Akzeptanz

Warum das E-Rezept Apotheken stärkt und gleichzeitig überfordert, welche Hürden im Alltag ungelöst bleiben und was Patientenschulung zur Schlüsselfrage macht

Knapp eineinhalb Jahre nach der verpflichtenden Einführung zeigt sich: Das E-Rezept funktioniert in der Fläche, bleibt aber ein Stresstest für alle Beteiligten. Während zwei Drittel der Apothekeninhaberinnen und -inhaber laut Apokix-Umfrage des IFH Köln positive Erfahrungen mit der digitalen Verordnung machen, liegt über dem vermeintlichen Fortschritt ein Schatten aus praktischen Hürden, technischen Schwächen und kommunikativen Leerstellen. Die Einlösung per elektronischer Gesundheitskarte hat sich etabliert – 86 Prozent der Kundinnen und Kunden nutzen diese Methode. Doch die technischen Altlasten der Telematikinfrastruktur bremsen den Alltag ebenso wie verspätete Bereitstellungen durch Arztpraxen, fehlerhafte Einträge oder mangelnde Patientenkenntnis. Wer heute ein E-Rezept einlösen will, kann Glück haben – oder in einen unsichtbaren Engpass geraten.

Gleichzeitig zeigt sich ein Muster wachsender digitaler Reibungsverluste, das die Balance zwischen Versorgungssicherheit und strukturellem Risiko infrage stellt. Das Problem liegt nicht im Prinzip, sondern in der operativen Ausführung: 93 Prozent der befragten Apotheken nennen Verzögerungen bei der Rezeptübermittlung als häufigstes Ärgernis – ein gravierender Befund, der die Frage aufwirft, ob die notwendige Systemreife überhaupt gegeben ist. Noch schwerer wiegt der Befund aus der Perspektive der Patient:innen: 70 Prozent der Apotheken sehen einen erheblichen Aufklärungsbedarf auf Anwenderseite. Das E-Rezept bleibt ein System, das man erklären muss – und dessen Sicherheit und Effizienz nur so gut ist wie das Verständnis jener, die es nutzen sollen.

Die Ironie liegt dabei in der Funktionalität: Wo die Prozesse rundlaufen, zeigen sich die Stärken des digitalen Rezepts. Die eindeutige Verordnung, die Vermeidung von Medienbrüchen, die Reduktion von Abgabefehlern – laut Umfrage befürworten 77 Prozent der Apotheker:innen die erhöhte Sicherheit, 81 Prozent den Schutz vor Rezeptfälschungen. Doch diese Erfolge sind konditioniert: Sie treten nur dort ein, wo Technik und Anwendung zusammenpassen. Es genügt ein defekter Konnektor, ein nicht aktualisiertes Praxissoftwaremodul oder ein falsch gesetzter Haken im Verordnungssystem – und aus digitaler Effizienz wird Frustration. Die Apotheken stehen dabei an der Schnittstelle all dieser Unzulänglichkeiten, ohne Einfluss auf die Ursachen, aber mit Verantwortung für die Konsequenzen.

In diesem Spannungsfeld entstehen zwei gegenläufige Tendenzen. Einerseits wächst durch die Digitalisierung die fachliche Rolle der Apotheke als letzte, patientennahe Instanz vor der Medikamentenabgabe. Die sichere Umsetzung eines E-Rezepts bedarf pharmazeutischer Kompetenz, technischen Verständnisses und sozialer Vermittlung. Andererseits verschärft sich der ökonomische Druck. 93 Prozent der Befragten sehen durch das E-Rezept einen verstärkten Wettbewerb mit Versandapotheken – ein Befund, der keine Nebenwirkung, sondern ein systemisches Risiko markiert. Die vereinfachte Rezeptübertragung in Versandmodelle, die niedrige Schwelle digitaler Kommunikation und die Dominanz weniger Plattformanbieter lassen das E-Rezept zur strategischen Einfallstür für Marktverschiebungen werden.

Hinzu kommen neue Pflichten im Datenschutz: 61 Prozent berichten von erhöhtem Aufwand durch die digitalen Anforderungen. Die Apotheken sind verpflichtet, nicht nur die Sicherheit der Rezeptdaten zu garantieren, sondern auch deren revisionssichere Verarbeitung und Speicherung – bei gleichzeitiger Verarbeitung unter Zeitdruck und im Beisein von Kunden. Das E-Rezept macht aus Datenschutz ein Echtzeitproblem.

Doch jenseits dieser konkreten Schwächen wirft die Apokix-Umfrage eine tiefergehende Frage auf: Was braucht es, damit das E-Rezept nicht nur funktioniert, sondern akzeptiert wird? Die Forderung von 55 Prozent der Apothekeninhaber:innen, die Nutzung auch für Privatversicherte verpflichtend zu machen, verweist auf eine systemische Asymmetrie – und auf das Risiko, durch selektive Digitalisierung neue Brüche zu erzeugen. Solange Privatpatient:innen außerhalb der E-Rezept-Verpflichtung stehen, bleibt die organisatorische Redundanz erhalten. Für die Apotheken bedeutet das: Doppelstrukturen, Mehraufwand, und fehlende Planbarkeit. Ein digitaler Prozess, der nur für bestimmte Gruppen gilt, ist kein echter Standard – sondern ein Provisorium mit hohem Energieverlust.

Die Zukunftsfähigkeit des E-Rezepts wird daher nicht am Serverstatus oder an der Kartenlesefähigkeit der Terminals entschieden, sondern an der Schnittstelle zwischen Kommunikation und Vertrauen. Die Apotheken können digitale Schnittstellen professionalisieren, technische Probleme kompensieren, Übergänge abfedern. Aber ohne massive Anstrengungen in Patientenbildung, Softwarequalität und rechtlicher Vereinheitlichung bleibt das E-Rezept ein halbdigitales Versprechen. Und Apothekenbetreiber müssen in diesem Kontext beachten, dass die Zukunft der Arzneimittelabgabe nicht nur in der Technik liegt, sondern in der Fähigkeit, diese Technik für Menschen anwendbar zu machen – auch unter schwierigen Bedingungen. Das E-Rezept ist kein Selbstläufer. Es ist eine tägliche Aufgabe. Und eine politische.

 

Gute Gesetze brauchen Wirkung, Versorgung braucht Realität, Apotheken brauchen Rückenwind

Warum das ALBVVG sein Versprechen nicht hält, wie China als Liefermacht bleibt und was Apotheken täglich ausgleichen müssen

Als das Gesetz zur Bekämpfung von Lieferengpässen bei patentfreien Arzneimitteln und zur Verbesserung der Versorgung mit Kinderarzneimitteln – kurz ALBVVG – im Sommer 2023 in Kraft trat, war der politische Erwartungsdruck enorm. Wochenlang hatten Apotheken über fehlende Fiebersäfte, Antibiotika und Krebsmedikamente geklagt, Medienberichte über leere Regale und improvisierende Teams bestimmten die Nachrichtenlage. Der Bundesgesundheitsminister versprach mit dem neuen Gesetz nicht weniger als einen Wendepunkt. Zwei Jahre später zeigt sich: Die beabsichtigte Trendwende ist ausgeblieben. Und das liegt weniger am fehlenden Willen als an systematischer Wirkungslosigkeit.

Bork Bretthauer, Geschäftsführer von Pro Generika, bringt es auf den Punkt: „Das ALBVVG hatte gute Absichten, aber zu wenig Wumms.“ Was bleibt, ist eine punktuelle Entspannung bei Kinderarzneimitteln – und eine zunehmend angespannte Lage in anderen Segmenten. Die Wirkstoffproduktion findet weiter mehrheitlich in Asien statt, Preisniveaus in Deutschland verhindern Investitionen, angekündigte Produktionsstätten für Antibiotika existieren nur in politischen Reden. Die Versorgungslücken bleiben – und es sind die Apotheken, die sie vor Ort ausbalancieren.

Dabei war die Gesetzesintention durchaus schlüssig: Es sollte Schluss sein mit automatisierten Preiskürzungen bei rabattierten Arzneimitteln, zumindest für bestimmte Produktgruppen. Besonders die strukturell unter Druck stehenden Antibiotika sollten durch gezielte Maßnahmen gestärkt werden. Preiszuschläge für bestimmte Darreichungsformen, Ausnahmen bei Rabattverträgen und verlängerte Austauschfristen sollten Lieferfähigkeit und Marktvielfalt fördern. Doch Papier bleibt Papier, wenn die ökonomischen Realitäten nicht mitziehen.

Die versprochene Renaissance der europäischen Wirkstoffproduktion ist bislang nicht einmal ansatzweise eingelöst. Bretthauer verweist auf ein zentrales Versprechen Lauterbachs: „Innerhalb weniger Monate“ sollten neue Produktionsstätten entstehen. Zwei Jahre später sei kein einziges Werk gebaut worden, kein Cent in industrielle Kapazitäten geflossen. Die Ursache liegt im Preisgefüge: „Für Produktion in Deutschland fehlen schlichtweg die Anreize“, sagt Bretthauer. „Die Industrie hat keine Chance, hier wirtschaftlich sinnvoll Antibiotika herzustellen.“

Statt struktureller Entlastung erleben Hersteller weiterhin einen Markt, der durch Billigimporte, Mengendruck und regulatorischen Aufwand dominiert ist. Selbst mit Gesetzesänderung bleibt der Kostendruck bestehen – in einem System, das ökonomisch nicht zwischen Versorgungssicherheit und Einkaufspreis unterscheidet. So wird Versorgung zur Hochrisikozone, in der sich kaum ein Hersteller noch engagieren will.

Hinzu kommt die geopolitische Abhängigkeit von China und Indien. Während Indien versucht, eigene Wirkstoffkapazitäten auszubauen, kontrolliert China weite Teile der globalen Wirkstoffproduktion – insbesondere bei Basissubstanzen wie Penicillin-Derivaten oder Krebspräparaten. Die Abhängigkeit ist strategisch gewachsen, politisch jedoch weitgehend unbeantwortet geblieben. Das ALBVVG habe laut Bretthauer „keine einzige Maßnahme etabliert, die diese Abhängigkeit wirksam adressiert.“

So bleibt die Realität in der Offizin oft prekär. Apothekenteams gleichen aus, was systemisch versäumt wurde: Sie telefonieren Bestände zusammen, erklären Patient:innen Alternativen, dokumentieren Lieferausfälle und retten mit Eigeninitiative, was sich mit politischer Steuerung nicht retten ließ. Das tägliche Krisenmanagement hat sich professionalisiert – nicht aus Freude, sondern aus Notwendigkeit.

Der politisch angekündigte Systemwechsel sei laut Bretthauer ausgeblieben, weil der Mut zur konkreten ökonomischen Kursänderung gefehlt habe. Statt steuerlicher Anreize oder fixer Aufschläge für versorgungsrelevante Präparate gebe es weiterhin ein Rabattdiktat, das Qualität und Verfügbarkeit ignoriert. Eine nationale Arzneimittelreserve – analog zur Energie- oder Gasreserve – existiert nur auf dem Papier.

Aus Sicht der Apotheken braucht es nicht nur Klartext, sondern Rückendeckung. Wer Versorgungssicherheit will, muss sie bezahlen – mit besseren Preisen, strategischer Bevorratung, verlässlicher Produktionspolitik. Es geht um industriepolitische Realität, nicht um Gesetzeslyrik. Die Apotheken selbst sind keine Preisregulatoren, sondern Systemträger – sie brauchen kein weiteres Gesetz, das auf dem Papier glänzt und in der Praxis verpufft.

Wenn also bilanziert wird, was das ALBVVG bewirkt hat, dann gehört Ehrlichkeit dazu: Ohne entschlossene Nachsteuerung bleibt es ein Feigenblatt. Gute Absichten reichen nicht, wenn der strukturelle Rahmen gegen die Versorgung arbeitet. Und ohne das politische Eingeständnis, dass Gesundheit ihren Preis hat, wird das nächste Gesetz kaum mehr Wumms haben.

 

Gesundheit verstehen, Verantwortung übernehmen, Beratung neu denken

Wie Apotheken mit pDL, Schulinitiativen und ATHINA die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung stärken

Gesundheit ist mehr als die Abwesenheit von Krankheit – sie ist eine Frage der Orientierung, der Selbstbestimmung und der Fähigkeit, informierte Entscheidungen zu treffen. Doch genau an dieser Fähigkeit mangelt es einem Großteil der deutschen Bevölkerung. Drei von vier Erwachsenen haben laut aktueller Studien Schwierigkeiten, gesundheitsrelevante Informationen zu finden, zu verstehen oder umzusetzen. Was im klinischen Jargon als „unzureichende Gesundheitskompetenz“ bezeichnet wird, bedeutet im Alltag: verpasste Früherkennung, fehlerhafte Arzneimitteleinnahme, unnötige Notfälle – und eine immense Belastung für das Gesundheitssystem. Der Ruf nach niedrigschwelliger Aufklärung wird lauter. Doch während die Bundespolitik mit der „Allianz für Gesundheitskompetenz“ seit 2017 übergreifende Initiativen koordiniert, zeigen sich Apotheken vor Ort längst als tragende Säule individueller Gesundheitsbildung – unterstützt durch die jeweiligen Apothekerkammern, die gezielt Angebote zur Befähigung ihrer Mitglieder schaffen.

»Apotheken sind für viele Menschen die erste, barrierearme und niederschwellige Anlaufstelle«, formuliert Ina Lucas, Präsidentin der Apothekerkammer Berlin, mit einer Selbstverständlichkeit, die lange nicht selbstverständlich war. Ihre Aussage steht exemplarisch für ein neues Verständnis des Berufsbildes: weg von der reinen Arzneimittelabgabe, hin zur beratenden, aufklärenden Begleiterin im Therapieprozess. Doch damit Apotheken diese Rolle auch wirksam ausfüllen können, braucht es passgenaue Konzepte. Das Modellprojekt ATHINA – kurz für „Arzneimitteltherapiesicherheit in Apotheken“ – zeigt, wie das konkret funktionieren kann. Ursprünglich in Nordrhein entwickelt, hat es sich längst über Bundeslandgrenzen hinweg etabliert. In Patientengesprächen analysieren geschulte Apothekerinnen und Apotheker die Medikation, identifizieren Risiken, fördern das Verständnis für den Therapieplan. ATHINA ist mehr als ein Beratungstool – es ist ein System zur Stärkung der Eigenverantwortung.

Neben ATHINA sind es vor allem die pharmazeutischen Dienstleistungen (pDL), die durch das Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz (VOASG) zum neuen Standard erklärt wurden – zumindest auf dem Papier. Denn was vielen Bürgerinnen und Bürgern weiterhin unbekannt ist: Sie haben Anspruch auf zusätzliche Leistungen, etwa zur Inhalationstechnik oder Blutdruckkontrolle. Die Apothekerkammer Niedersachsen will das ändern – und hat einen Gesundheitspass entwickelt, der Patientinnen und Patienten dabei helfen soll, ihren Gesundheitsalltag aktiver zu gestalten. Dabei übernehmen Apotheken nicht nur Dokumentationshilfe, sondern positionieren sich als dauerhafte Anlaufstelle in Gesundheitsfragen. Die Verbindung von Aufklärung, praktischer Anwendung und dokumentierter Eigenleistung schafft Vertrauen und verstetigt die Apotheke als Gesundheitslotsin.

Das gelingt auch über gezielte Projekte in der schulischen Bildung. »Apotheke macht Schule« – ursprünglich von der Apothekerkammer Baden-Württemberg initiiert – ist ein Paradebeispiel für frühe Prävention. Apotheker besuchen Schulklassen, sprechen über gesunde Lebensweise, den verantwortungsvollen Umgang mit Arzneien, klären über Alltagsrisiken auf – nicht im Frontalunterricht, sondern in interaktiven Formaten. Die Schüler lernen, wie Wirkstoffe funktionieren, was Wechselwirkungen bedeuten, warum Dosierung keine Meinung ist. In Sachsen-Anhalt heißt das Pendant »Apotheke im Klassenzimmer« – doch das Ziel bleibt gleich: Gesundheitswissen aufbauen, bevor Verhaltensmuster entstehen.

Auch kreative, teils provokante Formate wie »WeWi-TV« der Apothekerkammer Westfalen-Lippe belegen: Gesundheitsbildung darf und soll auch unterhalten. Mit satirischen Spots und gereimten Bauernregeln rücken sie Wechselwirkungen in den Fokus – ein Thema, das trotz Relevanz im Alltag oft übersehen wird. Diese Kampagnen zeigen, dass Aufklärung nicht immer trocken sein muss – und dass Apotheken auch kommunikativ neue Wege gehen können.

In all diesen Initiativen steckt ein gemeinsamer Impuls: Gesundheitskompetenz ist keine abstrakte Zielvorgabe, sondern eine konkrete Aufgabe – eine, die Apotheken bereits heute erfüllen, vielfach auf eigene Initiative. Doch um dieses Potenzial zu entfalten, braucht es strukturelle Förderung, administrative Vereinfachung und vor allem: Vertrauen in das heilberufliche Selbstverständnis der Apotheken. Die Rahmenbedingungen ändern sich – doch der Handlungswille ist da. Wer Menschen befähigen will, Verantwortung für ihre Gesundheit zu übernehmen, muss die Orte stärken, an denen das Gespräch beginnt. Und genau dort steht der HV-Tisch.

 

 

 

 

Pflege braucht Transformation, Klimaschutz braucht Struktur, Versorgung braucht Gerechtigkeit

Wie das Gesundheitswesen Emissionen verursacht, unter dem Klimawandel leidet und sich selbst zur nachhaltigen Neuaufstellung zwingen muss

Pflege und Klima: Zwei Systeme im Dauerstress, beide unzureichend abgesichert und miteinander verstrickt – so beschreibt der BKK Dachverband die Lage in einem neuen Hintergrundpapier, das eindringlich auf die klimapolitische Verantwortung und gleichzeitige Verwundbarkeit des Gesundheitswesens hinweist.

Etwa sechs Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen stammen laut Verband aus dem Gesundheitssektor – einem Bereich, der gleichzeitig vom Klimawandel besonders betroffen ist. Während die Temperaturen steigen, der Materialverbrauch wächst und die Ressourcen schrumpfen, steigen auch die Belastungen für Pflegeeinrichtungen, die ohnehin am Rand der Funktionalität arbeiten. Wasser, Energie, Einwegprodukte – der Verbrauch ist hoch, die Kompensation gering, das Handlungsdefizit eklatant. Die Betriebskrankenkassen fordern nun eine systematische Neuausrichtung entlang ökologischer und sozialer Nachhaltigkeitskriterien. Dabei reicht es nicht, allein die ökologische Komponente zu adressieren. Nachhaltigkeit müsse nach Ansicht des Dachverbands auch soziale Gerechtigkeit und ökonomische Tragfähigkeit umfassen – also das klassische Dreieck der Zukunftsverantwortung.

Doch dieses Dreieck ist brüchig. Der fortschreitende Fachkräftemangel und die Unterfinanzierung der Sozialen Pflegeversicherung gefährden die Versorgung ebenso wie die veralteten Infrastrukturen. Der Verband setzt daher auf drei Ebenen an: Gestaltung der Versorgungsprozesse, rechtliche Verankerung von Klimazielen und gezielte Förderung von Umstellungskosten. Klimagerechte Versorgung wird damit nicht als Zusatzaufgabe verstanden, sondern als Systembedingung. Diese Denkweise bedeutet einen Paradigmenwechsel, der nicht ohne Widerstände verlaufen wird – zumal zusätzliche Belastungen für Pflegebedürftige ausdrücklich ausgeschlossen bleiben müssen.

Die Forderung nach einem sektorenübergreifenden gesetzlichen Handlungsrahmen ist dabei zentral. Nachhaltigkeit dürfe nicht freiwillige Initiative bleiben, sondern müsse zum regulatorischen Imperativ werden – eingebettet in das Sozialgesetzbuch, abgestimmt auf alle Akteure, verknüpft mit Finanzierungsstrukturen. Investitionen in nachhaltige Prozesse wie Gebäudeenergieeffizienz, Mobilitätswende, klimafreundliche Verpflegung oder langlebige Hilfsmittel könnten damit systematisch geplant, überprüft und refinanziert werden.

Besonderes Augenmerk legt der Verband auf digitale Instrumente, die als Effizienztreiber wirken sollen: Die elektronische Patientenakte (EPA) wird als Steuerungsinstrument für klimaschonendes Verhalten verstanden – nicht nur im Sinne von Dokumentation, sondern als Grundlage für evidenzbasierte Prävention. Auch Telemedizin, KI-gesteuerte Energie- und Wassersteuerung sowie regionale Bedarfsplanung gehören zur digitalen Klimastrategie. Der Verband appelliert an die Politik, diese digitalen Hebel nicht nur zu tolerieren, sondern aktiv einzusetzen.

Deutlich wird auch die Kritik an der veralteten Infrastruktur: Gebäude, Technik, Fuhrparks und Versorgungssysteme sind vielerorts nicht auf Effizienz, sondern auf Maximalauslastung ausgelegt. Der Verband fordert ein spezifisches Förderprogramm für die Transformation unter dem Arbeitstitel »Klimaschutz im Gesundheitswesen«. Ziel sei es, bundesweit vergleichbare Standards bei der Beschaffung, Energieeffizienz und Speiseversorgung zu etablieren. Einheitsqualitäten bei Produkten, Fahrzeugen und Verpflegungskonzepten sollen Skaleneffekte ermöglichen und gleichzeitig ökologische Wirkung entfalten.

In der Hilfsmittelversorgung plädieren die BKK für längere Produktlebensdauern, höhere Qualitätsstandards und Herstellertransparenz. Die Umstellung auf langlebige, reparaturfreundliche Produkte könnte ökologische Wirkung mit ökonomischem Vorteil verbinden – ein klassischer Fall von doppeltem Nutzen.

Abgerundet wird das Maßnahmenpaket durch Vorschläge zur Elektromobilität, steuerlichen Anreizen und kommunal gesteuerter Bedarfsplanung mit kleineren Einzugsgebieten. Ziel ist eine sektorale Mobilitätswende, die den CO₂-Ausstoß in der ambulanten Versorgung reduziert und gleichzeitig den Zugang zur Pflege sichert.

Im Fazit bleibt ein unmissverständliches Signal: Das Gesundheitswesen trägt Verantwortung – nicht nur für den Menschen, sondern auch für das Klima. Wer Patienten versorgen will, muss künftig auch Emissionen behandeln.

 

Kalte Füße signalisieren Alarm, verkalkte Gefäße bleiben unbemerkt, Selbstbeobachtung ersetzt keine Diagnose

Warum erste Anzeichen für Durchblutungsstörungen oft übersehen werden, welche Risikofaktoren hinter dem Symptom stecken und wann ärztliche Kontrolle unumgänglich ist

Kalte Füße gelten als lästige Bagatelle des Winters, als Begleiterscheinung eines langen Tages oder ungenügender Isolation. Doch nicht immer sind es bloß kalte Temperaturen oder falsches Schuhwerk, die zu fröstelnden Zehen führen. In vielen Fällen steckt eine unterschätzte Gefahrenlage dahinter: gestörte Durchblutung durch verkalkte Gefäße, medizinisch als periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) bekannt. Und während das Symptom trivial erscheint, beginnt der schleichende Verfall des Gefäßsystems oft unsichtbar – mit dramatischen Folgen für Herz, Gehirn und Beine.

Schon heute hat in Deutschland etwa jeder fünfte Mensch über 65 eine manifeste pAVK – die Mehrheit davon ohne es zu wissen. Denn im Anfangsstadium bleiben Gefäßverengungen symptomarm oder zeigen sich durch subtile Hinweise, die im Alltag gern übersehen werden: Kühle Gliedmaßen, druckempfindliche Hautstellen, langsamer Nagelwachstum oder schwindende Behaarung an den Beinen sind Warnzeichen, die kaum jemand einem Herz-Kreislauf-Problem zuschreibt. Dabei sind sie oft Ausdruck eines systemischen Prozesses – einer fortschreitenden Arteriosklerose.

Dr. Siamak Pourhassan von der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie warnt deshalb vor leichtfertiger Interpretation: »Wer häufig kalte Füße hat, sollte nicht allein an das Wetter denken. Die Beine sind das Endstromgebiet unseres Kreislaufs. Wenn dort der Durchfluss stockt, ist das ein ernstzunehmender Hinweis auf einen generellen Gefäßstress.« Besonders betroffen sind Menschen mit bekannten Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Adipositas, Nikotinkonsum, erhöhten Blutfettwerten oder familiärer Vorbelastung für Herzinfarkt oder Schlaganfall. Für sie gilt: Jeder Fuß kann Frühindikator für ein Herzproblem sein.

Gerade diese Perspektive fehlt in der breiten Gesundheitskommunikation. Während Rückenschmerzen, Bluthochdruck und Sehstörungen längst in Kampagnen thematisiert werden, fehlt es an niederschwelligen Informationen zur Gefäßgesundheit. Dabei sind erste Warnsignale häufig in den Apotheken oder Hausarztpraxen präsent: Nagelpilz, Hautrisse oder das Gefühl, selbst im Sommer kalte Füße zu haben. Sie entstehen durch Mikrozirkulationsstörungen, die auf lokale Ischämien hindeuten – oft Folge einer generalisierten Arterienverengung.

Die Diagnostik beginnt klassisch in der hausärztlichen Versorgung: Fußpulse tasten, Knöchel-Arm-Index bestimmen, gegebenenfalls eine Ultraschalluntersuchung des arteriellen Systems veranlassen. Liegt ein auffälliger Befund vor, ist die gefäßchirurgische Diagnostik gefragt – möglichst interdisziplinär. Denn der menschliche Gefäßapparat funktioniert nicht isoliert: Hormonlage, Nervenfunktion, Blutdrucksteuerung und sogar psychischer Stress beeinflussen die Durchblutung. Es ist dieses Zusammenspiel, das den Unterschied zwischen warmer Selbstwahrnehmung und kalter Realität markiert.

Nicht alle kalten Füße bedeuten jedoch eine Arterienkrankheit. Auch eine Schilddrüsenunterfunktion, Blutarmut, niedriger Blutdruck oder diabetisch bedingte Nervenschädigungen kommen als Ursache in Betracht. Hier ist Differenzialdiagnostik gefragt – und medizinischer Sachverstand, der nicht vorschnell in eine Diagnosespirale führt. Pourhassan mahnt deshalb zur Vorsicht gegenüber präventiven Screenings ohne klaren Anlass: »Einfach so mal die Gefäße durchchecken zu lassen, weil die Füße mal kalt sind – das kann mehr schaden als nutzen. Es entstehen oft Zufallsbefunde ohne Relevanz, die die Betroffenen verunsichern und in therapeutische Sackgassen treiben.«

Der beste Schutz liegt in der Lebensführung – Bewegung, Gewichtskontrolle, Rauchverzicht, Blutdruckeinstellung. Doch dieser Appell ist weder neu noch einfach umzusetzen. Deshalb empfiehlt die DGG, bei Risikopatient:innen gezielt auf sogenannte Gefäßsportgruppen oder Herzsportgruppen zu verweisen. Gezieltes Gehtraining verbessert nicht nur die periphere Durchblutung, sondern aktiviert auch zentrale Steuerkreise im Gehirn – ein neurovaskulärer Effekt, der kognitive Leistungsfähigkeit und seelische Resilienz stärkt.

»Gehen Sie tanzen!«, so der praktische Rat Pourhassans. Und meint damit keine verkopfte Rehaübung, sondern ein lebendiges Lebenszeichen – Bewegung, die Freude macht, sozialen Austausch schafft und Gefäße reaktiviert. Denn kalte Füße sind nicht nur ein Symptom. Sie sind – richtig gelesen – auch ein soziales Warnsignal. Wer friert, zieht sich zurück, vermeidet Bewegung, verliert Anschluss. Und so beginnt die eigentliche Gefahr weniger in den Arterien – sondern in der Isolation.

Es ist diese Verbindung von medizinischer Prävention, psychologischer Achtsamkeit und soziokultureller Bewegung, die moderne Gefäßmedizin heute fordert. Kalte Füße gehören nicht in die Schublade »Nebensächlichkeit«, sondern in den Kontext ganzheitlicher Versorgung. Denn wer heute die Zeichen am Fuß erkennt, verhindert morgen den Infarkt.

 

Schmerz entsteht im Kopf, verändert die Haut, spiegelt sich im Genprofil

Wie Fibromyalgie neurologisch entgleist, somatisch Ausdruck findet und molekular entschlüsselt werden soll

Lange galt das Fibromyalgie-Syndrom als diffuse, kaum greifbare Krankheit – irgendwo zwischen psychosomatischer Zuschreibung, schmerztherapeutischer Verlegenheitsdiagnose und klinischer Unsichtbarkeit. Doch was Jahrzehnte lang als Ausschlussdiagnose beschrieben wurde, hat sich inzwischen zu einem neurobiologischen Krankheitsbild mit spezifischer Diagnostik und neuen Forschungsimpulsen entwickelt. Inzwischen weiß man: Fibromyalgie verändert nicht nur die Schmerzverarbeitung im zentralen Nervensystem, sondern beeinflusst auch Immunantworten, periphere Hautstrukturen und sogar die Aktivität regulatorischer RNA-Fragmente.

»Wir haben heute eine Positivdiagnose mit hoher Spezifität, die nicht mehr auf Tenderpoints allein beruht«, sagt Dr. Oliver Emrich vom Schmerzzentrum Ludwigshafen, der an der neuen Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin mitarbeitet. Die klassische Vorstellung, dass die Patienten vor allem an definierten Schmerzpunkten Druckschmerz empfinden, weicht einem erweiterten Verständnis: Schlafstörungen, kognitive Einschränkungen, Erschöpfung und depressive Symptome sind heute integraler Bestandteil der Diagnostik. Der sogenannte Widespread-Pain-Index erfasst schmerzende Körperregionen – mindestens sieben von 19 müssen über mindestens drei Monate betroffen sein, um in Kombination mit einem Schweregradscore eine Diagnose zu ermöglichen.

Dabei zeigen sich die Schmerzen keineswegs einheitlich. Viele Betroffene berichten von neuropathischen Qualitäten wie Kribbeln, Blitzen, Taubheit oder Brennen. Besonders auffällig: selbst leichte Reize – etwa der Kontakt mit einer Bettdecke – werden als schmerzhaft empfunden. Dieses Phänomen der Allodynie ist ein Hinweis auf zentrale Sensibilisierung. Im Gehirn zeigt sich die Krankheit als neurochemisches Ungleichgewicht: Exzitatorische Botenstoffe wie Glutamat und Substanz P sind erhöht, während inhibitorische Systeme – etwa die opioidvermittelten Schmerzhemmungsbahnen – inaktiviert scheinen. Die Konsequenz: Opioide sind bei Fibromyalgie kaum wirksam. Stattdessen greifen Präparate wie Duloxetin oder Pregabalin in genau diese gestörten inhibitorischen Regelkreise ein und mildern die Symptome.

Doch nicht nur das Zentrale Nervensystem ist betroffen. Auch die Peripherie liefert Hinweise auf strukturelle Veränderungen: Hautbiopsien zeigen eine reduzierte Nervenfaserdichte, eine gestörte Innervation und eine veränderte elektrische Leitfähigkeit. Diese sogenannte Hautdenervierung korreliert direkt mit der Schwere der Symptome – ein Befund, der bislang kaum beachtet wurde. Ein Forschungsteam aus Würzburg ging noch einen Schritt weiter und suchte nach molekularen Biomarkern. Mithilfe moderner RNA-Sequenzierung analysierten sie kleine, nicht-kodierende RNA-Moleküle aus dem Blut und der Haut von FMS-Patientinnen. Im Fokus standen microRNA und tRNA-Fragmente, die als epigenetische Schaltstellen der Zellregulation gelten. Ergebnis: RNA-Profile von Fibromyalgie-Betroffenen unterschieden sich signifikant von denen gesunder Frauen – aber auch von Patientinnen mit Depression und chronischen Schmerzen. Insbesondere zwei microRNAs – hsa-miR-182-5p und hsa-miR-576-5p – waren bei Fibromyalgie vermehrt nachweisbar.

Die Hoffnung: Die Analyse dieser Moleküle könnte nicht nur zur Diagnosesicherung, sondern auch zur Verlaufsbeurteilung beitragen – und das mit minimalinvasiven Blutproben. Das würde nicht nur das Verständnis der Krankheit verbessern, sondern auch der häufigen Stigmatisierung als »eingebildete Krankheit« entgegenwirken.

Erstaunliche Parallelen zur Psyche zeigen sich auch auf bakterieller Ebene. Das Mikrobiom von Fibromyalgie-Patientinnen unterscheidet sich signifikant von dem gesunder Menschen – eine Entdeckung, die tiefgreifende Implikationen für Diagnostik und Therapie haben könnte. In einer kanadischen Studie verbesserten sich Schmerz und Begleitsymptome nach der Einnahme von Mikrobiom-Kapseln mit Darmbakterien gesunder Frauen. Offenbar beeinflusst die bakterielle Besiedlung des Darms nicht nur die Immunantwort, sondern auch die neuronale Reizverarbeitung.

Therapeutisch bleibt Fibromyalgie dennoch ein Puzzle. In Deutschland fehlt eine spezifische Zulassung für Medikamente mit der Indikation FMS. Anders in den USA: Dort sind Duloxetin, Pregabalin und Milnacipran gezielt für die Behandlung zugelassen. Hierzulande wird stattdessen auf den Off-Label-Einsatz bewährter Substanzen gesetzt. Besonders Amitriptylin – ursprünglich ein trizyklisches Antidepressivum – hat sich etabliert. Es erzielt laut Metaanalyse von 2022 die besten Resultate, vor allem bei schleichender Dosistitration über Tropfen. Die Kombination aus schmerzlindernder, stimmungsstabilisierender und schlaffördernder Wirkung macht es zum Pharmakologikum der Wahl, wenn eine medikamentöse Intervention erfolgen soll.

Pregabalin und Duloxetin zeigen jeweils moderate Effekte von etwa 30 Prozent Schmerzreduktion – immerhin ein signifikanter Zugewinn für viele Betroffene. Während Pregabalin primär über die Modulation neuronaler Erregbarkeit wirkt, greift Duloxetin in die Serotonin- und Noradrenalin-vermittelte Schmerzhemmung ein.

Medizinisches Cannabis hingegen bleibt ein strittiges Thema. Zwar gibt es laut Emrich nur »minderwertige Beweise« für eine spezifische Wirkung bei Fibromyalgie, doch gelte Cannabis in der Praxis als sichere, gut verträgliche Alternative – vor allem, wenn andere Optionen versagen.

Dennoch: Der Schlüssel liegt nicht allein in der Pharmakotherapie. Mindestens ein Drittel der Patient:innen spricht auf Medikamente kaum an. Entscheidend ist das Setting: Bewegungstherapie, balneophysikalische Maßnahmen, Schmerzbewältigung, kognitive Verhaltenstherapie – all dies wirkt nur in multimodaler Kombination. Fibromyalgie lässt sich nicht heilen, aber man kann ihre Dominanz brechen. Entscheidend ist, dass die Erkrankung endlich als das gesehen wird, was sie ist: ein komplexes, systemisch vernetztes Schmerz- und Regulationssyndrom mit biologischer, psychologischer und sozialer Dimension – und kein psychosomatisches Sammelbecken ohne Evidenz.

 

Gesund durch Exzesse, alt durch Umkehr, interessant durch Forschung

Wie die Rolling Stones als Anti-Aging-Phänomen taugen, welche molekularen Mechanismen wirklich zählen und warum Hungern nicht genügt

Mick Jagger tanzt noch immer über die Bühne, Keith Richards raucht angeblich nicht mehr, und Ron Wood wirkt erstaunlich fit – während andere längst an den Folgen ihres Rock’n’Roll-Lebensstils zugrunde gegangen sind. Dass ausgerechnet diese Überlebenskünstler der britischen Rockgeschichte in ein gesundes Altern übergegangen sein sollen, irritiert ebenso wie es fasziniert. Denn die wissenschaftlichen Kriterien für einen altersgerechten Lebensstil lesen sich wie das Gegenteil dessen, was die Rolling Stones jahrzehntelang öffentlich verkörpert haben. Die große Ironie: Sie könnten dennoch exemplarisch zeigen, wie sich biologische Alterungsprozesse beeinflussen lassen – oder zumindest, wie man nicht an Dummheiten stirbt.

Beim Pharmacon-Kongress in Meran hinterfragten die Professoren Dieter Steinhilber und Theo Dingermann das augenscheinliche Paradoxon: Wie kann man Jahrzehnte der Exzesse überleben und dennoch 80 Jahre alt werden? Die Antwort ist so banal wie fundamental: Man muss im richtigen Moment aufhören – oder zumindest auf Qualität achten. Der heute abstinente Keith Richards sagte einmal sinngemäß, er habe nur deshalb überlebt, weil er selbst bei Drogenkonsum nie auf pharmazeutische Reinheit verzichtet habe. Was für die einen zynisch klingt, lässt sich aus medizinischer Sicht durchaus als kluge Schadensvermeidung interpretieren. Dingermanns lakonische Hauptregel für gesundes Altern bringt das auf den Punkt: „Don’t die from anything stupid.“ Es sei genau diese Vermeidung des Dummen, die oft mehr über Langlebigkeit aussage als Hochleistungssport oder Diätwahn.

Der eigentliche Kern der Debatte liegt aber tiefer – in der Frage, ob Altern überhaupt als einheitlicher Prozess zu verstehen ist. Das Nature-Paper von 2020, auf das sich Dingermann beruft, nennt neun molekulare Hauptmerkmale des Alterns, darunter mitochondriale Dysfunktion, epigenetische Instabilität oder Telomerverkürzung. Eine spätere Cell-Publikation fügte drei weitere hinzu: chronische Entzündung, gestörte Makroautophagie und eine Dysbiose des Mikrobioms. Diese Merkmale sind keine isolierten Pathomechanismen, sondern überlappen sich auf verschiedenen Systemebenen. Genau hier liegt die Chance für pharmakologische Interventionen – und der Grund, warum Anti-Aging inzwischen zu einem ernst genommenen Forschungsfeld geworden ist.

Dabei gilt: Kalorienreduktion zeigt in der Maus seit Jahren erstaunliche Effekte auf die Lebensdauer, funktioniert aber beim Menschen nicht so einfach. Inzuchtlinien von Labormäusen profitieren klar von Nahrungsknappheit – sie leben bei 40-prozentiger Reduktion der Energiezufuhr rund 30 Prozent länger. Doch bei genetisch vielfältigeren Tieren verflüchtigt sich der Effekt. Die jüngste Nature-Studie von 2024 belegt das eindrucksvoll. Dingermann betont: »Kalorienrestriktion ist kein Patentrezept – entscheidend ist die genetische Ausstattung.«

Daher richtet sich der Blick zunehmend auf bekannte Arzneistoffe mit unerwartetem Anti-Aging-Potenzial. Das Intervention Testing Program (ITP) des US-National Institute on Aging untersucht zugelassene Medikamente auf lebensverlängernde Effekte. In der jüngsten Zusammenstellung erscheinen vier Wirkstoffklassen an prominenter Stelle: Metformin, SGLT2-Inhibitoren, Bisphosphonate und GLP-1-Rezeptoragonisten. Dass zwei davon primär bei Diabetes Typ 2 eingesetzt werden, verweist auf die Rolle des Glukosestoffwechsels in Alterungsprozessen. GLP-1-Agonisten wie Semaglutid könnten dabei sowohl Gewichtsregulation als auch Entzündungshemmung fördern – zwei Schlüsselfaktoren für gesundes Altern.

Doch selbst die beste Pharmakologie ersetzt nicht die Lebensführung. Und hier schließt sich der Kreis zu den Rolling Stones. Heute leben die verbliebenen Bandmitglieder disziplinierter denn je: regelmäßiges Training, kontrollierte Ernährung, keine Drogen – und eine Leidenschaft für Musik, die kognitive Aktivität und soziale Interaktion einschließt. Allesamt Parameter, die laut Dingermann den Alterungsprozess positiv beeinflussen. Die späte Vernunft ist bei den Stones offenbar zur Überlebensstrategie geworden.

Die biografische Wende dieser Musiker steht damit exemplarisch für einen Trend, der auch außerhalb des Rockuniversums gilt: Die Kunst, sich rechtzeitig zu ändern, ist kein Zeichen von Schwäche, sondern ein evolutionärer Vorteil. Altern ist kein Zufall, sondern ein aktiver Prozess – und die Rolling Stones sind vielleicht nicht das ideale Vorbild, aber ein faszinierendes Studienobjekt. Wer glaubt, man müsse sein Leben vollständig im Gleichklang mit Gesundheitsratgebern führen, um alt zu werden, verkennt die Plastizität menschlicher Biologie – und unterschätzt den Wert des zweiten Lebens nach der Wende.

Von Engin Günder, Fachjournalist

 

Zurück zur Übersicht

Kontakt
Jetzt Ihr persönliches Angebot anfordern!
Rückrufservice
Gerne rufen wir Sie zurück!
Suche
  • Pharmarisk® OMNI: Die Allrisk-Police zu Fixprämien
    Pharmarisk® OMNI: Die Allrisk-Police zu Fixprämien
    Allgefahrenschutz online berechnen und beantragen

Wir kennen Ihr Geschäft, und das garantiert Ihnen eine individuelle und kompetente Beratung.

Sie haben einen Beruf gewählt, der weit mehr als reine Erwerbstätigkeit ist. Sie verfolgen im Dienste der Bevölkerung hohe ethische Ziele mit Energie, fachlicher Kompetenz und einem hohen Maß an Verantwortung. Um sich voll auf Ihre Aufgabe konzentrieren zu können, erwarten Sie die optimale Absicherung für die Risiken Ihrer Berufsgruppe.

Sie suchen nach Möglichkeiten, Ihre hohen Investitionen zu schützen und streben für sich und Ihre Angehörigen nach einem angemessenen Lebensstandard, auch für die Zukunft.

  • Die PharmaRisk® FLEX
    Die PharmaRisk® FLEX
    Eine flexible Versicherung für alle betrieblichen Gefahren
Nutzen Sie unsere Erfahrung und rufen Sie uns an

Unter der kostenfreien Telefonnummer 0800. 919 0000 oder Sie faxen uns unter 0800. 919 6666, besonders dann, wenn Sie weitere Informationen zu alternativen Versicherern wünschen.

Mit der ApoRisk® FirmenGruppe steht Ihnen ein Partner zur Seite, der bereits viele Apothekerinnen und Apotheker in Deutschland zu seinen Kunden zählen darf. Vergleichen Sie unser Angebot und Sie werden sehen, es lohnt sich, Ihr Vertrauen dem Versicherungsspezialisten für Ihren Berufsstand zu schenken.

  • Die PharmaRisk® CYBER
    Die PharmaRisk® CYBER
    Eine einzige Versicherung für alle Internetrisiken